August Hagen
Norika
August Hagen

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Der Ratsherr Wilibald Pirckheimer in Neunhof.

Unter den Empfehlungsbriefen,»Fürderbriefen.« mit denen mich meine Freunde zur Reise ausgerüstet hatten, befand sich auch einer an den Ratsherrn Pirckheimer. Da ich so viel Rühmliches von dieses Mannes Gelehrsamkeit und Geschäftsführungen gehört hatte, so war ich begierig, ihn kennen zu lernen. Der reizende Sommermorgen ließ in mir den Entschluß zur Ausführung reifen, nach dem schönen Gute Neunhof zu fahren, wo sich Pirckheimer einstweilen aufhielt, und einmal zu sehen, wie es vor der Stadt aussähe, nachdem ich so viel in der Stadt wahrgenommen hatte. Mein armer Kutscher hatte sich seit jenem Vorfalle in Erlangen noch nicht gemeldet, und ich wandte mich daher an meinen Wirt mit der Bitte, mir den Fuhrmann ausfindig zu machen, mit dem ich hergekommen wäre. Der muntere Geselle war bald gefunden, und es dauerte nicht lange, so hörte ich schon meine Rappen vor der Haustüre stampfen. Ich stieg in den Wagen, und als uns mit dem Laufertor die Stadt im Rücken blieb, so ließ mein Führer den Pferden, wie seiner Zunge, den Zügel.

Der Weg führte großenteils durch einen sehr schönen Laubwald, und da mir mein Führer den Namen Sebalderwald nannte, so knüpfte er daran die Frage, ob ich mir das Sebaldusgrab angesehen hätte, höchst vertraulich, als wenn er jahrelang mir gedient. Sobald wir den Wald verlassen, tauchte aus der Ferne schon der Kirchturm von Neunhof hervor. Ich fragte, ob er von der Kirche auch Wunder zu erzählen wüßte, und jener erklärte kurzweg, in Nürnberg gäbe es nichts als Wunder, und wer nicht daran gewöhnt wäre, der könnte Wochen und Monate hier verweilen, ehe er zur Besinnung käme. Und richtig – er teilte mir sogleich von dieser Kirche, zu deren Bau Engelhände die Kellen gehandhabt hatten, und von einem daneben liegenden Teich viel des Wunderbaren mit. Da jetzt schon das herrschaftliche Haus mir einladend winkte, so war es mir anziehend, mehreres über die Hausgenossen zu vernehmen. Der Besitzer des Gutes war Martin Geuder von Heroldsberg, der eine Schwester des Ratsherrn Pirckheimer zur Gemahlin hatte. Da geht es wie bei Fürsten her, sagte der Fuhrmann. Vornehme Gäste kommen tagtäglich dahin von fern und nahe, und jede Mahlzeit ist da ein Schmaus.

Der Beschreibung des geschilderten Aufwandes entsprach rings die Pracht der Gebäude, die eine Residenzstadt geziert haben würden. Der Wagen hielt vor dem großen Hause. Da ich in die Flur trat, geräumig wie ein Saal, so eilten auf einmal, ich weiß noch nicht, woher sie kamen, zwei possierliche Gestalten auf mich zu. Die eine mochte so viel über drei Ellen hoch sein, als die andere unter einer, und beide waren in ganz gleich buntscheckigen Röcken, nur daß der Zwerg einen glatten Kopf hatte, der Riese dagegen mit einem hohen Turban geziert war; der große schien ein Zwanziger zu sein, der kleine aber hatte Runzeln, wie ein Sechzigjähriger. Beide begrüßten mich, und erst als ich mich vom Erstaunen über die seltsame Erscheinung erholt, fragte ich, ob man die Herrschaften sprechen könnte. Der Herr Geuder von Heroldsberg war verreist. Schicklicherweise äußerte ich laut mein Bedauern darüber, freute mich aber im stillen, den Herrn Pirckheimer allein zu sprechen, zu dem man mich zu führen versprach.

