August Hagen
Norika
August Hagen

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Vorbericht des Verfassers Jacob Heller.

Es war in der Charwoche, als ich in der Dominikanerkirche in meiner Vaterstadt Frankfurt am Altar kniete und Gott um Vergebung meiner Missetat flehte. Ich kniete auf dem Steine, der die Begräbnisstelle meiner entschlafenen Gattin deckt. Mit Tränen im Blicke schaute ich zu dem Altarbilde empor, dessen Türen, wie dies an Festtagen geschieht, geöffnet waren. Die Türen, von beiden Seiten bemalt, stellen Gestalten von Heiligen dar, so schön, daß das Auge, wenn es nicht auf dem noch schöneren Mittelbilde weilt, nicht von jenem hinwegzuwenden vermag. Nie stimmte mich wehmutsvoller und andächtiger der Anblick der verklärten Jungfrau Maria, wie sie frei von zeitlicher Beschränkung in einem Chor lieblicher Kindesengel zum Himmel emporschwebt. Nicht weniger sehnsüchtig und trauernd blickte ich zu ihr, als unten auf dem Gemälde die Schar der Apostel, die um ihr Grab versammelt sind. Oft hatte ich das Kunstwerk mit Liebe und Bewunderung betrachtet, da ich es selbst in die Kirche gestiftet, aber nach jenem Eindrucke, als ich zuerst desselben ansichtig ward, war ich von seiner Schönheit niemals tiefer bewegt.

Da ich so ganz meinen Empfindungen mich hingab, zupfte es mir am Ärmel und ich erblickte meinen lieben Sohn, der mir nach der Kirche nachgeschickt war. Was bringst du mir, lieber Wilibald? fragte ich ihn. Einen Brief aus Nürnberg, war seine Antwort, einen Brief von meinem Paten, auf den Ihr lang gewartet habt! Da ich nach dem Briefe griff, zog er ihn wohlmeinend zurück und zögerte, ihn mir auszuhändigen. Ich nahm ihn und bemerkte ein schwarzes Wachssiegel. Nachdem ich einen kleinen Schauer überwunden, durchflog ich den Brief, tiefgebeugt von seinem Inhalt. Albrecht Dürer, hub ich darauf an, du wandelst nicht mehr unter den Sterblichen, der in dieser Himmelfahrt Mariens so ganz aussprach, was er fühlte, herrlicher, frommer Meister! In der Charwoche betrauerte die Kunst den Tod Raphael Ganzios und in der Charwoche schiedest du auch hin, sein Freund, der noch sterbend seinem Vorbilde folgte.

Ich dachte an Albrechts Tod und aller Meister, die vor zehn Jahren bei einem zweimaligen Aufenthalt in Nürnberg mir Beweise rührender Liebe ablegten und die nun nicht mehr waren. Der Tag des Herrn war diesmal mehr, als je, mir eine ernste Feier schöner Erinnerungen. Wie lange wird es währen, dachte ich bei mir, so habe auch ich die Spanne Land durchschritten und bin mit den vorangegangenen Freunden vereinigt! Mein Sinn stehe jetzt dahin, denen, die mir teuer sind, ein würdiges Vermächtnis zu hinterlassen, außer des Wohlstandes ungewissen Besitztümern. Dies Vermächtnis in der verzagten, lieblosen Zeit, die sich schämt, die von Furchen entstellte Stirne der Freude zu entfalten, sei das wahrhafte Geständnis, daß ich glücklich lebte, daß man noch auf der Erde glücklich leben könne. Auf daß zweifelnde Gemüter darin Trost, Kraft und Erhebung finden, bin ich entschlossen, die glücklichsten Tage meines Lebens getreu und umständlich abzuschildern.

Im vertraulichen Verkehr mit den ersten Gelehrten und Künstlern, die je lebten, umgeben von den herrlichsten Kunstwerken, die je entstanden, war mir in Nürnberg ein irdisches Paradies aufgetan. Indem ich für meine Angehörigen und Freunde das niederzuschreiben gedenke, was ich oft nach des Tages Müh' an frohen Abenden erzählte, hege ich bei meinem Vornehmen, genau der Wahrheit zu folgen, dennoch die Furcht, hie und da wider Willen von ihr abzuweichen. Denn da ich kein anderes Tagebuch als das der Ausgaben führe, und nur, was von Schriften Merkwürdiges mir vorkam, abschrieb, da ich nach meiner Heimkunft fleißig Briefe von den Künstlern in Nürnberg empfing, die meine Freunde waren, da jeder, der mir einen Gruß von dort brachte, als mein Tischgast genau berichten mußte, was sich im Felde der Kunst begeben, so kann es kommen, daß mein Gedächtnis bisweilen irrt, daß ich nach dem Wert der Künstler den ihrer Werke ermesse, daß ich das früher Geschehene vom später Hinzugekommenen nicht zu scheiden weiß und daß ich das mit eigenen Augen gesehen zu haben glaube, was ich nur durch Hörensagen kenne. Wer mich bis zu Ende, folglich gern erzählen hört, wird mir die Fehler nachsehen, und wer mir nicht sein Ohr leiht, darf mir keinen Vorwurf machen.


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