Jarosav Hasek
Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Jarosav Hasek

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4. Neue Leiden

Oberst Schröder beobachtete wohlgefällig das bleiche Gesicht Oberleutnant Lukaschs, der große Ringe unter den Augen hatte; in seiner Verlegenheit blickte der Oberleutnant nicht auf den Oberst, sondern schaute verstohlen, als studiere er etwas, auf den Plan der Dislokation der Mannschaft im Militärlager, der den einzigen Schmuck der Kanzlei des Obersten bildete.

Vor Oberst Schröder auf dem Tisch lagen einige Zeitungen und blau angestrichene Artikel, die der Oberst nochmals flüchtig überflog, worauf er Oberleutnant Lukasch anblickte und sagte:

»Sie wissen also schon, daß sich Ihr Bursche Schwejk in Haft befindet und aller Wahrscheinlichkeit nach dem Divisionsgericht eingeliefert werden wird?«

»Jawohl, Herr Oberst.«

»Damit«, sagte der Oberst nachdrücklich, indem er sich an dem bleichen Gesicht Oberleutnant Lukaschs weidete, »ist freilich die Angelegenheit nicht beendet. Es steht fest, daß die hiesige Öffentlichkeit durch den Vorfall mit Ihrem Burschen beunruhigt ist, und die Affäre wird auch mit Ihrem Namen in Zusammenhang gebracht, Herr Oberleutnant. Vom Divisionskommando wurde uns schon diverses Material eingesandt. Wir haben hier einige Zeitungen, die sich mit dem Fall beschäftigen. Sie können mir die Stellen vorlesen.«

Er reichte Oberleutnant Lukasch einige Zeitungen mit angestrichenen Artikeln, die dieser mit monotoner Stimme zu lesen begann, als lese er in einem Lesebuch den Satz: »Der Honig ist viel nahrhafter und leichter verdaulich als der Zucker.«

»Wo liegt die Garantie für unsere Zukunft?«

»Ist das der ›Pester Lloyd‹?« fragte der Oberst.

»Jawohl, Herr Oberst«, antwortete Oberleutnant Lukasch und fuhr fort zu lesen: »Die Kriegführung erfordert die Mitarbeit aller Schichten der Bevölkerung der österreichisch-ungarischen Monarchie. Wenn wir den Staat gesichert wissen wollen, müssen alle Nationen einander gegenseitig unterstützen. Die Garantie unserer Zukunft liegt gerade in der spontanen Achtung, die eine Nation vor der andern empfindet. Die größten Opfer unserer wackeren Krieger in den Kampflinien, wo sie unaufhörlich vorrücken, wären nicht möglich, wenn die Etappe, jene ernährende und politische Pulsader unserer siegreichen Armee, nicht einträchtig wäre, wenn im Rücken unserer Armee Elemente auftauchten, die die Einheit des Staates zertrümmern und mit ihrer Agitation und Böswilligkeit die Autorität der staatlichen Einheit untergraben und in den Bund der Völker unseres Reiches Verwirrung tragen würden. Wir können in diesem historischen Augenblick nicht ruhig auf eine Schar von Leuten blicken, die es aus lokalpatriotischen Gründen versuchen, die einheitliche Tätigkeit und den Kampf aller Nationen dieses Reiches um die gerechte Bestrafung jener Elenden zu stören, die unser Reich grundlos angefallen haben und es aller Güte der Kultur und Zivilisation berauben wollen. Wir können diese abscheulichen Erscheinungen des Ausbruchs einer kranken Seele, die nur nach Auflösung der Eintracht in den Herzen der Nation strebt, nicht mit Stillschweigen übergehen. Wir hatten bereits einigemal Gelegenheit, in unseren Spalten darauf hinzuweisen, daß die Militärgerichte gezwungen sind, mit aller Strenge gegen jene Individuen aus tschechischen Regimentern einzuschreiten, die, ohne der siegreichen Regimentstradition zu achten, mit ihrem unsinnigen Treiben in unseren magyarischen Städten Groll gegen die ganze tschechische Nation säen, die als Ganzes keine Schuld daran trägt und stets energisch für die Interessen dieses Reiches eingetreten ist, wovon eine ganze Reihe hervorragender tschechischer Heerführer zeugt, von denen wir an die berühmte Gestalt des Feldmarschalls Radetzky und andere Verteidiger der österreichisch-ungarischen Monarchie erinnern. Diesen lichten Erscheinungen stehen einige Nichtswürdige aus dem verkommenen tschechischen Mob gegenüber, die den Weltkrieg dazu benützen, um sich freiwillig zum Militär zu melden und in die Eintracht der Nationen der Monarchie Verwirrung zu tragen, ohne dabei ihrer niedrigsten Triebe zu vergessen. Wir haben schon einmal auf das wüste Treiben des Regiments Nr. . . . in Debreczin aufmerksam gemacht, dessen Exzesse vom Pester Parlament erörtert und verurteilt wurden und dessen Regimentsfahne später an der Front – (konfisziert –) – Wer hat diese abscheuliche Sünde auf dem Gewissen? – (konfisziert –) Wer hat die tschechischen Soldaten angetrieben? – (konfisziert –) Was sich die Fremden in unserer magyarischen Heimat herausnehmen, davon zeugt am besten der Fall in Királyhida, der magyarischen Feste an der Leitha. Welcher Nation haben die Soldaten aus dem unfernen Militärlager in Bruck an der Leitha angehört, die den dortigen Kaufmann, Herrn Gyula Kakonyi, überfallen und mißhandelt haben? Es ist entschieden Pflicht der Behörden, dieses Verbrechen zu untersuchen und an das Militärkommando, das sich sicherlich bereits mit dieser Affäre befaßt, die Anfrage zu richten, welche Rolle in dieser beispiellosen Hetze gegen die Angehörigen des ungarischen Königreiches Oberleutnant Lukasch spielt, dessen Namen in der Stadt in Zusammenhang mit den Begebenheiten der letzten Tage viel genannt wird, wie uns unser Lokalkorrespondent mitteilt, der bereits reiches Material über diese ganze Affäre gesammelt hat, die in der heutigen ernsten Zeit geradezu zum Himmel schreit. Die Leser des ›Pester Lloyd‹ werden gewiß mit Interesse den Verlauf der Untersuchung verfolgen, und wir ermangeln nicht, ihnen zu versichern, daß wir sie mit dieser Angelegenheit von eminenter Wichtigkeit näher bekannt machen werden. Gleichzeitig aber erwarten wir den amtlichen Bericht über das an der magyarischen Bevölkerung verübte Verbrechen von Királyhida. Es liegt auf der Hand, daß sich das Pester Parlament mit der Sache befassen wird, damit endlich deutlich dargetan wird, daß die tschechischen Soldaten, die über das Königreich Ungarn an die Front fahren, das Land der heiligen Stephanskrone nicht so ansehen dürfen, als ob sie es gepachtet hätten. Wenn dann gewisse Angehörige dieser Nation, die in Királyhida die Stammesverwandtschaft aller Nationen dieser Monarchie so gut repräsentiert hat, die Situation noch immer nicht begreifen, dann sollten sie sich wenigstens hübsch ruhig verhalten, denn im Krieg werden diese Leute durch Kugel, Strick, Kriminal und Bajonett lernen, zu gehorchen und sich den höchsten Interessen unseres gemeinsamen Vaterlands unterzuordnen.«

»Wer ist unter dem Artikel unterschrieben, Herr Oberleutnant?«

»Béla Barabasz, Redakteur und Abgeordneter, Herr Oberst.«

»Das ist eine bekannte Bestie, Herr Oberleutnant; aber noch vor dem ›Pester Lloyd‹ ist derselbe Artikel bereits im ›Pesti Hirlap‹ veröffentlicht worden. Jetzt lesen Sie mir die amtliche Übersetzung des magyarischen Artikels in der Soproner Zeitung ›Sopronyi Naplo‹ vor.«

Oberleutnant Lukasch las laut den Artikel vor, in dem sichs der Schreiber desselben außergewöhnlich angelegen sein ließ, die Mischung nachstehender Sätze zur Geltung zu bringen:

»Das Gebot der Staatsraison«, »Die Staatsordnung«, »Menschliche Würde und Gefühl«, »Kannibalisches Festessen«, »Massakrierte menschliche Gesellschaft«, »Mameluckenrotte«, »Hinter den Kulissen werdet Ihr sie erkennen«. So gings weiter, als wären die Magyaren das im eigenen Lande verfolgteste Element. Die tschechischen Soldaten sind gekommen, haben den Redakteur zu Boden geworfen, ihm mit den Stiefeln auf seinem Bauch herumgetrampelt, während er vor Schmerz aufbrüllte, wobei jemand mitstenografierte.

