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8

Wenn Konsul Fredrik mit dem Leutnant tief in die Nacht hinein saß und trank und sprach, so konnten Meinungsverschiedenheiten nicht umgangen werden. Hatte der Konsul nicht eine Lebensanschauung? Aber wenn er so dasaß in einer alten vornehmen Stube voller Luxus und Kostbarkeiten, von den Vätern ererbt, bei Zigarren und bei Wein in venezianischen Gläsern mit einem alten guten Jugendfreund, in einem Gespräch, das er oft jahrelang in seinem Fischernest entbehren mußte, da bekam er einen Rückfall in jenes andere Leben, das so ganz anders war als das, welches er lebte. Und dann kostete es ihn nicht sehr viel, mit seiner Lebensanschauung zu stehen und zu fallen. Was konnte man da machen? Ha, sich selbst übertreffen, sich Genugtuung geben für alles, worein er sich im Laufe der Jahre hatte finden müssen: die plattesten Spießigkeiten sagen, aus voller Lunge dieselben Mittelstandsansichten nachsprechen, die er Tag und Nacht zu Hause zu hören bekam – was sonst! Seine Eltern hatten eigentlich einen Diplomaten aus ihm machen wollen, deshalb hatte man ihn so gut Französisch lernen lassen, – er konnte darauf schwören, daß sein eigener Sohn Anton Bernhard Coldevin ebensowenig in die Diplomatie hineinkommen würde! Eine gewisse ›Angeborenheit‹, ein Tropfen blauen Blutes, was war es? Seidenfransen, Träume, der Teufel hol' sie!

Eine Kuh für Henri l'Isbet? Nein, bitte schön, Monsieur, hier ist Geld, bares Geld; aber du hast es auf meiner Ladebrücke abzuarbeiten, du hast mir dafür Sicherheit an deiner Hütte zu geben! – Das ist nicht so schlimm für einen Gutsbesitzer, ein Krieg nahm ihm nicht seine Erde, nicht seine Sofas, nicht seine Spiegel, selbst die Öfen stehen da, einige haben Verzierungen von Silber, andere haben breite Friese mit Dukatengold darauf. Die zweihundert Weideschafe draußen fand der Krieg auch nicht, die Bootshäuser mit Schiffen und Fischereigeräten fand der Krieg ebensowenig, es gibt so viel auf einem großen Gut, was übrig bleibt, wenn auch ein Krieg darüber hinweggeht. Und im schlimmsten Fall kann man es überleben. Warte etwas, stoppe eine Weile, es gibt Hilfsquellen, eine verborgene Macht, – in ein paar Jahren stehen wir wieder auf den Beinen, wir stehen wieder aufrecht. Und dann stirbt der Schwiegervater, möge Gott seine Seele im Himmelreich erfreuen, er war aus derselben Kaste, grau und aufgeschwollen vor Vornehmheit, auch ihm war es einmal schlecht gegangen, aber er ist wieder auf die Beine gekommen. Was jetzt? Der Gutsbesitzer erbt – erbt. Dieser verteufelte Schwiegervater, möge Gott seine Seele im Himmelreich noch mehr erfreuen. Das ist nicht schlimm. Die anderen, der Arbeiter, die Kaufleute, die Taglöhner, die gehen herum, zeigen einander die Zähne und prügeln sich. So ist das Leben. Sie prügeln sich eigentlich um den alten Gutsbesitzer, sie prügeln sich um den, der etwas hat, um das, was er hat. Der alte Gutsbesitzer ist der Knochen, die anderen sind die Hunde. Aber was tut der Knochen? Wenn sich ein paar Hunde um einen Knochen prügeln, so kann der Knochen ja weiter nichts tun als daliegen, teilnehmen kann er nicht, er mischt sich nicht ein. Das macht nichts. Aber alle die anderen, die müssen mit ihrer Zeit Schritt halten.

Konsul Fredrik – oh, ihn plagen sicherlich noch oft Erinnerungen an seine ›Angeborenheit‹, aber der Teufel hole die Träume, und hier stand er und hier fiel er! Zuweilen wurde er wohl etwas heftiger, als nötig war, weshalb das? Hatte er seine liebe Not damit, seine Träume damit im Zaum zu halten? Sein Freund, der Leutnant, reizte ihn sicherlich nicht, der ist wortkarg und ist so felsenfest von einer ganz anderen Meinung überzeugt, daß ihn nichts davon abbringen kann. Weshalb sich da mit ihm Jahr für Jahr herumschlagen und sich dabei so erregen? Fredrik Coldevin war sicherlich hier nicht auf den richtigen Platz gekommen, und jetzt arbeitete er daran, nicht allein dort zu stehen, andere mitzuziehen? Gott mag es wissen.

