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XIX.
Am Ende der Welt

Expedition nach Horton Plains. – Kulitroß. – Patnas. – Zusammensetzung der Urwälder. – Rillu-Wälder. – Rasthaus von Horton Plains. – Präriebrände. – Waldeinsamkeit. – Tierleben im Urwald. – Totapella-Pik. - Felsenschlucht am Ende der Welt. – Zusammentreffen mit wilden Elefanten. – Die Kaffepflanzungen von Ronpareil. – Farnbäume.


 

Die ausgedehnte und unbewohnte Hochebene, die sich von Nurellia südwärts bis gegen den Rand des großen Zentral-Plateaus von Ceylon ausdehnt, und an deren nördlicher Grenze der Hakgallagarten als vorgeschobener Posten ganz isoliert liegt, führt ihrem Entdecker, Lord Horton, zu Ehren den Namen Horton-Plain's. Der größte Teil derselben ist noch heute mit dichtem Wald bedeckt, abwechselnd mit trockenen oder sumpfigen Grasflächen, den sogenannten Patnas. Die Beherrscher dieser Wildnisse sind Leoparden, Bären und wilde Elefanten. Der wellenförmige Rücken des Plateaus wird von zahlreichen Bächen durchschnitten, zwischen denen sich flach gewölbte Hügel erheben, hier und da auch einzelne höhere Berge von 7000 bis gegen 8000 Fuß Meereshöhe. Am südlichen Rande fällt das Plateau fast überall äußerst steil ab, und der wildeste Teil dieses schroffen Absturzes führt den charakteristischen Namen »World's End«, das Ende der Welt. Gegen 5000 Fuß hoch fallen die jähen Felswände hier anscheinend senkrecht hinab und gewähren einen wunderbaren Blick in die üppigen Täler des südlichen Tieflandes, die sich unmittelbar zu ihren Füßen ausdehnen. Dieser merkwürdige Ort ist als der wildeste Teil der ganzen Insel berühmt, wird aber nur selten von Europäern besucht.

Nicht weit von diesem romantischen Punkte liegt, mitten in der einsamen Wildnis, eine unbewohnte, dickwandige Steinhütte, welche die Regierung als Zufluchtsort für durchreisende Beamte hat errichten lassen: »Horton Plain's Resthouse«. In dieser Hütte beabsichtigte ich mit Dr. Trimen eine Woche zu bleiben und von da aus Exkursionen in die wilde, auch von letzterem noch nie besuchte Umgegend anzustellen. Alle Vorbereitungen dazu waren getroffen, der Schlüssel des Rasthauses und die Erlaubnis des Gouverneurs in unsren Händen, und so brachen wir denn wohlgemut und voller Erwartung am frühen Morgen des 20. Februar von Hakgalla auf.

Da wir nicht allein den nötigen Proviant für acht Tage, sondern auch Betten, Decken, Zelte, Waffen usw., sowie eine Menge Apparate und Gefäße zum Sammeln von Pflanzen und Tieren mit uns zu nehmen hatten, so brauchten wir für den Transport dieser Dinge nicht weniger als zwanzig Träger. Außerdem hatte ein jeder von uns beiden noch seinen besonderen Diener und Dr. Trimen mehrere Leute aus dem Peradeniagarten zum Sammeln und Präparieren von Pflanzen bei sich. Diese letzteren waren braune Singhalesen, die übrigen meistens schwarze Malabaren oder »Tamil-Kulis«. Mit Einschluß eines Koches und eines Führers belief sich unsre Gesellschaft auf nicht weniger als dreißig Mann.

