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III.
Sidoniens Leben.

Am andern Nachmittage, als Julie, wie oft der Fall war, allein in ihrem Zimmer saß, mit einer Nadelarbeit beschäftigt, trat Anna in das Gemach und brachte ihr einige Briefe.

»Der Bote hat sie mir gegeben, sie kosten Nichts,« sagte sie.

Zwei waren an ihren Mann, Julie legte sie auf Halldorf's Schreibtisch, zwei andre an sie adressirt.

Den kleinern mit den Schriftzügen ihres Bruders öffnete sie zuerst und las:

»Seit einigen Tagen, meine geliebte Schwester, trachte ich darnach, mir Urlaub zu verschaffen, um Dich und Deine liebe Familie zu besuchen, aber leider ist mein College erkrankt und ich muß deßhalb hier bleiben. Arthur wird hoffentlich den Tag bevor die Ferien zu Ende sind, hier eintreffen; seine Fähigkeiten sind bedeutend, aber es ist ein fremder Zug in ihm, den er weder von Dir, noch von seinem Vater hat. Beobachte ihn, er hat viel Hang zu Abenteuern und seine Lecture, sein Umgang müssen sorgfältig überwacht werden.

Durch Zufall erfuhr ich, daß Geyersfels wieder zurückgekehrt ist und auf Besuch bei seiner unglücklichen Schwester.

Es liegen beinahe vierzehn Jahre zwischen dem Tage wo ich ihn zum letzten Male sah und heute; die Rache, welche er mir in seiner Aufregung gelobte, fürchte ich nicht. Er war damals noch sehr jung, und in vierzehn Jahren verlöschen in den Herzen der meisten Menschen des Hasses und der Liebe Flammen, wenn Haß und Liebe nicht genährt worden sind. Dennoch könnte Dein Anblick die frühere Neigung zu Dir, welche wie ich glaube, tief und leidenschaftlich war, wieder erwecken, das friedliche Leben in der Einsamkeit hat Dir die jugendliche Schönheit erhalten. Du bist anziehender als damals, wo Du fast noch ein Kind warst. Vermeide es, dem Baron zu begegnen, ich hoffe, Dein Bild ist in seiner Seele verblichen, es darf nicht wieder aufgefrischt werden. Hüte Dich!

Sieh in diesen Worten den Ausdruck der brüderlichsten, aufrichtigen Liebe

Deines
Ernst.

Vernichte dieses Schreiben.«

 

Julie las den Brief zweimal, dann schob sie ihn in den Ofen und zündete ihn an.

Auch sie hatte, sobald sie von Geyersfels' Anwesenheit in Birkendorf gehört, das Haus nicht verlassen wollen, auch sie fürchtete ihm zu begegnen, obwohl sie sich keiner Schuld gegen ihn bewußt war, und nun hatte er sie doch gesehen, sogar gesprochen, hatte ihr die Erlaubniß abgelockt, ihr schreiben zu dürfen.

Ihr Herz schlug heftig, sie bereute, daß sie ein Wort mit ihm gewechselt hatte.

»Aber er will ja in wenig Tagen das Dorf verlassen,« sagte sie sich endlich zum Troste, »was kann er auch mir thun? Halldorf kennt mich, dreizehn Jahre bin ich sein treues, ihm innig ergebenes Weib, der fremde Mann vermag nicht meinen häuslichen Frieden zu stören. Daß er sich vor mir in Bezug auf seine Schwester rechtfertigen will, ist ein Beweis, daß er mich achtet und nicht so böse und gewissenlos ist, als ihn die Menschen schilderten.«

Nach diesem Selbstgespräche nahm sie den andern Brief und ging damit in ihr kleines Cabinet, wo sie sich ihrer Neigung zur Einsamkeit überließ, denn dies zierlich ausgeschmückte Geheimzimmer durften selbst Halldorf und die Kinder nicht betreten.

