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17

Wäre es jetzt wie in alten Tagen gewesen, so würde der Leutnant ein Monument auf Adelheids Grab errichtet haben; was konnte er jetzt tun? Natürlich hatte er schon einen Ausweg gefunden: eine große und würdige Platte aus Bronze, aber das war kein Denkmal, kein Grabmal. Und natürlich würde er der Kirche in Adelheids Namen vergoldete Silberschüsseln geschenkt haben, wenn er nur irgendwie das Geld dazu übrig gehabt hätte.

Es begann also knapp zuzugehen?

Weshalb sollte es denn auch nicht knapp zugehen?

Er hatte ja schon vorher auf die Orgel verzichten müssen. Und war er imstande gewesen, Adelheids und sein eigenes Bild für die Ahnengalerie malen zu lassen? Es kränkte ihn, den geborenen Ordnungsmenschen, daß eine derartige große Sache versäumt worden war. Außerdem ging nun der kleine Gottfred da herum, etwas mußte für ihn getan werden. Und die kleine Pauline – sollte es ihr etwa schlecht ergehen? Und der Halblappe Petter, der ja einstens Adelheids Reitknecht gewesen war?

Oh, es war wohl zu irgend etwas gut, daß Adelheid beizeiten fortgewandert war – sie hätte es nicht aushalten können, ihr Gesang wäre verstummt. Es gibt Unglücksfälle in einer Familie, die sich in Segen verwandeln – der Himmel hatte durch seinen Schlag Barmherzigkeit gewährt.

So sagt man als der Humanist, der man ist.

Aber wenn Fredrik Coldevin diesmal gefragt hatte, ob Jung-Willatz nach Berlin zurückginge, so war das nun doch zu lächerlich. Wohin sollte er sonst wohl? Sollte er vielleicht daheim bleiben und die Nase in seines Vaters Not hineinstecken? Fredrik, der Arme, war vom Leben arg zugerichtet worden, er begriff nicht einmal mehr, daß es sich um einen Willatz Holmsen handelte, der am liebsten im Ausland wohnte, aber manchmal zu Besuch heimkam.

Man war nicht unterjocht, man war nur stumm, und stolz war man, Krieger und Weltmann, stark in seinem Wollen. Ging das Leben den alten Leutnant nichts an? Ho, dann würde er sich nicht am Tage nach ihm umschauen und nachts nicht daliegen und sich winden. Das Trauerjahr war noch nicht vorüber, und vieles sprach dafür, auch hierin Ordnung zu zeigen; aber gleichzeitig war seine Geduld zu Ende; er wollte die Leseabende wieder einführen.

Die kleine Pauline war jetzt sein Stubenmädchen, jemand mußte es ja sein, und sie hatte nun doch dieses feine und stille Wesen, und sie hatte diesen verhangenen, blauen Blick. Der Leutnant wollte wohl zur Abwechslung einmal wieder Pascha sein, er klingelte nach Daverdana.

Es dauerte einige Zeit, bis sie kam. Unterdessen lag er da auf seinem Sofa und dachte mit Befriedigung daran, daß sie sich jetzt die Hände wasche. Und sie wiegte sich so in den Hüften, wenn sie hereinkam, und sie machte die gefährlichsten Hoffnungen in ihm rege. Er lag da, beide Hände geballt in den Hosentaschen, grob und verrückt. Dann würde sie gehen und das Buch dort nehmen, dann würde sie zurückkommen, sich wiegen und sich wiegen –

Aber da es lichter Sommerabend war, begannen seine Augen im Zimmer herumzuirren, er betrachtete die Möbel und die Bilder, da war eine große Photographie von Adelheid, da war das Alphabet und da Willatz' Kinderspielzeug – alte Sachen jetzt, die Zeit war vergangen.

Die Zeit war vergangen.

Seine Hände in den Taschen öffneten sich wieder, und er dachte weiter, wie die Zeit doch vergangen war. Wieviel Jahre hatte er im Grunde noch zu leben? O Gott, wie war er doch betrogen und zerschunden worden!

Als er Daverdana kommen hört, springt er plötzlich auf und bleibt stehen, steif und steil stehen. War er irrsinnig oder verwirrt? Seine alte Hitzigkeit war wieder in ihn gefahren, er stand da, ohne Fassung, und rührte sich nicht; als Daverdana eintrat, sagte er nur etwas über sie selbst, daß sie ein flinkes Mädchen sei, hm, daß sie immer ein flinkes Mädchen gewesen sei, kurz und gut, hm. Sein Anfall verzog sich, und er sagte schließlich: Warte ein wenig, bleib dort stehen! Dann nahm er einen Geldschein aus seiner Tischschublade und gab ihr den.

Daverdana knixte, rot und glücklich, und dankte. Oh, es machte Eindruck, wenn der Leutnant ein gutes oder böses Wort sagte. Aber so verwundert war Daverdana, daß sie stehen blieb, nachdem er genickt hatte. Sollte sie denn nicht lesen? Sollte sie nicht Dame spielen? Und der Leutnant mußte noch einmal nicken und sagen: Das war alles.

Nun war es geschehen.

Wie er einmal seiner Frau gegenüber beschlossen hatte: das war das letztemal!, so beschloß er das jetzt dem Leben selbst gegenüber. Warum waren alle diese Jahre seines Mannesalters für ihn so verödet, warum waren sie so vertan worden? Na, er konnte das einzige tun, was ein alter Mann zu tun hatte, um sich selbst und andern nicht widerlich zu werden: er konnte steif und steil dastehen. Hätte er jetzt zugreifen und sich ein armseliges Mahl an diesem großen Tisch verschaffen sollen? Er war ein Gast, der ausgeschlossen worden war, und wollte sich nicht mit der Dienerschaft zusammentun, um noch heimlich einen Mundvoll zu erhaschen, er war schlecht gelaunt, starrsinnig und aufrecht. Jawohl, er verschmähte es, den Resten, die noch von ihm übrig waren, einige Leckerbissen zu verschaffen; die waren ihm früher nicht bereitet worden, er wollte sie sich nun auch nicht mehr bereiten. Eine Rache an sich selbst? Ja, eine Rache an sich selbst, an allem, an dem Ganzen, aufrecht –

Das war das letztemal.

