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VI.
Der Abschied.

Julie überlegte, ob sie Geyersfels' Papiere behalten, oder ihm zurückgeben sollte. Sie wünschte um Alles in der Welt nicht, daß er sie verkennen möge, zugleich empfand sie einiges Mitleid mit ihm, er verdiente doch, daß sie ihm die Versicherung mit auf den Weg gab, daß sie nicht gering von ihm denke. Einen Boten an ihn zu senden, schien ihr nicht rathlich, in einem Oertchen wie Birkendorf wurde ja Alles und Jedes besprochen. Julie wußte nicht einmal, ob Wilfried, da bereits einige Tage verstrichen waren, seit sie das Schreiben erhalten hatte, noch im Orte war. Ihren Sohn zu fragen vermochte Julie nicht, und doch war sie überzeugt, daß Arthur von Wilfried wisse.

Ruhig und pünktlich wie immer besorgte sie ihre häuslichen Geschäfte, unterrichtete und liebkoste ihre Kinder und ihrem freundlichen Benehmen gegen ihren Gatten war eine besondre Weichheit zugesellt, welche Halldorf bemerkte, aber weder erwiederte noch besprach.

Julie trat öfters an das Fenster, sie gestand es sich aber selbst nicht warum. Eines Nachmittags, als Halldorf mit dem Geometer auf die Waldspitze gegangen war und Julie sich allein befand, schnitt sie die schönsten Blumen ihres kleinen Gartens ab, flocht sie zum Kranze und ging langsam in Gedanken verloren nach dem Grabe ihrer Mutter. Still und friedlich war es um sie her, friedlich sollte und mußte es auch in ihrem Innern werden.

Nicht lange hatte Julie an dieser heiligen Stätte verweilt, als rasche, elastische, ihrem Ohre noch immer wohlbekannte Tritte auf dem Kieswege, welcher den Friedhof in zwei Hälften theilte, hörbar wurden.

Sie blickte auf, Wilfried stand vor ihr.

Er grüßte sie in seiner graziösen Weise und sagte mit halbem Lächeln: Endlich, theure Julie! ich war jeden Tag hier, wie vor vierzehn Jahren, wo ich jeden Tag in der St. Petrikirche auf die Pensionärinnen harrte, bis ich den Strohhut mit den einfachen blaßgelben Schleifen und das kornblumenblaue Gewand sah. Sie haben vielleicht vergessen, was Sie damals trugen, Julie, aber ich nicht, ich sehe Sie noch immer vor mir.«

»Lassen Sie das, Herr Baron, ich will vollkommen wahr gegen Sie sein,« sprach Julie, »ich habe Alles gelesen, was Sie geschrieben haben, und diese Blätter bei mir, für den Fall daß ich Sie sehen sollte.«

»Sie wußten, daß ich Birkendorf nicht verlassen würde, bis ich Sie gesprochen hatte, Julie.«

»Ich konnte es annehmen, Herr Baron. Und so nehmen Sie denn Ihre Mittheilung nebst der Versicherung, daß ich fortan mit Achtung Ihrer gedenken werde,« sagte Julie mit Würde und reichte Wilfried die Papiere.

»Hören Sie mich an, Julie, ich bitte Sie, Sie sind es mir schuldig, meine tiefe Liebe zu Ihnen, die unwandelbare Treue, welche ich Ihnen vierzehn Jahre hindurch bewahrt habe, giebt mir ein Recht, mehr aber noch Ihr Gelübde, Sie mußten mir mehr glauben, als Denen, die Böses von mir sprachen, und wenn es hundertmal Ihre Brüder waren.«

»O Wilfried, ich glaubte Ihnen auch mehr, ich stritt für Sie, ich bat meine Eltern, Ihren Charakter zu prüfen, selbst mein Bruder schwieg gegenüber von solchem Vertrauen, wie das meine war, aber –«

»Fahren Sie fort, Julie!«

»Ich will es; erzwungener Eid ist Gott leid, und da ich nicht so gering von Ihnen denke, daß ich glauben kann, Sie könnten Ihren Vater verläumden, so sage ich Ihnen: Ihr Vater hatte von Ihrer Neigung zu mir gehört, von Ihrer Absicht sich mit mir zu verbinden, er kam in das ehrenwerthe friedliche Haus meiner Eltern und sagte kalt und fest, nachdem er sich genannt hatte, daß er niemals in Ihre Ehe mit einem bürgerlichen Mädchen willigen, daß er sie mit seinem Fluche belasten würde. Er zwang mich, Ihm zu schwören, nicht davon zu Ihnen zu sprechen, und jetzt wissen sie Alles.«

