Friedrich Hackländer
Ein Winter in Spanien
Friedrich Hackländer

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Siebenzehntes Kapitel.
Jaen.

Frühlingsboten. Hitze und Staub. Der Alcazar von Jaen. Quälereien am Thore. Unser Wirth Don Ramiro. Ein schlechtes Souper. Spaziergänge. Aus Rigoletto. Das alte Schloß. Sonntagsleben. Die Kathedrale. Theure Zeche. Abreise nach Granada.

Es war schon ziemlich spät in der Nacht, als wir auf diese Art in Baylen anlangten, alle Häuser waren geschlossen, von Straßenbeleuchtung natürlicher Weise keine Rede, und wir in einiger Verlegenheit, wie wir die Fonda aufsuchen sollten, in welcher sich unser Baumeister Leins befand. Ein paar der Mitreisenden, denen ich den Namen der Fonda nannte, schüttelten die Köpfe und meinten achselzuckend: der Gasthof sei ihnen nicht bekannt. Endlich nahm sich der Mayoral unserer an und gab uns den vernünftigen Rath, mit in seine Fonda zu gehen, und wenn sich dort unser Reisegefährte nicht befände, einen Führer zu nehmen, um ihn zu suchen. So thaten wir denn auch, und als wir in den Hausflur des Gasthofs traten, war das Erste, was wir sahen, unsere Koffer, die dort standen. Also hatten wir uns wirklich im Namen der Fonda geirrt. Bald fanden wir auch den Gesuchten, der uns erwartet, da wir ja ausgemacht hatten, die Nacht durch nach Jaen weiter zu fahren. Ich muß aber gestehen, daß ich für heute genug gethan zu haben glaubte; so und so viele Leguas zu Fuß oder zu Esel, dann die Courierfahrt im spanischen Eilwagen, – wahrhaftig, die Zimmer in der Fonda zu Baylen hätten lange nicht so freundlich zu sein gebraucht, als sie es in der That waren, um uns leicht zum Dableiben zu bewegen. Obendrein hatte uns der Mayoral nur die Plätze oben auf der Kutsche anzubieten, für die ich nie eine Schwärmerei gehabt habe. So ward also beschlossen, die Nacht zu bleiben, um am folgenden Morgen unsern Weg zu Pferde fortzusetzen.

Wir schliefen vortrefflich, besahen an dem andern Tage in der Frühe die Hauptkirche von Baylen und ritten gegen neun Uhr aus dem Thore der alten Stadt, nachdem wir ziemliche Mühe gehabt, die nöthigen Reit- und Packpferde aufzutreiben. Auch war diese Mühe nicht belohnt worden, und wir waren ziemlich schlecht beritten. Wir drei hatten zusammen nur zwei Steigbügel und statt eines ordentlichen Kopfzeuges mit Zügeln waren die Pferde nur mit Halftern und Stricken aufgezäumt. Doch war das Wetter prächtig und schön, der Himmel wolkenlos, der Sonnenschein warm und erquickend, hie und da in geschützten Lagen sah man die Sträucher ihre Knospen treiben und Mandelbäume ihre sanft rothen Blüthen öffnen.

Die Landstraße, auf der wir ritten, war eine würdige Fortsetzung der schönen Straße über die Sierra Morena: breit, glatt, gut unterhalten; sie zog in sanften Schlangen- und Wellenlinien durch ein leicht coupirtes Terrain, jetzt zwischen Saatfeldern hin, dann wieder durch grüne Wiesen. Vor uns am Horizonte, in weiter Ferne, sahen wir Hügel über Hügel sich aufthürmen und einen malerischen Gebirgszug in dunkelblauer Färbung, der die Landschaft abschloß; hinter uns und zur Linken hatten wir die prachtvollen Formen der Sierra Morena, von hier aus gesehen ein stattliches Gebirge, vielmehr eine Terrassenwand von einigen tausend Fuß Höhe auf der andalusischen Hochebene stehend.

Unser heutiger Ritt wäre ohne alle Plage, voll Vergnügen gewesen, wenn uns nicht eines unserer Packpferde beständig zu schaffen gemacht hätte, indem die Koffer und Nachtsäcke fortwährend auf die rechte Seite rutschten und wir sehr häufig halten mußten, um das nothwendige Gleichgewicht wieder herzustellen. Gegen Mittag erreichten wir eine einsam stehende Venta, die übrigens nicht verfallen war, wie wir es in der Mancha fast immer angetroffen, die vielmehr von außen einer deutschen Fuhrmannsherberge so ähnlich sah, daß es uns ordentlich wohl that: Eine halbe Stunde vorher hatte ich auf einem Felde neben der Chaussee mehrere aufsprießende Frühlingsblumen bemerkt, die mich ebenfalls so an die heimathlichen Fluren erinnerten, daß ich abstieg, mir einige Crocus pflückte und sie in meiner Brieftasche verwahrte. Durch diesen Aufenthalt hatten die Andern einen Vorsprung gewonnen, und als ich rasch nachritt, fand ich die Venta, die von weitem gesehen so still und friedlich auf der Höhe des Berges lag, schon zu einem bewegten Lager umgewandelt. Draußen waren Pferde und Lastthiere angebunden, daneben hatte es sich unser Arriero auf dem Boden bequem gemacht, und als ich in das Innere trat, dem großen bekannten Raume, der Küche, Wohn- und Schlafzimmer in Einem ist, fand ich den Maler und den Baumeister in eifriger Verhandlung mit der Wirthin um ein Frühstück, so gut als möglich.

Dasselbe war auch bald bereitet und schmeckte, obgleich ächt spanisch einfach, doch so vortrefflich, daß ich heute noch gerne daran denke; wir bekamen nichts als gutes Brod, geräucherten Speck und faustdicke Zwiebel, dazu aber einen vortrefflichen Rothwein, dem wir stark zusprachen. Waren wir doch warm und durstig geworden! Denn die Sonne, die uns in der Morgenkühle so wohl gethan, fing gegen Mittag an, sehr unangenehm heiß auf uns niederzukommen und uns daran zu erinnern, daß wir uns dem Süden näherten, daß wir in Andalusien waren.