»Über einige der wichtigsten Dinge«, jammerte der »Sopronyi Naplo«, ein Soproner Tageblatt, »wird bedenklich geschwiegen und nichts geschrieben. Jeder von uns weiß, was für Dinge die Tschechen anstellen, was die Schuld daran trägt, wie es bei den Tschechen aussieht und wer da am Werke ist. Die Wachsamkeit der Behörden ist allerdings von anderen wichtigen Dingen in Anspruch genommen, die jedoch in engem Zusammenhang mit der Gesamtsituation stehen müssen, damit sich die Dinge ereignen wie dieser Tage in Királyhida. Unser gestriger Artikel ist an fünfzehn Stellen konfisziert worden. Deshalb bleibt uns nichts anderes übrig, als zu erklären, daß wir auch heute aus technischen Gründen nicht allzuviel Ursache haben, uns ausführlich mit dem Zwischenfall von Királyhida zu befassen. Der von uns entsandte Berichterstatter hat festgestellt, daß die Behörden in der ganzen Affäre wirklichen Eifer bekunden und die Untersuchung mit Volldampf betreiben. Es scheint uns nur verwunderlich, daß gewisse Teilnehmer des ganzen Massakers sich noch in Freiheit befinden. Das bezieht sich hauptsächlich auf einen Herrn, der sich den Gerüchten zufolge noch immer ungestraft im Militärlager befindet und immer noch die Abzeichen seines ›Papageien-Regiments‹ trägt und dessen Name ebenfalls vorgestern im ›Pester Lloyd‹ und ›Pesti Hirlap‹ veröffentlicht wurde. Es ist der bekannte tschechische Chauvinist Lukasch, über dessen Umtriebe von unserem Abgeordneten Géza Savanyu, der den Királyhidaer Kreis vertritt, eine Interpellation eingebracht werden wird.«

»Ebenso liebevolle Artikel über Sie«, ließ sich Oberst Schröder vernehmen, »sind in der Királyhidaer Wochenschrift und in den Preßburger Blättern erschienen. Das wird Sie aber nicht mehr interessieren, denn sie sind alle nach einem Leisten! Politisch läßt sichs begründen, weil wir Österreicher, ob wir nun Deutsche oder Tschechen sind, gegen die Magyaren doch nur recht . . . Sie verstehn mich, Herr Oberleutnant. Es liegt eine bestimmte Tendenz darin. Eher wird Sie vielleicht der Artikel im ›Komorner Abendblatt‹ interessieren, wo man von Ihnen behauptet, daß Sie versucht hätten, Frau Kakonyi direkt im Speisezimmer beim Mittagmahl in Gegenwart ihres Gatten zu vergewaltigen, den Sie mit dem Säbel bedroht und gezwungen hätten, mit dem Handtuch den Mund seiner Gattin zu verstopfen, damit sie nicht schreie. Das ist die letzte Nachricht über Sie, Herr Oberleutnant.«

Der Oberst lachte und fuhr fort: »Die Behörden haben ihre Pflicht nicht erfüllt. Die Präventivzensur der hiesigen Blätter befindet sich ebenfalls in den Händen der Magyaren. Sie machen mit uns, was sie wollen. Unser Offizier ist vor den Beleidigungen so eines magyarischen Schweineredakteurs in Zivil nicht geschützt, und erst auf Grund unseres scharfen Auftretens, respektive eines Telegramms unseres Divisionsgerichtes, hat die Staatsanwaltschaft in Pest Schritte unternommen, um diverse Verhaftungen in allen erwähnten Redaktionen durchzuführen. Am meisten wirds der Redakteur des ›Komorner Abendblatts‹ davontragen. Der wird sein Abendblatt bis in den Tod nicht vergessen. Mich hat das Divisionsgericht damit betraut, Sie als Ihr Vorgesetzter zu verhören; gleichzeitig schickt es mir die ganzen Akten ein, die Ihre Untersuchung betreffen. Alles wäre gut abgelaufen, wenn dieser unglückselige Schwejk nicht wäre. Mit ihm wurde ein Sappeur, ein gewisser Woditschka, verhaftet, bei dem man nach der Rauferei, als man ihn auf die Hauptwache brachte, den Brief gefunden hat, den Sie Frau Kakonyi geschickt haben. Schwejk hat angeblich bei der Untersuchung behauptet, daß der Brief nicht von Ihnen, sondern von ihm stamme, und wie man ihm den Brief vorlegte und er aufgefordert wurde, ihn abzuschreiben, damit seine Handschrift verglichen werde, hat er ihn aufgefressen. Aus der Regimentskanzlei sind dann Ihre Rapporte zum Vergleich mit der Handschrift Schwejks zum Divisionsgericht geschickt worden, und hier haben Sie das Ergebnis.«

Der Oberst blätterte in den Akten und verwies Oberleutnant Lukasch auf nachstehenden Passus: »Der Angeklagte Schwejk weigerte sich, die diktierten Sätze zu schreiben, welche Weigerung er mit der Behauptung begleitete, er habe über Nacht das Schreiben verlernt.«

»Ich messe dem, was Schwejk oder der Sappeur beim Divisionsgericht aussagen, überhaupt keine Bedeutung bei, Herr Oberleutnant, Schwejk und der Sappeur behaupten, daß es sich nur um einen kleinen Scherz handelt, der mißverstanden wurde, und daß sie selbst von Zivilisten überfallen wurden und sich gewehrt hätten, um ihre Soldatenehre zu retten. Durch die Untersuchung wurde festgestellt, daß Schwejk überhaupt ein feines Früchtel ist. So hat er zum Beispiel auf die Frage, warum er nicht gesteht, dem Protokoll zufolge gesagt: ›Ich bin in grad so einer Situation wie mal der Diener vom akademischen Maler Panuschka wegen einem Bild von der Jungfrau Maria. Der hat auch, wie es sich um die Bilder gehandelt hat, was er hat veruntreut haben solln, nichts anderes drauf antworten können, wie: Soll ich Blut spucken?‹ Selbstverständlich habe ich im Namen des Regimentskommandos dafür gesorgt, daß im Namen des Divisionsgerichtes in allen Zeitungen eine Berichtigung all dieser niederträchtigen Artikel der hiesigen Zeitungen veröffentlicht wird. Heute werden sie verschickt, und ich hoffe, daß ich alles getan habe, um gutzumachen, was durch das nichtswürdige Betragen dieser Zivilbestien geschehen ist.

Ich glaube, ich habe es gut stilisiert:

›Das Divisionsgericht Nummer N. und das Kommando des Regiments Nummer N. erklären, daß der in den hiesigen Blättern über vermeintliche Exzesse der Mannschaft des Regiments N. veröffentlichte Artikel in keiner Hinsicht auf Wahrheit beruht und von der ersten bis zur letzten Zeile erdacht ist und daß die gegen jene Blätter eingeleitete Untersuchung die strenge Bestrafung der Schuldigen zur Folge haben wird.‹«