»Ich verstehe, ein junges Mädchen, erzogen wie Sie, die Tochter eines frommen Pfarrers konnte man wohl auf diese Weise regieren. Ich begreife auch, daß Sie sich bald nachher den Wünschen Ihrer Eltern fügten und sich mit Herrn Halldorf vermählten.«

»Mein Vater bat mich auf seinem Sterbebett darum und Halldorf ist ein braver Mann!«

»Gewiß, allein einfache Rechtschaffenheit giebt noch nicht das Recht auf den Besitz eines Weibes, wie Sie. Ich kam hierher mit der leisen Hoffnung, Sie verändert zu finden, mich vielleicht durch ihren Anblick von der quälenden Sehnsucht nach Ihnen zu befreien, aber ich fand Sie wenig verändert, nur schöner geworden. Die Knospe, die ich verließ, zur Rose erblüht. Noch immer ist über Ihr süßes Antlitz der sanfte Friede ausgegossen, welcher für mich einen immer neuen Reiz hat, noch immer ist mir in Ihrer Nähe zu Muthe, als lebte ich im Lande der Seeligen. Halldorf ist gewiß ein rechtlicher Mann, aber ich habe ihn früher genug gekannt, um zu wissen, daß er Ihr Wesen nicht zu würdigen im Stande ist; er weiß nicht einmal, wie schön sie sind. Er hat Sie lieb in seiner Weise und würde sich an der Seite der ersten besten guten Frau eben so glücklich fühlen, als in Ihrer sonnigen Nähe. Ich jedoch habe mit Ihnen das ganze Glück meines Lebens entschwinden sehen, aber da ich nichts verloren gebe, als die Todten, so will ich mir auch das Glück wieder erobern. Julie, läugnen hilft Ihnen Nichts. Mein Herz sagt mir zu deutlich, daß Sie mich noch lieben, daß Sie nie aufgehört haben mich zu lieben. Nach den Gesetzen dieses Landes ist eine friedliche Scheidung möglich und schnell bewerkstelligt. Mein Vater ist vor Jahresfrist gestorben und seine ungerechten, thörichten Worte hat er, lebt sein Geist fort, längst vergessen. Schläft er aber tief und ohne Träume, so kann ihn mein Thun nicht mehr ärgern. Meines Vaters Wittwe lebt in Wien und wird sich bald wieder vermählen. Die schönen Güter der Geyersfels sind jetzt mein, ich will Sie dahin führen. Ihr edles Herz wird dort Gelegenheit finden, unendlich viel Gutes zu stiften. Ihre Kinder sollen die meinen sein, ich werde, denn ich kann es, ihnen andre Erziehung und ein schönres Loos geben, als sie hier in dem armen Dörfchen haben. Halldorf's Gehalt reicht kaum hin, daß der talentvolle, hochstrebende Arthur studieren kann, Sie selbst Julie sollen –«

Da erhob sich Julie von dem Rasenhügel, auf dem sie gesessen hatte. Ihr klassisches Gesicht war blaß wie Marmor, aber ihre Augen blitzten, sie erhob die Hand zum Himmel und rief: »Hebe Dich weg, Versucher, bei dem Grabe meiner Mutter schwöre ich, daß ich Sie niemals wiedersehen will. Nie werde ich den Mann verlassen, der mich, wenn auch in andrer Weise, doch treu und innig liebt, nie dem besten Vater die Kinder rauben oder gehn und die Kinder verlassen!«

»Julie bedenken Sie, was Sie thun, lassen Sie mich mit Halldorf sprechen. Sie kennen ihn nicht. Sie haben keinen Begriff von Naturen seiner Art, wenn er Sie nun leichter aufgäbe, als Sie glauben?«

»Sie kennen ihn nicht, Herr Baron, Halldorf würde Ihnen – ich weiß es nicht, aber wagen Sie es nicht, Ihm mit solchen Vorschlägen zu nahen. Mögen Sie thun was Sie wollen, niemals werde ich mich von Halldorf scheiden, es schiede uns denn der Tod, ich habe es freiwillig geschworen.«

Sie erhob sich und ging mit stolzer Haltung ihrer Wohnung zu.

Wilfried sah ihr lange nach, als sie seinen Augen entschwunden war, seufzte er tief.

»Verloren, auf immer,« murmelte er, »aber noch lebe ich, noch lebt Julie, nur die Todten sind verloren, noch kann ich sie gewinnen.« Er nahm die Papiere von dem Grabe auf und ging in Gedanken vertieft durch die obere Thüre des Friedhofs.


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