Friedrich Hackländer
Ein Winter in Spanien
Friedrich Hackländer

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Elftes Kapitel.
Ein Ritt durch die Mancha.

Der Winter in Spanien. Bei den Zigeunern. Orangengärten. Alcira. Ein spanischer Kollege. Palmenwälder und Schnee. Albacete. Eine musikalische Soirée. Abenteuer in der Neujahrsnacht. Das Haus des Don Jose. Vom Wagen auf den Karren. Ein unfreiwilliger Aufenthalt. Spaziergänge in Spanien. Don Quixote. Ein Maulthiertreiberball. Villarrobledo. Spanische Eisenbahnbauten. Campo critana. Regenwetter und schlechter Weg. Tembleque.

Wenn einmal bei uns in Deutschland ein etwas harter Winter eintritt, so hemmen die gewaltigen Schneemassen, welche dieser gewöhnlich mit sich führt, wohl hier und da auf einige Tage die Communication, meistens aber auch dieß nur in abgelegenen Gegenden, wogegen in den Hauptstraßen gleich eine Unzahl Hände beschäftigt sind, die Schaufeln zu handhaben und den Bahnschlitten zu dirigiren.

Nicht so in Spanien. Ich bin fest überzeugt, daß bei uns in dem harten Winter von 1853 bis 1854 andere Schneemassen als dort hingeworfen wurden, ohne daß man gerade viel Aufhebens davon machte; aber schon bei unserer Ankunft in Valencia, als wir uns am ersten Abend während des Diners nach der Straße von Madrid erkundigten, machten sämmtliche Anwesende bedenkliche Gesichter, zogen die Augenbrauen in die Höhe und meinten: es ist Schnee gefallen. – Und was weiter? dachte ich, wir sind ja in Spanien; der schmilzt über Nacht. Aber er schien in den Bergen, die zwischen uns und der spanischen Hauptstadt lagen, nicht schmelzen zu wollen. Anfänglich beachteten wir es nicht besonders, daß die Eilwägen fünf, sechs, zwölf Stunden zu spät kamen; als aber eines Morgens der Kellner, während er uns ein bescheidenes Frühstück servirte, grinsend und mit einiger Schadenfreude erzählte, die Diligence von vorgestern sei noch nicht angekommen, und der Courier mit Mayoral, Passagieren und Postpaketen fehle seit vier Tagen, fingen wir doch an, etwas besorgt zu werden, und ließen von dem hierzu sehr bereitwilligen Kellner uns alles berichten, was er von glücklich durchgekommenen Passagieren gehört oder vielleicht schaudernd selbst erfunden.

Die königliche Hauptstraße von hier nach Madrid ist, wie die meisten in Spanien, nur dann mit einem einiger Maßen behaglichen Gefühle zu befahren, wenn die glühende Sonne alle Unebenheiten verglichen, die Erhöhungen zu Staub verbrannt und die kleinen Gruben ausgefüllt. Hat es aber ein paar Tage lang geregnet, so fährt man bei Weitem sicherer und auch ungleich angenehmer auf einem geackerten Felde, als auf einer hiesigen Chaussee. Zwischen Valencia und Madrid befindet sich aber ein Stück Weges, das durch einen Wald führt, wo die Sonnenstrahlen nicht so recht hindringen können, in der Gegend von Cuenca. Hier ist die Straße selbst im Sommer scheußlich, im Winter aber bei Regen oder gar bei Schnee, wie jetzt der Fall war, gänzlich unfahrbar. Seit vier Tagen – oder seit sechs, meinte nachdenklich der Kellner – habe man keine Spur mehr von dem königlichen Courier. Bauern, die von dorther gekommen, die aber ebenfalls in den Schneemassen den Weg verloren hätten, wollten ihn vorgestern Nachts in der Entfernung gehört, das heißt, das Klingeln der Maulthierglocken, so wie den Schein der Wagenlaternen bemerkt haben. Ein Zigeuner, welcher mit Lebensgefahr durchgeritten, wollte ihn sogar gesehen haben, mit zwanzig Thieren bespannt, wie er den Schnee und Schlamm wie ein Bahnschlitten vor sich her gedrückt habe.

