Jarosav Hasek
Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Jarosav Hasek

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2. Schwejks Budweiser Anabasis

Xenophon, ein Feldherr des Altertums, durcheilte ganz Kleinasien und kam ohne Landkarte weiß Gott wohin. Die alten Goten trafen ihre Vorbereitungen gleichfalls ohne topographische Kenntnisse. Fortwährend geradeaus marschieren, das nennt man Anabasis. Sich durch unbekannte Landschaften einen Weg bahnen. Von Feinden umringt, die auf die erste Gelegenheit warten, dir den Hals abzudrehen. Hat jemand einen guten Kopf wie Xenophon oder all die Räuberstämme, die bis weiß Gott woher vom Kaspischen oder Asowschen Meer nach Europa kamen, wirkt er wahre Wunder auf dem Zuge.

Irgendwo im Norden am Gallischen Meer, das die römischen Legionen Cäsars ebenfalls ohne Landkarte erreicht hatten, faßten sie den Entschluß, einmal wieder zurückzukehren und, um einen noch größeren Genuß zu haben, auf einem anderen Weg nach Rom zu marschieren, was ihnen auch gelang. Seit dieser Zeit sagt man offenbar, daß alle Wege nach Rom führen.

Ebenso führen alle Wege nach Budweis, wovon der brave Soldat Schwejk in vollstem Maß überzeugt war, als er statt der Budweiser Gegend ein Dorf bei Mühlhausen erblickte.

Er ging jedoch ununterbrochen weiter, denn keinen braven Soldaten kann so ein Mühlhausen daran hindern, dennoch einmal nach Budweis zu gelangen.

Und so tauchte Schwejk westlich von Mühlhausen in Kwětow auf; als er bereits alle Soldatenlieder gesungen hatte, die er von den Soldatenmärschen her kannte, war er gezwungen, vor Kwětow wieder mit dem Lied zu beginnen:

»Wie wir abgezogen sind,
weinten sich die Mädl blind . . .«

Eine alte Frau, die aus der Kirche zurückkehrte, begegnete Schwejk auf dem Weg zwischen Kwětow und Wraz, der ununterbrochen in westlicher Richtung verläuft, und leitete mit dem christlichen Gruß: »Guten Tag, Soldat, wohin des Weges?« ein Gespräch mit ihm ein.

»Ei, ich geh nach Budweis zum Regiment, Mütterchen«, erwiderte Schwejk, »in den Krieg.«

»Aber da geht Ihr ja sehr schlecht, Kleiner«, sagte die Alte erschrocken, »da werdet Ihr niemals hinkommen. Wenn Ihr in dieser Richtung über Wraz fort gradaus geht, so kommt Ihr nach Klattau.«

»Ich denk«, sagte Schwejk ergeben, »daß man auch von Klattau nach Budweis kommen kann. Es is wahr, es is ein hübscher Spaziergang, wenn man zu seinem Regiment eilt, damit man nicht noch zu allem für seinen guten Willen, rechtzeitig an Ort und Stelle zu sein, Unannehmlichkeiten hat.«

»Bei uns war auch so ein Kerl. Der hat nach Pilsen zur Landwehr fahren solln, ein gewisser Toni Maschka«, seufzte die Alte, »er is ein Verwandter von meiner Nichte und is weggefahren. Und nach einer Woche ham ihn schon die Gendarmen gesucht, daß er nicht zu seinem Regiment gekommen is. Und nach noch einer Woche is er in Zivil zu uns gekommen, man hat ihn herich nach Haus auf Urlaub geschickt. So is also der Bürgermeister auf die Gendarmerie gegangen, und sie ham ihm diesen Urlaub eingesalzt. Jetzt hat er schon von der Front geschrieben, daß er verwundet is, daß er ein Bein weg hat.«

Die Alte blickte teilnahmsvoll auf Schwejk: »In diesem Wäldchen dort, Kleiner, könnt Ihr auf mich warten, ich bring Euch ein paar Erdäpfel hin, das wird Euch erwärmen. Unsere Hütte is von hier zu sehn, grad hinterm Wäldchen bißl rechts. Durch unser Dorf könnt Ihr nicht gehn, dort sind die Gendarmen wie Falken. Geht lieber am Wäldchen vorbei auf Maltschin zu. Von dort aus weicht Tschizowa aus, Kleiner. Dort sind die Gendarmen wie Schinder und fangen die Deserteure. Geht direkt durch den Wald nach Sedletz bei Horaždowitz. Dort is ein sehr braver Gendarm, der läßt jeden durchs Dorf. Habt Ihr Papiere bei Euch?«

»Nein, Mütterchen!«

»Dann geht gar nicht dorthin, geht lieber nach Radomyschl, aber trachtet, gegen Abend hinzukommen, da sind alle Gendarmen im Wirtshaus. Dort werdet Ihr in der untern Gasse hinterm Florian ein Häuschen finden, unten is es blau angestrichen, dort fragt nachm Bauer Melicharek. Das is mein Bruder. Daß ich ihn grüßen laß, und er wird Euch zeigen, wo man nach Budweis geht.«

Im Wäldchen wartete Schwejk länger als eine halbe Stunde auf die Alte, und als er sich an der Erdäpfelsuppe erwärmt hatte, die die arme Alte ihm in einem Topf brachte, der mit einem Polster umwickelt war, damit die Suppe nicht kalt werde, zog sie aus einem Tuch eine Schnitte Brot und ein Stück Speck hervor, steckte das alles in Schwejks Taschen, schlug ein Kreuz über ihn und sagte, daß sie auch zwei Enkel »dort« habe.

Hierauf wiederholte sie ihm noch gründlich, durch welche Dörfer er gehen und welchen er ausweichen solle. Zum Schluß zog sie aus der Jackentasche eine Krone, damit er sich in Maltschin Schnaps auf den Weg kaufen könne, denn der Weg nach Radomyschl sei lang.

Von Tschizowa ging Schwejk nach dem Rat der Alten östlich auf Radomyschl zu; er dachte, daß er von jeder beliebigen Weltgegend aus nach Budweis gelangen müsse.

In Maltschin schloß sich ihm ein alter Harmonikaspieler an, den Schwejk im Wirtshaus traf, als er sich auf dem langen Weg nach Radomyschl Schnaps kaufte.

Der Harmonikaspieler hielt Schwejk für einen Deserteur und riet ihm, mit ihm nach Horaždowitz zu gehen, er habe dort eine verheiratete Tochter, deren Mann ebenfalls ein Deserteur sei. Der Harmonikaspieler hatte in Maltschin offensichtlich zuviel getrunken.

»Sie hat ihren Mann schon zwei Monate im Stall versteckt«, redete er auf Schwejk ein, »so wird sie dich auch dort verstecken, und ihr werdet bis zum Kriegsende dort bleiben. Zu zweit wird euch nicht so traurig sein.«

Nach der höflichen Ablehnung Schwejks regte er sich sehr auf, wandte sich links in die Felder und drohte Schwejk, er werde zur Gendarmerie in Tschizowa gehen und ihn anzeigen.

In Radomyschl fand Schwejk gegen Abend in der unteren Gasse hinterm Florian den Bauer Melicharek. Als er ihm den Gruß seiner Schwester aus Wraz bestellte, machte dies auf den Bauern nicht den geringsten Eindruck.

Er wollte unaufhörlich Papiere von Schwejk haben. Er schien ein altmodischer Mensch zu sein, denn er sprach ununterbrochen etwas von Räubern, Landstreichern und Dieben, von denen sich eine Menge im Piseker Kreis herumtreibe.

»So was lauft vom Militär fort, dienen wills dort nicht, und geht in der ganzen Umgebung herum und wos kann, stiehlts«, sagte er Schwejk mit Nachdruck ins Gesicht, »jeder von ihnen schaut aus, wie wenn er nicht bis fünf zähln könnt.«

»Freilich, freilich, wegen der Wahrheit ärgern sich die Leut am meisten«, fügte er hinzu, als Schwejk sich von der Bank erhob, »wenn so ein Mensch ein reines Gewissen hätt, so möcht er sitzen bleiben und läßt sich die Papier nachschaun. Wenn er aber keine hat . . .«

»Also mit Gott, Großvater.«

»Aber ja, mit Gott, und nächstens findet Euch einen Dümmern.«

Als Schwejk in die Finsternis hinaustrat, brummte der Alte noch hübsch lange: »Er geht herich aus Tabor nach Budweis zu seinem Regiment. Und da geht der Lump zuerst nach Horaždowitz und dann erst nach Pisek. Er macht ja eine Reise um die Welt.«

Schwejk marschierte wiederum beinahe die ganze Nacht, bevor er in der Nähe von Putim auf einem Feld einen Schober fand. Als er das Stroh beiseite wälzte, vernahm er dicht in seiner Nähe eine Stimme: »Von welchem Regiment? Wohin des Wegs?«

»Vom 91. Nach Budweis.«

»Am End gehst du nicht wirklich hin?«

»Ich hab dort meinen Oberlajtnant.«

Man konnte hören, daß dicht neben ihm nicht nur einer lachte, sondern drei. Als das Lachen sich beruhigte, fragte Schwejk, von welchem Regiment sie seien. Er stellte fest, daß zwei vom 35. und einer von der Artillerie und ebenfalls aus Budweis war.

Die Fünfunddreißiger seien vor einem Monat vor Formierung der Marschkompanie desertiert, und der Artillerist sei seit der Mobilisierung unterwegs. Er sei in Putim zu Hause und der Schober gehöre ihm. In der Nacht schlafe er stets im Schober. Gestern habe er die zwei andern im Wald gefunden und sie zu sich in seinen Schober genommen.

Alle hegten die Hoffnung, daß der Krieg in ein bis zwei Monaten beendet sein werde. Sie hatten die Vorstellung, daß die Russen bereits hinter Budapest und in Mähren stünden. Das sei in Putim allgemein bekannt. Gegen früh, noch bevor es dämmerte, werde die Frau des Dragoners ihnen das Frühstück bringen. Die Fünfunddreißiger würden dann nach Strakonitz gehen. Dort wohne eine Tante des einen, die wiederum in den Bergen hinter Schüttenhofen einen Bekannten habe, der eine Säge besitze, und dort würden sie gut aufgehoben sein.

»Und du vom Einundneunzigsten, wenn du willst«, forderten sie Schwejk auf, »kannst auch mit uns gehn. Scheiß auf deinen Oberlajtnant.«

»Das geht nicht so leicht«, antwortete Schwejk, grub sich ein und kroch tief in den Schober.

Als er am Morgen erwachte, waren alle bereits weg; einer, augenscheinlich der Dragoner, hatte zu seinen Füßen eine Scheibe Brot als Wegzehrung niedergelegt.

Schwejk ging durch die Wälder und bei Schtekna begegnete er einem Landstreicher, einem alten Knaben, der ihn wie einen alten Kameraden mit einem Schluck Schnaps begrüßte.

»Da drin geh ich nicht herum«, belehrte er Schwejk, »diese Soldatenuniform wird sich dir mal verflucht schlecht auszahlen. Jetzt wimmelts überall von Gendarmen, und betteln kannst du drin auch nicht. Uns stelln die Gendarmen nicht mehr nach wie früher, jetzt suchen sie nur euch.«

»Nur euch suchen sie«, wiederholte er so überzeugt, daß Schwejk den Entschluß faßte, ihm lieber nichts vom 91. Regiment zu sagen. Mochte er ihn halten, wofür er ihn hielt, wozu dem guten alten Burschen die Illusion stören?

»Wohin gehst du?« fragte der Landstreicher nach einer Pause, als sich beide die Pfeifen angezündet hatten und langsam ums Dorf herumgingen.

»Nach Budweis.«

»Um Christi willen«, erschrak der Landstreicher, »dort packen sie dich in einer Minute zamm, nicht mal warm wirst du dort wern. Einen zerlumpten Zivilrock mußt du haben, mußt hinken und einen Krippl aus dir machen.«

»Aber fürcht dich nicht, jetzt gehn wir nach Strakonitz, Wolyn, Ticha, und da müßt der Teufel seine Hand im Spiel ham, daß wir nicht eine Zivilkluft aufgabeln möchtn. Dort bei Strakonitz gibts noch so blöde und ehrliche Leute, daß sie noch hie und da über Nacht offenlassen, und bei Tag sperren sie gar nicht ab. Jetzt im Winter gehen sie zum Nachbarn plauschen, und gleich hast du eine Zivilkluft. Was brauchst du? Stiefel hast du, also nur was zum Anziehen. Der Militärmantel is alt?«

»Ja.«

»Also den laß dir. Drin geht man am Land herum. Du brauchst Hosen und einen Rock. Bis wir die Zivilkluft ham, verkaufen wir Hosen und Rock dem Juden Herrmann in Vodňan. Der kauft alles Ärarische und verkaufts wieder in den Dörfern.«

»Heut gehn wir nach Strakonitz«, entwickelte er seinen Plan weiter. »Vier Stunden von hier steht der alte Schwarzenberger Schafstall. Dort hab ich einen bekannten Schafhirten, auch schon ein alter Knabe, dort bleiben wir über Nacht, und früh machen wir uns auf nach Strakonitz, damit wir dort irgendwo in der Umgebung eine Zivilkluft auftreiben.«

Im Schafstall lernte Schwejk einen freundlichen Greis kennen, der sich noch an die Geschichten erinnerte, die sein Großvater von den Franzosenkriegen erzählt hatte. Er war etwa zwanzig Jahre älter als der Landstreicher und nannte deshalb ihn ebenso wie Schwejk »Junge«.

»Also seht ihr, Jungens«, setzte er auseinander, als sie um den Herd herumsaßen, auf dem Kartoffeln in der Schale kochten, »damals is mein Großvater auch desertiert wie dieser Soldat hier. Aber sie ham ihn in Vodňan erwischt und ihm so den Popo verdroschen, daß von ihm Fetzen geflogen sind. Und da hat er noch von Glück sagen können. Aus Ražitz hinter Protiwin der Sohn vom Jaresch, der Großvater vom alten Jaresch, was dort Teichwächter is, hat, wie er weggelaufen is, Pulver und Blei in Pisek abbekommen. Und bevor man ihn auf den Piseker Schanzen erschossen hat, is er durch ein Spalier Soldaten gelaufen und hat 600 Stockhiebe abgekriegt, so daß der Tod für ihn eine Erleichterung und Erlösung war. Und wann bist du denn weggelaufen?« wandte er sich mit verweinten Augen an Schwejk.

»Nach der Mobilisierung, wie man uns in die Kasernen geführt hat«, entgegnete Schwejk, der begriff, daß die Uniform das Vertrauen des alten Schafhirten nicht erschüttern könne.

»Bist du über die Mauer geklettert?« fragte der Schafhirt neugierig, offenbar in der Erinnerung an den Großvater, der erzählt hatte, er sei über die Kasernenmauer geklettert.

»Anderswo herum is es nicht gegangen, Großvater.«

»Und die Wache war stark und hat geschossen?«

»Ja, Großvater.«

»Und wohin willst du jetzt?«

»Aber ein Rappl hat ihn gepackt«, antwortete für Schwejk der Landstreicher, »er will, kosts was kost, nach Budweis. Das weißt du, ein junger, unverständiger Mensch lauft selbst in sein Verderben. Ich muß ihn bißl in die Schule nehmen. Eine Zivilkluft treiben wir schon auf, und dann geht alles in Ordnung. Bis zum Frühjahr schlagen wir uns halt durch, und dann gehn wir irgendwohin zum Bauer arbeiten. Heuer wirds große Not an Leuten und Hunger geben, und es heißt, daß man heuer alle Landstreicher zur Feldarbeit assentieren wird. So hab ich mir gedenkt, dann lieber freiwillig gehn. Die Feldarbeiter wern alle erschlagen sein.«

»Du glaubst also, daß heuer noch nicht Schluß sein wird? Hast recht, Junge! Es hat schon lange Kriege gegeben. Der napolionische, dann, wie man uns gesagt hat, die schwedischen Kriege, die siebenjährigen Kriege. Und die Menschen ham diese Kriege verdient. Der liebe Gott hat das doch nicht mehr mit ansehn können, wie alles hochnasig worn is. Nicht mal Hammelfleisch is ihnen mehr untern Schnabel gekrochen, sie hams nicht mehr fressen wolln, Jungens. Früher sind sie in Prozessionen hergekommen, damit ich ihnen unter der Hand einen Schöps verkauf, aber in den letzten Jahren ham sie nur lauter Schweinernes gefressen, Geflügel, alles auf Butter oder Fett gebraten. So is der liebe Gott auf sie bös worn wegen ihrem Hochmut, und sie wern erst wieder zu sich kommen, bis sie sich Melde kochen wern, wie sies in den napolionischen Kriegen gemacht ham. Unsre Obrigkeit hat ja schon vor lauter Übermut nicht gewußt, was sie machen soll. Der alte Fürst Schwarzenberg, der is noch in einem gewöhnlichen Wagen gefahren, und der junge fürstliche Rotzbub stinkt vor lauter Automobil. Der liebe Herrgott wird ihm schon auch noch das Benzin ums Maul schmieren.«

Das kochende Kartoffelwasser summte, und der alte Schafhirt sagte nach einer kurzen Pause prophetisch: »Und er wird diesen Krieg nicht gewinnen, unser Kaiser nämlich. Man sieht keine Begeisterung fürn Krieg nicht, weil er sich, wie der Lehrer aus Strakonitz sagt, nicht hat krönen lassen. Jetzt soll er, wie man sagt, wem er will Honig ums Maul schmieren. Wenn du alter Lump versprochen hast, daß du dich krönen läßt, so hast du Wort halten solln.«

»Kann sein«, bemerkte der Landstreicher, »daß ers jetzt machen wird.«

»Drauf pfeift ihm jetzt jeder, Junge«, sagte der Schafhirt gereizt, »du solltest dabeisein, wenn die Nachbarn unten in Skotschitz zusammkommen. Jeder hat jemanden dort, und du möchtest sehn, wie sie reden. Daß herich nach diesem Krieg die Freiheit kommen wird, daß es keine Herrschaftshöfe mehr geben wird, daß man nicht mal Kaisern und Fürsten ihre Güter lassen wird. Wegen so einem Gered ham auch schon die Gendarmen einen gewissen Kořinka weggeführt, daß er herich sozusagen aufwiegelt. Ja, heutzutage ham die Gendarmen was zu sagen!«

»Das ham sie auch früher gehabt«, ließ sich der Landstreicher vernehmen, »ich erinner mich, daß in Kladno ein gewisser Herr Roter Gendarmeriewachtmeister war. Er hat plötzlich angefangen, sogenannte Polizeihunde mit dem Naturell von Wolfshunden zu züchten, was alles herausschnüffeln, wenn sie ausgelernt sind. Und dieser Herr Wachtmeister in Kladno hat den Arsch voll von seinen Hundeschülern gehabt. Er hat ein extra Häuschen für sie gehabt, wo die Hunde gelebt ham wie die Fürsten. Und auf einmal is ihm eingefalln, daß er mit diesen Hunden Versuche mit armen Landstreichern machen wird. So hat er den Befehl gegeben, die Gendarmerie soll im ganzen Kladnoer Kreis eifrig Landstreicher sammeln und sie ihm direkt einliefern. Also stiefel ich da einmal aus Lana und halt mich hübsch tief im Wald, aber es nützt nichts, in die Försterei, auf die ichs abgesehen gehabt hab, bin ich nicht mehr gekommen, schon ham sie mich gehabt und zum Herrn Wachtmeister geführt. Und das könnt ihr euch gar nicht vorstelln und ausdenken, was ich mit diesen Hunden ausgestanden hab. Zuerst hat er mich von allen beschnuppern lassen, dann hab ich auf eine Leiter klettern müssen, und wie ich schon oben war, ham sie so ein Luder hinter mir auf die Leiter gelassen, und das hat mich, das Biest, von der Leiter auf die Erde getragen, dort hat sichs auf mich gekniet und geknurrt und mir die Zähne ins Gesicht gefletscht. Dann ham sie die Bestie weggeführt, und mir ham sie gesagt, ich soll mich irgendwo verstecken, daß ich hingehn kann, wohin ich will. Ich bin zum Katschaker Tal in den Wald gegangen, in eine Schlucht, und in einer halben Stunde waren schon zwei von diesen Wolfshunden bei mir, ham mich umgeworfen, und derweil, was mich einer hier am Hals gehalten hat, is der andere nach Kladno gelaufen, und nach einer Stunde is der Herr Wachtmeister selbst mit Gendarmen zu mir gekommen, hatn Hund gerufen und hat mir fünf Kronen und die Erlaubnis gegeben, daß ich zwei ganze Tage in Kladno betteln darf. Aber woher denn, ich bin nach Bernau gelaufen, wie wenn man mir den Kopf angezündet hätt, und hab mich nie mehr in Kladno gezeigt. Kladno sind alle Landstreicher ausgewichen, weil der Herr Wachtmeister hat an allen seine Versuche gemacht. Er hat diese Hunde überhaupt schrecklich gern gehabt. Auf den Gendarmeriestationen hat man erzählt, daß er immer, wenn er auf Inspektion gekommen is und einen Wolfshund gesehn hat, überhaupt keine Inspektion gemacht, sondern nur den ganzen Tag mitm Wachtmeister vor Freude gesoffen hat.«

Und während der Schafhirt die Kartoffeln seihte und saure Schafsmilch in eine Schüssel goß, fuhr der Landstreicher in seinen Erinnerungen an die Gerechtsamkeit der Gendarmerie fort: »In Lipnitz war ein Wachtmeister unterm Schloß. Er hat direkt auf der Gendarmeriestation gewohnt, und ich alter, guter Kerl war immer der Meinung, daß die Gendarmeriestation irgendwo auf einem auffallenden Platz sein muß, zum Beispiel am Markt oder so ähnlich und nicht in einem versteckten Gäßchen. Also ich lauf das ganze Städtchen ab und schau nicht auf die Aufschriften. Ich nehm ein Haus nach dem andern, bis ich in so einer Baracke in den ersten Stock komm, die Tür aufmach und mich meld: ›Ich bitt untertänigst, ein armer Wanderbursche.‹ Ja, meine Lieben! Die Füße sind mir starr geworn. Es war die Gendarmeriestation. Flinten an der Wand, ein Kruzifix am Tisch, das Register auf der Almer, unser Kaiser schaut überm Tisch grad auf mich. Und bevor ich was hab stammeln können, is der Wachtmeister schon auf mich zugesprungen und hat mir in der Tür so eine Ohrfeige gegeben, daß ich über die Holzstiegen bis herunter geflogen bin und erst in Kejzlitz stehngeblieben bin. Das is das Recht der Gendarmen.«

Sie begannen zu essen. Dann schliefen sie, in der warmen Stube auf Bänken liegend, bald ein.

