Jarosav Hasek
Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Jarosav Hasek

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Vierter Teil.
Fortsetzung des glorreichen Debakels

1. Schwejk als russischer Kriegsgefangener

Als Schwejk, der infolge seiner russischen Uniform irrtümlicherweise für einen russischen Kriegsgefangenen gehalten wurde, der aus einem Dorfe bei Feldstein entsprungen war, mit einem Kienspan seine verzweifelten Aufschreie an die Wände malte, nahm davon niemand Notiz; und als er auf dem Transport in Chyruwa einem vorübergehenden Offizier alles erzählen wollte (man teilte gerade Stücke harten Kukuruzbrotes aus), da haute einer von den ungarischen Soldaten, die den Transport bewachten, ihm eins mit dem Kolben über die Schulter mit den Worten: »Baczom az élet, gehst du zurück in die Reihe, russisches Schwein!« Das war so ganz in der Art und Weise, wie die Magyaren mit den russischen Kriegsgefangenen umgingen, deren Sprache sie nicht verstanden.

Schwejk kehrte also in den Zug zurück und wandte sich an den nächststehenden Gefangenen:

»Der da erfüllt zwar seine Pflicht, aber dabei bringt er sich selbst in Gefahr. Was, wenn er zufällig geladen hätt und der Verschluß war offen? Da könnts leicht geschehen, daß ihm, wie er einem so in die Schulter drischt und der Lauf auf ihn schaut, das Gewehr losgeht und ihm die ganze Ladung ins Maul fliegt und er in Ausübung seiner Pflicht stirbt. Da ham dir mal im Böhmerwald in einem Steinbruch die Arbeiter Dynamitzünder gestohlen, damit sie Vorrat aufn Winter ham, wenn sie Bäume sprengen. Der Wächter in den Steinbrüchen hat Befehl bekommen, wenn die Arbeiter aus der Arbeit gehn, daß er jedem die Taschen durchsucht, und hats dir mit so viel Liebe gemacht, daß er gleich den ersten Arbeiter gepackt hat und angefangen hat, ihm so leidenschaftlich auf die Taschen zu klopfen, daß dem die Dynamitzünder in der Tasche explodiert sind und beide samtn Wächter in die Luft geflogen sind, so daß es ausgesehn hat, wie wenn sie sich noch im letzten Moment um den Hals nehmen möchten.«

Der russische Gefangene, dem Schwejk dies erzählte, blickte ihn mit vollem Verständnis an, denn er hatte kein Wort verstanden. »Nix ponymat, ich krimski Tatarin, Allah achper.«

Der Tatare setzte sich, die Beine kreuzend, auf die Erde, legte die Hände auf die Brust und begann zu beten: »Allah achper – Allah achper – bezemila – arachman – arachim, malinkin mustafir.«

»Also du bist ein Tatar«, sagte Schwejk teilnahmsvoll, »na, du bist aber gelungen. Dann sollst du mich verstehen und ich dich, wenn du ein Tatar bist. Hm – kennst du den Jaroslav von Sternberg? Den Namen kennst du nicht, Junge, tatarischer? Der hat euch doch bei Hostein den Hintern verdroschen. Damals seid ihr, Jungens, tatarische, im Laufschritt von uns aus Mähren gesaust. Wahrscheinlich lernt mans euch nicht so in euren Lesebüchern, wie man uns gelernt hat. Kennst du die Hosteiner Jungfrau Maria? Versteht sich, daß du sie nicht kennst – die war auch dabei; na wart, Junge, sie wern euch schon in der Gefangenschaft taufen.«

Schwejk wandte sich einem zweiten Gefangenen zu: »Du bist auch ein Tatar?«

Der Angeredete verstand das Wort Tatar und schüttelte den Kopf: »Tatarin njet, Tscherkes, rodneja Tscherkes, golovy reschu.«

Schwejk hatte überhaupt das Glück, sich in Gesellschaft von Angehörigen der verschiedenen Nationen des Ostens zu befinden. Es gab hier im Transport Tataren, Grusinier, Osseten, Tscherkessen, Mordwinen und Kalmücken.

Schwejk hatte also das Unglück, daß er sich mit niemandem verständigen konnte; man schleppte ihn mit den andern nach Dobromil; von dort aus sollte die Bahnstrecke, die über Przemysl und Nirankovic führte, repariert werden.

In Dobromil schrieb man in der Etappenkanzlei einen nach dem andern ein, was große Schwierigkeiten bereitete, weil von sämtlichen 300 Gefangenen, die man nach Dobromil geschleppt hatte, kein einziger das Russisch des Feldwebels verstand, der dort hinter dem Tisch saß; er hatte sich seinerzeit als der russischen Sprache mächtig gemeldet und vertrat jetzt die Stelle eines Dolmetschs in Ostgalizien. Vor reichlich drei Wochen hatte er sich ein deutsch-russisches Lexikon und eine Grammatik bestellt, die jedoch bisher nicht eingetroffen waren; deshalb sprach er statt russisch ein gebrochenes Slowenisch, das er sich recht und schlecht angeeignet hatte, als er als Vertreter einer Wiener Firma in der Slowakei das Bild des heiligen Stephan, Weihkessel und Rosenkränze verkauft hatte.

Ob dieser sonderbaren Gestalten, mit denen er überhaupt nicht sprechen konnte, war er ganz verstört. Nun trat er vor und brüllte in die Gruppe der Gefangenen: »Wer kann deutsch sprechen?«

Aus der Gruppe trat Schwejk hervor und lief mit freudestrahlendem Gesicht auf den Feldwebel zu, der ihm bedeutete, er möge ihm sofort in die Kanzlei folgen.

Der Feldwebel setzte sich hinter seine Schriftstücke, einen Berg von Blanketten für den Vermerk von Namen, Herkunft, Zuständigkeit der Gefangenen, und nun entspann sich ein unterhaltsames deutsches Gespräch:

»Du bist ein Jud, gelt?« redete er Schwejk an.

Schwejk schüttelte den Kopf.

»Du mußt es nicht leugnen«, fuhr der Feldwebel-Dolmetsch mit Bestimmtheit fort, »jeder von euch Gefangenen, der Deutsch verstanden hat, war ein Jud, und basta. Wie heißt du? Schwejk? Also siehst du, was leugnest du, wenn du so einen jüdischen Namen hast. Bei uns mußt du dich nicht fürchten, dich dazu zu bekennen. Bei uns in Österreich macht man keine Pogroms gegen die Juden. Woher bist du? Aha, Praga, das kenn ich, das kenn ich, das ist bei Warschau. Vor einer Woche hab ich auch zwei Juden aus Praga bei Warschau hier gehabt; und dein Regiment, was hat es für eine Nummer? 91?«

Der Feldwebel nahm den Schematismus zur Hand und blätterte darin: »Das einundneunzigste Regiment ist aus Eriwan im Kaukasus, seinen Kader hat es in Tiflis, da schaust du, was, wie wir hier alles wissen?«

Schwejk schaute wirklich verwundert drein, und der Feldwebel fuhr ungemein ernst fort, indem er Schwejk seine halb ausgerauchte Zigarette reichte: »Das ist ein anderer Tabak als eure Machorka. – Ich bin hier der höchste Herr, du Jüdel. Wenn ich was sag, so muß alles zittern und sich verkriechen. Bei uns in der Armee herrscht eine andere Disziplin als bei euch. Euer Zar ist ein Hundsfott, aber unser Zar ist ein offener Kopf. Jetzt werd ich dir was zeigen, damit du weißt, was für eine Disziplin bei uns herrscht.«

Er öffnete die Tür zum Nebenzimmer und rief:

»Hans Löfler!«

Jemand meldete sich: »Hier!« und herein trat ein Soldat mit einem Kropf, ein Steirer Bua, mit dem Ausdruck eines verheulten Kretins. Er war in der Etappe Mädchen für alles.

»Hans Löfler«, befahl der Feldwebel, »nimm dir dort meine Pfeife, steck sie dir ins Maul, wie wenn ein Hund apportiert, und lauf so lang auf allen vieren um den Tisch herum, bis ich ›Halt‹ sag! Dabei mußt du bellen, aber so, daß dir die Pfeife nicht aus dem Maul fällt, sonst laß ich dich anbinden!«

Der Steirer mit dem Kropf fing an, auf allen vieren zu kriechen und zu bellen.