»Das Divisionsgericht«, fuhr der Oberst fort, »gelangt in seiner Zuschrift an das Kommando unseres Regiments zu der Anschauung, daß es sich eigentlich um nichts anderes handelt als um eine organisierte Hetze gegen diejenigen militärischen Truppenteile, die aus Zisleithanien nach Transleithanien kommen. Vergleichen Sie dabei, wieviel Militär von uns an die Front gegangen ist und wieviel von ihnen. Ich sage Ihnen, daß mir der tschechische Soldat lieber ist als dieses magyarische Gesindel. Wenn ich mich so erinner, daß bei Belgrad die Magyaren auf unser zweites Marschbataillon geschossen haben, das nicht gewußt hat, daß da die Magyaren schießen, und angefangen hat auf die Deutschmeister auf dem rechten Flügel zu feuern, worauf sich die Deutschmeister auch geirrt haben und auf das daneben stehende bosnische Regiment gefeuert haben! Das war damals eine Situation! Ich war gerade beim Brigadestab zum Mittagessen, am Tag vorher hatten wir uns mit Schinken und Suppe aus Konserven zufriedengeben müssen, und an diesem Tag hatten wir eine ordentliche Hühnersuppe, Filet mit Reis und Buchteln mit Chadeau; am Abend vorher hatten wir im Städtchen einen serbischen Weinhändler aufgehängt, und unsere Köche fanden in seinem Keller dreißig Jahre alten Wein. Sie können sich vorstelln, wie wir uns alle aufs Mittagmahl gefreut haben. Die Suppe war verspeist, und wir machen uns gerade an die Henne, da fängt auf einmal das Geplänkel an; dann wird geschossen, und unsere Artillerie, die keine Ahnung hatte, daß da unsere Truppenkörper aufeinander schießen, beginnt auf unsere Linie zu feuern, und eine Granate fällt dicht neben unsern Brigadestab. Die Serben dachten vielleicht, daß bei uns eine Meuterei ausgebrochen ist, und haben angefangen von allen Seiten auf uns loszugehn und über den Fluß zu uns überzusetzen. Den Brigadegeneral hat man zum Telefon gerufen, und der Divisionär hat Krawall geschlagen, was das für eine Viecherei im Brigadeabschnitt ist. Er habe gerade vom Armeestab den Befehl bekommen, um 2 Uhr 35 Minuten nachts einen Angriff auf den linken Flügel der serbischen Positionen zu machen. Wir seien die Reserve, und man solle das Feuer sofort einstellen. Aber woher kann man denn in so einer Situation verlangen ›Feuer einstellen‹. Die Brigadetelefonzentrale meldet, daß sie nirgendshin eine Verbindung bekommen kann, daß sich nur der Stab des 75. Regiments meldet, daß sie gerade von der Division daneben den Befehl erhalten hat ›ausharren‹, daß man mit unserer Division nicht reden kann, daß die Serben Kote 212, 226 und 327 besetzt haben, daß man die Entsendung eines Bataillons zum Zwecke der telefonischen Verbindung mit der Division verlangt. Wir haben die Linie auf die Division umgestellt, aber die Verbindung war schon unterbrochen, weil die Serben uns inzwischen auf beiden Flügeln in den Rücken gefallen waren und unser Zentrum zu einem Dreieck zusammengedrängt hatten, in dem dann alles blieb. Regimenter, Artillerie und Train mit der ganzen Autokolonne, das Magazin und das Feldlazarett. Zwei Tage war ich im Sattel, und der Divisionär ist samt unserem Brigadier in Gefangenschaft geraten. Und das alles haben die Magyaren verschuldet, weil sie auf unser zweites Marschbataillon geschossen haben. Es versteht sich von selbst, daß sies auf unser Regiment geschoben haben.«

Der Oberst spuckte aus:

»Sie haben sich jetzt selbst überzeugt, Herr Oberleutnant, wie ausgezeichnet man Ihr Abenteuer in Királyhida ausgenützt hat.«

Oberleutnant Lukasch hustete verlegen.

»Herr Oberleutnant«, wandte sich der Oberst vertraulich an ihn, »Hand aufs Herz. Wie oft haben Sie mit Frau Kakonyi geschlafen?«

Oberst Schröder war heute sehr guter Laune.

»Sagen Sie nicht, Herr Oberleutnant, daß Sie erst zu korrespondieren angefangen haben. Wie ich in Ihrem Alter war, bin ich drei Wochen in Erlau auf Geometerkursen gewesen, und Sie hätten sehn sollen, wie ich die ganzen drei Wochen nichts anderes gemacht habe, als mit Magyarinnen geschlafen. Jeden Tag mit einer andern. Junge, ledige, ältere, verheiratete, wies grad gekommen ist, ich habe sie so gründlich gebügelt, daß ich bei meiner Rückkehr zum Regiment kaum die Beine rühren konnte. Am meisten hat mich eine Advokatenfrau hergenommen. Die hat mir gezeigt, was die Magyarinnen zuweg bringen. Sie hat mich dabei in die Nase gebissen, die ganze Nacht hat sie mich kein Auge schließen lassen.«

»Zu korrespondieren begonnen . . .«, der Oberst schlug dem Oberleutnant vertraulich auf die Schulter, »wir kennen das. Sagen Sie nichts, ich habe mein Urteil über die ganze Sache. Sie haben sich mit ihr eingelassen, ihr Mann ist draufgekommen, und dieser idiotische Schwejk . . .«

»Aber wissen Sie, Herr Oberleutnant, dieser Schwejk ist doch ein Charakter, sonst hätt er das mit Ihrem Brief nicht angestellt. Um so einen Menschen ists wirklich schade. Ich sage, daß das Erziehungssache ist. Mir gefällt das von dem Kerl sehr gut. Auf jeden Fall muß die Untersuchung in dieser Hinsicht eingestellt werden. Sie, Herr Oberleutnant, hat man in den Zeitungen kompromittiert. Ihre Anwesenheit hier ist vollkommen überflüssig. Im Laufe einer Woche wird eine Marschkompanie an die russische Front abgehn. Sie sind der älteste Offizier bei der 11. Kompanie, Sie werden als Kompaniekommandant mit ihr abgehen. Bei der Brigade ist schon alles vorbereitet. Sagen Sie dem Rechnungsfeldwebel, er soll Ihnen statt des Schwejk einen andern Burschen suchen.«

Oberleutnant Lukasch blickte den Oberst dankbar an, während dieser fortfuhr: »Den Schwejk teile ich Ihnen als Kompanieordonnanz zu.«

Der Oberst stand auf, reichte dem erbleichenden Oberleutnant die Hand und sagte:

»Damit ist also alles geregelt. Ich wünsche Ihnen viel Glück. Zeichnen Sie sich auf dem östlichen Kriegsschauplatz aus. Und wenn wir uns vielleicht noch einmal sehen sollten, dann kommen Sie in unsere Gesellschaft. Nicht daß Sie uns wieder meiden wie in Budweis . . .«

Oberleutnant Lukasch wiederholte sich während des ganzen Heimwegs:

»Kompaniekommandant, Kompanieordonnanz.«

Und Schwejks Gestalt tauchte deutlich vor ihm auf.

Als Rechnungsfeldwebel Waněk von Oberleutnant Lukasch den Befehl erhielt, ihm statt des Schwejk einen neuen Putzer auszusuchen, sagte er: »Ich hab gedacht, Herr Oberleutnant, daß Sie mitm Schwejk zufrieden sind.«

Und als er hörte, daß der Oberst Schwejk zur Ordonnanz der 11. Kompanie ernannt hatte, rief er aus: »Gott steh uns bei!«

 

Im Divisionsgericht, in einem mit Gittern versehenen Gebäude, stand man vorschriftsgemäß um sieben Uhr früh auf und brachte die Kavalletts in Ordnung, die sich auf der Erde im Staub wälzten. Pritschen gab es keine. Hinter einer Verschalung in einem langen Raum legte man vorschriftsgemäß die Decken auf die Strohsäcke, und wer mit der Arbeit fertig war, saß auf den Bänken längs der Wand; die, welche von der Front gekommen waren, suchten sich entweder Läuse oder unterhielten sich mit der Wiedergabe verschiedener Erlebnisse.

Schwejk und der alte Sappeur Woditschka saßen mit einigen Soldaten von verschiedenen Regimentern und Formationen auf einer Bank bei der Tür.