Mit einer Mischung von Bangen und Neugier öffnete Julie das Couvert. Mehrere engbeschriebene Blättchen fielen heraus, sie las:

»Mein Vater, der Baron von Geyersfels, gehörte zu den seltenen Menschen, über welche das Glück ihr Füllhorn ausschüttet. Von seinen Eltern erbte er einen tadellosen Stammbaum, welcher ihn fähig machte, ohne sich durch eigne Arbeit eine Stellung in der Welt zu verdienen, in den höchsten Kreisen zu erscheinen. Seine Eltern starben, ehe er entwickelt genug war, um ihren Verlust schmerzlich empfinden zu können, und hinterließen ihm große, schuldenfreie Güter, welche sein gewissenhafter Vormund vortrefflich verwaltete. In dessen Hause verlebte er eine glückliche Kinderzeit und blühte zum schönen, geistvollen Jüngling empor. Mit einem liebenswürdigen jungen Edelmann brachte er einige Jahre, das Leben genießend, auf Reisen zu, kehrte heim, erhielt am Hofe einige Ehrenstellen und vermählte sich aus aufrichtiger Zuneigung mit dem schönsten Hoffräulein der Königin, einer Gräfin Werdenrode.

Eine Tochter, schön wie die Mutter, erhöhte das Glück des Paares, zwei Jahre später wurde ich geboren.

Meine Eltern lebten im Sommer auf ihren Gütern, im Winter in der Residenz und was sie wünschten, sahen sie erfüllt.

Da trat der Tod in unser Haus, am zehnten Geburtstage meiner Schwester erkrankte die Mutter plötzlich, acht Tage später lag sie schon in der Familiengruft.

Meine kindlichen Thränen mischten sich mit den Thränen meiner Schwester Sidonie. So jung wir waren, begriffen wir doch, daß wir die gütige Mutter, welche oft stundenlang mit uns gespielt, uns so viel Freude bereitet hatte, nie wieder sehen sollten.

Die Erscheinung der vielen in Schwarz gekleideten Menschen, die unser Schloß anfüllten, die düstern Klänge der Trauermusik ängsteten und peinigten uns arme Kinder furchtbar.

Mein Vater, der bisher keine Vorstellung von dem gehabt hatte, was Schmerz ist, war in Verzweiflung. In seinem Hause konnte er es nicht mehr aushalten, überall vermißte er meine Mutter, Freunde riethen ihm, auf Reisen zu gehen und er befolgte diesen Rath.

Meine Schwester übergab er der Obhut einer unverheiratheten Tante, ohne im Entferntesten zu untersuchen, ob sie geeignet sei, ein schönes, lebhaftes Mädchen zu erziehn; mich und seinen Lieblingsdiener nahm er mit sich, ebenfalls nicht überlegend, in wie fern ich, ein achtjähriger Knabe, durch Reisen gewinnen oder verlieren könne.

Zuerst ging mein Vater nach Italien und blieb, nachdem er sich in mehreren Hauptstädten nur kurze Zeit aufgehalten hatte, in Rom. Ich erhielt, da mein Vater das Geld nicht zu schonen brauchte, durch den Diener Alles, was ich für meine Person bedurfte, reichlich, nur – keinen Unterricht. Lesen, Schreiben, etwas Rechnen hatte ich daheim gelernt, in Italien lernte ich spielend die Landessprache, ohne mein Deutsch zu vergessen. Ein deutscher Maler, den ich sehr gern hatte, lieh mir Bücher und erlaubte, daß ich viel in seinem Atelier war, wo ich ihm Manches absah, auch brachte er meinen Vater dahin, endlich einen Hofmeister für mich anzunehmen, einen Italiäner, welcher für sehr gelehrt galt. Er ist vielleicht ein sehr kenntnißreicher Mann gewesen; mich ließ er Nichts davon merken, wenn ich bei ihm war, las er, ohne sich um mich zu kümmern. Alles was er für mich that, war, mir etwas Latein beizubringen. Meinem Vater sagte er von Zeit zu Zeit, daß ich ein Genie sei, außerordentlich viel Kenntnisse besäße und mein Vater erwiederte regelmäßig darauf: ›das ist gut, wenn es nur seine Mutter erlebt hätte!‹

Die Liebe meines Vaters zu meiner Mutter muß eine eigenartige gewesen sein, er ward nicht müde ihren Verlust zu beklagen, aber er kümmerte sich dabei fast gar nicht um das wesentliche Schicksal ihrer Kinder.

Von meiner Tante ließ er sich vierteljährig mittheilen: daß Sidonie wohl sei und wachse, und sandte zu solchen Fristen tausend Thaler für ihre Bedürfnisse.