 

Klein-Pauline wurde jedoch als Stubenmädchen nicht abgesetzt, oh, weit entfernt. Aber da der Leutnant die schöne Gabe besaß, sich bei jeder Gelegenheit Ausgaben zu verschaffen, so mußte doch auch Pauline einen Papierlappen bekommen, wenn Daverdana einen bekommen hatte. Und es war übrigens nur einer von diesen kleinen, neuen Zetteln, die fortzugeben er sich beinahe schämte.

Nein, macht dir das solche Freude? fragte er Pauline, denn der Leutnant unterhält sich manchmal mit ihr.

Ja, danke, sagt Pauline.

Hast du noch einen nötig?

Nein, nein, danke, nein –

Dann sprach er weiter mit ihr, was man sie nun lernen lassen solle, was sie selbst sich denn gedacht habe? Ob sie Lust habe, nähen zu lernen?

Nein, Pauline wollte am liebsten lernen, Jungfer zu werden.

So? Hausjungfer? So. Ja, das könne Jungfer Salvesen ihr beibringen, das wäre kein schlechter Gedanke. Er wolle mit Jungfer Salvesen sprechen …

Und ebenso sprach er mit dem Telegraphisten Baardsen wegen Klein-Gottfred, damit der Junge vielleicht telegraphieren lernen könne. Seht, der Junge war wirklich alles andere als groß und stark, es würde wohl nie ein ordentlicher Fischer aus ihm werden, dagegen hatte Frau Adelheid ihm peinlich gute Sprachkenntnisse beigebracht.

Telegraphist Baardsen war ein merkwürdiger Kerl, er saß da und spielte auf einem fast schwarzen Cello, das einen großen Ton hatte; als der Leutnant eintrat, erhob er sich und verbeugte sich. Als er den Grund des Besuchs erfahren hatte, antwortet er:

Selbstverständlich, Herr Leutnant, wenn Sie es wünschen.

Das war keine Ironie, das war Höflichkeit, gerade so, als ob der Leutnant noch der mächtige Gutsherr auf Segelfoß sei.

Worauf der Leutnant ebenso höflich wurde und sagte, daß er sehr dankbar sei.

Als der Leutnant gegangen war, machte Telegraphist Baardsen einen kleinen Abstecher zu seinem Bord mit dem Vorhang, tat einen Schluck aus der Flasche, die dort stand, und setzte sich wieder an das Cello. Seine breiten Schultern wiegten sich beim Spielen.

 

Und die Tage gingen, der Leutnant alterte mehr und mehr, aber er hielt sich aufrecht. Was aber war das für eine Sorge, die Herrn Holmengraas Haar und Bart ergrauen ließ? Er, auf dem keine Sorge lastete? Das war auffallend. Die zwei Wochen währende Ausschweifung hatte ihn doch wohl nicht so zurichten können, und daß Frau Adelheid gestorben war, das ging ihn doch nichts an, sie war doch nicht seine Frau gewesen.

Jetzt war Felix abgereist. Ja, denn Felix wolle nichts lernen, erklärte der Vater, deshalb müsse er zurück zu seinen Angehörigen in Mexiko. Es war traurig zu sehen, wie Herr Holmengraa sich darüber grämte, wie das ja auch zu erwarten war. Überhaupt war da nicht mehr lauter Sonnenschein unter den Menschen auf Segelfoß, nein, denn jetzt hatte wahrhaftig auch Daverdana angefangen, den Kopf hängen zu lassen und sich zu grämen. Das Mädchen Daverdana mit ihrer Jugend und dem roten Haar. Sie stand eines Tages am Stallbrunnen hinter allen Gebäuden, und dort stand unglaublicherweise auch Herr Holmengraa, am Stallbrunnen, und Daverdana weinte ihm geradewegs ins Gesicht. Jungfer Salvesen kam sogar dazu und sah es: Nanu, war die Welt aus dem Gleis gekommen? Nein, die Welt ging ganz richtig, jawohl! – In Jungfer Salvesen steigt eine ungeheuerliche Ahnung auf, und sie denkt: wie leicht hätte ich selbst es sein können, die dort vor Herrn Holmengraa weint.

Lauter Sonnenschein unter den Menschen? Da hatte nun sogar ein Mann wie Per im Laden einen Schlaganfall erlitten, der dicke Per im Laden, er, der mitunter das, was er selbst gewogen hatte, nachwiegen mußte, weil er zu knapp gewogen – der war es, der den Schlaganfall erlitten hatte. Es war auch kein geringer Schaden, der ihm zugefügt war: er wurde auf der einen Seite lahm, und Distriktsarzt Muus sagte: noch ein Schlaganfall, und es sei Schluß mit ihm; so sagte Herr Muus. Da war es, als sei für Per im Laden die ganze Welt aus dem Gleis geraten, und er begriff es nicht. Was, seine eine Seite lag mit ihm zusammen im Bett und war tot? Ganz gewiß war er immer ein betriebsamer Mensch gewesen, und er hatte auch gewiß nicht daran gedacht, daß er noch einmal zur Untätigkeit gezwungen werden könnte, und wozu sollte es denn auch wohl gut sein, sein Leben zu zerstören? Er stand gewissermaßen gerade jetzt im besten Flor, niemals war er so tüchtig beim Falschrechnen gewesen, und seitdem er das Weinrecht bekommen hatte, verkaufte er unglaublich viel feine und teure Krämerwaren in die Hütten. Ja, Vorhänge? Aber seidene Tücher, stadtgestrickte Strümpfe, Hängelampen mit Prismen! War das alles? Ho, wer hatte wohl Lust, den Sklaven zu spielen und an Winterabenden etwas zu arbeiten, – man konnte für Geld alles kaufen bei Per im Laden! Er verkaufte fertige Rechen und Axtstiele aus der Fabrik, er verkaufte gebrannten und gemahlenen Kaffee in feiner Verpackung, er verkaufte Kunstbutter in Fäßchen und Speck aus Amerika. In früheren Tagen mußte man seinen Pfeifentabak selbst schneiden – vorbei, Schluß mit dem Geracker, Per im Laden führte geschnittenen Tabak. Und Stiefel? In alten Tagen war Nils der Schuster auf die Höfe und in die Hütten gekommen und hatte alles Schuhzeug, das jedes Haus für ein Jahr nötig hatte, verfertigt, und er klopfte sein Leder, und er pichte seinen Faden, und er hatte seine Arbeit immer wunderbar gut gemacht, Nils der Schuster, jawohl – jetzt verkaufte Per im Laden Schuhzeug aus der Stadt, und das war dünn wie Zeug und blank wie Glas.

