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16

Die Todesbotschaft aus Berlin machte einen merkwürdigen Eindruck auf Herrn Holmengraa, er wurde offensichtlich etwas verrückt.

Zuerst versank er in große Trauer und großen Gram, denn die Herrin auf Segelfoß war vom ersten Tage an so außerordentlich liebenswürdig gegen ihn gewesen, ja, er verdankte es vielleicht ihr, daß er hier überhaupt mit seiner großen Wirksamkeit hatte beginnen können.

Aber nachdem einige Tage vergangen waren, geschah eine Veränderung mit Herrn Holmengraa, und er begann das Leben wieder lichter anzusehen. Ja, weshalb die Wahrheit verbergen, er begann das Leben von der lustigen Seite anzusehen – kann das jemand begreifen? Man sah ihn lächeln, lachen, ganz sicher trank er zu Mittag von seinem spanischen Landwein, es gab keine andere Erklärung. Und die Pfarrgehilfen würden gewiß sehr bald Pastor L. Lassen ausführlicheren Bescheid bringen können.

Wer war Herr Holmengraa? Ein Kreuz am Himmel, ein Symbol? Aber vielleicht war nichts Geheimnisvolleres an ihm, vielleicht war er nur eine überlegene Tüchtigkeit in einem Übergangstypus? War er nicht ein Mann, der zwar viel Geld verdient, aber glanzlos und fremd auf Mexikos Hochebene gelebt hatte und jetzt heim kam, um für seine Erfolge Ehre zu ernten? Er kam, und es rollte und dröhnte sein Ruhm durch das Land; aber draußen auf dem grauen Holm konnte er ja niemals diesen seinen Ruhm aufrechterhalten, von dort mußte er also unter allen Umständen weg, er kam nach Segelfoß, und hier war sein Platz. Hier gab es vornehme Leute und gewaltige Aussichten für Geschäfte, hier konnte man glänzen über das ganze Nordland.

Und dann? Alle Pläne hatte er verwirklicht, vielleicht mehr, als er gedacht hatte; er blieb dabei, bescheiden aufzutreten. Das einzige, womit er Lärm machte, waren seine Maschinen. Lag etwas Erkünsteltes in seiner Bescheidenheit? Konnte seine Selbstzucht dann und wann versagen? Niemals. Wann denn auch? In seinem Verhältnis zu Leutnants auf dem Hof war er fein und echt, gegen seine Arbeiter war er nachsichtig, er war freigebig und gutmütig gegen alle Menschen. Half er sich mit unlauteren Mitteln vorwärts, war er ein Betrüger? Er hatte eine offene Hand und war untadelig in seinem Tun und Lassen. Wenn der Leutnant irgendwelchen Argwohn gegen diesen ungewöhnlichen Fremden hatte, so konnte er sich bei seinen eigenen Eigenschaften dafür bedanken. Das Ereignis mit dem Mühlendamm, der weggespült und vernichtet worden war? Dafür hatte Herr Holmengraa ja die drückenden Obligationen von der Bank ausgelöst. Daß er gleichzeitig Privatbesitzer des ganzen Flusses und des ganzen Bergsees wurde, war ein Zufall, ein glücklicher Zufall, aber jedenfalls hatte er dafür bar bezahlt. Gab es also irgendwelchen Grund zu Argwohn? Es gab zum Beispiel auch in Mexiko Tannennadelduft, jawohl, aber nicht dort, wo Herr Holmengraa gewohnt hatte – obwohl er dort ein Sägewerk betrieben hatte. Seine Gesundheit war zerrüttet, und er nahm Pillen, bis seine großen Unternehmungen hier in vollem Gang waren, seitdem hörte man nichts mehr von dieser zerrütteten Gesundheit – nein – nein, – so heilsam konnte die Luft auf Herrn Holmengraa wirken, während sie so traurig entgegengesetzt auf einen anderen Streiter des Lebens wirkte: auf den Pastor Lassen.

Wo konnte man einen taktvolleren Menschen als Herrn Holmengraa finden? Und er zeigte diesen Takt auf eine natürliche Weise, als sei er ganz und gar nicht angelernt, sondern angeboren. Spät und früh, jederzeit. Frau Adelheid, die sich auf so etwas verstand, hatte nicht ein einziges Mal Mißbehagen empfunden. Wie sicher und zufrieden er sie gemacht hatte! War er verliebt in sie gewesen? Verliebt? Dann hätte er doch wohl seine Augen auf eine jüngere geworfen. Aber daß er sich so viel aus ihr gemacht hatte und gar zusammengebrochen war, als sie für immer verloren war, das hatte kaum seinen Grund in Verliebtheit. Oder wie denn? War es für einen Tobias von Holm nicht etwas ganz Besonderes gewesen, aus und ein zu gehen auf Segelfoß und der Freund der gnädigen Frau zu sein. Es ist keine große Sache, vor einem zu glänzen, der die Tür weit aufschlägt. Vor dem Pack kann man in einer roten Wollweste glänzen. Herr Holmengraa erwies wohl Frau Adelheid seine Ergebenheit genau so, wie er sie einem dänischen Gesandten erwiesen hatte. Er war Bauer von der Wiege her und gehörte also zu einer Rasse, mit der das Leben bis jetzt weiter nichts hatte anfangen können, als sie vor dem Aussterben zu bewahren. Alles, was er wußte, hatte er sich zusammengehorcht, all das Wertvolle, das zwischen gebildeten Menschen in der Luft hängt, ihre Sprache eingerechnet, hatte; er sich angeeignet – gut gemacht, Herr Holmengraa, sehr gut gemacht! Aber er war zweihundert Jahre jünger als die Bewohner auf Segelfoß; er hatte grüßen gelernt, aber er grüßte mit einem Sklavenhut.

