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Große Veränderungen waren auf dem Gute Segelfoß und in der ganzen Umgebung vor sich gegangen, der Mühlenbetrieb war fertig geworden und in Gang gesetzt, es ging ein Sausen über Land und Strand, Holmengraa regierte als der König, der er war. Weshalb läutete man jeden Tag eine ganze Stunde in der kleinen Kirche? Der König war tot in Malmö – Herr Holmengraa war an seiner Statt gekommen. Wie tätig er war, und wie er alle dazu brachte, tätig zu sein! Als der Kai und eine ungeheure Brücke mit merkwürdigen Kranen darauf fertig waren, verging nicht viel Zeit, bis ein mächtiger Dampfer anlegte; er kam von fernen Landen mit Roggen, er hatte ausländische Matrosen an Bord, die an Land gingen, mit blanken Hüten auf ihrem schwarzen Haar, und wunderliche Worte sprachen. Das war ein Abenteuer, würdig eines König Tobias. Selbst für Leutnants oben auf dem Hof war es ein Erlebnis, als sie zusammen mit Herrn Holmengraa von dem englischen Kapitän zu einem Abendessen eingeladen und reich und vornehm bewirtet wurden. Hatte Herr Holmengraa bei diesem Abendessen einen Finger mit im Spiel? Er hatte ja seine Finger überall im Spiel. Später waren dann der Kapitän und die Offiziere vom Schiff zu einem großen Mittagessen bei Leutnants. Es waren festliche Tage.

Und diese Begebnisse brachten ja Gedeihen und Segen für das Land weit umher. All dieser Roggen, der zu Mehl gemahlen wurde, machte es ja fast unmöglich, in dieser Gegend an Hunger und Hungersnot zu denken. Gab es keinen anderen Ausweg, so konnte man ja zu König Tobias gehen und borgen, aber vorläufig konnte man Arbeit bei ihm nehmen und so bei ihm in Brot stehen. Es war großartig, wie licht das Leben hier wurde; die Tagelöhner konnten Kautabak priemen, soviel sie nur bezwangen, und die Bauern, die ein Pferd hatten, bekamen Fuhren für die Mühle und verdienten damit, was sie für Steuern und für Waren beim Krämer brauchten. Segen und Gedeihen ohne Ende! Auch Herrn Holmengraa schien es hier zu gefallen, er blühte ordentlich auf. Die Föhrenluft und die liebe Tätigkeit hatten ihm seine Gesundheit wiedergegeben, und was den Verdienst anging, so konnte er auch diesen Punkt ohne Gefahr betrachten, hehe, jedenfalls, ohne sonderlich drohende Gefahren zu sehen, hehe! Oder nicht? Schickten die Handelsleute nicht von fern und nah ihre Zehn- und Achtriemer nach Mehl? Und kam es nicht so weit, daß er Kontor und Zimmer für einen Lagermeister unten an der Brücke einrichten mußte? Nun wurde Segelfoß Posthalterei, nun wurde Segelfoß Anlegstelle für die Küstendampfer, für die Vadsö-Hamburg-Dampfer, die von Süden und von Norden jede dritte Woche herkamen und Post und Waren löschten und dafür Mehl für das ganze Nordland luden.

Wahrhaftig, es gab genug Arbeit für einen Lagermeister an der Brücke, er hatte die Post und die Expedition zu besorgen, er führte die Bücher, schrieb alle Briefe, fertigte die Brückenarbeiter ab, führte die Aufsicht über Gewicht und Maß. Es dauerte nicht lange, da mußte er einen Gehilfen haben, so sehr wuchs die Arbeit an. Per im Laden hatte ja nun schon ein großes Geschäft und bekam Kisten und Tonnen mit jedem Schiff, nach Neujahr sollte er außerdem noch das Weinrecht erhalten; dann würden noch mehr Kisten und Tonnen an ihn kommen, und wer konnte das Ende absehen!

Aber über allen und über allem wandelte Herr Holmengraa, der Gott. Er war so viel wert wie alle andern zusammen, aber trotzdem ruhig und bedächtig und rücksichtsvoll in seinem Wandel. Hielt man ihn auf seinem Wege an, und fragte man ihn nach etwas, so gefiel ihm das gewiß nicht sehr, aber er gab, wenn auch schnell im Vorübergehen, eine Antwort. Nachdem einige Zeit vergangen war, mußte er sein Auftreten ändern. Die Leute hängten sich an ihn, paßten ihm auf; stand er einmal und sprach mit dem Leutnant, so konnte es vorkommen, daß die Leute sich in der Nähe aufstellten und warteten, bis er ausgesprochen hatte, um ihn dann zu überfallen. Er mußte sich angewöhnen, sie alle kurz und bündig abzufertigen: Geh zum Lagermeister! Frag den Mühlenmeister! Doch gab es einige, die auch dann nicht klein beigaben, die zudringlich wurden: Sie seien beim Lagermeister gewesen, sie hätten den Mühlenmeister gefragt, sie stellten Fragen, sie machten Einwendungen – Herr Holmengraa sah sich genötigt, zu einer dritten Methode überzugehen: diese Einwendungen zu überhören und kein Wort darauf zu antworten. Wenn er sich nur das richtige Herrenwesen des Leutnants hätte aneignen können! Der war ganz und gar nicht stumm, aber er machte die Einwendungen selten. Keiner hielt sie besser im Abstand als dieser überlegene Gutsbesitzer; er konnte wohl persönlich zu einem seiner Häusler hinüberreiten, mit ihm sprechen und ihm einen Befehl geben; aber der Häusler kam nicht am nächsten Tag und hatte etwas zu sagen.