In der Nacht kleidete sich Schwejk langsam an und ging hinaus. Im Osten stieg der Mond empor, und in seinem aufgehenden Licht schritt Schwejk nach Osten, wobei er sich wiederholte:

»Das wäre doch gelacht, daß ich nicht nach Budweis kommen sollt!«

Als er aus dem Walde trat, erblickte er zur Rechten eine Stadt; deshalb wandte er sich nach Westen und dann dem Süden zu, wo wiederum eine Stadt sichtbar wurde. Es war Vodňan. Er wich ihr, über die Wiesen schleichend, geschickt aus, und die Morgensonne begrüßte ihn auf den verschneiten Hängen oberhalb Protiwins.

»Immer vorwärts«, sagte sich der brave Soldat Schwejk, »die Pflicht ruft. Nach dem verfluchten Budweis muß ich kommen.«

Und durch einen unglücklichen Zufall wandten sich Schwejks Schritte von Protiwin statt südlich nach Budweis, nördlich nach Pisek.

Gegen Mittag erblickte Schwejk ein Dorf vor sich. Von einer kleinen Anhöhe hinabsteigend, dachte er: So gehts nicht mehr weiter, ich wer fragen, wo man nach Budweis geht.

Und das Dorf betretend war er ungemein überrascht, als er auf einem Pfeiler beim ersten Häuschen die Bezeichnung las:

»Bezirk Putim.«

»Um Christi willen«, seufzte Schwejk, »da bin ich also wieder in Putim, wo ich im Schober geschlafen hab.«

Dann aber war er nicht im mindesten überrascht, als hinter dem Teich aus einem weiß getünchten Häuschen, auf dem eine Taube hing – wie man in manchen Orten den Adler nannte –, ein Gendarm trat, wie eine Spinne, wenn sie ihr Spinngewebe überwacht.

Der Gendarm ging geradewegs auf Schwejk zu und sagte nichts weiter als: »Wohin denn?«

»Nach Budweis zu meinem Regiment.«

Der Gendarm lachte sarkastisch: »Sie kommen doch von Budweis. Sie ham Ihr Budweis schon hinter sich«, und zog Schwejk in die Gendarmeriestation.

Der Putimer Gendarmeriewachtmeister war in der ganzen Umgebung für sein überaus taktvolles und dabei scharfsinniges Vorgehen bekannt. Niemals beschimpfte er Angehaltene oder Verhaftete, sondern unterwarf sie einem solchen Kreuzverhör, daß selbst ein Unschuldiger gestanden hätte.

Die beiden Gendarmen der Station paßten sich ihm an, und das Kreuzverhör fand stets unter dem Gelächter des gesamten Gendarmeriepersonals statt.

»Die Kriminalistik ist auf Klugheit und Freundlichkeit aufgebaut«, pflegte der Gendarmeriewachtmeister seinen Untergebenen zu sagen, »jemanden anzubrülln hat keinen Zweck. Delinquenten und verdächtige Menschen muß man fein behandeln, aber dabei drauf achten, daß sie in dem Ansturm von Fragen ertrinken.«

»Also schön willkommen, Kamerad«, sagte der Gendarmeriewachtmeister, »setzen Sie sich nur hübsch dahin. Sie sind sowieso unterwegs müde geworden, und erzähln Sie uns, wohin Sie gehn.«

Schwejk wiederholte, daß er nach Budweis zu seinem Regiment gehe.

»Dann haben Sie allerdings den Weg verfehlt«, sagte der Wachtmeister spöttisch, »denn Sie kommen von Budweis, wovon ich Sie überzeugen kann. Über Ihnen hängt eine Karte von Böhmen. Also schaun Sie, Soldat. Von uns südlich liegt Protiwin. Von Protiwin südlich liegt Hluboká und südlich davon liegt Budweis. Also sehn Sie, daß Sie nicht nach Budweis gehn, sondern aus Budweis kommen.«

Der Wachtmeister blickte Schwejk freundlich an, der ruhig und würdig sagte: »Und ich geh doch nach Budweis.« Das war mehr als Galileis: »Und sie bewegt sich doch!« Denn dieser muß dies offenbar sehr zornig gesagt haben.

»Wissen Sie, Soldat«, sagte der Wachtmeister ebenso freundlich wie zuvor, »ich werde es Ihnen ausreden, und Sie werden zum Schluß selbst zu der Ansicht kommen, daß jedes Leugnen ein Geständnis nur erschwert!«

»Da ham Sie ganz recht«, sagte Schwejk, »jedes Leugnen erschwert ein Geständnis und umgekehrt.«

»Also sehn Sie, daß Sie selbst draufkommen werden, Soldat. Antworten Sie mir rückhaltlos, von wo Sie ausgegangen sind, wie Sie eigentlich nach Ihrem Budweis gegangen sind. Ich sag absichtlich, Ihr Budweis, weil es offenbar noch ein andres Budweis geben muß, das irgendwo nördlich von Putim liegt und bisher in keiner Karte eingetragen ist.«

»Ich bin von Tabor ausgegangen.«

»Und was haben Sie in Tabor gemacht?«

»Ich hab auf den Zug nach Budweis gewartet.«

»Warum sind Sie nicht mit dem Zug nach Budweis gefahren?«

»Weil ich keine Fahrkarte gehabt hab.«

»Und warum hat man Ihnen als Soldaten nicht eine Militärkarte umsonst gegeben?«

»Weil ich keine Dokumente bei mir gehabt hab.«

»Da ist es«, sagte der Gendarmeriewachtmeister siegesbewußt zu einem von den Gendarmen, »er ist nicht so dumm, wie er sich stellt, er fängt an, sich hübsch zu verwickeln.«

Der Wachtmeister begann von neuem, als hätte er die letzte Antwort bezüglich der Dokumente überhört:

»Sie sind also von Tabor ausgegangen. Wohin sind Sie denn gegangen?«

»Nach Budweis.«

Der Gesichtsausdruck des Wachtmeisters wurde ein wenig strenger, und seine Blicke fielen auf die Landkarte.

»Können Sie uns auf der Karte zeigen, wo Sie nach Budweis gegangen sind?«

»Ich merk mir nicht alle Orte und erinner mich nur daran, daß ich schon einmal in Putim war.«

Die ganze Mannschaft der Gendarmeriestation blickte einander forschend an, und der Wachtmeister fuhr fort: »In Tabor waren Sie also auf dem Bahnhof. Sie haben etwas bei sich. Geben Sie es heraus.«

Als sie Schwejk gründlich durchsucht hatten und nichts fanden außer einer Pfeife und Streichhölzern, fragte der Wachtmeister Schwejk: »Sagen Sie mir, warum haben Sie nichts, aber rein nichts bei sich?«

»Weil ich nichts brauch.«

»Ach, mein Gott«, seufzte der Wachtmeister, »ist das eine Tortur mit Ihnen! Sie haben gesagt, daß Sie schon einmal in Putim waren. Was haben Sie hier damals gemacht?«

»Ich bin über Putim nach Budweis gegangen.«

»Also sehen Sie, wie Sie sich widersprechen. Sie sagen selbst, daß Sie nach Budweis gegangen sind, und jetzt, wie wir Sie überzeugt haben, sagen Sie, daß Sie von Budweis kommen.«

»Ich hab halt einen Kreis machen müssen.«

Der Wachtmeister wechselte abermals mit dem ganzen Personal der Station einen bedeutsamen Blick: »Hübsche Kreise, mir kommt vor, daß Sie sich in der Umgebung herumtreiben. Haben Sie sich lange in Tabor auf dem Bahnhof aufgehalten?«

»Bis zur Abfahrt des letzten Zugs nach Budweis.«

»Und was haben Sie dort gemacht?«

»Mit den Soldaten gesprochen.«

Ein neuer, überaus bedeutungsvoller Blick des Gendarmeriewachtmeisters auf die Mannschaft.

»Und wovon haben Sie zum Beispiel gesprochen, und was haben Sie gefragt?«

»Ich hab sie gefragt, von welchem Regiment sie sind und wohin sie fahren.«

»Ausgezeichnet. Und haben Sie sie nicht gefragt, wieviel Mann zum Beispiel ein Regiment hat und wie es eingeteilt wird?«

»Das hab ich nicht gefragt, weil ichs schon längst auswendig weiß.«

»Sie sind also vollständig über die Zusammensetzung unserer Armee informiert?«

»Gewiß, Herr Wachtmajster.«

Und der Wachtmeister spielte den letzten Trumpf aus, siegesbewußt auf seine Gendarmen blickend.

»Können Sie Russisch?«

»Nein.«

Der Wachtmeister winkte dem Postenführer. Sie traten beide in die anstoßende Kammer, und der Wachtmeister verkündete, sich vor Begeisterung über seinen vollständigen Sieg die Hände reibend: »Haben Sies gehört? Er kann nicht Russisch! Der Kerl ist mit allen Salben gerieben! Alles hat er gestanden, nur das Wichtigste hat er nicht gestanden. Morgen liefern wir ihn in Pisek zum Herrn Bezirkshauptmann ein. Die Kriminalistik ist auf Klugheit und Freundlichkeit aufgebaut. Wer hätt das von ihm gedacht. Er sieht so blöd und dumm aus, aber grad solchen Leuten muß man klug beikommen. Jetzt sperrt ihn vorläufig ein, und ich geh das Protokoll darüber aufsetzen.«

Und noch am nämlichen Nachmittag gegen Abend schrieb der Wachtmeister mit freundlichem Lächeln das Protokoll, in dem jeder Satz das Wort enthielt: »Spionageverdächtig.«

Je länger Gendarmeriewachtmeister Flanderka in seinem merkwürdigen Amtsdeutsch schrieb, desto klarer wurde ihm die Situation, und als er schloß: »So melde ich gehorsamst, daß der feindliche Offizier heutigen Tages aufs Bezirksgendarmeriekommando in Pisek überliefert wird«, lächelte er ob seinem Werk und rief dem Postenführer zu: »Haben Sie dem feindlichen Offizier was zu essen gegeben?«

»Nach Ihrer Anordnung, Herr Wachtmajster, versehn wir nur diejenigen mit Nahrung, die bis zwölf Uhr vorgeführt und verhört wern.«

»Das ist eine große Ausnahme«, sagte würdevoll der Wachtmeister, »das ist ein höherer Offizier, einer vom Stab. Das wissen Sie, die Russen wern nicht einen Gefreiten spionieren schicken. Lassen Sie ihm im Gasthaus ›Zum Kater‹ ein Mittagmahl holen. Wenns schon nichts gibt, solln sie was kochen. Dann solln sie Tee mit Rum kochen und alles herschicken. Sagen Sie nicht, für wen es ist. Erwähnen Sie überhaupt zu niemandem, wen wir hier haben. Das ist ein militärisches Geheimnis. Und was macht er jetzt?«

»Er hat um bißchen Tabak gebeten, sitzt im Wachzimmer und benimmt sich so zufrieden, wie wenn er zu Haus sitzen möcht. ›Hübsch warm habt ihrs hier‹, hat er gesagt, ›und der Ofen raucht euch nicht? Mir gefällts hier sehr gut bei euch. Und wenn euch der Ofen rauchen möcht, so laßts den Kamin durchziehn. Aber erst nachmittag, und nie, wenn die Sonne überm Kamin steht.‹«

»Ist das aber ein raffinierter Kerl«, sagte der Wachtmeister mit einer Stimme voll Begeisterung, »er tut, wie wenn ihn das nichts angehn möcht. Und weiß doch, daß er erschossen werden wird. So einen Menschen müssen wir uns schätzen, wenn er auch unser Feind ist. So ein Mensch geht in den sichern Tod. Ich weiß nicht, ob wir das imstande wären. Wir würden vielleicht wanken, nachlassen. Aber er sitzt ruhig und sagt: ›Hübsch warm habt ihrs hier und der Ofen raucht euch nicht.‹ Das sind Charaktere, Herr Postenführer. Dazu gehören stählerne Nerven bei so einem Menschen, Selbstverleugnung, Härte und Begeisterung. Wenns in Österreich so eine Begeisterung gäbe – aber lassen wir das lieber. Auch bei uns gibts Enthusiasten. Haben Sie gelesen, was in der ›Národni Politika‹ von dem Artillerieoberleutnant Berger gestanden ist, der auf eine hohe Tanne geklettert ist und sich dort auf einem Ast einen Beobachtungspunkt eingerichtet hat? Wie die Unsrigen zurückgewichen sind und er schon nicht hinunterkriechen konnt, weil er sonst in Gefangenschaft geraten wär? Er hat also gewartet, bis die Unsrigen den Feind wieder vertrieben hatten, und es hat volle vierzehn Tage gedauert, bevors so weit war. Volle vierzehn Tage war er oben auf dem Baum, und damit er nicht vor Hunger stirbt, hat er den ganzen Gipfel abgenagt und hat sich von Zweigerln und Nadeln genährt. Und wie die Unsrigen gekommen sind, ist er hinuntergefalln und hat sich erschlagen. Er ist nachm Tod mit der goldenen Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet worden.«

Und der Wachtmeister fügte ernsthaft hinzu: »Das ist Opfermut, Herr Postenführer, das ist Heldentum! – Da schau her, wie wir uns wieder verplauscht haben, laufen Sie jetzt und bestellen Sie das Mittagmahl, und schicken Sie ihn derweil zu mir.«

Der Postenführer führte Schwejk ins Zimmer, der Wachtmeister bedeutete ihm freundschaftlich, sich zu setzen, und begann ihn auszufragen, ob er Eltern habe.

»Nein.«

Dem Wachtmeister fiel sofort ein, daß dies besser sei, wenigstens würde diesen Unglücklichen niemand beweinen. Dabei blickte er unverwandt in das gutmütige Antlitz Schwejks, klopfte ihm plötzlich in einem Anfall von Gutmütigkeit auf die Schulter, neigte sich zu ihm und fragte ihn in väterlichem Ton:

»Nun, und wie gefällts Ihnen in Böhmen?«

»Mir gefällts in Böhmen überall«, entgegnete Schwejk, »auf meiner Wanderschaft hab ich überall sehr brave Menschen gefunden.«

Der Wachtmeister nickte zustimmend mit dem Kopf: »Bei uns ist das Volk sehr brav und gut. Ab und zu ein Diebstahl oder eine Rauferei, das fällt nicht in die Waagschale. Ich bin schon fünfzehn Jahre hier, und wenn ichs zusammenrechne, kommt auf ein Jahr ungefähr dreiviertel von einem Mord.«

»Da meinen Sie einen unvollkommenen Mord?« fragte Schwejk.

»Keineswegs, das mein ich nicht. In fünfzehn Jahren haben wir nur elf Morde untersucht. Davon waren fünf Raubmorde und die sechs übrigen solche gewöhnlichen, die nicht für viel stehn.«

Der Wachtmeister verstummte und ging wieder zu seiner Verhörmethode über. »Und was wollten Sie noch in Budweis machen?«

»Den Dienst beim 91. Regiment antreten.«

Der Wachtmeister forderte Schwejk auf, sich wieder in die Wachstube zu begeben, und zwar rasch, damit er nicht vergesse, in seinem Rapport an das Bezirksgendarmeriekommando in Pisek hinzuzufügen: »Der tschechischen Sprache vollkommen mächtig, wollte er in Budweis versuchen, in das 91. Infanterieregiment einzutreten.«

Der Wachtmeister rieb sich freudig die Hände, erfreut über das gesammelte Material und die genauen Ergebnisse seiner Verhörmethode. Er erinnerte sich an seinen Vorgänger, Wachtmeister Bürger, der mit einem Angehaltenen überhaupt nicht redete, ihn nach nichts fragte und sofort zum Bezirksrichter schickte mit dem kurzen Rapport: »Nach Angabe des Postenführers wurde er wegen Vagabundage und Bettelei abgefaßt.« Ist das ein Verhör?

Und während der Wachtmeister die Seiten seines Rapports betrachtete, lächelte er mit Genugtuung, zog aus seinem Schreibtisch ein geheimes Reservat des Landesgendarmeriekommandos in Prag hervor, mit dem üblichen: »Streng vertraulich!« und las nochmals:

»Allen Gendarmeriestationen wird hiermit streng aufgetragen, mit erhöhtester Aufmerksamkeit alle Personen zu beobachten, die den Rayon passieren. Die Verschiebungen unserer Truppen in Ostgalizien haben Ursache dazu gegeben, daß einige russische Truppenabteilungen nach Überschreitung der Karpaten Positionen im Innern unseres Reiches eingenommen haben, wodurch die Front tiefer in den Westen der Monarchie gerückt wurde. Diese neue Situation hat es den russischen Spionen ermöglicht, bei der Beweglichkeit der Kampflinien tiefer in das Hinterland unserer Monarchie einzudringen, hauptsächlich nach Schlesien und Mähren, von wo sich, vertraulichen Berichten zufolge, eine große Zahl russischer Spione nach Böhmen begeben hat. Es wurde sichergestellt, daß sich unter ihnen viele russische Tschechen befinden, die in den hohen Militärstabsschulen Rußlands ausgebildet wurden und welche infolge der vollkommenen Beherrschung der tschechischen Sprache besonders gefährliche Spione zu sein scheinen, denn sie sind in der Lage, auch unter der tschechischen Bevölkerung eine hochverräterische Propaganda zu entfalten, was sie sicherlich tun. Das Landeskommando befiehlt daher, alle verdächtigen Elemente anzuhalten und insbesondere die Wachsamkeit an jenen Orten zu erhöhen, wo sich in der Nähe Garnisonen, militärische Zentren und Eisenbahnstationen mit durchfahrenden Militärzügen befinden. Die Angehaltenen sind augenblicklich einer Untersuchung zu unterwerfen und den höheren Instanzen einzuliefern.«

Gendarmeriewachtmeister Flanderka lächelte abermals zufrieden und legte das geheime »Sekretreservat« unter die übrigen Reservate in die Mappe mit der Aufschrift »Geheime Verordnungen«.

Es waren ihrer viele, die das Ministerium des Innern unter Mitwirkung des Ministeriums für Landesverteidigung, dem die Gendarmerie unterstand, ausgearbeitet hatte.

Auf dem Landesgendarmeriekommando hatte man alle Hände voll zu tun, sie zu vervielfältigen und zu versenden.

Da waren:

Die Verordnung bezüglich der Kontrolle der Gesinnung der Ortsbevölkerung.

Eine Anleitung, mit Hilfe von Gesprächen den Einfluß der Nachrichten vom Kriegsschauplatz auf die Gesinnung der Ortsbevölkerung zu beobachten.

Eine Anfrage über das Verhalten der Ortsbevölkerung gegenüber den ausgeschriebenen Kriegsanleihen und Sammlungen.

Eine Anfrage über die Stimmung unter den Assentierten und denjenigen, die assentiert werden sollten.

Eine Anfrage über die Stimmung unter den Mitgliedern der örtlichen Selbstverwaltung und der Intelligenz.

Eine Verordnung über die unverzügliche Feststellung, aus welchen politischen Parteien sich die Ortsbevölkerung zusammensetze und wie stark die einzelnen politischen Parteien seien.

Eine Verordnung über die Kontrolle der Tätigkeit der Führer der in der Ortsbevölkerung vertretenen politischen Parteien.

Eine Anfrage über die in den Rayon der Gendarmeriestation gelangten Zeitungen, Zeitschriften und Broschüren.

Eine Instruktion über die EruierungErmittlung. der Beziehungen gewisser der Illoyalität verdächtiger Personen und die Feststellung, worin sich ihre Illoyalität äußere.

Eine Instruktion über die Gewinnung bezahlter Denunzianten und Informatoren unter der Ortsbevölkerung.

Eine Instruktion für bezahlte und in den Dienst der Gendarmeriestation eingereihte Informatoren aus der Ortsbevölkerung.

Jeder Tag brachte: neue Instruktionen, Anleitungen, Anfragen und Verordnungen. Überflutet von dieser Unmenge von Erfindungen des österreichischen Ministeriums des Innern, hatte Wachtmeister Flanderka eine ungeheure Anzahl von Resten und beantwortete die Anfragen stereotyp: bei ihm sei alles in Ordnung, und die Loyalität unter der Ortsbevölkerung stehe auf Stufe I a.

Das österreichische Ministerium des Innern erfand nämlich für Loyalität und Unerschütterlichkeit gegenüber der Monarchie folgende Stufen:

I a, I b, I c – II a, II b, II c – III a, III b, III c – IV a, IV b, IV c. Dieser letzte römische Vierer bedeutet in Verbindung mit einem »a« Hochverräter und Strick, mit »b« internieren, mit »c« beobachten und einsperren.