Gesellschaft, namentlich die von Frauen haßte mein Vater, er saß entweder allein in seinem Zimmer, las und schrieb, oder schweifte, ebenfalls allein, in Rom und dessen Umgebungen umher. Alte Freunde meines Vaters kamen nach Rom, als wir etwa drei Jahre dort gelebt hatten, vielleicht wollte er diesen ausweichen, – genug als sie Miene machten, sich ihm zu nähern, verließ er die Stadt und ließ sich in Florenz nieder, von da gingen wir nach Venedig, wo es ihm nicht lange gefiel. Mein sogenannter Hofmeister war in Rom geblieben.

Ich weiß nicht was meinen Vater bewog, von Venedig nach England zu reisen, genug, er that es, ließ sich in einer der ruhigsten Straßen im Westend von London nieder und äußerte: ›der Gedanke, daß ihn hier Niemand kenne und aufsuchen werde, mache ihm London lieb‹, auch gefiel es ihm, daß er sein Haus für sich allein und die Thüre stets zu haben konnte.

Hier lernte ich Englisch und Geschichte, ich hatte mich daran gewöhnt, die Augen offen zu haben und machte die Bekanntschaft eines englischen Knaben von meinem Alter, der mich mit zu seinen Eltern nahm, was leicht geschehen konnte, da sich mein Vater immer noch nicht um mein eigentliches Wesen kümmerte.

Hier lernte ich den Zauber des Familienlebens kennen, denn obgleich nach englischen Verhältnissen kaum wohlhabend zu nennen, war doch die Familie Buttler durch die herzliche Liebe, welche die Mitglieder untereinander verband, glücklich zu nennen. Jeder Mann in der Familie, der Vater und die beiden ältesten Söhne arbeiteten, die Frau und die Tochter sparten und suchten zu erhalten, auch waren beide sehr geschickte Zeichnerinnen und verstanden sich auf geschmackvolle Nadelarbeiten. Ihre Toiletten waren das Werk ihrer fleißigen Hände.

Damals, Julie, damals dämmerte zuerst der Wunsch in mir, dereinst ohne große Reichthümer in beglückter Häuslichkeit an der Seite einer geliebten Frau mich meines Daseins zu freuen.

An meine Schwester hatte ich geschrieben; ich erhielt eine liebevolle Antwort von ihr. Sie hatte mich nicht vergessen und theilte mir in einem langen Briefe alle ihre Erlebnisse mit, die eigentlich mehr in Träumereien als in Wirklichkeiten bestanden.

Zu jener Zeit wußte ich noch nicht, was ich später erfuhr, nehmlich daß die gute Tante eine häßliche alte Jungfer war, die sehr viel Herzensgüte, eben soviel Phantasie, gar keine Lebenserfahrung und Menschenkenntniß, und nur wenig Verstand besaß.

Als Kind kränklich, hatte eine zärtliche Mutter sie verzogen, sie war niemals aus dem Schlößchen gekommen, das sie von ihren Eltern ererbt hatte, denn sie war sich ihrer Häßlichkeit bewußt, aber sie fühlte sich nicht unglücklich, denn sie setzte sich nicht Zurücksetzungen aus; die Bewohner ihres heimathlichen Dörfchens liebten sie, ihre alte Dienerin und deren Bruder wären für die Herrin durch das Feuer gegangen.

Das Fräulein selbst kannte kein anderes Vergnügen, als in ihren jüngeren Jahren Märchen und Sagen, später Romane zu lesen, aber möglichst altmodische, noch aus der Zeit, wo in Romanen und Erzählungen das Leben und die Menschen anders geschildert wurden als sie in Wahrheit sind, und wo von Liebe, Opfern, Entsagung die Rede ist, welche selten oder nie vorkommen.

Sie sah Alles anders als die Wirklichkeit es bietet, und natürlich war sie nicht im Stande, meine Schwester Sidonie für das Leben zu erziehn. Die seltene Schönheit des Kindes entzückte sie, was konnte sie, ihrem Naturell nach, anders thun, als die Nichte verzärteln? Sie lehrte sie Französisch sprechen, ein wenig in bunter Seide sticken, in der Art, wie es die Ritterfrauen auch gethan hatten. Der Schullehrer des Dorfes spielte mit Fertigkeit die Harfe und da Sidonie eine liebliche Stimme besaß und musikalische Talente, so mußte sie natürlich auf Wunsch der Tante die Behandlung des romantischen Instrumentes erlernen, auch machte es Sidonien selbst Vergnügen, als sie erwachsen war, im Garten unter alten Bäumen zu sitzen und Harfe zu spielen.