Der Feldwebel schaute Schwejk siegesbewußt an:

»No, hab ich dirs nicht gesagt, Jüdel, was für eine Disziplin bei uns herrscht?« Und der Feldwebel blickte erfreut auf das stumme Soldatengesicht aus irgendeiner Alpensenne: »Halt!« sagte er schließlich, »Jetzt mach ein Manderl und apportier die Pfeife. – Gut, und jetzt jodel.«

Durch den Raum erscholl das Gebrüll:

»Holarijo, holarijo . . .«

Als die Vorstellung vorüber war, zog der Feldwebel vier Zigaretten aus der Schublade und schenkte sie großmütig dem Steirer; da begann Schwejk dem Feldwebel in gebrochenem Deutsch zu erzählen, ein Offizier habe einen Diener gehabt, der so gehorsam war, daß er alles tat, was sein Herr wünschte, und als man ihn einmal fragte, ob er mit einem Löffel auffressen würde, was sein Herr ausscheißt, wenn es dieser befehlen sollte, da habe er gesagt: »Wenn mirs mein Herr Lajtnant befehln möcht, möcht ichs auf Befehl auffressen, aber ich dürft kein Haar drin finden, davor ekel ich mich schrecklich, da möcht mir gleich schlecht wern.«

Der Feldwebel lachte: »Ihr Juden habt gelungene Anekdoten, aber ich möcht wetten, daß die Disziplin in eurer Armee nicht so fest ist wie bei uns. Damit wir also zum Kern der Sache kommen, ich übergeb dir den Transport! Bis Abend wirst du mir die Namen aller andern Gefangenen zusammschreiben! Du wirst für sie Menage fassen, wirst sie in Gruppen von zehn Mann einteilen und haftest dafür, daß niemand wegläuft! Wenn dir jemand wegläuft, Jüdel, so erschießen wir dich!«

»Ich möcht mit Ihnen sprechen, Herr Feldwebel«, sagte Schwejk.

»Handel nur nicht«, antwortete der Feldwebel. »Das hab ich nicht gern, sonst schick ich dich ins Lager. Du hast dich aber sehr rasch bei uns in Österreich akklimatisiert. – Will privat mit mir sprechen! – Je braver man zu euch Gefangenen ist, desto ärger ist es. – Pack dich gleich zusammen, hier hast du Papier und Bleistift und schreib ein Verzeichnis –! Was willst du noch?«

»Melde gehorsamst, Herr Feldwebel . . .«

»Schau, daß du verduftest! Du siehst, was ich zu tun hab!« Das Gesicht des Feldwebels nahm den Ausdruck eines völlig überarbeiteten Menschen an.

Schwejk salutierte und ging zu den Gefangenen, wobei er daran dachte, daß Geduld für Seine Majestät den Kaiser Früchte trage.

Ärger war es freilich mit der Zusammenstellung des Verzeichnisses, denn die Gefangenen begriffen nur schwer, daß sie ihre Namen nennen sollten. Schwejk hatte in seinem Leben viel erlebt, aber diese tatarischen, grusinischen und mordwinischen Namen gingen ihm doch nicht in den Kopf. »Das wird mir niemand nicht glauben«, dachte Schwejk, »daß jemand jemals so heißen könnt wie diese Tataren hier: ›Muhlalej Abdrachmanov – Bejmurat Allahali – Dscheredsche Tscherdedsche – Darlatbalej Neugadalejev‍‹ usw. Da hamr bei uns doch bessere Namen, wie den Pfarrer in Židohouschti, was Wobejda geheißen hat.«

Und weiter schritt er durch die ausgerichteten Reihen der Kriegsgefangenen, die einer nach dem anderen ihre Zu- und Vornamen riefen: »Dschindralej Hamenaley-Babamulej Mirzahali« usw.

»Daß du dir nur nicht die Zunge überbeißt«, sagte Schwejk jedem von ihnen mit gutmütigem Lächeln. »Ob es nicht besser is, wenn jemand bei uns Bohuslav Schtepanek, Jaroslav Matouschek oder Růžena Swobodowa heißt?«

Als Schwejk schließlich nach furchtbaren Schwierigkeiten alle diese Babula Hallejes und Chudschi Mudschis aufgeschrieben hatte, faßte er den Entschluß, noch einen Versuch zu wagen und dem Feldwebel zu erklären, daß er das Opfer eines Irrtums geworden sei; allein, wie bereits so oft auf dem Wege, der ihn unter die Gefangenen gebracht hatte, rief er auch jetzt vergeblich die Gerechtigkeit an. Der Feldwebel-Dolmetsch, der bereits vorher nicht ganz nüchtern gewesen war, hatte inzwischen vollständig seine Urteilskraft verloren.

Er hatte den Inseratenteil irgendeiner deutschen Zeitung vor sich ausgebreitet und sang die Inserate nach der Melodie des Radetzkymarsches: »Tausche ein Grammophon gegen einen Kinderwagen – Splitter von weißem und grünem Tafelglas zu kaufen gesucht! – Buchführung und Bilanzierung lernt jeder, der einen schriftlichen Handelskurs absolviert hat«, usw.

Zu manchem Inserat paßte der Marschtakt nicht, der Feldwebel aber wollte diese Unzulänglichkeit mit aller Gewalt überwinden, deshalb gab er mit den Fäusten auf dem Tisch den Takt an und stampfte dazu mit den Füßen. Seine beiden mit Kontuschovka verklebten Schnurrbartspitzen ragten zu beiden Seiten des Gesichtes empor, als hätte man ihm in jede Wange einen Pinsel mit eingetrocknetem Gummiarabikum gestoßen. Seine geschwollenen Augen nahmen Schwejk zwar wahr, aber dieser Entdeckung folgte keine Reaktion; der Feldwebel hörte nur auf, mit den Fäusten zu schlagen und mit den Füßen zu stampfen, und trommelte auf den Stuhl nach der Melodie: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten . . .« ein neues Inserat: »Karoline Dreyer, Hebamme, empfiehlt sich den geehrten Damen in allen Fällen.«

Das sang er immer leiser und leiser, bis er schließlich verstummte, unbeweglich und unverwandt auf die ganze große Fläche der Inserate zu blicken begann und Schwejk die Gelegenheit gab, in gebrochenem Deutsch mit Müh und Not ein Gespräch über sein Unglück anzuknüpfen.

Schwejk begann damit, daß er doch nur recht gehabt hätte, daß man den Fluß entlang nach Feldstein hätte gehn sollen, daß er aber nicht dafür könne, wenn ein unbekannter russischer Soldat aus der Gefangenschaft entspringe und in einem Teich bade, an dem er, Schwejk, vorübergehen mußte, weil es seine Pflicht gewesen sei, als Quartiermeister den kürzesten Weg nach Feldstein zu gehen. Der Russe sei davongelaufen, sobald er ihn erblickte, und habe seine ganze Uniform im Gebüsch gelassen. Er, Schwejk, habe gehört, daß man an der Front zum Spionagedienst die Uniformen gefallener Feinde verwende, deshalb habe er versuchsweise die zurückgelassene Uniform angezogen, um sich zu überzeugen, wie er sich in so einem Fall in der fremden Uniform fühlen würde.

Nachdem er den Irrtum aufgeklärt hatte, sah Schwejk ein, daß er vollständig nutzlos gesprochen hatte, denn der Feldwebel schlief bereits längst, ehe Schwejk beim Teich angelangt war. Schwejk trat vertraulich zu ihm und berührte seine Schulter, was vollkommen genügte, um den Feldwebel vom Stuhl auf die Erde purzeln zu lassen, wo er ruhig weiterschlief.

»Tschuldigen Sie, Herr Feldwebel«, sagte Schwejk, salutierte und verließ die Kanzlei.

Zeitlich früh änderte das militärische Baukommando seine Dispositionen und bestimmte, daß jene Gruppe, in der sich Schwejk befand, direkt nach Przemysl zur Erneuerung der Strecke Przemysl-Lubaczow dirigiert werden sollte.

So blieb also alles beim alten, und Schwejk setzte seine Odyssee unter den russischen Kriegsgefangenen fort. Die magyarischen Wachposten trieben alles in scharfem Tempo vorwärts.

In einem Dorf, wo gerastet wurde, stießen sie auf dem Marktplatz mit einer Trainabteilung zusammen. Vor einer Wagengruppe stand ein Offizier und schaute auf die Gefangenen. Schwejk sprang aus der Reihe, stellte sich vor den Offizier und rief: »Herr Lajtnant, melde gehorsamst.« Mehr sagte er aber nicht, denn gleich waren zwei magyarische Soldaten da, die ihn mit Fausthieben in den Rücken zwischen die Gefangenen stießen.

Der Offizier warf ihm einen Zigarettenstummel nach, den ein anderer Gefangener schnell aufhob und weiterrauchte. Hierauf erklärte der Offizier dem neben ihm stehenden Korporal, daß es in Rußland deutsche Kolonisten gebe, die gleichfalls kämpfen müßten.