Im Tische des Gendarmeriewachtmeisters befanden sich alle möglichen Drucksorten und Register. Die Regierung wollte von jedem Bürger wissen, was er von ihr denke.

Wachtmeister Flanderka rang oft verzweifelt die Hände ob dieser Druckschriften, die unerbittlich mit jeder Post anwuchsen. Sooft er die bekannten Umschläge mit der Stampiglie »Portofrei dienstlich« erblickte, klopfte ihm immer das Herz, und wenn er des Nachts darüber nachdachte, gelangte er zu der Überzeugung, daß er das Ende des Krieges nicht erleben werde, daß das Landesgendarmeriekommando ihn um das letzte bißchen Verstand bringen und er sich an dem Sieg der österreichischen Waffen nicht werde freuen können, weil er um ein Rädchen zuviel oder zuwenig haben werde. Und das Bezirksgendarmeriekommando bombardierte ihn täglich mit Fragen, warum der Fragebogen sub Nummer 723 45/721 ai d nicht beantwortet, warum die Instruktion sub Nummer 889 72/822 gfeb z nicht erledigt, welches das Ergebnis der Anleitung sub Nummer 123 456/1922 btr V sei, usw.

Am meisten Sorgen machte ihm die Instruktion, wie aus der Ortsbevölkerung bezahlte Denunzianten und Informatoren zu gewinnen seien. Da es ihm unmöglich schien, jemanden, der für diesen Dienst geeignet war, in der Gegend von BlataDurch Bauernaufstände bekannt. zu finden, wo die Menschen so harte Schädel haben, verfiel er auf den Gedanken, den Gemeindehirten, dem man zuzurufen pflegte: »Pepku, hop!« zu diesem Dienst zu dingen. Der Hirt war ein Kretin, der auf diese Aufforderung immer in die Höh sprang. Eine von jenen bedauernswerten, von Natur und Menschen vernachlässigten Gestalten, ein Krüppel, der für ein paar Gulden jährlich und für ein wenig Nahrung das Gemeindevieh hütete.

Den ließ er rufen und sagte ihm: »Weißt du, Pepku, wer der alte Prochazka ist?«

»Mee.«

»Meckre nicht und merk dir, daß man so unsern Kaiser nennt. Weiß du, wer das ist, unser Kaiser?«

»Unser Taiser.«

»Gut, Pepku! Also merk dir, wenn du jemanden sagen hörst, bis du von Haus zu Haus mittagmahln gehst, daß unser Kaiser ein Rindvieh is oder was Ähnliches, dann kommst du gleich zu mir und zeigst mirs an. Du kriegst einen Sechser, und wenn du jemanden erzählen hörst, daß wirs nicht gewinnen wern, kommst du, verstehst du, wieder zu mir und sagst, wers gesagt hat, und kriegst wieder einen Sechser. Wenn ich aber hören sollt, daß du was verheimlichst, kannst du dich freun. Dann verhaft ich dich und bring dich nach Pisek. Und jetzt, hop!« Als Pepku gehüpft war, gab ihm der Wachtmeister zwei Sechser und schrieb zufrieden einen Rapport an das Bezirksgendarmeriekommando, daß er bereits einen Informator gewonnen habe.

Am folgenden Tage kam der Pfarrer zu ihm und teilte ihm geheimnisvoll mit, er sei heute morgen hinter dem Dorf dem Gemeindehirten Pepek Hop begegnet, und der habe ihm erzählt: »Knädcher Herr, der Herr Wachtmajster hat gestern ksagt, unser Taiser is ein Lindvieh, und wir dewinnens nich. Mee, hop!«

Nach weiteren Aufklärungen des Herrn Pfarrers ließ Wachtmeister Flanderka den Gemeindehirten verhaften, worauf dieser wegen hochverräterischer Aufwiegelung, Majestätsbeleidigung und noch anderer Verbrechen und Vergehen zu zwölf Jahren verurteilt wurde.

Pepku Hop betrug sich bei Gericht wie auf der Weide oder unter den Bauern. Auf alle Fragen meckerte er wie eine Ziege, und nach Verkündung des Urteils stieß er hervor: »Mee, hop!« und sprang in die Höhe. Er wurde dafür im Disziplinarwege mit einem harten Lager bei Einzelhaft und drei Fasttagen bestraft.

Seit dieser Zeit hatte der Gendarmeriewachtmeister keinen Informator und mußte sich damit zufriedengeben, sich einen auszudenken, einen Namen zu fingieren; so erhöhte er sein Einkommen um 50 Kronen monatlich, die er im Gasthaus »Zum Kater« vertrank. Beim zehnten Glas bekam er einen Anfall von Gewissenhaftigkeit, das Bier in seinem Munde ward bitter, und seine Nachbarn machten jedesmal dieselbe Bemerkung: »Heut is unser Herr Wachtmeister aber traurig, wie wenn er nicht bei Stimmung wär.« Dann ging er nach Hause, und nachdem er gegangen war, hieß es immer: »Die Unsern ham wieder irgendwo in Serbien die Hosen voll bekommen, darum ist der Wachtmeister wieder so mundfaul.«

Und der Wachtmeister konnte zu Hause wiederum wenigstens einen Fragebogen mit den Worten ausfüllen: »Stimmung unter der Bevölkerung: I a.«

Es gab häufig lange, traumlose Nächte für den Herrn Wachtmeister. Ununterbrochen erwartete er eine Inspektion, eine Untersuchung. In der Nacht träumte ihm von einem Strick, man führte ihn zum Galgen, und noch zum Schluß fragte ihn der Landesverteidigungsminister in eigener Person unter dem Galgen: »Wachtmeister, wo ist die Beantwortung des Zirkulars Nr. 1789678/23792 X. Y. Z?«

Und jetzt? Es war, als erklinge in der ganzen Gendarmeriestation aus allen Winkeln das alte Losungswort der Jäger: »Weidmannsheil!« Und Gendarmeriewachtmeister Flanderka zweifelte nicht daran, daß der Bezirkshauptmann ihm auf die Schulter klopfen und sagen werde: »Ich gratuliere Ihnen, Herr Wachtmeister.«

Der Gendarmeriewachtmeister malte sich im Geiste noch andere reizende Bilder aus, die in irgendeiner Falte seines Beamtengehirns entstanden waren. Auszeichnung, rasches Avancement in eine höhere Rangklasse, Anerkennung seiner kriminalistischen Fähigkeiten, die ihm eine Karriere eröffneten.

Er rief den Postenführer und fragte ihn: »Haben Sie das Mittagmahl bekommen?«

»Man hat ihm Gselchtes mit Kraut und Knödln gebracht, Suppe gabs schon nicht. Er hat den Tee ausgetrunken und will noch einen.«

»Er soll ihn haben!« willigte der Wachtmeister großmütig ein; »bis er den Tee ausgetrunken hat, führen Sie ihn zu mir.«

»Na also! Hats Ihnen geschmeckt?« fragte der Wachtmeister, als der Postenführer eine halbe Stunde später Schwejk, satt und zufrieden wie immer, ins Zimmer führte.

»Es is noch so angegangen, Herr Wachtmeister, nur Kraut hätt bißl mehr sein solln. Aber was kann man machen, ich weiß, Sie waren nicht darauf vorbereitet. Das Gselchte war gut geräuchert, es muß hausgemachtes Geselchtes von einem zu Haus gemästeten Schwein gewesen sein. Der Tee mit Rum hat mir auch wohlgetan.«

Der Wachtmeister schaute Schwejk an und begann:

»Ist es wahr, daß man in Rußland viel Tee trinkt? Hat man dort auch Rum?«

»Rum gibts in der ganzen Welt, Herr Wachmajster.«

Dreh dich nur nicht heraus, dachte der Wachtmeister, du hättest früher aufpassen solln, was du sprichst! Und er fragte vertraulich, zu Schwejk geneigt: »Gibts in Rußland hübsche Mädel?«

»Hübsche Mädel gibts in der ganzen Welt, Herr Wachmajster.«

Ach, du Schlaucherl, du! dachte der Wachtmeister abermals, du möchtest dich jetzt gern draus herausdrehn. Und der Wachtmeister rückte mit einem Zweiundvierziger heraus:

»Was wollten Sie beim 91. Regiment tun?«

»Ich wollt mit ihm an die Front gehn.«

Der Wachtmeister schaute zufrieden auf Schwejk und bemerkte: »Das ist gut. Das ist die beste Art, nach Rußland zu kommen.«

»Wirklich sehr gut ausgedacht«, strahlte der Wachtmeister, der die Wirkung seiner Worte auf Schwejk beobachtete.

Er konnte aber nichts anderes feststellen als vollständige Ruhe.

»Der Mensch zuckt nicht mal mit der Wimper«, entsetzte sich der Wachtmeister im Geiste, »das ist ihre militärische Erziehung. Ich an seiner Stelle sein und mir das jemand sagen, die Knie täten mir wanken . . .«

»Früh bringen wir Sie nach Pisek«, bemerkte er gleichsam nebenbei, »waren Sie schon mal in Pisek?«

»Im Jahre 1910 bei den Kaisermanövern.«

Das Lächeln des Wachtmeisters ward nach dieser Antwort noch freundlicher und siegesbewußter. Er fühlte im Innern, daß er mit dem System seiner Fragen sich selbst übertroffen hatte.

»Ham Sie die ganzen Manöver mitgemacht?«

»Gewiß, Herr Wachtmeister, als Infanterist.«

Und Schwejk blickte wiederum ruhig wie früher den Wachtmeister an, der unruhig wurde vor Freude und sich kaum zurückhalten konnte, das alles schnell in den Rapport einzutragen. Er rief den Postenführer, um Schwejk abführen zu lassen, und vervollständigte seinen Rapport: »Sein Plan war nachstehender: Wenn es ihm gelungen wäre, sich in die Reihen des 91. Infanterieregiments einzuschleichen, hätte er sich sofort zur Front gemeldet, um bei der nächsten Gelegenheit nach Rußland zu gelangen, denn er sah ein, daß ein anderer Rückweg angesichts der Wachsamkeit der österreichischen Organe unmöglich sei. Daß er beim 91. Infanterieregiment seine Absicht ausgezeichnet durchgeführt hätte, ist vollkommen begreiflich, denn in seinem Geständnis hat er sich nach einem längern Kreuzverhör dazu bekannt, daß er im Jahre 1910 die ganzen Kaisermanöver in der Umgebung von Pisek als Infanterist mitgemacht hat. Daraus ist ersichtlich, daß er in seinem Fach sehr fähig ist. Ich bemerke noch, daß die angeführten Beschuldigungen das Ergebnis meines Kreuzverhörsystems sind.«

In der Türe erschien der Postenführer: »Herr Wachmajster, er will aufn Abort gehn.«

»Bajonett auf!« entschied der Wachtmeister, »doch nein, bringen Sie ihn her.«

»Sie wolln auf den Abort gehn?« sagte der Wachtmeister freundlich, »steckt da nicht was anderes dahinter?« Und er heftete seinen Blick auf Schwejks Gesicht.

»Es steckt wirklich nur die große Seite dahinter, Herr Wachmajster«, antwortete Schwejk.

»Daß nur nicht was anderes dahintersteckt«, wiederholte der Wachtmeister bedeutungsvoll, den Dienstrevolver umgürtend, »ich geh mit Ihnen!«

»Das is ein sehr guter Revolver«, sagte er unterwegs zu Schwejk, »sieben Schuß und schießt präzis.«

Bevor sie jedoch den Hof betraten, rief er den Postenführer und sagte ihm leise: »Bajonett auf! Sie stellen sich, bis er im Abort sein wird, dahinter, damit er sich nicht durch die Mistgrube durchgräbt.«

Der Abort war klein, ein gewöhnliches Holzhäuschen, das verzweifelt mitten im Hof über einer Grube voll Jauche stand, die aus dem nahen Misthaufen herausfloß.

Er war bereits ein alter Veteran, in dem ganze Generationen ihre Notdurft verrichtet hatten. Jetzt saß hier Schwejk, mit einer Hand hielt er mittels eines Strickes die Türe zu, während ihm rückwärts durch das Fenster der Postenführer auf den Hintern blickte, damit sich Schwejk nicht durchgrabe.

Und die Falkenaugen des Gendarmeriewachtmeisters waren unverwandt auf die Türe gerichtet; er überlegte, in welches Bein er Schwejk schießen solle, falls dieser einen Fluchtversuch machen würde.

Aber die Türe öffnete sich ruhig, der zufriedene Schwejk trat heraus und sagte zum Wachtmeister:

»War ich nicht zu lang drin? Hab ich Sie nicht vielleicht aufgehalten?«

»Oh, nicht im geringsten, nicht im geringsten«, antwortete der Wachtmeister, während er im Geiste dachte: Was für feine, anständige Leute das sind. Er weiß, was auf ihn wartet, aber alle Ehre! Bis zum letzten Augenblick benimmt er sich anständig. Möcht das unsereiner an seiner Stelle tun?

Der Wachtmeister setzte sich in der Wachstube neben Schwejk auf das leere Kavallett des Gendarmen Rampa, der bis früh Dienst hatte und einen Rundgang durch das Dorf machen sollte; zu dieser Stunde saß er friedlich im »Schwarzen Roß« in Protiwin und spielte mit dem Schustermeister Mariage, wobei er in den Pausen auseinandersetzte, daß Österreich unbedingt siegen müsse.

Der Wachtmeister zündete sich eine Pfeife an, ließ Schwejk die seine stopfen, der Postenführer legte Kohle in den Ofen, und die Gendarmeriestation verwandelte sich in den angenehmsten Ort der Erdkugel: in einen stillen Winkel, ein warmes Nest in der heranrückenden Winterdämmerung, in der man Plauderstündchen zu halten pflegt.

Aber alle schwiegen. Der Wachtmeister verfolgte einen bestimmten Gedanken, und zum Schluß äußerte er sich, zum Postenführer gewandt: »Meiner Ansicht nach ist es nicht richtig, Spione zu hängen. Ein Mensch, der sich für seine Pflicht, für sein – sozusagen – Vaterland opfert, soll auf ehrenhafte Weise hingerichtet werden, mit Pulver und Blei, was meinen Sie, Herr Postenführer?«

»Entschieden soll man ihn nur erschießen und nicht hängen«, stimmte der Postenführer zu, »sagen wir, man würde uns schicken und uns sagen: Ihr müßt auskundschaften, wieviel Maschinengewehre die Russen in ihrer Maschinengewehrabteilung haben. Wir würden uns verkleiden und gehn. Und dafür sollt man mich hängen wie einen Raubmörder?«

Der Postenführer regte sich so auf, daß er aufstand und ausrief: »Ich verlange, daß man mich erschießt und mit militärischen Ehren begräbt.«

»Da is ein Hakerl dran«, ließ sich Schwejk vernehmen, »nämlich wenn man gescheit is, kann einem keiner nie nichts nachweisen.«

»Aber man weists einem nach!« behauptete der Wachtmeister, »wenn man auch noch so gescheit ist und seine eigene Methode hat. Sie werden sich selbst davon überzeugen.«

»Sie werden sich überzeugen«, wiederholte er in gemäßigtem Ton, dem er ein liebenswürdiges Lächeln folgen ließ, »bei uns hat niemand mit Ausflüchten Erfolg, nicht wahr, Herr Postenführer?«

Der Postenführer nickte zustimmend mit dem Kopf und bemerkte, daß bei manchen Leuten die Sache schon im voraus verloren sei, daß da nicht einmal die Maske vollkommener Ruhe helfe, denn je ruhiger jemand aussehe, desto mehr zeuge das gegen ihn.

»Sie haben meine Schule, Herr Postenführer«, erklärte der Wachtmeister stolz, »Ruhe ist ein corpus delicti.« Und die Darlegung seiner Theorie unterbrechend, wandte er sich an den Postenführer: »Was solln wir uns denn heut zum Nachtmahl geben lassen?«

»Sie gehn heute nicht ins Wirtshaus, Herr Wachmajster?«

Durch diese Frage erstand für den Wachtmeister ein neues schweres Problem, das augenblicklich gelöst werden mußte.

Was, wenn der da, seine nächtliche Abwesenheit benützend, entfliehen würde? Der Postenführer ist zwar ein verläßlicher, vorsichtiger Mensch, aber es sind ihm schon zwei Landstreicher durchgebrannt. In Wirklichkeit verhielt sich die Sache allerdings so, daß er die beiden, da er sich im Schnee nicht bis nach Pisek schleppen wollte, bei Ražitz in den Feldern freigelassen und nur pro forma einen Schuß in die Luft abgefeuert hatte.

»Wir werden unsere Alte ums Nachtmahl schicken und uns das Bier immer im Krug holen lassen«, löste der Wachtmeister das schwierige Problem, »soll die Alte bißl Bewegung machen.«

Und die alte Pejsler, die sie bediente, machte wirklich Bewegung.

Nach dem Nachtmahl war der Weg zwischen der Gendarmeriestation und dem Gasthaus »Zum Kater« ununterbrochen belebt.

Ungewöhnlich viele Spuren der großen Stiefel der alten Pejsler auf dieser Verbindungslinie zeugten davon, daß sich der Wachtmeister für die Abwesenheit im »Kater« in vollem Maße schadlos hielt.

Und als schließlich die alte Pejsler in der Schenkstube mit der Botschaft erschien, der Herr Wachtmeister lasse sich schön empfehlen und wünsche, daß man ihm eine Flasche Kontuschovka schicke, platzte die Neugierde des Wirts.

»Wen sie dort ham?« antwortete die alte Pejsler, »einen verdächtigen Menschen. Grad bevor ich weggegangen bin, ham sie ihn beide um den Hals gefaßt gehabt, und der Herr Wachtmajster hat ihn am Kopf gestreichelt und zu ihm gesagt: ›Du mein goldener Slawenjunge, du mein kleiner Spion!‹«

Und dann, lange nach Mitternacht, schlief der Postenführer, fest schnarchend, auf sein Kavallett gestreckt, in voller Uniform ein.

Ihm gegenüber saß der Wachtmeister mit dem Rest der Kontuschovka auf dem Flaschenboden und hielt Schwejks Hals umschlungen; Tränen flossen ihm über die gebräunten Wangen, sein Bart war von der Kontuschovka verklebt, und er lallte nur: »Sag, daß sie in Rußland nicht so eine gute Kontuschovka ham, sags, damit ich ruhig schlafen kann. Gesteh wie ein Mann.«

»Sie ham keine so gute.«

Der Wachtmeister wälzte sich auf Schwejk.

»Du hast mir Freude gemacht, du hast gestanden. So solls sein beim Verhör. Wenn ich schuldig bin, wozu leugnen?«

Er erhob sich, und mit der leeren Flasche in sein Zimmer taumelnd, lallte er: »Wenn ich nicht auf den unrechten Wwwweg geraten wär, hätt alles anders ausfalln können.«

Bevor er in der Uniform auf sein Bett sank, zog er aus dem Schreibtisch seinen Rapport hervor und versuchte, ihn mit folgendem Material zu ergänzen:

»Ich muß noch hinzufügen, daß die russische Kontuschovka auf Grund des § 56 . . .« Er machte einen Klecks, leckte ihn ab, fiel blödsinnig lächelnd aufs Bett und schlief ein wie ein Klotz.

Gegen früh begann der Postenführer, der in dem Bett an der gegenüberliegenden Wand lag, so zu schnarchen und so durch die Nase zu pfeifen, daß Schwejk erwachte. Er stand auf, rüttelte den Postenführer und legte sich wieder hin. Da begannen bereits die Hähne zu krähen, und als die Sonne aufging, kam die alte Pejsler, die infolge des nächtlichen Hin- und Herlaufens ebenfalls länger geschlafen hatte, um Feuer zu machen. Sie fand die Tür offen und alles in tiefen Schlaf versunken. Die Petroleumlampe im Wachzimmer qualmte noch. Die alte Pejsler schlug Alarm und zog den Postenführer und Schwejk aus den Betten. Dem Postenführer sagte sie: »Daß Sie sich nicht schämen, angezogen zu schlafen wie ein Rindvieh Gottes«, und Schwejk ermahnte sie, sich wenigstens das Hosentürl zuzumachen, wenn er eine Frau sähe.

Zum Schluß forderte sie den verschlafenen Postenführer energisch auf, den Herrn Wachtmeister zu wecken, das sei keine Ordnung, so lange zu schlafen.

»Da sind Sie in gute Hände gefalln«, brummte die Alte zu Schwejk gewandt, als sich der Postenführer entfernte, um den Wachtmeister zu wecken, »einer ein größerer Säufer als der andere. Die wern noch die Nase zwischen den Augen versaufen. Mir sind sie schons dritte Jahr fürs Aufräumen schuldig, und wenn ich sie mahn, sagt der Wachtmajster immer: ›Schweigen Sie, oder ich lass' Sie einsperren; wir wissen, daß Ihr Sohn ein Wilddieb ist und der Herrschaft Holz stiehlt.‹ Und so plag ich mich mit ihnen schons vierte Jahr.« Die Alte seufzte tief und brummte weiter: »Vor allem geben Sie sich acht vorm Wachmajster, der is so ein Glatter, und derweil is er ein Luder erster Klasse. Wo er einen hopnehmen und einsperren kann, tut ers.«

Der Wachtmeister war sehr schwer zu erwecken. Dem Postenführer verursachte es große Schwierigkeiten, ihn zu überzeugen, daß es bereits früh sei.