Als wir nach einer halbstündigen Rast weiter ritten, wurde die Hitze wirklich beschwerlich; dabei bot die Straße keinen auch nur linienbreiten Schatten, sie selbst bestand aus zusammengetretenen zermalmten Kalksteinen, deren weißer Staub von jedem Hufschlag unserer Pferde in dichten Massen aufgewirbelt wurde. Und doch hatten wir erst Anfang Februar. Wie muß es hier im Juni oder Juli sein! Einer unserer Arriero's, den ich hierüber halb pantomimisch befragte, gab mir auf dieselbe Art Antwort, wobei er hin und her taumelte, den Kopf tief herabhängen ließ und die Zunge herausstreckte, wie ein Jagdhund zur Zeit der Feldhühner.

Wir ritten meistens schweigend dahin und machten nur zuweilen eine Bemerkung, wenn wir auf einer Höhe der Straße angekommen eine immer schönere Fernsicht hatten. Die Gegend verlor allmälig ihren sanften Charakter, den sie von Baylen bis hieher gehabt; statt durch Felder und Wiesen führte uns die übrigens immer gleich vortreffliche Chaussee durch Strecken Haidelandes und war statt mit Sträuchern und Grün, auf der einen Seite mit einer natürlichen Steinmauer eingefaßt, während sich auf der andern ein mit Felsblöcken bedeckter Abhang in das Thal hinabzog. Auch die Aussicht vor uns hatte ihren Charakter verändert, die Hügel waren verschwunden, und der Gebirgszug, den wir heute Morgen schon gesehen, lag, wenn auch noch fernhin, im weiten Halbkreise vor uns, während wir auf einer Hochebene ritten. – »Der Alcazar von Jaen,« sagte einer unserer Begleiter, während er geradeaus zeigte. Dort konnte ich aber nichts entdecken, als einen eigenthümlich geformten Höhenzug, und selbst das scharfe Auge unseres Malers war noch nicht im Stande, dort ein Mauerwerk von den Felsen zu unterscheiden. Um mich vor den Sonnenstrahlen zu schützen, befestigte ich mein Taschentuch nach Art der Beduinen unter der Reisemütze auf dem Kopf, wie Los Moros, sagte der Arriero lachend. Hatte uns aber der unbewölkte Himmel und die heiße Sonne einen beschwerlichen Tag gemacht, so färbte die letztere auch dafür, als es nun Abend wurde, die Bergketten, welche die alte Maurenstadt Jaen umgaben, auf wahrhaft entzückende Art. Da lagen sie vor uns in den prächtigsten malerischen Formen, in Farben, wie man sie sich nur denken kann, aber nicht wiedergeben. Unten in den Schluchten tiefer Schatten, nur hie und da, wo Gestein zu Tage trat, gelbliche oder röthliche Flecken zeigend, höher hinauf ein tiefes Blau, das allmälig ins Violette überging, eine prächtige Farbenmasse, nur zerrissen und malerisch gestört durch Schlagschatten vorliegender Hügel und Berge. Weiter hinauf aber wurde Alles heller, glänzender, brennender, und entzückt folgten die Blicke dieser Pracht, bis hinauf zu den Gipfeln der Bergkette, die uns das schönste Alpenglühen zeigten – Jaen im Hintergrunde des Kreises, welchen der Gebirgszug bildete, etwas erhöht am nördlichen Abhang desselben gelegen, mußte durch seine Lage eine schöne Aussicht haben auf die Hochebene und die Thäler, durch welche wir heranritten, sowie, vor der Mittagssonne geschützt, kühl und behaglich sein. Ja, sie haben es verstanden, die Alten, die Lage ihrer Städte zu wählen, und die eindringenden klugen Mauren erkannten die Schönheit dieser Ansiedlung, bauten hier nach ihren Begriffen eine königliche Residenz, und schmückten sie, sowie die umliegenden Höhen mit ihren zierlichen, phantastischen, reizenden Bauwerken. Wie müßte ein Nachkomme jenes verständigen, fleißigen Volkes trauern über den Verlust dieser herrlichen Stätten; wie müßte er sein Haupt verhüllen beim Anblick des zerstörten, einst so prachtvollen Schlosses, das hoch über der Stadt auf dem Berge thront; über den Anblick der vielen zierlichen arabischen Brunnen am Wege, die größtentheils zerfallen sind, auf sie, welche ehemals geheiligt waren und jetzt kleinen, halbnackten spanischen Kindern dazu dienen, mit Steinen angefüllt zu werden.

Über Jaen lag Rauch und Duft, und ein Strahl der sinkenden Sonne durch ein Seitenthal dringend warf ein gewaltiges Lichtmeer darüber hin. Bald darauf verblaßte dieses, ebenso wie das Alpenglühen, was uns so sehr entzückt. Die wie in Freude und Lust da stehenden Berge wurden plötzlich kalt und nüchtern; ihr lachender Anblick ernst, ja traurig. Angenehm für uns war es, daß die Nacht hier schon fast ohne Dämmerung hereinbricht; denn kaum war auch der goldene Sonnenglanz am Himmel verblaßt, so zeigten sich schon hie und da glitzernde Sterne, vor allen aber Frau Venus grade über dem mächtigen Thurm des Alcazar's stehend wie eine treue Liebe, welche sich gleich bleibt, und auch den im Unglücke nicht verläßt, welchem sie in den Tagen des Glückes geleuchtet und gelächelt. Ach! und welch herrliche Zeiten mochte der schöne Stern da oben gesehen haben, wenn er niederblickte in die Räume des Schlosses, wo Musik erschallte, und die von Lichterglanz erhellt waren, und wenn er sein weißes Licht niederströmen ließ in die Gärten, wo des Königs Tochter wandelte, wo

Tausend weiße Blüthenflocken
Haben ihren Duft ergossen,

während

Pauken- und Drommetenjubel
Klingt herunter von dem Schlosse.