Während des ganzen Weges nach Przemysl hatte Schwejk keine Gelegenheit mehr, sich bei jemandem zu beschweren, daß er eigentlich Kompanieordonnanz der 11. Marschkompanie des 91. Regiments sei. In Przemysl angelangt, jagte man sie gegen Abend in ein zerschossenes Fort in der inneren Zone, wo die Ställe für die Pferde der Festungsartillerie stehengeblieben waren.

In den Ställen war so viel verlaustes Stroh angehäuft, daß über die kurzen Halme Läuse liefen, als wären es nicht Läuse, sondern Ameisen, die Material zum Bau ihres Haufens herbeischleppten.

Es wurde auch ein wenig schwarzes Abspülwasser aus bloßer Zichorie verteilt und je ein Stück vertrocknetes Kukuruzbrot.

Dann wurde der Transport von Major Wolf übernommen, der zu jener Zeit über alle Gefangenen herrschte, die bei den Reparaturen in der Festung Przemysl und der Umgebung beschäftigt waren. Er war ein gründlicher Mensch und hatte einen ganzen Stab Dolmetscher bei sich, die unter den Gefangenen je nach deren Fähigkeit und Vorbildung Spezialisten für die Bauten aussuchten.

Major Wolf hatte die fixe Idee, daß die russischen Gefangenen ihre Fähigkeiten verleugneten, denn es pflegte zu geschehen, daß auf seine verdolmetschte Frage: »Kannst du eine Eisenbahn bauen?« alle Gefangenen stereotyp erwiderten: »Ich weiß von nichts, hab von was Ähnlichem nicht gehört, hab ehrenhaft und redlich gelebt.«

Als sie also bereits in Reih und Glied vor Major Wolf und seinem ganzen Stab standen, fragte Major Wolf die Gefangenen zuerst auf deutsch, wer von ihnen Deutsch verstehe.

Schwejk trat energisch vor, stellte sich vor den Major, leistete ihm die Ehrenbezeigung und meldete, daß er Deutsch verstehe.

Major Wolf, sichtlich erfreut, fragte Schwejk sofort, ob er nicht Ingenieur sei.

»Melde gehorsamst, Herr Major«, antwortete Schwejk, »daß ich nicht Ingenieur bin, sondern Kompanieordonnanz bei der 11. Marschkompanie vom 91. Infanterieregiment. Ich bin in unsere eigene Gefangenschaft geraten. Das ist so geschehn, Herr Major . . .«

»Was?« brüllte Major Wolf.

»Melde gehorsamst, Herr Major, daß es sich so verhält . . .«

»Sie sind Tscheche«, fuhr Major Wolf zu brüllen fort, »Sie haben sich verkleidet, eine russische Uniform angezogen.«

»Melde gehorsamst, Herr Major, daß das alles voll und ganz stimmt. Ich bin wirklich froh, daß sich Herr Major gleich in meine Situation eingelebt ham. Möglich, daß die Unsrigen schon irgendwo kämpfen, und ich soll hier unnütz den ganzen Krieg vertrödeln. Ich sollts Ihnen noch mal ordentlich erklären, Herr Major.«

»Genug«, sagte Major Wolf und rief zwei Soldaten, um den Mann sofort auf die Hauptwache führen zu lassen; er selbst folgte Schwejk langsam mit einem Offizier, wobei er im Gespräch heftig mit den Händen gestikulierte. In jedem seiner Sätze kam etwas von tschechischen Hunden vor; gleichzeitig fühlte der andere aus den Reden des Majors heraus, daß dieser hocherfreut war, weil er das Glück gehabt hatte, mit seinem Scharfblick einen jener Vögel zu entdecken, über deren hochverräterische Tätigkeit jenseits der Grenzen an die Kommandanten der Truppenkörper schon vor einigen Monaten geheime Reservate gesandt worden waren, deren Inhalt besagte: daß manche Überläufer der tschechischen Regimenter, uneingedenk ihres Treueides, in die Reihen der russischen Armee eintreten und dem Feinde dienen oder ihm zumindest wirksame Spionagedienste leisten.

Das österreichische Innenministerium tappte noch im dunkeln, ob es irgendwelche Kampforganisationen, bestehend aus Überläufern zu den Russen, gäbe. Es wußte noch nichts Bestimmtes über die Revolutionsorganisation im Auslande, und erst im August, auf der Linie Sokal-Milijatin-Bubnow erhielten die Bataillonskommandanten Geheimreservate des Inhalts, daß der ehemalige österreichische Professor Masaryk über die Grenze geflüchtet sei, wo er eine antiösterreichische Propaganda entfalte.

Irgendein Dummkopf von der Division ergänzte das Reservat noch durch folgenden Befehl: »Im Falle der Gefangennahme unverzüglich dem Divisionsstab vorführen!«

Dies als Erinnerung für Herrn Präsidenten Masaryk, damit er wisse, welche Anschläge und Schlingen für ihn zwischen Sokal-Milijatin-Bubnow vorbereitet waren.

Major Wolf hatte zu jener Zeit noch keine Ahnung davon, auf welche Weise die Überläufer gegen Österreich arbeiteten, die später, wenn sie einander in Kiew oder anderswo begegneten: »Was machst du hier?« lustig antworteten: »Ich habe Seine Majestät den Kaiser verraten.«

Er wußte aus den Reservaten nur von Überläufer-Spionen, deren einer, den man soeben auf die Hauptwache brachte, ihm so einfach in die Falle gelaufen war. Major Wolf, ein einigermaßen eitler Mensch, vergegenwärtigte sich das Lob der höheren Stellen, die Auszeichnung für seine Wachsamkeit, seine Vorsicht und Begabung.

Bevor sie die Hauptwache erreichten, war er überzeugt, daß er die Frage: »Wer versteht Deutsch?« absichtlich gestellt hatte, weil ihm bei der Inspizierung gerade dieser eine Gefangene sofort verdächtig erschienen war.

Der ihn begleitende Offizier nickte mit dem Kopf und meinte, man werde die Verhaftung beim Garnisonskommando zur weiteren Amtshandlung und Vorführung des Angeklagten vor das Kriegsgericht melden müssen, denn es gehe unbedingt nicht an, den Mann, wie der Herr Major beabsichtige, auf der Hauptwache zu verhören und dann gleich hinter der Hauptwache zu hängen. Er werde gehängt werden, aber auf gerichtlichem Wege nach der Kriegsgerichtsordnung, damit vor der Hinrichtung durch ein genaues Verhör der Zusammenhang mit ähnlichen anderen Verbrechen aufgedeckt werden könne. Wer wisse, was da noch an den Tag kommen werde.

Major Wolf wurde von plötzlicher Unnachgiebigkeit erfaßt, eine bisher verborgene Unmenschlichkeit befiel ihn, und er erklärte, er werde diesen Überläufer-Spion sofort nach dem Verhör auf eigenes Risiko hängen lassen. Er könne sich dies übrigens erlauben, weil er hohe Bekanntschaften habe, ihm sei alles andere vollständig gleichgültig. Es sei genauso wie an der Front. Hätte man den Mann gleich hinter dem Schlachtfeld erwischt und gefangengenommen, dann hätte man ihn verhört und gleich gehängt und auch keine Faxen mit ihm gemacht. Übrigens wisse der Herr Hauptmann vielleicht, daß ein Kommandant im Kriegsgebiete, jeder Kommandant vom Hauptmann aufwärts, das Recht besitze, alle verdächtigen Individuen zu hängen.

Major Wolf irrte sich allerdings ein wenig, soweit es sich um die Rechtsvollmacht zum Hängen handelte.

In Ostgalizien erstreckte sich diese Gerichtsbarkeit, je näher man zur Front kam, auf immer niedrigere Chargen, bis sich schließlich Fälle ereigneten, wo ein Korporal, der eine Patrouille führte, einen zwölfjährigen Jungen hängen ließ, der ihm verdächtig schien, weil er in einem verlassenen und ausgeplünderten Dorf in einer eingestürzten Hütte Kartoffelschalen kochte. –

Der Streit zwischen Hauptmann und Major steigerte sich. »Sie haben kein Recht dazu«, schrie der Hauptmann aufgeregt. »Er wird auf Grund des gerichtlichen Urteils des Kriegsgerichtes gehängt werden.«

»Er wird ohne Urteil gehängt werden«, zischte Major Wolf.