Endlich erwachte er, rieb sich die Augen und begann sich undeutlich an den gestrigen Abend zu erinnern. Plötzlich durchzuckte ihn ein furchtbarer Gedanke, dem er mit einem unsicheren Blick auf den Postenführer Ausdruck gab: »Er ist uns weggelaufen?«

»Aber woher denn, er ist doch ein ehrlicher Mensch.«

Der Postenführer fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen, schaute aus dem Fenster, kehrte wieder zurück, riß ein Stück Papier von der am Tisch liegenden Zeitung ab und formte daraus zwischen den Fingern ein Papierkügelchen. Man merkte ihm an, daß er etwas sagen wollte.

Der Wachtmeister blickte ihn unsicher an und sagte schließlich, um völlige Gewißheit über das zu gewinnen, was er nur ahnte: »Ich werde Ihnen helfen, Herr Postenführer. Ich hab gestern wieder was treiben und aufführen müssen, was?«

Der Postenführer schaute seinen Vorgesetzten vorwurfsvoll an: »Wenn Sie wüßten, Herr Wachtmajster, was Sie gestern alles zusammengeredet, was Sie mit ihm für Reden geführt ham!«

Zum Ohr des Wachtmeisters geneigt, flüsterte er: »Daß wir alle, Tschechen und Russen, slawische Brüder sind, daß Nikolai Nikolajewitsch nächste Woche in Prerau sein wird, daß sich Österreich nicht halten kann – er soll, bis er weiter verhört wern wird, nur leugnen und Kraut und Rüben durcheinanderwerfen, er soll durchhalten bis zum Tag, wo ihn die Kosaken befreien, daß es jeden Augenblick aus den Fugen gehn muß, daß alles sein wird wie in den Hussitenkriegen, daß die Bauern mit Dreschflegeln nach Wien ziehen wern, daß der Kaiser ein kranker Greis is und über Nacht ins Gras beißen wird, daß Kaiser Wilhelm ein Tier is, daß Sie ihm ins Gefängnis Geld zum Zubessern schicken wern und noch mehr solcher Sachen . . .«

Der Postenführer entfernte sich vom Wachtmeister: »An das alles erinner ich mich gut, weil ich anfangs nur wenig besoffen war. Dann hab ich mir auch einen Affen zugelegt, und weiter weiß ich nichts mehr.«

Der Wachtmeister blickte den Postenführer an.

»Und ich erinner mich wieder«, erklärte er, »daß Sie gesagt haben, daß wir auf Rußland zu kurz sind und daß Sie vor unserer Tür gebrüllt haben: Es lebe Rußland!«

Der Postenführer begann nervös im Zimmer auf und ab zu gehen.

»Sie habens gebrüllt wie ein Stier«, sagte der Wachtmeister, »dann haben Sie sich aufs Bett gewälzt und haben angefangen zu schnarchen.«

Der Postenführer blieb beim Fenster stehen und sagte, während er darauf trommelte: »Sie ham sich vor unsrer Alten auch kein Blatt vorn Mund genommen, Herr Wachmajster, und ich erinner mich, daß Sie gesagt ham: ›Merken Sie sich, daß jeder Kaiser und König nur an seine eigene Tasche denkt, und drum führt er Krieg, auch wenns meintwegen so ein Greis is wie der alte Prochazka, den man nicht mehr ausn Scheißhaisl lassen kann, damit er nicht ganz Schönbrunn vollmacht.‹«

»Das soll ich gesagt haben?«

»Ja, Herr Wachmajster, das ham Sie gesagt, bevor Sie auf den Hof heraus kotzen gegangen sind. Sie ham noch geschrien: ›Alte Vettel, steck mir den Finger in den Hals.‹«

»Sie haben sich auch schön ausgedrückt«, unterbrach ihn der Wachtmeister, »wo sind Sie nur auf so eine Dummheit gekommen, daß Nikolai Nikolajewitsch König von Böhmen werden wird?«

»An das erinner ich mich nicht«, ließ sich schüchtern der Postenführer vernehmen.

»Na, wie sollen Sie sich dran erinnern! Sie waren ja vollgesogen wie ein Sack, haben Schweinsäuglein gehabt, und wie Sie herausgehn wollten, sind Sie statt durch die Tür aufn Ofen gekrochen.«

Beide verstummten, bis der Wachtmeister das Schweigen unterbrach: »Ich hab Ihnen immer gesagt, daß Alkohol unser Verderben ist. Sie vertragen nicht viel und trinken. Wie, wenn Ihnen unser Arrestant entlaufen wär? Gott, mir dreht sich der Kopf.«

»Ich sag, Herr Postenführer«, fuhr der Wachtmeister fort, »grad weil er nicht weggelaufen ist, ist die Sache vollständig klar, was das für ein gefährlicher und raffinierter Mensch ist. Bis man ihn verhören wird, wird er sagen, daß die ganze Nacht offen war, daß wir betrunken waren und daß er tausendmal hätt weglaufen können, wenn er sich schuldig gefühlt hätt. Noch ein Glück, daß man so einem Menschen nicht glaubt, und wenn wir unterm Diensteid aussagen werden, daß das Erfindung und freche Lüge ist, hilft ihm nicht mal der liebe Herrgott, und er hat noch einen Paragraphen mehr am Hals. Bei seinem Fall spielt das freilich keine Rolle. – Wenn mir nur nicht der Kopf so weh tät.«

Stille.

Nach einer Pause ließ sich der Wachtmeister vernehmen:

»Rufen Sie unsere Alte her.«

»Hören Sie, Alte«, sagte der Wachtmeister zur Pejsler, während er ihr streng ins Gesicht blickte, »treiben Sie irgendwo ein Kruzifix auf einem Postament auf und bringen Sies her.«

Als Antwort auf den fragenden Blick der Pejsler brüllte der Wachtmeister: »Schaun Sie, daß Sie schon hier sind.«

Der Wachtmeister zog zwei Kerzen aus dem Tisch, auf denen sich die vom Versiegeln der Amtsakten herrührenden Spuren von Siegellack befanden, und als die Pejsler schließlich mit dem Kruzifix anrückte, stellte der Wachtmeister das Kreuz zwischen die beiden Kerzen an den Rand des Tisches, zündete die Kerzen an und sagte ernst: »Setzen Sie sich, Alte.«

Die erstarrte Pejsler sank auf das Kanapee und schaute verstört auf den Wachtmeister, die Kerzen und das Kruzifix. Sie war erfüllt von Angst, und man konnte sehen, wie die Hände, die sie auf der Schürze hielt, samt den Knien zitterten.

Der Wachtmeister schritt ernst vor ihr auf und ab, blieb dann vor ihr stehen und sagte feierlich: »Gestern abend waren Sie Zeugin einer großen Begebenheit. Kann sein, daß Ihr blöder Verstand das nicht begriffen hat. Dieser Soldat da ist ein Kundschafter, ein Spion, Alte.«

»Jesusmaria«, rief die Pejsler, »Heilige Jungfrau Maria aus Skotschitz!«

»Ruhig, Alte! Damit wir was aus ihm herauskriegen, haben wir verschiedene Sachen reden müssen. Sie haben doch gehört, was für komische Sachen wir geredet haben?«

»Das hab ich gehört«, ließ sich die Pejsler mit zitternder Stimme vernehmen.

»Aber alle diese Reden, Alte, haben ihn nur dazu bewegen sollen, zu gestehen und uns Vertrauen zu schenken. Und es ist uns gelungen. Wir haben alles aus ihm herausgekriegt. Er ist uns aufn Leim gegangen.«

Der Wachtmeister unterbrach seine Rede für einen Augenblick, um die Dochte an den Kerzen in Ordnung zu bringen, dann fuhr er ernsthaft fort, während er die Pejsler streng anblickte: »Sie waren dabei, Alte, und sind in das ganze Geheimnis eingeweiht. Dieses Geheimnis ist ein Amtsgeheimnis. Davon dürfen Sie niemandem gegenüber was erwähnen. Nicht mal am Totenbett, sonst dürft man Sie nicht mal am Friedhof begraben.«

»Jesusmariandjosef«, jammerte die Pejsler, »daß ich Unglückliche jemals meinen Fuß hier hereingesetzt hab.«

»Heulen Sie nicht, stehn Sie auf, treten Sie zum Kruzifix, legen Sie zwei Finger von der rechten Hand darauf. Sie werden schwören. Sprechen Sie mir nach.«

Unaufhörlich jammernd, taumelte die Pejsler zum Tisch: »Jungfrau Maria aus Skotschitz, daß ich jemals meinen Fuß hier hereingesetzt hab.«

Und vom Kreuz blickte auf sie das abgehärmte Antlitz Christi, die Kerzen qualmten, und das alles erschien der Pejsler wie etwas gespenstisch Überirdisches.

Sie verlor jeden Halt, ihre Knie schlotterten und ihre Hände bebten.

Sie hob zwei Finger empor, und der Gendarmeriewachtmeister sagte ihr bedeutungsvoll und feierlich vor: »Ich schwöre Gott dem Allmächtigen und Ihnen, Herr Wachtmeister, daß ich von dem, was ich hier gehört und gesehn habe, niemandem bis zu meinem Tode auch nur ein Wort erwähnen werde, selbst wenn ich vielleicht von ihm gefragt werden sollte. Dazu verhelfe mir Gott.«

»Küssen Sie noch das Kruzifix, Alte«, befahl der Wachtmeister, als die Pejsler unter entsetzlichem Schluchzen geschworen hatte und sich fromm bekreuzigte.

»So, und jetzt tragen Sie das Kruzifix wieder hin, wo Sie sichs ausgeborgt haben, und sagen Sie, daß ichs zum Verhör gebraucht hab!«

Die bestürzte Pejsler verließ mit dem Kruzifix auf den Fußspitzen das Zimmer, und durch das Fenster konnte man sehen, daß sie sich unaufhörlich nach der Gendarmeriestation umschaute, als wollte sie sich überzeugen, daß es nicht nur ein Traum war, sondern daß sie in der Tat just vor einigen Augenblicken etwas Furchtbares erlebt hatte.

Der Wachtmeister überschrieb inzwischen seinen Rapport, den er in der Nacht mit Klecksen ergänzt hatte, die er dann samt den Schriftzügen ableckte, als wäre Marmelade auf dem Papier.

Jetzt überarbeitete er ihn vollständig, und es fiel ihm dabei ein, daß er nach einem Punkt nicht gefragt hatte. Deshalb ließ er Schwejk rufen und fragte ihn: »Können Sie fotografieren?«

»Ja.«

»Und warum tragen Sie keinen Apparat mit?«

»Weil ich keinen hab«, lautete die aufrichtige und klare Antwort.

»Und wenn Sie einen hätten, würden Sie fotografieren?« fragte der Wachtmeister.

»Wenn das Wenn nicht wär«, antwortete Schwejk einfach und ertrug ruhig den fragenden Ausdruck im Gesicht des Wachtmeisters, dessen Kopf gerade wieder so zu schmerzen begonnen hatte, daß er keine andere Frage ersinnen konnte als folgende: »Fällt es Ihnen schwer, einen Bahnhof zu fotografieren?«

»Leichter als was andres«, antwortete Schwejk, »weil er sich nicht rührt und fort auf einem Fleck bleibt und man ihm nicht sagen muß, er soll freundlich schaun.«

Der Wachtmeister konnte also seinen Rapport ergänzen:

»Zu dem Bericht Nr. 2172 melde ich . . .«

Und der Wachtmeister schrieb eifrig darauflos: »Unter anderem hat er bei meinem Kreuzverhör angegeben, er könne fotografieren und fotografiere am liebsten Bahnhöfe. Ein fotografischer Apparat wurde zwar bei ihm nicht gefunden, aber es besteht die Vermutung, daß er ihn irgendwo versteckt hält und deshalb nicht mit sich trägt, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, wofür auch sein eigenes Geständnis spricht, daß er fotografieren würde, wenn er den Apparat bei sich hätte.«

Der Wachtmeister, dessen Kopf schwer war nach dem verflossenen Abend, verwickelte sich immer mehr und mehr in seinen Bericht über das Fotografieren und schrieb weiter: »Sicher ist, daß ihn nach seinem eigenen Geständnis nur der Umstand, daß er keinen fotografischen Apparat bei sich hat, daran gehindert hat, das Bahnhofsgebäude sowie überhaupt Orte von strategischer Wichtigkeit zu fotografieren, und es steht unbestreitbar fest, daß er es getan hätte, wenn er den betreffenden fotografischen Apparat, den er versteckt hält, bei sich hätte. Nur dem Umstand, daß der fotografische Apparat nicht bei der Hand war, ist es zu danken, daß bei ihm keine Fotografien gefunden wurden.«

»Das genügt«, sagte der Wachtmeister und setzte seinen Namen darunter.

Der Wachtmeister war vollkommen zufrieden mit seinem Werk und las es dem Postenführer voller Stolz vor.

»Das ist mir gelungen«, sagte er ihm, »also sehn Sie, so schreibt man Berichte. Alles muß drinstehen. Ein Verhör, mein Lieber, das ist keine einfache Sache; Hauptsache ist, alles hübsch im Bericht zusammenstelln, damit sie dort oben davon ganz perplex sind. Führen Sie unsern Arrestanten vor, damit wir mit ihm fertig werden.«

»Also der Herr Postenführer wird Sie jetzt nach Pisek aufs Bezirksgendarmeriekommando führen«, sagte er ernst zu Schwejk. »Nach Vorschrift solln Sie Spangen bekommen. Weil ich jedoch denke, daß Sie ein anständiger Mensch sind, geben wir Ihnen keine Spangen. Ich bin überzeugt, daß Sie auch unterwegs keinen Fluchtversuch machen werden.«

Der Wachtmeister, offensichtlich gerührt durch den Anblick des gutherzigen Gesichtes Schwejks, fügte hinzu: »Und erinnern Sie sich meiner nicht im bösen. – Abtreten, Herr Postenführer, hier haben Sie den Bericht.«

»Also Gott zum Gruß«, sagte Schwejk weich, »ich dank Ihnen für alles, Herr Wachmajster, was Sie für mich getan ham, und wenn ich Gelegenheit haben wer, wer ich Ihnen schreiben, und wenn ich mal hier vorbeikommen sollt, wer ich mich bei Ihnen sicher aufhalten.«

Schwejk trat mit dem Postenführer hinaus auf die Straße, und wer ihnen begegnet wär, wie sie in ein freundschaftliches Gespräch vertieft dahinschritten, hätte sie für alte Bekannte gehalten, die zufällig denselben Weg zur Stadt, sagen wir in die Kirche gehen.

»Das hätt ich mir nie gedacht«, erzählte Schwejk, »daß so ein Weg nach Budweis mit solchen Schwierigkeiten verbunden is. Das kommt mir vor wie der Fall mit dem Fleischer Chaura aus Kobylis. Der is mal in der Nacht vors Palackymonument geraten und is bis früh herumgegangen, weil ihm vorgekommen is, daß die Mauer kein Ende hat. Er war davon ganz verzweifelt, gegen früh hat er nicht mehr können, so hat er angefangen ›Patrull‹ zu schreien, und wie die Polizisten gelaufen gekommen sind, hat er sie gefragt, wo man nach Kobylis geht, daß er schon fünf Stunden an einer Mauer entlanglauft und daß es immerfort kein Ende nimmt. Da ham sie ihn mitgenommen, und er hat ihnen in der Separation alles zerdroschen.«

Der Postenführer sagte darauf kein Wort und dachte: Was erzählst du mir da. Schon wieder fängst du an, Märchen von Budweis zu erzählen.

Sie gingen an einem Teich vorbei, und Schwejk fragte den Postenführer mit Interesse, ob es in der Umgebung viel Fischdiebe gäbe.

»Hier sind alle Leute Wilderer«, antwortete der Postenführer, »den vorigen Wachmajster ham sie ins Wasser werfen wolln. Der Teichwächter auf dem Damm spickt ihnen den Hintern mit Schrot, aber das nützt nichts. Sie tragen in den Hosen Stücke Blech.«

Der Postenführer begann über den Fortschritt zu reden, wie die Leute alles herausbekommen und wie einer den andern betrügt, und entwickelte die neue Theorie, daß der Weltkrieg ein großes Glück für die Menschheit sei, weil man bei den Kämpfen neben braven Menschen auch Lumpen und Gauner erschießen werde.

»Es sind sowieso zuviel Leute auf der Welt«, sagte der Postenführer, »ich denk, ein Stamperl kann uns nichts schaden. Sagen Sie niemandem, daß ich Sie nach Pisek führ. Das is ein Staatsgeheimnis.«

Vor dem Postenführer tanzte die Instruktion der Zentralbehörde über verdächtige und auffallende Leute und über die Pflicht jeder Gendarmeriestation, »jene vom Verkehr mit der Ortsbevölkerung auszuschließen und streng darauf zu achten, daß es bei der Überführung zu weiteren Instanzen nicht zu überflüssigen Gesprächen mit der Umgebung komme«.

»Man darf nicht verraten, was für einer Sie sind«, ließ sich der Postenführer abermals vernehmen, »niemanden gehts was an, was Sie angestellt ham. Man darf keine Panik verbreiten.«

»Eine Panik is in diesen Kriegszeiten eine böse Sache«, fuhr er fort, »man sagt was, und schon gehts wie eine Lawine durch die ganze Gegend. Verstehn Sie?«

»Ich wer also keine Panik verbreiten«, sagte Schwejk und verhielt sich auch demgemäß, denn er sagte nachdrücklich, als der Wirt mit ihnen in ein Gespräch geriet: »Hier mein Bruder sagt, wir wern um ein Uhr in Pisek sein.«

»Ihr Herr Bruder hat wohl Urlaub?« fragte der Wirt neugierig den Postenführer, der, ohne mit der Wimper zu zucken, frech erwiderte: »Heut läuft er schon ab!«

»Den hamr drangekriegt«, meinte er lachend zu Schwejk, als der Wirt die Stube verlassen hatte, »nur keine Panik nicht! Es is Krieg!«

Hatte der Postenführer vor Betreten des Wirtshauses erklärt, ein Stamperl könne nicht schaden, so war er ein Optimist, weil er nicht an die Mehrzahl gedacht hatte; und als er ihrer zwölf getrunken hatte, erklärte er ganz entschieden, daß der Kommandant der Bezirksgendarmeriestation bis drei Uhr beim Mittagessen sei, daß es vergeblich wäre, früher hinzukommen, und daß es überdies zu schneien begonnen habe. Wenn sie um vier Uhr nachmittag in Pisek ankommen würden, sei dies immer noch früh genug. Sie hätten bis sechse Zeit. Da Winter sei, würden sie dann schon im Finstern gehen. Es sei überhaupt egal, ob man jetzt gehe oder erst später. Pisek könne ihnen nicht davonlaufen.

»Sein wir froh, daß wir im Warmen sitzen«, war sein entschiedenes Wort, »in den Schützengräben machen sie in so einem Unwetter mehr durch als wir beim Ofen.«

Der alte Kachelofen glühte vor Hitze, und der Postenführer stellte fest, daß man die äußere Wärme mit Hilfe verschiedener süßer und kräftiger Schnäpse vorteilhaft durch eine innere ergänzen könne.

Der Wirt in dieser Einöde hatte achterlei Sorten; er langweilte sich und trank mit bei den Tönen der Melusine, die hinter jedem Winkel des Hauses pfiff.

Der Postenführer forderte den Wirt unaufhörlich auf, mit ihm Schritt zu halten, beschuldigte ihn, zuwenig zu trinken, womit er ihm offensichtlich unrecht tat, denn der konnte kaum mehr auf den Füßen stehen, wollte fortwährend Färbl spielen und behauptete, er habe in der Nacht im Osten Kanonendonner gehört, worauf der Postenführer schluchzte: »Nur das nicht, keine Panik nicht. Dazu sind die Instruktionen da.«

Und er fing an zu erklären, Instruktionen seien eine Zusammenfassung unmittelbarer Verordnungen. Dabei verriet er einige Geheimreservate. Der Wirt begriff nichts mehr und raffte sich nur zu der Erklärung auf, daß man mit Instruktionen den Krieg nicht gewinnen werde.

Es war bereits finster, als der Postenführer den Entschluß faßte, sich nun auf den Weg zu machen. Es schneite so, daß man keinen Schritt weit sehen konnte, und der Postenführer sagte ununterbrochen: »Immer der Nase nach nach Pisek.«

Als er dies zum drittenmal sagte, klang seine Stimme nicht mehr auf der Straße, sondern irgendwo von unten her, wohin er den Hang entlang über den Schnee hinabgerutscht war. Mit Hilfe des Gewehrs kletterte er mühsam wieder auf die Straße. Schwejk hörte, daß er leise vor sich hin lachte: »Rutschbahn.« Kurz darauf hörte man ihn schon wieder nicht auf der Straße, denn er war abermals den Hang hinabgerutscht, wobei er so brüllte, daß er den Wind übertönte: »Ich fall. Panik.«

Der Postenführer verwandelte sich in eine emsige Ameise, die, wenn sie irgendwo hinabfällt, wieder standhaft emporklettert.