An Übertreibungen von dergleichen Art gewohnt, gingen wir an die Quelle, zur Post, und verlangten Plätze nach Madrid. Da der königliche Courier, ein kleines Coupé, nur zwei Sitze hat, so beschloß unser Reisegefährte, Baumeister Leins, einen Tag vor uns abzureisen; wir wurden auch ohne Weiteres eingeschrieben, nur sprach der Postsecretär achselzuckend von einigen Verspätungen, ohne sich auf Genaueres einzulassen. Zwei andere Reisende aber, die auf heute eingeschrieben waren, hatten sich ihr Geld zurückerstatten lassen, da weder ein Courier angekommen noch abgegangen war; kurz, uns erging es gerade so. Den anderen Tag erhielt L. seine Einlage wieder, den darauf folgenden H. und ich. Die Couriere und Passagiere kamen aber gar nicht mehr an; es mußte irgendwo eine artige Anzahl im Schlamme und Schnee stecken; die Briefpakete brachte ein Reitender, und um die Correspondenz von hier nach Madrid fortzuschaffen, richtete man das frühere Verbindungsmittel wieder ein – einen einfachen Karren mit zwei tüchtigen Maulthieren bespannt –, und als wir eines Tages dieses Fuhrwerk ziemlich betrübt anschauten, sagte der Mayoral – derselbe hatte ein Gesicht wie eine alte, sehr gebrauchte Lederhose –: »Hol der Teufel die neuen Equipagen auf diesem Wege während der Winterzeit! Mit so einem Karren komme ich überall durch.« Und er hatte wohl Recht. Aber wenn man sah, wie diese Maschine schon in den Straßen von Valencia auf und ab flog, so konnte einem alle Lust zu einer weiteren Tour mit derselben vergehen.

So waren wir ziemlich rathlos in Valencia, und wurden es noch mehr, als wir eines Tages einen Reisenden sprachen, der nach fünftägiger Fahrt endlich von Madrid hier angekommen war und der unterwegs mehr Packträger und sogar Zugthier, als Passagier gewesen war. Um weiter zu kommen, blieb uns allerdings das Meer; wir konnten hier über Cartagena und Almeria nach Malaga, und von dort zu Lande nach Granada fahren und dann über Jaen, Baylen nach Madrid gelangen. Doch hätten wir alsdann, um später nach dem Süden zurückzukehren, nochmals denselben Weg machen müssen. Endlich konnten wir am Ende doch noch unsern projectirten Ritt nach Madrid ausführen, und ich muß gestehen, diese Idee fand bei uns den meisten Anklang. Ein freundlicher Rathgeber und Führer hier in Valencia, ein württembergischer Bierbrauer, den wir aufgesucht und liebgewonnen, meinte, das ließe sich allenfalls machen; im Sommer habe er selbst diese Strecke schon zu Pferde zurückgelegt.

Sogleich gingen wir daran, einen Pferdevermiether aufzusuchen, fanden auch mehrere dieser Leute, ohne aber unseren Zweck zu erreichen; Niemand hatte Lust in dieser Jahreszeit Menschen und Thiere aufs Spiel zu setzen, und wenn wir hörten, wie an der Wirthstafel über unseren Entschluß gesprochen wurde, so konnte man es den Leuten nicht übel nehmen. Uns selbst aber rieth man auch davon ab. »Finden Sie Jemanden,« sagte ein kleiner Franzose, der ebenfalls hier festsaß, »so nehmen Sie sich vor den Valenciern in Acht; diese Kerle gehen mit Ihnen in Alles hinein, sie werden Sie auch wahrscheinlich nicht im Stiche lassen, aber sich eben so wenig etwas daraus machen, irgendwo im Schnee zu versinken und Leben oder wenigstens Gesundheit aufs Spiel zu setzen.« Dagegen hatte ein solcher Ritt in unserer Einbildung außerordentlich viel Schönes für sich: wilde Gegenden, einsame Nachtlager an flackernden Feuern, Abenteuer aller Art, vielleicht sogar Räuber. Genug, wir beschlossen noch einen Versuch zu machen, bei den Gitanos Pferde und Leute zu erhalten, – verwegene Gesellen, die gern etwas verdienen und nicht lange überlegen.

Der Bierbrauer führte uns denn auch Abends in das Stadtviertel Valencias, wo die Zigeuner hausen, zu ihrem Hauptmanne, um sich mit ihm über unsere Angelegenheit zu besprechen. Er wohnte in einem alten, ziemlich verdächtig aussehenden Hause; ein dunkler Eingang führte uns auf einen Vorplatz, der mit einer Scheune viel Ähnlichkeit hatte; hier brannte ein hell loderndes Feuer, um welches eine Menge phantastisch genug aussehender Gestalten saß: junge Bursche und alte Männer in ihrer eigenthümlichen Tracht: ziemlich engen Hosen und einer farbigen, verschnürten Jacke, den Gürtel, in welchem das große Messer stak, um den Leib, und einen buntfarbenen Lappen um den Kopf gedreht; junge, stark gebräunte Mädchen und Weiber mit schwarzen, glänzenden Haaren und blitzenden Augen, die meisten in ein angenehmes Nichtsthun versunken. Ein paar rauchten, andere beschäftigten sich mit einem Brettspiel; von den Weibern kochten einige irgend ein Abendessen in einem großen Kessel, eine andere lehnte nachlässig an dem Pfeiler, leicht auf einen Tamburin schlagend, wozu ein junges Mädchen mit den Castagnetten knackte.