Schwejk, der vor den beiden Offizieren geführt wurde und das ganze interessante Gespräch mit anhörte, sagte seinen Begleitern nichts anderes als: »Gehupft wie gesprungen. Da hamr uns euch mal im Wirtshaus ›Na Zavadilce‹ in Lieben miteinander gestritten, ob wir einen gewissen Hutmacher Waschak, was immer bei der Unterhaltung einen Radau angefangen hat, gleich, wie er sich in der Tür zeigt, herauswerfen solln oder ob wir ihn erst herauswerfen solln, bis er ein Bier hat, bezahlt und austrinkt oder bis er zum erstenmal eine Runde getanzt hat. Der Wirt wieder hat vorgeschlagen, daß wir ihn erst mitten in der Unterhaltung herauswerfen solln, bis er eine Zeche haben wird, daß er dann bezahlen und gleich heraus muß. Und wißt ihr, was uns der Lump angestellt hat? Er is nicht gekommen. Was sagt ihr da dazu?«

Beide Soldaten, die von irgendwo aus Tirol waren, antworteten gleichzeitig: »Nix böhmisch.«

»Verstehn Sie Deutsch?« fragte Schwejk ruhig.

»Jawohl«, antworteten beide, worauf Schwejk bemerkte: »Das is gut, wenigstens geht ihr unter euren Landsleuten nicht verloren.«

Während dieses freundschaftlichen Gesprächs erreichte man die Hauptwache, wo Major Wolf die Debatte mit dem Hauptmann über das Schicksal Schwejks fortsetzte, indes Schwejk bescheiden hinten auf einer Bank saß.

Major Wolf schloß sich schließlich doch der Meinung des Hauptmanns an, daß dieser Mensch erst nach der längeren Prozedur gehängt werden müsse, die man so lieblich »Rechtsweg« nennt.

Hätte man Schwejk gefragt, was er von dem allen halte, hätte er wohl geantwortet: »Es tut mir sehr leid, Herr Major, weil Sie eine höhere Charge haben wie der Herr Hauptmann, aber der Herr Hauptmann hat recht. Nämlich jede Übereilung is schädlich. Bei einem Bezirksgericht in Prag is mal ein Richter verrückt geworn. Lang hat man ihm nichts angemerkt, bis es bei ihm einmal bei einer Verhandlung wegen Ehrenbeleidigung zum Ausbrach gekommen is. Ein gewisser Znamenatschek hat zum Kaplan Hortig, der in der Religionsstunde seinen Jungen abgeohrfeigt hat, wie er ihn auf der Gasse getroffen hat, gesagt: ›Sie Ochs, du schwarzes Luder, du frommer Idiot, du schwarzes Schwein, du Ziegenbock von einem Pfarrer, du Schänder der Lehre Christi, du Heuchler und Scharlatan in der Kutte!‹ Dieser verrückte Richter war ein sehr frommer Mensch. Er hat drei Schwestern gehabt, und die waren alle Pfarrersköchinnen, und bei allen ihren Kindern war er Pate gestanden, so hat ihn das so aufgeregt, daß er auf einmal den Verstand verloren hat und den Angeklagten angebrüllt hat: ›Im Namen Seiner Majestät des Kaisers und Königs verurteile ich Sie zum Tode durch den Strang. Gegen dieses Urteil ist keine Berufung möglich.‹ – ›Herr Horatschek!‹ hat er dann den Aufseher gerufen: ›Nehmen Sie hier diesen Herrn und hängen Sie ihn dort auf, Sie wissen schon, wo man Teppiche klopft, und dann kommen Sie her, Sie bekommen auf Bier!‹ Das versteht sich, daß der Herr Znamenatschek samtn Aufseher stehngeblieben sind wie angewurzelt, aber er hat mitn Fuß gestampft und hat sie angeschrien: ›Wern Sie folgen oder nicht!‹ Der Aufseher is so erschrocken, daß er den Herrn Znamenatschek schon heruntergezogen hat, und wenn nicht der Verteidiger gewesen wär, der sich ins Mittel gelegt hat und die Rettungsstation gerufen hat, ich weiß nicht, wie es mitn Herrn Znamenatschek ausgefalln wär. Noch wie man den Herrn Richter in den Wagen der Rettungsstation gesetzt hat, hat er geschrien: ›Wenn Sie keinen Strick finden, hängen Sie ihn an einem Leintuch auf, wir verrechnens dann in den Halbjahrsausweisen.‹« –

Schwejk wurde also, nachdem das von Major Wolf aufgesetzte Protokoll unterschrieben worden war, unter Eskorte zum Garnisonskommando gebracht. Das Protokoll besagte, Schwejk habe als Angehöriger der österreichischen Armee wissentlich, ohne jede Pression, eine russische Uniform angezogen und sei hinter der Front, als die Russen zurückwichen, durch die Feldgendarmerie angehalten worden.

Das alles war heilige Wahrheit, und Schwejk, als redlicher Mensch, konnte dagegen nicht protestieren. Als er beim Niederschreiben des Protokolls versuchte, dasselbe durch irgendeinen Ausspruch, der die Situation vielleicht hätte näher beleuchten können, zu ergänzen, erscholl sofort der Befehl des Herrn Major: »Halten Sies Maul, danach frag ich Sie nicht! Die Sache ist vollständig klar.«

Schwejk salutierte dann jedesmal und erklärte: »Melde gehorsamst, daß ich das Maul halte und daß die Sache vollständig klar is.«

Als man ihn hierauf zum Garnisonskommando brachte, sperrte man ihn in irgendein Loch, das früher als Reismagazin und gleichzeitig als Mäusepensionat gedient hatte. Auf dem Boden war noch überall Reis verstreut, und die Mäuse fürchteten sich durchaus nicht vor Schwejk, sondern liefen munter umher, während sie die Körner auflasen. Schwejk mußte sich einen Strohsack holen, und als er im Finstern umherschaute, bemerkte er, daß in diesen Strohsack sofort eine ganze Mäusefamilie übersiedelte. Es bestand kein Zweifel, daß sie sich dort in den Trümmern des Ruhms, in einem morschen österreichischen Strohsack, ein neues Nest begründen wollte. Schwejk fing an, auf die versperrte Tür zu hämmern; irgendein Korporal – ein Pole – kam, und Schwejk verlangte, in einen andern Raum gebracht zu werden, weil er die Mäuse in seinem Strohsack zerdrücken und so dem Militärärar einen Schaden zufügen könne, denn was sich in den Militärmagazinen befinde, sei alles Eigentum des Ärars.

Der Pole verstand teilweise, drohte Schwejk vor der versperrten Tür mit der Faust, sagte noch etwas von einer »beschissenen Höhle« und entfernte sich, während er aufgeregt etwas von Cholera brummte, als hätte ihn Schwejk weiß Gott wie beleidigt.

Die Nacht verbrachte Schwejk ruhig, denn die Mäuse stellten keine großen Ansprüche an ihn, sondern hatten offenbar ihr nächtliches Programm, das sie im anstoßenden Magazin, voll Soldatenmänteln und Mützen, abhielten, die sie mit großer Sicherheit und Selbstverständlichkeit durchbissen; die Intendantur besann sich nämlich erst ein Jahr später, in den Militärmagazinen ärarische Katzen (ohne Anspruch auf Pension) einzuführen, die in den Intendanturen unter der Rubrik »k. u. k. Militärmagazinkatze« geführt wurden. Dieser Katzenrang war eigentlich nur die Erneuerung einer alten Institution, die nach dem Krieg im Jahre sechsundsechzig aufgehoben worden war.

Früher, noch unter Maria Theresia, hatte man zu Kriegszeiten gleichfalls Katzen in die Militärmagazine gebracht, als die Herren von der Intendantur alle ihre Unterschleife mit den Monturen auf die unglücklichen Mäuse abwälzen wollten.

Die k. u. k. Katzen erfüllten aber in vielen Fällen nicht ihre Pflicht, und so geschah es, daß einmal unter Kaiser Leopold im Militärmagazin auf dem PohořelezPrager Platz. auf Grund eines Kriegsgerichtsurteils sechs den Militärmagazinen zugeteilte Katzen erhängt wurden. Ich bin überzeugt, daß sich damals alle in den Bart lachten, die mit diesem Militärmagazin zu tun hatten . . .

Mit dem Morgenkaffee steckte man zu Schwejk irgendeinen Menschen in russischer Uniform und russischem Militärmantel hinein.