Fünfmal wiederholte der Postenführer den Ausflug von dem Hang, und als er wieder bei Schwejk anlangte, sagte er ratlos und verzweifelt: »Ich könnt Sie sehr leicht verlieren.«

»Ham Sie keine Angst nicht, Herr Postenführer«, sagte Schwejk, »am besten wird sein, wenn wir uns zusammenkoppeln. So kann einer dem andern nicht verlorengehn. Ham Sie Spangen mit?«

»Jeder Gendarm muß immer Spangen bei sich tragen«, sagte der Postenführer nachdrücklich, um Schwejk herumstolpernd, »das is unser tägliches Brot.«

»Also wern wir uns halt zusammenkoppeln«, forderte Schwejk ihn auf, »versuchen Sies nur.«

Mit einer meisterhaften Bewegung legte der Postenführer Schwejk die Spangen an und befestigte das andere Ende am Handgelenk seiner rechten Hand. So waren sie miteinander verbunden wie Zwillinge. Sie stolperten auf der Straße hin und her, konnten aber nicht voneinander. Der Postenführer zog Schwejk über Schotterhaufen, und als er umfiel, zog er Schwejk mit sich. Dabei schnitten die Spangen in ihre Hände; schließlich erklärte der Postenführer, daß das so nicht weitergehe, man werde die Spangen wieder abnehmen müssen. Nach langen, vergeblichen Anstrengungen, sich und Schwejk von den Spangen zu befreien, seufzte der Postenführer: »Wir sind für alle Ewigkeiten vereint.«

»Amen«, fügte Schwejk hinzu und setzte den beschwerlichen Weg fort.

Des Postenführers bemächtigte sich eine vollständige Depression, und als sie nach fürchterlichen Qualen spät am Abend in Pisek auf dem Gendameriekommando anlangten, sagte er auf der Stiege völlig zerknirscht zu Schwejk: »Jetzt wirds schrecklich sein. Wir können nicht auseinander.«

Und es war wirklich schrecklich, als der Wachtmeister den Kommandanten der Station, Rittmeister König, holen ließ.

Das erste Wort des Rittmeisters war: »Hauchen Sie mich an!«

»Jetzt versteh ich«, sagte der Rittmeister, mit seinem scharfen, erprobten Geruchsinn die untrügliche Situation feststellend: »Rum, Kontuschovka, Griotte, Wacholder-, Nuß-, Weichsel- und Vanilleschnaps.«

»Herr Wachtmeister«, wandte er sich an seinen Untergebenen, »hier haben Sie ein Beispiel, wie ein Gendarm nicht aussehn soll. Sich so zu benehmen, ist ein solches Vergehen, daß darüber das Kriegsgericht entscheiden wird. Sich mit dem Delinquenten mit Spangen zusammenkoppeln. Besoffen zu kommen, total besoffen. Herzukriechen wie das liebe Vieh! Nehmen Sie die Spangen ab!«

»Was gibts?« wandte er sich an den Postenführer, der mit der freien Hand verkehrt salutierte.

»Melde gehorsamst, Herr Rittmeister, ich bring einen Bericht.«

»Über Sie wird ein Bericht zu Gericht gehen«, sagte der Rittmeister kurz.

»Herr Wachtmeister, sperren Sie die beiden ein, früh führen Sie sie zum Verhör, und den Bericht aus Putim studieren Sie durch und schicken Sie mir ihn in die Wohnung.«

Der Piseker Rittmeister war ein sehr amtlicher, in der Verfolgung von Untergebenen konsequenter und in bürokratischen Angelegenheiten ausgezeichneter Mann.

In den Gendarmeriestationen seines Bezirkes konnte man nirgends sagen, daß ein Unwetter vorüberziehe. Es kehrte in jeder vom Rittmeister unterschriebenen Zuschrift zurück, der den ganzen Tag hindurch Verweise, Ermahnungen und Drohungen für den ganzen Bezirk aussandte.

Seit Ausbruch des Krieges schwebten über der Gendarmeriestation in Pisek schwere Wolken.

Es war eine geradezu gespenstische Stimmung. Die Donner des Bürokratismus erdröhnten und trafen Gendarmeriewachtmeister, Postenführer, Mannschaft und Angestellte. Wegen jeder Dummheit ein Disziplinarverfahren.

»Wenn wir den Krieg gewinnen wollen«, sagte er bei seinen Inspektionen in den Gendarmeriestationen, »muß jedes A ein A sein, jedes B ein B, nirgends darf ein I-Tüpfel fehlen.«

Er fühlte sich von Verrat umgeben und hatte den untrüglichen Eindruck, daß jeder Gendarm seines Bezirks irgendeine auf den Krieg zurückführende Sünde begangen und jeder in dieser schweren Zeit irgendeinen Dienstverweis hinter sich habe.

Und von oben bombardierte man ihn mit Zuschriften, in denen das Landesverteidigungsministerium darauf hinwies, daß die Soldaten aus dem Piseker Bezirk, den Berichten des Kriegsministeriums zufolge, zum Feind übergingen.

Man verlangte von ihm, er solle die Loyalität in seinem Bezirk auskundschaften. Die Frauen aus der Umgebung begleiteten ihre Männer beim Einrücken, und er wußte, daß diese Männer ihnen mit Bestimmtheit versprachen, daß sie sich für Seine Majestät den Kaiser nicht erschlagen lassen würden.

Die schwarz-gelben Horizonte begannen sich unter den Wolken der Revolution zu verfinstern. In Serbien, in den Karpaten gingen die Bataillone zum Feind über. Das 28. Regiment, das 11. Regiment. Im letzteren die Soldaten aus dem Piseker Bezirk. In dieser vorrevolutionären Schwüle langten aus Vodňan Rekruten mit Nelken aus schwarzem Organtin an. Den Piseker Bahnhof passierten Soldaten aus Prag und schleuderten die Zigaretten und die Schokolade aus dem Fenster, die ihnen Damen aus der Piseker Gesellschaft in die Schweinewagen reichten.

Dann fuhr ein Marschbataillon durch, und einige Piseker Juden brüllten: »Heil, nieder mit den Serben!«, wofür sie ein paar so tüchtige Ohrfeigen bekamen, daß sie sich eine Woche lang nicht auf der Gasse zeigen konnten.

Und während sich diese Episoden ereigneten, die deutlich zeigten, daß das: »Gott erhalte, Gott beschütze«, das in den Kirchen gespielt wurde, nur eine armselige Vergoldung und allgemeine Verstellung sei, langten aus den Gendarmeriestationen die bekannten Antworten auf die Fragebogen à la Putim ein, alles sei in bester Ordnung, nirgends werde eine Agitation gegen den Krieg geführt, die Gesinnung der Bevölkerung sei römisch Eins, die Begeisterung römisch Eins a–b.

»Ihr seid nicht Gendarmen, sondern Gemeindepolizisten«, pflegte der Rittmeister auf seinen Rundgängen zu sagen, »statt daß ihr eure Aufmerksamkeit um tausend Prozent verschärft, werden langsam Rindviecher aus euch.«

Nachdem er diese zoologische Entdeckung gemacht hatte, fügte er hinzu: »Ihr wälzt euch hübsch zu Haus herum und denkt euch: Mit dem ganzen Krieg kann man uns im Arsch lecken.«

Hierauf folgte stets eine Aufzählung aller Pflichten der unglücklichen Gendarmen, ein Vortrag über die ganze Situation und der Nachweis der Notwendigkeit, alles fest in die Hand zu nehmen, damit es wirklich so sei, wie es sein sollte. Auf diese Schilderung des strahlenden Bildes eines vollkommenen Gendarmen, der auf eine Stärkung der österreichischen Monarchie hinarbeitet, folgten Drohungen, Disziplinarverfahren, Versetzungen und Beschimpfungen.

Der Rittmeister war fest überzeugt, daß er hier auf Vorposten stehe, daß er etwas rette und daß alle Gendarmen der Gendarmeriestationen, die ihm unterstanden, ein faules Gesindel seien, egoistische Schurken, Betrüger, die sich auf nichts anderes verstehen als auf Schnaps, Bier und Wein. Und daß sie sich, weil sie zu geringe Einnahmen hatten, um saufen zu können, bestechen ließen und langsam aber sicher Österreich zugrunde richteten. Der einzige Mensch, dem er vertraute, war sein eigener Wachtmeister auf der Bezirkshauptmannschaft, der im Wirtshaus zu sagen pflegte: »Hab ich heut wieder ein Hetz gehabt mit unserm alten Bullenbeißer . . .«

Der Rittmeister studierte den Bericht des Gendarmeriewachtmeisters aus Putim über Schwejk. Vor ihm stand sein Gendarmeriewachtmeister Matejka und wünschte, der Rittmeister möge ihm samt allen Berichten auf den Buckel steigen, denn unten bei Ottawa wartete man auf ihn mit einer Partie »Schnops«.

»Ich habe Ihnen neulich gesagt, Matejka«, hub der Rittmeister an, »daß der größte Idiot, den ich kennengelernt habe, der Gendarmeriewachtmeister aus Putim ist. Der Soldat, den dieser besoffene Lump von einem Postenführer hergebracht hat und mit dem er zusammengekoppelt war wie ein Hund an den andern, is doch kein Spion. Es ist sicher ein ganz gewöhnlicher Deserteur. Er schreibt hier so einen Unsinn, daß jedes kleine Kind auf den ersten Blick erkennt, daß der Kerl besoffen war wie ein päpstlicher Prälat.«

»Bringen Sie den Soldaten sofort her«, befahl er, nachdem er den Rapport aus Putim eine Zeitlang studiert hatte. »Nie im Leben hab ich so eine Kollektion von Blödsinn gesehn, und noch dazu schickt er mit diesem verdächtigen Kerl so ein Rindvieh wie diesen Postenführer. Die Leute kennen mich noch zuwenig, ich kann auch unangenehm werden. Solang sie sich nicht dreimal täglich aus lauter Angst vor mir bemachen, sind sie überzeugt, daß ich auf mir Holz spalten lass.«

Der Rittmeister begann lang und breit davon zu sprechen, wie ablehnend sich die Gendarmerie heutzutage allen Befehlen gegenüber verhalte, wenn sie Berichte verfasse, könne man sofort sehen, daß sich jeder Wachtmeister aus allem einen Jux mache, nur um die Sache noch mehr zu verwickeln.

Wenn man von oben darauf aufmerksam mache, es sei nicht ausgeschlossen, daß sich Spione in der Gegend herumtrieben, begännen die Gendarmeriewachtmeister sie en gros zu erzeugen, und wenn der Krieg noch lange dauern sollte, werde aus dem allem ein großes Irrenhaus entstehen. In der Kanzlei solle man nach Putim depeschieren, der Wachtmeister möge morgen nach Pisek kommen. Er werde ihm schon die ungeheure Begebenheit, von der er zu Beginn seines Rapports schreibe, aus dem Kopf schlagen.

»Von welchem Regiment sind Sie desertiert?« begrüßte der Rittmeister Schwejk.

»Von keinem.«

Der Rittmeister blickte Schwejk an und sah in seinem ruhigen Gesicht so viel Unbefangenheit, daß er fragte: »Wie sind Sie zu der Uniform gekommen?«

»Jeder Soldat kriegt eine Uniform, wenn er einrückt«, antwortete Schwejk mit sanftem Lächeln, »ich dien beim 91. Regiment und bin nicht nur nicht von meinem Regiment weggelaufen, sondern im Gegenteil

Das Wort »Gegenteil« sprach er mit so einer Betonung aus, daß der Rittmeister wehmütig dreinschaute und fragte: »Wieso im Gegenteil?«

»Das is eine sehr einfache Sache«, vertraute Schwejk ihm an, »ich bin auf dem Wege zu meinem Regiment, ich such es und lauf nicht davon weg. Ich wünsch mir nichts andres, als so bald wie möglich zu meinem Regiment zu kommen. Ich bin hier ganz nervös davon, weil ich mich, mir scheint, von Budweis entfern. Wenn ich bedenk, daß dort das ganze Regiment auf mich wartet. Der Herr Wachmajster in Putim hat mir auf der Karte gezeigt, daß Budweis im Süden liegt, und er hat mich statt dessen nach Norden geschickt.«

Der Rittmeister winkte mit der Hand, als wollte er sagen: »Der stellt noch ärgere Sachen an, als Leute nach Norden zu schicken.«

»Sie können also Ihr Regiment nicht finden?« sagte er, »Sie waren auf der Suche nach ihm?«

Schwejk klärte ihm die ganze Situation auf. Er nannte Tabor und sämtliche Orte, durch die er nach Budweis gegangen war: »Mühlhausen – Kwětow – Wraz – Maltschin – Tschizowa – Sedletz – Horaždowitz – Radomyschl – Putim – Schtekno – Strakonitz – Wolyn – Ticha – Voduan – Protiwin und wiederum Putim.«

Mit ungeheurer Begeisterung schilderte Schwejk seinen Kampf mit dem Schicksal, wie er, ohne der Hindernisse zu achten, zu seinem Regiment nach Budweis gelangen wollte und wie alle seine Anstrengungen vergeblich waren.

Er sprach feurig, und der Rittmeister zeichnete mechanisch mit einem Bleistift auf ein Stück Papier den toten Kreis, aus dem der brave Soldat Schwejk nicht herauskommen konnte, obwohl er zu seinem Regiment gelangen wollte.

»Das war eine Herkulesarbeit«, sagte er schließlich wohlgefällig, nachdem er gehört hatte, wie sehr es Schwejk verdrieße, daß er so lange sein Regiment nicht erreichen konnte, »das muß ein großartiger Anblick gewesen sein, wie Sie im Kreis um Putim marschiert sind.«

»Es hätt sich schon damals entscheiden können«, bemerkte Schwejk, »wenn nicht der Herr Wachmajster in diesem unglücklichen Nest gewesen wär. Nämlich hat er mich weder nachm Namen noch nachm Regiment gefragt, und es war ihm alles ungemein sehr auffällig. Er hätt mich nach Budweis führen lassn solln, und in der Kaserne hätt man ihm schon gesagt, ob ich der Schwejk bin, der sein Regiment sucht, oder ein verdächtiger Mensch. Heut hätt ich schon den zweiten Tag bei meinem Regiment sein und meine militärischen Pflichten erfüllen können.«

»Warum haben Sie in Putim nicht darauf aufmerksam gemacht, daß es sich um einen Irrtum handelt?«

»Weil ich gesehn hab, daß es umsonst is, mit ihm zu sprechen. Das hat schon der alte Gastwirt Rampa auf der Weinberge gesagt, wenn ihm jemand schuldig bleiben wollt, daß manches Mal über einen Menschen so ein Moment kommt, daß er für alles taub is wie ein Klotz.«

Der Rittmeister überlegte nicht lange. Er war überzeugt, daß der Kreismarsch eines Menschen, der zu seinem Regiment gelangen will, das Zeichen tiefster menschlicher Degeneration ist, und ließ in der Kanzlei unter Berücksichtigung aller Regeln und Schönheiten des Amtsstils folgende Zeilen klopfen:

»An das hohe Kommando des k. u. k. Infanterieregiments Nr. 91 in Budweis.

Beigeschlossen wird Josef Schwejk vorgeführt, nach des Betreffenden Behauptung Infanterist oben angeführten Regimentes, auf Grund seiner Aussage in Putim, Bezirk Pisek, von der Gendarmeriestation unter Desertionsverdacht angehalten. Derselbe führt an, auf dem Wege zu seinem oben angeführten Regiment zu sein. Der Vorgeführte ist von kleiner untersetzter Gestalt, Gesicht und Nase proportioniert, Augen blau, ohne besonderes Merkmal. In der Beilage b. 1. erfolgt die Zustellung der Verrechnung für die Verköstigung des Betreffenden zwecks freundlicher Überweisung an das Landesverteidigungsministerium, mit dem Ersuchen um Bestätigung der Übernahme des Vorgeführten. In der Beilage C. 1. gelangt ein Verzeichnis der ärarischen Kleidungsstücke zur Einsendung, die der Angehaltene zur Zeit seiner Anhaltung anhatte.«

Die Bahnfahrt von Pisek nach Budweis verging Schwejk wie im Flug. Ein junger Gendarm, ein Neuling, der kein Auge von Schwejk wandte und schreckliche Angst hatte, daß dieser flüchten könnte, begleitete ihn.

Den ganzen Weg über suchte er das schwierige Problem zu lösen: »Wenn ich jetzt auf die kleine oder große Seite gehn müßte, wie stelle ich das an?«

Er löste es in der Weise, daß Schwejk ihm Pate stehen mußte.

Den ganzen Weg über vom Bahnhof bis in die Marienkaserne heftete er seine Augen krampfhaft auf Schwejk, und sooft sie zu irgendeiner Straßenecke oder Kreuzung kamen, erzählte er Schwejk gleichsam nebenhin, wieviel scharfe Patronen jeder Gendarm bei jeder Eskorte erhalte, worauf Schwejk entgegnete, er sei davon überzeugt, daß kein Gendarm auf der Gasse auf jemanden schießen würde, um nicht ein Unglück anzurichten.

Der Gendarm bestritt dies, und so gelangten sie in die Kaserne.

Den Kasernendienst versah bereits den zweiten Tag Oberleutnant Lukasch. Er saß ahnungslos in der Kanzlei am Tisch, als man Schwejk mit den Papieren zu ihm brachte.

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß ich wieder hier bin«, salutierte Schwejk mit feierlicher Miene.

Während dieser ganzen Szene war Fähnrich Kotatko zugegen, der später erzählte, Oberleutnant Lukasch sei nach der Meldung Schwejks in die Höhe gesprungen, habe sich am Kopf gepackt und sei rücklings auf Kotatko gefallen. Als man ihn zur Besinnung brachte, habe Schwejk, der die ganze Zeit hindurch die Ehrenbezeigung geleistet habe, wiederholt: »Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, ich bin wieder hier.« Und da habe Oberleutnant Lukasch, leichenblaß, mit zitternden Händen die Schwejk betreffenden Papiere ergriffen, habe sie unterschrieben und alle gebeten, das Zimmer zu verlassen; dem Gendarmen habe er gesagt, es sei gut, worauf er sich mit Schwejk in der Kanzlei eingesperrt habe.

Hiermit endete Schwejks Budweiser Anabasis. Sicher ist, daß Schwejk, wenn ihm seine Bewegungsfreiheit belassen worden wäre, auch allein nach Budweis gekommen wäre. Wenn die Behörden sich dessen rühmten, Schwejk an seinen Dienstort gebracht zu haben, so ist dies einfach ein Irrtum. In Anbetracht seiner Energie und seiner unverwüstlichen Kampfeslust war das Einschreiten der Behörde in diesem Falle nichts anderes als ein Knüppel, den man ihm zwischen die Füße warf.

 

Schwejk und Oberleutnant Lukasch blickten einander in die Augen.

Aus den Augen des Oberleutnants leuchtete etwas Entsetzliches, Fürchterliches und Verzweifeltes, und Schwejk blickte den Oberleutnant sanft und liebevoll an, wie eine verlorene und wiedergefundene Geliebte.

In der Kanzlei wurde es still wie in einer Kirche.

In dem anstoßenden Gang hörte man jemanden auf und ab gehen. Einen gewissenhaften Einjährigfreiwilligen, der wegen Schnupfens zu Hause geblieben war, was man seiner Stimme anmerkte, denn er schnaufelte das, was er laut auswendig lernte, vor sich hin: »Wie man in Festungen Mitglieder des Kaiserhauses empfängt.«

Man hörte deutlich: »Sobald die höchste Herrschaft in der Nähe der Festung anlangt, ist das Geschütz auf allen Bastionen und Werken abzufeuern, der Platzmajor empfängt dieselben mit Degen in der Hand zu Pferde und reitet sodann davon.«

»Halten Sie dort das Maul«, brüllte der Oberleutnant in den Gang, »scheren Sie sich zu allen Teufeln. Wenn Sie Fieber haben, so bleiben Sie zu Haus im Bett.«

Man hörte, wie sich der fleißige Einjährigfreiwillige entfernte, und gleich einem leisen Echo ertönte vom Ende des Ganges das Geschnaufel: »In dem Augenblicke, als der Kommandant salutiert, ist das Abfeuern des Geschützes zu wiederholen, was beim Absteigen der höchsten Herrschaft zum drittenmal zu geschehen hat.«

Und wiederum betrachteten der Oberleutnant und Schwejk einander stumm, bis Oberleutnant Lukasch schließlich mit scharfer Ironie sagte: »Schön willkommen in Budweis, Schwejk. Wer gehängt werden soll, der ertrinkt nicht. Man hat schon einen Steckbrief hinter Ihnen erlassen, und morgen werden Sie zum Regimentsrapport gehn. Ich werde mich nicht mehr mit Ihnen ärgern. Ich hab mich schon mehr als genug mit Ihnen abgeärgert, und meine Geduld ist zu Ende. Wenn ich bedenke, daß ich so lange mit einem Idioten wie Sie leben konnte . . .«

Er fing an, in der Kanzlei auf und ab zu gehen: »Nein, das ist schrecklich. Jetzt wunder ich mich, daß ich Sie nicht erschossen hab. Was könnt mir geschehn? Nichts. Ich wär erlöst. Begreifen Sie das?«

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß ich das vollkommen begreif.«

»Fangen Sie nicht wieder mit Ihren Blödheiten an, Schwejk, oder es geschieht wirklich etwas. Endlich werden wir Ihnen das Handwerk legen. Sie haben Ihre Blödheiten ins unendliche gesteigert, bis alles zu einer Katastrophe herangereift ist.«

Oberleutnant Lukasch rieb sich die Hände: »Es ist aus mit ihnen, Schwejk.« Er kehrte zu seinem Tisch zurück, schrieb auf ein Stückchen Papier einige Zeilen, rief den Wachposten vor der Kanzlei und befahl ihm, Schwejk zum Profosen zu führen und diesem das Schreiben zu übergeben.

Man führte Schwejk über den Hof ab, und der Oberleutnant schaute mit unverhohlener Freude zu, wie der Profos die Türe mit der schwarz-gelben Tafel: »Regimentsarrest« öffnete, wie Schwejk hinter dieser Tür verschwand und wie bald darauf der Profos allein aus dieser Türe trat.