Wie immer in Indien, wenn ein so großer Troß sich in Bewegung setzen soll, vergingen mehrere Stunden, ehe alles in Ordnung war. Obgleich wir schon vor Sonnenaufgang gerüstet waren und unterwegs sein sollten, fehlte an unsrer Bagage doch bald dies, bald das. Als endlich sämtliche dreißig Leute gerüstet beisammen waren, und der Abmarsch beginnen sollte, machte der »Hühner-Kuli«, der einen großen Korb mit ein paar Dutzend Hühnern trug, einen Fehltritt, und durch eine geöffnete Lücke des Korbes entwischten ein paar Hennen unter lautem Gackern. Das war das Signal für alle Kulis, sofort ihre aufgepackte Last vom Kopfe zu werfen und sich unter lautem Geschrei an der allgemeinen Jagd auf die entwischten Flüchtlinge zu beteiligen. Kaum waren diese eingefangen, wieder eingesperrt und der Abmarsch aufs neue begonnen, als ein zu fest gepackter Reissack platzte und seinen weißen Körnerinhalt auf den Boden entleerte. Abermaliges Signal zu allgemeinem Stillstande und zur Beteiligung am Einsammeln des Reifes. Diese Pause benutzten einige Hühner, um durch eine neuentdeckte Lücke des Hühnerkorbes abermals zu entschlüpfen und auch ihrerseits Reiskörner zu sammeln, aber direkt in den Magen. Nun ging die lustige Jagd erst recht los, und abermals verrann eine halbe Stunde, ehe alles wieder in Ordnung war. Ähnliche Szenen wiederholten sich am Tage noch mehrmals, und so war es kein Wunder, daß wir mehr als volle zwölf Stunden gebrauchten, um den Marsch von zwanzig englischen Meilen, von Hakgalla bis zum Rasthaus, zurückzulegen. Es war ein Glück, daß unser Marsch den ganzen Tag vom schönsten Frühlingswetter begünstigt war: denn bei heftigem Regen wären wir hier schlimm angekommen.

Der einsame und selten betretene Pfad, der dahin führt, durchschneidet abwechselnd dichten Urwald und ausgedehnte offene Grasflächen oder Patnas. Beide sind fast überall vollkommen scharf abgegrenzt. Denn die trockenen hohen Hartgräser, die vorwiegend die Patna zusammensetzen, wachsen so äußerst dicht gedrängt, und ihre Rasen bilden so undurchdringliche Wurzelgeflechte, daß sie im Kampfe ums Dasein die sämtlichen riesigen Bäume des Urwaldes besiegen und daß jeder Keim der letzteren, der aus den zahlreich ausgestreuten Samen zwischen den Gräsern emporzustreben beginnt, alsbald von diesen erstickt wird. Nur ein einziger Baum besteht diesen Kampf bisweilen siegreich, und man sieht seinen hohen Stamm mit dunkelgrüner Schirmkrone oft einzeln mitten aus den Patnas hervorragen; es ist die Bergmyrte, mit giftigen, birnförmigen Frachten ( Careya arborea). Fast alle Gräser liefern ein schlechtes Viehfutter und zeichnen sich durch trockene, harte und rauhe Blätter, scharfe und spröde Stengel aus, viele zugleich durch aromatischen Geruch. Teils sind es echte Gramineen, teils Cyperazeen und Restiazeen.

Der dichte Hochwald, der mit diesen Patnas abwechselt und gewissermaßen große unregelmäßige Inseln in dem ausgedehnten Graslande bildet (ähnlich wie in den Prärien von Nordamerika), besitzt denselben ernsten und düsteren Charakter, der alle Wälder des Hochlandes, von Adams-Pik bis hinüber zum Pedura, auszeichnet. Obwohl die Bäume derselben sehr zahlreichen verschiedenen Arten und Gattungen angehören, stimmen sie doch in der allgemeinen Physiognomie meistens sehr überein; und da Blüten und Früchte oft fehlen, hält es sehr schwer, sie zu unterscheiden. Die Blätter sind meistens lederartig, oben dunkel braungrün oder schwärzlich grün, oft glänzend; unten heller, häufig graugrün, silber- oder rostfarben. Die starken knorrigen Stämme sind mit gelben Moosen und Flechten oft ganz umwickelt und außerdem mit Massen von Schmarotzern bedeckt, unter denen sich Orchideen und Leguminosen durch ihre prächtigen Blüten auszeichnen.