Der Mann sprach Tschechisch mit polnischem Akzent. Er war einer von jenen Lumpen, die in jedem Armeekorps, dessen Kommando sich in Przemysl befand, bei der Gegenspionage dienten. Er war ein Mitglied der militärischen Geheimpolizei und ließ sich einen raffinierten Übergang zur Auskundschaftung Schwejks nicht einmal besonders angelegen sein. Er begann ganz einfach: »In eine hübsche Schweinerei bin ich da durch meine Unvorsichtigkeit geraten. Ich hab beim 28. Regiment gedient und bin gleich bei den Russen in Dienst getreten, und dann laß ich mich so dumm fangen. Ich meld mich den Russen, daß ich auf Vorpatrouille gehen werde. Ich hab bei der 6. Kiewer Division gedient. Bei welchem russischen Regiment hast du gedient, Kamerad? Mir kommt so vor, daß wir uns irgendwo in Rußland gesehn haben. Ich hab in Kiew viele Tschechen gekannt, die mit uns an die Front gegangen sind, wie wir zur russischen Armee übergegangen sind, ich kann mich jetzt aber nicht an ihre Namen erinnern und woher sie waren, vielleicht erinnerst du dich an jemanden; mit wem hast du dort verkehrt, ich möcht gern wissen, wer von unserm 28. Regiment dort ist?«

Statt zu antworten, griff ihm Schwejk besorgt an die Stirn, dann prüfte er ihm den Puls; zum Schluß führte er ihn zu dem kleinen Fensterchen und forderte ihn auf, die Zunge herauszustecken. Gegen diese ganze Prozedur wehrte der Schuft sich nicht, da er vermutete, daß es sich vielleicht um ein bestimmtes Zeichen der Verschworenen handle. Dann fing Schwejk an, an die Tür zu trommeln, und als eine Wache kam und fragte, weshalb er Lärm schlage, verlangte er auf deutsch und tschechisch, man möge sofort einen Doktor holen, weil der Mann, den man ihm hereingegeben habe, verrückt geworden sei.

Es nützte jedoch nichts, der Mann wurde nicht gleich geholt. Er blieb ganz ruhig dort und fuhr fort, etwas von Kiew zu faseln; er habe Schwejk dort entschieden gesehen, wie dieser mit den russischen Soldaten marschiert sei.

»Sie ham entschieden Sumpfwasser trinken müssen«, sagte Schwejk, »wie der junge Tynezkej von uns, was ein ganz vernünftiger Mensch war, aber einmal eine Reise unternommen hat und bis nach Italien gekommen is. Der hat auch von nichts anderm gesprochen wie von diesem Italien, daß dort lauter sumpfiges Wasser is und sonst keine Denkwürdigkeiten. Und er hat auch von diesem Sumpfwasser Fieber gekriegt. Es hat ihn viermal im Jahr gepackt. An Allerheiligen, am heiligen Joseph, an Peter und Paul und an Maria Himmelfahrt. Wenns ihn gepackt hat, so hat er alle Leute, ganz fremde und unbekannte, grad so erkannt wie Sie. Er hat meintwegen einen x-beliebigen Menschen in der Elektrischen angesprochen, daß er ihn kennt, daß sie sich am Bahnhof in Wien gesehn ham. Alle Leute, was er auf der Gasse begegnet hat, hat er entweder am Bahnhof in Mailand gesehn gehabt, oder er is mit ihnen in Graz im Rathauskeller beim Wein gesessen. Wenn er in der Zeit, wo dieses Sumpffieber über ihn gekommen is, im Wirtshaus gesessen is, so hat er alle Gäste erkannt, alle hat er auf dem Dampfer gesehn gehabt, mit dem er nach Venedig gefahren is. Dagegen hats aber kein anderes Mittel gegeben, als was ein neuer Wärter in der Prager Irrenanstalt gemacht hat. Er hat einen Geisteskranken in Pflege bekommen, was den ganzen Tag nichts anderes gemacht hat, als in einem Winkel sitzen und zählen: ›Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs‹ und wieder vom Anfang: ›Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs‹. Es war irgendein Professor. Der Wärter hat vor Wut aus der Haut fahren können, wie er gesehn hat, daß dieser Narr nicht über Sechse herauskommen kann. Zuerst hat er im guten mit ihm angefangen, er soll sagen: ›Sieben, acht, neun, zehn.‹ Aber woher! Der Professor hat sich nicht die Bohne drum geschert. Er sitzt im Winkerl und zählt: ›Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs!‹ So hat der Wärter Wut gekriegt, is auf seinen Pflegling zugesprungen und hat ihm, wie dieser ›sechs‹ gesagt hat, eine Watsche gegeben. ›Da hast du sieben‹, sagt er, ›und da hast du acht, neun, zehn.‹ Soviel Zahlen, soviel Ohrfeigen. Der Professor hat sich am Kopf gepackt und hat gefragt, wo er is. Wie er ihm gesagt hat, daß er im Irrenhaus is, hat er sich an alles erinnert, daß er wegen irgendeinem Kometen ins Irrenhaus gekommen is, wie er ausgerechnet hat, daß er übers Jahr am 18. Juni, um 6 Uhr früh, auftauchen wird, und man ihm bewiesen hat, daß sein Komet schon vor vielen Millionen Jahren verbrannt is. Den Wärter hab ich gekannt. Wie der Professor ganz zu sich gekommen is und man ihn entlassen hat, hat er sich ihn als Diener zu sich genommen. Er hat nichts anderes zu tun gehabt, wie dem Herrn Professor jeden Morgen vier Watschen herunterzuhaun, was er gewissenhaft und genau ausgeführt hat.« »Ich kenne alle Ihre Bekannten in Kiew«, fuhr der Agent der Gegenspionage unermüdlich fort, »war nicht so ein Dicker und so ein Magerer dort mit Ihnen? Jetzt weiß ich nicht, wie sie geheißen haben und von welchem Regiment sie waren . . .«

»Machen Sie sich nix draus«, tröstete ihn Schwejk, »das kann jedem passieren, daß er sich nicht merkt, wie alle dicken und magern Leute heißen. Magere Leute merkt man sich freilich schwerer, weil die meisten Leute auf der Welt mager sind. Sie bilden also eine Mehrheit, wie man sagt.«

»Kamerad«, ließ sich der k. k. Schuft klagend vernehmen, »du glaubst mir nicht. Es erwartet uns doch das gleiche Schicksal.«

»Zudem sind wir Soldaten«, sagte Schwejk nachlässig, »dazu ham uns unsere Mütter geboren, damit man uns auf Nudeln zerhackt, bis man uns die Montur anzieht. Und wir machens gern, weil wir wissen, daß unsere Knochen nicht umsonst faulen wern. Wir wern für Seine Majestät den Kaiser und sein Haus falln, für das wir die Herzegowina erobert ham. Aus unsern Knochen wird man Spodium für die Zuckerfabriken erzeugen, das hat uns schon vor Jahren der Herr Lajtnant Zimmer erklärt. ›Ihr Schweinebande‹, hat er gesagt, ›ihr ungebildeten Säue, ihr nutzlosen, indolenten Affen, ihr verwechselt euch die Haxen, wie wenn sie keinen Wert hätten. Wenn ihr mal im Krieg fallen werdet, so macht man aus jedem Knochen von euch ½ kg Spodium, aus jedem Mann über 2 kg, Beine und Pratzen zusammengenommen, und in der Zuckerfabrik wird man Zucker durch euch filtrieren, ihr Idioten. Ihr wißt gar nicht, wie ihr euren Nachkommen noch nachn Tod nützlich sein werdet. Eure Buben wern Kaffee trinken, was mit Zucker gesüßt sein wird, was durch eure Gebeine gegangen is.‹ Einmal bin ich nachdenklich geworn, und er auf mich los, worüber ich nachdenk. ›Melde gehorsamst‹, sag ich, ›ich denk mir so, daß Spodium von den Herrn Offizieren viel teurer sein muß als aus gemeinen Soldaten.‹ Drauf hab ich drei Tage Einzel gekriegt.«

Schwejks Gefährte pochte an die Tür und unterhandelte mit dem Wächter, der etwas in die Kanzlei rief.

Bald darauf holte irgendein Stabsfeldwebel Schwejks Gefährten ab, und Schwejk war wieder allein.

Beim Gehen sagte diese Kreatur laut zum Stabsfeldwebel: »Es ist mein alter Kamerad aus Kiew.«

Volle vierundzwanzig Stunden lang blieb Schwejk allein, die Unterbrechungen abgerechnet, in denen man ihm Essen brachte.

In der Nacht kam er zu der Überzeugung, daß der russische Soldatenmantel ärmer und größer sei als der österreichische und daß es nicht unangenehm ist, wenn eine Maus des Nachts das Ohr eines schlafenden Menschen beschnuppert. Schwejk erschien dies im Schlaf wie ein zärtliches Geflüster, aus dem man ihn im Morgengrauen erweckte, als man ihn abholte.