Was wollen die Leute? fragt der Leutnant. Er sitzt wie gewöhnlich zu Pferde.

Die wollen gewiß mit mir sprechen, antwortet Holmengraa. Ich sehe darunter einen Mann, der mir keinen Frieden läßt, er ist Bäcker, war in Bergen in der Lehre, er möchte hier eine Bäckerei anlegen. Ich weise ihn jeden Tag ab, aber er kommt wieder. Das endet noch damit, daß ich ihm irgendeine Ecke auf meinem Grund da unten überlassen muß.

Haben Sie persönlich etwas dagegen, daß er diese Bäckerei anlegt?

Im Gegenteil. Nach menschlicher Berechnung würde ich nur Vorteil davon haben, aber …

Sie können ihm einen Bauplatz auf meinem Grund anweisen, sagt der Leutnant.

Pause.

Herr Holmengraa denkt nach und sagt:

Ich habe die größte Ursache, Ihnen für dieses neue Entgegenkommen dankbar zu sein. Aber ich darf keinen Gebrauch davon machen. Heute ist es dies, morgen ist es etwas anderes, Sie bekommen ebenfalls keinen Frieden.

Nach einer Weile sagt Herr Holmengraa:

Eine andre Sache wäre es, wenn Sie mir gegen eine gewisse Summe den ganzen Grund bis zur Landzunge hinaus überlassen wollten.

Der Leutnant schaut vom Pferderücken aus hinüber und überlegt. Dann brauchten wir Sie nicht in einem fort mit solchen Sachen zu plagen.

Wenn es Ihnen an Baugrund zur vollen Ausnützung Ihres Betriebes fehlt, so werde ich mich selbstverständlich einer solchen Ordnung der Sache nicht widersetzen.

Darin erkenne ich Ihre überlegene und wohlwollende Denkweise wieder, Herr Leutnant.

Meinten Sie vom Kai bis zur Landzunge hinaus?

Ja. Und in der Breite bis zu den Feldern herauf. Es werden wohl viele bauen wollen.

Der Leutnant will weiterreiten und sagt:

Wir können es uns überlegen. Na, es ist wahr, unterbricht er sich, der Bäcker geht ja herum und wartet. Sie können den Kontrakt aufsetzen.

Holmengraa verbeugt sich tief und dankt:

Ich danke für mich und für viele Leute. Wollen der Herr Leutnant den früheren Preis für den Grund annehmen?

Der Preis!

Da geht ein kleiner Ruck durch den Leutnant, er verband sicherlich erst jetzt den Gedanken an Geld mit dem Geschäft, wenigstens an einen Betrag von irgendwelcher Bedeutung. Nach dem früheren Preis gerechnet, würde ja dieses große Landstück eine Summe bringen.

Ich nehme Ihren Preis an, sagt er.

Als er nach dem Hof zurückritt, zog er plötzlich beide Handschuhe aus, steckte seinen Ring an den rechten Finger und zog die Handschuhe wieder an.

Rettung! dachte er wohl bei sich, Rat in Ratlosigkeit! dachte er wohl.

Aber auch Herr Holmengraa schien nicht unzufrieden zu sein. Gegen alle seine Gewohnheiten in der letzten Zeit fertigte er die wartenden Menschen jetzt mit einigen wohlwollenden Worten ab: Darüber wird dir der Müller Bescheid geben! – Sieh her, gib dem Lagermeister diesen Zettel, dann bekommst du einen Sack Mehl!

Den fremden Bäcker hielt er zurück und hatte eine Unterredung mit ihm. Während er dasteht und verhandelt, kommen ein Mädchen und ein Knabe angelaufen, Holmengraas Kinder, das Mädchen ist älter. Es trägt ein gelbes Kleid, der Junge einen roten Anzug, beide sehen exotisch aus, beide haben eine bräunliche Haut und braune Augen. Es ist etwas Überseeisches an ihnen: etwas Kräftiges, etwas Barbarisches an der Nase und den reifen Lippen macht sie fremdartig. Aber es sind tüchtige Kinder, sie sind hier nach Segelfoß nur mit Spanisch im Kopf gekommen, jetzt haben sie in kurzer Zeit gelernt, norwegische Worte zu sprechen, sie sind zwei große, lange Nordländer geworden, die den ganzen Tag lärmen und gedeihen. Sieh, da kommt nun das Mädchen herangesprungen, Mariane, wild und frisch, und der Junge, der Felix, hinterdrein, beide barhaupt, mit schwarzem Haar und niedriger Stirn, so stürmen sie daher, ho!

Der Vater öffnet die Arme und fängt sie auf. Er kann froh sein, wie sie blühen und glühen. Laßt euch mal ansehen! sagt er, und das verstehen sie und bleiben einen Augenblick stehen und lassen sich ansehen, und dann haken sie sich beim Vater ein und nehmen ihn mit. Gott sei Dank, denkt sich wohl Herr Holmengraa, es hat ihnen nichts geschadet, nach Segelfoß zu kommen. Er ist beruhigt.

Alles ging jetzt gut, er hatte einen großen Schritt getan, er hatte sich selbst und seine Kinder aus einem fernen Heim fortgeführt und sich eine neue Heimat gegründet.

Weshalb hatte er das getan? War es die Stimme des Blutes, die ihn gerufen, hatte eine menschliche Schwäche auf ihn eingewirkt? Konnte er in den mexikanischen Bergen glänzen? Er war ein Einsamer und Fremder geworden nach dem Tode seines Weibes, er hatte Macht und Mittel, aber keinen, dem er sie zeigen konnte – da gab es einen grauen Holm weit in der Ferne, er wußte von einem Wasserfall im Nordland; daheim konnte man glänzen.