Darum konnte man von Per im Laden nichts anderes sagen, als daß er geschäftstüchtig gewesen sei; und jetzt lag er zu Bett, und er verstand das nicht. Übrigens trieb er noch seinen Handel durch seine Frau und seine Kinder, und er herrschte vom Bett aus stramm über sie – es stand nichts stille. In seinen gesunden Tagen hatte er es immer verstanden, alles im Abstand von sich zu halten, das tat er auch jetzt, er gebrauchte einen Stock, mit dem er gegen die Wand klopfte, wenn er jemand zu sich rufen wollte. Er hatte den Doktor holen lassen, kluge Männer und weise Frauen« hatten sich um ihn bemüht, er hatte Tran und Opodeldok getrunken, er hatte nasse kalte Umschläge gemacht – was übrigens das schlimmste gewesen war –, eines Tages klopfte er mit seinem Stock und verlangte nach dem Pastor, vielleicht, daß das helfen könnte.

Hier könnt Ihr das Schlimmste sehen, was je einem Menschen im irdischen Leben zugestoßen ist, sagte er.

Pastor Lassen tröstete ihn damit, daß er doch noch immer eine gesunde frische Seite habe, daß doch noch Leben in ihm sei.

Leben? Hehee! Seht Ihr diesen Stock hier? Ich habe genau soviel Leben in mir wie der!

Um ihn milder zu stimmen, sprach Pastor Lassen zu ihm von Jesu und seinen Leiden – was sei dieses hier gegen jene! Er müsse Gott dankbar sein für die frische, gesunde Seite –

Ihr redet nur von der gesunden Seite, antwortete der kranke Mann; aber die ist auch nicht mehr ganz gesund, nein, auch die nicht, will ich Euch sagen. Und Per im Laden wies auf verschiedene Fehler auch an seiner gesunden Seite hin, im ganzen genommen war er ein Kenner von Seiten.

Aber seht nun diese Seite, sagte er und nahm den toten Arm und warf ihn gegen die Wand, damit der Pastor ihn gut sehen könne. Von dieser Seite rede ich. Da liegt sie; und wenn ich sie nicht sehen würde, wüßte ich nichts von ihr. Hat das einen Sinn? Sie ist nicht das Essen wert! Darauf faßte er die tote Hand mit den Fingerspitzen der anderen und hielt sie hoch und drehte und wendete sie: Hier ist die Hand, die dazugehört, sagte er, pfui und nochmals pfui – vergib mir meine Sünde! und er warf die Hand wieder gegen die Wand.

Pastor Lassen tröstete ihn nochmals – und um auch dieses Mittel zu versuchen, nannte er ihn Jensen –, daß es im Grunde genommen nicht allen so ausgezeichnet im Leben ergangen sei wie ihm, mein lieber Jensen, und es sei zu überlegen, ob er sich nicht jetzt eine Zeitlang in ein klein wenig Mißgeschick finden müßte.

Der kranke Mann krümmt sich vor Ungeduld und fragt:

Nein, könnt auch Ihr mir nicht helfen? Wißt Ihr keinen Rat? Ob es nun Besprechung oder sonst irgendwas ist?

Besprechung?

Ist es denn nicht wahr, daß Ihr Pfarrer allerlei wißt, wovon wir anderen keine Kunde haben?

Darauf hatte Per im Laden wohl gehofft, als er nach dem Pastor verlangte?

Oja, das muß man wohl sagen, bis zu einem gewissen Grad, antwortete Herr Lassen und bestritt es nicht, daß er das eine und das andere wüßte. Der Fischerjunge aus der Hütte hatte jetzt die Oberhand, und er beschloß, dies auszunützen – im Dienste des Guten natürlich. Es könnte doch jetzt recht interessant sein, festzustellen, ein wie großer Lump dieser Per im Laden nun eigentlich war; sollte es denn nicht möglich sein, ihn dazu zu bringen, seine Sünden zu bekennen?

Pastor Lassen ging zur Tür und schloß sie gut, obwohl sie auch vorher schon gut geschlossen gewesen war, dann setzte er sich zu dem Kranken und sah ihn an. Per im Laden hielt all dies wohl für eine Einleitung zur Besprechung, er hatte also die beste Hoffnung.

Da sagt Herr Lassen:

Es sollte doch wohl nicht das sein – ich frage jetzt als Seelsorger, Jensen –, es sollte doch wohl nicht das sein, daß Sie allzu geschickt gerade mit dieser Ihrer toten Hand gewesen sind, Jensen?

Per im Laden riß den Mund weit auf vor Erstaunen – und er hatte noch dazu zwei Wochen alte Bartstoppeln um den Mund.

Was? sagte er. Geschickt mit der …?

Beim Falschwiegen und -messen? sagte Herr Lassen. Ich frage im Namen Gottes.

Der Mund Pers im Laden klappte zusammen, die Verwunderung ging augenblicklich in Zorn über, er griff nach dem Stock:

Geschickt hin und geschickt her! sagte er. Was, bist du darum gekommen? Geh du nach Haus und halt deine Predigt deinem Vater und deinen Leuten. Ich glaube, der Bengel ist verrückt geworden! Oh, wie erbittert er auf Herrn Lassen war, auf den Seelsorger, ja, er duzte ihn und nannte ihn ausdrücklich Lars.

Da ging der Pastor.

Aber obendrein rief der kranke Mann ihm noch nach:

Und grüß deinen Vater und sag ihm, er solle bezahlen, was er in meinen Büchern noch stehen hat! Pack!

Pastor Lassen ging geradewegs nach der Hütte seiner Eltern und hielt dort eine kleine Abrechnung.

Na, wie stand es mit Daverdana, sollte sie noch wochenlang so herumlaufen und nicht heiraten? Und wie stand es mit dem Vater, wollte er hier auf seinem Häuslerplatz sitzen und Gott und aller Welt schuldig bleiben? Per im Laden wolle sein Geld haben!

