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II.
Der Friedhof.

Das Forsthaus von Birkendorf liegt ungefähr einen Büchsenschuß entfernt von dem Dorfe, das sich wie ein langes Band über eine Stunde lang an einem Flüßchen hinzieht. Es hat nur etwa zweihundert Häuser und Häuschen und ist ein Weberdorf; – zwischen jedem Gebäude befindet sich ein Obst- oder Gemüsegarten, manchmal auch ein Kartoffelacker, am andern Ende, entgegengesetzt von dem Forsthause, steht das große verfallne Haus, das Arthur besucht hatte. Der Wald, ziemlich groß und an Wild reich, zog sich hinter dem Dorfe vom Forsthause bis zu dem großen Gebäude, und bildete eine grüne starke Schutzwehr gegen den Wind, der sonst allzuscharf von den Bergen herab auf das Dörfchen geweht haben würde.

Das einsame große Haus gehörte dem Grafen Ellernburg, der es wohl seit dreißig Jahren nicht mehr besucht hatte, er war jetzt ein Mann in vorgerückten Jahren und lebte am Hofe in hoher Gunst.

Die Kirche des Oertchens und das Pfarrhaus standen unweit des Forsthauses, der Friedhof, sehr gut gepflegt in Folge einer Stiftung, welche vor fünfzig Jahren eine Gräfin Ellernburg gemacht hatte, war dem Forsthause noch näher. Alte große Linden beschatteten die Gräber, die alle mit Epheu und Wintergrün geziert waren. Es war in den letzten Stunden des Nachmittags, als sich leise die Friedhofthüre öffnete; Julie, Arthur's Mutter trat ein; langsam durchwandelte sie den stillen, großen Garten und stand am Ende desselben vor einem Grabe still, das schon etwas eingesunken war. Sie legte einen Kranz von späten Rosen auf dasselbe und flüsterte: »gute, gute Mutter!«

Plötzlich fühlte sie sich fest am Arme gefaßt, sie stieß einen Schrei aus und wandte sich um, Wilfried stand vor ihr.

»Ruhig, Julie,« sagte er und seine Augen funkelten, »ich habe keine Waffen bei mir, Ihr Leben ist ungefährdet, ich will Nichts, als daß Sie mich ruhig anhören.«

»Sie haben mir nichts zu sagen, Herr Baron, und ich darf Sie nicht anhören,« erwiederte Julie und wollte sich von ihm losmachen.

»Sie sollen und werden mich anhören, Julie,« sagte er und hielt ihre Hand fest.

»Warum verfolgen Sie mich, weshalb stören Sie die Ruhe der Todten?«

»Ich sollte meinen, unter dem Rasen schläft Jeder so fest, daß er Menschenwort nicht mehr vernimmt,« sagte er spöttisch. »Heute ist der Geburtstag ihrer verstorbenen Mutter, da haben Sie ihr einen Kranz hingetragen, nicht wahr? Sie sehen, ich erinnere mich des Tages und habe von je Ihren Charakter verstanden, sonst hätte ich sie nicht hier gesucht, ich weiß Sie werden in fünfzig Jahren als altes Mütterchen noch das Grab ihrer Mutter bekränzen.«

Julie schwieg; sie versuchte leise ihm ihre Hand zu entziehen.

»Ich bitte, Julie, hören Sie mich an, ich habe ein wohlbegründetes Recht zu dieser Bitte, denn ich besaß Rechte auf Sie, ältere Rechte mache ich jetzt geltend, vergessen Sie auch nicht, daß Sie mein ganzes Lebensglück zerstört und mich zu dem gemacht haben, was ich jetzt bin!«

Julie wurde blaß, ihre Stimme bebte, als sie erwiederte: »Diese Beschuldigung ist falsch, Herr Baron.«

»Falsch? hatten Sie sich nicht mit mir verlobt aus eigner freier Wahl?«

»Ich war ein halbes Kind, sechzehn Jahr alt, ich beging durch mein voreiliges Versprechen ein Unrecht gegen meine gütigen Eltern.«

»Sie waren dem Aussehen nach eine schöne, völlig entwickelte Jungfrau, Sie besaßen Geist und Willenskraft und wußten, was Sie thaten. Auch kommt die Stimme des Herzens von einer höhern Macht, als die Macht der besten Eltern, mag man sie nun Gott oder Natur nennen. Jeder Mensch hat das Recht, über seine Person zu verfügen.«

»Der mündige, Herr Baron!«

»Lächerlich, Julie, was heißt mündig? In den meisten Ländern wird der Mensch mit einundzwanzig Jahren für mündig erklärt, in Preußen bekommen die guten Unterthanen erst mit vierundzwanzig Jahren ihren freien Willen, Eltern und Vormündern gegenüber, in Oesterreich müssen sie noch ein Jahr länger warten, Fürsten und Hamburger werden mit achtzehn Jahren für majorenn erklärt, und tüchtige Köpfe mit eisernen Willen machen es wie Karl XII. von Schweden und setzen sich mit fünfzehn Jahren die Krone auf, jagen die Vormünder zum Beelzebub und regieren.«

»Meine Eltern hätten auch die Stimme meines Herzens anerkannt, aber –« Julie schwieg.