Unser Eintritt erregte keine besondere Aufmerksamkeit; nur hier und dort wandte sich ein dunkles Auge gegen uns, und auf die Frage nach dem Herrn erhob sich langsam und bedächtig einer der jungen Bursche und ging uns voran durch den dunklen Vorplatz nach der hölzernen Treppe, welche in das obere Haus führte. Von dort aus machte sich die Gruppe um das Feuer wahrhaft malerisch und schön; von der Gluth waren die dunkeln Gesichter röthlich angestrahlt, die Flammen spiegelten sich auf den Schäften und Messingzierrathen einiger Gewehre, die hier und da an den Pfosten lehnten, und beleuchteten alterthümlichen Hausrath, so wie verschiedene Thierfelle, die von der Decke herabhingen.

Der Chef der Gitanos, welcher sich oben in einer Stube mit sehr kahlen Wänden befand, saß vor einem Brassero voll glühender Kohlen, auf welchen er die Füße gestellt, und machte bedächtig seine Papiercigarren; eine Frau neben ihm schürte in der Gluth, und ein junges, sehr hübsches Mädchen ließ bei unserem Erscheinen die Guitarre, mit der es beschäftigt zu sein schien, in den Schooß sinken. Als nun der Capitän unseren Wunsch vernommen, schlürfte er einen tiefen Zug aus seiner Papiercigarre, schluckte den Dampf, um ihn dann während des Sprechens wieder emporqualmen zu lassen. Doch war seine Antwort sehr untröstlich für uns; Pferde und Leute, meinte er, seien wohl genug da, doch rathe er uns von unserem Unternehmen ab; denn er kenne den Weg, und einer seiner besten Leute mit dem tüchtigsten Maulthiere sei gestern von Cuenca zurückgekehrt und nur durch ein Wunder durchgekommen.

Auf diesen Bescheid hin verließen wir ziemlich niedergeschlagen die Zigeunerherberge, und da wir, in unseren Gasthof zurückgekehrt, erfuhren, der Dampfer Tharsis werde in ein paar Tagen erwartet, um nach Malaga zu fahren, so beschlossen wir, unsere ganze Reiseroute zu ändern.

Herr Heeren, der liebenswürdige Gesellschafter und Freund in der Noth, ersuchte mich aber, noch keine Plätze auf dem Tharsis zu nehmen, indem es noch eine ältere und in jetziger Jahreszeit bessere Route über San Felipe, Albacete und Ocanna gäbe, die er selbst benutzen wolle und wo wir uns ihm anschließen könnten; er werde sich morgen erkundigen lassen, ob die Diligencen dort ziemlich regelmäßig einträfen.

Die Erkundigung des Herrn Heeren fiel nicht unbefriedigend aus; denn aus einer Verspätung von sieben bis acht Stunden machte man sich in Spanien nicht viel. So sahen wir endlich in dieser Reisefinsterniß ein Licht und verließen Valencia am 29. Dezember.

An der Eisenhahn von Valencia nach Madrid, die über Alcira, La Roda und Tembleque führt, arbeitet man schon seit vielen Jahren, und ist die kleine Strecke von Valencia nach Alcira vor noch nicht langer Zeit eröffnet worden; doch hatten heftige Regengüsse in den letzten Monaten einige Dämme und Brücken zerstört, weßhalb die Züge nur bis Algemesi gingen. Wir durchfuhren hier wieder ein prächtiges Stück der Huerta, nur mit einem ganz anderen Charakter als das, durch welches wir gegen Valencia gezogen waren. Dort war sie noch von Bergen begränzt, meistens Gemüse- und Fruchtland und mit wenigen Dörfern besetzt; hier aber war sie weit und flach, hatte Wiesen, Olivenpflanzungen, aus denen in allen Richtungen zierliche Kirchthürme hervorsahen, und vor allen Dingen die prächtigsten Orangengärten, die wir seit unserem Eintritt in Spanien erblickt. Schöner erinnerte ich mich nur dieselben seiner Zeit in Jaffa gesehen zu haben. Die Eisenbahn war mitten durch sie hindurchgeführt und dabei so schmal, daß die Zweige mit den tiefgrünen, glänzenden Blättern und die goldgelben Früchte fast von den Wagen gestreift wurden. Es war in der That ein eigenthümliches Gefühl, von der brausenden Locomotive durch diese schönen und für uns seltenen Pflanzungen dahin geführt zu werden. Bald waren es förmliche Wälder, bei denen wir vorüber flogen, bald einzelne Bäume, prächtige Exemplare, die, wie eine mächtige Linde bei uns, ihre Zweige rings umher ausstreckten.

