August Hagen
Norika
August Hagen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Bildhauer Krafft in seiner Werkstatt.

Nürnberg ward mir mit jedem Tage lieber, und der Gedanke an die Trennung immer herber. Die Besorgung der Geschäfte, die meine Anwesenheit in Augsburg und Regensburg nötig machten, schob ich so lange als möglich hinaus. Endlich aber mußte ich mich dennoch zur Abfahrt rüsten mit dem festen Vorsatz, auf der Rückreise mich wenigstens acht Tage hier zu verweilen. Von der holden Rosenthalerin zu scheiden, ohne sie zu sehen, ward mir schwer und mich beruhigte nur die Überzeugung, alles in der Sache getan zu haben. Ich hatte nämlich Dürern, der meine Neigung zu dem Mädchen für die vorübergehende Laune eines Unbärtigen zu halten schien, in einem Brief von der Redlichkeit meiner Absichten zu überzeugen gesucht und meinen Wunsch in einer Bitte an ihn eingeschlossen. Es erfolgte darauf keine Antwort.

Wenn ich im allgemeinen den Freunden bei der bevorstehenden Abreise den Abschied schuldig blieb, um Zeit zu gewinnen und mir peinliche Gefühle zu ersparen, so drang es sich mir wie eine Kindespflicht auf, den alten Meister Krafft zu besuchen. Vielleicht war es eine Ahnung, die mich trieb, denn wie ich vorher keine Stunde dem Besuche hatte widmen können, so war auch jetzt mir jede Stunde kostbar.

Bald hatte ich den Steig, auf dem Meister Krafft wohnen sollte, gefunden und ein Hoftor, an dem ein schön gebildeter, steinerner Lindwurm mir entgegengrinste, aus dessen zahnreichem Rachen Wasser strömte, ließ mir über seine Wohnung keinen Zweifel mehr. Ich trat in den Hof und zu beiden Seiten des Ganges sah ich große Sandsteinblöcke liegen und sagte mir: der Alte verspricht sich ein langes Leben. Aus diesem Hof trat man durch eine Glastüre in das freundliche Haus des Meisters und zunächst in die Werkstätte.

Von der Freundlichkeit und dem friedliebenden Wesen Kraffts hatte ich immer viel Rühmens gehört. Um so mehr befremdete es mich, ihn in heftigen Ausdrücken poltern zu hören, indem er mit seinen Leuten zankte. Ich nahte mich der Glastüre und sah in der Werkstatt den kahlköpfigen Meister, dem eine einzelne Locke auf der Stirne schneeweiß wie der lange Bart erglänzte. Daneben standen zwei Leute, die seine Schüler zu sein schienen. Den einen unterwies er in der Steinmetzenkunst und ereiferte sich dermaßen, daß er nicht sah und hörte, obgleich ich die Türe öffnete und hineintrat. Nach einem Pfeiler, der mit allerlei Blättern und Schnörkeln verziert war, wie man dergleichen in alten Kirchen findet, sollte ein anderer gearbeitet werden. Ich bemerkte gleich, daß der eine Bube, der Meißel und Hammer in der Hand führte, nichts mehr als ein roher Bauernknecht wäre, der Äcker zu bauen taugen mochte, aber nicht Kirchen zu bauen. Der machte mit dem aufgesperrten Munde, der krummen Nase und dem straubigen Haar eine erbärmliche Gestalt und schien mit sehenden Augen zu schlafen. Als er eine Randverzierung auszuarbeiten suchte, so hieb er die Ecke des Steinblocks ab und als er, o Einfalt! seinen Fehl verbessern wollte, so schlug er sich auf die Hand, daß sie blutete. Die Alten taten recht daran, sich der Schafsköpfe zum Einrennen der Mauern zu bedienen. Dennoch zeigte, erklärte und schalt Krafft, als wenn er ein tüchtiger Steinmetz einmal werden könnte, und der alte Knabe weinte wie ein Kind, da er von ihm ziemlich unsanft gestoßen und gerüttelt wurde. Ich konnte es nicht fassen, warum der Meister so an ihm Mühe verschwendete, um so weniger, da ein hübscher Jüngling sich daneben befand, an dessen grüner Schürze ich sah, daß er gleichfalls bei ihm in der Lehre stand, und ans dessen Mienen ich erkannte, daß er alles sehr wohl begriff, was jener nie in seinem Leben begriffen hätte.

