August Hagen
Norika
August Hagen

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Erster Aufenthalt in Nürnberg.

Einzug in Nürnberg. Der Sebaldustag.

Schon lange vor meiner Verheiratung war mir Herr Hans Imhoff in Nürnberg als ein lieber Geschäftsfreund bekannt. Oft lud mich dieser ein, ihn zu besuchen, um die Merkwürdigkeiten der alten Reichsstadt zu bewundern und die berühmten Männer daselbst kennen zu lernen, vor allen Albrecht Dürer, den Fürsten der Künstler, denn er kannte meine Neigung wohl zu den Künsten und Wissenschaften. Manchem Maler hatte ich schon etwas zu verdienen gegeben und mit Dürer selbst pflog ich Unterhandlungen wegen eines Altarblattes. Da mich noch nicht Weib und Kind an die Heimat fesselten, da ich mir von einer Reise nach Nürnberg, Augsburg und Regensburg wichtige Handelsverbindungen versprach, so entschloß ich mich um so lieber der Einladung zu folgen.

Ende Juli war es, als ich den Reisewagen bestieg und ohne Aufenthalt meinem Ziele entgegenstrebte. Denn ich halte nichts davon, unterwegs nach Sehenswürdigkeiten rechts und links zu spüren, zum Sehen gehört Ruhe und die Ruhe verträgt sich nicht mit dem Vorwärtskommen. Schon sah ich in Erlangen am Horizont die Türme der Pegnitzstadt schimmern und hoffte um eine Stunde in ihre Tore einzuziehn. Was konnte mir hier verdrießlicher sein, als folgender Vorfall? Der eine von meinen Rappen nämlich, von der Hitze und den Bremsen gepeinigt, schlug aus und traf den Kutscher, gerade da er sich auf den Bock schwingen wollte. Er fiel zu Boden und glaubte nie wieder aufzustehn. So schlimm war es nun nicht, aber schlimm genug, daß ich mir mußte die Lust vergehen lassen, mit ihm weiter zu fahren. Ich ließ den Verwundeten sogleich in die Schenke bringen und machte dem Wirt seine Pflege zur Pflicht. Sodann bat ich ihn, mir einen tüchtigen Fuhrmann zu besorgen, der mich nach Nürnberg führe und der dort gut Bescheid wüßte. Daselbst wollte ich mich so lange aufhalten, bis mein eigner Kutscher wieder seine Dienste versehen könnte. Der Wirt schlug mir sogleich einen zuverlässigen Menschen vor, der aus Nürnberg dahin gekommen wäre und der sich glücklich schätzen würde, den Weg zu fahren, den er sonst zu Fuß hätte zurücklegen müssen. Das war mir recht und ich erkannte, wie gewöhnlich dem, der schnell auf Abhülfe eines Unglücks denkt, als Schmerzensgeld unerwartet ein günstiger Umstand zu gute kommt. Ich fragte den Fuhrmann im blauen Reisehemde, ob er Herrn Hans Imhoff finden würde. Mit verbundenen Augen! gab er mir zu Antwort. Kaum eine Viertelstunde war verflossen, so saß ich wieder im Wagen und merkte mit Vergnügen, daß mein Führer sein Handwerk verstünde und überhaupt ein ganz gescheidter Mensch wäre. Als wenn er mein Wohlgefallen an ihm erriete, machte er mich auf das Genaueste mit seiner Person, seiner Wohnung und seinen Vorfahren bekannt. Ich hörte es geduldig an, da gerade kein anderer Gegenstand zu besprechen war. Die Türme Nürnbergs traten immer deutlicher aus der blauen Ferne vor und zunächst fesselte meinen Blick altes Festungsgemäuer mit Schanzen und Wehrtürmen. Ich fragte ihn nach diesen Gegenständen und er ließ sich so vernehmen:

Hochgeehrter Herr, der graueste Kopf in der Stadt ist nicht so grau, als dieses Mauerwerk, und hat es auch nicht entstehen sehen. Das rührt noch aus der höllischen Heidenzeit her. Der dicke Turm da ist vom Kaiser Nero. Das war ein Satan. Nebukadnezar begnügte sich mit Heu, aber dieser sog nichts als eitel Menschenblut. Da saß er auf der Warte und spähte, wie die Krähe auf dem Dachgiebel, nach Beute umher. Weil er solch lästerliches Wesen hier trieb, so ward der Felsen, auf dem der Turm steht, der Neroberg genannt und das ist der rechte Name von Nürnberg. Jetzt wohnt auch der Kaiser da, wenn er zu uns von Wien herüberkommt, ich meine im Schlosse nebenbei, aber der macht es nicht so. Der viereckige Turm mit den vier Erkern, das ist der Luginsland, der mag auch schon manch liebes Jahr ins Land gelugt haben und wird es nicht satt.

Indes waren wir ziemlich nahe der Stadt und um so weniger war es mir recht, daß mein Kutscher anhielt; doch mochte ich nichts dagegen äußern. Er ging zu den Pferden, strich ihnen die Mähnen zurecht, band ihnen die Schweife los und säuberte sie so viel, als es sich in dem Augenblicke geschehen ließ. Jetzt kam die Reihe an ihn selbst. Er kämmte sich mit dem großen Kamm, den er trug, die Haare glatt, zog sich dann das blaue Hemde aus und hüllte sich in eine bessere Tracht.

Halten alle Nürnberger so auf Zierlichkeit, wenn sie in die Stadt ziehen? fragte ich ihn ein wenig unwillig. Ja, heute geht's nicht anders, erwiderte er, denn was würde sonst unser Herr Sebald sagen? Da er mir anmerkte, daß ich von diesem Herrn nichts wußte, so fuhr er also in der Rede fort: das ist Euch der Oberste in ganz Nürnberg; selbst wenn der Kaiser Maximilian bei uns weilt, so will der nur wenig gegen ihn bedeuten. Des Kaisers Schloß ist groß, aber seines ist noch größer. Seht Ihr die Kirche mit den beiden Türmen dort über dem roten Dach? Da wohnt der heilige Sebaldus. Der Lorenzkirche, die auch zwei Türme hat, die aber weiter entfernt liegt, gibt sie wenig nach. Ja – da könnt Ihr lange reisen, bis Ihr einen Münster wie den St. Lorenz findet. Doch so wahr ich ehrlich bin, heute erscheint die Sebalduskirche höher, als alle, und zwar mit allem Recht, denn heute ist der neunzehnte August und der Ehrentag des heil. Sebaldus. Der Heilige kann es nicht lassen, fortan Wunder zu verrichten.

Jetzt stieg der Kutscher wieder auf den Bock und trieb die Pferde. In mein Verlangen, mir die Taten des heil. Sebaldus mitzuteilen, wollte er lange nicht eingehen und wiederholte mir: heute ist sein Ehrentag. Da werdet Ihr einmal ein Leben sehen, ein Jubeln und Jauchzen. Ja, wer sich nie Zeit zur Ruhe nahm, der legt heute die Hände behaglich in den Schoß, und wer vor Alter nicht mehr die Füße rühren kann, der tanzt Euch heute trotz dem Jüngsten, und wer das ganze Jahr von Brot und Salz lebte, bei dem geht's heute ohne Braten nicht ab. Wenn Ihr denn wissen wollt, wer der erste Schutzheilige Nürnbergs ist, so will ich Euch gar schöne Dinge von ihm erzählen. Ihr werdet alles Lüge nennen und meinen, daß es so was vom BadeknechtDie Badestuben, die ehemals in Nürnberg fleißig besucht wurden, waren wegen der dort ausgebrüteten Lügen berüchtigt. »Das ist vom Badeknecht« war ein sprichwörtlicher Ausdruck für Lüge. ist, aber glaubt mir, alles steht so in den Schriften, wie ich es Euch sage.

Zur Zeit des Kaisers Constantin, da lebte in Dänemark ein gottesfürchtiger König und die Königin war es auch. Sie flehten um Kinder lange umsonst und taten das Gelübde, daß, wenn ihnen eins zuteil werden sollte, es zum Ausbunde aller Tugenden zu erziehen. Und wirklich sparten sie an ihrem Sohne Sebald, als dieser ihnen geboren wurde, nicht Mühe und Kosten.