Ach! da war es herrlich in der Burg des stolzen, gewaltigen Mauren, und so kühl und einsam an dem murmelnden Brunnen zwischen den Lorbeer- und Granatbäumen!

Mit den weichen Liebesnetzen
Hat er heimlich sie umflochten!
Kurze Worte, lange Küsse,
Und die Herzen überflossen.

Wie ein schmelzend süßes Brautlied
Singt die Nachtigall, die holde;
Wie zum Fackeltanze hüpfen
Feuerwürmchen auf dem Boden.

In der Laube wird es stiller,
Und man hört nur, wie verstohlen,
Das Geflüster kluger Myrthen
Und der Blumen Athemholen.

Ich weiß nicht, wie es kommt, daß mich so mannigfaltige süße Gedanken und Bilder umgaukeln, wenn ich in die Nacht hinein reite und einen schönen Stern sehe, oder den weißen Mondenschein, wie er ausgebreitet liegt über Berg und Thal, oder die öden Fensterhöhlen einer alten verfallenen Burg. Aber diese Bilder bemeistern sich meines Herzens und ich sehe das alte Schloß plötzlich auftauchen, bemerke den Lichterglanz, der aus den Fenstern dringt, ich höre die Klänge der Tanzmusik – ja noch mehr; ich möchte darauf schwören, daß ich deutlich vor mir sehe die glänzenden Gewänder, Menschen alter vergangener Zeiten, ja daß ich höre tiefe Seufzer und der Blumen Athemholen. Das aber thut meine theure Freundin Phantasie, die mich jetzt innig liebend und tröstend umschlingt, mir bald so viel Schönes in die Ohren flüstert und mir in Bildern zeigt, mich aber gleich darauf wieder neckt und hohnlachend allerlei Entsetzliches vor Augen bringt. Und dazu bedient sie sich gern des klaren Mondes und konnte in frühern Zeiten flüsternd sagen: dieselbe blasse Kugel wird auch jetzt aufgesucht von zwei andern Augen, aber sie halten sich nicht lange beim Betrachten derselben auf, sie wenden sich zwei andern Sternen zu, die glühend in sie hineinblicken und denen sie sich langsam, aber unaufhaltsam nähern.

Ein Glück ist es, wenn man reitend und so denkend plötzlich durch etwas Äußeres aus seinen finstern Träumereien aufgeschreckt wird, wenn das Pferd stolpert oder einer der Kameraden einen Schrei der Ungeduld ausstößt über den langen Weg, der in der finstern Nacht kein Ende nehmen will. Und so war es heute Abend. Obgleich wir schon bei Sonnenuntergang die Stadt gesehen, obgleich schon lange der Alcazar von Jaen neben und hoch über uns lag, obgleich wir schon seit einer Stunde die Lichter deutlich aus den Häusern schimmern sahen, erreichten wir immer und immer noch nicht das Stadtthor. Es war wirklich zum Verzweifeln und gerade, als weiche es immer von uns zurück.

Endlich erhob sich rechts von der Straße ein alter maurischer Thurm, an den sich die verfallene Stadtmauer schloß, bei welcher wir eine gute halbe Stunde vorbeiritten, um jetzt bei einer letzten Biegung des Weges an das Stadtthor zu gelangen, unter dem wir Uniformen und Laternen bemerkten, – Zollwächter, die auf uns lauerten wie Raben auf ihre Beute. Verdrießlich und müde wie ich war, hatte ich mir fest vorgenommen, eigensinnig zu sein und mich nicht durch die herkömmliche Peseta loskaufen zu wollen. Unter dem Thore hieß es: Halt! und daß unsere Arriero's den Befehl erhielten, die Thiere abzuladen, um die Koffer durchsuchen zu können, darin hätten wir in Spanien gerade nichts Auffallendes gefunden; daß uns aber einer der Zollbeamten ankündigte, der betreffende Beamte sei nicht mehr gegenwärtig, unsere Koffer und übriges Reisegepäck müßten deßhalb am Thore bleiben und wir sollten morgen früh kommen, es durchsuchen zu lassen, das war doch in der That mehr, als müde und hungrige Reisende zu ertragen im Stande sind. Was ich dem Zöllner auf Spanisch antwortete, muß ihm bei dem Wohlklange seiner edlen Sprache, an den er von Jugend auf gewöhnt war, schrecklich anzuhören gewesen sein, denn ich reihte nur Worte an einander, als: langer Weg, müde, hungrig, Gewalt, Unrecht und verband diese mit einer unnöthig großen Anzahl von Carajo's. Als wir aber sahen, daß dem Beamten dieses Spanisch nicht spanisch vorkam, bedeutete unser Baumeister den Thorwächtern ernstlich, wir würden umkehren und vor dem Thore liegen bleiben, wenn man nicht augenblicklich unsere Koffer untersuchte; daß wir aber mit unserer Klage über diese schlechte Behandlung bis nach Madrid gelangen würden, darauf könnten sie sich verlassen. Zu gleicher Zeit zeigte ich ihnen den schon früher erwähnten Befehl des Gensd'armeriechefs an alle Posten, uns kräftigen Schutz und Hülfe angedeihen zu lassen, wobei wir auch verlangten, vor den hiesigen Posten-Commandanten geführt zu werden. Das wirkte. Nach kurzer Berathung durften unsere Arriero's die Koffer wieder aufladen und wir wurden ohne Visitation, selbst ohne Lösegeld entlassen.