Ich gehe so weit, daß ich meine zwei Töchter heiraten lasse, wen sie wollen, sagte er. Tea ist achtzehn Jahre und hatte sich schon halb mit einem Steuermann verlobt. Was sagst du dazu? Aber das, sagte ich, ginge nun doch nicht an. Nein, das verstand sie selbst auch gut. – Unter deinen Paten befinden sich Willatz Holmsen und Frau Adelheid auf Segelfoß, sagte ich, etwas Rücksicht mußt du doch nehmen. Das begriff sie. Aber wen du sonst willst, sagte ich, meinetwegen, ich habe nichts dagegen einzuwenden! Gerda hat noch Zeit, sie ist erst fünfzehn Jahre alt. Herrgott, wir verkehren ja auch in der besten Gesellschaft der Stadt, versteht sich natürlich von selbst. Mit der ganzen höheren Beamtenschaft zum Beispiel. Die Hardesvogts sind gebildete Leute, und meine Frau hat einen Neffen, der Anwalt ist. Außerdem haben wir Pastors sowie meine Kollegen aus der Handelswelt. Kommt man erst richtig in dieses Leben hinein, so findet man darin auch eine merkwürdige Befriedigung, ich möchte mit – keinem tauschen.

Der Leutnant hatte mit gesenktem Kopfe zugehört, wie es seine Gewohnheit war, jetzt sah er auf und redete:

Lieber den Steuermann!

Was meinst du?

Bestell Margrete – die du Tea nennst – bestell ihr von mir: lieber den Steuermann!

Der Konsul lächelte etwas unruhig:

Du meinst, um das Verlöschen der Coldevins zu beschleunigen?

Lieber Fredrik, um es hinauszuschieben. Vielleicht, um es ganz zu verhindern. Ein Seemann kommt in alles mögliche hinein, er segelt um die Welt und schaut sich um, er wird schließlich Führer, Kapitän. Ähnlich wie bei einem Soldaten: gibt es Krieg, so gibt es für ihn etwas zu erleben. Ein Seemann und ein Soldat, die sind nicht absolut immer dem Gewöhnlichen, dem Alltäglichen preisgegeben das sind aber die Beamten.

Oh, jetzt galt es für den Konsul zu stehen und zu fallen mit seiner Lebensanschauung:

Verzeih, du sitzt hier auf Segelfoß und irrst dich, sagte er. Hättest du mit deiner Zeit Schritt gehalten, so würdest du wissen, daß seit unserer Kindheit sich die Verhältnisse gewandelt haben; bei uns ist die Beamtenschaft Adel geworden. Wir haben keinen anderen.

Das bürgerliche Beamtentum, nein, das ist wirklich ein erbärmlicher Menschenschlag. Nach dem Vater der Sohn, Generation auf Generation Kopisten, Rekrutieren sich aus Bauernjungen, die sich ›emporarbeiten‹. Sie arbeiten sich übrigens hinunter, ja das tun sie, von tüchtigen Fischern und Landwirten zu Schreibern und Pfaffen. Mag es drum sein. Es scheint ein Naturgesetz zu sein, daß Beamte nur Beamte gebären können, – weshalb das? Sieh dich einmal unter ihnen um – nichts als notdürftige Begabung, von Energie so gut wie keine Rede, die Alltäglichkeit, der Durchschnitt blüht. Zuverlässige Ehrenhaftigkeit, zuverlässige Tüchtigkeit im Fach – jawohl! Aber Überlegenheit, Größe? Der Sohn nach dem Vater, Generation auf Generation immer dasselbe. Es gibt ein Gesetz in dieser Welt, der Sohn muß Beamter werden, die Tochter muß sich mit einem Beamten verheiraten, und wenn er auch nur ein Arzt oder ein Pfarrer ist. Dieses Gesetz schließt jede Unregelmäßigkeit aus, es ist sehr hart, es verheert die Beamtenfamilien. Von ein wenig Schicksal ist niemals die Rede, nie schlägt der Blitz ein: der Vater hat mit dem Kopieren den Anfang gemacht, der Sohn fährt damit fort, und das nennen sie dann: sich Kultur aneignen. Ich für meinen Teil spreche mit mehr innerer Befriedigung mit meinen Arbeitern als mit unseren Beamten. Ich spreche übrigens mit niemand, fügte der Leutnant hinzu.