Er und die Kinder gehen plaudernd nach dem großen Haus am Fluß; er ist schon lange von Leutnants fortgezogen und wohnt unter dem eigenen Dach, aber er bekommt die Milch vom Hof. Im Anfang mußte er den Ärger erleben, keine Dienerschaft bekommen zu können, weil sein Haus aus einer Kirche erbaut war: Da gingen wohl Geister und Tote spukend um, die Wände röchen sicher nach Leichen! Da bekam er, um einen Anfang zu machen, ein paar von den vielen Dienstboten des Leutnants abgetreten; die sollten in dem neuen Hause ein paar gefährliche Donnerstagnächte über liegen. Alles ging gut, es spukte nicht, und als ein Monat vorbei war, hatte Holmengraa genug Dienstboten; unter ihnen befand sich Marcilie, die einmal Mädchen unten auf dem Hof gewesen war und in den Stuben des Leutnants aufgewartet hatte.

Holmengraa war gut in Ordnung gekommen, er war sogar dabei, einen Garten anzulegen. Sein Heim war groß und kostbar genug, es lag im Walde, ein fernes Sausen sang darüber hin, die Mühle mahlte Tag und Nacht. Eine Anwaltswitwe von Ytterleia, Frau Irgens, geborene Geelmuyden, stand seinem Hause vor.

 

Die ›Orion‹ steuerte auf den Kai zu, an Bord ist Master Willatz, sein Vater und seine Mutter sind beide zu Pferde, um ihn auf der Brücke zu empfangen; sie steigen ab und geben die Zügel jeder an seinen Diener ab, es war so, als wären der Herr und die gnädige Frau jedes von seinem eigenen Besitztum gekommen. Auch Holmengraa und seine zwei Kinder sind nach dem Kai hinuntergegangen, um Jung-Willatz zu begrüßen und seinen Eltern eine Aufmerksamkeit zu erweisen.

Da winkt er! sagt Frau Holmsen und winkt zurück.

Der Leutnant holt auch sein Taschentuch hervor.

Es war viel Volk auf der Brücke, der Lagermeister stand da mit Papieren in den Händen, und sein Assistent hielt den Postbeutel; beide gaben ihren Leuten noch ein paar letzte Befehle. Per im Laden hatte sein Haus abgeschlossen und gönnte sich für dieses eine Mal ein Vergnügen; Kinder aller Jahrgänge standen mit offenen Mäulern da und glotzten nach dem Schiff hin; im Hintergrund sah man Lars Manuelsen, rotbärtig, geflickt und neugierig, einige Schritt vor ihm hatte sich sein Sohn Lars aufgestellt, Lars der Seminarist, der mit dem letzten Dampfer heimgekommen ist und gestärkte Wäsche und langes Haar trägt.

Der Dampfer dreht bei und gleitet an den Kai und wird vertäut. Jung-Willatz geht an Land und begrüßt zuerst seinen Vater, obwohl die Mutter näher steht und geweint und sich die ganze Zeit nach ihm gesehnt hat.

Wie groß du bist! Und willkommen daheim! sagt der Vater zu ihm, und er ist stolz, sichtlich stolz; dann umarmt der Sohn seine Mutter und streichelt sie und antwortet auf ihre vielen Fragen.

Oh, er ist so groß geworden, ein ganzer Herr, beinahe so groß wie die Mutter!

Jung-Willatz geht auf Holmengraa zu und begrüßt ihn und seine Kinder; er ist so englisch, so höflich und erwachsen.

Die Pferde wiehern plötzlich, weshalb? Der Leutnant sieht nach ihnen hin, aber da ist nichts Ungewöhnliches.

Ich glaube wahrhaftig, meine Elza erkennt dich wieder, Willatz! sagt die Mutter und lacht glücklich.

Der Seminarist hat sich genähert, er paßt auf und grüßt die Herrschaften, und der Leutnant nickt ein wenig.

Da ist Lars, sehe ich, sagt Willatz. Ich kenne alle; da steht auch Julius. Vater, ich glaube, du bist grau geworden.

Glaubst du, Willatz? Hier ist so viel Lärm, Adelheid, ziehen Sie nicht vor, zu gehen?

Sie wenden sich um und sehen drei gesattelte Pferde vor sich.

Wem gehört das fremde Pferd?

Der Leutnant sieht alle verwundert an.

Herr Holmengraa tritt vor und antwortet:

Master Willatz dürfen es nicht verschmähen – nur eine kleine Aufmerksamkeit, die ich Ihnen bei Ihrer Heimkehr erweisen wollte.

Großes und frohes Erstaunen.

Nein, dieser Holmengraa, dieser König über alles!

Ein blankes, braunes Reitpferd mit voller Ausrüstung für Master Willatz. Holmengraa hört den herzlichsten Dank von allen Seiten und, was selten vorkommt, er fühlt sich selbst etwas unsicher, als die gnädige Frau ihren Handschuh abstreift und ihm dankt.

Das freut mich, gefällt es Ihnen wirklich, gnädige Frau? Keine Ursache – ganz und gar nicht –

Man untersucht das Pferd und streichelt es, eine Stute, fünf Jahre, gut zugeritten, feine Hufe, jawohl! Herr Holmengraa kann zufrieden sein, er hat eine gute Wahl getroffen. Er hatte es ja nicht nötig, etwas umsonst anzunehmen, und nun hatte er doch monatelang bei Leutnants gewohnt, ohne etwas dafür zu bezahlen. So fand er wohl keinen anderen Ausweg, als seinen Gastgebern kleine Aufmerksamkeiten von dieser Art zu erweisen, Kleinigkeiten von dieser Art.