Hatte er persönliche Gründe, über Frau Adelheids Tod zu trauern? Diese Frage erörtern und beschnüffeln Hausjungfer Salvesen und Frau Irgens, geborene Geelmuyden, wenn sie ihren Schwatz halten; die Herrin auf Segelfoß würde es vielleicht selbst offenbaren, wenn ihr Tagebuch einmal herausgegeben würde. Eine Wölfin kann zu einem Hunde in den Hof kommen.

Aber Trauer empfand Herr Holmengraa beim Tode der gnädigen Frau; das äußerte sich dadurch, daß sein Gesicht gleichsam lang wurde, dadurch, daß er jetzt gleichsam eine längere Nase hatte als früher – das sah wohl so aus, weil er magerer wurde. Aber daß seine Stimmung dann umschlug und er lustig wurde, das hatte seinen Grund frei herausgesagt nur darin: er hatte niemand mehr, aus dem er sich etwas machte, denn die vornehme Frau Adelheid war jetzt tot.

Aber wirklich, Herrn Holmengraas trauriges Wesen schlug um, und das zeigte sich darin, daß er bei Frau Irgens zu weit ging, so daß sie sich wahrhaftig wehren mußte und sagen: Nein – hier kann jemand kommen! Es äußerte sich noch mehr eines Abends, als er Jungfer Salvesen zu fassen bekommen hatte und sich mit ihr verheiraten wollte: Überlegen Sie es sich, sagte er, Sie haben mein Wort. Kommen Sie, und sehen Sie sich mein Haus an, kommen Sie nach oben.

Gänzlich verrückt.

Eine Woche lang war er sein eigener Hanswurst, er hatte sein Gleichgewicht verloren. Es war, als ob er jahrelang hier in Fesseln umhergegangen und jetzt frei geworden sei. Er ließ die Hühner abends heraus und schlich sich dann vor Marcilies Fenster; da das Mädchen nicht allein war, so sagte er, die Hühner seien herausgekommen, sie müßten wieder hineingetrieben werden. Er ließ ihr keine Ruhe, er ging ihr nach bis zum Hühnerstall, küßte sie und gab ihr Geld. Das war ein Zustand! Er hatte auch schon früher Anläufe zu kleinen Verrücktheiten genommen, aber doch mit Maßen und nicht so wie jetzt. Da er so reich war, kannte er keine Unsicherheit, und er machte sich kaum viel daraus, was die Leute sagten. Während der Leutnant verreist war, ging Herr Holmengraa sogar nach dem Hof hinunter und machte sich an Daverdana heran. Die war nun aber mit dem Lagergehilfen verlobt und litt keinen Mangel an Liebe; aber als Herr Holmengraa das herausbekam, wurde er eifersüchtig und verliebt und kleidete sich fein und hängte die Goldkette doppelt über die Weste. Im Grunde genommen hätte man über ihn weinen mögen, dieser alte Mann war in eine Lage geraten, die nur für die Jugend paßte.

Es kam ihm in den Sinn, den Distriktsarzt Muus zu sich einzuladen. Weshalb nicht, das war ja nichts als einfache Höflichkeit. Der Doktor wurde reich und kräftig bewirtet, ihm erschien der Abend verheißungsvoll. Dieser Mann aus dem Westen war ja ein gemütlicher Wirt, daran war nichts auszusetzen, Silber und Wein waren wie bei einem Mann, der es sich leisten konnte; Doktor Muus schlug vor lauter Behagen ein Bein über das andere.

Ich hoffe, daß auch Rechtsanwalt Rasch sich nachher sehen lassen wird, sagte Herr Holmengraa, damit Sie nicht so allein sind. Also war der Rechtsanwalt nicht zu Mittag eingeladen, nur etwas zur Gesellschaft hinterher. Und der Doktor legte Wert auf diese Auszeichnung. Nicht deshalb – Rechtsanwalt Rasch gehörte ja auch einer Beamtenfamilie an und war so weit ebenbürtig; aber ein Rechtsanwalt ist nun doch noch lange nicht soviel wie ein Doktor, genau so wenig ein Pastor. In Herrn Holmengraa steckte wohl von dem Holm her noch immer die Rangvorstellung kleiner Leute. Das kam jetzt Doktor Muus zugute, und Doktor Muus tat sich darauf etwas zugute.

Aber er hätte es nicht so ausnützen sollen, das brachte ihm nichts ein. Was ahnte man hier im Hause von einer bürokratischen Größe!

Der Doktor hatte komischerweise den Glauben, daß auch er sich den Hochmut der Oberklassen leisten könnte; deshalb war er mit dem Leutnant bei ihrer ersten Begegnung so hart zusammengestoßen. Herr Muus war das Ergebnis von vier Generationen Schulfleiß und gewöhnlicher Begabung, von diesem und nichts anderem, wie konnte sich dieser Mann also über Musik und über die neuen Noten, die auf dem Flügel lagen, auslassen? Frau Adelheid hatte ja selbst diese Noten gewünscht, deshalb hatte Herr Holmengraa sie sich sofort angeschafft. Jetzt würden sie freilich liegen bleiben und vergebens auf Frau Adelheid warten, die würde nie mehr kommen. Aber sie sollten ihre wohlverdiente Achtung genießen, das sollten sie, und das war nicht zuviel verlangt. Herr Muus indes hielt immer noch zur italienischen Musik, wie ihm seine Eltern es beigebracht hatten und dies hier war nur Beethoven – ja, denn Frau Hohnsen war ja immer so deutsch gewesen.

Das war ein trauriger Todesfall hier unten, sagt der Doktor.

Herr Holmengraa nickt tief mit dem Kopf und antwortet:

Ein furchtbarer Schlag.

Wie nimmt er es?

Der Leutnant? Er ist ja ein verständiger Mann, ein überlegener Mann. Aber das war gewiß fast mehr, als er ertragen konnte.