Nein, du bist so stolz, sagte der Konsul verletzt. Wir anderen haben zu kaufen und zu verkaufen, zu sprechen und zu handeln.

Stolz? rief der Leutnant plötzlich, und der alte Hitzkopf wurde wieder in ihm wach. Ich hoffe, ich bin stolz. Aber bloß aus Überdruß, verstehst du, aus Überdruß. Hier gehe ich herum und kotze mich hinter meinen Hecken über das, was diese Hardesvögte und Doktoren und Bischöfe sagen. Ich bin hier in meiner Einsamkeit herumgewandert und habe sie überholt, – sie sind hinter mir geblieben. Sie sonnen sich in ihrer eigenen Nichtigkeit, sie drängen sich vor und meinen, sie könnten mitsprechen – ich habe es aufgegeben. Sie schämen sich nicht, mit erhobenem Haupte herumzugehen, ich beuge meines, ich werde niemals damit fertig, zur Erde nieder zu sehen, zu Gras und Kies, nein, ich werde niemals mit dem Gras und dem Kies fertig. Und dann kommen diese Söhne der Kopisten her und wissen, daß auf Regen Sonnenschein folgt, sie stehen mit hocherhobenen Häuptern da und sagen es mir direkt in meine Ohren hinein, sie sprechen es aus. Du bist dem vielleicht nie ausgesetzt gewesen? Sie können schreiben und lesen, etwas, was in früheren Zeiten Untergeordnete zu besorgen hatten, und so sollte es am besten heute auch noch sein. Man kann von Kultur leben, aber man kann nicht von Schreiben und Lesen leben, man kann nicht von Schulkenntnissen leben – das bringen nur einige wenige fertig. Um von Kultur leben zu können, muß man, erste Voraussetzung, in altem Reichtum und Luxus geboren sein; es führt zu gar nichts, von unten her, aus Armut und Enge heraus– und in ein Beamtenheim hineinzukommen. Dieser alte Familienreichtum und Luxus kann in einem den Charakter absetzen, der erst den Menschen zu einer Persönlichkeit macht. Laß sie meinetwegen von Kultur leben! Die Beamten – Gott helfe dir, mein Freund, siehst du denn nicht mehr mit deinen eigenen Augen, wie dumm sie sind, und wie brauchbar und nützlich. Gib doch nur einmal acht auf die Art und Weise, wie sie befördert werden – geht es etwa nach Schicksal oder Unregelmäßigkeit? Sahst du wohl jemals, daß es nach Größe ging? Wie kann es nach etwas gehen, was nicht zu finden ist! Es geht nach Alter, nach Dienstzeit, nach Schulkenntnissen. Das kann man finden! Sie können übrigens auch nicht auf andere Weise befördert werden, das gebe ich zu – sie müssen aus einem Garten der Alltäglichkeit und zur alltäglichen, allgemeinen Benützung gepflückt werden. So ist es in allen Ländern, so ist es auch bei uns. Und darum sage ich: lieber den Steuermann.

Verzeih, antwortet der Konsul, ich sage: den Steuermann nicht.

Doch, aus dem Grunde –

Ich sage: den Steuermann nicht. Aus dem Grunde, weil ich Tea nicht kopfüber in eine Mesalliance hineinstürzen will.

Oh, wie war er doch prachtvoll banal.

Pause.

Der Leutnant sitzt mit weit aufgesperrtem Munde:

Ist es denn so unverständlich, was ich gesagt habe! Ich sage: lieber den Steuermann, ich habe dir auseinandergesetzt: die anderen sind schlimmer.

Er kommt nicht einmal aus einem ordentlichen Haus, sein Vater ist Flößer. Er ist im Grunde also weiter nichts als recht und schlecht ein Matrose.

Man kann auch von Natur leben. Wenn ein Beamter nämlich nicht von Kultur leben kann, weil er keine hat und keine haben kann, eben weil Kultur in der Schule nicht erlernt werden kann, so vermag ein Steuermann doch recht wohl von Natur zu leben. Du kannst einwenden, daß der Steuermann auch nicht länger nur Natur ist; aber er ist von den beiden der, der am wenigsten Natur verloren hat, bei dem man es am besten aushalten kann. Damit kannst du Margrete von mir grüßen.