Die Flügeltüren des Gartensaales öffneten sich in einem Nu, und ich sah den Herrn Pirckheimer, dessen Züge mir durch Gemälde bekannt waren, und eine alte freundliche Frau neben ihm sitzen. Ich grüßte höflichst. Da ließ der Große und Kleine eine helle Lache erschallen, und beider Stimmen vereinigten sich, wie die Querpfeife zum Trommelwirbel. Jetzt sah ich, daß die Personen, vor die ich getreten war, unbeweglich blieben und nur durch die Zauberei des Pinsels ins Leben getreten waren. Pirckheimers Gemahlin Crescentia, die Meister Dürer hier neben seinem gelehrten Freunde gemalt hatte, war schon vor zwanzig Jahren, wie mich der Zwerg belehrte, im letzten Kindbette verstorben. Mehr würde ich mich verwundert haben, gab ich ihm ärgerlich und höhnend zur Antwort, wenn sie im vorletzten Kindbette verstorben wäre. Ich ging in den Garten, denn da sollte ich Herrn Pirckheimer finden. Ringsum war alles geschmackvoll angelegt mit duftigen Blumenstücken, bunt blühenden Sträuchern, beschornen Laubwänden und Bogengängen. In Absätzen, die durch Treppen miteinander verbunden waren, senkte sich der Garten ab, so daß das Haus ganz frei lag mit einem Söller, auf dem ein Fernrohr aufgestellt war. Dies war die Sternwarte des Herrn Pirckheimer, der, in allen Wissenschaften erfahren, auch die Sternenschrift zu lesen verstand und aus dem Lauf der Irrsterne den Lauf der menschlichen Schicksale erkannte. Über dem Söller schwebte an einer Eisenstange ein gewaltiges Hirschgeweih, woran der Alle, sich froh der Zeit erinnernd, da er durch die Beschwerlichkeiten der Jagd sich zum rüstigen Kriegsmarine ausbildete, ein sonderliches Wohlgefallen fand. Ganze Nächte brachte er auf der Sternwarte zu. Des Vormittags aber studierte er in einem an den Garten angrenzenden Schattengrunde, den man die Klause nannte. Dieser sein Lieblingsort verdankte den Namen einer Sage, daß in einer engen, von Efeugehängen umschlungenen Felshöhle, die man daselbst zeigte, ehemals ein frommer Einsiedler gehaust hätte.

Schon von fern vernahm man das Plätschern einer Quelle, die neben der genannten Höhle herabsprudelte, und das Rauschen der Tannen und uralter Eichstämme, die eine duftige Kühle in der Klause verbreiteten. Wir stiegen eine Steintreppe hinab. Hier saß Nürnbergs größter Gelehrte an einem Steintisch, der mit vielen Büchern überdeckt war, im lauen Augustmond in einen Pelzüberrock gehüllt. Er unterrichtete gerade in den alten Sprachen zwei wunderschöne Knaben mit blonden, langen Haaren, die den Livius übersetzten. Es waren seine Neffen, Georg und Sebald Geuder.

Herrn Pirckheimer ward, da er mir ein Willkommen bot, das Aufstehen schwer, denn er war seit vielen Jahren mit der Fußgicht behaftet. Aber um so leichter war es seinen muntern Schülern, die durch meine Dazwischenkunft höchst erfreut, von den Büchern zu ihrem Spielzeug rannten. Herr Pirckheimer dankte mir für den Brief, den ich ihm von einem gemeinschaftlichen Freunde überbrachte.

