Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3

Aber warum die Wahrheit verbergen – es war bei weitem nicht so zwischen den Eheleuten auf Segelfoß, wie es sein sollte. Das, was sie voneinander trennte, hatten sie nur für eine kurze Zeit bei der Geburt des Kindes einander geduldig nachgesehen, bald war es damit wieder vorbei, und jetzt machte es sich fühlbarer denn je. Hätte der Leutnant, als ein erwachsener Mann, sich nicht in das eine oder das andere finden können, ob es ihm auch für sein Leben zuwider war? Aber im Gegenteil, er machte große Geschichten daraus! Oh, sie waren so wenig froh, sie waren so unzufrieden, sooft sie nur zusammenkamen, der Herr und die Gnädige – man konnte darüber lachen, man konnte darüber weinen. Mein Sohn, sagte sie; das kränkte ihn. Mein kleiner Moritz, sagte sie und stellte ihn auf die Probe; das kränkte ihn, und er antwortete:

Er heißt Willatz, wie seine Vorfahren.

Ja, aber er heißt doch auch Moritz.

Nein, fast nicht.

Da lachte die gnädige Frau und sagte: Ja, wenn er nun aber größer wird, und ich rufe Willatz, so kann ja der unrechte Willatz kommen?

Wenn Sie, antwortete der Herr spitz, wenn Sie Willatz rufen, so werden mein Name und ich sicherlich aus Ihrem Tonfall verstehen, welchen von beiden Sie meinen.

Da lachte die Frau abermals und sagte:

Ja, das ist nicht unwahrscheinlich … Es fällt mir gerade etwas ein. Damit ich es nicht vergesse: Sie waren so gut, der Jungfer ein neues Mädchen zur Hilfe zu verschaffen, sie ist aus einer der Berghütten, glaube ich, sie ist jung und hübsch, sie heißt Marcilie. Aber sie ist wohl etwas verrückt?

Etwas verrückt ist sie?

Können Sie das verstehen? – Sie geht nachts Ihre Treppe hinauf und herunter.

Pause.

Sie geht spät am Abend hinauf und kommt nach einer Weile wieder herunter, nach einer guten Weile.

Pause.

Sie finden das gewiß nicht so auffallend wie ich; sonst würden Sie etwas sagen.

Ich schweige, antwortet der Herr, weil Sie es wünschen. Sonst würden Sie mich nicht so überwältigen. Sie machen mich stumm.

Die gnädige Frau bricht in lautes Gelächter aus:

Ich mache Sie stumm?

Beinahe stumm. Es überwältigt mich, daß ich in der Wahl einer Küchenhilfe für die Jungfer so dumm war. Das Mädchen tut also seine Arbeit nicht?

Die Frau antwortet nicht, sie denkt. Beide denken, sie rüsten sich aufs neue. Die gnädige Frau gibt es auf und fragt:

Wünschen Sie mir noch etwas zu sagen?

Nein … Ich klopfte bei Ihnen an, so vor einer Woche.

Ich war beschäftigt, ich bat Sie, mich zu entschuldigen.

Ich klopfte vor drei Wochen bei Ihnen an, ich klopfte in diesem Jahr, im vorigen Jahr, ich bat um eine Unterredung, einige Minuten.

Ich bat Sie jedesmal, mich zu entschuldigen.

Der Herr verbeugt sich und bleibt stehen.

Und ich bitte Sie, entschuldigen Sie mich! sagt die gnädige Frau, um es richtig gut zu machen, und schaut ihn an.

Der Herr mißversteht sie. Weshalb stand er eigentlich so hier? Er beunruhigte ja seine Frau, sie fürchtete vielleicht irgend etwas, sie wollte ihm zuvorkommen, deshalb sagte sie: Und ich bitte Sie, entschuldigen Sie mich!

Da lachte der Herr. Haha, sagt er. Das ist ein äußerlicher Laut, der Mund öffnet sich, der Kehlkopf drückt sich zusammen, es wird ein Gelächter. Und dann geht der Herr, geht aus dem Hause, über den Hof nach dem Stall, nimmt sein Pferd und steigt in den Sattel. Das tut der Herr.