Du mußt mir verzeihen, aber das tue ich nicht. Das würde für ihre Mutter der Tod sein. Die Familie meiner Frau gehört zu denen, die sich emporgearbeitet haben.

Zu Beamten? Also hinuntergearbeitet haben. Sie hat einen Vetter, der Anwalt ist, und dir wird täglich unter die Nase gerieben, daß das etwas sei; – und du weißt in deinem Inneren, daß es Lüge ist. Heute abend hast du einige niedliche Sachen gesagt! Hat er nicht einmal ein Haus, ein Elternhaus? Nein, aber wenn er zu den Anwälten gehörte, dann hätte er so etwas gehabt! Seid ihr denn verrückt? Wo ist denn der Blitz, der wilde Glanz von irgend etwas früher einmal unter seinen Ahnen, das ihn zu irgend etwas in der Welt von heute gemacht hätte? Die Beamten, die kennen nur eine einzige Unregelmäßigkeit und weiter keine, nämlich diese: sich ›hinunterzuverheiraten‹. Das ist nun ihr Blitz. Die haben nicht einmal Voraussetzungen zu irgend etwas anderem, sie sind in der Alltäglichkeit geboren, für Alltäglichkeit. Sieh, hier war nun ein Doktor, er mußte nun einmal zu uns ins Haus kommen, es gab Krankheit, und er hatte medizinische Kenntnisse. Er kam in unsere Stube, in diese Stube, er verstand keinen Deut, aber er tat so, als wenn ihn nichts in Erstaunen setzte. Er sah den Stuhl dort an, er glaubte, der sei zum Sitzen da, und er setzte sich mit seinem Hintern darauf. Er hätte sich auf den Fußboden setzen sollen, ja, das hätte er tun sollen, und den Stuhl auf den Schoß nehmen. Er betrachtete sich die Wände, er hatte von seinen Mitdoktoren gehört, daß Bilder etwas seien, er betrachtete sich die Aphrodite da, die Gruppe dort, die Jahreszeiten, den Kronleuchter mit den Adlern, alles betrachtete er sich – er schlug nicht die Augen nieder, er faltete nicht die Hände, ich glaube, er hieß Ole Riis oder so ähnlich.

Seine Schwester ist in Ungarn Gräfin – was fällt dir denn ein!

Das, was du da erwähnst, kann möglicherweise einmal eine gewisse Bedeutung – für ihre Nachkommen erhalten; für den Bruder kann es höchstens Snobismus zur Folge haben.

Der Konsul trinkt und bereitet sich vor, seinem Freund zu entgegnen, ihn ein für allemal abzufertigen. Oh, wie er ihn mit all der Banalität überwältigen wollte, die er von seiner Familie und seinem Nest her in- und auswendig kannte!

Heute abend hast du einige niedliche Sachen gesagt! Du gehst hier auf Segelfoß herum und tyrannisierst dich selbst und andere; nur einmal im Laufe des Jahres wird dir widersprochen: wenn ich komme. Aber jetzt sollst du auch die richtige Antwort erhalten. Ich will ganz logisch mit dir zu Werke gehen und dich zuerst fragen: kennst du meine ausgezeichnete Stadt? Nein. Also kennst du auch Bommen nicht. Bommen ist Hausbesitzer und hat einen Sohn, der studiert, er ist also Vater, der seine Kinder vorwärts bringen will. Einen Teil von den gesunden und richtigen Betrachtungen dieses Mannes will ich mir dienstbar machen. Bommen würde ungefähr folgendes sagen: deiner Meinung nach müßte es also das Beste sein, Unregelmäßigkeiten in den Familien hervorzurufen, und alsdann würde Bommen dich groß ansehen.

Der Leutnant lächelte:

Das glaubt Bommen nicht. Künstlich hervorgerufene Unregelmäßigkeiten? Herr Bommen, dann würde ja das Individuum das gleiche wie früher sein. Es müßte ja eine Lawine von Reichtum und Schicksal über Ihre Vorväter hinweggegangen sein, wenn aus Ihrem Sohne, dem Studenten, etwas anderes als ein Beamter werden könnte. Das ist eine Voraussetzung, die erste. Ihre Familie muß schon seit vielen Generationen reich gewesen sein. Sie, Ihre Familie müssen auf dieser Grundlage Eigenschaften entwickelt haben, durch die Sie sich von den Kopisten mit der alltäglichen Ausrüstung unterscheiden –

Die Hausjungfer kommt mit einer Karte herein und meldet:

Der Herr möchte den Herrn Leutnant sprechen.