So klepperten wir denn durch die stillen öden Straßen des alten, einst königliche Jaen, bis auf den Marktplatz, wo sich die Fonda befand, welche man uns empfohlen. Bei dem Lärm, mit dem wir über den nächtlichen stillen Platz zogen und vor dem Hause hielten, erschien denn auch sogleich der Wirth, eine untersetzte komische Figur in braunem Mantel, den spitzen Hut auf dem Kopfe, mit der Rechten einen Leuchter hoch emporhaltend, dessen Licht uns erhellte, zugleich aber auch das verschmitzte und lächelnde Gesicht unseres Ventero. Er hieß uns mit einer feierlichen Rede willkommen und führte uns dann hinauf in sein Haus, wo die besten Zimmer zu unserem Empfang sogleich in Bereitschaft gesetzt wurden. Diensteifrig wie er war, belud er sich auch mit unseren Effekten, und als wir es uns oben bequem gemacht, blieb er im Zimmer stehen und betrachtete mit großer Bewunderung unsere an sich höchst einfachen Gewehre. Daß wir das große spanische Messer in der Faja trugen, schien ihm ausnehmend zu gefallen; er meinte, dieß sei die erste Waffe der Welt, wenn man sie nur gut zu gebrauchen verstehe. Darauf zog er sein eigenes hervor, dessen Klinge beiläufig gesagt, über einen Schuh lang war, wickelte sich einen Theil des Mantels um den linken Arm, den er so als Schild gebrauchte, und stellte sich mit emporgeworfenem Kopf herausfordernd in Positur, was bei der kleinen dicken Gestalt äußerst komisch aussah. Dazu erzählte er uns mit einer ungeheuren Zungenfertigkeit von den drei Angriffsarten mit dem spanischen Messer, den Wurf behandelte er als etwas Feiges, den Stich in die Brust verachtete er ebenfalls, wogegen er für den Hieb in den Leib oder quer durch den Hals auf wahrhaft cannibalische Art schwärmte und zu wiederholten Malen denselben gegen uns anwendend vorsprang, was übrigens bei uns ein unauslöschliches Gelächter hervorrief, denn unser Wirth in dem braunen Mantel, wenn er so wie toll hin und her sprang, sah aus wie ein wahnsinnig gewordener Affe. Plötzlich aber schien er sich auf seine Würde als Spanier und Wirth zu besinnen, er steckte sein Messer ein, faßte an den Rand des Hutes und sagte mit vieler Gravität: »Verzeiht, Caballeros, ich würde mir nicht erlaubt haben, eine Minute lang hier zu verweilen, wenn ich nicht wüßte, daß meine Gemahlin schon eifrig mit dem Nachtessen für Sie beschäftigt ist.« Dann blickte er höchst ernsthaft an die Decke, während er an den Fingern herzählte: »wir haben also eine Fischsuppe, andalusisches Gericht – vortrefflich. Dann Braten mit Zwiebeln, wie man ihn in Madrid nicht besser bekommt; wir haben ferner einen Salat mit Geflügel – dabei schnalzte er statt einer weiteren Empfehlung mit dem Munde – dann eine süße Schüssel, auf deren Bereitung jeder Spanier stolz ist, und endlich selbstredend das Dessert. Wenn mich die Caballeros gütigst verabschieden, so werde ich Sorge dafür tragen, daß so schnell als möglich angerichtet wird.«

Daß wir Don Ramiro – so hieß unser Wirth – in jeder Beziehung gern verabschiedeten verstand sich von selbst. Bald hörten wir auch im Nebenzimmer Stühle rücken, Teller klappern und das Souper nahm seinen Anfang. Leider war es aber nicht im Einklänge mit den stolzen Worten des Spaniers; die vortreffliche Fischsuppe roch so stark, daß ich mich nicht entschließen konnte, sie auch nur zu versuchen; der Braten war ein Gemengsel von verkohlten Knochen, Sehnen und Muskeln, und das Huhn zum Salat schien an der Schwindsucht gestorben zu sein. Glücklicherweise hatte die Kochkunst von Don Ramiro's Gattin an Brod und Wein nichts verderben können, und blieben uns diese beiden Sachen, sowie eine sehr mittelmäßige Chokolade zur Stillung unseres Hungers und Dursts. Dabei kann ich nicht verschweigen, daß wir von der Hausfrau selbst bedient wurden, daß diese aber ein so erschreckend häßliches Gesicht hatte wie ich lange nichts gesehen, ihre Gesichtsfarbe war aschfahl, die Haut verdeckte nothdürftig die Knochen, so daß man glaubte, einen Todtenkopf vor sich zu sehen.

Das Haus, in dem wir uns befanden, war sehr groß und schien ehemals der Palast eines Vornehmen gewesen zu sein; es hatte ein weites, schönes Treppenhaus, dessen Decke von Säulen getragen wurde; breite steinerne Stufen führten in den ersten Stock, auf einen Vorplatz und geräumige Corridors, an die sich die Gastzimmer anschlossen, ebenfalls breit, sehr hoch, mit großen Fenstern und alten geschnitzten Doppelthüren. Unsere Betten waren nicht schlechter als man sie gewöhnlich in Spanien findet. Die Aussicht von unserm Salon, die wir noch bei Mondschein genossen, war sehr schön; wir sahen auf verschiedene Gärten, in denen sich kleine Häuser befanden, und hatten vor uns das Ende des Gebirgszuges, welcher die Stadt umgibt, mit dem alten Schlosse, das hier von der Seite gesehen noch kecker und trotziger an dem Felsen hing.

Der andere Tag war ein Sonntag und da der Eilwagen von Sevilla nach Granada, den wir benutzen wollten, erst am folgenden Morgen um zwei Uhr hier ankam, um gleich darauf weiter zu gehen, so hatten wir Muße genug, uns die alte Stadt zu betrachten. Gleich am Morgen durchschritten wir einen großen Theil derselben, da es uns drängte, zuerst die alte Schloßruine zu besuchen. Indem Jaen, wie schon früher bemerkt, an den Berg hinan gebaut ist, so steigen alle Straßen und oft ziemlich steil, was der an sich interessanten Stadt noch etwas besonders Malerisches verleiht. Die schmalen und hohen Häuser, bald christlichen bald arabischen Ursprungs, hier mit viereckigen, dort mit gewölbten Fenstern, bald mit einer Terrasse versehen und bald mit einem Ziegeldache, schauen über einander weg, und die meisten zeigen in ihrem obersten Stockwerke eine Reihe luftiger Logen, deren Bögen meistens auf schlanken Säulen ruhen. Für einen Maler gäbe es hier wochenlang die schönste Ausbeute, denn bei jeder Straßenbiegung, bei jedem Schritt, den man weiter in die Stadt hineinthut, sieht man die interessantesten und originellsten Sachen, bald einen Erker, der wie ein Schwalbennest an irgend einem Gebäude klebt, bald eine seltsame Treppe, bald einen ehemals maurischen Brunnen, den man durch die schlechte Statue eines christlichen Heiligen gerade nicht besonders verschönerte.