»Schaut euch diesen magyarischen Lackl dort beim Fenster an, Jungens«, ließ sich Woditschka vernehmen, »wie der Kerl betet, daß es gut mit ihm ausfallen soll. Möchtet ihr ihm nicht das Maul von einem Ohr zum andern zerreißen?«

»Aber das is ja ein braver Mensch«, sagte Schwejk, »der is hier, weil er nicht einrücken wollt. Er is gegen den Krieg, gehört irgendeiner Sekte an und is deshalb eingesperrt, weil er niemanden erschlagen will, er hält sich an das Gebot Gottes, aber sie wern ihm dieses Gebot Gottes schon eintränken. Vorm Krieg hat in Mähren ein gewisser Herr Nemrava gelebt, und der hat nicht mal eine Flinte auf die Schulter nehmen wolln, wie er assentiert worn is, daß es herich gegen seine Grundsätze is, eine Flinte zu tragen. Er war dafür eingesperrt, und man hat ihn wieder vom frischen zum Schwören geführt. Und er, daß er nicht schwören wird, daß das gegen seinen Grundsatz is, und is auch dabei geblieben.«

»Das war ein dummer Kerl«, sagte der alte Sappeur Woditschka, »er hat schwören und dabei doch auf alles scheißen können mitsamtn ganzen Schwur.«

»Ich hab schon dreimal geschworen«, ergriff ein Infanterist das Wort, »und bin schon dreimal nach der Desertion wieder hier, und wenn ich nicht das ärztliche Zeugnis hätt, daß ich vor fünfzehn Jahren aus Schwachsinn meine Tante erschlagen hab, wär ich vielleicht schon zum drittenmal erschossen worn. Aber so hilft mir meine selige Tante immer aus der Schlamastik, und zum Schluß wer ich vielleicht doch unverletzt ausm Krieg nach Haus kommen.«

»Und warum«, fragte Schwejk, »hast du sie erschlagen, deine Tante?«

»Warum erschlägt man Leute«, antwortete der angenehme Mann, »das kann sich jeder an den Fingern abzählen. Wegen Geld. Die alte Hexe hat fünf Sparkassabücher gehabt, und man hat ihr die Zinsen geschickt, wie ich ganz zerfetzt und abgerissen zu ihr auf Besuch gekommen bin. Außer ihr hab ich keine Seele auf Gottes Welt gehabt. Da hab ich sie gebeten, sie soll sich meiner annehmen, und sie, das Luder, ich soll herich arbeiten, daß ich herich ein junger, starker und gesunder Mensch bin. Ein Wort hat das andere gegeben, und ich hab sie nur paarmal mitm Schürhaken übern Kopf geschlagen und hab ihr das ganze Gesicht so zugerichtet, daß ich nicht gewußt hab, obs meine Tante is oder nicht. Dann bin ich dort bei ihr auf der Erde gesessen und sag mir fort: ›Is das die Tante oder is das nicht die Tante?‹ Und so ham mich die Nachbarn am nächsten Tag bei ihr sitzen gefunden. Dann war ich im Irrenhaus in Slupi, und wie sie uns dann vorm Krieg in BohnitzGroße Irrenanstalt bei Prag. vor die Kommission gestellt ham, bin ich für geheilt erklärt worn und hab gleich zum Militär müssen, die Jahre nachdienen, was ich versäumt hab.«

Ein magerer, aufgeschossener Soldat von abgehärmtem Äußeren mit einem Besen ging vorbei.

»Das is ein Lehrer von unserer letzten Marschkompanie«, stellte ihn der neben Schwejk sitzende Jäger vor, »jetzt geht er nach sich auskehren. Ein sehr ordentlicher Mensch. Er is hier wegen einem Gedicht, das er verfaßt hat.«

»Komm her, Lehrer!« rief er dem Mann mit dem Besen zu, der sich ernsthaft der Bank näherte.

»Sag uns das von den Läusen auf.«

Der Soldat mit dem Besen hustete und legte los:

»Verlaust ist alles, alle juckt es,
auf uns kriecht eine große Laus.
Mit unsrem Kommandanten zuckt es,
und fort zieht er sich an und aus.

Der Laus, der geht es gut im Heere,
selbst Chargen bleibt sie nicht erspart.
Seht, wie die Laus vom Preußenheere
sich mit dem österreichschen Lauser paart.«

Der abgehärmte Soldat, ein Lehrer, setzte sich zu ihnen auf die Bank und seufzte: »Das ist alles, und deswegen bin ich schon zum viertenmal vom Herrn Auditor verhört worden.«

»Das is wirklich nicht der Rede wert«, sagte Schwejk aufrichtig, »es kommt nur drauf an, wen sie bei Gericht unter diesem österreichischen Lauser verstehn wern. Noch gut, daß Sie das von dem ›Paaren‹ hineingegeben ham, das wird sie so verwirrn, daß sie davon ganz blöd sein wern. Machen Sie ihnen nur klar, daß ein Lauser das Männchen von der Laus is und daß auf ein Lauseweibchen nur ein Lausemännchen kriechen kann. Anders wern Sie sich draus nicht herauswinden. Sie hams sicher nicht drum geschrieben, weil Sie jemanden ham beleidigen wolln, das is klar. Sagen Sie nur dem Herr Auditor, daß Sies zu Ihrem Vergnügen geschrieben ham und daß das so is wie bei den Schweinen: das Männchen von der Sau heißt Eber, das Männchen von der Laus heißt überall – Lauser.«

Der Lehrer seufzte: »Wenn aber der Herr Auditor schlecht tschechisch kann! Ich hab es ihm auch schon auf ähnliche Art erklärt, aber er hat mich angefahren, daß das Männchen von der Laus tschechisch ›Feschak‹ heißt. Kein ›Lauser‹ hat der Herr Auditor erklärt, sondern ein ›Feschak‹. Die ›Fesch‹»Ves« (sprich: wesch), tschechisch – Laus. ist femininum, Sie gebildeter Kerl, Sie, folglich heißt das masculinum ›Feschak‹. Wir kennen unsere Pappenheimer.«

»Kurz und gut«, sagte Schwejk, »es steht mit Ihnen mies, aber Sie dürfen nicht die Hoffnung verlieren, alles kann sich noch zum Bessern wenden, wie der Zigeuner Janetschek in Pilsen gesagt hat, wie man ihm im Jahre 1879 wegen einem Doppelraubmord den Strick um den Hals gelegt hat. Und er hat auch recht gehabt, denn im letzten Moment hat man ihn vom Galgen weggeführt, weil man ihn wegen dem Geburtstag Seiner Majestät nicht hat hängen können, der grad auf denselben Tag gefalln is, wo man ihn hängen wollt. So hat man ihn erst am nächsten Tag gehängt, bis der Geburtstag vorüber war, und der Kerl hat noch so ein Glück gehabt, daß er am dritten Tag drauf begnadigt worn is und die Verhandlung mit ihm hat erneuert wern solln, weil alles drauf hingewiesen hat, daß eigentlich ein anderer Janetschek den Mord verübt hat. Man hat ihn also ausm Sträflingsfriedhof ausgraben müssen und hat ihn aufm Pilsner katholischen Friedhof rehabilitiert, und dann is man erst drauf gekommen, daß er ein Evangelischer is, und hat ihn auf den evangelischen Friedhof überführen müssen und dann . . .«

»Dann kriegst du paar Fraß«, fiel ihm der alte Sappeur Woditschka ins Wort, »was sich der Kerl nicht alles ausdenkt. Man is in einer Sorge mitm Divisionsgericht, und der Mistkerl da hat mir gestern, wie man uns zum Verhör geführt hat, lang und breit erklärt, was das is, die Rose von Jericho.«

»Das waren aber nicht meine Worte, das hat der Mathias, der Diener vom Maler Panuschka, einem alten Weib erzählt, wie sie ihn gefragt hat, wie die Rose von Jericho aussieht. Nämlich er hat ihr gesagt:

›Nehmen Sie trockenen Kuhdreck, geben Sie ihn auf einen Teller, begießen Sie ihn mit Wasser, und er wird sich Ihnen schon grün färben, und das is die Rose von Jericho‹«, verteidigte sich Schwejk, »ich hab mir diesen Blödsinn nicht ausgedacht, und wir ham doch was reden müssen, wenn wir zum Verhör gehn. Ich hab dich nur trösten wolln, Woditschka.«

»Du und jemand trösten«, spuckte Woditschka verächtlich aus, »man hat den Kopf voll Sorgen, damit man sich aus der Schlamastik herauswindet und freikommt, um mit diesen magyarischen Fallotten abzurechnen, er will einen mit Kuhdreck trösten. Wie kann ichs diesen magyarischen Fallotten heimzahlen, wenn ich eingesperrt sitz und man sich noch dazu verstelln und dem Auditor erklären muß, daß man auf die Magyaren keinen Haß hat. Das is, so wahr ich leb, ein Hundeleben. Aber bis ich mal so einen Kerl unter die Pfoten krieg, dann erwürg ich ihn wie einen jungen Hund. Ich wer ihnen geben, ›isten almeg a magyar‹, ich wer mit ihnen abrechnen, von mir wird man noch reden.«