Um diese Zeit? Er liest die Karte, runzelt die Stirn, überlegt ein wenig und sagt: Verzeih einen Augenblick, Fredrik, ich hätte dir sonst noch etwas mehr gesagt, aber …

Ja, und vergiß es nicht. Ich will nämlich auch noch etwas sagen, wenn du wiederkommst – darauf kannst du dich verlassen.

Der Leutnant geht und kommt nach ein paar Minuten zurück, gerade so, als hätte er den Mann draußen abgefertigt.

Ein merkwürdiges Benehmen! sagt er und sieht auf die Uhr.

Hast du den Eindruck von Adelheid bekommen, als ob sie den Baugrund verkaufen möchte?

Ja? fragt der Konsul erstaunt. Ja?

Der Mann ist jetzt hier, er steht draußen, er scheint den Kauf heute abend abschließen zu wollen.

Ja, ich hatte den Eindruck. So, er will den Kauf heute abend abschließen?

Der Leutnant geht verlegen auf und ab.

Ich pflege Adelheid nicht so spät zu stören – das heißt, ich – nicht ohne Grund. Sie hat sich wohl kaum niedergelegt, ihr Fenster steht noch offen, wenn du also bei ihr anklopfen möchtest und fragen –

Ich soll mit Frau Adelheid sprechen?

Wenn du mir diesen Dienst erweisen willst. Du bist munterer, sie besitzt nicht allzuviel Munterkeit, ich bin nicht munter. Hör, bevor du gehst: du mußt es ihr nicht allzu schwer machen, wenn sie vielleicht ebenso wie ich meint, daß wir den Baugrund ruhig verkaufen könnten.

Der Konsul geht hinaus.

Der Leutnant bleibt stehen, wo er steht, er macht ein ärgerliches Gesicht. Daran ist wohl dieser Herr Holmengraa schuld, der ihn verstimmt hat; ist das auch eine Art, um diese Zeit nach Segelfoß zu kommen? Meinte er, daß dem Großgrundbesitzer auf Segelfoß so viel an den Schillingen gelegen sei? Alles andere eher!

Der Konsul kommt wieder und gibt Bescheid, daß Frau Adelheid – ja, es sei ihr Wunsch.

Ja, aber – könntest du mir nun auch den großen Gefallen erweisen, mit dem Manne zu sprechen? Verzeih mir, daß ich dich darum bitte.

Mit dem größten Vergnügen. Soll ich geradezu das Geschäft für dich abschließen?

Ja, danke – morgen. Mach dem Manne klar, daß es jetzt Abend ist.

Ich habe nichts dagegen, jetzt schon mit dem König zusammenzutreffen und sofort einen Bauplatz mit ihm auszusuchen. Für uns Geschäftsleute gibt es keinen Abend. Du brauchst dich sowieso um nichts zu kümmern.

Tu, was du willst. Es ist mir übrigens nicht angenehm, daß ich mich mit diesem Verkauf in Gegensatz zu deinen Eltern stelle.

Das laß nur ganz meine Sorge sein. Ich habe mich mein ganzes Leben lang in Gegensatz zu ihnen stellen müssen, sie – wollten unter anderem einen Diplomaten aus mir machen, aber …

Im Laufe der Nacht wurde Frau Adelheid von dem Konsul noch einmal gestört: Der König wünscht den Baugrund auf der anderen Seite des Flusses. Er wünscht auch einige wenige Maal Maal (norw.) = etwa einige Ruten (ein Flächenmaß). Land unten an der See, er zahlt gut.

Noch ein drittes Mal wird Frau Adelheid von dem Konsul gestört, aber da ist es schon Morgen: Der König wünscht die Hälfte vom Fluß bis hinauf zum Berg, außerdem die Hälfte vom Bergsee. Was er mit all dieser Flüssigkeit wollte, war ein Rätsel.

Beim Frühstück fehlt Fredrik Coldevin, er ist noch nicht heruntergekommen. Fredrik Coldevin ist die ganze Nacht auf der Westseite des Flusses mit Herrn Holmengraa und seinen Leuten umhergewandert. Sie sind bis oben beim Bergsee gewesen. Jetzt sitzen sie in aller Stille in der Stube des Konsuls auf Segelfoß und schreiben den Kontrakt. Aber der alte Coldevin und seine Frau sollen so lange, wie es nur geht, geschont werden: Fredrik kommt sofort, wollen wir nur anfangen!