Wie die beiden zappeln! Auch Frau Adelheid zappelt; besonders starke Gefühle hegt sie wohl nicht mehr für den Mann, der jetzt hinausgegangen ist, keine irgendwie übertrieben große Zärtlichkeit mehr, offenbar. Das ist nicht zu begreifen, er ist ja ihr Mann; und soll man seinen Mann nicht liebhaben? Am Fenster gibt es einen kleinen, guten Winkel. Dort steht sie und schaut ihm nach, wie er davonreitet. Hier fühlt sie sich sicher. In ihrer Tür ist auch ein Schlüssel, den möchte sie nicht um einen Schlüssel aus Gold verlieren – sie pflegt ihn zu benützen, ihn auf der Innenseite der Tür umzudrehen.

Das alles ist so unbegreiflich. Was hatte er ihr getan? War ihr das Zusammenleben an sich zuwider, die Gewohnheit, die Schamlosigkeit? Vielleicht seine langen Hände, sein Atem?

Sie setzt sich an den Schreibtisch und schreibt: es sind Betrachtungen, Notizen, es ist ein Tagebuch. Ihre Hände gehen zärtlich um mit den Blättern und der Feder. Dann und wann flicht sie ein norwegisches Wort in ihr Deutsch ein, aus Nachlässigkeit, und sie ärgert sich darüber, aber sie verunziert ihr Buch nicht durch Streichungen. Es sind gewiß Alltäglichkeiten, was sie da aufschreibt, Nichtigkeiten, auf die eben eine solche Oberstentochter kommen kann; doch es interessiert sie vielleicht, hie und da zurückzublättern, nachzulesen und ein altes Echo in sich wiederklingen zu lassen.

Dann geht sie wieder zu ihrem Winkel am Fenster und schaut hinaus, ob nicht jemand die Anhöhe herunterkommt, ob vielleicht jemand umgekehrt ist – dann geht sie summend an ihr kleines Mozartklavier und schlägt ein paar Tasten an.

Schlägt ein paar Tasten an – zu ihrem Vergnügen.

 

War nicht sie es, die eine adelige Familie in der großen Stadt Hannover verlassen und sich hier auf Segelfoß lebendig begraben hatte? Zu ihr, ja zu ihr, hatte der unglückliche blinde König einmal in ihren Mädchentagen gesagt: Ich höre an Ihrer Stimme, wie schön Sie sind, mein Kind! Ihre Stimme, jawohl, groß ist sie und süß, üppig, sie singt die Lieder ihrer Heimat aus voller Brust. Gott beschirme sie, es schwingt etwas Gongartiges in dieser Stimme, das Instrument klingt leise mit, sie wirft den Kopf in den Nacken, ihr Rücken wiegt sich …

Plötzlich bricht sie ab und eilt durch die beiden Zimmer in die Kinderstube, zum Jungen.

Dieser Auftritt wiederholt sich im Laufe der Zeit oft. Die Dienstboten in der Küche lauschten auf ihren Gesang, sie allein – sie pflegten ein paar Türen zu öffnen, um besser zu hören. Sonst gab es keinen im ganzen Hause, der Türen öffnete und lauschte – das wußte die gnädige Frau ganz genau; mit ihrem Mann war sie nur während der Mahlzeiten zusammen, und sie pflegte auch keinen Verkehr mit Nachbarn. Der alte Großgrundbesitzer Coldevin und seine Frau hatten Segelfoß noch im Gedächtnis, wie es zur Zeit der früheren Herrschaften gewesen war. Sie kamen einmal in jedem Jahr von ihrer großen Insel herübergesegelt und blieben eine Woche lang. Das war so ziemlich alles. Das war so ziemlich ihr ganzer Verkehr. Wohl hielt Frau Adelheid ihre deutschen Zeitungen und bekam ihre deutschen Briefe, aber die hatten keine lebendige Stimme. Und der Leutnant machte seinen gesetzten Ritt, seine lange tägliche Tour. Er hatte Häusler und Landpächter vom Gebirge bis zum Meeresstrand und ritt hinüber bis zu den Fischern an der See; da saß er auf dem Gaul und betrachtete sich ihre Arbeit und ihr Haus und ihre Töchter. Der Leutnant war keineswegs herzlos, manchmal verschaffte er einem Mädchen einen Dienstplatz auf dem Gute, manchmal schickte er Kartoffeln und Speck zu einer Familie, die in Not war.