Aber ich habe keine Ahnung gehabt, daß Sie ein erwachsener Mann geworden sind, Master Willatz, sagt er und übertreibt höflich; wir müssen die Steigbügel länger machen.

Und dann ritten Mutter und Sohn nach dem Hof, sie sahen vornehm und reich aus, selbst vom Schiff schaute man ihnen nach. Der Leutnant gab sein Pferd dem Halblappen Petter und folgte mit Holmengraa zu Fuß.

Dieser junge Mann, der hinter uns geht, fragt Holmengraa, kennen Herr Leutnant den?

Der Leutnant dreht sich um, schüttelt den Kopf und sagt Nein.

Er ist Seminarist und möchte bei mir eine Stelle als Lehrer haben.

So. Ich kenne ihn nicht.

Meine kleinen Indianer, wie ich sie nenne, haben Schulunterricht nötig. Ich dachte in Ihrem Wohlwollen für den jungen Mann eine gewisse Bürgschaft zu haben.

Nein, das hat nichts zu sagen. Es beschränkt sich nur auf den Aufenthalt im Seminar.

Raten Sie mir, es mit ihm zu versuchen?

Ja. Ja, er ist vielleicht ebensogut wie die andern von der Art. Holmengraa wechselt den Gesprächsstoff:

Beabsichtigen Sie in diesem Jahre Bäume zu schlagen, Herr Leutnant?

Vielleicht. Ich will sehen.

Ich frage, weil hier Leute sind, die bauen möchten, aber kein Bauholz haben.

So. Ja, der Preis ist augenblicklich nicht schlecht. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, zu warten. Können wir einmal des näheren darüber sprechen?

Ja, danke. Vielleicht in einer Woche.

Gut, in einer Woche. Ich werde es mir überlegen.

Die Herren schieden voneinander und gingen jeder seines Weges. Der Seminarist folgte Holmengraa, am Fluß entlang.

Es war gut, daß der Leutnant sich nicht sofort gebunden hatte, in diesem Jahr Bauholz zu liefern. Er besaß wirklich keine größeren Stämme mehr, wohl aber weite Strecken mit Jungholz, von der Sorte, die nach den Gruben in England ging. Nein, der Leutnant war zu gewalttätig mit dem Wald umgegangen. Wenn er es nicht nötig hatte, zu verkaufen, so wollte er jetzt damit zurückhalten. Man mußte vernünftig mit seinem Wald umgehen.

Dem Holmsenschen Haus tat der kurze Besuch des Sohnes wohl. Es war jetzt nicht mehr so öde, es wurde mehr als früher bei Tisch gesprochen, das Klavier klang vertraut und freundlich in der Stube. Es konnte bei den täglichen Gesprächen nicht umgangen werden, daß Willatz beide Eltern dazu brachte, ihm und sogar oft auch einander zu antworten. Es konnte ebenso nicht umgangen werden, daß Mutter und Sohn zusammen sangen und musizierten, mitten am hellen Tag, wenn der Herr des Hauses tatsächlich in seinen Stuben war und alles hören konnte. Seht, das war nun endlich wieder ein Erlebnis, Adelheid hatte nichts vergessen, ihre Kehle war die gleiche, o Gott, wie überirdisch diese Stimme doch war!

Komm mit mir, du hast das Vieh noch nicht gesehen, sagt der Leutnant zu seinem Sohn.

Sie gingen zu dem Vieh und blieben dort ein paar Augenblicke. Jawohl, großartig, der letzte Umbau der Kuhstände, die neue Futterbahn, die auf Rollen lief; die Schweine, diese gewaltigen Säue, die wie vorsintflutliche Tiere zwischen ihren Ferkeln einherwackelten; das Federvieh, die Perlhühner, die gelben Kampfhähne mit Sporen wie Türkensäbel – jawohl.

Aber der Leutnant ging schnell wieder hinaus, diese Tierschau war wohl nur ein Umweg, den er absichtlich machte, er führte seinen Sohn hinunter nach dem Garten, zu dem wunderlichen, kleinen Treibhaus, das er zusammengeflickt und nach jahrelanger Erniedrigung wieder zu Ehren gebracht hatte.

Schau einmal her, sagt er, hier gibt es wieder einige kleine Blumen, nimm sie und bring sie, wem du willst. Nimm diese. Und diese. Ja, gern, die du in der Hand hast, auch, ja, am liebsten die. Du bist heimgekommen, du sollst sie haben. Sieh, hier steht ein ganzer Haufen. Wie heißen die nun gleich –

Das sind ja Rosen.

Rosen – vielleicht. Hier stehen sie, ein ganzer Haufen, ist es nicht wie ein kleines Lied, nicht wahr, ungefähr wie das, das ihr vorhin gesungen habt? Nimm sie alle. Ich weiß nicht, wohin du sie bringen willst, tu damit, was du magst –

Der Sohn hat ja niemand, dem er sie bringen kann, als seine Mutter, für ihre Stuben. Der Vater schweigt, als er dies hört, aber er zuckt nicht mit den Schultern und kraust die Augenbrauen nicht, er tut sehr gleichgültig und sieht auf seine Uhr. Plötzlich fällt ihm ein, daß er den Wald ansehen muß, er muß also gehen.