»Ich weiß es, Julie, daß Sie mich liebten, ich weiß, daß Ihre Eltern unsrer Verbindung kein Hinderniß in den Weg gelegt hätten, aber da kam ihr Bruder, der heilige fromme Mann, er erzählte, daß ich auf der Universität einige tolle – bei Gott aber keine schlechten Streiche gemacht hatte – wohl bemerkt, ehe ich Sie gesehen hatte, Julie, und die besorgten Eltern kamen nach der Residenz und holten Sie schnell heim in das Landstädtchen. Aber Sie Julie fanden doch Zeit, mir die vier Worte zu senden, ›ich bleibe treu, hoffe!‹«

Wilfried zog ein Medaillon hervor, das er an einer Schnur um den Hals hängen hatte, öffnete es, nahm einen schmalen Papierstreifen heraus und fragte:

»Oder haben Sie das nicht geschrieben?«

»Ja, ich habe es geschrieben!«

»Und was können Sie noch zu Ihrer Vertheidigung sagen, Julie?« sprach er mit herbem Ton.

»Ihr Benehmen gegen Ihre Schwester, Sie entschuldigten deren Sünden nicht nur, Sie führten den Prinzen sogar bei ihr ein,« rief Julie und ein Zug von Verachtung lagerte sich um ihren schönen Mund.

»Ich konnte mir denken, daß meine Bruderliebe gegen die Aermste mir, Dank Ihrem heiligen Bruder, Ihnen gegenüber zum Vorwurfe gemacht werden würde, darum schrieb ich Ihnen, daß ich Gelegenheit suchen würde, Sie zu sprechen, daß ich Ihnen, da man mich bei Ihnen in ein falsches Licht gestellt hätte, Aufschlüsse über Sidonia, meine Schwester, geben würde. Erhielten Sie etwa diesen Brief nicht?«

»Doch, Herr Baron, und ich war bereit, jede Erklärung von Ihnen zu hören, aber ich konnte, ich durfte es nicht!«

»Ihre Eltern oder Ihr Bruder verhinderten es?«

»Nein, ich kann Ihnen nicht mehr sagen, auch kann Alles, was ich Ihnen mittheilen würde, angenommen, mich bände kein Versprechen, nichts zwischen Ihnen und mir ändern. Ich bin seit dreizehn Jahren die Gattin des braven, ehrenwerthen Revierförsters Halldorf und Mutter von drei Kindern, Sie, Herr Baron –«

»Ich bin unverheirathet, ein unstäter Wanderer, ich werde doch niemals ein Weib zum Altar führen, es sei denn, daß Sie die Meine werden wollten.«

»Ihren Haß muß ich ertragen,« erwiederte Julie, »Ihren Spott verdiene ich nicht; doch unsre Unterredung hat nun schon zu lange gedauert, zu lange, lassen Sie mich gehen.«

»Also ich soll in Bezug auf meine Schwester mich nicht bei Ihnen rechtfertigen dürfen, ist das gerecht, ist das edel, Julie?«

»Schreiben sie das mir, ich werde es lesen, aber sprechen will ich Sie nicht mehr, sind Sie ein Edelmann und zugleich ein Gentleman, so hindern Sie mich nicht, den Heimweg anzutreten.«

»Beides bin ich, Sie sind frei, ich werde in wenig Tagen Birkendorf verlassen und Ihnen mit Ihrer Erlaubniß schreiben, was ich Ihnen noch zu sagen habe.« Er verbeugte sich mit Anstand vor Julien und verließ mit raschen Schritten den Friedhof.

Julie kniete am Grabe ihrer Mutter nieder und betete lange, sie weinte heftig, – galten diese Thränen nur dem Verlust der treuen Mutter, welche bereits zehn Jahre unter dem Epheu schlief?

Endlich erhob sie sich und lenkte ihre Schritte nach dem Forsthause.

Als sie in das Wohnzimmer der Familie trat, seufzte sie tief, als sei sie von einer schweren Last befreit. Ihr Gatte war mit dem Geometer Heidler, der auf Befehl der Regierung den Forst vermessen sollte, nach den Waldungen gegangen, die beiden jüngsten Kinder waren bei dem reichen Müller, dessen Töchterchen heute ihren Geburtstag feierte, der Liebling der Mutter, Arthur, strich in der Gegend umher, sie gönnte ihm dies, denn in zwei Wochen hatten seine Ferien ihre Endschaft erreicht und er mußte wieder in das Städtchen zu ihrem Bruder und auf der Schulbank sitzen.