Wilibald Pirckheimer war ein untersetzter, starker Mann mit einem weichen, feisten Gesicht, glattem Kinn, sonst aber starkem Haarwuchs. Sein Auge verriet Lebhaftigkeit und sein Mund Milde. Fern von Vornehmheit umfaßte er alle mit herzlicher Liebe. Wer hätte in dieser schwer beweglichen Gestalt den schönen Jüngling erkannt, der durch sein bezauberndes Lautenspiel, während er in Pavia und in Padua studierte, alle Frauenherzen bestrickte? Aber siehe, unter den Büchern lag auf seinem Schreibtisch die Laute, wodurch er noch jetzt die Einsamkeit seines Tuskulum belebte. Wer hätte in ihm den rüstigen Feldherrn erkannt, der in den Schweizerkriegen an der Spitze der Nürnbergischen Truppen zwei Schlachten gewann, wofür er sich der Gunst des Kaisers Maximilian bis zu dessen Tode erfreute? Aber noch jetzt, wenn auch statt des Degens mit der Feder in der Hand, ein geborner Cäsar, lebte er ganz in jenem Kriege und die größte seiner Handschriften führte den Titel: Historia belli Helvetici (Geschichte des Helvetischen Krieges). Außerdem arbeitete er in der Muße, die ihm die Staatsgeschäfte vergönnten, außer den lateinischen Übersetzungen aus Plato, Plutarch, Xenophon und Lucian an einem Lobgedicht auf eine Geliebte. Und die hieß? »Fürstin Podagra.« Gefangen in ihren Netzen, so hieß es beim Dichter, seufze er und fühle die Füße verstrickt, die er nicht mehr frei bewegen könne. Sie, die von hoher Geburt, abhold tölpischen Bauern, nur den Vornehmen folge, habe ihn auch zu der Zahl ihrer Lieblinge erkoren und lasse ihn mitleidslos schmachten. Tag und Nacht quäle sie ihn grausam und dennoch ihm getreu bis zum Tode, werde sie ihn ewig an ihre Liebe mahnen. Ehemals führte er das Kriegsschwert und das Jagdgeschoß, aber sie, an Adonis Schicksal denkend, wisse ihn, rührender und nachdrücklicher flehend als Venus, von gefahrvollen Unternehmungen zurückzuhalten. Sie fesselte ihn darum an das Schreibepult und vom Liebespfeile durchbohrt, betraure er ihre Härte und besinge ihr Lob.

Nicht weniger, als scherzhafte, gelangen ihm ernste Gesänge. Und als ich äußerte, ihn um den Aufenthalt in dem schönen Neunhof zu beneiden, so entwarf er mir in wahrhaft dichterischer Sprache folgende Schilderung: Seht hier diese Ebene, überall umringt von kühn ragenden Höhen, die nicht schroff und starr, freundlich sonniges Grün bekränzt. Eine Bühne hat hier die Natur errichtet von der schönsten Ansicht und der wunderbarsten Abwechslung. Auf bebauten Fluren prangen hier der Ceres Gaben und nähren nicht mit eitler Hoffnung das Herz des Feldbebauers. Die Saaten unterbrechen grünende Wiesen, umduftet von Frühlingsblüten. Darum ist diese Gegend der Bienen Ernährerin, die lieblich die Blumen umsummen. Wenn auch hier, wo der Honig fließt, der Wein fehlt, so lassen kristallene Quellen den Verlust verschmerzen, die sich zu einem Bache vereinigen und durch des Tales Krümmung mit Schmeichelmurmeln dahinströmen. – Auf solche Weise malte er mir die Schönheit der Gegend aus und gestand, wie gern er immer hier weilen möchte und wie er sich vor der bald bevorstehenden Rückkehr nach der Stadt fürchtete, indem der Kaiser nächstens nach Nürnberg kommen würde.