Hm. Ja, gewiß war es gemütlich, den Jungen wieder daheim zu haben, das ganze Haus war ein Fest, die Türen zwischen den Wohnungen der Eltern waren ja nicht mehr den ganzen Tag geschlossen. Der Leutnant hatte an Willatz große Freude, obschon – hm – das eine oder das andere ihm im letzten Jahr mißfallen hatte. Der Sohn war zum Beispiel in seinen Briefen etwas zu schnell gewachsen, er hatte begonnen, sich Will zu schreiben. Wozu das? Der letzte Brief an die Mutter war sogar mit Bill unterschrieben gewesen. War das dasselbe wie das gute alte Willatz? Und sollte das vielleicht damit enden, daß der ganze Name einmal zu Bill Holmes würde, wie jedermann hieß? Der Leutnant war das Oberhaupt der Dynastie Willatz Holmsen, und so sollte es bleiben zeit seines Lebens. Jung-Willatz hatte gewiß auch nicht vor, aus der Art zu schlagen, er war nur noch zu jung und war jetzt so englisch. Oh, aber es war doch unglaublich schön, daheim zu sein! Jungfer Salvesen und alle Mädchen schlugen die Hände darüber zusammen, wie groß er geworden war, der Knecht Martin und die anderen Burschen begrüßten ihn und bekamen vor lauter Achtung und Respekt kein Wort heraus. Der Junge war ja auch in einer Christnacht geboren!

Jung-Willatz ritt hinaus, an den Häuslertüren vorbei, ritt rasch und ritt langsam an den Häuslerhütten vorbei, und er sah Gesichter hinter allen Scheiben und stumm starrende Kinder in den Türen.

Als so einige Tage vergangen waren, langweilte ihn diese Abgesondertheit, er ließ sein Pferd im Stall stehen und suchte zu Fuß Julius auf.

Julius war auch einigermaßen gewachsen, aber am meisten an seinen Händen und Füßen; oh, er hatte ein paar unvergleichliche Hände! Gerade jetzt sah Julius übrigens etwas fremd aus, er hatte sich die Augenbrauen abgeschnitten, damit sie buschiger wüchsen. Als er Willatz erblickte, legte er mächtig los, wie es sich für einen alten Kameraden geziemte, und fluchte in Gegenwart seiner Mutter:

Was zum Teufel – bist du es, Willatz?

Willatz lacht und sagt:

Ja, das sei schon so! Er macht sich älter, als er ist, und spricht mit einer tieferen Stimme, als er sie hat.

Die Mutter wischt einen Stuhl mit der Schürze ab und bietet ihn an:

Solch ein großartiger Gast! Ihr müßt, bitte schön, so gut sein und Euch setzen.

Julius' kleine Geschwister stehen in den Ecken und sehen den Gast an; sie sind gewachsen, sie auch, ihre Kleider sind zu klein, nein, wie sie gewachsen sind. Das letztemal gab es keine so großen Kinder in dieser Stube.

Das ist ja mächtig, wie groß Ihr geworden seid, sagt Julius' Mutter. Ich erkannte Euch beinah nicht.

Oja, es ist ja auch manch guter Tag ins Land gegangen, seit ich das letztemal hier saß, antwortet Willatz altklug.

Jawohl, die Zeit vergeht, ja! – Steht da nicht so herum und zeigt eure Lumpen, sagt sie zu den Kleinen, geht und macht euch ordentlich!

Julius reckt seine Arme weit aus und gähnt laut und mannhaft, dann sagt er:

Was ich noch sagen wollte, kommst du von England?

Ja, von Harrow in England.

Ich spekuliere, ob ich mir nicht bald eine Heuer nehme und zur See gehe, sagt Julius.

Du? fragt die Mutter. Du solltest dich schämen, so zu lügen.

Lügen? Weil ich das nicht früher gesagt habe? Ich erzähle nicht alles, was ich denke, das könnt ihr mir glauben.

Ich werde dir die Hosen abziehen und dich verhauen, droht die Mutter erbost.

Julius wird flau und lang im Gesicht und gibt klein bei. Als er sich etwas erholt hat, wendet er sich an Willatz:

Vertrugst du die See, als du heimfuhrst?

Willatz antwortet:

Ja, ich merkte nichts. Aber es gab genug, die krank wurden.

Julius sieht ein, daß das hier in der Hütte zu nichts Ordentlichem führen kann, die Mutter hemmt ihn zu sehr. Er lockt Willatz mit sich hinaus und wird gleich freier:

Du Schwein, geschrieben hast du mir nicht und hattest es doch versprochen.

Willatz verletzt diese Redeweise, und er beschließt, seine Stellung zu betonen. Was nahm sich dieser Julius heraus! Wäre es nicht doch vielleicht das beste gewesen, wenn er zu Pferd nach dieser Hütte gekommen wäre?

Du glaubst wohl, ich hätte in England nichts zu tun gehabt? fragt er.

Doch, das kann schon sein, aber … Was wollte ich noch sagen, wenn du wissen willst, was ich in diesem Sommer schon geleistet habe, so brauchst du nur hierherzukommen!

Julius ging voran und Willatz hinterdrein. Sie gingen nach der kleinen Scheune, die zu dem Häuslerplatz gehörte und in der das Ziegenfutter verwahrt wurde. Dort wies Julius auf einen Heuhaufen, der in einer Ecke lag, und sagte:

Das habe ich mit der Sichel in der Heide geschnitten!

So, hast du das?

Und habe es getrocknet und habe es auf meinem eignen Rücken nach Hause geschleppt. Du kannst mir glauben, das war kein Kinderspiel.

Nein, das glaube ich schon.

Auf wieviel Last schlägst du das an?

Das da? fragt Willatz.