Zum Schlosse hinauf führt ein ziemlich steiler Fußweg bei einer alten maurischen Wasserleitung vorbei, die noch heute ihren Dienst thut. Ihre Ränder waren mit frischen Schlingpflanzen bewachsen, und sie bildete so einen wohlthuend grünen Streifen auf dem gelben kahlen Sandsteinboden, über dem sie hergeführt war. Aus den herabgerollten Steinen der Schloßmauern hatten die Leute Terrassen gebaut, auf denen sie Reben zogen, und diese Weingärtner wohnten dabei in sehr provisorischen Hütten und Häusern. Aber das Klima ist ja mild und angenehm, und wo jetzt Anfang Februar ganz nackte kleine Kinder mit ihren Füßchen im herabrieselnden Bergwasser standen, da braucht man eigentlich nicht viel Vorkehrungen für den Winter zu treffen. Auf der Hälfte des Berges, bis wo die gewaltigen Schutzmauern herunterreichten, versperrten uns diese plötzlich den weiteren Weg und zwar in der Nähe eines kleinen Hauses, das so malerisch, unabsichtlich und originell in einem Mauerwinkel errichtet war, daß wir verwundert stehen blieben; ein ehemaliges Säulenthor, von dem aber die Hälfte zerbröckelt umherlag, bildete den Hausflur, der mit Balken und Latten bedeckt war, über welche sich eine gewaltige Weinrebe schlang. Oben aber in dem Gewölbe des Thorbogens hatte man ein kleines Schlafgemach gewonnen, während das Wohnzimmer durch Mauerwinkel gebildet ohne Fenster war und sein Licht nur durch den alten Thorbogen erhielt.

Der helle lustige Klang einer Weiberstimme drang aus dem dunkeln Raume hervor und veranlaßte uns, näher zu treten, um uns nach dem weitern Wege zu erkundigen. Statt der Spanierin aber trat uns eine Gestalt entgegen, vielleicht ihr Vater, Bruder oder auch ihr Mann, der viel mehr einem Räuber als einem harmlosen Weingärtner ähnlich sah. Er hatte den andalusischen Hut trotzig auf das rechte Ohr gedrückt und zeigte uns ein finsteres und mürrisches Gesicht. Ein schwarzer Bart bedeckte Kinn und Mund, und unter tief herabhängenden Augenbrauen blickten uns die dunkeln Augen an. Auf der linken Schulter trug er eine roth und schwarz gestreifte Manta; und während er sich vor uns hinstellte, stützte er sich auf ein langes Gewehr, und sein Messer im Gürtel war wenigstens ebenso lang wie das unseres Wirthes Don Ramiro. – »Woher des Weges?« fragte er uns. Wir erklärten ihm, wir wollten das Schloß besuchen, hätten aber wahrscheinlich den Weg verfehlt. »Und das hättet ihr wohl sehen können!« antwortete er, »denn durch Weinberge führt wohl nirgendwo die öffentliche Straße. Da Ihr aber einmal da seid, so will ich Euch durch mein Haus lassen, und dann könnt Ihr drüben weiter klettern. Kommt!« Damit trat er unter den Thorbogen zurück, und ich bin nicht ganz sicher, ob ich ihm gefolgt wäre, wenn ich mich allein befunden hätte. – Über dem Thorbogen hing eine große aufgerollte Matte, um diesen zu verschließen, und als wir in das Innere traten, fiel mir das Haus des Spara fucile in der Oper Rigoletto ein. Genau so sah Wohnung und Wirth aus. Auch die hübsche Schwester war da und trillerte ihr Liedchen fort, als beachte sie uns gar nicht. Hinten in der Wohnstube befand sich eine kleine Thür, die er uns öffnete, und dann wieder verschloß, als wir hindurch gegangen waren.

Längs der Mauer suchten wir unsern Weg weiter, und als ich mich noch einmal umwandte, bemerkte ich das lachende Gesicht der schönen Spanierin, die uns freundlich nachblickte, lachend die weißen Zähne zeigte und dann verschwand.

Donna é mobile
come il vento – –

sang ich vor mich hin, während wir aufwärts stiegen.

Der Kern des Schlosses, den wir nach halbstündigem Aufwärtssteigen erreichten, ist maurisch, ebenso der große Thurm, der stolz und ungebeugt über dem Gemäuer emporragt; die spätere Zeit aber hat den ehemaligen Alcazar rings um mit Gebäuden der verschiedensten Art eingefaßt, Mauern und Wälle angelegt, und das Schloß, der Länge nach auf den Kamm des Felsens ausgestreckt, muß seiner Zeit sehr fest gewesen sein. Jetzt ist Vieles zerfallen, und außer einer militärischen Feuerwache, die sich oben befindet, ist es gänzlich unbewohnt.

Die Aussicht hier ist prachtvoll; tief unten liegt die Stadt an den Fuß des Berges geschmiegt, und über der Häusermasse erheben sich die starken Umwallungsthürme, vor allen aber die Kathedrale. In schöner Färbung breitet sich vor uns die Ebene aus, durch welche wir gestern geritten, ein wellenförmiges Terrain voll sanfter Hügel, über welche sich die gelbe Straße dahin wendet, an Ubeda vorbei, das von grünen Weiden umgeben ist, an Baeza mit seinem trotzigen Kastell, bis am Horizonte der Gebirgszug der Sierra Morena das Ganze prachtvoll abschließt. Obgleich die Vegetation noch zurück war, so schmückten doch die zahlreichen Olivenpflanzungen mit ihrem bläulichen Grün das Terrain, und angenehm glänzen hie und da die weißen Mauern einzelner Höfe aus dem saftigen Grün hervor. Ein Hügel am Rande der Stadt bedeckt mit runden Plätzen zum Dreschen des Getreides einer den andern berührend und ein eigenthümliches großes Mosaikpflaster nachahmend, nahm sich dazwischen ganz originell aus.