»Gott sei Dank«, sagte der Oberleutnant laut, »er ist schon drin.«

In dem dunklen Raum des Hungerturmes der Marienkaserne begrüßte Schwejk herzlich ein dicker Einjährigfreiwilliger, der sich auf einem Strohsack wälzte. Er war der einzige Arrestant und langweilte sich schon den zweiten Tag allein. Auf Schwejks Frage, warum er sitze, erwiderte er, wegen einer Kleinigkeit. Er hatte irrtümlich einen Leutnant von der Artillerie in der Nacht auf dem Marktplatz unter den Lauben in trunkenem Zustand abgeohrfeigt. Eigentlich nicht einmal geohrfeigt, sondern ihm nur die Mütze vom Kopf gestoßen. Das hatte sich folgendermaßen zugetragen: Der Artillerieleutnant war in der Nacht unter den Lauben gestanden und hatte offenbar auf eine Prostituierte gewartet. Er stand mit dem Rücken zu dem Einjährigfreiwilligen, und dieser hatte geglaubt, einen bekannten Einjährigfreiwilligen, einen gewissen Materna Franz, vor sich zu haben.

»Der is grad so ein Knirps«, erzählte er Schwejk, »und so hab ich mich hübsch von hinten herangeschlichen und hab ihm die Mütze hinuntergehaut und gesagt: Servus, Franzl! Und der blöde Kerl hat gleich angefangen nach der Patrouille zu pfeifen, und die hat mich abgeführt!«

»Kann sein«, gab der Einjährigfreiwillige zu, »daß es bei dieser Balgerei ein paar Ohrfeigen gesetzt hat, aber ich denk, das ändert nichts an der Sache, weil es sich um einen aufgelegten Irrtum handelt. Er gibt selbst zu, daß ich gesagt hab: Servus, Franzl, und sein Taufname ist Anton. Das ist ganz klar. Mir kann höchstens schaden, daß ich aus dem Spital weggelaufen bin und wenn die Geschichte mit dem ›Krankenbuch‹ herauskommt.«

»Wie ich nämlich eingerückt bin«, fuhr er fort, »hab ich mir vor allem ein Zimmer in der Stadt gemietet und mich bemüht, mir einen Rheumatismus zuzulegen. Dreimal nacheinander hab ich mich besoffen und hab mich dann hinter der Stadt im Regen in den Straßengraben gelegt und die Stiefel ausgezogen. Es hat nichts genützt. Dann hab ich im Winter eine Woche lang in der Maltsch gebadet, hab aber das grade Gegenteil erzielt, Kamerad; ich hab mich so abgehärtet, daß ichs ausgehalten hab, in dem Haus, wo ich gewohnt hab, die ganze Nacht im Hof auf dem Schnee zu liegen, und früh, wenn mich die Hausleute geweckt haben, hab ich die Füße so warm gehabt, wie wenn ich Pantoffel angehabt hätt. Wenn ich wenigstens Angina bekommen hätt, aber es ist mir absolut nichts passiert. Ja nicht mal so einen dummen Tripper hab ich erwischt. Jeden Tag bin ich ins ›Port-Arthur‹ gegangen, einige Kollegen hatten sich schon Hodenentzündungen geholt, man hat ihnen die Eier geschnitten, und ich war und blieb immun. Pech, Kamerad, unchristliches Pech. Bis ich hier in der ›Rose‹ mit einem Invaliden aus Hluboká bekannt geworden bin. Der hat mir gesagt, ich soll einmal Sonntag zu ihm auf Besuch kommen, am nächsten Tag würde ich die Füße wie Kannen haben. Er hat die bewußte Nadel und Spritze gehabt, und ich bin wirklich kaum aus Hluboká nach Haus gekommen. Diese goldene Seele hat mich nicht enttäuscht. So hab ich endlich doch meinen Muskelrheumatismus erwischt.

Gleich ins Spital, und schon wars gut. Und dann hat mir das Glück zum zweitenmal gelächelt. Nach Budweis wurde mein Bauernschwager Doktor Masak aus Žižkov versetzt, und dem hab ichs zu verdanken, daß ich mich so lang im Spital gehalten hab. Er hätt es mit mir bis zur Superarbitrierungsvisit gebracht, aber ich hab mirs mit dem unglückseligen ›Krankenbuch‹ verdorben! Der Einfall war gut, ausgezeichnet. Ich hab mir ein großes Buch verschafft, hab ein Schild draufgeklebt und drauf geschrieben: ›Krankenbuch des 91. Reg.‹ Rubriken und alles war in Ordnung. Ich hab fingierte Namen hineingeschrieben, Temperaturen, Krankheiten, und jeden Tag nachmittags nach der Visit bin ich frech mit dem Buch unterm Arm in die Stadt gegangen. Im Tor haben Landwehrsoldaten Wache gehalten, so daß ich auch von dieser Seite vollständig sicher war. Ich zeig ihnen das Buch, und sie salutierten mir noch. Dann bin ich zu einem bekannten Beamten vom Steueramt gegangen, hab mich dort umgezogen und bin in Zivil ins Wirtshaus gegangen, wo wir in einer bekannten Gesellschaft allerhand hochverräterische Reden geführt haben. Später war ich schon so frech, daß ich mich nicht mal umgezogen hab und in Uniform in den Wirtshäusern und in der Stadt herumgegangen bin. Erst gegen früh bin ich in mein Bett ins Krankenhaus zurückgekehrt, und wenn die Patrouille mich angehalten hat, hab ich ihr mein Krankenbuch vom 91. Regiment gezeigt, und weiter hat mich niemand was gefragt. Im Tor des Spitals hab ich wieder stumm auf das Buch gezeigt, und auf irgendeine Art bin ich immer ins Bett gekommen. Meine Frechheit hat solche Dimensionen angenommen, daß ich gedacht hab, daß mir niemand etwas anhaben kann, bis es zu der verhängnisvollen Verwechslung auf dem Marktplatz unter den Lauben gekommen ist, zu jener Verwechslung, die klar bewiesen hat, daß nicht alle Bäume in den Himmel wachsen, Kamerad. Hochmut kommt vor dem Fall. Glück und Glas, wie leicht bricht das. Ikarus hat sich die Flügel verbrannt. Der Mensch möchte ein Gigant sein und ist ein Dreck, Kamerad. Man soll nicht an den Zufall glauben und soll sich früh und abend ohrfeigen, damit man nicht daran vergißt, daß Vorsicht die Mutter der Weisheit ist und daß allzuviel schadet. Nach Bacchanalien und Orgien stellt sich immer ein moralischer Katzenjammer ein. Das ist ein Naturgesetz, lieber Freund. Wenn ich bedenke, daß ich mir die Superarbitrierungsvisit verdorben hab! Daß ich hätte felddienstuntauglich werden können. So eine ungeheure Protektion! Ich hätt mich in der Kanzlei auf dem Ergänzungskommando herumspielen können, aber meine Unvorsichtigkeit hat mich zu Fall gebracht.«

Der Einjährigfreiwillige beendete seine Beichte mit den feierlichen Sätzen:

»Auch Karthago ist zerstört worden, aus Ninive hat man Ruinen gemacht, lieber Freund, aber Kopf hoch! Man soll nicht glauben, daß ich, wenn man mich an die Front schickt, einen Schuß abfeuern werde. Regimentsrapport! Aus der Schule ausgeschlossen! Der k. k. Kretinismus soll leben! Akkurat in der Schule werd ich ihnen sitzen und Prüfungen ablegen! Kadett, Fähnrich, Leutnant, Oberleutnant. Ich werd ihnen was scheißen! Offiziersschule, Behandlung jener Schüler, welche einen Jahrgang repetieren müssen! Militärparalyse. Trägt man das Gewehr auf der linken oder der rechten Schulter? Wieviel Sternchen hat ein Korporal? Evidenzhaltung. Militärreservisten! – Himmelherrgott, wir haben nichts zu rauchen, Kamerad. Wollen Sie, daß ich Sie auf den Plafond zu spucken unterrichte? Schaun Sie, das macht man so. Denken Sie sich etwas dabei, und Ihr Wunsch geht in Erfüllung. Wenn Sie gern Bier trinken, kann ich Ihnen ein großartiges Wasser dort im Krug empfehlen. Wenn Sie Hunger haben und mit Appetit essen wollen, empfehle ich Ihnen die ›Bürgerressource‹.Ein Nobelrestaurant. Ich kann Ihnen auch raten, aus Langweile Gedichte zu schreiben. Ich hab hier eine Epopöe verfaßt:

Ist der Profos da? Schlaft sie nicht, die brave Seele
Hier liegt der Schwerpunkt der Armee,
doch nur bevor aus Wien einlangen die Befehle,
daß wieder mal gelitten unser Renommee.
Da baut er gleich dem Feind zu Schaden,
aus unsern Pritschen Barrikaden,
Speichel rinnt dem wackern Sohne
aus dem Mund, wenn er sie eint:
Innig bleibt mit Habsburgs Throne
Österreichs Geschick vereint.«

»Sehn Sie, Kamerad«, fuhr der dicke Einjährigfreiwillige fort, »dann soll jemand sagen, daß unter dem Volk die Achtung vor unserm geliebten Monarchen ausstirbt. Ein gefangener Mann, der nichts zu rauchen hat und den der Regimentsrapport erwartet, liefert das schönste Beispiel der Anhänglichkeit an den Thron. Er bringt in seinen Liedern seinem weiteren, von allen Seiten bedrohten Vaterland eine Huldigung dar. Er ist der Freiheit beraubt, aber aus seinem Mund strömen Verse voll unerschütterlicher Ergebenheit. Morituri te salutant, Caesar! Die Toten grüßen dich, Kaiser, aber der Profos ist ein Schuft. Hast eine hübsche Dienerschaft in deinen Diensten. Vorgestern hab ich ihm fünf Kronen gegeben, er soll mir Zigaretten kaufen, und der Kerl, der elende, hat mir heute früh gesagt, daß man hier nicht rauchen darf, daß er damit Unannehmlichkeiten hätt und daß er mir die fünf Kronen zurückgeben wird, bis er die Löhnung bekommt. Ja, Kamerad, ich glaub heutzutage an nichts mehr. Die besten Wahrworte sind auf den Kopf gestellt. Arrestanten zu bestehlen! Und der Kerl singt zu allem noch den ganzen Tag. Wo man singt, da laß dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder! Halunke, Schuft, Schurke, Verräter!«

Der Einjährigfreiwillige richtete nun an Schwejk die Frage, was er angestellt habe.

»Das Regiment gesucht?« sagte er, »das ist eine hübsche Tour. Tabor, Mühlhausen, Kwětow, Wraz, Maltschin, Tschizowa, Sedletz, Horaždowitz, Radomyschl, Putim, Schtekno, Strakonitz, Wolyn, Ticha, Vodnan, Protiwin, Putim, Pisek, Budweis. Ein dorniger Weg. Auch Sie kommen morgen zum Regimentsrapport? Bruder, auf dem Richtplatz treffen wir einander also wieder. Da wird unser Oberst Schröder aber eine hübsche Freude haben. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie Regimentsaffären auf ihn wirken. Er fliegt auf dem Hof herum wie ein toller Bullenbeißer und steckt die Zunge heraus wie eine Schindmähre. Und seine Reden und Ermahnungen, und wie er dabei um sich herumspuckt, wie ein geiferndes Kamel. Und sein Gequatsch hat kein Ende, und man meint, daß im nächsten Augenblick die ganze Marienkaserne einstürzen muß. Ich kenn ihn gut, weil ich schon mal bei so einem Regimentsrapport war. Ich bin in hohen Stiefeln eingerückt, auf dem Kopf hab ich einen Zylinder gehabt, und weil mir der Schneider die Uniform nicht rechtzeitig geliefert hat, bin ich der Einjährigfreiwilligenschule sogar in hohen Stiefeln und im Zylinder auf den Exerzierplatz nachmarschiert und hab mich in Reih und Glied gestellt und bin mit den übrigen am linken Flügel marschiert. Oberst Schröder ist direkt auf mich zugeritten und hat mich beinahe zu Boden geworfen. ›Donnerwetter‹, hat er gebrüllt, daß mans bestimmt bis im Böhmerwald gehört hat, ›was machen Sie hier, Sie Zivilist?‹ Ich hab ihm höflich geantwortet, daß ich Einjährigfreiwilliger bin und mich an der Übung beteilige. Und da hätten Sie ihn sehen solln. Er hat eine halbe Stunde geredet, und dann erst hat er bemerkt, daß ich im Zylinder salutier. Da hat er nur noch gerufen, daß ich morgen zum Divisionsrapport kommen soll, und ist vor Wut weiß Gott bis wohin galoppiert wie der wilde Reiter und ist wieder zurückgetrabt, hat wieder von neuem gebrüllt und getobt, hat sich an die Brust geschlagen und hat Befehl gegeben, mich augenblicklich vom Exerzierplatz zu entfernen und auf die Hauptwache zu bringen. Beim Regimentsrapport hat er mir vierzehn Tage Regimentsarrest aufgebrummt, hat mich unmögliche Lumpen aus dem Magazin anziehn lassen und mir mit dem Abtrennen der Einjährigfreiwilligenstreifen gedroht.

»Einjährigfreiwillige«, hat dieser Idiot von einem Oberst getobt, »sind etwas Erhabenes, sie sind Embryos des Ruhms, militärische Chargen, Helden. Der Einjährigfreiwillige Wohltat, der nach überstandener Prüfung zum Korporal ernannt wurde, hat sich freiwillig an die Front gemeldet und hat fünfzehn Feinde gefangengenommen, und bei der Übergabe ist er von einer Granate zerrissen worden. Fünf Minuten später ist der Befehl eingetroffen, daß der Einjährigfreiwillige Wohltat zum Kadetten ernannt wird. Auch auf Sie würde eine so glänzende Zukunft, Avancement, Auszeichnungen warten, Ihr Name würde in das goldene Buch des Regiments eingetragen werden.«

Der Einjährigfreiwillige spuckte aus: »Sehen Sie, Kamerad, was für Rindviecher unter der Sonne geboren werden. Ich pfeif ihnen auf die Einjährigfreiwilligenstreifen und auf alle Privilegien: ›Einjährigfreiwilliger, Sie sind ein Vieh.‹ Wie hübsch das klingt: ›Sie sind ein Vieh‹ und nicht das ordinäre: ›Du bist ein Vieh.‹ Und nachdem Tod bekommt man das Signum laudis oder die große silberne Medaille: k. k. Leichenlieferanten mit Sternchen und ohne Sternchen. Um wieviel glücklicher ist jeder Ochs. Den erschlägt man auf der Schlachtbank und schleppt ihn nicht vorher auf den Exerzierplatz und zum Scharfschießen.«

Der dicke Einjährigfreiwillige wälzte sich auf die andere Seite und fuhr fort: »Das steht fest, daß das alles einmal explodieren muß und nicht ewig dauern kann. Versuchen Sie es, in ein Schwein Rum zu pumpen, es wird Ihnen zum Schluß doch explodieren. Wenn ich an die Front fahren würde, möchte ich auf den Viehwagen schreiben:

»Mit Menschengliedern düngen wird den Plan,
acht Pferde oder achtundvierzig Mann.«

Die Tür wurde geöffnet, und der Profos trat ein; er brachte eine Viertelportion Kommißbrot für beide und frisches Wasser.

Ohne sich vom Strohsack zu erheben, sprach der Einjährigfreiwillige den Profosen mit folgenden Worten an: »Wie erhaben und schön ist es, Arrestanten zu besuchen, heilige Agnes des 91. Regiments! Sei gegrüßt, Engel der Wohltätigkeit, dessen Herz voll Teilnahme ist. Du seufzest unter der Last eines Korbes mit Speisen und Getränken, unsere Leiden zu lindern. Niemals werde ich dir die uns erwiesenen Wohltaten vergessen. Du bist eine strahlende Erscheinung in unserm Kerker.«

»Beim Regimentsrapport werden Ihnen die Witze vergehn«, brummte der Profos.

»Blas dich nur nicht auf, du Hamster«, entgegnete von der Pritsche her der Einjährigfreiwillige, »sag uns lieber, was du tun würdest, wenn du zehn Einjährigfreiwillige einsperren solltest. Schau mich nicht so dumm an, Beschließer der Marienkaserne. – Du würdest zwanzig einsperren und zehn freilassen. Jesusmaria, wenn ich Kriegsminister wäre, du hättest bei mir einen Dienst! Kennst du den Lehrsatz, daß der Einfallswinkel gleich ist dem Ausfallswinkel? Um eins bitt ich dich nur: Zeig und gib mir einen festen Punkt im Weltall, und ich hebe die ganze Erde samt dir empor, du aufgeblasener Kerl!«

Der Profos wälzte die Augen heraus, schüttelte sich und schlug die Türe zu.

»Gegenseitiger Hilfsverein zur Vertilgung der Profosen«, sagte der Einjährigfreiwillige, die Brotportion gerecht in zwei Teile zerlegend, »nach § 16 der Gefängnisordnung sollen die Arrestanten in den Kasernen bis zum Urteil mit Militärmenage versorgt werden, aber hier herrscht das Gesetz der Prärie: Wer es den Arrestanten zuerst auffrißt!«

Sie saßen auf der Pritsche und nagten an dem Kommißbrot.

»Am Profosen kann man am besten sehn«, fuhr der Einjährigfreiwillige in seinen Betrachtungen fort, »wie der Krieg den Menschen verroht. Gewiß war unser Profos, bevor er den Militärdienst angetreten hat, ein junger Mann mit Idealen, ein blonder Cherub, sanft und gefühlvoll für jedermann, ein Verteidiger der Unglücklichen, für die er sich bei Raufereien um ein Mädl bei der Kirmes im heimatlichen Dorf immer eingesetzt hat. Es besteht kein Zweifel, daß ihn alle schätzten, aber heute – mein Gott, wie gern möchte ich ihm eins übers Maul geben, ihm den Kopf an die Pritsche schlagen, ihn kopfüber in die Latrine werfen. Auch das, lieber Freund, ist ein Beweis der vollständigen Verrohung beim Kriegshandwerk.«

Er begann zu singen:

»Hatte nicht mal Angst vor Teufeln,
da begegnet ihr ein Kanonier . . .«

»Lieber Freund«, setzte er seine Darlegungen fort, »wenn wir das alles im Maßstab unserer lieben Monarchie betrachten, gelangen wir unwiderruflich zu dem Schluß, daß es sich mit ihr genauso verhält wie mit dem Onkel Puschkins. Puschkin hat von ihm geschrieben, da der Onkel ein Scheusal sei, bleibe nichts übrig als:

»Seufzen und denken still für sich
wann holt der Teufel endlich dich!«

Von neuem ertönte das Rasseln von Schlüsseln, und der Profos zündete auf dem Gang die Petroleumlampe an.

»Ein Lichtstrahl in der Finsternis!« schrie der Einjährigfreiwillige. »Die Aufklärung dringt in die Armee! Gute Nacht, Herr Profos, grüßen Sie alle Chargen und lassen Sie sich etwas Hübsches träumen. Meinetwegen behalten Sie schon die fünf Kronen, die ich Ihnen für Zigaretten gegeben hab und die Sie auf meine Gesundheit vertrunken haben. Schlafen Sie süß, Ungeheuer.«

Man hörte, daß der Profos etwas vom morgigen Regimentsrapport brummte.

»Wieder allein«, sagte der Einjährigfreiwillige, »ich pflege die Zeit vor dem Einschlafen einem Vortrage über die tägliche Zunahme der zoologischen Kenntnisse der Unteroffiziere und Offiziere zu widmen. Um neues lebendes Kriegsmaterial und militärisch bewußte Bissen für die Rachen der Kanonen aus dem Boden zu stampfen, dazu braucht man gründliche Naturgeschichtsstudien oder das Buch ›Quellen des wirtschaftlichen Wohlstandes‹, Verlag Koči, wo sich auf jeder Seite das Wort Rindvieh, Schwein, Sau befindet. In der letzten Zeit sehen wir jedoch, daß unsere fortgeschrittenen Militärkreise neue Benennungen für die Rekruten einführen. Bei der 11. Kompanie benützt der Korporal Althof das Wort: Engadiner Ziege. Gefreiter Müller, ein deutscher Lehrer aus Bergreichenstein, nennt die Rekruten tschechische Stinktiere, Feldwebel Sondernummer nennt sie Ochsenfrösche, Yorkshire-Eber und verspricht dabei, daß er jeden Rekruten ausstopfen wird. Er sagt dies mit einer solchen fachmännischen Sachkenntnis, als stamme er aus einer Familie von Tierausstopfern. Alle militärischen Vorgesetzten bemühen sich, auf diese Weise die Liebe zur Heimat mit besonderen Hilfsmitteln einzuimpfen, als da sind Gebrüll und Gehops um die Rekruten, Kriegsgeheul, das an Wilde in Afrika erinnert, die sich anschicken, eine unschuldige Antilope abzuhäuten oder einen Missionärsschlegel zu braten, der dazu bestimmt ist, verspeist zu werden. Auf die Deutschen bezieht sich das allerdings nicht. Wenn Feldwebel Sondernummer etwas von ›Saubande‹ spricht, fügt er immer rasch hinzu ›tschechische‹, damit die Deutschen nicht beleidigt sind und es nicht auf sich beziehen. Dabei rollen alle Unteroffiziere bei der 11. Marschkompanie die Augen wie ein bedauernswerter Hund, der aus Freßgier einen in Öl getauchten Schwamm schluckt und ihn nicht aus dem Hals herausbekommen kann. Einmal habe ich ein Gespräch zwischen Gefreiten Müller und Korporal Althof gehört, das das weitere Vorgehn bei Ausbildung der Landsturmmänner betraf. In diesem Gespräch wurden Worte laut, wie: ein paar Ohrfeigen. Ich dachte ursprünglich, daß es zwischen ihnen zu einem Streit gekommen sei, daß die deutsche militärische Einheit in Brüche gehe, aber ich irrte mich bedeutend. Es handelte sich wirklich nur um die Soldaten.