Meinen Sie? Ein überlegener Mann?

Herr Holmengraa antwortet: Ja, das ist mein Eindruck.

Der Doktor sagt:

Dann glaube ich, Ihr Eindruck hat Sie getäuscht.

Das sagt der Doktor und sitzt ruhig da.

Gewiß ist es nun so, daß die Vorstellung des Volkes einen Doktor über viele andere setzt, aber Herr Holmengraa hatte schon früher manchen Doktor gesehen, sogar oben in den mexikanischen Bergen gab es Doktoren, sie waren dort nicht selten. Außerdem meinte Herr Holmengraa wohl, daß man seinem Eindruck ruhig einigen Wert beimessen könnte, er war mitunter im Leben gezwungen gewesen, sich auf diesen seinen Eindruck zu verlassen, und das hatte ihn ja nicht irrgeleitet, denn hier saß er und war heute Holmengraa.

Meiner Ansicht nach ist der Leutnant ein überlegener Mann, sagte er.

Das machte nun auf Herrn Muus keinen Eindruck, denn er gehörte doch zur Oberklasse und war wissenschaftlich gebildet:

Ich mache einen Unterschied zwischen einem, der durch Unglück auf die Knie gezwungen wird, und einem, der zielbewußt und verrückt dem Untergang zusteuert, sagte er. Und der Leutnant gehört zu den letzteren. Ich habe mir sagen lassen, daß in Wirklichkeit Sie seinen Hof besäßen.

Nein, ging es nun an, Frau Adelheid und den Leutnant zu ein paar ganz gewöhnlichen Personen zu machen, über die sich jedermann auslassen durfte? Wie konnte sich Herr Holmengraa da noch etwas darauf zugute tun, daß er in all diesen Jahren so fest und so noch mit ihnen befreundet gewesen war!

Das ist Klatsch, sagte er.

Klatsch? – Ordentliche Leute erzählen das.

So haben Sie eben die ordentlichen Leute mißverstanden.

Ich habe sie nicht mißverstanden. Es ist dann wohl nichts als eine unbegründete Furcht für den Leutnant. Um so besser!

Dann kommt der Rechtsanwalt, und man trinkt. Ja, der Rechtsanwalt stand mehr auf der Erde und war nicht so gelehrt und nicht so schwierig im Umgang, er unterhielt sich über praktische Dinge, und es dauerte gar nicht lange, so sprachen er und Herr Holmengraa von Geschäften. Und er trank außerdem viel kräftiger als der Doktor, ja, er brachte sogar seinen Wirt dazu, kräftig zu trinken. – Gott weiß übrigens, wozu, wenn nicht darum, weil er seinem Wohltäter alles Gute gönnte. Rechtsanwalt Rasch hatte nämlich Herrn Holmengraa für vieles zu danken, für Haus, Grund und Boden und für die ersten guten Ratschläge. Jetzt hatte er eine blühende Praxis, hatte sein eigenes Sprechzimmer und davor eine Schreibstube für den Schreiber. Es war überraschend, wie es mit ihm vorwärts gegangen war. Er hatte schon seit langer Zeit im Sinne, den Boden, auf dem sein Haus stand, sowie auch ein Stück angrenzendes Ackerland zu kaufen; aber Herr Holmengraa hatte jedesmal geantwortet, der Leutnant wolle nichts mehr von Segelfoß veräußern.

Er fragte jetzt wieder und bekam die gleiche Antwort.

Worauf der Rechtsanwalt in aller Ehrerbietung Herrn Holmengraa zutrank.

Wohin sollte das führen? Herr Holmengraa, der Bauer von dem Holm, bekam Wein auf die Zunge und gab im Laufe des Abends große Pläne zum besten; das letzte war, daß er sich in die spanische Sardinenfischerei einmischen und in Santander eine norwegische Flotte ausrüsten wolle.

Norwegische Fischer dürfen dort nicht fischen? Dann lasse ich sie naturalisieren.

Vielleicht wollte er vor seinen beiden Gästen glänzen, er ließ etwas über Metallfunde in zwei näher bezeichneten Gegenden verlauten – er wolle Bergwerke kaufen. Er wollte vielleicht glänzen, ja; aber wozu sollte das nun eigentlich führen, er pflegte doch sonst nicht seine Pläne auszukramen, sondern still mit ihnen herumzugehen. Er sprach ruhig und ohne zu prahlen, wie es seine Gewohnheit war, doch große Pläne glühten hinter seiner Stirn; es war interessant, ihm zuzuhören. Und Ihr Wohl, meine Herren, sagte er, es war liebenswürdig von Ihnen, mich zu besuchen!

Die kleine große Mariane kam hereingeglitten und zeigte, daß sie mit ihren langen Beinen knixen konnte. Sie war auffallend stark entwickelt, der aufgeworfene Mund so reif. Sie brachte ihrem Vater Postsachen, die sie abgeholt hatte, und sagte gleichzeitig: Brief von zu Haus! Es war fast seltsam, norwegische Worte zu hören von diesem Mädchen mit der niedrigen Stirn, mit dem Indianerhaar und dieser witternden Nase. Das war alles, sagte sie.

Danke, sagte der Vater.

Das war alles, sie selbst bekam nichts. Von Jung-Willatz kamen keine Briefe mehr.

Entschuldigen Sie mich einen Augenblick! sagte Herr Holmengraa und öffnete einen Brief mit fremden Freimarken. Er überflog ihn schnell und sagte zu seiner Tochter: Auch einen Gruß an dich, meine Freundin! Mariane knixte wieder und glitt zur Tür hinaus.

Herr Holmengraa legte die Briefe zur Seite und sagte: Wenn die Herren meinen, der Sherry sei zu kalt oder zu warm – wir haben ja nicht alle den gleichen Geschmack – na, also nicht.