Begreiflicherweise suchten wir in dem alten Alcazar nach maurischen Überresten und wurden erst nach langem Umherklettern für unsere Mühe, dann aber auch reichlich belohnt. Mitten zwischen Bastionen und kasernenartigen Gebäuden fanden wir nämlich einen kleinen reizenden Hof, zu welchem ein zierliches Thor in der bekannten Hufeisenform führte; es war ein heimlicher, versteckter Winkel mit einer Seite an die Schloßmauer gelehnt, über deren hier niedrige Brustwehr man eine entzückende Aussicht auf die umliegenden Berge hatte. An der Eingangspforte der Wand des Hofes, sowie dem Fußboden sah man noch deutliche Spuren, wie reich das Alles einst mußte verziert gewesen sein; zwischen kunstreich verschlungenen Arabesken bemerkte man Bruchstücke von Koransprüchen, Alles zierlich in Stuckmasse ausgedrückt, einstens bemalt und vergoldet; auf dem Fußboden lagen Haufen von Marmorstückchen, die früher gewiß kunstreich zusammengefügt gewesen waren, jetzt aber war es nicht mehr möglich, auch nur eine einzige Figur noch zu erkennen.

Als wir das alles so aufmerksam betrachteten, Baumeister Leins auch einige Aufnahmen in sein Skizzenbuch machte, sah ich eine Schildwache, die hoch von der Mauer herab uns zuschaute und uns winkte heraufzukommen. Nach einigem Suchen fanden wir auch den Platz droben, wo sich der spanische Soldat befand, und nachdem er uns freundlich gegrüßt, führte er uns in seine Wachtstube, ein finsteres, schwarzgerauchtes Gewölbe mit zwei schmalen Fenstern maurischen Ursprungs. Erst als er mit dem Finger auf die gewölbte Decke über uns zeigte, verstanden wir vollkommen seine Freundlichkeit. Die Wachtstube war ein ganz gut erhaltenes gewölbtes Gemach, bedeckt mit schönen arabischen Sculpturen; namentlich das Deckengewölbe war schön componirt, durch kunstreiche Arabesken in verschiedene Felder getheilt, an denen in ununterbrochener Folge sich Schilde mit den beiden Thürmen des castilischen Wappens und den Löwen des Königreichs Leon aneinander reihten. Wozu dieses Gemach einstens gedient, konnten wir nicht ergründen; vielleicht als Kiosk auf der Höhe der Mauer gelehnt, schwerlich als Badgewölbe, obwohl es diese Form hatte.

Es war schon Mittag, als wir Jaen wieder erreichten. Auf den Straßen herrschte viel Leben, da es Sonntag war, und ganze Schaaren geputzter Männer und Weiber begaben sich vor das Thor hinaus, zu welchem wir gestern eingeritten waren, und wo sich der Paseo befindet. Die Tracht ist hier schon vollkommen die andalusische; bei den Männern die reich verschnürte Jacke, enganliegende Beinkleider mit zierlich ausgenähten Ledergamaschen; bei den Weibern der bunte, ziemlich kurze Rock und die schwarze Spitzen- oder Seidemantille, welche den Kopf so schön einrahmt, und ein selbst unbedeutendes Gesicht interessant erscheinen läßt. Doch muß ich gestehen, das wir hier in Jaen unter dem weiblichen Geschlecht wenig Köpfe sahen, die nicht wenigstens etwas Schönes aufzuweisen hatten, sei es das prachtvollste Haar der Welt oder große blitzende Augen, herrliche Zähne oder die sanfte, blasse, gleichförmige und so anziehende Gesichtsfarbe. Aber auch Köpfe von vollendeter Schönheit bemerkten wir, Köpfe und Gestalten, vor denen man bewundernd stehen bleiben mußte. Und wie sie so elegant und graziös sind, diese Spanierinnen! Wie sie alles Schöne, was ihnen Gott verliehen: die entzückende Taille, die feinen Hände und Füße, Augen, Zähne, Mund zu gebrauchen und ins rechte Licht zu stellen verstehen! – Und wie sie dabei die künstlichen Waffen handhaben! Mantille, Fächer; o es ist entzückend und betrübend!  –

Zwischen den geputzten Spaziergängern hindurch bei den lachenden und plaudernden Gruppen wurde eine Kinderleiche von sechs kleinen Mädchen in einem offenen Särglein getragen. Das arme kleine Todtengesichtchen sah so friedlich aus, und die Mädchen, die das gestorbene Kind trugen, wehrten ihm die Fliegen ab, und bald war die Eine, bald die Andere beschäftigt, die Blumen zurecht zu legen, womit die Todte bedeckt war, und die sich beider Bewegung zuweilen verschoben; auch vermehrten sich diese Blumen, je weiter der Zug sich vom Thore entfernte, denn manch schönes Weib, manch reizendes Mädchen nahm ein grünes Blatt oder ein Blüthe aus dem Haar oder vom Busen, und warf es mit einem Segenspruch auf die Kinderleiche.

Der große Platz der sich vor der Hauptkirche ausbreitet, zog uns besonders an, ein überreiches Eisengitter trennte ihn von dem Vorhof der Kathedrale, deren gewaltige Façade aus der späten Renaissance-Zeit mit zwei mächtigen Thürmen demselben eine große Würde verleiht. Es ist, als hätte der Erbauer den ganzen überschwänglichen Reichthum der gothischen Kirchenfronten in seinem Styl und mit den Mitteln der antiken Bauweise erreichen wollen, eine Unzahl von Pfeilern, Mastern, Balkonen und über einander aufgestapelten und durch einander geschobenen Säulenordnungen bedeckt diese Façade, die dadurch allerdings ein sehr verworrenes Ansehen bekommt, aber durch die Verschwendung des Ornaments und die mächtigen Verhältnisse doch imponirt. Gegenüber ist der Platz durch ein schönes altes Gebäude begränzt, in dessen oberem Stockwerk sich ein zierlicher Laufgang von kleinen Arkaden auf seiner ganzen Länge hinzieht, und das auf der glatten Fläche der unteren Stockwerke mit einem schönen steinernen Erker geschmückt ist, dem Erker des Pilatus, wie er in Jaen heißt, wie denn fast an jedem Hause in Spanien an dem sich ein Erker befindet, der Name des Pilatus haftet.