Er lehnte sich im Sattel seitwärts und klopft mit seiner Reitgerte an ein Fenster. Da wohnt der Fischer Lars Manuelsen. Der Mann tritt in die Tür und grüßt, hinter ihm ist die Tür voll von Gesichtern, am weitesten hinten steht seine Frau, sie legt die Hand über die Brust, als wolle sie sich dahinter verbergen.

Fischst du in diesen Tagen? fragt der Leutnant.

Der Mann schüttelt demütig den Kopf.

Ihr könnt mir glauben: es gibt auch nicht einen lebendigen Fisch zu fangen.

Mir fehlen einige Leute am Fluß. Du kannst noch ein paar andere mitnehmen und den Teich säubern.

Na, so was, Ihr wollt die Schleusen schon öffnen? Der Fluß hat wohl mächtig viel Wasser jetzt?

Also, nächsten Montag fangen wir an … Was für ein langer Bursch steht denn da herum?

Der? Das ist mein Sohn. Willst du wohl grüßen, Lars … Er heißt Lars. Im vorigen Jahr ist er konfirmiert worden, er war der Zweitbeste, also am Kopf fehlt's ihm nicht. Aber was kann das nützen!

Die da, ist das deine Tochter? Hast du bei dir zu Hause ein erwachsenes Mädchen nötig? Wozu in aller Welt brauchst du so viele erwachsene Leute im Hause?

Sie finden draußen nichts. Wo sollen sie hin, und wo sollen sie Kleider und Schuhe hernehmen, um sich vor Menschen zeigen zu können?

Unsinn! sagt der Leutnant. Wie heißt er doch, Lars?

Der Junge, ja. Die reine Strafe des Himmels für mich. Er will weiter nichts als lesen. Gott hat ihm ein paar große, kräftige Hände gegeben, aber er tut nichts damit, er verdient nichts.

Hast du Lust zu den Büchern? fragt der Leutnant.

Willst du antworten, Lars! ruft der Vater drohend.

Lars krümmte sich und grinste verlegen und bekam kein vernünftiges Wort heraus. Der Leutnant fragt:

Sind das alles deine Kinder? Das kleine da auch?

Ja, versteht sich, antwortet Lars. Fünf Jahre war's im letzten Herbst. Julius heißt er.

Plötzlich sagt der Leutnant:

Das Mädchen da kann aufs Gut in Dienst kommen.

Wie heißt sie?

Daverdana.

Daverdana?

Geh und richte dich, Daverdana, und steh nicht da und glotze die Leute so an!

Kann ich mal deine Hände sehen? sagt der Leutnant kurz.

Daverdana beginnt zu erröten, bis hinauf in ihr rotes Haar, aber sie hält treuherzig die Hände hin.

Kannst du lesen?

Kriegst du noch immer den Mund nicht auf? droht der Vater sofort. Sie rennt durch ein Buch akkurat so schnell wie eine Rentierkuh, antwortet er für sie. Nummer drei in der Kirche.

Nein, Nummer vierzehn, sagt Lars, der endlich die Sprache gefunden hat.

Nummer drei, sagt der Vater. Du weißt es ja selbst am besten, Daverdana.

Der Leutnant nickt:

Laß dir ein paar Kleider nähen und komm auf den Hof. Ich bezahle die Kleider. Komm Sonntag in acht Tagen. Zeig mir noch einmal deine Hände! Gut, wasch sie ordentlich! Daverdana?

Ja, Daverdana, antwortet der Vater.

Der Leutnant wendet sein Pferd und sagt:

Wir triften also nächsten Montag die Stämme. Dann ritt er seines Weges, etwas vorgebeugt, etwas schäbig in seiner verschlissenen Uniform, aber straff und mager und arabisch: gab es einen Widerstand, der würde einfach niedergeritten.