Auch jetzt war er höflich und gutmütig. Er begann den Rechtsanwalt ein wenig wegen Jungfer Salvesen aufzuziehen: deshalb mache er wohl so viel Wesens von dem Stück Ackerland und der Futterwiese! Oh, diese Jugend!

Der Doktor benutzte die Gelegenheit, zu sagen:

Ja, könnten Sie denn nicht an Rechtsanwalt Rasch das Stück Land verkaufen, Herr Holmengraa? Damit würden Sie ja vor dem ganzen Ort beweisen, daß Sie der Besitzer von Segelfoß sind.

Wie kann ich Land vom Hof des Leutnants verkaufen? Per im Laden will auch eignen Grund kaufen, er ist ja so geldschwer geworden, daß er jetzt ein Wiesenstück für zwei Kühe kaufen will. Ich habe es dem Leutnant nicht einmal erzählt. Übrigens ist das alles miteinander nicht der Rede wert, und es ist ganz gleichgültig, wem von uns beiden ein Stück Grasland für zwei Kühe gehört. Futterwiesen für zweihundert Kühe sind mehr.

Der Rechtsanwalt fragt:

Aber warum sollte denn der Leutnant nichts verkaufen wollen? Er bekommt ja Geld dafür. Ich kenne noch einen, der gern Freibauer werden möchte: Lars Manuelsen. Er kam zu mir und sprach sich ganz offenherzig darüber aus: da er einen Sohn habe, der Pastor geworden sei, und obendrein ein bekannter Pastor, so könne er nicht gut länger als Häusler dasitzen, er wolle also den Grund, auf dem seine Hütte steht, kaufen und dazu noch ein passendes Stück anbaufähiges Land.

Ist das der Vater von Pastor Lassen? fragt der Doktor.

Ja. Und natürlich steckt der Pastor dahinter. Kennen Sie ihn?

Nein. Er hat bei mir Besuch gemacht, ich fand, er war sehr bescheiden. Ein Bauer selbstverständlich, aber er hat sich doch zu Kultur emporgearbeitet.

Ja, dessen Vater ist es; also ein achtbarer Mann, der einen Sohn hat, welcher Pastor ist, sagt der Rechtsanwalt, sich wieder an Holmengraa wendend. Und ich kenne noch mehrere, die sich Grund und Boden kaufen möchten, Ihr eigner Bäcker zum Beispiel, Herr Holmengraa.

Mein Bäcker? Ich habe keinen Bäcker! Und jetzt sieht es so aus, als habe Herr Holmengraa sich an diesem Nachmittag genügend Kleinkram von zwei netten, putzigen kleinen Herren erzählen lassen. Und es sieht aus, als habe er plötzlich genug, und er sagt jetzt genau das, was er will:

Mein Bäcker? Sie gehen wohl davon aus, daß ich so vermögend sei. Sie sehen meine Kette an und glauben, sie sei echt. Selbstredend ist sie nicht echt. Weshalb sollte ich so verschwenderisch sein? Dazu bin ich nicht reich genug. Die Kette ist vergoldet, sie ist stärker als Gold, sie sieht aus wie Gold; tut sie das etwa nicht?

Sollte er den beiden Herren noch mehr zur Weiterverbreitung mitgeben? Oder wollte er aus krankhafter Sucht, zu glänzen, seinen abenteuerlichen Ruhm wieder auffrischen? – Es verging ein Augenblick, dann sagte er, und er formte es zu einem Kompliment:

Ich habe einen Sohn: Felix. Es war mein Traum, ihn zu einem gebildeten Menschen zu machen, wie es die Herren sind, aber er will nicht lernen. Jetzt muß ich ihn nach Mexiko zurückschicken.

Hat er denn in Mexiko noch jemand, zu dem er reisen kann?

Ich kann ihn jemand überlassen. Aber er kann ja übrigens dort Verwandte haben, zum Beispiel seine Mutter.

Pause.

Der Rechtsanwalt und der Doktor schauen sehr erstaunt drein.

Ich glaubte – ich ließ mir erzählen, Sie seien Witwer?

Herr Holmengraa erwidert gleichgültig den Blick des Doktors und kümmert sich wieder nicht um ihn, sondern sagt, was ihm beliebt: Nein, hier wird nichts aus Felix, er will wohl am liebsten wieder zu seinem Stamme zurückkehren. Aber Mariane bleibt bei mir, meine Tochter.

Als Herr Holmengraa am Abend seine Gäste hinausbegleitete, war er trotzdem nur so weit betrunken, daß er verbotene Wege ging. Es war nach dem Abendbrot, die Herren hatten gut gegessen und gut getrunken, und sie klagten auch nicht über die Bewirtung. Aber Doktor Muus äußerte, er habe an dem wiederholten Widerspruch des Gastgebers im Laufe des Abends den Unterklassenhaß des Ungebildeten gegen die Oberklasse, der er und Rechtsanwalt Rasch angehörten, deutlich herausfühlen können. Und das hatte auch Rechtsanwalt Rasch gefühlt.

Mit diesem Abend endeten Herrn Holmengraas Ausschweifungen, in den Tagen darauf wurde er wieder Herr seiner selbst und König über alle. Er traf Anstalten zum Begräbnis, er telegraphierte wegen eines Kranzes für Frau Adelheids Sarg, und in dem Augenblick, als der Postdampfer, die Flagge auf Halbmast, oben vom Fjord her einbog, ließ er den Landungsplatz und den Weg dick mit Tannenzweigen bestreuen. Ob er wohl aus Respekt vor dem Leutnant mit seinen Verrücktheiten aufhörte? Oder tat er es, weil er sich vor sich selbst schämte? Was nun auch der Grund gewesen sein möchte – Herr Holmengraa hatte in den letzten Wochen mancherlei Verrücktes angerichtet, und wäre er nicht der Mann gewesen, der er war, so würde es ihn viel Zeit gekostet haben, alles wieder in Ordnung zu bringen – Herrn Holmengraa kostete es keine Zeit. Nein, er war trotzdem so märchenhaft, man konnte alles von ihm erwarten.