Schwejk vermag sich heute nicht mehr vorzustellen, was für ein gerichtliches Forum es war, vor das man ihn an jenem traurigen Morgen führte. Daß es sich um ein Kriegsgericht handelte, darüber bestand kein Zweifel. Beisitzer war sogar irgendein General, dann ein Oberst, ein Major, ein Oberleutnant, ein Leutnant, ein Feldwebel und irgendein Infanterist, der eigentlich nichts anderes machte, als daß er den andern Zigaretten anzündete.

Schwejk wurde nicht viel gefragt.

Der Major zeigte ein etwas größeres Interesse und sprach Tschechisch.

»Sie haben Seine Majestät den Kaiser verraten«, fuhr er Schwejk an.

»Jesusmaria, wann?« rief Schwejk, »ich sollt Seine Majestät den Kaiser verraten ham, unsern durchlauchtigsten Monarchen, für den ich schon so viel gelitten hab?«

»Lassen Sie die Dummheiten«, sagte der Major.

»Melde gehorsamst, Herr Major, daß das keine Dummheit is, Seine Majestät den Kaiser zu verraten. Wir Kriegsvolk ham Seiner Majestät dem Kaiser Treue geschworen, und diesen Eid, wie man im Theater gesungen hat, hab ich als treuer Mann erfüllt.«

»Da haben wirs«, sagte der Major, »hier sind Beweise für Ihre Schuld.« Er zeigte ihm einen umfangreichen Aktenstoß.

Das Hauptmaterial hatte der Mann geliefert, den man zu Schwejk gesteckt hatte.

»Sie wollen also noch nicht gestehn?« fragte der Major. »Sie haben doch schon selbst zugegeben, daß Sie die russische Uniform freiwillig als Angehöriger der österreichischen Armee angezogen haben. Ich frage Sie zum letztenmal: Waren Sie dazu durch irgend etwas gezwungen?«

»Ich habe es ohne Zwang getan.«

»Freiwillig?«

»Freiwillig.«

»Ohne Druck?«

»Ohne Druck.«

»Wissen Sie, daß Sie verloren sind?«

»Ich weiß. Vom 91. Regiment hat man mich gewiß schon gesucht, aber erlauben Sie, Herr Major, eine kleine Bemerkung, wie sich Leute freiwillig fremde Kleider anziehn. Im Jahre 1908, einmal im Juli, hat Ihnen der Buchbinder Boschetech aus der Langengasse in Prag in Zbraslaw im alten Arm der Beroun gebadet. Die Kleider hat er sich zwischen die Weiden gelegt, und es war ihm sehr angenehm, wie später noch ein Herr zu ihm ins Wasser gestiegen is. Ein Wort hat das andere gegeben, sie ham sich geneckt, ham sich angespritzt, ham bis Abend getaucht. Dann is der fremde Herr zuerst ausn Wasser gekrochen, daß er herich nachtmahln gehn muß. Der Herr Boschetech is noch eine Weile im Wasser geblieben, und dann is er sich in die Weiden um die Kleider gegangen und hat statt seiner Kleider ein paar zerfetzte Landstreicherkleider und einen Zettel gefunden:

›Ich hab mirs lang überlegt: soll ich – soll ich nicht. Weil wir uns zusamm so schön im Wasser unterhalten ham, so hab ich mir eine Butterblume abgerissen, und das letzte abgerissene Blatt war: Soll! Drum hab ich mir mit Ihnen die Hadern verwechselt. Sie müssen sich nicht fürchten hineinzukriechen. Entlaust sind sie vor einer Woche beim Bezirksamt in Dobrschisch worn. Nächstens geben Sie sich besser acht, mit wem Sie baden. Im Wasser sieht jeder nackte Mensch aus wie ein Abgeordneter und is meintwegen ein Mörder. Sie ham auch nicht gewußt, mit wem Sie gebadet ham. Das Bad ist dafür gestanden. Jetzt gegen Abend is das Wasser am angenehmsten. Kriechen Sie noch mal hinein, damit Sie zu sich kommen.‹

Herrn Boschetech is nichts anderes übriggeblieben, wie zu warten bis es finster wird, und dann hat er sich die Landstreicherkleider angezogen und is in der Richtung nach Prag gegangen. Er is den Bezirksstraßen ausgewichen und is auf Feldwegen über die Wiesen gegangen und is mit der Gendarmeriepatrouille aus Kuchelbad zusammengestoßen. Die hat den Landstreicher verhaftet und am nächsten Tag früh nach Zbraslaw zum Bezirksgericht gebracht, denn das könnt jeder sagen, daß er der Josef Boschetech, Buchbinder aus der Langengasse Nr. 16 in Prag ist.«

Der Schriftführer, der nur sehr wenig Tschechisch verstand, begriff, daß der Angeklagte die Adresse seines Mitschuldigen angab, deshalb fragte er nochmals: »Ist das genau, Prag Nr. 16, Josef Boschetech?«

»Ob er noch dort wohnt, weiß ich nicht«, antwortete Schwejk, »aber damals im Jahre 1908 hat er dort gewohnt. Er hat sehr hübsch Bücher gebunden, aber es hat lang gedauert, weil er sie zuerst hat lesen müssen und nachn Inhalt gebunden hat. Wenn er ein Buch schwarz beschnitten hat, hats schon niemand mehr lesen müssen. Da hat man gleich gewußt, daß es in dem Roman sehr schlecht ausgefalln is. Wünschen Sie vielleicht noch was Näheres? Daß ich nicht vergeß: er is jeden Tag beim ›Fleck‹ gesessen und hat den Inhalt von allen Büchern erzählt, die er grad zum Einbinden bekommen hat.«

Der Major trat zum Schriftführer und flüsterte ihm etwas zu, worauf dieser in den Akten die Adresse des neuen vermeintlichen Verschwörers Boschetech strich.

Dann wurde diese sonderbare Verhandlung nach Art eines Standgerichtes, unter dem Vorsitz des Generals Fink von Finkenstein, fortgesetzt.

So wie mancher Mensch das Steckenpferd hat, Streichholzschachteln zu sammeln, war es wiederum das Steckenpferd dieses Herrn, Standgerichte einzusetzen, obwohl dies in der Mehrzahl der Fälle gegen die Kriegsgerichtsordnung verstieß.

Dieser General pflegte zu sagen, daß er keinen Auditor brauche, daß er das Gericht selbst einsetze und jeder Kerl binnen drei Stunden hängen müsse. Solange er an der Front war, hatte es bei ihm nie Not um ein Standgericht gegeben.

So wie jemand täglich regelmäßig eine Partie Schach, Kegel oder Mariage spielen muß, so ließ dieser treffliche General täglich ein Standgericht zusammentreten, führte den Vorsitz und kündigte mit großem Ernst und großer Freude dem Angeklagten ein Match an.

Wollte man sentimental sein, so müßte man schreiben, daß dieser Mann viele Dutzend Menschen auf dem Gewissen hatte, hauptsächlich im Osten, wo er, wie er sagte, mit der großrussischen Agitation unter den galizischen Ukrainern zu kämpfen hatte. Von seinem Standpunkt aus kann aber nicht die Rede davon sein, daß er jemanden auf dem Gewissen hatte.

Das existierte nicht bei ihm. Hatte er einen Lehrer, eine Lehrerin, einen Popen oder eine ganze Familie auf Grund des Urteils seines Standgerichts hängen lassen, kehrte er ruhig in seine Ubikation zurück, wie ein leidenschaftlicher Mariagespieler zufrieden aus dem Wirtshaus heimkehrt und darüber nachdenkt, wie man ihm an den Leib gerückt war, wie er »re« gab, sie »supre«, er »tuti«, und wie er gewonnen und hundert und den Siebner gehabt hatte. Er hielt Hängen für etwas Einfaches und Natürliches, gewissermaßen für das tägliche Brot, vergaß bei der Urteilsfällung häufig genug des Kaisers und sagte nicht einmal mehr: »Im Namen Seiner Majestät des Kaisers verurteile ich Sie zum Tode durch den Strang«, sondern verkündete: »Ich verurteile Sie . . .«

Zuweilen gewann er dem Hängen sogar eine komische Seite ab, worüber er auch einmal seiner Gattin nach Wien schrieb: ». . . oder kannst Du Dir zum Beispiel, meine Teure, nicht vorstellen, wie ich letzthin gelacht habe, als ich vor einigen Tagen einen Lehrer wegen Spionage verurteilte. Ich habe einen geübten Menschen zum Hängen, er hat schon eine größere Praxis, es ist ein Feldwebel und betreibt das als Sport. Ich war in meinem Zelt, wie dieser Feldwebel nach dem Urteil zu mir kommt und mich fragt, wo er diesen Lehrer aufhängen soll. Ich sagte ihm, hinter dem nächsten Baum, und jetzt stell Dir die Komik der Situation vor! Wir waren mitten in der Steppe, wo wir weit und breit nichts anderes sahen als Gras und meilenweit kein Bäumchen. Befehl ist Befehl, deshalb nahm der Feldwebel den Lehrer mit einer Eskorte mit, und sie ritten fort, um einen Baum zu suchen.