In Algemesi blieb es dem Reisenden überlassen, ob er seinen Weg bis zur nächsten Poststation zu Fuß, zu Pferde oder mit der Tartane fortsetzen wolle. Wir wählten die letztere, ein Fuhrwerk auf zwei hohen Rädern mit einem viereckigen Wagenkasten ohne Federn, von einem einzigen Maulthiere gezogen; ein ähnlicher Karren folgte mit unserem Gepäck. Gleich hinter dem Bahnhöfe mußten wir durch ein ziemlich tiefes Wasser hindurch, bei dessen Furt eine Menge Wagen und Tartanen standen, deren Zugthiere unter großem Geschrei mit vielen Hieben über die steilen Ufer hinabgepeitscht wurden. Wenn der Weg, den wir fuhren, schon in trockener Jahreszeit nicht schön genannt werden könnte, so war er jetzt nach der großen Überschwemmung ein einziger Kothsee, hier und da mit einer kleinen Steininsel, welche obendrein beim Darüberfahren unsere Tartane sehr verdächtige Seitenbewegungen machen ließ. Das Wasser mußte hier arg gehaust haben: der Eisenbahndamm war an ein paar Stellen fast bis auf den Grund weggespült, und an den Bäumen, die neben der Straße standen, bemerkten wir bis zehn Schuh hoch vom Boden weggeschwemmtes Schilf und Stroh, welches die Flut dort zurückgelassen hatte.

Alcira ist ein hübscher, alterthümlicher Ort, mit tiefen Gräben, hohen, ausgezackten Steinmauern, mit Thürmen und Brücken, und war ehemals wie all diese kleinen Städte befestigt. Der Xucar fließt an einer Seite vorbei und ergießt sich einige Meilen östlich von der Stadt ins Meer. Als wir die Stadt erreicht hatten, bemerkten wir auf einem erhöhten Plateau neben der Straße runde, gepflasterte Plätze, jeden von vielleicht zwanzig, dreißig und mehr Fuß im Durchmesser, einen neben dem andern, so daß es von Weitem aussah, als sei der Boden mit runden Steinplatten bedeckt. Wir sahen dergleichen später in der Nachbarschaft der meisten kleineren Städte. Es sind dieses Frucht-Tennen, auf denen Korn und Waizen vermittelst Pferden und kleiner Schlitten ausgetreten und ausgedrückt werden. Namentlich für Kinder ist das ein großes Fest, und amüsiren sich diese hier, wie sie es bei uns auf der besten Schneebahn thun. Eine schöne Baumart sah ich hier wieder in dem Johannisbaume, deren trockene Früchte man als Kind so gern ißt und die hier ein Hauptfutter für die Pferde abgeben.

Obgleich Alcira von außen wegen seiner Thürme und Mauern ziemlich großartig ausschaute, so waren doch die Straßen recht eng und winkelig, die Häuser ärmlich und verfallen, und nur hie und da zeugte ein altes Bogenfenster, ein Erker, eine zierlich ausgezackte Mauer oder dergleichen sehr verwischte Spuren von früherer Wohlhabenheit und Pracht. Ich habe nicht leicht elendere Kramläden gesehen als hier in Alcira. Mit ein paar Duros hätte man eine ganze Boutique auskaufen können. Unser Maler verschaffte sich ein paar Schuhe, wie sie um Valencia von den Landleuten getragen werden; es sind eigentlich nur Sandalen, von Binsen geflochten, die mit Stricken von demselben Material an den Füßen befestigt werden. Ein solches Paar Schuhe kostet nach unserem Gelde ungefähr acht Kreuzer.

Glücklicherweise hatte Herr Heeren die Plätze von hier bis Madrid für uns zum Voraus genommen, sonst hätten wir wahrscheinlich zurückbleiben müssen; denn sechs Männer aus der Umgegend, zu Pferde oder Tartane, trafen mit uns zu gleicher Zeit in der einzigen Posada des Ortes ein und machten, als sie unser ansichtig wurden, sich alsbald eilfertig auf den Weg, um Plätze zu belegen. Doch konnten nur noch vier hinten in der Rotunde untergebracht werden, weßhalb die Übrigen mit ziemlich langen Gesichtern heimkehrten.

Unser Gasthof hatte durchaus nichts Angenehmes; große luftige Zimmer mit Steinböden, in denen nur an einem Fenster, wo die Sonne gerade herein schien, eine behagliche Temperatur herrschte. Dort hatten sich aber die sechs eben genannten Reisenden niedergelassen. Wir saßen in der anderen Ecke und erfreuten uns während des Essens unserer Paletots und Filzstiefel. Das Diner war gerade nicht schlecht, und bei demselben befanden sich, wahrscheinlich wegen der Nähe von Valencia, die spanischen Nationalgerichte mit Knoblauch in der Minderzahl. Der dicke, rothe, fast schwarze Landwein, wie auch das Brod waren wie beinahe überall vortrefflich und wenn man dazu die gerösteten Mandeln nimmt, die man immer sehr gut bekommt, sowie die herrliche, dicke spanische Chocolade, so kann man mit diesen Sachen allein schon ein recht gutes Mittagessen machen.