Davon schrieb sie mir in ihrem langen Briefe, sie erzählte auch, daß sie jetzt oft Besuch hätten von dem Prinzen Waldemar, welcher in der Nähe ein Jagdschloß habe und ihr zufällig im Walde begegnet sei, daß auch zuweilen der Graf Ellernburg mit komme, und die Tante herrlich zu unterhalten wisse, daß Prinz Waldemar schön und geistvoll und erst vierundzwanzig Jahr alt sei, ja daß er geschworen habe, sich nur mit der Dame zu vermählen, die er liebe, gleichviel ob sie eine Prinzessin sei oder nicht.

Ich war ein Knabe von vierzehn Jahren, dennoch hatte ich mehr von der Welt gesehn, als andere Kinder meines Alters, ich hatte viel gelesen und gedacht, natürlich wußte ich, daß ein Erzherzog von Oesterreich die schöne Welserin zu seinem ehelichen Gemahl gemacht hatte, warum sollte ich nicht glauben, daß der zweite Prinz von einem Landesherrn sich mit einer schönen Baronesse von Geyersfels vermählen könne.

Mein Vater war ein vollständiger Misanthrop geworden, er sprach fast gar nicht mit mir und so hatte ich nicht den Muth, ihm Sidoniens Brief zu zeigen. Zu dieser Zeit begann er zu kränkeln, der treue Diener rief den Arzt und dieser rieth entschieden Luftveränderung.

Mein Vater war seines unbehaglichen Zustandes müde, vielleicht sehnte er sich auch, ohne es sich selbst bewußt zu sein, nach der Heimath. Wir gingen nach Deutschland zurück und hier änderte sich mit einem Male der Seelenzustand meines Vaters in einer Weise, welche wol Jeden, der ihn in den letzten Jahren gesehen hatte, auf das Höchste überraschen mußte.

Ich habe später in reiferen Jahren meinen Vater vollständig begreifen gelernt. Er gehörte zu den seltenen, poetischen Naturen, welche nur glücklich und belebt sind, wenn eine Leidenschaft für ein Weib sie durchglüht. Vergessen muß man auch nicht, daß mein Vater in seinem Leben niemals ernsthaft gearbeitet hatte, sein Reichthum, welcher ihm jeden Luxus gestattete, hatte zur Verfeinerung seines Geschmackes beigetragen, und da er völlig unabhängig war, hatte er Zeit sich in sich selbst zu versenken, und seinen Empfindungen und Fantasien zu leben. Er besaß nicht das beste Heilmittel gegen Seelenqualen: die Gewohnheit zu arbeiten.

Jahre lang hatte mein Vater seine Gattin betrauert, alle Frauen geflohen oder mit Gleichgültigkeit betrachtet. In Wien, wohin wir unsern Wanderstab jetzt gesetzt hatten, empfand der gereifte Mann, der sein dreiundvierzigstes Jahr bereits angetreten hatte, eine glühende Leidenschaft für ein junges, interessantes Mädchen. Ich glaube kaum, daß er meine Mutter, welche doch seine erste Liebe gewesen war, so heftig geliebt hatte.

Der reiche, angesehne Baron von Geyersfels, welcher noch eine stattliche Erscheinung war, fand in der Familie der armen Gräfin die zuvorkommendste Aufnahme, die reizende Flora gab ihm gern ihre Hand, denn er befreite sie aus drückenden Verhältnissen, vielleicht auch hatte sie wirkliche Zuneigung für meinen Vater; ich weiß es nicht, denn nachdem er mir seine Verlobung angezeigt hatte, wurde ich in die Heimath gesandt, in das Cadetenhaus gesteckt und sah meinen Vater Jahrelang nicht. Als ich damals gerührt von ihm Abschied nehmen wollte, fand ich ihn eben beschäftigt, Schmuck für seine Braut auszusuchen, er reichte mir kühl die Hand und sagte: ›reise glücklich, schreibe zuweilen.‹

Meine Schwester erfuhr erst durch mich, daß sie eine Stiefmutter erhalten hatte; das Organ der Liebe zu Kindern schien meinem Vater ganz zu fehlen. Im Cadetenhause mißfiel es mir im höchsten Grade, ich war zu sehr an Freiheit gewöhnt, um den Zwang ertragen zu können, der, wie es mir schien, ganz unnöthiger Weise, den Zöglingen der Anstalt auferlegt wurde. Ein Jahr hielt ich es aus, dann schrieb ich meinem Vater, daß ich nicht bleiben wolle, und bat um seine Befehle, um seinen väterlichen Rath für mich.