›Wenn so ein tschechisches Schwein‹, belehrte Korporal Althof, ›nicht einmal nach dreißig »Nieder« wie eine Kerze gradstehen lernt, genügt es nicht, ihm nur paar übers Maul zu geben. Versetz ihm mit einer Hand, mit der Faust eins in den Bauch, mit der andern schlag ihm die Kappe über die Ohren und sag: »Kehrt euch!«, und wie er sich umdreht, gibst du ihm einen Fußtritt in den Hintern, und du wirst sehn, wie er sich strecken und wie Fähnrich Dauerling lachen wird.‹«

»Jetzt muß ich Ihnen etwas über diesen Dauerling sagen, Kamerad«, fuhr der Einjährigfreiwillige fort, »von ihm sprechen die Rekruten der 11. Kompanie, wie eine verlassene Großmutter auf einer Farm in der Nähe der mexikanischen Grenze von einem mexikanischen Banditen faselt. Dauerling hat den Ruf eines Menschenfressers, eines Anthropophagen aus einem australischen Stamme, der die Angehörigen anderer Stämme auffrißt, die ihm in die Hände fallen. Sein Lebenslauf ist glänzend. Bald nach der Geburt ist das Kindermädchen mit ihm gefallen, und der kleine Konrad Dauerling hat sich das Köpfchen angeschlagen, so daß heute an seinem Kopf ein Plateau zu sehen ist, wie wenn ein Komet an den Nordpol stößt. Alle zweifelten daran, daß etwas aus ihm werden würde, falls er diese Gehirnerschütterung überleben sollte; nur sein Vater, der Oberst, verlor nicht die Hoffnung und behauptete, daß ihm dies in keiner Weise schaden könne. Sollte sich doch der kleine Dauerling im Falle seiner Genesung, wie sich dies von selbst verstand, dem Soldatenberuf widmen.

Der kleine Dauerling ist nach einem fürchterlichen Kampf mit den vier Klassen der Unterrealschule, die er privat studierte, wobei einer seiner Hauslehrer vorzeitig ergraute und verblödete, während ein anderer aus Verzweiflung vom Stephansturm hinunterspringen wollte, in die Hainburger Kadettenschule gekommen. In der Kadettenschule wurde nie auf Vorbildung gesehen, denn die eignet sich meistens nicht für österreichische aktive Offiziere. Das militärische Ideal hat man immer im ›Soldatenspielen‹ gesehen. Bildung wirkt auf die Veredlung der Seele, und das kann man beim Militär nicht brauchen. Je gröber die Offiziere sind, desto besser.

Dauerling zeichnete sich als Kadettenschüler nicht einmal in den Gegenständen aus, die jeder Schüler recht und schlecht beherrscht. Auch in der Kadettenschule merkte man die Spuren des Anpralls, den Dauerlings Köpfchen in der Jugend erlitten hatte.

Seine Antworten bei den Prüfungen sprachen deutlich von dem Unglück und zeichneten sich durch solche Dummheit aus, daß sie wegen ihrer tiefen Dummheit und Verworrenheit als klassisch angesehen wurden und die Professoren der Kadettenschule ihn nicht anders nannten als ›unser braver Trottel‹. Seine Dummheit war so blendend, daß sie zu der Hoffnung berechtigte, er werde vielleicht nach einigen Jahrzehnten in die Theresianische Offiziersakademie oder ins Kriegsministerium gelangen.

Als der Krieg ausbrach und alle jungen Kadetten zu Fähnrichen befördert wurden, stand auf der Liste der Hainburger Beförderten auch Konrad Dauerling, auf diese Weise kam er zum 91. Regiment.«

Der Einjährigfreiwillige seufzte auf und fuhr in seiner Erzählung fort: »Im Verlage des Kriegsministeriums ist ein Buch erschienen ›Drill oder Erziehung‹, in dem Dauerling gelesen hat, daß man auf die Soldaten mit Furcht einwirken muß. Dem Grad der Furcht entspreche der Erfolg der Übungen. Und in dieser Tätigkeit hatte er immer Erfolg. Um nicht sein Geschrei anhören zu müssen, meldeten sich die Soldaten in ganzen Zügen zur Marodenvisit, was jedoch nicht von Erfolg gekrönt war. Wer sich marod meldete, bekam drei Tage ›Verschärften‹. Wissen Sie übrigens, was das ist, ›Verschärfter‹? Man jagt Sie den ganzen Tag auf dem Exerzierplatz umher, und über Nacht sperrt man Sie noch ein. So kam es, daß es bei der Kompanie Dauerlings keine Maroden gab. – Die ›Kompaniemaroden‹ saßen im Loch. Dauerling schlägt unausgesetzt auf dem Exerzierplatz jenen ungezwungenen Kasernenton an, der mit dem Worte ›Sau‹ beginnt und mit dem merkwürdigen zoologischen Rätsel ›Sauhund‹ endet. Dabei ist er sehr liberal. Er läßt den Soldaten die Freiheit der Entscheidung. Er sagt: ›Was willst du, Elefant, ein paar in die Nase oder drei Tage Verschärften?‹ Wählt jemand ›Verschärften‹, so bekommt er dazu noch zwei Hiebe in die Nase, was Dauerling mit folgender Erklärung begleitet: ›Du Feigling, du fürchtest dich um deinen Rüssel, was wirst du tun, bis die schwere Artillerie losgeht?‹

Als er einmal einem Rekruten ein Auge zerdroschen hatte, äußerte er sich: ›Pah, was für Geschichten mit so einem Kerl, er muß sowieso krepieren.‹ Das hat auch Feldmarschall Konrad von Hötzendorf gesagt: ›Die Soldaten müssen sowieso krepieren‹. Ein beliebtes und wirksames Mittel Dauerlings besteht darin, die tschechische Mannschaft zu einem Vortrag zu versammeln und von den militärischen Aufgaben Österreichs zu sprechen, wobei er die allgemeinen Grundsätze der militärischen Erziehung, angefangen von den Spangen bis zum Hängen und Erschießen, erörtert. Zu Beginn des Winters, bevor ich ins Krankenhaus kam, haben wir auf dem Exerzierplatz neben der 11. Kompanie geübt, und wie Rast war, hat Dauerling seinen tschechischen Rekruten folgende Rede gehalten:

›Ich weiß‹, legte er los, ›daß ihr Lumpen seid und daß man euch eure Verrücktheit aus dem Kopf schlagen muß. Mit eurem Tschechisch kommt ihr nicht mal bis untern Galgen. Unser allerhöchster Kriegsherr ist auch ein Deutscher. Hört ihr zu? Himmellaudon, nieder!‹

Alles macht ›Nieder‹, und wie sie so auf der Erde liegen, geht Dauerling vor ihnen auf und ab und sagt:

›»Nieder« bleibt »Nieder«, und wenn ihr euch, Bande, da in dem Kot zerschneiden möchtet. »Nieder« hat es schon im alten Rom gegeben; damals haben schon alle von 17 bis 60 Jahren einrücken müssen, und man hat 30 Jahre im Feld gedient und hat sich nicht wie Schweine herumgewälzt. Damals hat es auch eine einheitliche Armeesprache und ein Kommando gegeben. Das hätten sich die römischen Offiziere ausgebeten, daß die Mannschaft »etruskisch« gesprochen hätte. Ich will auch, daß ihr alle deutsch antwortet und nicht mit eurem Kauderwelsch. Seht ihr, wie hübsch sichs im Kot liegt, und jetzt denkt euch, daß jemand von euch keine Lust hätte, liegenzubleiben, und aufstehn tät. Was würde ich tun? Ich würde ihm das Maul bis zu den Ohren zerreißen, weil das eine Subordinationsverletzung ist, Meuterei, Widersetzlichkeit, Vergehen gegen die Pflichten eines ordentlichen Soldaten, Störung der Ordnung und Zucht, Mißachtung der dienstlichen Vorschriften überhaupt, woraus hervorgeht, daß auf so einen Kerl der Strick wartet und die »Verwirkung des Anspruchs auf Achtung seitens der Standesgenossen«.‹«

Der Einjährigfreiwillige verstummte und fuhr dann fort, nachdem er sich offenbar in der Pause das Thema der Schilderung der Verhältnisse in den Kasernen zurechtgelegt hatte:

»Es war unter Hauptmann Adamitschka, einem vollkommen apathischen Menschen. Wenn der in der Kanzlei saß, blickte er gewöhnlich ins Leere wie ein stiller Narr und hatte einen Ausdruck, als wollte er sagen: ›Freßt mich nur auf, Fliegen.‹ Weiß Gott, woran er beim Bataillonsrapport dachte. Einmal meldete sich zum Bataillonsrapport ein Soldat von der 11. Kompanie mit der Beschwerde, Fähnrich Dauerling habe ihn auf der Straße am Abend tschechisches Schwein geschimpft. In Zivil war er Buchbinder, ein selbstbewußter nationaler Arbeiter.

›Also so stehn die Dinge‹, sagte Hauptmann Adamitschka leise, denn er sprach immer sehr leise, ›das hat er Ihnen am Abend auf der Straße gesagt. Es muß festgestellt werden, ob Sie die Erlaubnis hatten, die Kaserne zu verlassen. Abtreten!‹

Einige Zeit danach ließ Hauptmann Adamitschka den Beschwerdeführer rufen.

›Es wurde festgestellt‹, sagte er wiederum so leise, ›daß Sie die Erlaubnis hatten, an diesem Tage bis zehn Uhr abends auszubleiben. Deshalb werden Sie nicht bestraft werden. Abtreten!‹

Von diesem Hauptmann hieß es später, er habe Sinn für Gerechtigkeit, lieber Kamerad, deshalb schickte man ihn ins Feld, und an seine Stelle kam Major Wenzl her. Das war ein Sohn des Teufels, soweit es sich um nationale Hetzereien handelte; der hat Fähnrich Dauerling den Pips genommen. Major Wenzl hat eine Tschechin zur Frau und hat die größte Angst vor nationalen Zwistigkeiten. Wie er vor Jahren als Hauptmann in Kuttenberg gedient hat, beschimpfte er einmal in der Trunkenheit den Ober in einem Hotel ›tschechische Bagage‹. Ich mache dabei darauf aufmerksam, daß Major Wenzl in Gesellschaft ebenso wie daheim ausschließlich tschechisch sprach und daß seine Söhne Tschechisch studieren. Es fiel ein Wort, und schon stands in der Lokalzeitung, und irgendein Abgeordneter brachte wegen des Verhaltens des Hauptmanns Wenzl im Hotel eine Interpellation im Wiener Parlament ein. Wenzl hatte davon große Unannehmlichkeiten, weil das gerade in die Zeit der parlamentarischen Bewilligung der Heeresvorlagen fiel, und da kommt ihnen grad so ein besoffener Hauptmann Wenzl aus Kuttenberg dazwischen.

Dann erfuhr Hauptmann Wenzl, daß ihm das alles der Kadettstellvertreter Zitek von der Einjährigfreiwilligenschule eingebrockt hatte. Der hatte den Vorfall in die Zeitung gegeben, denn zwischen ihm und Hauptmann Wenzl herrschte Feindschaft, seit Zitek in einer Gesellschaft in Anwesenheit Hauptmann Wenzls zu meditieren begonnen hatte, daß es genüge, sich in Gottes Natur umzusehen, zu beobachten, wie die Wolken den Horizont bedecken, wie am Horizont Berge emporragen und wie der Wasserfall in den Wäldern braust und die Vögel singen.

›Das genügt‹, sagte Kadettstellvertreter Zitek, ›um zu erkennen, was ein Hauptmann gegen die erhabene Natur bedeutet! Er ist genauso eine Null wie jeder Kadettstellvertreter.‹

Da damals alle Offiziere besoffen waren, wollte Hauptmann Wenzl den unglücklichen Philosophen Zitek verprügeln wie ein Pferd; diese Feindschaft steigerte sich, und der Hauptmann sekkierte Zitek, wo er konnte, um so mehr, weil der Ausspruch des Kadettstellvertreters Zitek zum geflügelten Worte wurde.

›Was ist Hauptmann Wenzl gegen die erhabene Natur?‹ das kannte man in ganz Kuttenberg.

›Ich werde den Lumpen zum Selbstmord treiben‹, sagte Hauptmann Wenzl – doch Zitek quittierte und fuhr fort, Philosophie zu studieren. Von damals datiert das Toben des Hauptmanns gegen junge Offiziere. Nicht einmal ein Leutnant ist vor seiner Raserei sicher – von Fähnrichen und Kadetten gar nicht zu reden.

›Ich werde ihn zerquetschen wie eine Wanze‹, sagte Hauptmann Wenzl, und wehe dem Fähnrich, der jemanden wegen einer Kleinigkeit vor den Bataillonsrapport brachte. Für Hauptmann Wenzl ist nur ein großes und furchtbares Vergehen maßgebend, zum Beispiel wenn jemand beim Pulverturm auf der Wache einschläft oder etwas noch Ärgeres anstellt, oder wenn ein Soldat in der Nacht über die Mauer der Marienkaserne klettert und auf der Mauer oben einschläft, sich in der Nacht von der Landwehr- oder Artilleriepatrouille fangen läßt, kurz etwas so Schreckliches anstellt, daß er dem Regiment Schande macht.

›Um Christi willen!‹ hörte ich ihn einmal auf dem Gang brüllen, ›da hat ihn also zum drittenmal die Landwehrpatrouille gefangen. Werft ihn gleich ins Loch, die Bestie, der Kerl muß vom Regiment weg, irgendwohin zum Train, damit er Mist fährt. Und er hat sich nicht mal mit ihnen gerauft! Das sind keine Soldaten, sondern Straßenkehrer! Zu fressen gebt ihm erst übermorgen, nehmt ihm den Strohsack fort und steckt ihn in den Einzelarrest, ohne Decke, Dreckkerl!‹

Jetzt stellen Sie sich vor, lieber Freund, daß dieser blöde Fähnrich Dauerling gleich nach seinem Eintreffen einen Mann zum Bataillonsrapport schickt, weil er ihn angeblich absichtlich nicht gegrüßt hat, als Dauerling Sonntag nachmittag mit einem Fräulein im Fiaker übern Marktplatz fuhr! Damals soll es, wie ein Unteroffizier erzählt hat, beim Bataillonsrapport ein wahres Jüngstes Gericht gegeben haben. Der Feldwebel der Bataillonskanzlei lief mit den Registern bis auf den Gang, und Major Wenzl brüllte Dauerling an:

›Das bitt ich mir aus, Himmeldonnerwetter, das verbitt ich mir. Wissen Sie, Herr Fähnrich, was ein Bataillonsrapport ist? Ein Bataillonsrapport ist kein Schweinefest! Wie hat er Sie sehen können, wenn Sie über den Marktplatz gefahren sind? Haben Sie nicht gelernt, daß man die Ehrenbezeigung Vorgesetzten leistet, denen man begegnet? Das bedeutet nicht, daß sich ein Soldat herumdrehen muß wie ein Rabe, um einen Herrn Fähnrich zu erspähen, der auf dem Marktplatz spazierenfährt. Schweigen Sie, ich bitt Sie. Der Bataillonsrapport ist eine sehr ernste Einrichtung. Wenn der Soldat Ihnen schon gesagt hat, daß er Sie nicht gesehen hat, weil er auf dem Korso grad zu mir gewendet, verstehn Sie, mir, Major Wenzl, die Ehrenbezeigung geleistet hat und nicht nach hinten auf den Fiaker schaun konnt, in dem Sie gesessen sind, so muß man das dem Mann, denk ich, glauben. Nächstens bitt ich, mich nicht mit solchen Kleinigkeiten zu belästigen.‹

Seit dieser Zeit hat sich Dauerling geändert.«

Der Einjährigfreiwillige gähnte: »Wir müssen uns vor dem Regimentsrapport ausschlafen. Ich wollte Ihnen nur sagen, wie es beiläufig beim Regiment ausschaut. Oberst Schröder kann Major Wenzl nicht leiden, er ist überhaupt eine komische Spinne. Hauptmann Sagner, der die Einjährigfreiwilligenschule kommandiert, sieht in Schröder den wahren Typus des Soldaten, obwohl sich Oberst Schröder vor nichts so sehr fürchtet wie davor, ins Feld zu gehn. Sagner ist ein mit allen Salben geriebener Kerl und kann, ebenso wie Schröder, die Reserveoffiziere nicht ausstehn. Er nennt sie Zivilstinker. Die Einjährigfreiwilligen betrachtet er wie wilde Tiere, aus denen man militärische Maschinen machen, ihnen Sternchen annähen und sie an die Front schicken muß, damit man sie statt der edlen aktiven Offiziere vernichtet, die für die Rasse erhalten werden müssen.«

»Überhaupt«, sagte der Einjährigfreiwillige, während er sich die Decke über den Kopf zog, »stinkt alles in der Armee nach Fäulnis. Bis jetzt sind die bestürzten Massen noch nicht zur Besinnung gekommen. Mit herausgewälzten Augen lassen sie sich zu Nudeln zerhacken, und wenn einen eine Kugel trifft, flüstert er nur: ›Mutter . . .‹ Es gibt keine Helden, sondern Schlachtvieh und Fleischer in den Generalstäben. Aber zum Schluß wird alles meutern, und das wird eine hübsche Schweinerei werden. Es lebe die Armee! Gute Nacht!«

Der Einjährigfreiwillige verstummte, begann dann sich unter der Decke herumzuwerfen und fragte:

»Schlafen Sie, Kamerad?«

»Nein«, antwortete Schwejk auf dem zweiten Kavallett, »ich denk nach.«

»Worüber denken Sie nach, Kamerad?«

»Über die große silberne Tapferkeitsmedaille, die ein Tischler aus der Wawragasse in der Königlichen Weinberge gekriegt hat, ein gewisser Mlitschko, weil er der erste war, dem bei seinem Regiment zu Kriegsbeginn eine Granate ein Bein abgerissen hat. Er hat ein künstliches Bein bekommen und hat angefangen, sich überall mit seiner Medaille patzig zu machen und hat gesagt, daß er überhaupt der erste und allererste Krippel vom Regiment im Krieg is. Einmal is er ins ›Apollo‹ auf der Weinberge gekommen, und dort is er mit den Fleischern von der Schlachtbank in Streit geraten, sie ham ihm zum Schluß das künstliche Bein abgerissen und ihm damit eins übern Kopf gegeben. Der, was er ihm abgerissen hat, hat nicht gewußt, daß es ein künstliches Bein is, und is vor Schreck ohnmächtig geworn. Auf der Wachstube ham sie Mlitschko das Bein wieder angemacht, aber seit der Zeit hat Mlitschko Wut auf seine große silberne Tapferkeitsmedaille gekriegt und is sie ins Versatzamt versetzen gegangen, und dort ham sie ihn samt der Medaille festgenommen. Er hat draus Scherereien gehabt, und es gibt irgendein besonderes Ehrengericht für Kriegsinvalide, und das hat ihn dazu verurteilt, daß man ihm die silberne Medaille genommen hat, und dann hat man ihn noch zum Verlust des Beines verurteilt . . .«

»Wieso?«

»Sehr einfach. Nämlich eines Tages is eine Kommission zu ihm gekommen und hat ihm mitgeteilt, daß er nicht wert is, ein künstliches Bein zu tragen, so ham sies ihm abgenommen und weggetragen.«

»Oder«, fuhr Schwejk fort, »is es auch ein großer Jux, wenn die Hinterbliebenen nach jemandem, was im Krieg gefalln is, auf einmal so eine Medaille kriegen mit der Zuschrift, daß man ihnen diese Medaille verleiht, damit sie sie irgendwo auf einen bedeutungsvollen Platz aufhängen. In der Božetěchgasse am Wyschehrad hat ein aufgeregter Vater, was gedacht hat, daß sich die Ämter einen guten Tag aus ihm machen, diese Medaille aufn Abort gehängt, und ein Polizist, was diesen Abort auf der Pawlatsch mit ihm zusamm gehabt hat, hat ihn wegen Hochverrat angezeigt, und so hat sichs der arme Kerl davongetragen.«

»Daraus geht hervor«, sagte der Einjährigfreiwillige, »daß Glück und Glas leicht brechen. Jetzt hat man in Wien das »Tagebuch eines Einjährigfreiwilligen« herausgegeben, und dort steht der bezaubernde Vers:

›Es war einmal ein braver Einjähriger,
der fiel für seinen König auf dem Feld,
sein Tod machte die Kameraden fähiger,
auch ihrerseits zu sterben wie ein Held.
Schon tragen sie den Leib auf der Lafette,
auf seine Brust der Hauptmann einen Orden gab,
Gebete steigen auf zum Himmel um die Wette,
und heiße Tränen fallen auf das Heldengrab.‹«

»Mir scheint«, sagte der Einjährigfreiwillige nach einer kurzen Pause, »daß der kriegerische Geist bei uns verfällt, ich schlage vor, lieber Freund, daß wir mal in der nächtlichen Finsternis, in der Stille unseres Kerkers das Lied vom Kanonier Jaburek singen. Das stärkt den kriegerischen Geist. Aber wir müssen brüllen, damit man es in der ganzen Marienkaserne hört. Ich schlage deshalb vor, daß wir uns zur Türe stellen.«

Und aus dem Arrest ertönte bald darauf ein Gebrüll, das auf dem Gang die Fenster zum Zittern brachte:

»Bei der Kanone dort,
lud er in einem fort.
Bei der Kanone dort,
lud er in einem fort.