Der Wagen sollte um drei Uhr abgehen; verschiedene nothwendige Reparaturen aber, eine gesprungene Hemmkette, einige gebrechliche Felgen und eine bedenkliche Quetschung an der Hinterachse verzögerten dieselbe um eine ganze Stunde und ließen uns zu gleicher Zeit ahnen, welchen Weg wir zu machen hätten. Endlich rief der Mayoral die Passagiere zu ihren Plätzen, der Delantero schwang sich auf und zehn ziemlich abgetriebene Maulthiere trabten klirrend und rasselnd, so schnell es ihnen möglich war, durch die engen Gassen der Stadt hinaus ins Freie.

Hier war nun gleich wieder die alte spanische Straßenmisère; die Räder sanken förmlich ein in die unergründliche Kothlache, welche der Weg bildete, und bei den Bemühungen des Delantero, wenigstens hie und da für Hufe und Räder etwas festen Grund zu gewinnen, legte sich der Wagen jeden Augenblick sehr bedenklich bald auf die eine, bald auf die andere Seite. Es war schade, daß man an dem wirklich schönen Abend durch die herrliche Gegend nicht mit einiger Behaglichkeit fahren konnte. Aber was nützt einem der klarste blaue Himmel, die entzückendste Fernsicht, wenn die Stöße des Wagens so fürchterlich sind, daß man sich fest anklammern muß und oft so auf die Seite geneigt wird, daß man in stillen, schmutzigen Wasserlachen sein Gesicht widerspiegeln sieht! Mit wahrhaftem Heldenmuthe und Ausdauer krabbelten übrigens die armen Maulthiere auf der fast bodenlosen Chaussee vorwärts; vielleicht war es ihnen ein Trost, daß es den ihnen begegnenden Collegen noch schlechter ging; denn die Thiere der Karren und Tartanen, im Eifer, uns auszuweichen, stürzten nicht selten zusammen oder rutschten sammt dem Fuhrwerk in die tiefen Wassergräben.

Alcira ist von allen Seiten mit schönen Gärten und gut gepflegten Feldern umgeben; namentlich führte der Weg, auf dem wir jetzt fuhren, ein paar Stunden lang zwischen Mauern und Einfassungen durch, über denen Orangen und Citronen, so wie zahlreiche Gruppen hochstämmiger, schlanker Palmen emporragten.

Als es ganz dunkel geworden war, fuhren wir längere Zeit aufwärts und ließen so den Koth und Schmutz hinter uns. Doch wurde der Weg deßhalb nicht besser. Mir ist es in der That unbegreiflich, daß wir an dem heutigen Abend nicht wenigstens ein Dutzend Mal umwarfen. Aber ich komme immer mehr zu der Ansicht, daß die spanischen Eilwagen einen besonderen und sehr mächtigen Schutzgeist haben, der sie wieder ins Gleichgewicht bringt und ohne zerbrochene Räder und Achsen durch Dick und Dünn hindurch führt. Zum Überfluß hörten wir endlich in der Tiefe neben uns einen Fluß rauschen, zu dem es nun im tollsten Jagen hinabging. Statt aber auf die Brücke einzubiegen, die, breit und massiv und scheinbar sehr solid, hinüberführte, fuhren wir in den Kies des Ufers hinein, worauf der Wagen mit einem plötzlichen Rucke hielt.

Der Mayoral öffnete den Schlag und bat uns, auszusteigen. Es war wieder einmal die alte Geschichte. Der mittlere Bogen der Brücke war vor Gott weiß wie langer Zeit von einem Hochwasser weggerissen worden, und nun mußte sich alles, was hinüber wollte, so gut es eben ging, durch das Wasser hindurch arbeiten. Der Zagal begleitete uns Passagiere eine Strecke abwärts, wo vermittelst Pfähle und Steine eine Art Nothbrücke hergerichtet war. Auf der Mitte derselben angekommen, blieb ich einen Augenblick stehen, um dem schweren Eilwagen zuzuschauen, wie er langsam und schwankend durch den tiefen Kies hindurch fortgezogen wurde. Es war ein unheimlicher Anblick. Der Fluß strömte durch eine tiefe Schlucht und lag, da die Nacht hereingebrochen war, so dunkel, daß Wagen und Maulthiere nur wie Schattengestalten erschienen. Dazu hatte sich der Himmel mit Wolken überzogen und der Regen rieselte herab. Das Wasser mochte in der Mitte des Flusses über drei Fuß tief sein und es war jammervoll anzusehen, wie sich die müden Zugthiere abplagten, den Wagen vorwärts zu schleppen. Dazu fluchte der Mayoral, die Peitschenhiebe knallten, der kleine Delantero mit seiner dünnen Kinderstimme rief beständig sein: Anda, anda, cavallo! der Kies knirschte und das Wasser rauschte. Ein paarmal hatte es den Anschein, als bliebe der Wagen stecken, – eine erfreuliche Aussicht für uns. Doch der Schutzgeist, dessen ich vorhin schon erwähnte, half auch hier wieder, und nach einer halben Stunde schleppten die dampfenden Thiere den Wagen am andern Abhange hinauf.