Und nach der Mahlzeit werden die beiden Alten aus dem Hause geführt, zu einer kleinen Wanderung über die Felder und Wiesen, und die beiden Geschäftsleute können so in Frieden ihr Frühstück verzehren.

Sieh mal her, Willatz – was machen die da unten? sagt der alte Coldevin, während sie gehen.

Der Leutnant hat es bereits gesehen; es sind Leute unten auf dem alten Kirchendach, und er ist auch schon in das Rätsel eingeweiht worden, aber er will nichts sagen. Die reißen sicher das Dach ein, antwortet er.

Wer reißt ein? Ist das verkauft? Wollen wir mal hingehen und hören.

Das ist zu weit für Sie, lieber Freund.

Durchaus nicht. Wollen wir hingehen und hören.

Und sie gingen nach der Kirche, wo dann der alte Coldevin alles zu hören bekam: der König, dieser Tobias Holmengraa von Ytterleia, hatte die Kirche so, wie sie dastand, gekauft und ließ sie nun bis auf den Grund niederreißen. Zehn Mann waren schon an der Arbeit. Und nach und nach bekommt Coldevin heraus, daß Herr Holmengraa vor hat, sich aus dem Material dieser alten Kirche ein Haus zu erbauen. Man ist droben auf der Westseite des Flusses schon dabei, die Steine zu den Grundmauern zu brechen. Wie das wimmelt von Arbeitern!

Aber als der alte Coldevin nach Hause zurückging, schritt er nicht mehr so gut aus wie vorher. – Du hattest recht, Willatz, es war doch weiter, als ich glaubte, sagte er und nahm den Arm des Leutnants. Ja, weiß Gott, es war weiter. Hier auf Segelfoß gibt es große Entfernungen.

Oben auf der Höhe trafen sie Herrn Holmengraa. Er grüßte ehrerbietig, dankte für das Frühstück und für alle ihm erwiesene Liebenswürdigkeit. Er entschuldigte sich abermals wegen seines späten Kommens am gestrigen Abend, Konsul Coldevin sei allzu liebenswürdig gewesen, daß er sich die ganze Nacht ihm zur Verfügung gestellt habe.

Der Leutnant sah zu seiner Überraschung, daß dieser Holmengraa, wenn er sich nicht mit so vielen Schals um den Leib maskiert hatte, ein magerer und sehniger Mann war. Er konnte es nicht umgehen, die Herren einander vorzustellen, aber er machte es kurz.

Jawohl ja, das ist schon so, Segelfoß hat große Entfernungen, sagte der alte Coldevin und holte tief Atem. Da hinten hast du einen richtig feinen Jungwald; Klein-Willatz wird einmal ein mächtiger Mann werden. Ja, und nun danke ich auch schön, daß du mich begleitet hast. Ich will jetzt auf meiner Stube ein wenig lesen. Ich lese nämlich am Vormittag immer ein wenig.

 

Zuerst berichtet der Konsul, habe ich dir seinen Dank für die Bewirtung auszurichten.

Das hat er selbst schon getan, antwortet der Leutnant.

Hat er sich auch wegen gestern entschuldigt? Und gesagt, weshalb er so spät kam? Ein ungewöhnlich kluger Mann, dieser Holmengraa, ein Genie! Er hat wohl vierzig Leute mit, er zahlt ihnen zwischen einem Ort Ort (norw.), ehemals Münze, etwa 1 Mk. deutscher Währung. und einem Taler für den Tag, das läuft ins Geld, denkt Holmengraa; wir wollen die Kräfte also ausnutzen! Darum benützt er die Nacht dazu, den Kauf abzuschließen und den Bauplatz auszusuchen, und um sechs Uhr heute morgen setzt er sein ganzes Aufgebot in Arbeit. Was sagst du dazu! Nicht eine Stunde verschwendet.

Eine so sorgsame Genauigkeit ist mir leider unbekannt, antwortet der Leutnant. Da will ich doch lieber – wie mein seliger Vater anfangen, nach dem Schatz des Großvaters zu suchen, fügt er hinzu und lächelt.

Ich weiß übrigens nicht, ob man hier von einer so sorgsamen Genauigkeit reden kann, sagt der Konsul, darüber magst du selbst urteilen. Hier ist der Kontrakt.

Der Leutnant liest ihn nicht durch, er sitzt nur da und hält das Papier in der Hand.