Du mußt sorgen, daß das in Ordnung kommt, sagte er. Ich habe nichts, womit ich dir helfen könnte, sonst hättest du es bekommen, ja, bis zum letzten Faden. Aber alles, was ich verdiene, brauche ich zur Anschaffung von Büchern und zum Weiterstudieren. Du mußt selbst einen Ausweg finden.

Ja, sagte der Vater. Aber das ist nicht so einfach, und woher soll ich denn das Geld nehmen? Der Leutnant will mir doch den Häuslerplatz nicht verkaufen, und nun sitze ich da.

Hast du ihn denn schon gefragt?

Ja, ich habe den Holmengraa gefragt.

Pause. Der Sohn denkt nach.

Es ist ja auch Holmengraa, der das machen muß, sagte er. Jedenfalls will ich mir von euch hier nicht meine Karriere verderben lassen.

Nein, das willst du natürlich nicht, sagte der Vater. Was war es, was du dir nicht verderben lassen willst?

Meine Karriere.

Ja, das habe ich schon immer gesagt, daß dir die nicht verdorben werden darf. Ich will heute noch zu ihm gehen, zu Holmengraa, und ihm einen Vergleich anbieten, ganz im guten.

 

Der Leutnant reitet nicht mehr jeden Tag aus, er hatte begonnen, zu Fuß zu gehen. Darüber wunderten sich alle, nur er selbst nicht: Standen seine Pferde nicht im Stall wie früher, und mußte der Halblappe Petter sie nicht mitunter reiten, damit sie Bewegung hatten? Weshalb ritt da der Leutnant nicht lieber selbst?

Er hatte damit wohl seine eigenen Absichten, er wollte sich wohl beizeiten daran gewöhnen, seine Pferde zu entbehren. Er war von Schlaflosigkeit geplagt, er ging und grübelte und schwieg, und häufig trieb er sich unten bei der Ziegelei herum und maß und schätzte mit Schritten ab und nickte. Er hatte sich gewiß eine Ecke von diesem großen Balkenhaus zu besonderem Gebrauch ausgesucht, er merkte an, wo in der Holzverkleidung Fenster angebracht werden sollten. Aber mitunter konnte der Leutnant ganze Tage dieser Arbeit fern bleiben, und dann ging er mit Hacke und Spaten und vielen Blumentöpfen aus und grub in der Erde. Oh, aber er grub an so merkwürdigen Stellen, daß die Leute sich dachten: Hat nun auch der Leutnant, der dritte Willatz Holmsen, begonnen, nach dem Schatz des Stammvaters zu suchen? So weit war es mit diesem stolzen und etwas abergläubischen Mann gekommen! Vielleicht hatte die Schlaflosigkeit ihn verwirrt. Aber das mit den Blumentöpfen vom Treibhaus, die er ewig füllte und wieder entleerte, an jeder Stelle, wo er grub – das tat er wohl jedenfalls nur um des Scheines willen.

Es war ihm nichts Ungewöhnliches anzusehen; peinigte ihn etwas, so trug er es doch gut. Seit dieser alte Reiter angefangen hatte, so viel zu Fuß zu gehen, merkte man seine O-Beinigkeit mehr, und er konnte aussehen, als lauschte er, weil er seine Augen scharf auf den Weg gerichtet hielt. Er entkräftet und weich? Er? – Stahl.

Als er zu hören bekam, daß die Hausjungfer sich verheiraten wollte, interessierte er sich eifrig für die Angelegenheit, obwohl sie zu seinem eigenen Schaden war. Selbstverständlich, sagte er; welchen Tag haben Sie sich gedacht? Schieben Sie es nicht auf. – Aber da ihm der Gedanke kam, daß dieser sein Eifer falsch ausgelegt werden könnte, setzte er hinzu: Nicht deshalb – ich kann nicht daran denken, den Hof ohne Sie weiter zu bewirtschaften!

Sein Lob hatte den größten Wert für Jungfer Salvesen, und sie sagte in ihrer Dankbarkeit, daß sie keinesfalls ziehen würde, bevor er eine andere zum Ersatz bekommen hätte. Aber übrigens sei die kleine Pauline in diesen Wochen recht tüchtig geworden, sagte sie. So. Das freut mich. Hm. Früher oder später komme ich sowieso dazu, mir ein paar Stuben woanders einzurichten. Sie brauchen Ihre Hochzeit also meinetwegen keinen Tag aufzuschieben.

Wollen Herr Leutnant nicht hier auf dem Hof wohnen bleiben? Entschuldigen Sie bitte, aber wo soll sonst Jung-Willatz wohnen, wenn er heimkommt?

Er kommt nicht heim, er hat keine Zeit.

Aber einmal wird er doch wohl kommen?

Nein. Ich habe mehr Zeit, ich reise zu ihm. Haben Sie nicht in den Zeitungen von ihm gelesen? Er ist Musiker, er komponiert.

Wollen Herr Leutnant nicht, daß ich wenigstens noch ein Jahr bleibe?

Nein. Aber ich danke Ihnen. Übrigens, wonach wollten Sie mich fragen?

Die Jungfer zögert ein bißchen, dann kommt sie damit heraus und sagt:

Mein Verlobter meint, wir könnten uns doch nicht gut auf ein paar Kronen gespartes Geld hin verheiraten. Und sonst haben wir ja weiter nichts als das Haus. Wir haben kein Land.

Land?

Nur soviel, daß es zum Futter für ein paar Kühe reicht, Herr Leutnant, für die notwendige Milch nur.

Dazu muß Rat geschafft werden. Hm.

O Gott, wenn das sich ermöglichen ließe! sagte Jungfer Salvesen. Mein Verlobter hat Herrn Holmengraa so oft gebeten, den Herrn Leutnant zu fragen; aber Herr Holmengraa hat jedesmal geantwortet, daß der Herr Leutnant nichts verkaufen wolle.

Er spitzte die Ohren, er stellte keine Fragen, aber er brachte die Jungfer dazu, ihre Worte zu wiederholen. Dann nickte er und sagte: Da muß Rat geschaffen werden wegen eines Stückes Land für Sie, Jungfer Salvesen.