Wir setzten uns wieder ein und erreichten nach einer Stunde San Felipe, wie mir schien, eine freundliche, wohlgebaute Stadt mit ansehnlichen Häusern, aus deren Fenstern ein heller Lichterglanz auf die Straße herausstrahlte, während wir vorüber rasselten. Es ist das für mich bei nächtlichen Fahrten immer ein peinliches Gefühl gewesen; man muß auf schlechten Wegen in die Nacht hinaus, während dort Alles zu Hause um das freundliche Licht im Kreise sitzt; zuweilen auch erscheint ein Gesicht an den Fensterscheiben und der Mund scheint sagen zu wollen: Wie bin ich froh, daß ich zu Hause sitze und nicht dort hinauszufahren brauche!

Um recht bequem zu sitzen, hatte Herr H. einen Platz für uns mehr genommen, den er aber in Alcira einem jungen Manne auf seine Bitten abtrat, der mit uns von Valencia gekommen war und ebenfalls nach Madrid wollte. Er war, wie er uns später erzählte, Schriftsteller und bis vor Kurzem Mitredacteur des Oppositionsblattes Clamor Publico gewesen, hatte aber eher das Aussehen eines Reiteroffiziers in Civil. Er war von angenehmem Äußerem, trug einen Schnurrbart, einen Calabreserhut, einen kurzen spanischen Mantel, hohe gelblederne Stiefel und rauchte eine Papier-Cigarre um die andere. Für den ihm abgetretenen Platz bewies er sich sehr dankbar, und da er in San Felipe genau Bescheid wußte, so führte er uns trotz des Widerstrebens des Conducteurs in ein benachbartes Kaffeehaus, wo wir in möglichster Schnelligkeit unseren Thee nahmen.

Unterdessen hatte der Mayoral eine Laterne angezündet, und als wir einstiegen, gab er uns die tröstliche Versicherung, nur noch eine kleine Stunde sei der Weg ziemlich schlecht, dann aber würden wir die Hauptstraße erreichen und lustig wie auf dem Zimmerboden dahinfahren. Fort ging es nun in die Nacht hinaus und das Stück Weges bis zur Chaussee war eine artige Arbeit von Seiten der Maulthiere und ein schmerzliches Dulden von Seiten der Passagiere. Es ging unbeschreiblich steil abwärts und ebenso wieder in die Höhe, so daß Zagal und Mayoral nicht genug Steine unterschieben konnten, um den schweren Wagen vor dem Zurückrollen zu bewahren. Durch reißende Felsbäche fuhren wir an tiefen Abhängen vorbei, deren Schutzmauern eingestürzt waren, erreichten endlich aber glücklich die verheißene Chaussee und mit ihr in der That einen besseren Weg.

Die Nacht ging dahin, mit den bei solchen Fahrten gewöhnlichen Abwechslungen; wir erreichten eine Station um die andere, bald ein einsam gelegenes Haus, auf dessen weitem Vorplatz ein mächtiges Feuer brannte, an dem wir Passagiere uns erwärmen konnten. Hier trafen wir auch fast jedesmal ein paar vollständig bewaffnete Guardias Civiles, eine treffliche Straßenpolizei, die man in Spanien auf allen Wegen bei Tag und Nacht findet. Bald erreichten wir kleine Ortschaften und in einer derselben – es mochte gegen vier Uhr Morgens sein – schlug unser junger Redacteur vor, ein Frühstück einzunehmen, wozu der Mayoral, der draußen jämmerlich durchfroren worden war, gern seine Zustimmung gab. Mit vielem Rumor wurden die Leute im Hause erweckt, und bald erschien auch die Wirthin mit einer Magd, nicht gerade zu übelgelaunt, daß man sie zu so früher Stunde aus dem Bette aufgejagt. Pfannen und Kessel wurden zum Feuer gerückt, und zur besten Nachahmung in unserem wohl eingerichteten Deutschland muß ich rühmen, daß nach einer starken Viertelstunde ein sehr solides Frühstück bereit stand und zwar gekochter Reis mit Fleisch und spanischem Pfeffer, gewärmte Feldhühner à la Knoblauch, weichgesottene Eier und vortreffliche Chocolade, süß, schwarz und so dick, daß die freilich sehr dünnen Löffel fast aufrecht darin stehen blieben. Die Bezahlung war ebenfalls mäßig, und neu gestärkt und erwärmt fuhren wir dem kalten Morgen entgegen. Die Temperatur, und mit ihr die Vegetation hatte sich seit gestern Abends so auffallend verändert, daß der Contrast nicht leicht hätte größer sein können. Der Boden war gefroren, die Felder rechts und links von der Straße leicht mit Schnee bedeckt, und wir, die wir gestern durch Orangen- und Palmengärten gefahren, sahen heute nur noch niedrige Buxbaumsträucher und magere Olivenbäume. Auch mußten wir uns dicht in unsere Mäntel wickeln, um nur einigermaßen warm zu bleiben. Dabei aber ließ die Geschwindigkeit des Fahrens nichts zu wünschen übrig und wo es eben thunlich war, jagten unsere zehn Maulthiere in vollem Galopp dahin.