»Hamr nur niemand um nichts keine Angst«, sagte Schwejk, »alles wird in Ordnung kommen. Hauptsache is immer, bei Gericht die Unwahrheit reden. Welcher Mensch sich drankriegen läßt zu gestehn, der is immer verloren. Aus dem wird nie was Rechtes wern. Wie ich mal in Mährisch-Ostrau gearbeitet hab, so is dort so ein Fall passiert: Ein Bergarbeiter hat dort unter vier Augen einen Ingenieur verprügelt, so daß es niemand gesehn hat. Und der Advokat, was ihn verteidigt hat, hat ihm immerfort gesagt, daß ihm nichts geschehn kann, er soll leugnen, aber der Vorsitzende vom Senat hat ihm immerfort ans Herz gelegt, daß ein Geständnis ein erleichternder Umstand is, aber er is fort drauf bestanden, daß er nicht gestehn kann, so is er freigesprochen worn, weil er sein Alibi nachgewiesen hat. Am selben Tag war in Brünn . . .«

»Jesusmaria«, rief Woditschka, »ich halt das nicht mehr aus! Warum erzählt er das alles, ich begreif das nicht. Da war gestern mit uns beim Verhör grad so ein Mensch. Wie ihn der Auditor gefragt hat, was er in Zivil is, hat er gesagt: ›Ich mach Rauch beim Kreuz.‹ Und es hat über eine halbe Stunde gedauert, bevor er dem Auditor erklärt hat, daß er beim Schmied Kreuz den Blasebalg zieht, und wie man ihn dann gefragt hat: ›Sie sind also in Zivil Hilfsarbeiter?‹, hat er geantwortet: ›Woher denn Hilfsabräumer, das is ja der Franta Hibsch.‹«

Auf dem Gang wurden Schritte und die Rufe der Wache laut: »Zuwachs.« – »Wieder wern unser hier mehr sein«, sagte Schwejk erfreut, »vielleicht ham sich die paar Zigarrenstumml aufgehoben.«

Die Türe wurde geöffnet, und der Einjährigfreiwillige, der mit Schwejk in Budweis im Arrest gesessen und für die Küche irgendeiner Marschkompanie bestimmt worden war, wurde hereingeschoben.

»Gelobt sei Jesus Christus«, sagte er bei seinem Eintritt, worauf Schwejk für alle antwortete: »In Ewigkeit Amen.«

Der Einjährigfreiwillige schaute zufrieden auf Schwejk, legte die Decke, die er mitgebracht hatte, auf die Erde und setzte sich auf die Bank zu der tschechischen Kolonie; er wickelte die Gamaschen auf, zog geschickt die zwischen den Falten versteckten Zigaretten heraus und verteilte sie; dann zog er aus einem Stiefel einen Teil der Reibfläche einer Streichholzschachtel und einige kunstfertig in der Mitte der Köpfchen entzweigeschnittene Streichhölzchen.

Er entzündete sie, brannte sich vorsichtig eine Zigarette an, gab allen Feuer und sagte gleichmütig: »Ich bin wegen Meuterei angeklagt.«

»Das is nichts«, ließ sich Schwejk beschwichtigend vernehmen, »das is nur ein Jux.«

»Selbstredend«, sagte der Einjährigfreiwillige, »wenn wirs auf solche Weise, mit Hilfe verschiedener Gerichte gewinnen wolln. Wenn sie sich mit mir mit aller Gewalt prozessieren wolln, solln sie sich prozessieren. Alles in allem ändert ein Prozeß nichts an der ganzen Situation.«

»Und wie hast du gemeutert?« fragte der alte Sappeur Woditschka, indem er den Einjährigfreiwilligen mit Sympathie anblickte.

»Ich wollte nicht die Häusln auf der Hauptwache reinigen«, erwiderte dieser, »deshalb hat man mich zum Oberst geführt. Das ist eine feine Sau. Er hat mit mir herumgeschrien, daß ich auf Grund des Regimentsrapports eingesperrt und ein gemeiner Arrestant bin, daß er sich überhaupt wundert, daß mich die Erde noch trägt und nicht aufhört sich zu drehn wegen der Schande, daß in der Armee ein Mensch mit dem Einjährigfreiwilligenrecht aufgetaucht ist, der Anspruch auf die Offizierswürde hat, aber mit seinem Benehmen bei seinen Vorgesetzten nur Ekel und Verachtung erwecken kann. Ich hab geantwortet, daß die Rotation der Erdkugel nicht durch das Erscheinen eines Einjährigfreiwilligen, wie ich es bin, unterbrochen werden kann, daß die Naturgesetze stärker sind als die Einjährigfreiwilligenstreifen und daß ich gern wissen möchte, wer mich zwingen kann, ein Häusl zu putzen, das ich nicht bemacht hab, obzwar ich drauf ein Recht hätt, nach dieser schweinischen Küche beim Regiment, nach dem verfaulten Kraut und eingeweichten Schöpsenfleisch. Dann hab ich dem Oberst noch gesagt, daß auch seine Anschauung, warum mich die Erde trägt, etwas merkwürdig ist, weil doch meinetwegen kein Erdbeben ausbrechen kann.

Der Herr Oberst hat während meiner ganzen Rede nichts gemacht als mit den Zähnen geklappert wie eine Stute, wenn sie gefrorene Rüben auf der Zunge fühlt, und dann hat er mich angebrüllt:

›Also werden Sie das Häusl putzen oder nicht?‹

›Melde gehorsamst, ich werds nicht putzen.‹

›Sie werdens putzen, Sie Einjähriger, Sie!‹

›Melde gehorsamst, ich werds nicht putzen.‹

›Kruzitürken, Sie werdens putzen, nicht eins sondern hundert Häusln!‹

›Melde gehorsamst, daß ich weder hundert noch ein Häusl putzen werde.‹

Und so ist es fortwährend gegangen: ›Werden Sie putzen?‹ ›Ich werde nicht putzen.‹ Die Häusl sind hin und her geflogen, wie wenn es sich um ein Kindersprüchlein von der Schriftstellerin Paula Moudra handeln würde. Der Oberst ist in der Kanzlei herumgerannt wie verrückt, zum Schluß hat er sich gesetzt und hat gesagt: ›Überlegen Sie sichs gut, ich werde Sie dem Divisionsgericht wegen Meuterei einliefern. Glauben Sie nicht, daß Sie der erste Einjährigfreiwillige sind, der in diesem Krieg erschossen wird. In Serbien haben wir zwei Einjährigfreiwillige von der 10. Kompanie erhängt, und einen von der 9. haben wir erschossen wie ein Lamm. Und warum? Wegen ihrer Hartschädel. Die zwei, die gehängt worden sind, haben sich geweigert, bei Schabatz die Frau und den Jungen eines Komitadschi zu erstechen, und der Einjährigfreiwillige von der 9. Kompanie ist erschossen worden, weil er nicht vorwärtsgehen wollt und sich ausgeredet hat, daß er geschwollene Füße hat und einen Plattfuß. Also, werden Sie das Häusl putzen oder nicht?‹

›Melde gehorsamst, ich werds nicht putzen.‹

Der Oberst schaute mich an und sagte:

›Hören Sie, sind Sie nicht slawophil?‹

›Melde gehorsamst, nein.‹

Dann hat er mich abgeführt und mir gesagt, daß ich wegen Meuterei angeklagt bin.«