Von fünfzehn Jahren ward er auf die hohe Schule nach Paris geschickt und hier kannte er bald die Gottesgelahrtheit aus- und inwendig, so daß er alle Doktoren beschämte. Reinen Wandels und voll übermenschlicher Klugheit kehrte er zu den Eltern. Da diese ihm anlagen, sich zu vermählen, so zeigte er, daß er über allem Ruhm, den er sich in der Fremde erworben, doch den Kindesgehorsam nicht vergessen hatte. Gar einfältiglich fragte er, welche Jungfrau er ehelichen sollte, denn ihr Wille wäre seine Wahl. Da die Eltern sich besannen, so traf es sich, daß eine Schwalbe mit einem Frauenhaar im Schnabel vorbeiflog, die, wie es bei diesen Vögeln gewöhnlich ist, oft ihren Flug wiederholte und endlich das Haar vor die Füße des Jünglings legte. Alle meinten, daß dies eine göttliche Bestimmung wäre, und daß die Frau ihm zugeeignet werden müßte, der dieses Haar gehörte. Der junge Herr Sebald war eben so schön und mannhaft, als reich und adlig, und daher kam es, daß alle Jungfrauen fern und nah, deren Locken etwa so braun aussahen, als jenes Haar, steif und fest behaupteten, es gehörte ihnen, und es als unschätzbares Eigentum zurückverlangten. Da war keine, die nicht ein Geschichtchen vorzubringen wußte, wie sie das Haar verloren und wie sie schon um ihrer Vorzüge willen den Rang vor allen Mitbewerberinnen verdiente. Unter ihnen gab es auch manche leichtfertige Dirne, die es mit dem frommen Herrn Sebald versuchen wollte. Wie sahen sich alle Leute in der Stadt, ja in ganz Dänemark an, als er die allerfreiste unter ihnen wählte. Sie war so eine aus Paris. Die Eltern wollten vor Gram vergehn, allein das Haar stimmte und Sebald pries sich glücklich, da er sich so früh erkoren sah, eine Sünderin zu bekehren. Das Bekehrungsgeschäft war sauer, und gelungen wäre es nie, wenn sie nicht bei aller Flatterhaftigkeit eine sonderliche Neigung zu ihm gefaßt hätte. Anstatt zu scherzen, tändeln und tanzen, sah man sie jetzt weinen, beten und sich kasteien. Ein über das andre Mal mußte sie ihm einen hochheiligen Schwur ablegen, keinem Manne, außer ihm, ihre Liebe zuzuwenden. Da nun so aus dem leichtfertigen Weltkinde eine fromme Büßerin geworden war, so ward der Tag der Vermählung festgesetzt. Die Hochzeit aber war Euch ein wahrhaftes Trauermahl. Als alle Gäste von dannen gegangen waren und die beiden Vermählten allein blieben, da vermahnte sie Herr Sebald, wie es in seiner Art war, ließ sie noch etliche Male schwören und stelle ihr dann vor, wie eine Ehe nichts Sträfliches, wie aber eine heilige Ehe das gottgefälligste Vernehmen auf Erden wäre. Das wollte der Braut lange nicht zu Sinne gehn, da er es aber an schönen Reden nicht fehlen ließ, so mußte sie ihm glauben. Noch einmal verlangte er das alte Gelöbnis und, da sie es getan, entfloh er und sah sie nimmer wieder.