Wir hatten aber auch wegen des schlechten Wegs von gestern Abends viel einzuholen und hätten das Städtchen Albacete schon um elf Uhr Vormittags erreichen sollen; doch Stunde um Stunde verstrich, Station um Station erschien und der Mayoral schüttelte beständig den Kopf, so oft wir ihn fragten, ob jetzt nicht bald einmal Albacete käme. Dabei war die Gegend einförmig und trostlos; unabsehbares hügeliges, mit Schnee bedecktes Land, über welches ein eiskalter, scharfer Wind unaufhörlich uns entgegen strich; auch schneite und regnete es abwechselnd, und die Stationsplätze, an denen wir hielten, waren so erbärmlicher Art, daß unser armer Redacteur nicht einmal einen Tropfen Wein auftreiben konnte und wir endlich erst gegen ein Uhr vermittelst eines Glases Branntwein, einer scheußlichen Wurst und eines Stückes gewiß mehrere Monate alten Brodes ein einfaches Diner halten konnten.

Endlich um vier Uhr Nachmittags sahen wir Albacete vor uns liegen; noch ein paar Hügel auf und ab und wir hatten das Städtchen erreicht. Bis jetzt war mir in Spanien kein elenderes, ärmlicheres Nest erschienen. Es lag auf einer Höhe, der Wind pfiff und heulte durch die Straßen, alle Häuser schienen aus Lehm gebaut, und fast kein einziges hatte ein ordentliches Fenster. Halb verfallene Mauern umgaben das Ganze und zogen sich nebenbei noch um jedes einzelnstehende Gebäude herum. Wenn wir auch in den spanischen Ortschaften an kleine unbedeutende Fenster gewohnt waren, so fiel es uns doch auf, daß die hiesigen förmliche Schießscharten waren; ebenso waren die langen Mauern crenelirt und beim Einfahren in den Ort sahen wir rechts und links Erdaufwürfe, die augenscheinlich dazu gedient hatten, Geschütze hinter ihnen aufzustellen. Unser Redacteur löste uns diese Räthsel, indem er uns erzählte, daß Albacete während der Bürgerkriege sich lange und hartnäckig vertheidigt habe. So trostlos übrigens die endlose schneebedeckte Chaussee gewesen, so war sie doch noch heimlicher und angenehmer, als die Gassen dieses Ortes; überdieß fand sich die Hauptstraße durch einen umgestürzten Eselskarren vollständig verbarrikadirt, und nach einigem Überlegen entschloß sich der Mayoral, das Postgebäude auf einem Umwege durch enge Seitengassen zu erreichen. Diese Seitengassen aber waren eigentlich nichts mehr und nichts weniger als Düngergruben hinter den Häusern, welche zuweilen mit kleinen, artigen Steinbrüchen abwechselten. Stückweise wurden wir fortgeschleppt und lagen bald auf der einen, bald auf der andern Seite. Hier mußte auch endlich der Schutzgeist ermattet abgelassen haben; denn im Angesichts des Posthauses, als wir eben wieder in die sogenannte Hauptstraße einbiegen wollten, sanken die beiden linken Räder unserer Equipage in ein so unergründliches Loch, daß sich der Wagen, übrigens ziemlich sanft, gegen eines der Häuser lehnte. Mir erschien es als das größte Wunder, daß die Lehmbarake nicht unter dem Stoße zusammenbrach; da ich an dem linken Fenster saß, so kam ich so nahe an eine der oben erwähnten Schießscharten, daß ich einer erschreckten alten und sehr dicken Spanierin, welche dort stand und mit lautem Aufschrei zurückfuhr, freundschaftlich die Hand hätte schütteln können. Von einem vernünftigen Aufrichten des Wagens war übrigens keine Rede; der Mayoral verließ sich auf sein Glück und die Maulthiere, wandte letztere rechts in die Straße und peitschte nun unter Hülfe des Zagals so toll auf sie hinein, bis sie denn auch glücklich den Wagen von dem Hause wegrissen, der nun begreiflicherweise nach rechts hin das Übergewicht bekam und nach dieser Seite uns vollständig in den Straßenschmutz hinwarf. Zum Glück hatte Niemand Schaden genommen, und wir machten die paar Schritte bis nach dem Post- und Gasthofe, trotz allem erlittenen Ungemach, in bester Laune zu Fuß.