Erst am Abend kehrten sie zurück, und zwar mit dem Lehrer. Der Feldwebel kam zu mir und fragte mich abermals: ›Woran soll ich den Kerl aufhängen?‹ Ich schimpfte ihn aus, mein Befehl habe doch gelautet, an den nächsten Baum. Er sagte, daß er es also am Morgen versuchen werde, und am Morgen kam er ganz bleich, der Lehrer sei seit früh verschwunden. Mir kam das so lächerlich vor, daß ich allen verzieh, die ihn bewacht hatten, und noch den Witz machte, daß der Lehrer sich wahrscheinlich selbst nach einem Baum umschaun gegangen war. Also Du siehst, meine Teure, daß wir uns hier nicht langweilen, und sag dem kleinen Willichen, daß der Papa ihn küssen läßt und ihm bald einen lebendigen Russen schicken wird, auf dem Willichen reiten wird wie auf einem Pferdchen. Noch an einen zweiten komischen Vorfall erinnere ich mich, meine Teure. Wir hängten neulich einen Juden wegen Spionage. Der Kerl ist uns in den Weg gelaufen, obwohl er dort nichts zu tun hatte, und hat sich ausgeredet, daß er Zigaretten verkauft. Er ist also gehangen, aber bloß ein paar Sekunden, der Strick riß, und er fiel herunter, kam sofort zur Besinnung und schrie mich an: ›Herr General, ich geh nach Haus, ihr habt mich schon gehängt, nach dem Gesetz kann ich nicht für eine Sache zweimal gehängt werden.‹ Ich brach in ein Gelächter aus, und wir ließen den Juden laufen. Bei uns, meine Teure, geht es lustig zu . . .«

Als General Fink Garnisonskommandant der Festung Przemysl wurde, hatte er nicht mehr so oft Gelegenheit, ähnliche Schauspiele zu arrangieren; deshalb griff er Schwejks Fall mit großer Freude auf.

Schwejk stand also vor einem Tiger, der, im Vordergrund an einem langen Tische sitzend, eine Zigarette nach der andern rauchte und sich die Aussprüche Schwejks übersetzen ließ, wobei er zustimmend mit dem Kopf nickte.

Der Major stellte den Antrag, an die Brigade eine telegrafische Anfrage zwecks Sicherstellung des augenblicklichen Aufenthaltsortes der 11. Marschkompanie des 91. Regimentes zu richten, dem der Angeklagte laut seiner Aussage angehörte.

Der General trat dagegen auf und erklärte, daß dadurch das rasche Verfahren des Standgerichtes und die eigentliche Bedeutung dieser Institution illusorisch gemacht werde. Es liege doch das vollständige Geständnis des Angeklagten vor, daß er die russische Uniform angezogen habe, weiter die wichtige Zeugenaussage über das Geständnis des Angeklagten, in Kiew gewesen zu sein. Er beantragte daher, sich zur Beratung zurückzuziehen, damit das Urteil verkündet und sofort vollstreckt werden könne.

Allein der Major beharrte auf seiner Ansicht, es sei nötig, die Identität des Angeklagten festzustellen, da die ganze Angelegenheit von außergewöhnlicher politischer Bedeutung sei. Durch die Feststellung seiner Identität könne man den weiteren Verkehr des Beschuldigten mit den ehemaligen Kameraden von jener Abteilung aufdecken, der er angehörte.

Der Major war ein romantischer Träumer. Er sprach noch davon, daß man eigentlich gewisse Fäden suchen müsse, daß es nicht genüge, einen Menschen zu verurteilen. Die Verurteilung sei nur die Resultante einer bestimmten Untersuchung, die Fäden in sich berge, welche . . .

Er konnte sich aus diesen Fäden nicht herauswinden, aber alle verstanden ihn und nickten zustimmend mit dem Kopf, sogar der Herr General, dem diese Fäden so gut gefielen, daß er sich die neuen Standgerichte vorstellte, die an den Fäden des Majors hängen würden. Deshalb protestierte er auch nicht mehr, daß bei der Brigade festgestellt werden sollte, ob Schwejk tatsächlich zum 91. Regiment gehörte und wann beiläufig und gelegentlich welcher Operationen der 11. Marschkompanie er zu den Russen übergegangen sei.

Schwejk wurde während der ganzen Dauer dieser Debatte auf dem Gang von zwei Bajonetten bewacht; dann wurde er abermals vor das Gericht geführt und noch einmal gefragt, zu welchem Regiment er eigentlich gehöre. Hierauf wurde er ins Garnisonsgefängnis übergeführt.

Als General Fink nach dem erfolglosen Standgericht heimkehrte, legte er sich aufs Kanapee und dachte darüber nach, wie er eigentlich die ganze Verhandlung beschleunigen könne.

Er war fest überzeugt, daß die Antwort zwar bald, aber dennoch nicht mit jener Geschwindigkeit eintreffen werde, durch die sich seine Standgerichte auszeichneten; außerdem stand jetzt noch die geistliche Tröstung des Verurteilten bevor, was die Vollstreckung des Urteils zwecklos um zwei Stunden hinausschieben würde.

»Das ist egal«, dachte General Fink, »wir können ihm die geistliche Tröstung vor Fällung des Urteils gewähren, noch bevor die Berichte von der Brigade eintreffen. Hängen wird er ohnehin.«

General Fink ließ Feldkurat Martinec zu sich rufen.

Das war ein unglücklicher Katechet und Kaplan aus Mähren, der so ein Luder von Pfarrer zum Vorgesetzten gehabt hatte, daß er lieber zum Militär gegangen war. Er war ein wahrhaft religiös veranlagter Mann und gedachte bekümmerten Herzens seines Pfarrers, der langsam, aber sicher der Verderbnis verfiel. Er dachte daran, daß sein Pfarrer wie ein Bürstenbinder Sliwowitz gesoffen und ihm einmal des Nachts mit Gewalt eine herumziehende Zigeunerin ins Bett gesteckt hatte, die er hinter dem Dorfe fand, als er aus einer Branntweinschenke taumelte.

Feldkurat Martinec glaubte, daß er als geistlicher Tröster der Verwundeten und Sterbenden auf dem Schlachtfeld auch die Sünden seines gottvergessenen Pfarrers sühne, der ihn, wenn er des Nachts nach Hause kam, unzähligemal geweckt und gesagt hatte:

»Hänschen, Hänschen! Ein pralles Mädl, das is mein ganzes Glück.«

Seine Hoffnungen erfüllten sich nicht. Man schob ihn von einer Garnison in die andere, wo er überhaupt nichts anderes zu tun hatte, als in den Garnisonskirchen einmal in vierzehn Tagen vor der Messe den Soldaten zu predigen und der Versuchung zu widerstehen, die vom Offizierskasino ausging, wo Reden geführt wurden, daß die prallen Mädel seines Pfarrers im Vergleich damit Gebete zum Schutzengel waren.

Zu General Fink wurde er für gewöhnlich zur Zeit großer Operationen auf dem Kriegsschauplatz gerufen, wenn irgendein Sieg der österreichischen Armee gefeiert werden sollte; in solchen Fällen arrangierte General Fink mit der gleichen Vorliebe, die er sonst für Standgerichte hatte, Feldmessen.

Dieser Fink war so ein österreichischer Patriot, daß er für den Sieg der reichsdeutschen oder türkischen Waffen nicht betete. Wenn die Reichsdeutschen irgendwo über Frankreich oder England gesiegt hatten, überging er dies am Altar mit völligem Schweigen.

Ein bedeutungsloses Scharmützel einer österreichischen Kundschafterabteilung mit einer russischen Vorpatrouille dagegen, die der Stab zu der ungeheuren Seifenblase einer Niederlage der ganzen russischen Armee aufblies, gab General Fink Anlaß zu feierlichen Gottesdiensten, so daß der unglückliche Feldkurat Martinec den Eindruck hatte, General Fink sei gleichzeitig das Oberhaupt der katholischen Kirche in Przemysl.

General Fink entschied auch über das Zeremoniell anläßlich einer solchen Messe und hätte sie am liebsten immer so wie den Fronleichnamstag gesehen.