Da mir um den ungeleckten Bären leid tat, der sich bei der Arbeit so kläglich gebürdete, so räusperte ich mich ein wenig und der Meister blickte nach mir hin. Sogleich riß er sich die grüne Schürze von den Schultern und eilte wie ein Zwanzigjähriger auf mich zu und aller Arger war auf einmal aus seinem Gesichte verschwunden und dagegen sprach die herzlichste Freude aus seinen Blicken. Vater Adam ward er von allen genannt, und unwillkürlich begrüßte ich ihn mit diesem Namen. Er freute sich recht inniglich meines Besuches, auf den er lang vergeblich gewartet und schon die Hoffnung auf ihn aufgegeben hatte. Seine gute Frau, erzählte er mir, hätte für mich Wein und Kuchen besorgt gehabt, der aber jetzt leider! schon aufgeschmaust wäre. Dann entschuldigte er sich bei mir wegen des barschen Wesens, das bei aller Geduld im Unterricht nicht zu vermeiden wäre, und erläuterte mir nun das sonderbare Verfahren, das er dabei beobachtete. Wenn er nämlich einen Gesellen ins Haus nahm, so mußte dieser die Kunst von Grund aus neu erlernen, selbst wenn er es sonst schon recht weit gebracht hatte. Adam gab nämlich viel darauf, daß alles, was aus seiner Werkstatt kam, auf seine Weise und nicht anders gearbeitet war. Um dies zuwege zu bringen, nahm er für etliche Zeit einen gemeinen Handlanger zu sich und diesen unterrichtete er, als wenn er ihn zu einem Gehilfen sich erziehen wollte. Allein er tat dies nur, damit der neue Geselle, der immer dabei zu stehen hatte, Gelegenheit fand, ganz genau wahrzunehmen, wie er künftig den Meißel handhaben müßte. Ich nannte die Art den Unterweisung eben so zweckmäßig, als mühsam, aber Krafft meinte, wenn man guten Mut behalten wollte, so dürfte man sich keine Mühe verdrießen lassen, und daß er sein hohes und rüstiges Alter allein der Arbeit zu verdanken hätte.

Er bat mich darauf, in die Stube einzutreten, die neben der Werkstatt lag, und wo bei aller Einfachheit sich die größte Sauberkeit kund gab. Der eichene Kleiderschrank glänzte blank gebohnt nicht weniger, als die zinnernen Zierkannen, die auf seinem Sims standen, an dem Bette war jede Falte der Vorhänge wie mit Fleiß gelegt und selbst der Fußboden, der mit Sand bestreut war, hatte durch den bemerkbaren Besenstrich ein zierliches Ansehen gewonnen. Eva! rief jetzt Meister Adam in die Küche hinein und mir fiel der Name auf. Mag in das Paradies, das Adam und Eva bewohnen, sagte ich lächelnd, sich nie die Schlange einschleichen! Über unsere Namen, erwiderte er, haben wir schon manchen Spott erfahren müssen, namentlich von unserm witzigen Stadtschreiber, dem Herrn Spengler, aber ich habe mich an ihm gerächt. Das sollt Ihr nachher erfahren und von neuem rief er Eva!

Da trat in das Zimmer ein rühriges Mütterchen mit einem weißen Häubchen und einem dunkelroten Faltenrock, wenn es möglich wäre, noch freundlicher als der Alte. Frau Eva schien die Nachricht, daß der längst erwartete Gast in mir erschienen wäre, einen Augenblick in Verlegenheit zu setzen. Dann aber trippelte sie hin und her, stellte einen Tisch vor uns hin, den sie zum Überfluß mit der Schürze abrieb, nahm ein Messer vom Schrank, das sie kniend auf der Türschwelle scheuerte, entfernte sich dann aus einen Augenblick und brachte eine Bierkanne, ein großes Brot und Butter herein. Mütterchen, fragte der Alte, gibt es denn heute nichts besseres als das? Schweige, Vater! erwiderte sie scherzend, bringe ich dem fremden Herrn doch ein Stück Brot, dem du Steine vorzusetzen denkest. Bei der Freundlichkeit der Bewirtung erschien mir die Kost ungemein wohlschmeckend und Mutter Eva nahm es nicht mit geringer Freude wahr. Meine Frau, Hub der Alte an, da er sah, daß ich an ihm und allem, was ihm lieb war, aufrichtigen Teil nahm, wurde Magdalena getauft und mir zu Liebe nannte sie sich Eva. Wir sollten uns über keinen Kain grämen und daher versagte uns der Himmel das Glück, Eltern zu sein. Seine Gnade werden wir aber stets anbeten, die sich uns auf eine seltene Weise bewährt hat. Mit liebenswürdiger Redseligkeit erzählte er mir darauf unaufgefordert alles, was er erlebt und erfahren hatte, und ich staunte, wie die göttliche Fügung oft so wunderbar wäre.