Eine Kugel kam behende,
riß vom Leib ihm beide Hände,
und er stand weiter dort,
lud er in einem fort.
Bei der Kanone dort,
lud er in einem fort.«

Auf dem Hof ließen sich Schritte und Stimmen vernehmen.

»Das ist der Profos«, sagte der Einjährigfreiwillige, »Leutnant Pelikan, der heute Dienst hat, geht mit ihm. Er ist Reserveoffizier, ein Bekannter von mir aus der ›Tschechischen Ressource‹,Prager Restaurant. in Zivil ist er Versicherungsmathematiker. Von dem bekommen wir Zigaretten. Lassen wir uns nicht stören.«

Und es ertönte abermals: »Bei der Kanone dort . . .«

Als die Türe sich öffnete, sagte der durch die Anwesenheit des diensthabenden Offiziers augenscheinlich aufgeregten Profos scharf:

»Hier ist keine Menagerie!«

»Pardon«, entgegnete der Einjährigfreiwillige, »hier ist eine Filiale des Rudolfinums, ein Konzert zugunsten der Arrestanten. Die erste Programmnummer ›Kriegssymphonie‹ ist gerade beendet.«

»Lassen Sie das«, sagte Leutnant Pelikan zum Scheine streng, »ich glaube, Sie wissen, daß Sie nach neun Uhr zu schlafen haben und keinen Lärm machen solln. Ihre Konzertnummer ist bis auf den Ringplatz zu hören.«

»Melde gehorsamst, Herr Leutnant«, sagte der Einjährigfreiwillige, »daß wir uns nicht gebührend vorbereitet haben, und wenn vielleicht eine Disharmonie . . .«

»Das macht er jeden Abend«, bemühte sich der Profos, gegen seinen Feind zu hetzen, »er benimmt sich überhaupt sehr unintelligent.«

»Bitte, Herr Leutnant«, sagte der Einjährigfreiwillige, »ich möchte mit Ihnen unter vier Augen sprechen. Lassen Sie den Profos vor der Tür warten.«

Als dieser Wunsch erfüllt war, sagte der Einjährigfreiwillige vertraulich:

»Also gib Zigaretten her, Franz.«

»Sport? Du als Leutnant hast nichts Besseres? Vorläufig dank ich dir. Noch Streichhölzchen.«

»Sport«, sagte der Einjährigfreiwillige verächtlich, nachdem der Leutnant gegangen war, »auch in der Not soll man vornehm sein. Rauchen Sie, Kamerad? Morgen erwartet uns das Jüngste Gericht.«

Ehe der Einjährigfreiwillige einschlief, vergaß er nicht zu singen:

»Berge, Täler und Felsen, die sind mein liebstes Gut,
doch sie können nicht ersetzen, was ich muß verschmerzen,
mein blondes Mägdelein . . .«

Wenn der Einjährigfreiwillige Oberst Schröder als ein Ungetüm geschildert hatte, so war er im Irrtum; denn Oberst Schröder besaß teilweise Sinn für Gerechtigkeit; nach den Nächten, in denen sich Oberst Schröder in der Gesellschaft, mit der er die Abende im Hotel verbrachte, gut amüsiert hatte, trat sein Gerechtigkeitssinn deutlich zutage. Und wenn er sich nicht amüsiert hatte?

Während der Einjährigfreiwillige diese vernichtende Kritik der Verhältnisse in der Kaserne vom Stapel ließ, saß Oberst Schröder im Hotel in einer Gesellschaft von Offizieren. Er hörte zu, wie Oberleutnant Kretschmann, der mit einem wunden Fuß aus Serbien zurückgekehrt war (eine Kuh hatte ihn gestoßen), erzählte, daß er von seinem Stab aus den Angriff auf die serbischen Positionen mitangesehen hatte.

»Ja, nun stürzen sie aus den Schützengräben. Auf der ganzen Linie von zwei Kilometern kriechen sie über die Drahtverhaue und werfen sich auf den Feind, Handgranaten hinter dem Gürtel, Masken, Gewehre über die Schulter, schußfertig, stoßbereit. Die Kugeln pfeifen. Ein Soldat, der aus dem Schützengraben gesprungen ist, fällt, der zweite fällt auf dem aufgeworfenen Wall, der dritte fällt nach einigen Schritten, aber die Leiber der Kameraden stürmen vorwärts, mit Hurrarufen, vorwärts in Rauch und Staub. Und der Feind feuert von allen Seiten, aus den Schützengräben, aus den Granattrichtern, zielt auf uns mit den Maschinengewehren. Wieder fallen Soldaten. Ein Schwarm will zu den feindlichen Maschinengewehren gelangen. Sie fallen. Aber die Kameraden sind bereits vorn. Hurra! Ein Offizier fällt. Man hört nicht mehr die Infanteriegewehre, etwas Furchtbares bereitet sich vor. Wieder fällt ein ganzer Schwarm, und man hört die feindlichen Maschinengewehre: Ratatata. Da fällt . . . Ich, verzeihn Sie, ich kann nicht mehr weiter, ich bin betrunken . . .«

Und der Offizier mit dem wunden Fuß verstummte und blieb stumpf auf dem Stuhl sitzen. Oberst Schröder lächelte huldvoll und hörte zu; wie ihm gegenüber Hauptmann Spiro mit der Faust auf den Tisch schlug, als wollte er einen Streit beginnen, wobei er etwas wiederholte, was keinen Sinn hatte und woraus absolut nicht hervorging, was es eigentlich bedeuten sollte und was er damit sagen wollte:

»Überlegen Sie gut, bitte! Wir haben österreichische Landwehrulanen unter den Waffen, österreichische Landwehrmänner, bosnische Jäger, österreichische Jäger, österreichische Infanteristen, ungarische Infanteristen, Tiroler Kaiserschützen, bosnische Infanteristen, magyarische Honvédinfanterie, ungarische Husaren, Landwehrhusaren, berittene Jäger, Dragoner, Artilleristen, den Train, Pioniere, die Sanität, Matrosen. Verstehn Sie? Und Belgien? Das erste und zweite Aufgebot der Armee bildet die Operationsarmee, das dritte Aufgebot versieht den Dienst in ihrem Rücken . . .«

Hauptmann Spiro schlug mit der Faust auf den Tisch: »Die Landwehr versieht den Dienst im Lande in der Friedenszeit.«

Ein junger Offizier neben ihm war eifrig bemüht, den Oberst von seiner militärischen Härte zu überzeugen, und sagte sehr laut zu seinem Nachbarn: »Tuberkulöse Menschen muß man an die Front schicken, es tut ihnen gut, und dann ist es besser, es fallen Kranke als Gesunde.«

Der Oberst lächelte. Aber plötzlich wurde er traurig, wandte sich an Major Wenzl und sagte: »Mich wundert, daß uns Oberleutnant Lukasch meidet; seit er angekommen ist, ist er noch nicht einmal in unsere Gesellschaft gekommen.«

»Er schreibt Gedichte«, ließ sich Hauptmann Sagner höhnisch vernehmen, »kaum ist er angekommen, hat er sich in Frau Ingenieur Schreiber verliebt, die er im Theater kennengelernt hat.«

Der Oberst blickte düster vor sich hin: »Er kann angeblich Couplets singen?«

»Schon in der Kadettenschule hat er uns sehr gut mit Couplets unterhalten«, erwiderte Hauptmann Sagner, »und Anekdoten kennt er, ein Vergnügen, sag ich euch. Warum er nicht in unsere Gesellschaft kommt, weiß ich nicht.«

Der Oberst schüttelte traurig den Kopf: »Heutzutage besteht keine wahre Kameradschaft mehr unter uns. Ich erinner mich, wie sich früher jeder von uns Offizieren bemüht hat, im Kasino mit irgend etwas zur Unterhaltung beizutragen. Einer, ich erinner mich ganz genau, ein gewisser Oberleutnant Dankl, hat sich nackt ausgezogen, hat sich auf den Fußboden gelegt, hat sich den Schwanz von einem Hering in den Hintern gesteckt und eine Meerjungfrau gespielt. Ein anderer, Leutnant Schleißner, konnte die Ohren spitzen und wiehern wie ein Hengst, das Miauen einer Katze und das Summen einer Hummel nachmachen. Ich erinner mich auch an Hauptmann Skoday. Der hat immer, wann wir wollten, Weiber ins Kasino gebracht, es waren drei Schwestern, und er hat sie dressiert gehabt wie Hunde. Er hat sie auf den Tisch gestellt, und sie haben sich vor uns im Takt ausgezogen. Er hat einen kleinen Taktstock gehabt, und alle Ehre, er war ein ausgezeichneter Kapellmeister. Und was er mit ihnen am Kanapee aufgeführt hat! Einmal hat er eine Wanne mit warmem Wasser mitten ins Zimmer bringen lassen, und wir haben einer nach dem anderen mit den Mädeln baden müssen, und er hat uns fotografiert.«

Bei dieser Erinnerung lächelte Oberst Schröder glückselig.

»Und was für Wetten wir in der Wanne abgeschlossen haben«, fuhr er widerlich schmatzend und auf dem Stuhl hin und her rückend fort, »aber heutzutage? Ist das eine Unterhaltung? Nicht mal dieser Coupletsänger zeigt sich. Nicht mal trinken können heutzutage die jungen Offiziere. Es ist noch nicht zwölf Uhr, und wie Sie sehn, sind schon fünf Betrunkene am Tisch. Es hat Zeiten gegeben, wo wir zwei Tage gesessen sind, und je mehr wir getrunken haben, desto nüchterner waren wir, und dabei haben wir ununterbrochen Bier, Wein, Likör in uns hineingegossen. Heutzutage gibts keinen wahren militärischen Geist mehr. Weiß der Teufel, was die Ursache ist. Kein Witz, nur lauter solche Redereien ohne Ende. Hören Sie nur zu, wie man dort unten am Tisch über Amerika spricht.«

Vom andern Ende des Tisches ließ sich eine Stimme vernehmen: »Amerika kann sich nicht in den Krieg einmengen. Die Amerikaner und Engländer sind bis aufs Messer verfeindet. Amerika ist nicht auf einen Krieg vorbereitet.«

Oberst Schröder seufzte: »Das ist das Gewäsch der Reserveoffiziere. Die hat uns der Teufel auf den Hals gehetzt. So ein Mensch hat noch gestern irgendwo in einer Bank geschrieben oder Tüten gedreht und Gewürz, Zimt und Stiefelputzmittel verkauft oder den Kindern in der Schule erzählt, daß der Hunger die Wölfe aus den Wäldern treibt, und heute möcht er sich mit den aktiven Offizieren messen, alles verstehn und in alles die Nase hineinstecken. Und wenn wir aktive Offiziere bei uns haben, wie Oberleutnant Lukasch, dann kommt der Herr Oberleutnant nicht in unsere Gesellschaft.«

Oberst Schröder ging schlecht gelaunt nach Hause, und als er am Morgen erwachte, war seine Laune noch schlechter; in der Zeitung, die er im Bette las, fand er nämlich in den Berichten vom Kriegsschauplatz einigemal den Satz, daß unsere Truppen auf die bereits vorher vorbereiteten Stellungen zurückgeführt worden seien. Das waren glorreiche Tage der österreichischen Armee, die den Tagen von SchabatzStadt in Serbien; zwischen 1914 und 1915 wiederholt mit wechselndem Erfolg umkämpft. wie ein Ei dem andern glichen.

Und unter diesem Eindruck schritt Oberst Schröder um zehn Uhr früh zu jener Amtshandlung, die der Einjährigfreiwillige vielleicht richtig als »Jüngstes Gericht« bezeichnet hatte.

Schwejk und der Einjährigfreiwillige standen auf dem Hof und warteten auf den Oberst. Die Chargen, der diensthabende Offizier, der Regimentsadjutant und der Feldwebel aus der Regimentskanzlei mit den Akten der Schuldigen, derer die Axt der Gerechtigkeit harrte, waren bereits da.

Endlich erschien der düster dreinblickende Oberst in Begleitung Hauptmann Sagners aus der Einjährigfreiwilligenschule, der nervös mit der Peitsche auf die Schäfte seiner hohen Stiefel schlug.

Den Rapport entgegennehmend, schritt er einigemal unter Grabesstille um Schwejk und den Einjährigfreiwilligen herum, die »Rechts schaut!« oder »Links schaut!« machten, je nachdem, auf welchem Flügel sich der Oberst gerade befand. Sie taten dies mit ungewöhnlicher Gründlichkeit, so daß sie sich beinahe die Hälse verrenkten, weil es hübsch lange dauerte.

Endlich blieb der Oberst vor dem Einjährigfreiwilligen stehen, der meldete: »Einjährigfreiwilliger.«

»Ich weiß«, sagte der Oberst kurz, »ein Auswurf der Einjährigfreiwilligen. Was sind Sie in Zivil? Student der klassischen Philosophie? Also ein besoffener Intelligenzler . . .«

»Herr Hauptmann«, rief er Sagner zu, »führen Sie die ganze Einjährigfreiwilligenschule her.«

»Versteht sich«, sprach er weiter zu dem Einjährigfreiwilligen, »ein Student der klassischen Philosophie, mit dem sich unsereins beschmutzen muß. Kehrt euch! Das hab ich gewußt. Mantelfalten in Unordnung. Wie wenn er von einer Hure käm oder sich im Bordell herumgewälzt hätt. Ich werde Sie lehren, Bürscherl.«

Die Einjährigfreiwilligenschule betrat den Hof.

»Karree!« kommandierte der Oberst. Sie umspannten die Angeklagten und den Oberst in einem engen Quadrat.

»Schaun Sie sich diesen Mann an«, brüllte der Oberst, mit der Peitsche auf den Einjährigfreiwilligen weisend, »er hat die Ehre der Einjährigfreiwilligen versoffen, aus denen ein Kader ordentlicher Offiziere erzogen werden soll, damit sie die Mannschaft zum Ruhm auf dem Schlachtfeld führen. Aber wohin würde der da, dieser Saufbold, seine Mannschaft führen? Aus einem Wirtshaus ins andere. Allen ausgefaßten Rum möchte er der Mannschaft austrinken. Können Sie etwas zu Ihrer Entschuldigung sagen? Nein. Schaun Sie sich ihn an. Er kann nicht einmal etwas zu seiner Entschuldigung sagen, und in Zivil studiert er klassische Philosophie. Wirklich ein klassischer Fall.«

Der Oberst brachte die letzten Worte bedeutungsvoll langsam vor und spuckte aus: »Ein klassischer Philosoph, der in der Trunkenheit Offizieren in der Nacht die Mützen vom Kopf schlägt. Mensch! Noch ein Glück, daß es nur ein Artillerieoffizier war.«

In den letzten Worten gipfelte aller Haß des 91. Regimentes gegen die Artilleristen in Budweis. Wehe dem Artilleristen, der des Nachts in die Hände der Patrouille des Regimentes fiel und umgekehrt. Der Haß war fürchterlich, unversöhnlich. Vendetta und Blutrache, die sich von Jahrgang zu Jahrgang vererbte, auf beiden Seiten von traditionellen Histörchen begleitet. Entweder hatten die Infanteristen die Artilleristen in die Moldau geworfen oder umgekehrt. Oder sie hatten sich im »Port-Arthur«, bei der »Rose« und in vielen anderen Vergnügungslokalen der südtschechischen Metropole gerauft.

»Nichtsdestoweniger«, fuhr der Oberst fort, »muß so eine Sache exemplarisch bestraft werden, der Kerl muß aus der Einjährigfreiwilligenschule ausgeschlossen, moralisch vernichtet werden. Wir haben schon genug solche Intelligenzler in der Armee. Regimentskanzlei!«

Der Feldwebel aus der Regimentskanzlei näherte sich ernst mit Akten und Bleistift.

Es herrschte Stille wie in einem Gerichtssaal, wo man Mörder richtet und wo der Vorsitzende des Gerichtes sagt: »Vernehmen Sie das Urteil.«

Und mit ebensolcher Stimme verkündete der Oberst: »Einjährigfreiwilliger Marek wird bestraft mit 21 Tagen verschärften Arrestes und nach Verbüßung der Strafe zum Kartoffelkratzen in der Küche.«

Zu der Einjährigfreiwilligenschule gewendet gab der Oberst den Befehl zum Abtreten. Man hörte, wie sich die Einjährigen schnell in Viererreihen formierten und entfernten, wobei der Oberst Hauptmann Sagner sagte, es klappe nicht, er solle mit ihnen auf dem Hof nachmittags die Marschschritte wiederholen.

»Das muß donnern, Herr Hauptmann. Und noch etwas. Beinahe hätte ich vergessen. Sagen Sie ihnen, daß die ganze Einjährigfreiwilligenschule fünf Tage Kasernarrest hat, damit sie nie an ihren gewesenen Kollegen, diesen Lumpen Marek, vergißt.«

Und der Lump Marek stand neben Schwejk und sah ganz zufrieden aus. Besser hätte es gar nicht ausfallen können. Es ist entschieden besser, in der Küche Kartoffeln zu kratzen, Knödel zu drehen und Rippen abzunehmen, als mit vollen Hosen unter dem orkanartigen Feuer des Feindes zu brüllen: »Einzeln abfallen! Bajonett auf!«

Als Oberst Schröder von Hauptmann Sagner zurückkehrte, blieb er vor Schwejk stehen und betrachtete ihn aufmerksam. Schwejks Gestalt wurde in diesem Augenblick durch sein volles, lächelndes Gesicht repräsentiert, das große, unter der in die Stirn gedrückten Mütze hervorschauende Ohren abgrenzten. Sein ganzes Äußere machte den Eindruck vollständiger Sicherheit und Unkenntnis irgendeiner Schuld. Seine Augen fragten: »Bitte, kann ich für etwas?«

Und der Oberst faßte seine Beobachtung in der Frage zusammen, die er an den Feldwebel der Regimentskanzlei richtete: »Blöd?«

Und da sah der Oberst, wie der Mund des gutmütigen Gesichtes vor ihm sich öffnete:

»Melde gehorsamst, Herr Oberst, blöd«, antwortete Schwejk für den Feldwebel.

Oberst Schröder winkte dem Adjutanten und trat mit ihm zur Seite. Dann riefen sie den Feldwebel und prüften mit ihm das Material über Schwejk.

»Aha«, sagte Oberst Schröder, »das ist also der Putzer von Oberleutnant Lukasch, der ihm seinem Rapport zufolge in Tabor verlorengegangen ist. Ich denke, die Herren Offiziere sollten sich ihre Putzer selbst erziehen. Wenn sich Herr Oberleutnant Lukasch schon so einen notorischen Blödian als Putzer ausgesucht hat, soll er sich selbst mit ihm ärgern. Er hat dazu genug freie Zeit, wenn er nirgends hingeht. Daß Sie ihn auch noch nie in unserer Gesellschaft gesehn haben? Na also, sehn Sie. Er hat also genug Zeit, sich seinen Diener selbst zu dressieren.«

Oberst Schröder trat zu Schwejk, und während er dessen gutmütiges Gesicht betrachtete, sagte er: »Blödes Vieh. Sie haben drei Tage Verschärften, und bis Sie sichs abgesessen haben, melden Sie sich beim Oberleutnant Lukasch.«

So traf Schwejk abermals mit dem Einjährigfreiwilligen im Regimentsarrest zusammen, und Oberleutnant Lukasch hatte Anlaß, sich ungemein zu freuen, als Oberst Schröder ihn rufen ließ, um ihm zu sagen: »Herr Oberleutnant. Etwa eine Woche nach Ihrer Ankunft beim Regiment haben Sie mir ein Ansuchen betreffs der Zuweisung eines Putzers überreicht, weil Ihr Bursch auf dem Bahnhof in Tabor verlorengegangen ist. Da er zurückgekehrt ist . . .«

»Herr Oberst . . .«, ließ sich Oberleutnant Lukasch bittend vernehmen.

»Ich habe mich entschlossen«, fuhr der Oberst mit Nachdruck fort, »ihn auf drei Tage einzukasteln, und dann schick ich ihn wieder zu Ihnen . . .«

Oberleutnant Lukasch taumelte niedergeschmettert aus der Regimentskanzlei.

Während der drei Tage, die Schwejk in Gesellschaft des Einjährigfreiwilligen Marek verbrachte, unterhielt er sich sehr gut. Jeden Abend veranstalteten beide auf den Pritschen patriotische Kundgebungen.

Am Abend erscholl es immer aus dem Arrest: »Gott erhalte, Gott beschütze« und »Prinz Eugen, der edle Ritter«. Sie sangen auch eine ganze Reihe von Soldatenliedern, und wenn der Profos kam, ertönte es zu seiner Begrüßung:

»Unserem guten Profosen
soll niemals was zustoßen,
den soll mal erst der Teufel
selbst aus der Hölle holen.
Der kommt mit einem Wagen,
wird an die Wand ihn schlagen,
und die Teufel in der Hölle
heizen mit ihm ein . . .«

Und über die Pritsche zeichnete der Einjährigfreiwillige den Profosen, und darunter schrieb er den Text des alten Liedes:

»Als ich nach Prag ging, um Blutwurst zu kaufen,
kam mir ein Hanswurst entgegengelaufen.
Es war kein Hanswurst, 's war ein Profos,
wär ich nicht weggerannt, ich war in der Soß.«

Und während sie beide den Profosen so reizten, wie man in Sevilla einen andalusischen Stier mit einem roten Tuch reizt, wartete Oberleutnant Lukasch ängstlich auf das Erscheinen Schwejks und auf seine Meldung über den Wiederantritt des Dienstes.


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