Horton Plain's Resthouse liegt eben so hoch, wie der Gipfel des Adams-Pik, 7200 Fuß; mithin tausend Fuß höher als das Becken von Nurellia. Diese Steigung fällt größtenteils aus die zweite Hälfte des Weges, während die erste Hälfte sich in wellenförmigem Hügellande, abwechselnd bergauf und bergab bewegt. Ungefähr in der Mitte zwischen beiden stießen wir aus einige leere Rohrhütten, die von einer Jagdgesellschaft vor einiger Zeit errichtet waren, und hier wurde eine Stunde Mittagsrast gehalten. Einige wilde Bergbäche abgerechnet, die wir aus übergelegteil Baumstämmen überschritten, bot der Weg keine besonderen Schwierigkeiten.

Sobald wir nach Überwindung einer steilen, von einem schönen Wasserfalle durchrauschten Schlucht die höhere Stufe des Plateaus erklommen hatten, begannen die charakteristischen Nillu-Wälder, der Lieblingsaufenthalt der wilden Elefanten. Die großen, zum Teil ganz frischen Dunghaufen derselben, die hier überall zerstreut lagen, sowie das niedergetretene Gebüsch bewiesen zur Genüge, wie häufig ihre Herden hier noch sein mußten. Da wir alle Augenblicke auf eine solche stoßen konnten, bemächtigte sich des ganzen Kulitrosses eine große Aufregung, und während die Träger vorher in kleineren Gruppen weit auseinander zerstreut gewandert waren, schlossen sie sich nun eng zusammen und gingen auf dem schmalen Pfade im Gänsemarsche dicht hintereinander, in einer langen Linie.

Die Nillu-Wälder, die ich hier in Horton Plain's in der größten Entwicklung und Ausdehnung antraf, bilden eine sehr eigentümliche Waldformation und führen ihren Namen von verschiedenen Arten der Akanthazeengattung Strobilanthus, von den Eingeborenen Nillu genannt. Sie sind das bevorzugte Lieblingsfutter der Elefanten: meistens dünne, schlanke Stämmchen von 15-20 Fuß Höhe, in dicht gedrängten Garben nebeneinander wachsend und oben mit hübschen Blütenähren geschmückt. Die schönste von ihnen ( St. pulcherrimus) zeichnet sich durch prächtig karmoisinrote Färbung der Stengel und Blütenrispen aus, und da sie in dichten Massen das ganze Unterholz des Hochwaldes bildeten, brachten die durchfallenden Strahlen der sinkenden Abendsonne in ihnen einen wundervollen Effekt hervor. Die Elefanten fressen sich durch dieses dichte Unterholz förmlich hindurch. Einer geht immer dicht hinter dem andren; alles Gebüsch, das nicht gefressen wird, wird flach niedergetreten, und wenn eine Herde von zwanzig oder dreißig solchen Kolossen hintereinander durch den Urwald marschiert ist, hat sie eine glatte Straße von einem Meter Breite gebahnt, wie man sie hier nicht angenehmer sich wünschen kann. Solche Elefantenstraßen waren es, auf denen wir in den nächsten Tagen uns fast ausschließlich bewegten, und nur mit ihrer Benutzung konnten wir mehrere sehr interessante Exkursionen ausführen. Freilich sind aber die bequemen Straßen auch nicht ungefährlich. Denn wenn man auf einer solchen plötzlich einer Elefantenherde begegnet, ist an Ausweichen nicht zu denken, und man muß daher stets auf der Hut sein.

Die Sonne war bereits untergegangen, und es wurde schon ziemlich dunkel, ehe wir beim Austritt aus einer Waldinsel auf die freie Patna in der Entfernung einer Meile des ersehnten weißen Rasthauses ansichtig wurden. Neuer Mut durchdrang die ermattete und zum Teil schon recht niedergeschlagene Gesellschaft. Aber wir mußten noch einen tiefen Taleinschnitt hinab- und heraufklettern, um zu dem auf der jenseitigen Lehne gelegenen Rasthause zu gelangen. In der Tiefe dieses Einschnittes toste ein wilder Bach, über den anstatt der Brücke ein übergelegter Baumstamm führte. Wir waren recht froh, als endlich der ganze Troß im Dunkeln glücklich diesen gefährlichen Weg passiert hatte, und wir wohlbehalten am ersehnten Ziele waren. Rasch wurden Feuer angemacht, die öden Räume der einsamen Steinhütte so behaglich als möglich hergerichtet, und der Reis nebst Hühner-Curry mit einem Appetit verzehrt, der den Anstrengungen des Tagesmarsches entsprach. Die Temperatur, die mittags in der Sonne gegen 30º R betragen hatte, war jetzt auf 8º gesunken, und wir fühlten uns daher drinnen am Kaminfeuer, in wollene Decken eingewickelt, sehr behaglich, während unsre Kulis, draußen im halboffenen Schuppen gelagert, an die großen Feuer so nahe heranrückten, als ohne Verbrennung möglich war.