»Am besten tust du«, sagte Schwejk, »wenn du dich jetzt für einen Idioten ausgeben wirst. Wie ich im Garnisonsarrest gesessen bin, war dort mit uns so ein gescheiter, gebildeter Mensch, ein Professor an der Handelsschule. Der is von der Front desertiert, und es hat mit ihm einen sehr großen Prozeß geben solln, damit er als abschreckendes Beispiel verurteilt und aufgehängt wird. Aber er hat sich sehr einfach herausgedreht. Er hat angefangen, einen erblich Belasteten zu spielen, und wie der Stabsarzt ihn untersucht hat, so hat er erklärt, daß er nicht desertiert ist, daß er schon von klein an gern reist, daß er immer die Sehnsucht hat, irgendwohin in die Ferne zu verschwinden. Daß er einmal in Hamburg aufgekommen is und ein andres Mal wieder in London und daß er nicht gewußt hat, wie er hingekommen is. Daß der Vater Alkoholiker war und durch Selbstmord vor seiner Geburt gestorben is, daß die Mutter Prostituierte war und getrunken hat und an Delirium gestorben is. Daß die jüngere Schwester sich ertränkt hat, daß die ältere sich untern Zug geworfen hat, daß der Bruder am Wyschehrad von der Eisenbahnbrücke gesprungen is, daß der Großvater seine Frau ermordet hat und sich mit Petroleum begossen und angezündet hat, daß die zweite Großmutter sich mit Zigeunern hemmgetrieben hat und sich im Gefängnis mit Streichhölzern vergiftet hat, daß ein Vetter von ihm paarmal wegen Brandstiftung verurteilt worden is und sich in Karthaus mit Stückchen Glas die Adern am Hals durchgeschnitten hat, daß sich eine Kusine väterlicherseits in Wien vom sechsten Stock heruntergeworfen hat, daß er selbst eine sehr vernachlässigte Erziehung hat und daß er bis zum zehnten Jahr nicht sprechen gekonnt hat, weil ihm im Alter von sechs Monaten, wie man ihn am Tisch überwickelt hat und weggegangen is, eine Katze vom Tisch gezogen hat und er sich beim Fallen den Kopf angehaut hat. Daß er auch von Zeit zu Zeit große Kopfschmerzen hat und in solchen Momenten nicht weiß, was er macht, und daß er in so einem Zustand auch von der Front nach Prag gegangen is, und erst wie ihn die Militärpolizei vom ›Fleck‹ verhaftet hat, zu sich gekommen is. Freundeln, ihr hättet sehn solln, wie gern sie ihn vom Militär nach Haus geschickt ham, und ungefähr fünf Gemeine, was mit ihm im Zimmer gesessen sind, ham sichs für alle Fälle beiläufig so auf ein Stückl Papier aufgeschrieben.

Vater Alkoholiker. Mutter Prostituierte.
I. Schwester (ertränkt)
II. Schwester (Zug)
Bruder (von der Brücke)
Großvater † Frau, Petroleum, angezündet
II. Großmutter (Zigeuner, Streichhölzeln), usw.

Und der eine, wie ers dem Stabsarzt vorzutragen angefangen hat, is nicht mal übern Vater hinausgekommen, und weils schon der dritte Fall war, hat der Stabsarzt gesagt: ›Du Kerl, und deine Kusine väterlicherseits hat sich in Wien vom sechsten Stock heruntergeworfen, du hast eine schrecklich vernachlässigte Erziehung, und drum wird dich die Korrektion bessern.‹ So hat man ihn in die Korrektion geführt, hat ihn krummgeschlossen, und gleich is ihm die schrecklich vernachlässigte Erziehung und der alkoholische Vater und die prostituierte Mutter vergangen, und er hat sich lieber freiwillig an die Front gemeldet.«

»Heute«, sagte der Einjährigfreiwillige, »glaubt beim Militär niemand mehr an erbliche Belastung, weil man sonst alle Generalstäbe ins Irrenhaus sperren müßte.«

In der eisenbeschlagenen Tür rasselte ein Schlüssel und der Profos trat ein.

»Infanterist Schwejk und Sappeur Woditschka zum Herrn Auditor!«

Sie standen auf, und Woditschka sagte zu Schwejk: »Siehst du sie, die Halunken, jeden Tag ein Verhör und fort kein Ergebnis. Wenn sie uns schon, Himmelherrgott, lieber verurteilen möchten. So wälzen wir uns den ganzen Tag herum, und diese magyarischen Fallotten laufen herum . . .«

Auf dem Wege in die Kanzleien des Divisionsgerichtes, die auf der andern Seite in einer andern Baracke untergebracht waren, erwogen Sappeur Woditschka und Schwejk, wann man sie eigentlich vor ein ordentliches Gericht stellen werde.

»Fort nur lauter Verhöre«, ärgerte sich Woditschka, »wenn wenigstens was herausschauen möcht. Sie verbrauchen einen Stoß Papier, und man bekommt das Gericht nicht mal zu sehn. Man verfault hinter den Gittern. Sag aufrichtig, is die Suppe zum Fressen? Und das Kraut mit den erfrorenen Erdäpfeln? Kruzifix, so einen blöden Weltkrieg hab ich noch nicht gefressen! Ich hab mir das ganz anders vorgestellt.«

»Ich bin ganz zufrieden«, sagte Schwejk, »noch vor Jahren, wie ich aktiv gedient hab, hat unser Kommißknopf Solpera gesagt, daß jeder sich beim Militär seiner Pflichten bewußt sein muß, und hat dir dabei so eine übers Maul gegeben, daß du dran nie vergessen hast. Oder der selige Oberlajtnant Kwajser, wenn der die Gewehre untersuchen kommen is, so hat er uns immer erklärt, daß jeder Soldat die größte seelische Abhärtung zeigen soll, weil Soldaten nur Rindviecher sind, was den Staat füttert, denen er zu fressen, Kaffee zu trinken und Tabak in die Pfeifen gibt, wofür sie ziehen müssen wie Ochsen.«

Sappeur Woditschka wurde nachdenklich, und nach einer Pause erklärte er:

»Bis du bei diesem Auditor sein wirst, Schwejk, so irr dich nicht und wiederhol, was du das letztemal beim Verhör gesagt hast, daß ich nicht in eine Schlamastik komm. Also Hauptsache is, daß du gesehn hast, daß mich diese drei magyarischen Fallotten überfalln ham. Wir ham alles auf gemeinsame Rechnung unternommen.«

»Fürcht dich nicht, Woditschka«, beschwichtigte ihn Schwejk, »nur Ruhe, keine Aufregung nicht, is denn was dran, vor so einem Divisionsgericht zu stehn? Da hättest du sehn solln, wie so ein Militärgericht vor Jahren rasch gearbeitet hat. Da hat dir bei uns ein Lehrer Heral aktiv gedient, und der hat uns einmal, wie wir alle ausn Zimmer Kasernarrest gekriegt ham, aufm Kavallett erzählt, daß im Prager Museum ein Buch mit Aufzeichnungen von einem Militärgericht unter Maria Theresia is. Jedes Regiment hat seinen Scharfrichter gehabt, was die Soldaten von seinem Regiment hingerichtet hat, ein Stück nachm andern um einen Theresianischen Taler. Und der Scharfrichter hat sich nach diesen Aufzeichnungen an manchem Tag bis fünf Taler verdient.«

»Das versteht sich«, fügte Schwejk ernsthaft hinzu, »damals hats starke Regimenter gegeben, und fort hat man sie in den Dörfern ergänzt.«

»Wie ich in Serbien war«, sagte Woditschka, »so ham sich bei unsrer Brigade manche dazu gemeldet, die Komitadschi für Zigaretten zu hängen. Wenn ein Soldat einen Mann gehängt hat, hat er zehn ›Sport‹ bekommen, für eine Frau und für ein Kind fünf. Dann hat die Intendantur angefangen zu sparen und man hat massenweis erschossen. Mit mir hat ein Zigeuner gedient und von dem hamrs lang nicht gewußt. Es war uns nur auffällig, daß man ihn immer auf die Nacht in die Kanzlei gerufen hat. Wir sind damals an der Drina gestanden, und einmal in der Nacht, wie er weg war, is jemandem eingefalln, ihm in seinen Sachen herumzuwühlen, und der Kerl hat im Rucksack ganze drei Schachteln zu hundert Sport gehabt. Dann is er gegen früh in unsere Scheune zurückgekommen, und wir ham mit ihm kurzen Prozeß gemacht. Wir ham ihn zu Boden geworfen, und ein gewisser Behoun hat ihn mitm Riemen erkrängelt. Der Kerl hat ein zähes Leben gehabt wie eine Katze.«