Der Leutnant geht aus, er schlendert wieder hinunter nach der alten Ziegelei und mißt und nickt. Weshalb machte er nun keinen Anfang mit der Einrichtung? Es war in diesen Tagen schwer, sich aufrecht zu halten, und er wußte vielleicht nicht aus noch ein, aber er mißt und nickt, als ob das, was er jetzt gerade gehört hatte, ihn nicht weiter berührte. Also – Herr Holmengraa disponierte bereits über den Boden von Segelfoß und erklärte im Namen des Gutsherrn, daß er nicht verkaufen wolle! Hm. Hier kam nun Jungfer Salvesen, die während vieler, vieler Jahre in seinen und Adelheids Diensten gestanden hatte – und die sollte kein Stückchen Land von ihrem alten Herrn bekommen können!

Der Leutnant steckte seinen Ring an die linke Hand hinüber. Oh, dieser wunderliche Mann, jetzt hatte er seit Monaten aufgehört, seinen Ring hinüber und herüber zu stecken, das ging nicht an, es kam so weit, daß er ihn eigentlich die ganze Zeit an der linken Hand trug, und das wollte er in Rücksicht auf die Erinnerung an Adelheid nicht. Jetzt steckte er ihn also an die andere Hand, gerade so, als hätte er sich jetzt noch an etwas zu erinnern, als hätte er jetzt noch etwas zu verwalten, etwas zu retten. Eine kleine Komödie vor sich selbst, eine unschuldige Wichtigtuerei, die sein unzerbrechlicher Wille zu etwas Wertvollem erhob, ja, gültig machte.

Er wollte heimgehen und ein Verzeichnis seiner Einrichtung aufstellen.

Er verließ die Ziegelei; als er ein Stück Wegs gegangen war, drehte er sich um, sah zurück und nickte. Und das war wohl wieder eine Komödie, er hatte ja schon hundertmal jede Kleinigkeit des Umbaus dieser Ziegelei zu einer menschlichen Wohnung durchdacht – und war immer gleich weit gekommen.

Er ging weiter und sah zu Boden, wie er es zu tun pflegte, dabei bemerkte er die Spur von einem Paar Männerstiefeln, die nach dem Hof hinführte. Er hatte noch Zeit, sich etwas Verrücktes auszudenken und zu beschließen, der Sache entgegenzugehen, wie es sich für ihn geziemte.

Herr Holmengraa stand da und wartete auf ihn.

Die Herren begrüßten sich, große Höflichkeit auf beiden Seiten, Freundlichkeit. Sie gehen hinein und setzen sich und sprechen anfangs von ganz gleichgültigen Dingen. Herr Holmengraa ist etwas magerer geworden, er ist bleich und grau, er kommt mit seinem Anliegen nicht heraus, der Leutnant will die Erledigung beschleunigen, er will ihm helfen:

Es ist gut, daß Sie gekommen sind, ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen.

Holmengraa verbeugt sich.

Meine Hausjungfer ist verlobt und will heiraten, und ihr Verlobter wünscht ein Stück Land von – ja von Segelfoß zu kaufen. Hm. Auf dies Geschäft würde ich unter andern Umständen eingegangen sein als eine Anerkennung für Jungfer Salvesens lange Dienste hier im Hause. Aber wie die Sachen jetzt stehen, kann ich nichts verkaufen.

Herr Holmengraa denkt einen Augenblick nach, dann lächelt er und sagt:

Das kommt doch einzig und allein auf Herrn Leutnant an.

Nein. Ich darf das Pfand nicht verringern.

Oh, das Pfand – ja, deswegen können Sie ruhig verkaufen.

Wer in aller Welt konnte jetzt aus diesem Holmengraa klug werden? Der Leutnant hatte sich so sehr daran gewöhnt, auf das Schlimmste gefaßt zu sein, sogar daran: vielleicht hinausgeworfen zu werden, daß er jetzt eine wirkliche Freude empfand, sein Gesicht hellte sich auf, er listete den Ring wieder an die rechte Hand hinüber. Und da saß Herr Holmengraa, er hatte gesprochen, er hatte sich wieder von der überlegenen Seite gezeigt.

Auch Herr Holmengraa schien sich zu freuen – was ging jetzt in seinem Kopfe vor? Nicht viel, fast nichts, der Leutnant hatte ihm nur sein eigenes Anliegen erleichtert, ja, hatte es so gut wie erledigt. Oh, Herr Holmengraa war in der letzten Zeit so übel dran gewesen: Die große Roggenladung, mit der er, sich leider allzu sicher fühlend, vorbeispekuliert hatte – es war eine telegraphische Bestellung gewesen, die er in den Tagen seiner Ausschweifung gemacht hatte –, sie drückte ihn jetzt zu Boden, und sie trieb ihn nachts in Angst aus dem Hause hinaus. Und als ob es damit noch nicht genug wäre, kam das Mädchen Daverdana daher und weinte sich vor seinen Augen aus. War das nun nicht genug? Ihr Vater Lars Manuelsen war ein mächtiger Mann geworden, er konnte plaudern und sagen: soundso, ja, er konnte drohen. Wohin sollte das führen? Und Lars Manuelsen hatte Herrn Holmengraa draußen auf dem Wege angehalten und hatte eine Entscheidung verlangt.

Ich bin Ihnen abermals – wie schon soundso viele Male vorher dankbar, Herr Holmengraa, sagte der Leutnant. Selbstverständlich wird die Kaufsumme als Abtrag meiner Schuld an Sie abgeführt.

Nein, danke. Ich sehe das Pfand nicht im mindesten als verringert an – durch diesen kleinen Verkauf.

Dann kann aus dem Verkauf nichts werden, sagt der Leutnant, und die beiden Herren überbieten sich gegenseitig an Ritterlichkeit. Wo sollte das enden?

Ich bin, sagt Holmengraa, in der letzten Zeit verschiedentlich ersucht worden, mit Ihnen wegen Landverkauf zu sprechen, es sind gewiß vier, fünf Leute. Ich habe geantwortet, daß Sie vorläufig nicht verkaufen wollten, ich wollte dem vorbeugen, daß diese Menschen kämen und Sie plagten, jetzt, da Ihnen Frieden nottat.

Danke, das weiß ich zu würdigen.

Aber unter diesen Menschen ist einer, für den ich ein gutes Wort einlegen möchte, wenn ich darf.

Selbstverständlich.