Das Wetter blieb während unsres Aufenthaltes in Horton Plain's Rasthaus fortwährend schön und begünstigte die interessanten Ausflüge, die wir in die wilde Umgebung dieser weltentlegenen Einsiedelei machten. Die erfrischende Hochgebirgsluft wirkte außerordentlich anregend; nur unsre arme Haut, durch die gleichmäßige feuchte Hitze des Tieflandes sehr verwöhnt, hatte viel zu leiden. Gesicht und Hände sprangen so auf, wie bei uns mitten int Winter, teils infolge der ungewohnten Trockenheit der dünnen Luft, teils auf Grund der starken Ternperaturwechsel. Während das Thermometer in den heißen Mittagsstunden (im Schatten) auf 24-26º R stieg, fiel es nach Mitternacht auf 3-4º, und morgens früh fanden wir die Patnas vor uns mit Reif bedeckt. Dichter Nebel lagerte dann auf Berg und Tal, sank aber bald wieder und machte dem strahlendsten Sonnenscheine mit tiefer Himmelsbläue Platz. Nachmittags bildeten sich gewöhnlich dicke Haufwolken, ohne daß es jedoch zum Regen kam; sie gruppierten sich zu phantastischen Massen, welche die untergehende Abendsonne mit den prachtvollsten Farben schmückte.

Wie das Wetter hier im Februar mich sehr an einen: schönen Spätherbst in der deutschen Heimat erinnerte, so hatte auch die ganze Hochgebirgslandschaft, gegenwärtig schon dem Ende der sogenannten »trockenen Jahreszeit« entgegengehend, einen vorwiegend herbstlichen Charakter. Die dichten Grasdecken der Patnas waren: großenteils vertrocknet, mehr gelb und braun als grün gefärbt. Lange Strecken derselben waren auch braun und schwarz, mehr oder weniger verkohlt. Die singhalesischen Gebirgshirten, die jährlich auf einige Monate mit ihren Herden hier herauf kommen, haben nämlich die Gewohnheit, vor Eintritt der Regenzeit die Grasflächen anzuzünden und niederzubrennen, um dadurch das Grasland zu verbessern. Wir genossen jeden Abend das prachtvolle Schauspiel dieser ausgedehnten Präriebrände, die sich bei dem wellenförmigen Hügelterrain der Hochebene und inmitten der dunklen Wälder, die die Patnas umschließen, doppelt großartig ausnahmen. Bald kroch die rote Flamme im Zickzack gleich einer feurigen Riesenschlange an den Bergkanten hinauf; bald ergriff sie, rasch sich ausbreitend, eine größere Fläche trockenen Grases und schuf ein Flammenmeer, dessen roter Glanz von den düsteren Wäldern des Hintergrundes und den dunkeln Wolkenmassen des Firmamentes zurückgeworfen wurde. Dann wieder stiegen Hunderte von kleinen weißen Rauchwolken aus den Patnas aus, als ob heiße Geisirquellen aus dem Schoße des Gebirges hervorbrächen; und die roten hellen Feuerstreifen, welche dieselben blitzartig durchzuckten, vermehrten die vulkanische Illusion.

Obgleich wir jeden Abend vom Rasthause aus an dem wechselnden Feuerwerke dieser Grasbrände uns ergötzten, so bekamen wir doch niemals die Urheber derselben, die singhalesischen Hirten, zu Gesicht; und die vollkommene Einsamkeit, deren wir uns hier erfreuten, wurde durch keine menschliche Figur gestört.