Der alte Sappeur Woditschka spuckte aus: »Er war nicht und nicht zum Erkrängeln, er hat sich uns schon bemacht, die Augen sind ihm herausgekrochen, und fort hat er gelebt wie ein nicht ganz totgeschnittener Hahn. Da ham sie ihn zerrissen wie eine Katze. Zwei beim Kopf, zwei bei den Füßen und ham ihm das Genick umgedreht. Dann ham sie ihm seinen Rucksack samtn Zigaretten übern Kopf gezogen und ham ihn hübsch in die Drina geworfen. Wer möcht solche Zigaretten rauchen. Früh hat man ihn überall gesucht.«

»Da habt Ihr melden solln, daß er desertiert is«, bemerkte Schwejk rechtschaffen, »daß er sich schon drauf vorbereitet hat und daß er jeden Tag gesagt hat, daß er verduften wird.«

»Aber wem möcht so was einfalln«, antwortete Woditschka, »wir ham das Unsrige getan und das andre hat uns nicht gekümmert. Das war dort ganz leicht. Jeden Tag is jemand verschwunden, und man hat sie nicht mal mehr aus der Drina gefischt. Ein aufgedunsener Komitadschi is dort neben einem zerschlagenen Landwehrmann von uns hübsch auf der Drina in die Donau geschwommen. Ein paar Unerfahrene, die das zum erstenmal gesehn ham, ham ein kleines Fieber gekriegt.«

»Denen ham sie Chinin geben solln«, sagte Schwejk.

Sie betraten das Gebäude mit den Kanzleien des Divisionsgerichtes, und die Patrouille führte sie sofort in die Kanzlei Nummer 8, wo hinter einem langen Tisch mit Aktenstößen Auditor Ruller saß.

Vor ihm lag ein Gesetzbuch, auf dem ein nicht ganz geleertes Teeglas stand. Auf der rechten Seite des Tisches stand ein Kruzifix aus imitiertem Elfenbein mit einem verstaubten Christus, der verzweifelt auf das Postament seines Kreuzes blickte, wo sich Asche und Zigarettenabfälle befanden.

Auditor Ruller klopfte gerade zum Leidwesen des gekreuzigten Gottes an dem Postament die Asche einer frischen Zigarette ab, wobei er mit der andern Hand das Teeglas emporhob, das an dem Gesetzbuch klebte. Während er das Glas aus der Umarmung des Gesetzbuches befreite, fuhr er fort in einem Buch zu blättern, das er aus dem Offizierskasino entliehen hatte.

Es war ein Buch von Fr. S. Kraus mit dem vielversprechenden Titel »Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der geschlechtlichen Moral«.

Er betrachtete hingegeben die naiven Zeichnungen der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane nebst dem dazu passenden Vers, den der Gelehrte Fr. S. Kraus in den Klosetts des Berliner Nordbahnhofs entdeckt hatte, und wendete deshalb seine Aufmerksamkeit nicht den Eintretenden zu.

Er riß sich aus der Betrachtung der Reproduktionen erst los, als Woditschka hustete.

»Was ist los?« fragte er weiterblätternd und die Fortsetzung der naiven Zeichnungen und Skizzen suchend.

»Melde gehorsamst, Herr Auditor«, antwortete Schwejk, »Kamerad Woditschka hat sich verkühlt und hustet.«

Jetzt schaute Auditor Ruller Schwejk und Woditschka an.

Er war bemüht, seinem Gesicht einen strengen Ausdruck zu geben.

»Daß ihr endlich kommt, Kerle«, sagte er und wühlte in dem vor ihm liegenden Aktenstoß auf dem Tische, »ich hab euch auf neun Uhr vorladen lassen und jetzt ist langsam elf.«

»Wie stehst du denn, du Ochs?« fragte er Woditschka, der sich erlaubt hatte »Ruht« zu stehen: »Bis ich sage ›Ruht‹, kannst du mit den Haxen machen was du willst.«

»Melde gehorsamst, Herr Auditor«, ließ sich Schwejk vernehmen, »daß er Rheuma hat.«

»Du halt lieber das Maul«, sagte Auditor Ruller. »Bis ich dich was fragen werde, dann kannst du erst antworten. Dreimal warst du mir beim Verhör und nichts war aus dir herauszukriegen. Also werd ich eure Akten finden oder nicht? Hab ich aber mit euch Dreckkerlen eine Arbeit. Aber es wird sich euch nicht auszahlen, das Gericht überflüssig zu belästigen!«

»Also da schaut her, ihr Heuochsen«, sagte er, als er aus dem Aktenstoß ein umfangreiches Schriftstück hervorzog, das die Aufschrift trug: »Schwejk und Woditschka«.

»Denkt euch nicht, daß ihr euch wegen einer dummen Rauferei beim Divisionsgericht herumwälzen und euch von der Front drücken werdet. Wegen euch hab ich bis zum Armeegericht telefonieren müssen, ihr Trottel.«

Er seufzte.

»Stell dich nicht so ernst, Schwejk, es wird dir an der Front vergehn, dich mit Honvéds zu raufen«, fuhr er fort. »Die Untersuchung gegen euch beide wird eingestellt und jeder von euch geht zu seinem Truppenteil, wo ihr beim Rapport bestraft werden werdet. Dann geht ihr mit der Marschkompanie an die Front. Wenn ich euch noch einmal in die Hand bekomm, ihr Fallotten, werde ich euch einheizen, daß ihr euch wundern werdet. Hier habt ihr den Entlassungsschein und benehmt euch anständig. Führt sie ab auf Nummer 2.«

»Melde gehorsamst, Herr Auditor«, sagte Schwejk, »daß wir uns beide Ihre Worte zu Herzen nehmen wern und daß wir Ihnen vielmals für Ihre Güte danken. Wenn ich in Zivil wär, möcht ich mir zu sagen erlauben, daß Sie ein goldener Mensch sind. Und gleichzeitig müssen wir Sie beide vielmals um Verzeihung bitten, daß Sie sich ham so viel mit uns abgeben müssen. Wir verdienens wirklich nicht.«

»Also scheren Sie sich schon zu allen Teufeln!« schrie der Herr Auditor Schwejk an, »wenn sich nicht Herr Oberst Schröder für euch beide eingesetzt hätte, so weiß ich nicht, wies mit euch ausgefalln wäre.«

Woditschka fühlte sich erst wieder auf dem Gang, während sie mit der Patrouille in die Kanzlei Nummer 2 gingen, als der alte Woditschka.

Der Soldat, der sie begleitete, hatte Angst, daß er zu spät zum Mittagessen kommen werde und sagte deshalb:

»Also bissel rascher, Burschen, ihr schleppt euch ja wie Läuse.«

Da erklärte Woditschka, der Soldat solle die Kuschen nicht zu sehr aufreißen, er könne von Glück sagen, daß er ein Tscheche sei. Wenn er ein Magyar wäre, würde er, Woditschka, ihn zerreißen wie einen Hering.

Da die Militärschreiber in den Kanzleien gerade Menage holen gegangen waren, war der Soldat, der die beiden begleitete, gezwungen, sie inzwischen in den Arrest des Divisionsgerichtes zurückzuführen, was seinerseits nicht ohne Flüche abging, die er an die verhaßte Rasse der Militärschreiber adressierte.