 

Zum Begräbnis kam auch Frederik Coldevin mit seiner Frau. Endlich hatte er Zeit, wieder nach Segelfoß zu kommen, es war lange her seit dem letzten Mal. Die alten Coldevins kamen von ihrer Insel, sie waren jetzt kleine weiße Sehenswürdigkeiten geworden und hatten keine Stimme mehr. Sie sahen wie verrunzelte Albinokinder aus. Oberst von Platz in Hannover sandte einen Vertreter und Blumen, die übrigens eine Woche zu spät kamen.

Auch bei dieser Gelegenheit konnte der Leutnant es nicht unterlassen, etwas Seltsames und Eigensinniges auszuklügeln: Er hatte telegraphisch mit dem Nachbarpfarrer ausgemacht, daß dieser kommen und die Beerdigung vornehmen sollte. Daß der Leutnant immer noch zu so etwas Lust hatte? Jetzt sollte man doch meinen, daß er für immer tief getroffen wäre – aber nein.

Am Abend jedoch kam der Wagen des Nachbarpfarrers ohne Pastor; der Kutscher aber brachte einen Brief voll Entschuldigungen und Erklärungen mit: der Pfarrer sei verhindert. Oh, ihm waren wohl schließlich Bedenken gekommen, er wagte vielleicht nicht, seinen Kollegen L. Lassen zu verletzen, der das Wohlwollen des Bischofs besaß. So verhielt es sich wohl.

Da lächelte der Leutnant und sagte zu seinem Sohn:

Es soll also doch Lars sein. Es ist ja auch einerlei, deine Mutter hört ihn ja nicht. Willst du dem Knecht Martin Bescheid sagen, daß er morgen früh Lars holt.

Als der Pastor kam, mußte Konsul Fredrik zwischen ihm und dem Leutnant vermitteln. Es war des Leutnants Wunsch, einer Rede von Lars zu entgehen, aber der Pastor konnte nicht darauf eingehen, dagegen wollte er aus Respekt vor dem Leutnant die Rede kurz machen, und er verzichtete darauf, der Leiche bis an die Kirchhofspforte entgegen zu gehen.

Der Leutnant sagte:

Also bleibe ich zu Hause.

Um seinen Freund nicht zu reizen, tat Konsul Fredrik so, als sei dies zu überlegen; aber er war ja nicht im Zweifel.

Ja, das wäre ein Ausweg, sagte er und nickte. Wenn du es nur nicht einmal bereuen wirst?

Ja, zweifellos werde ich das.

Dann ist die Frage, ob es nicht besser ist, eine Stunde Unbehagen dem Unbehagen eines ganzen Lebens vorzuziehen.

Der Leutnant verzichtete darauf, zu Hause zu sitzen. Er legte seine Paradeuniform an mit Epauletten und Säbel und goldenen Tressen, und über all dieser Pracht trug er seinen kostbaren Mantel. Er war prachtvoller, als man ihn je gesehen hatte. Jung-Willatz hatte einen neuen, schwarzen Anzug an und trug einen florumwundenen hohen Hut. Wunderlich genug war es, daß sowohl Vater als Sohn weiße Handschuhe trugen ohne Schwarz daran.

Alle Leute Holmengraas hatten frei bekommen, die Mühle stand still, alle Häusler und Kleinpächter versammelten sich auf dem Kirchhof, es war schwarz von Menschen wie an einem großen Kindtaufsonntag. Der Sarg war ganz und gar unter Blumen verborgen, es waren Kränze aus England und aus Deutschland, von Holmengraas, von sämtlichen Coldevins, von den Kaufleuten aus Bergen. Es war nichts als ein Berg von Blumen, der da in die Erde gesenkt wurde.

Dann kam die Predigt. Pastor Lassen war seiner Sache selbst nicht ganz sicher; aber hier gab es eine allzu gute Gelegenheit, sich ausführlicher über geistliche Dinge auszulassen, er konnte von seiner ursprünglichen Absicht, eine lange Predigt zu halten, nicht abweichen. Jeder andere trauernde Hinterbliebene wäre doch dankbar gewesen für ein trostvolles, ernstes Wort, aber der Leutnant blieb sich selbst treu, er sah abwesend aus und hörte wohl nicht zu. Als die Predigt eine halbe Stunde gewährt hatte und der Leutnant nicht länger warten wollte, nahm er dem Küster plötzlich den kleinen Holzspaten aus der Hand und reichte ihn dem Pastor – oh, er reichte ihn ihm nicht einmal mit dem Griff voran. Der Pastor mußte innehalten, er sah den Leutnant an, und er begriff wohl, daß die Zeit jetzt um war, er nahm den Spaten und warf die drei Schaufeln Sand auf die Blumen hinunter.

Und dann wurde das Grab zugeschüttet.

Aber die Leute, die den Auftritt mit dem Spaten bemerkt hatten, mißbilligten das Benehmen des Leutnants: Lars Manuelsen mißbilligte es, Per im Laden mißbilligte es ebenfalls – sie hatten niemals vorher ein solches Auftreten gegenüber einem wortführenden Vertreter Gottes gesehen, was unser Lars, wie er da stand, doch war. Aber der Pastor war ja viel zu klug, um den Spaten zu nehmen und ihn dem Leutnant ins Gesicht zu schlagen, Lars war doch ein gebildeter Mann. Das bewies er auch bis zuletzt: Kaum war die Trauerfeier zu Ende, da wollte er sich auch schon mit ein paar tröstlichen Worten an die Angehörigen wenden, so wie es der schöne Pastorenbrauch gebot; aber weil er seiner Sache nicht ganz sicher war, trat er zuerst zu Jung-Willatz, der ihm am nächsten stand. Pastor Lassen gab dem jungen Willatz Holmsen die Hand und sagte:

Du hast einen großen Verlust erlitten, aber der Herr wird dir helfen, ihn zu tragen!