Herr Sebald gab jetzt sein Geld den Hungrigen, seine schönen Kleider den Nackenden und in einem groben Kittel zog er in einen Wald, bauete sich hier eine Hütte aus Baumzweigen und nährte sich von wilden Früchten. Alle irdische Eitelkeit hatte er abgelegt und daher schwang er sich von der Erde leicht auf der Leiter des Gebets hoch zum Himmel empor. Da er durch Anrufung aller Heiligen einst einen Krüppel heilte, so verbreitete sich der Ruf seiner Heiligkeit weit und breit und das Glück der Einsamkeit, das ihm so wohltuend war, hatte die längste Zeit gewährt. Von allen Orten wallten zu ihm Mühselige und Beladene, und er richtete sie auf von der Bürde ihres Leidens. Andere gotterleuchtete Männer gesellten sich zu ihm, und oft, wenn sie über Hunger klagten, trug er ihnen die Geschichte von den fünf Broten und zwei Fischen vor, und diese fühlten sich um so mehr getröstet, da ein leeres Legel sich alsdann mit Wein füllte und ein Engel ihnen Brot brachte. Als Herr Sebald sein lieb Teil gebetet, entschloß er sich, nach Rom zum heiligen Vater mit seinen Gefährten zu ziehn. Der Papst reichte gar huldselig dem Gottesmann den Pantoffel hin und gab es ihm nach, alle Heiden in Deutschland jenseits der Donau zu lehren und bekehren. Allein Herr Sebald konnte seinen Eifer nicht beherrschen und trieb sein Wesen schon von Stund an, da er Rom verließ. Gar weitläufig wäre es zu erzählen, wie er predigte, um Steine zu erweichen, wie er die Blinden sehend und die Lahmen gehend, die Tauben hörend und die Hungrigen zehrend machte. Viel Lob erwarb er sich, aber mitunter auch Spott. Den letztern nahm er gern für den Willen, weil es alsdann wieder etwas zu bekehren gab. So rief einst einer, da er predigte: Leute glaubt nicht! Sebald ist ein Lügner. So wahr als ich nicht fliegen kann, so wahr ist es auch, daß Herr Sebald keine Wunder verrichtet. Kaum hatte der Ketzer so gesprochen, so wurde ihm das Stehen schwierig, seine Füße konnten nicht recht Grund fassen, die Arme breitete er aus, als wenn er sich an der Luft halten wollte und wie er zappelte, so fühlte er, daß er immer höher stieg und gleich einem Flaum, der vom Winde immer aufs neue in die Höhe getrieben wird, büßte er für seinen Frevel und flennte gewaltiglich. Da betete Sebald, und der Spötter kam wieder zur Ruhe und betete mit ihm.

Langsam setzte der Gottesmann seine Reise fort. Die Natur kämpfte eben mit Winter und Frühling und es geschah, daß, als der Heilige das Donauufer erreicht hatte, der Eisgang die Brücke zertrümmerte und mit sich riß. Die Gefährten, der heil. Wilibaldus und der heil. Wunibaldus, sahen ihren Führer zagend an. Er aber zagte nicht, zog sich die Kutte ans, legte sie auf das Wasser, stellte sich darauf und schwamm über die wilden Fluten, die ihm kaum die Füße benetzten. Es war kalt. Er aber wußte sich zu helfen und ließ eine Frau, da sie in ihrer Strohhütte kein Holz hatte, Eisschollen herbeibringen und sie auf den Herd legen. Und die Eisschollen brannten wie das trockenste Holz. Die arme Frau fiel dem Heiligen zu Füßen und trug ihm dann noch ein Anliegen vor. Seit gestern, und das erzählte sie ihm mit Tränen in den Augen, hatte sie all ihr Hab und Gut eingebüßt, nämlich ihre beiden Ochsen, die sich im Walde verlaufen. Sie flehte und ihr Mann jammerte dabei, denn er hatte sie vergebens gesucht, bis es dunkel geworden. Herr Sebald befahl ihm, noch einmal nach dem Walde zu gehn, während des Gehens zu beten und – er würde finden. In der Nacht? grinsete ihm der Bauer entgegen. Allein jener wiederholte, was er gesagt hatte, und der Mann ging. Der meinte, es wäre Nacht, aber um ihn war Tag und seine Hand leuchtete wie die Sonne. Er betete und fand die Tiere. Wie groß war die Freude und das Entzücken, als die Ochsen heimgeführt wurden. Das Ehepaar kniete nieder und küßte dem Wohltäter Hände und Füße. Vor Dankgefühl zerflossen schier alle beide in Tränen und konnten sich nicht zufrieden geben und baten inbrünstig, daß er ein Opfer von ihnen fordern möge. Seid fromm! rief Sebald. Wer weiß, ob ich nicht einst einen Dienst von euch verlange und wer weiß, ob ihr ihn dann tun werdet. Das tat den Armen recht weh, die nun noch lauter beteuerten, wie aufrichtig es von ihnen gemeint sei.