Weit schöner und reiner als die Hauptfaçade sind die beiden Nebenseiten der Kathedrale; namentlich die Südseite, zumal das dortige Portal ist von überraschend prächtiger und edler Anordnung und wunderschönen Detailformen. Das Innere aber ist in der That prachtvoll und von majestätischen Verhältnissen. Die Säulenbündel, die die Kuppelgewölbe tragen und die drei Schiffe von einander trennen, stehen auf hohen Piedestalen und die weite Stellung dieser Stützpunkte verleiht dem mächtigen Raum etwas Luftiges und überaus Kühnes.

Von der früher auf derselben Stelle gestandenen alten Kathedrale ist auf der Rückseite des Äußeren noch ein höchst interessantes Stück des gothischen Unterbaus übrig geblieben, das eine sehr günstige Meinung von diesem verschwundenen Bau erweckt.

Ich hatte es über mich genommen, mit Don Ramiro unser heutiges Mittagsmahl zu besprechen. Auf die gelinden Vorwürfe die ich ihm wegen des gestrigen Soupers machte, stellte er sich anfänglich ganz verwundert, dann aber gerieth er in einen erkünstelten sehr furchtbaren Zorn hinein und versicherte, es sei ihm das bei vornehmen Herrschaften mit seiner Köchin schon einigemal passirt, aber dießmal wolle er mit seinem Messer dabei stehen bleiben. Dabei patschte er sich auf den dicken Bauch, klappte die Zähne zusammen, und wenn man nach seinem entsetzlichen Blick urtheilen wollte, so war die Köchin wegen eines einzigen verdorbenen Gerichtes in Gefahr, heute Abend schon eine Leiche zu sein.

Nachdem der Wirth seine Capa malerisch umgeworfen, mir an der Thür nochmals sehr effektvoll zugegrinst, wobei er auf sein Messer wies, ging er die nöthigen Befehle zu geben. Ich setzte mich ans Fenster und blickte auf die Stadt hinaus, zuerst aufwärts nach dem alten Schlosse, dann vor mich in die Tiefe, wo sich ein einstens hübsch angelegter Garten jetzt in der malerischsten Unordnung befand; zerbrochene Steinbänke waren kaum noch sichtbar vor wucherndem Gras und Brennnesseln, kopflose Statuen sahen eigenthümlich, fast grauenhaft aus, da sie wie im Todeskampfe Arme und Hände krampfhaft von sich streckten, denen Füllhorn und Bogen längst entfallen war. Die Gartenbeete waren kaum noch sichtbar durch einige Einfassungsteine und ein paar wuchernde Blumenpflanzen, die sich von Generation zu Generation fortgepflanzt und immer kümmerlicher geworden waren. Auch ein ehemaliger Springbrunnen befand sich hier unten, aber sein Wasser war versiegen gegangen und die marmorne Schale wurde zum Kehrichtfaß benutzt. Das einzige Freundliche und Angenehme in dieser verwahrlosten Umgebung war ein lebendiges Reh, das unten vor meinem Fenster angebunden war und welches dankbar die Stückchen Brod aufsuchte und fraß, welche ich ihm hinunter warf, wobei es mich so lieb und ehrlich mit seinen großen glänzenden Augen ansah.

Unser heutiges Mittagessen war insoweit besser, als wir keine stinkende Fischsuppe hatten, auch wagte Niemand eine tadelnde Bemerkung laut werden zu lassen, da Don Ramiro mit so furchtbarem Blicke ab- und zuging, daß wir nicht anders erwarten konnten, als daß die geringste Klage unsererseits einen schrecklichen Mord nach sich ziehen würde.

Auf der Post hatten wir die Plätze nach Granada vormerken lassen, und da wir von hier aus die Ersten waren, so konnten wir hoffen befördert zu werden, wenn nicht, wie das häufig vorkam, der Wagen vollkommen besetzt war; dann blieb uns nur übrig, zu warten oder weiter zu reiten. – Dießmal aber hatten wir Glück, denn schon um halb Zwei wurden wir vom Mozo des Hauses mit der freundlichen Botschaft geweckt, die Diligence von Baylen sei angekommen und habe drei außerordentlich schöne Plätze für uns. Schnell waren wir reisefertig, hatten aber noch einen sehr ergötzlichen Zwischenfall mit Don Ramiro, der uns mit der Versicherung, er habe uns als Freunde behandelt, eine so unverschämte Rechnung übergab, daß wir laut lachen mußten. Ich strich ihm einfach über ein Drittel herunter und zählte ihm das Geld auf, das er anfänglich schwur, nicht nehmen zu wollen: »Entweder die ganze gerechte Summe oder gar nichts,« sagte er. Als ich mich aber anschickte, ihm im Letzteren seinen Willen zu thun, zog er andere Saiten auf, d. h. er strich sein Geld ein und verließ uns mit einem sehr steifen Kopfnicken.