Wir feiern in unsrer deutschen Poesie die herrlichen Reize der »Waldeinsamkeit« und entschädigen uns durch deren Illusion für die zahlreichen Qualen, die unser verschrobenes Kulturleben uns tagtäglich auferlegt. Was ist aber unsre eingebildete deutsche » Waldeinsamkeit« (im besten Falle wenige Meilen vom nächsten Dorfe entfernt) gegenüber der wahren und unergründlichen Waldeinsamkeit, die hier die alten Urwälder im Hochlande von Ceylon uns darbieten? Hier sind wir sicher, in Wahrheit ganz allein mit der ursprünglichen Natur zu sein. Ich werde niemals die Wonne der stillen Tage vergessen, die ich hier in den dunkeln Wäldern und auf den sonnigen Grasflächen »am Ende der Welt« zubrachte. Da mein Freund Trimen, mit besonderen botanischen Aufgaben beschäftigt, meistens seine eigenen Wege ging, durchstrich ich diese unberührten Wildnisse teils ganz allein, teils nur von einem schweigsamen schwarzen Tamil-Kuli begleitet, der mein Gewehr und Malzeug trug.

Der tiefe Eindruck absoluter Einsamkeit, den diese abgelegenen Wälder im Hochgebirge von Ceylon hervorbringen, wird nicht wenig dadurch verstärkt, daß das Tierleben in denselben auffallend wenige Äußerungen darbietet. Allerdings sind wilde Elefanten auch heute noch die Könige dieser Wälder. Aber nur ein einziges Mal bin ich ihnen hier wirklich begegnet, und die großen Russa-Hirsche oder »Elke« ( Russa Aristotelis), die hier noch sehr häufig sein sollen, habe ich zwar mehrmals gehört, aber niemals gesehen. Auch von den Lippenbären und Leoparden, den gefürchteten Raubtieren dieser Wälder, habe ich keinen zu Gesicht bekommen. Diese und die meisten andren Bewohner derselben sollen vorzugsweise oder ausschließlich eine nächtliche Lebensweise führen und sich tagsüber im kühlen Dickicht versteckt halten. Selbst die großen grauen Affen ( Presbytis ursinus), die hier zahlreich sind, habe ich nur selten sehen können, obwohl ich ihre grunzende Stimme am frühen Morgen oft hörte.

Die klagenden melancholischen Stimmen einiger Vögel, insbesondere der schönen grünen Waldtauben und Bienenfresser, hört man meistens auch nur am frühen Morgen. Später ist gewöhnlich das bunte Waldhuhn der einzige Vogel, der sich hören läßt. Dieser prächtige Gallus Lafayetti steht dem vermutlichen Stammvater unsres Haushuhnes ganz nahe. Der Hahn zeichnet sich durch bunt glänzendes Gefieder, schönen rotbraunen Halskragen und grünen Sichelschwanz aus, während die Henne ein unscheinbares, graubraunes Federkleid besitzt. Die klangreiche Stimme des wilden Hahnes, viel melodischer als das Kikeriki seines kultivierten Vetters, hörte ich oft stundenlang im Walde, bald näher, bald ferner; denn die rivalisierenden Hähne führten ihren musikalischen Wettkampf um die Gunst der kritischen Hennen mit großem Eifer aus. Zum Schusse konnte ich aber trotzdem selten kommen; denn sie sind so scheu und vorsichtig, daß beim leisesten Geräusch das Konzert verstummt, und sobald ich einmal einen geschossen hatte, blieb der Wald lange Zeit mäuschenstill.

Oft saß ich hier, mit Malen beschäftigt, stundenlang auf einem alten Baumstamme, ohne einen einzigen Laut zu vernehmen. Wie das Vogelleben, so ist auch das Insektenleben, die Ameisen ausgenommen, auffallend arm, und namentlich von Schmetterlingen und Käfern sieht man nur sehr wenige, meist unansehnliche Formen. Das leise Summen schwebender Waldfliegen ist oft der einzige Laut, der neben dem Gemurmel eines kleinen Baches oder dem Rauschen des vom Winde bewegten Laubes das tiefe Schweigen des Gebirgsgeistes unterbricht.