Der Heilige setzte seinen Wanderstab weiter und kam in die Gegend von Nürnberg. Hier in dem Lorenzerwalde hauste er und es vereinigten sich wieder seine Gefährten mit ihm, die an der Donau sich von ihm getrennt hatten. Die gottgeistigen Männer taten hier nichts, als Wunder, der Herr Wilibald und Wunibald, vor allen der Herr Sebald. Der letztere war noch nicht alt, als er sein letztes Stündlein schlagen hörte. Da er auf dem Todesbette lag, so fragten ihn weinend die Gefährten, was er noch auf dem Herzen hätte, wo und wie er begraben zu werden wünschte und anderes. Der Sterbende bezeichnete jetzt den Freunden eine Frau, deren Hütte bei Regensburg unweit der Donau läge. Zu ihr sollten sie sich begeben und sie um ihre beiden Ochsen für etliche Tage bitten und die Tiere vor seinen Leichenwagen spannen. Lenken sollte sie niemand und wohin sie von selbst gingen und stille stünden, möchte man ihn beerdigen. Der heil. Sebald verschied. Die Freunde gingen alsobald zu jener Frau, aber diese fragte in verwunderlichem Tone, wer denn der Herr Sebald wäre? Jene baten und sie erinnerte sich, dem Heiligen sich zu einem Dienste erboten zu haben, aber doch nur bei seinen Lebzeiten. Sie schlug es ab, da sie einem Lebenden gern einen Gefallen täte, in Aussicht eines Gegendienstes, aber nicht einem Toten, bei dem auf nichts zu rechnen wäre. Kaum hatte das undankbare Weib so gesprochen, so brachen die wütigen Stiere die Stalltüre auf und rannten davon. Die beiden Heiligen schüttelten den Kopf und dachten, daheim andere Ochsen zu mieten. Aber zurückgekehrt sahen sie die entronnenen Tiere am Leichenwagen, die sich wie Lämmer anspannen ließen. Sich überlassen schweiften sie hin und her und lenkten dann nach Nürnberg ein. Vor der Petrikapelle blieben sie stehn, legten sich dann hin und standen nicht mehr wieder auf. Da ruht nun und rastet der heil. Sebald gar gnädiglich.

Wenn er nach dem Tode rastet, wandte ich ein, so verleugnet er ja der Heiligen Art.

So war es nicht gemeint, fuhr der Erzähler wieder fort. Sogleich als er beerdigt und ein erbärmliches Häuslein von Holz über seinem Grabe zusammengeschlagen war, konnte er nicht zur Ruhe kommen, bis auf seine Veranstaltung dasselbe nebst der Petrikapelle vom Blitz eingeäschert wurde. Da sah man ein, was für einen mächtigen Gast man aufgenommen hatte, und legte seinen Leichnam in einen übergroßen Sarg von echtem Silber und darüber führte man die allgewaltige Sebaldskirche auf. Jetzt läßt er es sich bei uns wohl gefallen und alle Gute und alle Böse erhalten von ihm ihren Lohn. Die reichen Leute legen in seine Sparbüchse Geld, das er unter die Bettler verteilt, und die Armen opfern ihm Brot, Früchte, Wachs und was sie haben. Und er weiß es ganz gut, wie es jeder Geber meint. Da war ein übermütiger Soldat, der brachte ihm Wein und goß denselben in den Sarg, damit der Heilige ihn tränke, ehe er verdürbe. Als jener das tat, streckte der heil. Sebald die Totenhand aus und zeichnete ihn dermaßen, daß Ihr noch auf seiner Backe die fünf Finger sehen könntet, wenn er noch lebte. Ein Bauerknecht sollte einst für seine Herrschaft einen Käse auf des Heiligen Grab legen. Da er aber sah, daß mehr als ein Käse schon geopfert, aber keiner angerührt war, so meinte er, es klug zu machen, indem er seinen Käse behielt und einen ganz ähnlichen Stein dem heil. Sebald vorsetzte. Der Bauer biß darauf in den Käse, aber brach sich sogleich zwei Zähne aus, denn es war ein Stein. Er verwunderte sich, daß er anstatt einen andern, sich diesmal selbst betrogen hätte, schlich in die Kirche und wechselte heimlich die Gaben. Aber der neue Käse war nicht minder hart und er verlor wieder ein paar Zähne. Er vertauschte ihn von neuem, allein er mußte wieder büßen. Als er keine Zähne mehr hatte, gönnte er dem heil. Sebald den Käse und warf den Stein dahin, woher er ihn genommen. Den Frommen läßt er es aber wohl ergehn. Es war, als mein Urgroßvater lebte, daß eine arme Frau mit ihrem bereits gestorbenen Kinde in die Kirche lief und bat den Schutzpatron, es lebendig zu machen. Und horch! als der Priester das Amt hielt, so erwachte das Kind und sagte ganz laut: Amen! obgleich es erst drei Monate zählte. Er ist ein Freund aller Notleidenden und das solltet Ihr nicht glauben, daß der ehrbar züchtige Herr Sebald den Weibern auch in Kindesnöten beisteht.