Er schrieb mir kurz, ich möchte thun, was ich wolle, wenn ich nicht Offizier zu werden, Lust habe, wäre das Beste für mich, zu studieren. Die Zinsen meines mütterlichen Vermögens, zweitausend Thaler, könne ich halbjährig erheben.

Eine seltsame Art von einem Vater, dem sechzehnjährigen Sohne gegenüber. Ueberhaupt war mein Vater ein Character, wie ich im Leben keinem zweiten begegnet bin. Er schien alle seine Liebesfähigkeit nur einem Wesen, nähmlich einer Frau zuwenden zu können; als Knabe hatte er seine Pflegemutter geliebt und später ihren Tod tief und lange betrauert. Seine Leidenschaft für meine lebende, sein Schmerz um meine todte Mutter beherrschten ihn dergestalt, daß er wenig Neigung für meine Schwester und mich empfand, und jetzt seitdem eine neue Liebe zu Gräfin Flora in seiner Seele lebte, gedachte er seiner ersten Gemahlin kaum.

Ich reiste zu meiner Tante, um meine Schwester zu sehn, an die ich mich oft mit Liebe erinnert hatte. Sie war die erste Person, welche mir im Garten, der das Schlößchen umgab, begegnete. Sie kannte mich sogleich, obwohl ich bedeutend größer geworden war, ich war erstaunt, vor einer jungen Dame zu stehen, welche schön war, wie eine Fee. Noch habe ich ihre Erscheinung vor meinem geistigen Auge. Sie trug ein weißes Kleid von dünnem Stoff, durchaus nicht nach damaliger Mode, aber viel kleidsamer. Ein dunkelrother Sammetgürtel mit goldenem Schloß umgab die feine Taille. Blondes Haar in vollen natürlichen Locken, im Sonnenstrahl wie Gold schimmernd fiel bis über den Gürtel hinab von dem wohlgeformten Haupte und umfloß das zarte, weiß und rosige Antlitz, aus dem prachtvolle braune Augen leuchteten, wie ein goldener Schleier. Sie umarmte mich zärtlich, dann faßte sie mich bei der Hand und führte mich zur Tante, welche mich sehr gütig empfing und mit Fragen überschüttete.

Einige Tage blieb ich bei meinen Verwandten, dann aber fand ich das Leben in dem Schlößchen zu einförmig. Ich mußte, so jung ich war, doch zuweilen lachen, wenn die Tante ihre veralteten Ideen auskramte und von Vorgängen, die sie sich träumte, redete, als sei das Alles geschehn oder doch zu erwarten.

Sidonie trug einen schmalen Goldreif an der linken Hand.

›Der Ring sieht aus wie ein Verlobungs- oder Ehering,‹ sagte ich.

›Er ist auch mein Verlobungsring,‹ erwiederte Sidonie.

›Und das erfahr ich erst jetzt? Wie nennt sich mein künftiger Schwager?‹

›Darüber darf ich noch nicht sprechen, allein Du sollst der Erste sein, der meines Gatten Namen erfährt, sobald ich davon reden darf,‹ antwortete sie.

›Dein Verschweigen sagt mir genug, Sidonie, es ist Prinz Waldemar, dem Du Dich verlobt hast. Was sagt Deines Geliebten Familie? So jung ich bin, habe ich doch oft gehört, daß so unglückliche Verbindungen selten zum Glücke führen.‹

Sie lächelte, ›Du kennst Waldemar nicht, er ist ja nicht der älteste Prinz, er weiß was er thut und ich kann fest auf ihn bauen.‹