Ja gewiß, er verkaufte Bauholz. Es stand gut im Preis, er schnitt es in seinem eigenen Sägewerk zu Planken und Brettern, und das Geld floß nur so ein. Warum sollte das nicht so gehen? Der Boden warf nichts ab, selbst ein großer landwirtschaftlicher Betrieb machte einen nur arm, wenn man nicht große Mittel an der Hand hatte. Ja, wenn man Geld hätte! Und bei der Ziegelei – ja bei der verlor er weniger und weniger, weil sie still stand. Die Wassermühle spann Gold, wenn auch nur einen kleinen, dünnen Goldfaden; die Mühle rentierte sich gerade, ja, mehr als das, wenn er berechnete, was er für seine Pächter und Häusler ohne Entgelt mahlte. Es würde schon gehen.

Hätte er nur nicht die Kirche gebaut! Das war eine teure Geschichte geworden. Jahr um Jahr war nun schon hingegangen seit dem Bau, aber immer noch machte sich die eine oder die andere Erinnerung dem Leutnant schwer fühlbar. Ja, das Holz und der Wald – das war doch ein gewaltiger Segen des Himmels.

 

Der Leutnant kommt heim. Da klingelt und klingelt etwas. Was ist das? Klingeling! Die Frau spielt mit ihrem Sohn unten im Hof, sie spielt Pferdchen mit ihm. Sie hat ihm eine kleine Schelle umgehängt und lenkt ihn mit Zügeln. Das ist ungeheuer lustig, beide lachen und laufen, hahaha! Als der Leutnant kommt, hört das Spiel auf, und der Junge fängt zu weinen an. Dieses Geheul schneidet dem Vater ins Herz; aber als die Mutter sagt: Weine nicht, kleiner Moritz! bekommt der Leutnant sofort einen zusammengekniffenen Mund und sitzt auf seinem Pferd und sagt nichts. Mit diesem Namen Moritz will die Frau hervorheben, daß sie feiner sei als er – von Adel, Moritz von Platz.

Hm! sagt der Leutnant. Die Schelle – weg damit!

Wir spielen ja nur, antwortet seine Frau.

Man hängt einem Willatz Holmsen keine Schelle um, nicht einmal im Spiel.

Was Sie für ein Wesen daraus machen! sagt die gnädige Frau. Wenn ich das erlaube, so können Sie schon gar … Komm, kleiner Moritz, wir gehen hinein.

O ja, da haben wir wieder einen kleinen Streit, eine kleine, muntere Reiberei. Wieviel Nadelstiche zwischen den beiden, allzu viele! Solche Auftritte konnten nett werden – jeder Satz stand und stach mit Nadeln.

Na, jetzt spielten sie also schon drinnen. Die Mutter unterrichtete den Sohn im Lesen und Spielen, daß es eine Freude war; manchmal zeichneten sie auch mit Farbstiften, manchmal sangen sie kleine Lieder zusammen; dem Jungen fiel das alles sehr leicht. Überhaupt war der Junge eine Gabe des Himmels im Hause, der kleine Willatz in seiner blauen Sammetjacke mit dem Spitzenkragen um die Schultern.

 

Kam dann der Leutnant zu Tisch hinein, so herrschte nichts als ruhige Freundlichkeit und eine erlesene Höflichkeit.

Kein Streit mehr, keine Nadelstiche; der Streit war zu Ende – aus Mangel an gründlicher Wut. Aber in diesen friedlichen Stunden bei Tisch war ja auch der kleine Willatz kein Moritz mehr; durchaus nicht. Entweder unterließ es die Mutter überhaupt, ihn beim Namen zu nennen, oder aber sie nannte ihn kurzweg Willatz, wie es sich für sie gehörte. Und dankbar für dieses Entgegenkommen, saß ja der Leutnant nicht etwa da und schrie Willatz und wieder Willatz. Mein Freund, sagte er lieber, mein Junge, sagte er lieber und umging den Namen.

Aber deshalb gab der Leutnant noch lange nicht klein bei. Er tilgte den Namen Moritz aus, wo er ihn ein seltenes Mal von den Mädchen oder der Jungfer hörte.

Entschuldigen Sie, Jungfer, sagte er, von wem sprechen Sie eigentlich? Wer im Hause heißt Moritz? Meinen Sie meinen Sohn, Willatz Holmsen?

Entschuldigen Sie, antwortete sie, die gnädige Frau hat – mitunter sagt die gnädige Frau Moritz.