Danke. Es ist Lars Manuelsen. Er hat sich in den Kopf gesetzt, er könne nicht länger Häusler sein, jetzt, da er einen Sohn hat, der Pastor ist; er möchte gern Freibauer werden.

So. Lars Manuelsen?

Ja, Lars Manuelsen. Er hat mich damit wirklich etwas geplagt, er hält mich draußen auf der Straße an und redet davon.

Das ist doch unerhört.

Aber wenn Herr Leutnant mich von diesem Manne befreien wollten, so würde ich schon alles ordnen. Das Geld würde durch mich für Lars bezahlt werden.

Ich bin von vornherein mit Ihnen in dieser Sache einverstanden, Herr Holmengraa.

Es ist übrigens nicht so wenig, was Lars Manuelsen verlangt – an Land, meine ich; er will für ganze zwei Kühe Wiesen haben; das will sagen: das ganze Feld zwischen seiner und Ole Johans Hütte.

So. Lars Manuelsen. Kann sein Junge schon all das Geld schaffen?

Das sollte man vermuten, antwortet Holmengraa. Ich werde das Land ausmessen und alles ordnen. Sie brauchen sich um nichts zu kümmern. Ich bitte Sie übrigens, mir zu verzeihen, daß ich Sie damit aufgehalten habe, ich habe davon gesprochen, weil wir sowieso diesen Gegenstand berührten. Der Preis – wie wollen wir den berechnen?

Wie gewöhnlich.

Ja. Aber Grund und Boden von Segelfoß sind sicher jetzt im Wert gestiegen.

Der Leutnant denkt darüber nach:

Ich würde Wert darauf legen, wenn jedenfalls in diesen beiden Fällen keine Veränderung am Preise vorgenommen würde. Es handelt sich hier um meine Hausjungfer und um meinen Häusler.

Holmengraa verbeugt sich.

Wünschen Herr Leutnant, daß ich auch den Verkauf an den Rechtsanwalt ordne?

Auch dafür würde ich Ihnen dankbar sein.

Holmengraa verbeugt sich.

Als er gehen wollte, fällt ihm ein, daß er noch ein anderes Anliegen erledigen muß, da er nun einmal hierhergekommen ist. Er sagte:

Ich hatte eigentlich auch ein Anliegen, aber damit will ich Sie nicht plagen, das kann ich bei Jungfer Salvesen vorbringen. Ich wollte Ihnen gleichzeitig einen Besuch abstatten. Es geht Jung-Willatz in Berlin gut?

Ausgezeichnet.

Die beiden Herren scheiden voneinander.

Aber Herrn Holmengraas Anliegen an Jungfer Salvesen bestand darin, daß er für den Gehilfen seines Lagermeisters erfahren wollte, ob Daverdana ihren Dienst verlassen könne, um zu heiraten. Herr Holmengraa wollte, da er nun einmal hier war und mit dem Leutnant gesprochen hatte, dem Bräutigam diesen Gefallen tun.

Und das verstand Jungfer Salvesen so gut.

 

Der Leutnant gab seinen Vorsatz nicht auf, die am leichtesten zu entbehrenden Sachen und Dinge seiner Einrichtung zusammenzuzählen und darüber ein Verzeichnis anzufertigen. Geld mußte er haben, er hatte keins, also mußte es geschafft werden. Es war eine traurige Arbeit, an die er sich jetzt machte: um daraus eine Summe herauszuschlagen, mußte er – das sah er im voraus – das eine oder das andere teure Familienstück dazunehmen; und was davon sollte jetzt geopfert werden? Ein Sekretär dort, eine Schatulle da, lauter Prachtstücke mit glänzend vergoldeten Bronzen – konnte sein Herz die überhaupt entbehren? Und wie endlich sollte man sie überhaupt zu Geld machen? Eine öffentliche Versteigerung wäre zu häßlich und könnte Willatz leicht zu Ohren kommen. Ob aber Herr Holmengraa ihm abermals helfen würde, das war eine große Frage.

Inzwischen kam Holmengraa wirklich einige Tage darauf mit Niederschriften über die beiden Landverkäufe und legte das Geld auf den Tisch. Es gab wiederum einen ritterlichen Kampf wegen des Geldes, keiner der Herren wollte es behalten, es war ja auch für beide eine Kleinigkeit. Endlich nach einem munteren Vorschlag des Herrn Holmengraa wurde das Geld zu gleichen Teilen geteilt.

Also war denn alles in Ordnung.

Durch diese unerwartete Begebenheit bekam der Leutnant wieder Geld in die Tasche, nicht viel, keine nennenswerte Summe, aber genug für den Umbau der Ziegelei. Er bezog Baumaterial aus Namsen; dieses schöne Geld konnte zu nichts Besserem verwendet werden. Herr Holmengraa war wieder als Schicksal aufgetreten ohne sein Wohlwollen würde ja keine einzige Krone zu einem andern als jetzt zu ihm selbst ihren Weg gefunden haben. Ja, aber jetzt sollte es sich auch zeigen, daß Herr Holmengraa zum letzten Male geholfen hatte.

Zunächst galt es, sich Leute zum Mauern und Einrichten zu verschaffen – aber es waren keine Leute aufzutreiben. Seht, es war inzwischen Winter geworden, und es war kalt, die Leute konnten sich jetzt wirklich nicht mehr des Leutnants wegen tot frieren, man war viel mehr als früher sein eigener Herr. Er hatte Bertel in Sagvika, den Vater des kleinen Gottfreds und der Pauline, ja, ihn hatte der Leutnant sofort, aber Bertel allein konnte nichts ausrichten. Also mußte der Knecht Martin vom Hof kommen und hier unten mithelfen, so gut er konnte.

Wollten die Leute nicht mehr für den Leutnant arbeiten? Diese Leute, sie waren doch seine eigenen Häusler und Kleinpächter, und keiner von ihnen hatte je Pachtzins bezahlt; der war ihnen übrigens auch niemals abgefordert worden. Und alle diese Leute hatten Gutes von ihm erfahren, solange er mächtig gewesen war, und Lars Manuelsen hatte einen großen Sohn, Julius, aber der kam auch nicht. Da war es gut, daß man etwas von den Humanisten gelernt hatte und ein Lächeln auf den Lippen hervorbringen konnte.