Um so größer ist der Eindruck, den die phantastischen Baumformen des Urwaldes hervorbringen, die knorrigen, wild durcheinander gewachsenen Stämme, deren zackige Äste mit fußlangen Bärten von rotgelben Moosen und Flechten geschmückt sind, und von deren breiten Schultern glänzend grüne Mäntel von Schlingpflanzen herabhängen. Oft sind die Stämme unten mit den weißen oder bunt gezeichneten duftreichen Blüten parasitischer Orchideen geziert, während oben über ihrer schwarzgrünen Krone Schmarotzerpflanzen verschiedener Familien ihre bunten Blüten entfalten. Eine ganz besondere Dekoration dieser Wälder bilden die zierlichen schlingenden Bambusen ( Arundinaria debilis). Ihre schlanken, dünnen Rohrhalme klettern hoch oben in die Bäume hinauf und hängen von deren Zweigen senkrecht, gleich Ampeln, herab, auf das zierlichste mit Quirlen von frischgrünen Blattbüscheln geschmückt. Den größten Schmuck bilden aber auch hier wieder, wie allenthalben im Hochlande, die prachtvollen, baumartigen Alpenrosen ( Rhododendron arboreum) mit den Riesenbuketts ihrer hochroten Blüten. Demnächst sind die wichtigsten Bäume dieser Hochlandwälder verschiedene Lorbeer- und Myrtenbäume, namentlich Eugenien, ferner Rubiazeen und Ternstroemiazeen. Dagegen vermißt man gänzlich die gewöhnlichen Baumformen unsrer europäischen Wälder und vor allen die Nadelhölzer. Diese wichtige Familie fehlt merkwürdigerweise auf Ceylon ganz.

Das schönste Gebirgspanorama, das wir bei unsren Exkursionen auf Horton Plain's zu Gesicht bekamen, genossen wir auf dem Gipfel des Totalpella-Pik, den wir am 22. Februar beim prächtigsten Wetter bestiegen. Derselbe ist 7800 Fuß hoch und liegt nahe dem östlichen Rande des Plateaus. Von seinem schwach bewachsenen Gipfel, der mit prächtigen roten Melastomen ( Osbeckia buxifolia) geziert ist, genießt man einen weiten freien Blick nach allen Seiten, nördlich auf die Gebirge voil Nurellia, Pedura und Hakgalla; östlich auf die Hügellandschaft von Badula und den Namuna-Pik; südlich auf die Grenzmauern vom »Ende der Welt« und westlich auf den Adams-Pik. Auch der Zugang zu diesem schönen Berggipfel wurde uns größtenteils nur dadurch möglich, daß wir ausgetretenen Elefantenpfaden folgten; wo diese fehlten, mußten unsre Kulis mit der Axt uns den Weg durch das dicht verwachsene Unterholz bahnen.

Am 24. Februar besuchten wir das eigentliche » Ende der Welt« (» World's End«), jene berühmte, aber selten besuchte großartige Felsenschlucht, in welcher der Südabhang des Hochlandes gleich einer senkrechten Mauer über 5000 Fuß in das Tiefland hinabstürzt. Der gewaltige Anblick dieses ungeheuren Abgrundes wirkt um so überraschender, als man nach zweistündiger Wanderung durch dichten Wald plötzlich beim Austritt aus demselben die gähnende Tiefe unmittelbar zu Füßen hat. Wie feine Silberfäden schlängeln sich die Flüsse unten durch den grünen Sammetteppich des Talbodens, in dem man mittels des Fernrohres hier und da das Bungalow einer einzelnen Pflanzung erkennt. Von den oberen Rändern der Felsenschlucht, die mit prächtigen Baumfarnen geziert sind, stürzen Wasserfälle herab, die sich (ähnlich dem »Staubbache« im Lauterbrunner Tale) vollständig in feinen Nebel auflösen, ehe sie unten ankommen.