Ich wandte ihm ein, daß er den Umgang ihm treu ergebener Freunde schmerzlich entbehren müßte. Allein er belehrte mich, daß diese ihn fleißig besuchten und daß es seine Sitte wäre, sobald diese ihm fehlten, alle Leute des Dorfs zu einem Gastmahle bei sich einzuladen, um mit ihnen sich traulich über Ackerbau und Dinge der Natur zu besprechen. Er fügte hinzu, wie er auf diese Weise sich die Liebe der Leute gewönne, und wie er aus den Unterredungen mit ihnen tiefe Belehrung schöpfte. Denn der Philosoph, sagte er, darf sich damit nicht begnügen, die Lebenswahrheiten aus Büchern zu entnehmen, sondern ans dem Leben der Menschen selbst, wo es am meisten ungekünstelt sich ihm darbietet, wie der Künstler die Kunst nicht allein aus Vorschriften und Regeln erlernen muß, sondern aus der Natur.

Der Name Kunst bahnte mir den Übergang zu dem Lobe Dürers, und die gleiche Teilnahme an den Werken und Schicksalen dieses Mannes gab unserm Gespräch noch mehr Wärme und Innigkeit. Ich rühmte die sprachlos sprechenden Bildnisse, die mich im Gartensaal so angenehm getäuscht hätten, und ich fragte ihn, ob er das für mich bestimmte Gemälde mit Mariens Himmelfahrt gesehen. So seid ihr, mein werter Freund, hub er an, der Besteller dieses ersten Gemäldes, das aus Dürers Werkstatt je hervorging? Ihr müßt es an mich abtreten und ich habe mich schon bereit erklärt, den von euch gesetzten Preis zwiefach an den Maler abzutragen. Für mich hat das Gemälde einen ganz eigentümlichen Wert und ich möchte damit meine Studierstube schmücken. Als aber Pirckheimer erfuhr, wie dieses Gemälde mir über alle Schätzung erhaben wäre, so stand er, wiewohl ungern, von der Bitte ab. Unterdes erschien ein Bedienter und meldete, daß das Essen angerichtet wäre. Eingeladen, mit gewöhnlicher Kost vorlieb zu nehmen, ging ich voran, und der Ratsherr, unterstützt vom Bedienten, klomm mühsam die Steintreppe hinan.

Fürstliche Pracht und künstlicher Geschmack strahlte mir überall in den Zimmern des Palastes entgegen, in die ich geführt wurde. In dem Vorgemach fesselte ein in der Mitte befindlicher kleiner Springbrunnen meine Aufmerksamkeit mit den niedlichsten Figuren von Erz, aus deren Mund und deren mit Muscheln versehenen Händen Wasser hervorsprudelte, das in ein Becken voll Goldfischen strömte. Das Wasser, das die Luft angenehm abkühlte, drehte zugleich eine verborgene Orgel, die eine zwar leise, aber liebliche Musik ertönen ließ. Da ich die Künstlichkeit des Werkes bewunderte, so nannte mir der würdige Herr Pirckheimer als den Meister Hans Frey, den Schwiegervater Albrecht Dürers.

In dem Speisesaal fielen mir, außer der wohlbesetzten und geschmackvoll angeordneten Tafel mit blinkendem Gerät und den Blumenverzierungen,In der Handschrift, in der die Blumen genannt sind, liest man: »Schmecken mit Feyel«, d.i. Sträuße mit Levkojen. zuerst die bunt gewebten Decken»Rucktücher.« auf, mit denen alle Stuhllehnen behängt waren. Eine Decke mit der Vorstellung eines englischen Grußes war vor dem Eingange ausgebreitet.

