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Liebste Mutter!

Du kennst am besten die Bedeutung, welche die herrliche, mit den nachstehenden Blättern geschilderte Reise für mich besitzt. Denn Du allein weißt, wie die Freude an den Wunderwerken der Natur mich von früher Jugend an beseelt hat, und wie das Verlangen, deren höchste Entfaltung in den Urwäldern der Tropenzone zu schauen, seit mehr als dreißig Jahren der Lieblingswunsch meines Lebens wurde.

Du allein kennst auch vollständig die vielen Hindernisse, die sich der Erfüllung desselben immer von neuem in den Weg stellten, und niemand kann daher so, wie Du, meine dankbare Freude darüber mit empfinden, daß endlich jener Lieblingswunsch doch noch, trotz aller Schwierigkeiten, in schönster Form sich erfüllte.

Wenn ich daher Dir vor allen diese »Indischen Reisebriefe« widme, so möchte ich damit zugleich einen kleinen Teil des Dankes abstatten, den ich Dir während meines ganzen Lebens schuldig bleiben werde. Denn Du warst es, die von frühester Kindheit an den Sinn für die unendlichen Schönheiten der Natur in mir pflegte und ausbildete: Du hast den heranwachsenden Knaben frühzeitig den Wert der Zeit und das Glück der Arbeit kennen gelehrt: Du hast mit all der unaufhörlichen Sorge und Mühe, die nur in dem einen Worte »Mutterliebe« ihren Ausdruck findet, meine vielfach wechselnden Schicksale beständig begleitet.

Nimm daher in Deiner anspruchslosen Einfachheit diese flüchtigen Reise-Erinnerungen als bescheidenes Angebinde zu Deinem 84 sten Geburtstage ebenso gern an, als ich sie Dir aus treuem Herzen biete, mit dem Wunsche, daß Dir die bis heute bewahrte rüstige Gesundheit des Körpers und des Geistes noch lange erhalten bleiben möge!

In unveränderlicher Liebe

Dein dankbarer Sohn
Ernst Haeckel.

Jena, am 22. November 1882.


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