Oh, das würde der Herr sicherlich tun, Pastor Lassen brauchte ihn nur dazu aufzufordern, ihm dazu zu raten.

Da erhebt sich die Stimme des Leutnants, und der Pastor sieht zwei graue Augen voll eisiger Überlegenheit auf sich gerichtet:

Du duzest meinen Sohn? Du hast das in Zukunft zu unterlassen!

Worauf der Leutnant heimwanderte von dem Begräbnis.

 

Die alten Coldevins blieben diesmal nur zwei Tage, dann reisten sie wieder in ihrem Hausboot fort. Es war wie ein Boot aus der Vorzeit, und als trüge es Schatten an Bord. Die alten Coldevins – die konnten das Ganze nicht recht verstehen: da war doch kein Weg früher, sagten sie; da stand doch kein Haus früher, sagten sie. Dann schüttelten sie die Köpfe und kannten sich nicht aus; sie waren nicht sicher, ob sie diesmal auch wirklich nach Segelfoß gekommen wären. Dann reisten sie wieder heim; sie hatten keinen Spaziergang durch den Jungwald gemacht und hatten beinahe kein Wort gesprochen.

Konsul Fredrik und Frau blieben vier Tage, dann kam der nach Süden gehende Postdampfer und nahm sie mit. Aber es war diesmal ja auch nicht mehr das gleiche Leben in Konsul Fredrik wie früher, er war stark ergraut, und unter seinen Augen hingen Säcke. Und seine Frau, die dick und bürgerlich und in der letzten Zeit sogar missionsfreundlich war, begleitete ihn, Der Leutnant hatte genug mit sich selbst zu tun, seine Trauer war so merkwürdig groß, so auffallend groß; man hatte doch keine Schlaflosigkeit vom Leutnant erwartet, weil er Adelheid verloren hatte – die er vorher schon verloren hatte. Und so konnte es für Konsul Frederik diesmal nicht besonders gemütlich werden, er ging deshalb in den vier Tagen umher und sehnte sich fort.

Er war die gewohnten Abende beim Wein mit seinem alten Freunde zusammen, aber sie waren so förmlich, und das Gespräch war so wenig unterhaltend, Konsul Fredrik bekam keine Gelegenheit, mit seiner Lebensanschauung zu stehen oder zu fallen. Es wurde beinahe kein Wort über all die Umwälzungen hier auf dem Hof gesprochen; als der Konsul andeutete, daß er an diesen Umwälzungen leider nicht ohne Schuld sei, wies der Leutnant ihn sofort zurück und sagte:

Nein, ich danke dir, du bist nicht ohne Verdienst daran.

Dann versuchte der Konsul von Willatz zu sprechen – ob Willatz noch immer in Berlin bleiben solle?

Natürlich, antwortete der Leutnant. Er reist mit demselben Dampfer nach Süden wie du.

Meine Tochter Tea, sagt der Konsul, du erinnerst dich ihrer? Sie nahm den Steuermann.

Darin tat Margrete recht.

Der Steuermann ist Kapitän.

Da kannst du sehen!

Kapitän auf dem Dampfer Klaeggen, zweiundfünfzig Fuß lang. Oh, aber da kann nichts helfen.

Pause.

Nein – und so versucht der Konsul gleichwohl mitten in der Trauer eine kleine scherzhafte Geschichte vom Stapel zu lassen.

Du erzähltest doch, du seist daran schuld, daß euer Nest einen faulen Fischer weniger hätte?

Ja, ich bereue es, der Menschheit wegen.

Was soll ich dann sagen! Du hast vielleicht nicht vergessen, daß vor vielen Jahren in unserer Stadt ein Mulatte geboren worden ist? Naja, ich verstehe es nicht, aber man begann mich für den Mulatten verantwortlich zu machen. Hast du so etwas gehört? Es sollte zwischen ihm und einem gewissen Fest in meinem Garten ein Zusammenhang bestehen, hehehe. Schließlich bekam ich die Geschichte satt und schickte den Bengel fort. Jetzt ist er auf der Handelsschule in Philadelphia.

Da ist dein Verbrechen trotzdem geringer als meines, sagt der Leutnant.

Wie trostlos es war, jetzt mit dem Freunde zu sprechen. Konsul Fredrik bereute es fast, daß er zu der Beerdigung gekommen war. Ja, rein herausgesagt, er hat nun während so vieler, vieler Jahre sein Kleinstadtleben gelebt, daß er angefangen hat, es erträglich zu finden. Ging sein Geschäft nicht? Schrieben nicht viele Federn in seinem Kontor? Und verkehrte er nicht mit den besten Familien der Stadt? Im Klub, den sie daheim hatten, konnten sie manchen spannenden Gesprächsstoff erörtern, wie jetzt im Sommer, als eine Tochter des Hausbesitzers Bommen sich auf einem deutschen Kriegsschiff im Hafen totgetanzt hatte. Hehe, dies verrückte Kind! Aber ein französischer Offizier würde sich niemals zu Tode getanzt haben.

Jedoch Konsul Fredrik, der so munter erzählte und so gern lachte, ging nun manchmal für sich allein umher und verfiel in Gedanken. Das mußte er schandenhalber wohl tun. Und eines Tages, da es vielleicht anderswo nicht still genug war, ging er in Frau Adelheids Schlafzimmer und blieb dort ein wenig stehen. Er sah jetzt müde und verbraucht aus, und große Säcke hingen unter seinen Augen. Er nahm einen Haarkamm, der zwischen anderen Schmucksachen hier herumlag, und betrachtete ihn; und fand ihn wohl schön, denn er sah ihn lange an. Dann aber schien es, als käme es ihm in den Sinn, daß es sich doch wohl nicht paßte, sich hier hinzusetzen und in Nachdenken zu verfallen, und er ging still aus dem Zimmer wieder hinaus.