Mir ward ein Ehrenplatz angewiesen neben dem Herrn Pirckheimer. Nebst den beiden Knaben setzten sich noch vier andere Hausgenossen an den Tisch, die, obgleich sie in Dienst und Solde des Besitzers von Neunhof standen, wie Gäste behandelt wurden. Die Weine waren so köstlich, als ausgewählt die Speisen. Dieses aber, so wie das erheiternde Gespräch, dem der Nachbar durch seine Gelehrsamkeit Gewicht gab, zogen meine Aufmerksamkeit nicht von den kostbaren Pokalen, MischkannenHier liest man: »Maygollin« kleine Becher, »Scheuern« große Becher, »Muschkendelin« Mischkannen, »Handfaß« Waschbecken. und anderm Geräte ab. Das meiste desselben prangte mit dem Pirckheimer- und Rieterschen Wappen, denn die verstorbene Crescentia Pirckheimerin war eine geborne Rieterin. Der Pokal des Ratsherrn war von Gold, und auf dem Deckel stand ein Fräulein, wie es aus einem Brunnen schöpft; vielleicht sollte dadurch der Wunsch ausgedrückt werden, die Flut im Pokale möchte unversiegbar sein gleich der im Brunnen. Dies war ein kostbares Werk von Albrecht Dürer, dem Vater des Malers. Auch von der Hand des letztern zierte ein Gefäß die Tafel, das ein Meisterstück war, obgleich es von einem Knaben herrührte. Es war ein silberner, kunstreich durchbrochener Fruchtkorb, den eine weibliche Figur auf dem Kopfe und den Händen trug. Kurz vor Aufhebung der Tafel trug der Koch ein sonderbares Waschbecken umher, über dem sich alle die Hände wuschen, während er aus einer silbernen Kanne Wasser goß. Das Waschbecken, gleichfalls von Silber, stellte einen Hirschkopf dar, an dessen Geweih, das von Korallen glänzte, ein Handtuch hing. Als man mir dasselbe zuerst reichte, knüpfte ich darein eine Gabe für den Koch ein.

Jener Fruchtkorb führte das Gespräch wieder auf den Maler Dürer und dessen Werke. Herr Pirckheimer ließ eine Mappe mit Zeichnungen bringen, die er von des Freundes Hand besaß. Mit Rührung, beinahe mit Tränen dachte er an die mit ihm froh und einträchtig verlebte Jugend zurück. Beide, obgleich fortan voll treuer Liebe gegeneinander, konnten es sich nicht verhehlen, daß eine Kluft zwischen ihren ehedem eng verbundenen Herzen geöffnet war. Ich selbst, rief Pirckheimer, gab die unschuldige Ursache zu Albrechts unglücklicher Verheiratung. Indem schlug er die Mappe auf und zeigte einen Bogen, auf dem ein Kreis beschrieben war. Ich sah daran nichts Wunderbares, da er nicht mit freier Hand, sondern, wie man dies aus dem durchstochenen Mittelpunkt erkannte, mit dem Zirkel gezogen war. Darum begriff ich nicht, wie der Kreis die darunter geschriebenen Verse von Pirckheimer verdient hatte.

Circulus Alberti, solo carbone notatus,
Annulus est digitis Norica virgo tuis.

(Albrechts fehlloser Kreis, wenn auch nur mit der Kohle gezeichnet.
Norische Jungfrau, glänzt dir an den Fingern als Ring.)

Die Jungfrau bezog sich auf das harpyenähnliche Wesen im Nürnbergischen Wappen.