Er hatte in der Gewohnheit, nach beendeter Elevation zu Pferd auf den Exerzierplatz zum Altar zu galoppieren und dreimal zu rufen: »Hurra – hurra – hurra!«

Feldkurat Martinec, eine gläubige und gerechte Seele, einer der wenigen, die noch an Gott glaubten, ging ungern zu General Fink.

Nachdem der Garnisonskommandant alle Instruktionen erteilt hatte, ließ General Fink stets etwas Scharfes eingießen und erzählte dann die neuesten Anekdoten aus den idiotischsten Bändchen, die von den »Lustigen Blättern« fürs Militär herausgegeben wurden.

Er besaß eine ganze Bibliothek solcher Bändchen mit blödsinnigen Aufschriften wie: »Humor im Tornister für Aug und Ohr«, »Hindenburg-Anekdoten«, »Hindenburg im Spiegel des Humors«, »Der zweite Tornister voll Humor, gefüllt von Felix Schlemper«, »Aus unserer Gulaschkanone«, »Saftige Granatsplitter aus dem Schützengraben« oder folgende Trotteleien: »Unter dem Doppeladler«, »Ein Wiener Schnitzel aus der k. k. Feldküche, aufgewärmt von Artur Lokesch«. Bisweilen sang er ihm auch aus der Sammlung lustiger Soldatenlieder das Lied »Wir müssen siegen!« vor, wobei er ununterbrochen etwas Scharfes einschenkte und Feldkurat Martinec nötigte, mit ihm zu trinken und zu grölen. Dann führte er unflätige Reden, bei denen Kurat Martinec mit Kümmernis im Herzen seines Pfarrers gedachte, der hinter General Fink, was derbe Worte betraf, in nichts zurückgestanden war.

Kurat Martinec bemerkte mit Entsetzen, daß er moralisch immer mehr verfiel, je öfter er zu General Fink ging.

Dem Unglücklichen begannen die Liköre zu schmecken, die er beim General trank, und auch die Reden des Generals begannen ihm allmählich zu gefallen; er bekam wüste Vorstellungen, und über der Kontuschovka, dem Wacholderschnaps und den Spinnweben auf den Flaschen alten Weins, den ihm General Fink vorsetzte, vergaß er Gott; zwischen den Zeilen des Breviers tanzten vor seinen Augen die Weiber aus den Erzählungen des Generals. Der Abscheu gegen die Besuche beim General ließ allmählich nach.

Der General fand Gefallen an Kurat Martinec, der ihm anfangs als irgendein heiliger Ignaz von Loyola entgegengetreten war und sich der Umgebung des Generals langsam anpaßte.

Einmal lud der General zwei Schwestern aus dem Feldspital zu sich ein, die dort eigentlich gar nicht bedienstet, sondern nur wegen des Gehaltes eingeschrieben waren und ihre Einnahmen durch Prostitution vergrößerten, wie dies in diesen schweren Zeiten üblich war. Er ließ Feldkurat Martinec rufen, der bereits so tief in die Klauen des Teufels gefallen war, daß er nach einer halbstündigen Unterhaltung beide Damen gewechselt hatte, wobei er wie ein Hirsch röhrte und das ganze Kissen auf dem Kanapee bespuckte. Danach warf er sich lange Zeit hindurch diese verworfene Handlung vor, obwohl er sie nicht einmal dadurch gutmachen konnte, daß er in jener Nacht auf dem Heimweg irrtümlich im Park vor der Statue des Baumeisters und Bürgermeisters der Stadt, des Mäzens Herrn Grabowsky, der sich in den achtziger Jahren große Verdienste um Przemysl erworben hatte, andächtig niederkniete.

Nur das Stampfen der Militärwache mengte sich in seine inbrünstigen Worte:

»Richte nicht Deinen Diener, denn kein Mensch wird vor Dir bestehen, so Du ihm nicht läßt Vergebung für alle seine Sünden widerfahren. So sei denn, ich flehe Dich an, Dein Richtspruch nicht allzu hart. Deine Hilfe erbitte ich herab, und in Deine Hände befehle ich meine Seele, o Herr.«

Seit damals machte er einigemal den Versuch, sobald man ihn zu General Fink berief, allen irdischen Freuden zu entsagen und redete sich dabei mit einem verdorbenen Magen aus; er hielt diese Lüge für notwendig, wenn seiner Seele höllische Martern erspart bleiben sollten, denn er war gleichzeitig der Ansicht, daß die militärische Disziplin es erfordere, daß ein Feldkurat, wenn der General ihm sagte: »Sauf, Kamerad«, schon aus bloßer Achtung vor dem Vorgesetzten saufen müsse.

Bisweilen gelang ihm dies allerdings nicht, hauptsächlich wenn der General nach feierlichen Gottesdiensten noch feierlichere Fressereien auf Kosten der Garnisonskassa veranstaltete; das Geld wurde dann auf allerhand Art im Kontor zusammengetrommelt, damit man auch was dran verdiene, und der Feldkurat stellte sich dann immer vor, daß er vor dem Antlitz Gottes moralisch verdammt und zu einem zitternden Menschen geworden sei.

Er ging umher wie im Nebel, und während er in dem Chaos den Glauben an Gott nicht verlor, begann er bereits ganz ernsthaft darüber nachzudenken, ob er sich nicht täglich regelmäßig geißeln sollte.

In einer ähnlichen Stimmung stellte er sich auch jetzt auf Einladung des Generals ein.

General Fink ging ihm strahlend und erfreut entgegen.

»Haben Sie schon«, rief er ihm jubelnd zu, »von meinem Standgericht gehört? Wir werden einen Landsmann von Ihnen hängen.«

Bei dem Wort »Landsmann« schaute Feldkurat Martinec schmerzerfüllt auf den General. Schon einigemal hatte er die Vermutung zurückgewiesen, ein Tscheche zu sein, und hatte bereits unzähligemal erklärt, daß zu seinem mährischen Pfarrsprengel zwei Gemeinden gehörten, eine tschechische und eine deutsche, und daß er oft an einem Sonntag für die Tschechen und am zweiten für die Deutschen predigen müsse; und da in der tschechischen Gemeinde keine tschechische, sondern nur eine deutsche Schule sei, müsse er in beiden Gemeinden deutsch unterrichten, deshalb sei er kein Tscheche. Diese logische Begründung hatte einmal einem Major bei Tisch Anlaß zu der Bemerkung gegeben, daß der Feldkurat aus Mähren eigentlich eine Gemischtwarenhandlung sei.

»Pardon«, sagte der General, »ich habe vergessen, es ist nicht Ihr Landsmann. Er ist Tscheche, ein Überläufer, ein Verräter, hat bei den Russen gedient, wird hängen. Inzwischen aber stellen wir der Form zulieb seine Identität fest, das macht nichts, hängen wird er sofort, wie die telegrafische Nachricht eintrifft.«

Während er den Feldkuraten neben sich auf das Kanapee setzen ließ, fuhr der General lustig fort: »Wenn bei mir ein Standgericht stattfindet, muß alles auch wirklich der Schnelligkeit dieses Gerichtes entsprechen, das ist mein Prinzip. Als ich noch zu Kriegsbeginn in Lemberg war, hab ich es zuweg gebracht, daß wir einen Kerl drei Minuten nach Verkünden des Urteils gehängt haben. Das war allerdings ein Jude, aber einen Ruthenen haben wir fünf Minuten nach unserer Beratung gehängt.«

Der General lachte gutmütig: »Beide haben zufällig keinen geistlichen Trost gebraucht. Der Jude war Rabbiner und der Ruthene Pope. Dieser Fall ist allerdings anders, hier handelt es sich darum, einen Katholiken zu hängen. Um die Sache nicht zu verzögern, bin ich auf den kapitalen Einfall gekommen, daß Sie ihm den geistlichen Trost im voraus erteilen sollen; wie gesagt, damit sich die Sache dann nicht verzögert.«

Der General klingelte und befahl dem Diener:

»Bring zwei von der gestrigen Batterie.«

Und während er gleich darauf dem Feldkuraten ein Weinglas füllte, sagte er freundlich: »Trösten Sie sich selbst ein bißchen vor der geistlichen Tröstung . . .«

Aus dem vergitterten Fenster, hinter dem Schwejk auf dem Kavallett saß, ertönte in dieser schrecklichen Zeit sein Gesang:

»Wir Soldaten, wir sind Herrn,
Uns ham alle Mädl gern,
Wir fassen viel Geld,
Hams gut auf der Welt . . .
Za rara . . . Eins, zwei . . .«


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