Er ging nach dem Treibhaus hinunter. Hierhin hätte er ja sofort gehen können, hier war es gut und einsam. Was – hatte er den Haarkamm mitgenommen? Lächerlich! Na, da er es nun einmal getan hatte … Es war eine Nichtigkeit, um deren willen er den Leutnant nicht plagen wollte. Es war so, als dufte der Kamm noch ein wenig nach ihrem Haar? Einbildung, er duftete nach Schildpatt. Aber wenn sie nun plötzlich dort oben in der Stube wieder singen würde, hernieder singen würde zu diesen Blumen hier? Jawohl – wenn sie ihre Leidenschaft entfaltete wie einen Fächer und gut und wild wäre. Die Arme! Sie, die Armen alle miteinander!

Der Konsul nahm auch die Gelegenheit zu einem kleinen Abschiedsgeplauder mit der Hausjungfer Salvesen wahr. Es war nicht allzu früh, als er endlich am vorletzten Tage seine Frau bei Frau Irgens wußte und vor dem Speisekammerfenster der Jungfer stehen konnte.

Ach, Sie sind's! sagte Jungfer Salvesen.

Mehr oder weniger ich, Jungfer!

Sieh da, Jungfer Salvesen war bis jetzt von der Trauer des Hauses gebunden gewesen, und es war so lange her, seit sie ihren Mund lustig schief gezogen hatte; und nun hört sie an dem Ton des Konsuls, daß sie für einen Augenblick die Trauer ablegen darf:

Sie kommen, vermute ich, um wieder damit ein Ende zu machen, Herr Konsul?

Konsul Fredrik schluckt, schluckt wieder und sagt:

Jungfer Salvesen, ich habe alles gehört!

Alles?

Ja, können Sie mir noch mehr erzählen?

Nein, ich will Sie doch nicht zum Wahnsinn treiben.

Weib, Sie haben sich außer mit mir noch mit zwei anderen verlobt. Weiß der Lagermeister und weiß der Rechtsanwalt, wie Sie an mir gehandelt haben, Jungfer Salvesen?

Dies war aber wohl ein allzu grober Scherz, denn die Jungfer antwortete:

Das werde ich meinem Bräutigam erzählen, dem Rechtsanwalt Rasch.

Und plötzlich interessiert sich Konsul Fredrik ehrlich für die Sache, dies hier war ja beinahe ebenso wichtig wie Jungfer Bommen, die sich totgetanzt hatte. Er zog die Augenbrauen hoch und fragte: Darf ich gratulieren? Wirklich?

Ja, ich glaube fast, sagte Jungfer Salvesen lächelnd.

Das ist nett. Das ist wirklich eine große Neuigkeit. Wann heiraten Sie?

Ich weiß nicht. Dieses Jahr noch vielleicht.

Wer soll dann dem Leutnant den Haushalt führen?

Eine andere. Ich gehe nicht, bevor er eine andere hat.

Werden Sie mit Ihrem Mann hier wohnen bleiben?

Ja, eine Zeitlang jedenfalls, Rasch hat ja hier so sehr viel zu tun. Aber später will er sich um eine Staatsstellung im Süden bewerben.

Dann kommen Sie vielleicht in meine Gegend, und dann dürfen Sie beide nicht vergessen, mich zu besuchen.

Schönen Dank für Ihre Liebenswürdigkeit, Konsul Coldevin.

Denn mir liegt viel daran, gebildete Menschen um mich zu haben, ich sammle gebildete Menschen. Nein, das war wahrhaft eine prächtige Neuigkeit! Darf ich Ihnen die Hand drücken, Jungfer Salvesen?

Ja – warten Sie ein wenig! antwortet die Jungfer und trocknet sich die Hände ab. Nun vielleicht!

Aber als der Konsul ihre Hand hält, wird er wieder der alte Witzbold, und er beginnt eine Rede: Wenn ich jetzt diese Hand zum letztenmal halte –

Haha.

Ich meine: während Sie noch unschuldig sind – ich meine: während wir beide noch unschuldig sind. Wenn ich jetzt diese Hand halte, die ich nicht bekam –

Lassen Sie jetzt los, Herr Konsul!

Die mir nicht beschert worden ist – haben Sie einen Schnaps drinnen oder sonst etwas Trinkbares, Jungfer?

Nein, wahrhaftig nicht, antwortet die Jungfer und sieht sich um. Aber lassen Sie mich jetzt los, damit ich in die Speisekammer gehen und etwas holen kann.

O nein, danke, dann lassen wir es lieber. Aber, Jungfer Salvesen, Sie sagen, ob ich nun gekommen sei, um wiederum ein Ende zu machen? Nein. Ich komme einzig und allein, um Ihnen die Form mitzuteilen. Denn jetzt habe ich eine Form gefunden. Aber dies müßte eigentlich gesungen werden, mit meiner ganzen Stimme, verdolmetscht: Im gleichen Augenblick, da Pastor Lassen den Segen des Himmels über Sie und Rechtsanwalt Rasch herableuchten läßt, können Sie mich mit einem Strick in der Hand finden, mit blauem Auge emporschauend zu einem Nagel –

Haha, nein, was Sie für unmögliche Einfälle haben!

Wissen Sie, was das bedeutet, was dann geschehen wird?

Da kommt Ihre Frau! sagt plötzlich die Jungfer.

Und Konsul Fredrik ließ ihre Hand los.