›Was sagt die Tante?‹

›Sie ist sehr glücklich über mein Loos.‹

Ich war zu jung, um einzusehn, daß Sidonie ohne Weltkenntniß handelte, sonst würde ich wohl anders aufgetreten sein, denn energisch war ich schon damals; auch besaß ich eine bedeutende Dosis von dem Stolze der Geyersfels. Mein Großvater hatte noch zu der freien Reichsritterschaft gehört, die Tante erklärte mir, daß die Töchter aus solchen Geschlechtern, gleich den Töchtern der spanischen Granden, jedem Prinzen aus regierendem Hause ebenbürtig seien, und ich Unerfahrner glaubte ihr. –

Mein Abschied von der Schwester war herzlich. Ich bezog die Universität zu Bonn, ging später nach dem schönen Heidelberg, studirte und trieb Unsinn, wie alle Studenten. Von meinem Vater hörte ich selten, er lebte mit seiner Gemahlin in Wien, Sidonie schrieb mir nur einmal, die Tante war gestorben, sie selbst lebte in Italien und zwar als Gemahlin des Prinzen Waldemar, doch fügte sie hinzu, daß ihre Ehe vor der Hand noch ein Geheimniß bleiben müsse und beschwor mich, wolle ich nicht namenloses Unglück über sie bringen, von ihren Verhältnissen zu schweigen. Sie lebte abwechselnd in Rom und Florenz unter dem Namen Gräfin Ellernburg und galt für eine Verwandte des Grafen von Ellernburg, welcher den Prinzen Waldemar begleitete. Der Prinz sollte sich, weil er für leidend galt oder gelten wollte, einige Jahre in Italien aufhalten; sie sei, so schloß ihr Schreiben, sehr glücklich, ihr Gemahl bete sie an und ich habe keinen Grund, um ihre Zukunft besorgt zu sein. Mit dem Vater stand sie in gar keinem Verkehr, er hatte ihr, als sie achtzehn Jahre alt war, ihr mütterliches Vermögen auszahlen lassen, noch bei Lebzeiten der Tante und wußte nur, daß sie mit der Gemahlin des Grafen Ellernburg nach Italien gegangen sei. Die junge Stiefmutter schien die Gegenwart der erwachsenen Tochter nicht gewünscht zu haben.

Obgleich sich mein Vater in den letzten Jahren fast gar nicht um uns bekümmert hatte, bewahrte ich doch das Andenken an jene Zeit, wo ich seine väterliche Zärtlichkeit genossen hatte. So lange meine Mutter lebte, war ich sein Liebling, denn damals fühlte er sich glücklich; bei dem ersten Unglück aber, das sein Herz trübte, hatte er offenbar die Fähigkeit verloren, irgend eine Seele zu lieben. Für ihn war Jahre lang alles nächtlich, qualvoll, er konnte sich an Nichts mehr freuen, und als er wieder liebte und lebte, hatte er keine Liebe mehr für seine, aus seinem Herzen verstoßenen Kinder. Ich litt mehr als vielleicht mancher Andre in ähnlichen Verhältnissen gelitten haben würde, denn ich besaß ja viele Güter des Lebens, Gesundheit, glänzenden Namen, Reichthum, ich war unter meinen Comilitonen beliebt, – aber, Julie, ich habe ein liebebedürftiges Gemüth, ich bin dankbar für Liebe, und ich vermisse sie schmerzlich, denn auch meine Schwester hatte nur eine blasse Neigung für mich, ihr Herz gehörte ihrem Gemahl. Um die Leere meines Herzens auszufüllen, stürzte ich mich in einen Strudel von Zerstreuungen, ich spielte, ich hatte einige Duelle, es war ein Glück, daß ich Keinen getödtet hatte, ich trieb Unsinn, aber niemals etwas Schlechtes, Gemeines.

Einmal, um die Weihnachtszeit, als alle meine Bekannten, welche noch Eltern hatten, in die Heimath reisten, überfiel mich namenlose Sehnsucht nach dem alten Schlosse, wo ich mit meiner Mutter gelebt hatte. Ich vermuthete meinen Vater mitten im Winter nicht auf dem Lande, zumal mit einer so jungen Frau wie die seinige, ich wollte mein heimathliches Dorf sehn und reiste hin.

Mein Vater war anwesend, auch die Baronin. Er empfing mich gütig, sah aber merklich gealtert aus, sie war artig, ja liebenswürdig gegen mich, sie blühte wie der Frühling.