Über unsere Plätze im Eilwagen hatten wir uns nicht zu beklagen; alle drei, waren im Interieur, doch machte mir der Mayoral Hoffnung auf einen Platz im Coupé von Campillo de arenas an, den ich auch alsdann richtig erhielt, und mich nun vorn in dem breiten Wagen allein mit einem Geistlichen befand, und was das Sitzen anbelangte, aufs Allerbehaglichste versorgt war. Mit dem Fahren und dem Wege dagegen hatten wir wieder das alte spanische Elend; die gute Straße von Baylen nach Jaen hörte hier sogleich auf, und des Rüttelns und Stoßens, des Hin- und Herwankens und der ewigen Aussicht, umgeworfen zu werden, war kein Ende. Dabei gab mir der Mayoral fast auf jeder Station die untröstliche Versicherung, es komme immer schlimmer. Und wahrlich, der Mann hatte Recht. Von einer solchen Fahrt kann man einem deutschen Gemüthe, das nichts ähnliches gefühlt, keinen Begriff machen. Am tollsten wurde es, als wir Nachmittags höhere Berge zu passiren hatten; hier war die Straße durch herabstürzende, Bergwasser oft so ausgewaschen, daß bald die Räder auf der rechten, bald auf der linken Seite in schuhtiefe Löcher einsanken, wobei sich der Wagen krachend neigte und erst in geraumer Zeit wieder aufzurichten im Stande war. Ich möchte fast behaupten, bei diesen grundlosen Straßen ist das tolle Jagen der spanischen Postillone eine Nothwendigkeit; der Wagen, der von einem Loch, in das andere gerissen wird, kommt nicht zur Besinnung und hat keine Zeit umzuwerfen, denn kaum macht er hiezu einmal ernstliche Anstalten, so hetzen Mayoral, Zagal und Delantero mit Geschrei und Peitschenhieben die Zugthiere, daß sie in tollem Jagen die stürzende Diligence wieder aus den Untiefen aufs feste Land reißen.

Zum Überflusse und für uns vornen im Coupé zu sehr unangenehmer Ansicht hatten wir von Cortijo de Andar eine andere schwerbepackte und lang bespannte Diligence vor uns, deren wahrhaft erschreckende Sprünge die steilen Berge hinab, sowie das verdächtige Schwanken uns beständig anzeigte, daß es uns an derselben Stelle gerade so gehen würde. Wir nannten die Diligence vor uns nur den Probirwagen, und so lange dieser nicht auf der Seite lag, hatten auch wir gute Hoffnung. Unserem Mayoral diente er in der That auch als Wegweiser, denn ein paarmal, wo der Vordere in tiefe Löcher einsank und auf Augenblicke stecken blieb, vermieden wir diese Stelle und kamen glücklich durch.

So erreichten wir Nachmittags gegen fünf Uhr die letzte Station vor Granada, und als der Mayoral vom Bocke stieg, gab er mir eine erfreulichere Antwort. »Sobald wir über den Höhenzug vor uns hinweg sind,« sagte er, »haben wir nach Granada eine Straße glatt wie der Tisch.« – Also Ende gut, Alles gut. Das war in der That eine angenehme Aussicht, und unser Rosselenker sprach im Guten, wie im Schlimmen die Wahrheit. Mein Geistlicher im Wagen, mit dem ich mich so gut als möglich unterhielt – er verstand keine andere Sprache als Spanisch – entsetzte sich bei der ganzen Fahrt über mein beständiges Cigarrenrauchen. »Schon wieder eine!« rief er mit komischem Entsetzen, so oft ich mein Etui aus der Tasche zog. »Jesu Maria! Caballero, Ihr müßt ja in Eurem Innern austrocknen, wie ein Stein. Ich habe freilich auch einmal in meiner Jugend geraucht,« setzte er hinzu, »aber vielleicht im ganzen Tag drei oder vier Cigarretten; das war Alles. – Oh! – oh! – oh!« Dabei sah er mich mit komischem Ernst von der Seite an. Übrigens war er sehr freundlich, erklärte mir von der Gegend, was ich wissen wollte, und als wir nur langsam die Anhöhe, von der ich vorhin sprach, hinauffuhren, faltete er seine Hände und that sehr bewegt, jetzt endlich sein schönes Granada wieder zu sehen.

Ich gestehe es, daß auch mir seltsam, höchst erwartungsvoll, ja feierlich zu Muthe war, fast ebenso wie damals, als ich vor langen Jahren mit meinem Beduinen durch einen dichten Olivenwald aufwärts sprengte, einer kahlen Höhe zu, von der man Jerusalem sieht. Wie haben wir uns nicht, wenn auch in anderem Sinn, von frühester Jugend an mit Granada beschäftigt, Granada, dem letzten Halt des so edlen, glänzenden, kriegerischen und tapferen Maurenvolkes. Granada! Schon der Name klingt so erfrischend, so süß und feurig; wohlthuend wie der Duft einer Rose, angenehm wie die glühende Blüthe der Granate in ihrem dunklen, saftigen Laube. – Granada von dem der Spanier sagt:

»A quien Dios lo quiso bien en Granada le dió de comer.«
(Wen Gott lieb hat, dem gibt er sein Brod in Granada.)

Oder wie das Lied heißt:

El que no ha visto Granada,
No ha visto nada.

– – Wir hatten die Höhe erreicht; vor uns lag die prachtvolle Vega von Granada, jetzt schon wie ein grünes Meer der herrlichsten Vegetation, von dem silberglänzenden Xenil durchströmt. Die Schatten des Abends senkten sich schon herab auf die Ebene, aber aus ihr hervor glänzten noch hell die weißen Gebäude von Granada mit ihren unzähligen Kuppeln und Thürmen. Alles aber überragten die gewaltigen Massen der Sierra Nevada, deren schneebedeckte Gipfel in den Strahlen der untergehenden Sonne leuchteten und glühten. Mein Nachbar im Wagen zeigte mit einem seltsamen Gesichtsausdrucke auf eine noch unter uns liegende grüne Bergwand, auf deren Höhe wir ein fabelhaftes, zierliches Bauwerk sahen, mit zahllosen Säulen und Bogen, wie eine weiße Elfenbeinschnitzerei zwischen den schwarzen Cypressen hervorglänzend – die Xeneralife, sagte er. Und dann zeigte er etwas tiefer, wo sich auf demselben Bergrücken gewaltige rothe Thürme und Mauern erhoben, die noch gerade einen letzten Kuß der sinkenden Sonne empfingen. – und als er darauf leise und feierlich sprach: Alhambra, versanken wir Beide in tiefe Träumereien und sagten kein Wort weiter, bis wir endlich tief unten in der Stadt selbst anhielten, wo wir uns mit einem herzlichen »gute Nacht!« trennten.


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