Ich hab' es für meine eigene Ziege zusammengesucht, aber es ist zuviel für sie. Ich spekuliere, ob ich nicht etwas davon verkaufen kann.

Tu das nur.

Wenn nur die Preise hochgingen. – Ich sah, daß du reitest – kannst du reiten?

Ob ich reiten kann? Das hast du doch gesehen.

Es ist ja auch nichts dabei, sagt Julius, ich bin nämlich oft geritten. – Nein, ich will dir nun sagen, du hättest mir gut und gern einmal schreiben können, fährt er fort und schließt die Scheune.

Du hättest es ja sowieso nicht lesen können. Und ich hatte keine Zeit, mit Druckbuchstaben zu schreiben.

Es war für Julius wenig behaglich, so unterlegen dazustehen, er wußte einen Ausweg:

Was das betrifft, Lesen und Schreiben, so brauch ich nicht lange nach Hilfe zu gehen. Was meinst du zum Beispiel zu Lars, was?

Willatz schweigt.

Denn er ist ja mein eigner Bruder, setzt Julius hinzu, und er kann wohl ein klein bißchen mehr als du und ich. Weiß Gott!

Ich will sehen, daß ich Zeit finde, dir im Winter einmal zu schreiben, sagt Willatz zahm.

Julius zieht aus seiner Hosentasche einen langen Priemtabakschwanz heraus und bietet davon Willatz an.

Nein, danke.

Na, du priemst nicht?

Nein.

Nein, nein, darüber kann man nichts sagen. Aber ich muß mich jetzt ans Priemen gewöhnen, denn ich soll nach dem Lofot. Sonst werde ich nämlich seekrank. Du kannst froh sein, daß du nicht zur See brauchst!

Du sagtest ja selbst, du wolltest zur See?

Nein, was das Reiten betrifft, so hat Lars sicher genug davon auf dem Seminar gesehen. Und da hatten sie zum Reiten einen Holzgaul, denn ein lebendiges Pferd hielt nicht.

Einen Holzgaul? Ja, aber ich habe ein lebendiges Pferd, sagt Willatz.

Ja, aber es gehört nicht dir.

Gehört nicht mir? Weißt du das? Es ist mein eigenes Pferd.

Das glaub' ich nicht, antwortet Julius kurz und bündig und spuckt aus.

Willatz wird plötzlich rot und hitzig und sagt:

Du bist ein Dummkopf.

Da wird Julius' Gesicht wieder eigentümlich und lang, und er begegnet dem Sturm mit Schweigen. Endlich sagt er:

Ja, ja, er, der Lars ist jetzt der nächste nach dem Propst. Er soll jetzt Hauslehrer bei Holmengraa werden. Hast du schon die Mariane und den Felix gesehen?

Nein, antwortet Willatz kurz und ist noch immer unliebenswürdig.

Doch, du hast sie gesehen, als du ankamst, sie waren am Kai. Sie können nicht sprechen, nur ein, zwei Worte, denn sie können nur Spaniolisch. Manche glauben sogar, daß sie Heiden seien, aber das ist eine hübsche Lüge, sagt Lars.

Wie geht es Gottfred? fragt Willatz.

Gottfred? Wahrhaftig, da muß ich sagen, das weiß ich nicht. – Willatz, hast du was in der Tasche, was du mir verkaufen könntest?

Nein.

Nicht mal eine Pfeife oder ein Klappmesser oder so was?

Willatz zieht aus seiner Westentasche ein kleines Federmesser mit Perlmutterschale hervor. Julius untersucht es und fragt:

Willst du das verkaufen?

Nein, wozu? antwortet Willatz.

Was hast du dafür gegeben?

Ich hab' es geschenkt bekommen.

Ich hab' gerade vier Schilling; willst du das Messer dafür verkaufen?

Nein.

Das macht nichts, sagt Julius, ich biete dir sechs Schilling bar und den Rest in Heu.

Ich verkaufe das Messer nicht, antwortet Willatz und steckt es wieder in die Tasche.

Dann will er gehen. Nein, Julius war nicht mehr so interessant wie früher, nicht einmal ein gemütlicher Kamerad mehr, er spielte so schlecht den Mannhaften, er stieß ab. Da spuckte er nun schon wieder so roh, enorm.

Wohin gehst du? Gehst du zu Gottfred? fragt Julius.

Ja, ich dachte halbwegs daran.

Wenn du auf meinen Rat was gibst, so geh nicht zu Gottfred. Ich pflege nicht mit ihm zusammenzukommen.

Na.

Nein, denn er ist so diebisch. Er stiehlt ebenso hurtig, wie ein Pferd rennen kann, so heißt's doch im alten Sprichwort. Ich verlor ein Ding nach dem andern, und als ich an die drei oder vier Sachen verloren hatte, da fiel ich eines Tages über ihn her.

Du fielst über ihn her?

Na, und ob. Und das hättest du sehen sollen, Willatz. Ich habe keine halbe Arbeit gemacht.

Hast du ihn durchgehauen?

Durchgehauen? Ja, was das Zeug halten wollte. Und da gestand er alles miteinander, alles, was er gegen mich ausgefressen hatte. Lieber, gesegneter Freund, ich hörte soviel aus seinem eignen Munde, ins Gefängnis hätte ich ihn bringen können; aber ich zeigte ihn nicht an.

Willatz schweigt und steht eine Weile da. Wäre er nur weit weg gewesen von diesem Julius, aber Julius hing fest und war nicht so leicht loszubringen. Sollte er ohne weiteres gehen?

Ja, ja, grüß Gott, sagt er.

Nein, gehst du schon? ruft Julius hinter ihm her. Wollen wir nicht an den Strand gehen?