Die Hauptsache ist, daß Adelheid das Geschäft nicht mißbilligt. Frau Adelheid ist zufrieden.

Übrigens habe ich eben mit deinem Vater gesprochen. Er ahnt gewiß das Ganze, er ging sehr niedergedrückt in sein Zimmer.

Willst du den Kontrakt nicht lesen?

Doch. Später. Ich danke dir für den großen Gefallen, den du mir erwiesen hast.

Fredrik Coldevin schweigt eine Weile, endlich sagt er:

Ist das eine Art!

Was? Lieber Fredrik, verzeih, wenn ich etwas gesagt habe –

Ist das eine Art! Als ob das die Hauptsache wäre, daß Frau Adelheid den Verkauf nicht mißbilligt? Ich hätte große Lust, dir ein paar kleine Antworten zu geben, sowohl für gestern als auch für heute. So kannst du sprechen und mein Vater, diese Art könnt ihr bei einem Geschäft anwenden, ich bin alle meine Tage gezwungen gewesen, eine andere Art zu gebrauchen. Du hast kein Geld nötig, du hast es nie knapp gehabt, du konntest es nur so aus dem Kasten nehmen. Ich habe es mir verdienen müssen. Verstehst du das, Willatz, verdienen?

Ich habe es oft genug knapp gehabt, sagt der Leutnant ruhig.

Du? Ausgeschlossen!

Ich habe große Ausgaben gehabt.

Hast du denn nicht auch heimliche Quellen, aus denen du schöpfen kannst, hast du nicht grenzenlose Reichtümer unter der Erde?

Ja, wenn man die hätte!

Mein Vater hat sie!

So? Na – ja, ich nicht. Also dein Vater hat sie? Merkwürdig. Ja, ich habe mich oft darüber gewundert, woher er all sein Geld bekommt.

Das will ich dir jetzt sagen, als Antwort auf das eine und das andere: er bekommt es von mir.

Der Leutnant traut seinen Ohren nicht. Er macht ein recht einfältiges Gesicht.

Er hat es von mir bekommen, seit einem halben Menschenalter. Ohne das würde er nämlich bankerott sein.

Pause.

Die Herren sitzen einige Minuten da und denken nach, weiter nichts: sie denken nach.

Ich bitte dich, meine Offenherzigkeit nicht falsch zu verstehen, sagt der Konsul. Ich habe dies nur gesagt, um mir selbst ein klein wenig Genugtuung zu verschaffen. Ich bin nicht blind dagegen, daß etwas Großes darin liegt, Gutsbesitzer wie mein Vater zu sein, aber es ist etwas Totes. Groß, aber gestorben. Die Zeit ist darüber hinweggegangen.

Ja, die Zeit ist über uns hinweggegangen, sagt der Leutnant gedankenvoll.

Ich spreche selbstverständlich nicht von dir. Hier gab es ja ganz andere Hilfsquellen.

Die sind aufgebraucht.

Die sind nicht aufgebraucht. Wie ich gestern abend mir schon zu bemerken erlaubte; es bleibt immer noch viel übrig auf einem großen Gut, wenn auch ein Krieg darüber hinweggeht. Aufgebraucht? – Der Konsul lacht – sei es nun, um den Freund aufzumuntern oder aus einem anderen Grunde. – Was würdest du zum Beispiel sagen, wenn ich Lust hätte, dir den Fluß abzukaufen?

Den Fluß?

Den halben Fluß, den halben Wasserfall und den halben Bergsee, – wenn ich also ein etwas verrückter Lord wäre, der Flüssigkeit aufkaufte und niemals genug Flüssigkeit bekommen könnte – was würdest du dafür verlangen?

Der Leutnant lächelt.

Ich meine es ernst damit. Den halben Fluß mit Wasserfall und Bergsee?

Nimm den Fluß, wenn du Lust hast! Er gehört dir.

Ich habe ihn heute nacht verkauft.

So? Ja, daran bist du wohl reich geworden?

Nanana! Um zu hören, ob mein Geschäft gut oder schlecht war, möchte ich gern erst einmal den Preis wissen. Außerdem den Preis für den Grund. Der ist nicht knapp, er will nichts knapp haben, sagte er. Den ganzen Streifen auf der Westseite des Flusses von der See bis zum Bauplatz, fünfhundert Ellen breit, an der See das Doppelte, der Richtung wegen.

Pause.