Die lieben Eheleute hatten sich, da sie noch Kinder waren, versprochen. Als Jüngling verließ Adam seine Vaterstadt Nürnberg, um in der Fremde sein Glück zu versuchen und möglichst bald mit gefülltem Säckel heimzukehren. Magdalenen blieb nichts anderes zum Trost zurück, als des Geliebten Schwur unverbrüchlicher Treue. Zehn Jahre wartete sie auf die Rückkunft ihres Freundes, aber vergeblich. Keine Kunde ward ihr von ihm, und die Verwandten, die sie mit Heiratsvorschlägen belästigten, sagten ihr ein über das andere Mal: Adam würde nie mehr wiederkehren, denn entweder wäre er tot oder längst in fremden Landen ansässig und verheiratet. Wem Magdalena, obgleich sie arm nur von der Güte der Ihrigen abhing, blieb standhaft. Noch andere zehn Jahre verflossen und das Harren auf den Bräutigam erwarb ihr überall Verhöhnung und Spott. Jungfer Braut, wird nicht bald der Bräutigam kommen? so hörte sie auf allen Strafen sich von jedem Buben fragen, und konnte nichts als Geduld den Kränkungen entgegensetzen. Magdalenens Treue wankte nicht, wie die ihres Verlobten. Adam wollte nur im Frankenlande sich umhertun, aber von einem Freister an den andern empfohlen, von der Luft, zu lernen und zu schauen, durchdrungen, kam er immer weiter und verlebte frohe Jahre im schönen Wälschlande. Überall fand er Arbeit die Fülle, und seine Barschaft vermehrte sich mit jeder Woche, namentlich in Neapel. Jetzt dachte er an die Rückreise, und da ein Schiff von Neapel nach Genua ging, so nahm er die Gelegenheit wahr, so schnell als möglich die Heimat zu begrüßen. Wind und Welle schien im Bunde der treuen Liebe zu stehen und beflügelte den Lauf des Schiffes, aber Wind und Welle sind trüglich. Plötzlich erhob sich Sturm und Unwetter, das Schiff ward hin und her geschleudert, die Schiffsleute zagten. Die Masten wurden gekappt und der Gunst des Zufalls das Leben so vieler preisgegeben. Nach langen Tagen trostlosen Umherirrens kam das Schiff an Land, das Leben der Leute war erhalten – aber sollten sie dafür danken? Tunis war der Schreckensort, wo sie landeten, und nach Mühsalen und Entbehrungen aller Art wurden den Unglücklichen Ketten angelegt. Auch Adam schmachtete im Sklavenstande, und viele Jahre bot sich ihm keine Aussicht zur Erlösung dar. Der König von Tunis ließ damals eine Moschee bauen und da Adam zu den Sklaven gehörte, die Steine zur Baustelle schafften, so erklärte er einst in Gegenwart des Königs und des Baumeisters, daß der Bau übel angelegt wäre. Adam ward für die Dreistigkeit mit Ruten gestrichen. Allein es bewährte sich, was er vorher verkündete. Die Heidenkirche stürzte zusammen und der Baumeister nahm sich auf den Trümmern derselben das Leben. Adams Ketten wurden jetzt gelöst und ihm Freiheit zugesagt, sobald er in bestimmter Frist eine neue Moschee aufführen würde. Der König hielt Wort. Ohne Habe ward er auf einem Schiffe der Barbaresken nach Genua gebracht und viel der Mühsale erlebend, bettelte er sich glücklich bis nach Nürnberg hin. Die Braut harrte, aber obgleich der Bräutigam erschien, so war jede Hoffnung zur Verbindung entschwunden. Sie war arm, und er brachte nichts daheim. Doch die Wiederkunft des Langersehnten und seine bewährte Treue erregte gleich einem Wunder Aufsehen. Man betrachtete ihn wie einen Heiligen, der von den Toten erstanden wäre, und wie einem Heiligen opferte ihm jeder, gleichsam aus religiöser Regung. Adam nahm anfangs die Gaben, da er ihrer bedurfte, und später konnte er sie nicht ablehnen, um die Spender nicht durch ein ungleiches Betragen zu beleidigen. Er sammelte soviel, daß er nicht allein heiraten, sondern auch ein freundliches Haus kaufen konnte.