Nein.

Willst du dir nicht meine Ziege ansehen? Und dann hab' ich auch noch eine Mundharmonika.

Julius bekommt keine Antwort.

Er steht einen Augenblick da, um zu sehen, welchen Weg Willatz nimmt, sieht, daß er geradeaus die Richtung zu Gottfred einschlägt, daß er in ein paar Minuten vor Gottfreds Hütte sein wird. Plötzlich tut Julius, als wollte er rufen, er läßt es aber sein, spuckt aus und geht wieder hinein.

Gottfred war dünn, mit großen Augen, genau wie früher, Willatz traf ihn auf der Türschwelle. Sie begrüßten einander, und weil Gottfred dem reichen Jungen gegenüber sehr befangen ist, kommt es zu keinem größeren Gespräch. Oh, nein, mit diesen Kameraden hier zu Hause war jetzt nicht mehr viel los, Willatz war ihnen wohl entwachsen, hatte sie wohl überholt, sie alle enttäuschten ihn so. Gottfred war übrigens trotzdem noch der beste, dünn und wortkarg, wie er war; aber er brauchte doch eigentlich nicht mitten in der Türöffnung zu stehen, wenn jemand kam, der vielleicht hinein wollte.

So was verstand Gottfred nicht.

Ich wollte nur einen Spaziergang machen, sagt Willatz. Es wird langweilig, immer zu reiten.

Wir haben dich viele Male vorbeireiten sehen, antwortete Gottfred und war glücklich, daß er dies gesehen hatte.

Ja, das habt ihr wohl. Es ist mein eigenes Pferd.

Ja.

Wußtest du das? fragt Willatz – denn dann war es ja ärgerlich, daß er damit geprahlt hatte.

Ja, Vater hat es gehört.

Glaubst du, daß ich etwas Wasser zu trinken bekommen kann? fragt Willatz und blickt an Gottfred vorbei in den Gang hinein.

Ja, in der Kochhütte Die Kochhütte liegt neben dem eigentlichen Wohnhaus., antwortet Gottfred und geht ihm voran ins Feuerhaus.

Es war ein kohlschwarzes Loch ohne Fenster und lag Wand an Wand mit dem Ziegenstall. Hier bekam Willatz Wasser aus einer Holzkelle zu trinken. Er hatte nie vorher aus einer Holzkelle getrunken; sie war so unförmig dick, man konnte sie kaum an die Lippen bringen, er konnte damit nicht umgehen, das Wasser rann ihm den Hals hinunter; besonders durstig war er eigentlich gar nicht. Sind dein Vater und deine Mutter zu Hause? fragte er und ging zurück nach der Hütte.

Ja, die Mutter sei zu Hause.

Das war doch eine ungezogene Art, die Gottfred an sich hatte, sich mitten vor einem in die Türöffnung zu stellen. Willatz würde sich auch weiter nicht darum geschert haben; aber soviel er wußte, war das letztemal ein kleines Mädchen in dieser Stube gewesen, oder vielleicht auch nicht mehr so ganz klein, und sie hatte ein paar Augen gehabt, die sie nur gebrauchte, um sie niederzuschlagen, aber es waren dunkelblaue Augen.

Jetzt kommt Gottfreds Mutter heraus und grüßt und bittet den Gast einzutreten:

Ich bat Gottfred, Euch so lange draußen zurückzuhalten, bis ich den Fußboden aufgewischt hatte, sagte sie. Es war so schmutzig bei uns.

Willatz ging hinein; der Boden war naß, er war gerade gescheuert worden. Aber es war niemand in der Hütte, nur drei kleine Buben waren da, die Hütte war also leer. Willatz dankte höflich für Kaffee, er mochte nicht darauf warten, und er nahm Gottfred wieder mit sich hinaus.

Ich entsinne mich ihrer fast gar nicht, sagte er, aber deine Schwester, ist sie nicht daheim?

Pauline? Ja, aber sie ist nach dem Kramladen gegangen.

Sie ist jetzt wohl beinahe so groß wie du?

Ja.

Ist es wahr, daß Julius auf dich losgegangen ist? fragte Willatz.

Gottfred wird etwas verwirrt.

Nein. Wann, meinst du?

Er sagte, er sei auf dich losgegangen und habe dich verprügelt.

Ja, aber hat er denn nicht gesagt, wann das war?

Nein. Doch, er sagte, du hättest ihm einige Sachen weggenommen.

Na, damals, sagt Gottfred.

Pause.

Willatz begreift nichts und fragt:

Was hast du ihm denn genommen?

Genommen? Nein, ich nahm mir nur meine Mundharmonika wieder. Er hatte sie bei sich zu Hause versteckt.

Verprügelte er dich da?

Ja.

Tat das weh?

Nein.

Hat er dich öfter verprügelt?

O ja, manchmal verhaut er mich wohl.

Willatz begreift nicht das geringste, aber er ist entrüstet und sagt:

Er sollte nur mal versuchen, mich zu verprügeln! Hast du dann deine Harmonika bekommen?

Ja. Aber jetzt hat er sie mir wieder weggenommen.

Willatz starrt ihn an: Aber willst du sie ihm denn lassen?

Nein, das weiß ich nicht. Nein, ich will versuchen, sie wiederzubekommen.

Ja, du hast es ja eigentlich nicht nötig, artig darum zu bitten.

Er will zwei Schilling dafür haben.

Zwei Schilling? Für deine eigene Mundharmonika?

So sagte er wenigstens.

Pause.