Also sägten und hobelten und nagelten und verdichteten nur Bertel in Sagvika und der Knecht Martin. Und sie machten zwei Stuben mit Fenstern und doppeltem Fußboden und doppeltem Dach. Das war eine Lust, wie gediegen alles wurde! Die Grundmauer jedoch mußte bis zum Frühjahr aufgeschoben werden, bis der Hartfrost die Erde freigab.

Aber es sah nicht so aus, als sollte es einen frohen und munteren Winter geben – der Fischfang beim Lofot war bis jetzt schlecht, und Per im Laden lag da und war krank und wollte den Leuten keine Waren mehr auf Borg geben. So blieb nur noch Herr Holmengraa übrig, und der war ganz gewiß freundlich und hilfreich bis zu einem gewissen Punkt; aber jetzt war der Punkt erreicht, denn er hatte sich so schmählich an einer großen Roggenladung in fremden Landen verspekuliert. Er verheimlichte das durchaus nicht, er war wohl nicht an Mißgeschick gewöhnt und konnte es nicht allein tragen, sondern mußte die Leute darin einweihen. Das war ein Verlust, ein gewaltiger Verlust. Aber was konnte denn selbst ein gewaltiger Verlust für Tobias Holmengraa, den König, bedeuten! Jetzt waren die Fischer auf dem Lofot, und ihre Frauen und Kinder kamen zu Holmengraa, und es wurde ihnen nicht immer geholfen – wie sollte man das verstehen? Da brauchte nun Ole Johans Weib so notwendig einen Sack Weizenmehl, der Kinder wegen, ja, und im großen und ganzen auch, um nicht hinter den Nachbarfrauen zurückzustehen, die weiße Grütze hatten; aber Herr Holmengraa gab ihr nur gewöhnliches Mehl. Sie hatte sich auch seit langer Zeit einen Muff gewünscht, so einen, wie ihn Lars Manuelsens Frau bekommen hatte, das würde Herrn Holmengraa nur einen Zettel an Per im Laden gekostet haben; aber Herr Holmengraa sagte nein. Er benahm sich jetzt durchaus nicht mehr, wie es sein sollte. Als die Fischer zu Ostern auf Besuch heimkamen, heiratete das Mädchen Daverdana; und der Bruder in eigener Person, der Pastor L. Lassen, traute sie. Hier zeigte sich Holmengraa wieder gut und freigebig und schenkte den Neuvermählten ein kleines Haus, worin sie wohnen sollten. Ja, denn der Bräutigam war doch sein eigener Gehilfe im Lagerhaus.

Aber eine kleine Hochzeit wie diese konnte die Leute nicht für längere Zeit aufmuntern, die Stimmung war und blieb düster. Keiner konnte das recht begreifen – die Mühle, die mahlte wie früher Tag und Nacht, die Postdampfer, die früher nur jede dritte Woche gegangen waren, gingen nun jede Woche das ganze Jahr hindurch, Baardsen auf der Station und sein Gehilfe Klein-Gottfred telegraphierten um Hering und Fisch, wegen Kauf und Verkauf und Waren und Wirksamkeit – was das anging, so gab es also genug Leben auf Segelfoß; aber die Stimmung war düster. Von allen Menschen am Platze schien der Lagermeister der zu sein, der das Leben am leichtesten nahm. Es war seltsam mit diesem Manne, er hatte vielleicht allen Grund, jetzt traurig zu sein, aber er sang, das tat er. Vielleicht hatte Gott ihm einen wunderbar leichten Sinn geschenkt. Da war nun sein eigener Gehilfe fein und ehrbar verheiratet, aber er selbst, der Lagermeister, war verschmäht worden. Gut, Jungfer Salvesen, Kristine, behalte deinen Rechtsanwalt, Kristine! Gott weiß, ob er das nicht aus lauter Gram tat, aber mitten im tiefsten Winter gründete der Lagermeister einen Gesangverein auf Segelfoß.

Der Leutnant hatte nach und nach durch den Knecht Martin das Klavier und die notwendigen Möbel nach der Ziegelei fahren und in seinen Stuben dort aufstellen lassen, er nahm sie auch nach und nach in Benutzung. Das war eine gute Art und Weise, eine vortreffliche Art und Weise, das war kein Umzug. Er begann damit, eine Nacht da unten zu schlafen, das schadete ihm nicht, er machte Feuer im Ofen, zündete die Lampe an, biß die Zähne zusammen und schlief. Eine Woche später machte er es ebenso, es war so neu, so seltsam, und der Fluß toste so unvernünftig nahe, aber er zwang sich, zu schlafen. Jetzt schlief der Leutnant jede Nacht in der Ziegelei und war nur zu den Mahlzeiten auf dem Hof. Er sagte es Jungfer Salvesen, und er schrieb es seinem Sohn in Berlin, daß er Gott sei Dank jetzt ein Mittel gegen seine Schlaflosigkeit gefunden habe.

Der Frühling kam, der Leutnant hatte keine Lust mehr, die Leute mit Arbeiten zu belästigen, er ließ den Knecht Martin in aller Ruhe die zu der Grundmauer nötigen Steine zusammensuchen und sie dann nach der Baustelle fahren, der Leutnant hob selbst den Grund dazu aus. Während er so eines Tages gräbt, kommt da ein Brief von Jung-Willatz, daß er sich festgerammt habe –. Oh, ein Zufall, es war auf einer öffentlichen Versteigerung gewesen, eine Dame stand vor ihm und weinte wegen ihres kostbaren Flügels, ohne den sie ihren Beruf nicht ausüben konnte. Was konnte da Jung-Willatz anderes tun? Er verschaffte ihr den Flügel wieder, das war eine Ehrensache und eine gute Tat. Lieber Vater, es ist eine ordentliche Summe, eine große Summe – hätte ich es vielleicht nicht tun sollen? Es war ein Zufall, wir gingen zu einer Auktion, mehrere Musiker, es wurden versetzte Musikinstrumente versteigert. Und die Dame weinte, sie war wohl Lehrerin, wir Musiker standen da und sahen sie an. Also tat ich es, dachte an dich und tat es, mit zwei Worten; das Geld muß im Laufe eines Monats bezahlt sein. Was hätte ich am besten tun sollen, lieber Vater?