Nicht, daß ich deine großen Dienste unterschätze, sagte der Leutnant, aber rein herausgesagt, du hast also von dem Grund und dem – dem Wasser von Segelfoß wegverkauft, ohne daß ich irgendwelchen Nutzen davon hätte. Der Preis? Den Fluß kann er haben. Mein Sägewerk, meine Mühle und meine Ziegelei, die können wohl auf meiner Seite des Flusses trotzdem still stehen oder gehen?

So mag er also gern den Fluß bekommen. Der Landstreifen, fünfhundert Ellen breit, ist dagegen Grund. Es ist kein teurer Boden, kein Wald, nichts als Weiden am Fluß und Brachland oder steiniger Boden. Aber es ist doch Boden. Dafür müßte ich also etwas bekommen.

Wieviel?

Wieviel? Lieber Fredrik, jedenfalls wird es nicht für mich ins Gewicht fallen. Dazu gehört viel. Alles befindet sich hier im Verfall, Klein-Willatz soll fort, große tägliche Ausgaben, die Felder schlecht bestellt. Zweitausend Taler ist wohl zuviel? Tausend Taler? Ich weiß nicht.

Willst du das Dokument lesen?

Ja, danke. Später.

Damit du dir einen Begriff von dem Geschäft machen kannst, will ich dir erzählen, wie ich den Fluß verkaufte. Holmengraa sagt, er hätte eine kleine Wassermühle an einem anderen Ende der Welt; solle er hier wohnen, so müsse er sich hier irgend etwas Ähnliches anlegen, um sich damit die Zeit zu vertreiben – deshalb müsse er die Hälfte vom Fluß haben. Ich bin Kaufmann, deshalb antwortete ich: Das wird teuer. Wie teuer? fragt er. Ich überlege, ich habe mancherlei verkauft, aber niemals einen Fluß. Mein Freund, der Leutnant, hat, wie ich ihn kenne, keine Lust, seinen Fluß zu verkaufen, sage ich, auch wenn jemand käme, der ihm drei-, viertausend Taler dafür bieten würde – der Leutnant würde nur lächeln, sage ich.

Bist du verrückt? Drei-, viertausend Taler?

Jetzt sollst du hören: Herr Holmengraa ist nämlich ein merkwürdiger Mensch. Er antwortet mir nur, daß er die Preise für Flüsse hierzulande allerdings nicht kenne, aber er möchte nun einmal gern den großen schönen Fluß, den Wasserfall und den Bergsee haben, und er habe es sich auch überlegt und mit den internationalen Preisen als Grundlage ausgerechnet, und er glaube wohl, er könne sechstausend Taler für den Fluß geben, falls er auch den Grund dazu bekäme.

Grabesstille.

Er hielt dich zum Narren, sagt der Leutnant.

Immerhin steht es aber im Kontrakt.

Es dämmern goldene Möglichkeiten für Willatz Holmsen auf, er ist wunderlich widerstandslos, er läßt sich gleichsam treiben, er öffnet den Kontrakt, schließt ihn wieder, lächelt plötzlich und fragt mit bebenden Lippen:

Aber vielleicht – dies hier ist nun also der Kontrakt – kein Geld –?

Ich muß wiederum meine Achtung vor diesem merkwürdigen Menschen Tobias Holmengraa zum Ausdruck bringen, sagt der Konsul. Er bezahlte alles bar.

Bezahlte bar?

Oh, jetzt war Fredrik Coldevin obenauf!

Er öffnet seinen Rock und nimmt aus den Taschen diese große Summe heraus, diese ungeheure Summe.

Das ist für den Fluß, sagt er. Dies ist für den Grund am Fluß, zusammen achttausend Taler. Herr Holmengraa wollte so viel geben, weil er eine solch herrliche Aussicht bekäme, sagte er. Zähl es jetzt nach, ich habe es übrigens schon nachgezählt, es stimmt. Puh, es macht meine Taschen förmlich leicht, daß ich es losgeworden bin.

Ja, wie herrlich obenauf Fredrik Coldevin jetzt war!

Mit dem Leutnant war dagegen wenig Staat zu machen, er war überwältigt, er bewegte den Mund, ohne etwas zu sagen. Und plötzlich löste dieser kuriose Mann seine Spannung mit einem spaßigen Zug: er legte seine Arme auf den Rücken und schob heimlich seinen Ring wieder an die rechte Hand hinüber; er hatte ihn eine ganze Woche lang an der linken getragen.

Es ist ja wahr, sagte er und machte sich stramm, du hast heute nacht nicht geschlafen, geh und leg dich hin.


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