Da Meister Krafft die Erzählung geendigt hatte, so bat ich ihn, mir einige seiner Bildhauerarbeiten zu zeigen, da das Sakramentshäuschen in der Lorenzkirche seinen Namen unter den ersten Künstlern Nürnbergs verewigte. Auf meinen Wunsch führte er mich in die vordere Werkstätte, und zeigte mir hier die Bildwerke in Gypsmodellen, die die Sebaldskirche von außenher schmückten. Alles wunderherrliche Arbeiten. Sonderbar, daß ich jetzt erst dieselben in Abgüssen genau betrachtete, wie sie es verdienten, obgleich ich täglich an den Urbildern mehrmals vorbeiging. Krafft machte mich aufmerksam auf eine sehr wohl angeordnete Vorstellung des heil. Abendmahls, auf dem sowohl der Heiland, als sämtliche Apostel Bildnisse lebender Personen, meist Mitglieder des Rates, waren. Ich erkannte, da ich es genau betrachtete, sogleich Herrn Imhoff, Herrn Volkamer, der eine Trinkschale hielt, und den Meister selbst mit der Glatze und dem langen Bart. Ich fragte ihn, wen er als Heiland und als Judas darzustellen gewagt hätte. Dem Heilande, erwiderte Krafft, gab ich die Züge des Mannes, der für den frömmsten in unsrer Stadt gehalten wird, nämlich des Propstes Melchior Pfinzing, als Dichter und Gelehrter vom Kaiser gleich geschätzt. Als Judas konterfeite ich Lazarus Spengler aus Rache, da er den boshaften Scherz vorbrachte, daß ich ans Furcht vor dem Apfelbiß weislich gewartet hätte, bis der Eva die Zähne ausgefallen wären. Allein Herr Spengler zürnte mir nicht und tröstete sich damit, daß Judas den Heiland nur einmal verraten, Petrus ihn dagegen dreimal verleugnet hätte; denn ich habe hier mich selbst als Petrus abgebildet.

In einem Gemach daneben sah ich viele lebensgroße Figuren aus Stein, von denen nur erst einige vollendet waren. Sie gehörten, wie ich aus einer Zeichnung ersah, zu einer Gruppe, die aus fünfzehn Figuren bestand und eine Grablegung darstellt, Mit der Empfindung, mit der liebe Kinder den hingeschiedenen Vater zu Ruhe bringen, sah man hier die Treuen den Freund und Lehrer bestatten. So verhüllte sich die Sonne bei des Erlösers Tode, wie hier die Leidensmutter im Nonnenschleier die Hände vor dem Antlitz hielt, ein erschütterndes Bild der Trauer. Wie Magdalena mit frommer Inbrunst den Fuß des Entseelten küßte, den sie einst mit Narden netzte und mit dem langen goldfarbigen Haar abtrocknete! Hier der bärtige Joseph von Arimathia, der mit rührender Sorgfalt den Heiland in das Felsengrab senkte, und der das unverkennbare Bildnis des Künstlers darstellte. Was sage ich von der Hauptfigur, die das unter den übrigen war, was der Heiland ist unter den Aposteln! Dieses unvergleichliche Werk hatte Gabriel Holzschuher, Genannter des Rates, bestellt für seine Kapelle auf dem Johanniskirchhof.

Krafft fragte mich, da ich ihm meine Bewunderung ausdrückte, wie ich mit seinen übrigen Bildhauereien auf dem Johanniskirchhofe zufrieden wäre. Mit Beschämung mußte ich ihm gestehen, daß ich bis jetzt den weltberühmten Kirchhof und seine Bildwerke daselbst noch nicht in Augenschein genommen hätte. Sogleich erbot sich mir der rüstige Greis zum Führer dahin, allein ich lehnte seinen Vorschlag ab wegen meiner Reise nach Augsburg. Ich versprach ihm indes, sobald ich nach Nürnberg zurückgekehrt wäre, in seiner Gesellschaft den Johanniskirchhof zu besuchen. An das Versprechen, das er gab und doch nicht erfüllte, habe ich manchmal gedacht. Nicht ohne Rührung konnte ich vom guten Vater Krafft scheiden.


 << zurück weiter >>