Lieb war es mir, daß das Gerassel auf dem Steinpflaster des Fuhrmanns Redeschwall hemmte und wir endlich in das Tor, unfern dem Schloßzwinger, einzogen. Ich fragte am Tor, was die Uhr wäre, und vernahm, da es doch noch Vormittag war, daß die Glocke eben zwei geschlagen hätte. Mich wollte bedünken, als wenn ich in eine Narrenstadt käme. Nachmals erfuhr ich, daß hier die italienische Uhr gelte und daß im Augustmond zwei Uhr bei uns neun Uhr des morgens wäre. An Narretei fehlte es indes nicht und mir war es, als wenn die ganze Stadt ein Ballsaal wäre und wenn die Bürgerschaft aus nichts denn ausgelassenen Buben bestünde. Überall wurde gegeigt und getrommelt und überall gab es Schmaus und Tanz. Leute, die schon erwachsen waren, umzingelten in buntscheckigen Anzügen mit LarvenIn der Handschrift »mit Schönbärten«, d.h. Larven mit Bärten, wahrscheinlich für Scheinbärte meinen Wagen und taten allerlei närrische Fragen. Anfangs war mir die Neckerei ärgerlich, dann aber freute ich mich mit dem Fuhrmann, der die Hände lachend in den Seiten stemmte. Ich wandte mich zu ihm, er möchte den nächsten Weg zum Herrn Hans Imhoff fahren. Das konnte er aber beim besten Willen nicht, denn auf allen freien Plätzen und da, wo größere Straßen sich durchschnitten, waren Lauben errichtet mit bunt bebänderten Tannenkronen, in denen bald gezecht und getafelt, bald zur Schalmei getanzt wurde. Endlich war mit nicht geringer Mühe das bestimmte Haus erreicht. Es ward angeklopft, aber nicht aufgetan. Nach langem Warten erklärte uns eine mitleidige Nachbarin, daß der Herr Imhoff mit all den Seinigen nach Neunhof gefahren wäre und vor Abend nicht zurückkehren würde. Eine wahre Hiobsbotschaft! Der Kutscher kehrte sich ruhig nach mir um mit dem Worte: Das hätte ich Euch vorher sagen können, denn am Sebaldustag ist niemand zu Hause. Die Vornehmen fahren aufs Land und die Armen schlendern auf der Straße umher. Wenn Ihr wollt, hochverehrter Herr, so tränke ich hier ein wenig die Pferde und fahre Euch nach Neunhof. Es liegt nur eine Meile von hier. Dort verlustiert sich der Herr Imhoff bei seinem Schwiegervater, dem alten Herrn Pirckheimer. Nein! rief ich ärgerlich, fahrt mich in die erste beste Schenke! Die erste und beste Schenke, erwiderte der Fuhrmann, ist auf dem Rathausplatz die goldene Rose. Da geht es ganz anständig her. Von neuem trieb er die Pferde an und, obgleich ich manche Ungemächlichkeit erfahren, so riß doch der Jubel, der alle Gesichter rings verklärte, mich mit in den Strudel der Lust und die goldene Rose auf dem Schilde der mir bestimmten Herberge galt mir als ein glückliches Wahrzeichen. Und die Ahnung täuschte mich nicht.


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