Die alte Magd, Anna, war auf den Acker gegangen Frühkartoffeln zu holen und noch nicht zurück. Frau Julie setzte sich an ihren gewohnten Platz vor ihren Nähtisch. Das Zimmer war sehr einfach möblirt; schöne Gemälde, Nippes, Lichtbilder fehlten ganz, aber groß und höchst sauber, machte es doch einen sehr gemüthlichen Eindruck, denn an der Wand hing neben der Jagdtasche eine vorzügliche Büchse, auf der andern Seite ein Wandkorb, daneben eine Briefmappe mit zierlicher Stickerei, auf den Fensterbrüstungen grünten Pflanzen, alle wohlgepflegt und der Bücherschrank zeigte die Werke der vorzüglichsten Dichter und Schriftsteller. Eine zahme Goldammer flog im Zimmer umher, unweit des Ofens schlief der alte große Hund, der frühere Spielgefährte der Kinder, welcher jetzt lahm und halb blind noch das Gnadenbrod erhielt. Nur das Ticken der großen Schwarzwälder Uhr und das Summen der Bienchen, die auf den Blumen saßen – denn in einem Winkel des Gartens hatte der Förster Bienenkörbe angebracht – unterbrach die Stille.

Julie ließ die Augen über ihre Umgebungen schweifen und sie jetzt auf den wohlgetroffenen Porträts ihrer Eltern ruhn.

»Sie meinten es treu und liebevoll mit mir,« sagte sie zu sich selbst, »ein glänzenderes Loos wäre mir vielleicht, ja gewiß an Wilfrieds Seite zu Theil geworden. Stunden, wohl auch Tage voll traumhaften Glückes, aber unmöglich Frieden, wie ich ihn hier genieße in meiner engbegrenzten Häuslichkeit, im Kreise der Meinen. Möge mir dieser Frieden erhalten bleiben!«

Halldorf war weder so wunderbar schön, wie Wilfried in seiner Jugend gewesen war, noch zierten den Ersteren die einnehmenden Manieren und glänzenden Geistesgaben des hochgebornen Weltmannes, aber sein Aeußeres war angenehm und Vertrauen erweckend, er besaß einen gut ausgebildeten Verstand, gründliche Kenntnisse und war frei von Launen. Er hatte niemals für Julien zu schwärmen geschienen, aber er liebte sie noch eben so herzlich, ja vielleicht mehr als am Trautage, und nie hörte sie von ihm ein rauhes Wort. Julie war sich ihrer strahlenden Schönheit bewußt, aber sie bedauerte nicht, daß diese, statt in der großen Welt Bewunderung zu erregen, wahrscheinlich in der Einsamkeit verblühen sollte.

Das Wiedersehen des Mannes, der ihre erste, einzige leidenschaftlich-schwärmerische Liebe besessen, hatte sie mehr bewegt, als sie es sich gestehen wollte, sie wünschte sich ihren Gatten, ihre Kinder herbei, und als endlich mit einbrechender Dämmerung Arthur mit seinem Vater eintrat, flog sie beiden mit ungewöhnlicher Wärme entgegen, und nahm ihrem Mann die Mütze aus der Hand. Er streichelte liebevoll ihr schönes Haar und sagte: »Ich habe den Geometer auf neue Kartoffeln und einen guten Trunk zum Abendessen eingeladen. Du sorgst wohl, daß die Kartoffeln nicht allein auf den Tisch kommen, liebe Julie?«

Sie bejahte und verließ das Gemach.

Eine Stunde später saß der Gast bei seinen freundlichen Wirthen, der ungefälschte Wein perlte im Glase, einfache aber gut zubereitete Speisen füllten die Teller, der Geometer, ein lebhafter vielgereister Mann, wußte interessant zu erzählen. Bernhard und die kleine Julie hatten sich, Anna's Winke folgend entfernt, aber Arthur lauschte mit großer Aufmerksamkeit auf Alles, was der Gast von seinen Reisen durch England und Frankreich erzählte.

»Es ist recht gemüthlich hier,« sagte er, »und ich sehe mit innigem Behagen, wie glücklich Sie sind, lieber Herr Halldorf, aber dazu gehört ein ruhiges Gemüth; immer an demselben Orte zu leben wäre mein Tod, und sobald meine Arbeiten gethan sind, die ich übernommen habe, geht es wieder fort. Ich habe kürzlich einiges Geld geerbt, damit will ich in Paris spekuliren, dort läßt sich doch Etwas machen, wenn man nur einen leidlichen Fond zum Anfange hat.«

Die Hausfrau lächelte ein wenig, Halldorf sagte: »Jeder in seiner Weise,« Arthur merkte sich jedes Wort, was der Geometer sprach.


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