Er kannte seine Frau so gut, daß er ihr gleich entgegenging und ihr erklärte, Jungfer Salvesen sei mit Rechtsanwalt Rasch verlobt und er habe ihr nur gratuliert.

Mußt du deshalb unbedingt so lange ihre Hand halten?

Und Konsul Fredrik antwortete:

Ich wollte höflich sein, sie kommt ja jetzt in eine andere gesellschaftliche Stellung. Es kann ja möglich sein, daß sie mit der Zeit zu unserm Umgangskreise gehört.

 

Jung-Willatz ging mit schlechtem Gewissen umher, er hatte aufgehört, an Mariane zu schreiben. Wie das gekommen war? Ganz allmählich, denn er hatte so viel zu tun gehabt. Ja, und dann hatte er ja in seiner Verliebtheit und Not sich seiner Mutter anvertraut, und sie war darüber merkwürdig unruhig geworden und hatte nichts mehr von weiteren Briefen hören wollen. Als er einwandte, daß er Mariane bis in den Tod liebe, sagte die Mutter: Warte zehn Jahre, dann werden wir sehen. Jetzt mußt du erst etwas werden und deinem Vater Freude machen, weißt du!

Aber als er Mariane dann auf dem Landungsplatz und später auf dem Kirchhof sah, ließ es sich ja nicht anders einrichten, er mußte ihr die Hand geben; und sie schaute ihm gerade ins Gesicht und glitt an ihn heran und lehnte sich fast an seinen Leib und schaute zu ihm auf. Mariane war so gedankenlos zärtlich.

Sie trafen sich schließlich; Jung-Willatz mußte ganz notwendig hinunter auf die Landstraße gehen, und dort stand sie. Oberhalb der Flußbrücke war ein schönes, tiefes Weidengebüsch, dorthin eilten sie. Nun war doch Jung-Willatz schon in Reisekleidern, und sobald das Schiff kam, mußte er an Bord gehen; aber obwohl er so wenig Zeit hatte, brachte er nichts heraus. Oh, wo waren jetzt alle Worte in seinem Kopf und seinem Herzen geblieben! Auch Mariane war stumm. Jeder nahm sich einen Weidenzweig und zupfte daran herum.

Ich muß heute wieder abreisen, sagte er.

Ja.

Es ist nicht besonders weit, sagte er.

Felix soll auch abreisen, antwortete sie. Er soll nach Mexiko.

So?

Ja, er will nämlich nicht lernen. Und ich soll auch fort, nach Kristiania, sagte Mariane. Und bald will ich es, und bald will ich es nicht.

Nach Kristiania, das ist ja noch weniger weit als nach Berlin, davor braucht man sich doch nicht zu fürchten.

Kannst du mir nicht wieder schreiben? sagte sie.

Ja. Aber ich würde keine Zeit dazu haben, wenn ich etwas werden wolle, sagte Mutter.

Und keine Spur davon, daß Mariane sich jetzt etwa verletzt fühlte, nein, sie dachte nur an sich und war aufrichtig und bat ihn, immer sonntags, Sonntag abends zu schreiben.

Ja, nein, er könne es nicht.

Ich habe dir viele Briefe geschrieben, auch gestern und heute.

Sieh her, sagte sie und gab ihm ein paar Briefe. Bitte schön! sagte sie.

Und Willatz reichte dem Mädchen die Hand und dankte und verwahrte die Briefe in der Tasche und war stumm vor Glück und Verlegenheit.

Und wie es nun auch zuging – groß und süß war sie und hatte Indianerhaar den Nacken hinunter, und braun und rot war ihr Gesicht – nein, wie es nun auch zuging –, aber Mariane glitt geradewegs wieder an ihn heran, und er hielt sie umarmt und wußte wenig mehr von sich selbst. Wie sie dastanden und einander in den Nacken sahen, bekam er die Worte heraus: Laß mich dich küssen für die Briefe –, wenn du meinst, du könntest es mir erlauben.

Und weil eine kleine willige Bewegung durch sie ging, trafen sich ihre Lippen für so unendliche Zeit, und beide schlossen die Augen.

Aber hiernach wurde das Stelldichein kurz. Ja, denn sie konnten sich ja nicht länger ansehen, und sie sprachen nur zur Erde hinunter.

Ja, leb wohl, sagte er.

Leb wohl, sagte sie.

Als Willatz heimkam, führte Gottfred ihn in die Stube des Vaters. Der alte, gebeugte Vater war sehr feierlich, er sagte:

Ich habe auf dich gewartet.

Verzeihung, ich –

Schon verziehen. Hm. Du heißt Willatz Wilhelm Moritz von Platz Holmsen.

Ja? fragte der Sohn.

Das tust du. So heißt du. Hm. – Und Willatz für gewöhnlich.

Ja?

Du kannst für gewöhnlich Moritz heißen, wenn du selber es möchtest.

Nein, weshalb das?

Wenn du möchtest, sage ich.

Ja, aber das möchte ich nicht.

Wäre es nicht besser, in Deutschland Moritz zu heißen? Deine Mutter – wir sind es ihr schuldig.

Ich bin als Willatz eingeschrieben, wandte der Sohn ein.

Deine Mutter nannte dich Moritz.

Ich erinnere mich nicht, es jemals gehört zu haben.

Doch, als du klein warst.

Jetzt tat sie es niemals mehr.

Gut, so brauchen wir nicht weiter davon zu sprechen. Hm. – Entschuldige, daß dieses Mal niemand zu Mittag eingeladen war.

Ja, lieber –

Das konnten wir diesmal nicht, das schuldeten wir –

Aber denke, wenn du heute mitreisen könntest, Vater!

Hab keine Zeit, Kind. Übrigens bist du ja jetzt selbst ein erwachsener Mann. Führ dich gut, Willatz, und glückliche Reise!


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