Mein Vater fragte, wie lange ich noch studieren würde; ob ich in Staatsdienste treten wolle; aber ich merkte, seine Seele war nicht bei diesen Fragen. Offenbar war er nicht glücklich.

Als ich mit Johanna, der ehemaligen Dienerin meiner guten Mutter, darüber sprach, sagte sie geheimnißvoll, ›der Herr Baron sind vierundzwanzig Jähre älter als die junge gnädige Frau, das macht ihn eifersüchtig, und gewiß hat er keinen Grund.‹

Mein Vater dauerte mich. Gefallen konnte es mir nicht daheim, ich blieb auch nicht lange und kehrte auf die Universität zurück. Das Studentenleben gefiel mir, ich besuchte noch eine Universität und blieb mehrere Jahre da.

Das Leben meiner Schwester hatte in der letzten Zeit sich bedeutend geändert, doch erfuhr ich von ihr selbst Nichts, nur durch Zeitungen. Ganz plötzlich war der Thronerbe, welcher nur eine Tochter hinterlassen hatte, gestorben und Prinz Waldemar war aus Italien zurückgerufen worden.

Er hatte, so ließen die Journale errathen, eine Verbindung mit einer Prinzessin eines Kaiserhauses ausgeschlagen. Graf Ellernburg war nicht mehr bei dem Prinzen, er lebte auf seinen Gütern. Ich schrieb an meine Schwester und adressirte den Brief an Graf Ellernburg. Ich erhielt keine Antwort, ich schrieb nochmals und als auch mein zweites Schreiben ohne Erwiederung blieb, reiste ich zu Ellernburg, nach meiner Schwester zu fragen. Graf Ellernburg empfing mich sehr artig; auf meine Frage nach meiner Schwester entgegnete er, daß ein Eid ihn hindere, mir ihren Aufenthalt zu entdecken; doch solle ich fest glauben, daß sie glücklich sei, ich würde durch Nachforschungen meiner Schwester nur schaden.

Ich sagte ihm, daß ich von ihrer Vermählung mit dem Prinzen Waldemar wisse.

›Dann schweigen Sie wie das Grab! Des Prinzen Stellung hat sich seit dem Tode seines Bruders wesentlich geändert, das wissen Sie selbst. Daß der hohe Herr Ihrer Frau Schwester treu ist, hat er bewiesen, indem er kürzlich sich entschieden weigerte, sich zu vermählen. Er will zu Gunsten seines Vetters auf alle Ansprüche, die er an den Thron hat, verzichten, aber der rechte Zeitpunkt dazu ist noch nicht gekommen.‹

Der Graf blieb artig, aber stumm und ich verließ ihn, fest entschlossen, mich nun direct bei dem Prinzen nach meiner Schwester zu erkundigen.

Auf meiner Reise nach der Residenz kam ich in die Nähe von Birkendorf und hörte von einem Herrn erzählen, daß Graf Ellernburg daselbst ein großes Gebäude besitze, was kürzlich vom Tapezier aus der Stadt A... sehr elegant, ja prächtig eingerichtet worden sei; man sage, der Graf wolle es in Zukunft bewohnen, um ganz fern von der Residenz über der Grenze zu sein; sie wissen vielleicht, Julie, daß damals die obere Hälfte von Birkendorf zum Fürstenthume H. gehörte, und erst später an Prinz Waldemar's Vater abgetreten ward.

Unwillkürlich dachte ich an meine Schwester, sollte sie vielleicht in diese abgelegene Gegend in das Haus über der Grenze verbannt werden? Ich stieg auf der nächsten Station aus und ging die zwei Stunden nach Birkendorf zu Fuße. Meine Ahnung hatte mich nicht betrogen, hinter dem Hause, im Garten wandelte Sidonie auf und ab, eine Zeitlang beobachtete ich sie, ohne daß sie mich bemerkte. Sie war noch eben so schön, vielleicht noch schöner als früher, aber sie sah bleich und unglücklich aus.

Ich trat hinter den Bäumen hervor und rief sie beim Namen. Sie stieß einen Schrei aus und verhüllte ihr Gesicht mit den Händen.«

So weit hatte Julie gelesen, die Stimme ihres Gatten, welcher laut und heftig im Nebenzimmer sprach, störte sie in ihrer Lectüre. Sie warf die Papiere in ein Schubfach, schloß es zu und trat aus ihrem Gemache.


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