Halt! sagte der Leutnant zu sich selbst und zu dem Briefe, kein Wort mehr! sagte er. Geld? Selbstverständlich.

Er geht zu Herrn Holmengraa. Unterwegs merkt er, daß er sehr gerührt ist, sein Sohn hat ihm Ehre gemacht, er ist begeistert, geht da und bekommt seines Jungen wegen dunkle Augen. Jung-Willatz – ja, der war ein echter Sproß seines Geschlechtes, ein Willatz Holmsen, wie sein eigener vornehmer Vater einer gewesen war. Mit zwei Worten – ich sehe ihn –

Der Leutnant war klug genug, diesmal nicht zu große Hoffnungen auf Holmengraa zu setzen; aus verschiedenen Anzeichen und Merkmalen hatte er geschlossen, daß der große Mühlenbesitzer begonnen hatte, sich von ihm zurückzuziehen. Da hätte nun zum Beispiel Herr Holmengraa recht gut einsehen können, daß dem Leutnant Arbeitsleute zum Mauern fehlten, aber er rührte nicht einen Finger und schickte keinen Mann. Indessen, derselbe Herr Holmengraa hatte sich früher so unendlich hilfreich erwiesen wer weiß … vielleicht noch einmal!

Ich bitte um die Erlaubnis, mich wegen einer intimen Angelegenheit heute an Sie wenden zu dürfen, sagt der Leutnant. Um Sie nicht länger als notwendig aufzuhalten, will ich wenig Worte machen: ich möchte Sie bitten, dieses Papier durchzulesen, es ist ein Katalog über gewisse Teile meines Mobiliars, die ich zu veräußern wünsche.

Das kann wohl am besten durch eine Auktion geschehen, antwortet Holmengraa sogleich.

Der Leutnant verstand sofort, daß er vergebens gekommen war, aber daß Herr Holmengraa sich obendrein weigerte, den Katalog überhaupt anzunehmen, war eine unnötig deutliche Abweisung.

Ich habe allerdings die wertvollsten Teile meiner Sachen hier nicht aufgeführt, sagte er, um nicht gleich alles verloren zu geben; aber das könnte ja noch geschehen. Da sind Gemälde von alten Meistern, die Sie wohl bei mir gesehen haben, die großen Marmorfiguren, die silbernen Statuetten. Und Sie entsinnen sich vermutlich der hohen Frauenfigur mit einer Amphora auf der Schulter, vielleicht auch der vier Jahreszeiten – alles sehr kostbare Kunstwerke.

Bezweifle ich nicht! sagte Herr Holmengraa. Aber augenblicklich kann ich mich unmöglich noch mehr in Ausgaben stürzen.

Der Leutnant erbleichte. Hatte Herr Holmengraa sich seinetwegen ›in Ausgaben gestürzt‹? Dann hatte er ja nur zu schweigen.

Und jetzt begann Herr Holmengraa zu reden, sich mitzuteilen: es sei ihm so vieles fehlgeschlagen, er erzählte von dem Verlust einer großen Summe, er sprach hier nicht von Kleinigkeiten, sondern von einem Vermögen. Er hätte vielleicht mehr verschweigen, hätte namentlich nicht so nackt seine Sorgen offenbaren sollen, aber er meinte wohl, daß er sich dies eine Mal aussprechen könnte; wer weiß, vielleicht war er im Unglück nicht so fest, wie er es hätte sein sollen – auch das war natürlich. Aber dieser Mann vom Holme war dennoch ein König. Sollte ein König ohne Fehl sein? Auch ein König kann das Gleichgewicht verlieren.

Dazu kam jetzt, daß Herr Holmengraa tief innen an der kleinen Eigentümlichkeit krankte, schwach zu sein gegen das Feine, das Vornehme. Es war ihm eine Befriedigung gewesen, mit dem Herrn und der Frau auf Segelfoß umgehen zu können; aber was für Staat war damit zu machen, eben dem Herrn jetzt zu helfen, diesem heruntergekommenen Gutsbesitzer – einem Mann, der in einer Ziegelei hauste? Herr Holmengraa war ganz und gar nicht hartherzig; aber er war auch ebensowenig weltunerfahren.

Ich weiß keinen besseren Rat; wir müssen uns beide einschränken, sagte er.

Das wurde dem Leutnant wohl ein wenig zu familiär, er antwortete:

Ich habe nichts, womit ich mich einschränken müßte.

Etwas in der Art, wie Sie es bereits getan haben: Sie wohnen ja in der Ziegelei?

Ich schlafe in der Ziegelei, antwortete der Leutnant und hatte sich Gott sei Dank wieder in der Gewalt. Es war das beste Mittel, das ich bis jetzt gegen meine Schlaflosigkeit gefunden habe! Und jetzt mochte kommen, was wollte – er fuhr fort: Um es gleich zu sagen ich hatte nicht daran gedacht, es heute zu berühren, aber ich kann es vielleicht meinem großen Gläubiger mitteilen: ich wohne viel in der Ziegelei, ja, ich werde auch alt, und aus dem Grunde wollen Sie vielleicht eine andere Ordnung mit der Bewirtschaftung von Segelfoß treffen?

Wie?

Nein, es sah so aus, als sei Herr Holmengraa sehr überrascht vielleicht überraschte es ihn in Wirklichkeit nicht. Es fielen dann noch folgende Worte zwischen ihnen:

Soll ich den Hof übernehmen?

Er gehört ja nicht mehr mir.

Ich kann ihn nicht bewirtschaften.

Ich kann ihn nach besten Kräften bis auf weiteres bewirtschaften.

Dafür war Herr Holmengraa sehr dankbar – vielleicht war er auch nicht dankbar.

Als der Leutnant heimging, nickte er und dachte: Vergebens. Was ist jetzt zu tun? Nein, diese Wanderung heute zu dem Mühlenbesitzer, die bereute er, es wäre auch zu leicht gewesen; auf diese Weise aus der Klemme herauszukommen. Man soll nicht davon ausgehen, daß das Leben leicht sei – dann wird man weniger von ihm zurechtgewiesen.

Über diesen Fabrikbesitzer durfte man übrigens nichts sagen, er hatte so oft mit seinem Rat geholfen und so oft seinen guten Willen bewiesen – jetzt war er selbst vom Mißgeschick getroffen worden.


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