Die gnädige Frau verspricht sich nur. Keiner von uns hat die Absicht, dem Jungen einen Spitznamen zu geben.

Damit nickt der Leutnant und geht.

Es fällt mir gerade ein, Jungfer, sagt er und dreht sich um, Lars in Sagvika hat das Haus voll von erwachsenen Menschen, die nichts tun. Eine Tochter von ihm wird hier heraufkommen und fragen, ob Sie sie statt Marcilie gebrauchen können.

Soll Marcilie gehen?

Ich habe es so verstanden.

Na, und dann kommt eine Neue?

Ihr Vater hat zu viele Leute zu ernähren, sagt der Leutnant.

Er hat die Jungfer vielleicht im Verdacht, daß sie sich ihre eigenen Gedanken bei diesen Worten macht, deshalb fügt er auf der Stelle hinzu:

Er hat auch einen erwachsenen Sohn, der weiter nichts tun will als lesen. Den schicke ich nach Tromsö.

Auf diese Weise würde jedenfalls dem guten Lars Manuelsen ein ordentliches Teil Sorgen abgenommen werden! Der Leutnant hatte auch unten in Sagvika einen Augenblick lang den gleichen Gedanken gehabt, aber dort hatte er sich zurückgehalten; jetzt war es gesagt: der Knabe Lars würde also nach Tromsö auf das Seminar kommen. Nichts als Ausgaben nach allen Seiten! Wie hieß doch das Mädchen? Daverdana? Nach jener Lieblichen im Märchen. Rotes Haar, lange Hände.

 

Als der Leutnant über den Hof geht, bemerkt er vor seinen Füßen etwas Ungewöhnliches. Er hält immer den Kopf vornübergebeugt, wenn er geht, er sieht zur Erde – dann sieht er alles auf seinem Weg. Was für ein Fremder ist hier gewesen? fragt er einen der Knechte.

Ein Fremder? Nein.

Da liegt eine halbaufgerauchte Zigarre, dort.

Dann muß es schon der Doktor gewesen sein, der sie hingeworfen hat, sagt ein anderer von den Knechten.

Ja, der muß es wohl gewesen sein, sagt der erste.

Der Leutnant geht weiter. So, der Doktor war also am Vormittag hier. Wie vergeßlich seine Frau sein konnte: während des ganzen Mittagessens hat sie den Besuch des Doktors nicht erwähnt! Er wollte hineingehen, mit ihr sprechen und sagen: Ist der Doktor hier gewesen? Was wollte er? Plötzlich denkt er darüber nach, wie spaßig sich das nur anhörte: ein Fremder sei nicht hier gewesen, aber der Doktor sei hier gewesen. War denn der Doktor kein Fremder auf Segelfoß?

Während des Abendessens erzählt der kleine Willatz ahnungslos, daß der Doktor ihn hochgehoben habe, ganz hoch, höher als der Kronleuchter.

Der Doktor? fragt der Vater.

Die gnädige Frau antwortet sofort:

Der Doktor hatte in der Nachbarschaft zu tun, da ließen wir ihn vormittags rufen.

Wer ist krank?

Marcilie.

Davon wußte ich gar nichts.

Sie hat sich erkältet. Der Doktor sagt, es sei ernst.

Davon wußte ich gar nichts, wiederholte der Leutnant nur.

Ich wollte es nicht sagen. Das war ja eigentlich nichts für Sie.

Der Leutnant lächelt: Sie wollten es mir ersparen?

Aber da er die Sache auf diese Art nimmt und ihren Takt nicht herausfühlt, ist die gnädige Frau verletzt und sagt:

Ja, ich wollte es Ihnen ersparen. Der Marcilie haben gewiß die nächtlichen Treppenwanderungen nicht gut getan.

Pause.

Marcilie würde dies wohl auch ohne Doktor überstanden haben. Aber dann hätten Sie ja keine Gelegenheit zum Demonstrieren gehabt.

Demonstrieren – ich? Wenn Sie wüßten, wie gleichgültig mir alles außer meinem kleinen Moritz ist. Gesegnete Mahlzeit.

Die gnädige Frau erhob sich.


 << zurück weiter >>