Willatz steht da und läßt in sich einen großen Entschluß reifen:

Komm, dann gehen wir beide zu Julius, sagt er.

Gottfred geht mehr als gern mit, und Willatz ist ein Mann.

Die Angelegenheit war in einem Augenblick abgemacht. Julius hatte die beiden Herren kommen sehen und erwartete sie vor seiner Hütte, die Mundharmonika in der Hand. Er lieferte sie gleich aus und erklärte, das Ganze sei ein Spaß gewesen.

Die beiden Herren gehen ihres Weges, weg von diesem Menschen und dieser Hütte, Gottfred ist weich und demütig vor Bewunderung:

Sahst du wohl, wie schnell er damit herausrückte? sagte er.

Willatz wirft sich in die Brust:

Er hätte nur probieren sollen, damit zu warten!

Sie stehen da mitten auf dem Wege, und beide wollen heimgehen, aber es eilt nicht, und sie sind ja auch nicht oft zusammen. Vielleicht, wenn Gottfred sich Zeit läßt, kommt seine Schwester, und er braucht nicht allein zu gehen.

Willatz nimmt sein Federmesser heraus und schnitzt damit an einem Zweig, Gottfred betrachtet das Messer, er hätte wohl Lust, es ein wenig in die Hand zu nehmen, es einmal richtig zu besehen. Plötzlich klappt Willatz es zu und schenkt es Gottfred.

Sieh mal her, du kannst dieses Messer behalten.

So etwas hat Gottfred alle seine Tage nun doch nicht erlebt, alles dreht sich vor seinen Augen im Kreis, er glaubt es nicht. Er nimmt das Messer und sagt:

Darf ich es einmal halten?

Du sollst es behalten. Nimm es als Andenken, wenn ich wieder weggereist bin.

Oh, aber Gottfred hatte gar keine Ahnung, wen er eigentlich vor sich hatte, er sagte zögernd, und seine Augen waren unnatürlich groß:

Nein, getraust du dich das? Wenn nun dein Vater nach dem Messer fragt?

Aber es ist doch mein Messer! ruft Willatz, und der Fall ist erledigt.

Und jetzt wischte Gottfred sich die Hand gut ab und dankte.

Er stand wohl nicht hier auf dem Weg, er war weit fort, er hörte nicht, daß Willatz sagte: Sieh, da kommt ja Pauline! Sicherlich war Willatz nicht weniger selig als Gottfred; welch ein wunderlicher Zustand!

Und näher und näher kommt Pauline.

Willatz richtete sich auf und sagte:

Gottfred, ich muß bald mit dem Rasieren anfangen.

Gottfred ist und bleibt weit weg und antwortet:

Weshalb denn?

Weshalb? Siehst du denn nicht? fragt Willatz und streicht sich über die Wangen.

Aber tut denn das nicht weh?

Das ist einerlei. Denn so kann ich nicht länger herumlaufen.

Und da ist Pauline. Dünn und lang und schwarz gekleidet, im Sonntagsstaat, denn sie war beim Krämer gewesen, mit einem Tuchbündel in der Hand, mit Holzpantoffeln an den Füßen und mit Augen, die sie eigentlich nur dazu gebrauchte, sie niederzuschlagen.

Hätte sie nun beizeiten dafür gesorgt, die rechte Hand frei zu haben, so hätte es einen Gruß abgeben können. Aber nein; und da steht sie nun.

Willatz sagt in die Luft hinein guten Tag, und sie antwortet zag und leise zurück. Es kam zu keinem Gespräch, und sie sah nur den Bruder.

Da schau her! sagt Gottfred und zeigt mit einem seltsamen Lachen das Messer. Von wem glaubst du, hab' ich das bekommen?

Pauline sieht auf Willatz und blickt wieder zur Erde nieder.

Du darfst es nicht in Julius' Finger kommen lassen, warnt Willatz.

Vater soll es wegschließen, antwortet Gottfred.

Dann kannst du es ja nicht benutzen?

O ja, mitunter.

Willatz ist der Ansicht, daß ihm das Messer auf diese Weise nicht richtig dienen würde, und sagt:

Nein, du sollst es jeden Tag tragen. Und wenn Julius es dir wegnimmt, mußt du mir nach England schreiben.

Ja.

Was wohl Pauline jetzt über eine solche Macht dachte? Aber Pauline sah nur zu ihm auf, während er sprach, und dann war es auch schon vorbei.

Das Messer hat zwei Klingen, sagt Gottfred zu sich selbst und hat nur Augen für das Messer. Und außerdem ist auch noch ein Haken daran.

Der Haken ist dazu da, um die Reithandschuhe zuzuknöpfen, erklärt Willatz. Aber ich habe noch einen andern Knöpfer. Und wie ist es dir die ganze Zeit gegangen? fragt er Pauline.

Nein, zu irgendwelcher Vertraulichkeit kam es nicht, Pauline schlug nur ein einziges Mal die Augen auf, errötete über das ganze Gesicht und antwortete:

Gut.

Das war alles, und Willatz sagte Lebewohl.

Dann aber wurden Bruder und Schwester lebendig, Willatz hörte sie noch weit hinter sich, und als er sich umwandte und zurückschaute, hatte Pauline beide Bündel auf den Weg gesetzt und stand da und untersuchte zusammen mit dem Bruder das Messer. Nein, und abermals nein, mit den Kameraden hier zu Hause war nichts mehr los, Pauline war wie die andern, und die andern waren wie Pauline. Dabei hatte Willatz sogar einen Augenblick daran gedacht, etwas Englisch zu ihnen zu sprechen, damit sie einen Eindruck von der Sprache bekämen; aber nein.


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