»Die Kameraden wern mir wieder alles Fett von der Suppe abschöpfen«, grollte er tragisch, »und statt Fleisch wern sie mir nur Flaxen lassen. Gestern hab ich auch zwei ins Lager eskortiert und jemand hat mir den halben Wecken aufgefressen, den sie für mich gefaßt ham.«

»Ihr denkt hier beim Divisionsgericht halt an nichts als an Fressen«, sagte Woditschka, der schon ganz zu sich gekommen war. Als sie dem Einjährigfreiwilligen meldeten, wies mit ihnen ausgefallen war, rief dieser aus: »Also die Marschkompanie, Freunde! Das ist wie in der Zeitschrift der tschechischen Touristen. ›Gut Wind!‹ Die vorbereitenden Arbeiten für die Reise sind bereits beendet, für alles ist von der hohen Armeeleitung gesorgt. Auch ihr seid eingeladen, euch dem Ausflug nach Galizien anzuschließen. Tretet den Weg mit frohem Sinn und leichtem, freudigem Herzen an. Bringt den Gegenden, wo man euch die Schützengräben vorstelln wird, ungewöhnliche Liebe entgegen. Es ist dort schön und im höchsten Maße interessant. Ihr werdet euch in der weiten Fremde wie zu Hause fühlen, wie in einer verwandten Gegend, ja beinahe wie in der lieben Heimat. Tretet mit erhabenen Gefühlen die Pilgerfahrt in Länder an, von denen bereits der alte Humboldt gesagt hat: ›In der ganzen Welt habe ich nichts Großartigeres gesehn als dieses blöde Galizien.‹ Die zahlreichen und seltenen Erfahrungen, die unsere glorreiche Armee auf dem Rückzug aus Galizien gesammelt hat, werden uns sicherlich bei Festsetzung des Programms des zweiten Feldzuges ein willkommener Wegweiser sein. Nur fortwährend der Nase nach nach Rußland und feuert vor Freude alle Patronen in die Luft.«

Bevor sich Schwejk und Woditschka nach dem Mittagessen in die Kanzlei begaben, näherte sich ihnen der unglückliche Lehrer, der das Gedicht von den Läusen verfaßt hatte, und sagte geheimnisvoll, während er beide zur Seite zog: »Vergeßt nicht, bis ihr auf der russischen Seite sein werdet, gleich den Russen zu sagen: ›Sdrawstuwjte, russkije bratja, my bratja tschechy, my net Austrijci.‹«

Als sie das Gebäude verließen, trat Woditschka, der seinen Haß gegen die Magyaren manifestieren und zeigen wollte, daß die Haft ihn in seiner Überzeugung nicht wankend gemacht oder zermürbt hatte, einen Magyaren, der nicht dienen wollte, auf den Fuß und brüllte ihn an: »Zieh dir Stiefel an, Schlappschwanz!«

»Er hätt mir so was antworten solln«, äußerte Sappeur Woditschka hierauf unwillig zu Schwejk, »er hätt sich so hören lassen solln, ich hätt ihm seine magyarische Schnauze von einem Ohr zum andern zerrissen. Aber der blöde Kerl schweigt und läßt sich auf den Stiefeln herumtreten. Herrgott, Schwejk, ich hab so eine Wut, daß ich nicht verurteilt worden bin. Das schaut ja aus, wie wenn sie uns auslachen möchten, daß das mit den Magyaren nicht mal der Rede wert is. Und wir ham uns doch geschlagen wie Löwen. Das hast du verpatzt, daß sie uns nicht verurteilt ham und uns so ein Zeugnis gegeben ham, wie wenn wir nicht mal ordentlich das Raufen treffen möchten. Was meinen sie eigentlich von uns? Es war ja ein ganz anständiger Konflikt.«

»Lieber Junge«, sagte Schwejk gutmütig, »ich versteh das nicht recht, wie dich das nicht freun kann, daß uns das Divisionsgericht amtlich für ganz ordentliche Leute anerkannt hat, gegen die man nichts haben kann. Ich hab mich beim Verhör, das is wahr, verschieden herausgeredet, aber das muß man machen, lügen is Pflicht, wie Advokat Baß seinen Klienten sagt. Wie mich der Auditor gefragt hat, warum wir in die Wohnung vom Herrn Kakonyi gedrungen sind, hab ich ihm einfach gesagt: ›Ich hab gedacht, daß wir Herrn Kakonyi am besten kennenlernen wern, wenn wir ihn besuchen wern.‹ Der Herr Auditor hat mich dann nach nichts mehr gefragt und hat schon genug gehabt.«

»Das merk dir«, fuhr Schwejk in seinen Erwägungen fort, »daß vorm Militärgericht niemand gestehn darf. Wie ich beim Garnisonsgericht gesessen bin, so hat im Nebenzimmer ein Soldat gestanden, und wies die andern erfahren ham, ham sie ihm eine ›Decke‹ gegeben und ham ihm befohlen, daß er sein Geständnis widerrufen muß.«

»Wenn ich was Unehrenhaftes machen möcht, möcht ich nicht gestehn«, sagte der tapfere Woditschka, »aber wie mich dieser Kerl von einem Auditor direkt gefragt hat: ›Ham Sie sich gerauft‹ so hab ich gesagt: ›Ja, ich hab mich gerauft.‹ ›Ham Sie jemanden mißhandelt?« ›Gewiß, Herr Auditor.‹ ›Ham Sie jemanden dabei verletzt?‹ ›Freilich, Herr Auditor.‹ Soll er wissen, mit wem er redet! Und grad das is der Schkandal, daß sie uns freigesprochen ham. Das is so, wie wenn ers nicht glauben wollt, daß ich an diesen magyarischen Fallotten den Überschwung entzweigehauen hab, daß ich aus ihnen Nudeln gemacht hab, Beulen und blaue Flecken. Du warst doch dabei, wie ich einen Moment lang drei magyarische Fallotten auf mir gehabt hab und wie sich alle drei nach einem Weilchen auf der Erde gewälzt ham und ich auf ihnen herumgetrampelt bin. Und nach dem allen stellt so ein Rotzbub von einem Auditor die Untersuchung mit uns ein. Das is, wie wenn er mir sagen möcht: ›Was fällt Ihnen ein, Sie und raufen.‹ Bis der Krieg vorbei sein wird und ich in Zivil sein wer, wer ich ihn, diesen Tagedieb, irgendwo finden und dann wer ich ihm zeigen, ob ich mich raufen kann. Dann fahr ich her nach Királyhida und mach hier so ein Braigl, daß es die Welt nicht gesehn hat und daß sich die Leut in den Kellern verstecken wern, bis sie erfahren wern, daß ich mir diese Lausbuben in Királyhida anschaun gekommen bin, diese Lumpen, diese Rotzkerle.«

In der Kanzlei wurde alles ungemein schnell erledigt. Ein Feldwebel mit einem noch vom Mittagessen fetten Mund übergab Schwejk und Woditschka mit überaus ernstem Gesicht die Papiere und ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, den beiden eine Rede zu halten, in der er an ihren militärischen Geist appellierte. Dabei flocht er, weil er ein Wasserpollake war, verschiedene feine Ausdrücke seines Dialektes ein wie »marekvium«, »glupi rolmopsie«, »krajccova sedmina«, »Svina porypana« und »dum vam bane na miesjnuckovy vaschi gzichty.«

Als Schwejk und Woditschka Abschied nahmen, weil jeder von ihnen zu seinem Truppenteil abgehen sollte, sagte Schwejk: »Bis der Krieg vorbei sein wird, so komm mich besuchen. Du findest mich jeden Abend ab sechs Uhr beim ›Kelch‹, Na Bojischti.«

»Freilich komm ich hin«, antwortete Woditschka, »gibts dort Unterhaltung?«

»Jeden Tag kommts dort zu was«, versprach Schwejk, »und wenns zu ruhig wär, so wern wir schon aufmischen.«

Sie trennten sich, und als sie bereits einige Schritte voneinander entfernt waren, rief der alte Sappeur Woditschka Schwejk nach: »Also schau aber bestimmt, daß du eine Unterhaltung zustand bringst, bis ich hinkomm!«

Worauf Schwejk zurückrief: »Komm aber bestimmt, bis der Krieg zu Ende is!«

Dann entfernten sie sich voneinander, und nach einer beträchtlichen Pause konnte man hinter der Ecke von der zweiten Reihe der Baracken her abermals Woditschkas Stimme vernehmen: »Schwejk, Schwejk, was für Bier ham sie beim ›Kelch‹?«

Und wie ein Echo ertönte Schwejks Antwort: »Großpopowitzer.«

»Ich habe gedacht, Smíchover!« rief Sappeur Woditschka von weitem.

»Mädl gibts dort auch!« schrie Schwejk.

»Also nachm Krieg, um sechs Uhr abends!« schrie Woditschka von unten.

»Komm lieber um halb sieben, wenn ich mich irgendwo verspäten möcht«, antwortete Schwejk.

Dann ließ sich noch aus weiter Ferne Woditschka vernehmen: »Um sechs Uhr kannst du nicht kommen?«

»Also komm ich um sechs«, erreichte Woditschka die Antwort des sich entfernenden Kameraden.

Und so trennte sich denn der brave Soldat Schwejk vom alten Sappeur Woditschka. »Wenn Menschen auseinandergehn, so sagen sie auf Wiedersehn!«

 


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