An dieser wildesten und großartigsten Stelle von Ceylon war es, wo ich auch zum ersten und einzigen Male wilde Elefanten in voller Freiheit erblickte, nachdem ich sie zuvor schon bei der Elefantenjagd von Lambugama in den Korral hatte treiben sehen. Ich wurde zuerst auf sie aufmerksam durch das Knistern gebrochener Zweige mitten im Waldesdickicht, ungefähr fünfzig oder sechzig Fuß unterhalb der vorspringenden Felsplatte, auf der ich stand. Beim genauen Zusehen entdeckte ich in den wogenden grünen Massen des Dickichts eine Elefantenherde von zehn bis zwölf Stück, die in aller Ruhe ihr Nillufrühstück einnahm. Außer den Köpfen und den emporgestreckten Rüsseln, mit denen sie die Zweige umbogen und abbrachen, war von den meisten wenig zu sehen. Nachdem ich mich eine Zeitlang an dem seltenen Anblick geweidet, feuerte ich von meinem sicheren Hinterhalte aus auf die nächststehenden Elefanten die beiden Schüsse meiner Doppelflinte ab, natürlich ohne sie irgend zu verwunden, da letztere nur mit Rehposten geladen war. Die Antwort waren die lauten Trompetentöne, die überraschte Elefanten stets ausstoßen, dann ein lautes Krachen in den dichten Baummassen, welche die gewaltigen Tiere wie Rohr niedertraten, und in wenigen Minuten war die ganze davoneilende Herde hinter der nächsten Felsenecke verschwunden.

Vom »Ende der Welt«, das zugleich das Ende unsrer höchst interessanten Hochgebirgsreise war, stiegen wir auf einem steilen, vielgewundenen Serpentinenpfade durch die prachtvollsten wilden Waldschluchten hindurch in fünf Stunden nach Nonpareil hinab, der nächsten Kaffeepflanzung, die am weitesten in diese Einöden emporgedrungen ist. Dieselbe gehört Kapitän Bayley, demselben unternehmenden Manne, dessen prächtiges Miramare in Puntogalla ich früher erwähnt habe. Bei seinem Sohne und Verwalter fanden wir die freundlichste Aufnahme. Wir hatten die Absicht gehabt, am Nachmittage desselben Tages noch weiter bis Billahuloya, dem ersten Dorfe dieses Tales, hinabzusteigen; allein, als wir nach einem vortrefflich mundenden Mittagessen um 4 Uhr weiter wandern wollten, brach ein so gewaltiger Gewitterregen los, daß wir gern der dringenden Aufforderung unsrer werten Gastfreunde entsprachen, die Nacht bei ihnen zu bleiben.

Nachdem der Regen gegen 5 Uhr aufgehört hatte, erfreuten wir uns noch eines herrlichen Abends. Wir besichtigten die großartige, musterhaft angelegte Pflanzung und machten einen Spaziergang durch deren schöne Schluchten. Hunderte kleiner Wasserfälle, die den heftigen Güssen ihren momentanen Ursprung verdankten, stürzten allenthalben von dem steilen Felswänden herab. Die prachtvolle Waldvegetation, welche die engen Schluchteil erfüllte, glänzte im frischesten Grün, und namentlich die herrlichen Girlanden der Schlingpflanzen, die von den mächtigen Schultern der hohen Bäume gleich grünen Mänteln herabhingen, erregten aufs neue unser Entzücken. Muntere Affen übten auf denselben ihre Seiltänzerkünste. Ganz besonders aber bewunderten wir die prächtigen Baumfarne ( Alsophila), diese Palmen der Hochlandsschluchten. Ihre schirmförmigen, zierlichen Fiederkronen mit den gewaltigen und doch so zarten frischgrünen Wedeln bildeten die schönsten Schattendächer über den schäumenden Wasserfällen, über deren Felsenbecken ihre schlanken, schwarzen Stämme sich zwanzig bis dreißig Fuß erhoben; einzelne Prachtexemplare erreichten hier sogar die seltene Höhe von fünfundvierzig bis fünfzig Fuß und darüber. Es war das letztemal, daß ich mich an solchen großartigen Farnbäumen erfreute; denn weiter unterhalb an den Bächen waren sie viel unansehnlicher und kleiner, und beim weiteren Hinabsteigen in das Tiefland verschwanden sie bald ganz.


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