Einst befand ich mich, erzählte da Herr Pirckheimer, in einer Gesellschaft von befreundete»Künstlern, die mir zu Ehren nach meiner Rückkunft aus Italien veranstaltet war. Einige waren schon bejahrt, wie der alte Dürer und Hans Frey, dessen schöne Tochter Agnes damals der törichte Wunsch vieler war, andere in meinem Alter und noch jünger, wie die Maler Dürer und Wolf Traut. Beim traulichen Kaminfeuer wurde über die alten, alten Künstlergeschichten, wie den Wettstreit zwischen Zeuris und Parrhasius, zwischen Apelles und Protogenes gar viel hin und her gestritten. Ich berichtete ähnliche von christlichen Malern, die ich in der Fremde gehört hatte. Eine vom alten florentinischen Maler Giotto wiederhole ich hier. – Wo Sinn für die Kunst sich fand, dahin drang der Ruf von Giottos Kunst. Der Papst ging damit um, die Peterskirche mit Wandgemälden zu zieren, und schickte zu dem Ende einen Hofmann weit und breit umher, damit sich derselbe nach den besten Malern erkundigte und ihm von ihnen Probezeichnungen brächte. Nach diesen wollte er die nach Rom zu rufenden Maler bestimmen. Jeder Maler wünschte, dahin eingeladen zu werden, und strengte sich an, etwas gar Kunstreiches dem Hofmann zu übergeben. Nach Florenz gekommen, besuchte er zuerst Giottos Werkstätte und verlautbarte ihm seinen Antrag. Giotto, um des Fremden Bitte zu genügen, nahm ein Blatt, tauchte einen Pinsel in den Farbentopf und beschrieb, ohne abzusetzen, einen durchaus richtigen Kreis. Hier ist die Zeichnung! rief der Maler. Doch jener, der gefoppt zu sein glaubte, bat um eine bessere. Er aber erklärte, diese wäre so gut, daß keiner eine ähnliche fertigen könnte. Der Hofmann verließ ihn, wenig zufrieden gestellt. Der Papst aber als ein Kenner entschied, daß Giotto der geschickteste Maler sein müßte, und Giottos Kreis erhielt eine sprichwörtliche Berühmtheit. – Ich erzählte, was mir erzählt war, und teilte den Zweifel mehrerer Künstler, die kopfschüttelnd meinten, der Kreis möchte als Probezeichnung gut gewesen sein, aber wohl nicht bei einer Nachmessung mit dem Zirkel die Probe gehalten haben. Kaum hatte unser Dürer dies gehört, so nahm er eine Kohle aus dem Kamin und auf einem Bogen zeichnete er in aller Gegenwart diesen Kreis. Alle staunten und prüften die Zeichnung, indem sie sie vielmals umdrehten. Darauf ward ein Zirkel herbeigeholt, der Kreis nachgemessen und untadelhaft befunden. Hans Frey nannte da in aller Gegenwart, trotz dem Papste, Albrecht Dürern den geschicktesten Maler, und, was für ein Lohn! gab ihm seine Tochter Agnes zur Frau, wenn auch nicht ohne Mitgift, So sprach Pirckheimer.

Jetzt erst erkannte ich den Wert des Kreises, der gleichsam Albrechts Trauring war oder Trauerring, als Glied einer Sklavenkette. Nicht weniger bewunderswürdig fand ich die übrigen Zeichnungen, die teils mit Rötel, teils mit schwarzer Kreide gemacht waren. Bei einer Kreidezeichnung ergriff mich ein freudiges Erstaunen. Es war ein Jungfrauenbildnis. Schwarz waren die Haare, dennoch erblickte ich Mariens blonde Locken, schwarz war das Auge, und dennoch Mariens blaues Auge, die Züge um den Mund wohl etwas älter und dennoch dieselben. Wen stellt dieses Mädchen dar? rief ich und konnte meine Überraschung nicht bergen. Pirckheimer war betreten und wollte mit einem: Zeigt mir es her! die Zeichnung geschickt meiner Hand entziehen. Ich aber hielt sie wie ein Kleinod fest. Ich weiß nicht, wen es darstellt, sagte er darauf mit scheuer Stimme. Da bemerkte ich auf der Rückseite eine lateinische Elegie auf den Tod einer Aemilia Rosenthalerin. Mein Wunsch, über die Wundererscheinung belehrt zu werden, stieg aufs höchste, doch Pirckheimer stand mir nicht Rede. Er nahm das Blatt und verbarg es unter die gesehenen, während er die übrigen mit zudringlicher Beflissenheit mir vorlegte.

Die eine Zeichnung schwebte mir immer vor, als ich von ihm Abschied nahm in Hoffnung, seine Bekanntschaft in Nürnberg zu erneuern, als das Dunkel des Sebalderwaldes mich schon umfing und als ich, auf den Steinen durchrüttelt, vor der goldenen Rose hielt.


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