In Alcira hatte man uns gesagt, die Post würde sich in Albacete zwei Stunden aufhalten und dann ohne Weiteres nach Madrid gehen. Uns war es nach einer angestrengten Fahrt nicht unangenehm, hier in Albacete eine Zeit lang ausruhen zu können, zumal, da das Gasthaus – ich glaube, es war das einzige, wenigstens, das beste im Orte – nicht ungastlich aussah. Es hatte wenigstens ein paar ordentliche, vergitterte und verglaste Fenster nach der Straße zu, und als wir den Thorweg hinter uns hatten, kamen wir in einen kleinen, viereckigen Hof, der gewiß im Sommer recht heimlich und angenehm war. An einem steinernen Brunnen in der Mitte schlang sich eine dicke Weinrebe empor, die vielleicht zwanzig Fuß hoch vom Boden den Hof mit einem Netze von Zweigen überspann; rings um diesen letzteren herum liefen Gallerieen, von denen aus man in die verschiedenen Zimmer kam. Leider aber war die Rebe gänzlich ohne Blätter, ja die stärkeren Äste waren zum Theil mit Schnee bedeckt, und ebenso die Steinplatten des Bodens ganz weiß, – in Spanien gewiß ein untröstlicher Anblick. Der Speisesaal schien ebenfalls für den Sommer berechnet zu sein, denn es war in ihm weder Ofen noch Kamin, und um unsere erstarrten Füße wieder einigermaßen zu erwärmen ließen wir uns einen großen Brassero unter den Tisch schieben.

Unser Diner war recht ordentlich, nur verbitterte uns die Kellnerin das Dessert durch die Nachricht, daß wir wahrscheinlich nicht so bald von hier wegkommen würden. Die Wege von hier nach Ocanna und Madrid seien fürchterlich, sagte sie, der Boden uneben und sogar gefroren, was die Verspätung aller Posten nach sich zöge. Wir müßten hier auf die Kutsche von Madrid warten, welche nach Murcia weiter ginge und ebenfalls auf die von Murcia, welche hier durchkomme, um uns mit nach der spanischen Hauptstadt zu nehmen. Das waren unerfreuliche Nachrichten und zu gleicher Zeit erfuhren wir noch, daß wir unsere guten Plätze vielleicht verlieren würden, indem wir den Passagieren aus Murcia nachstehen müßten. Der Wagen aus dieser Stadt, meinte die ungemein redselige Spanierin, sollte eigentlich um vier Uhr eintreffen, würde aber nicht vor Mitternacht da sein. »Carramba!« setzte sie hinzu, wobei sie die Arme in die Seite stemmte, »das kann euch doch am Ende ganz einerlei sein; hier in Albacete ist man sehr gut aufgehoben; wir haben vortreffliche Zimmer und sehr gute Betten.«

Da es nun nicht in unserer Macht lag, die Fahrt des Murcianer Wagens zu beschleunigen, so ergaben wir uns in unser Schicksal, tranken nach Tisch Jeder eine doppelte Portion heißer Chocolade, und da wir alle müde und schläfrig waren, auch es nicht möglich schien, ein hell loderndes Kaminfeuer zu unterhalten, so beschlossen wir, dem Rathe der Kellnerin zu folgen und ließen uns die vortrefflichen Zimmer mit den sehr guten Betten zeigen. Die ersteren hatten keine Glasfenster, sondern nur hölzerne Fensterläden; die letzteren bestanden aus schwankenden Schragen, die beim Aufsteigen bedenklich krachten und waren mit einer sehr dünnen Wollenmatratze bedeckt. Dazu war der kalte Steinboden auch gerade nicht angenehm, weßhalb wir uns beeilten, unter unsere dicke, wärmende Manta zu kriechen, welche wir in Valencia gekauft. Der Maler und ich hatten ein gemeinschaftliches Zimmer, wir rauchten im Bette noch eine gute Puros (die Benennung der echten Havannah-Cigarren im Gegensatze zu den Papier-Cigarren) und versuchten es dann zu schlafen, was meinem Freunde alsbald gelang; mir dagegen war es eigentlich noch zu früh – es mochte sechs Uhr Abends sein –, und ich dachte an unsere vergangene Tour, an den morgenden Tag, an Madrid, an die Heimath. Neben meinem Bette befand sich einer der oben erwähnten Fensterläden, der mir nicht fest geschlossen zu sein schien; ich versuchte es, ihn zuzumachen, doch versagte das schlechte Schloß den Dienst, und er öffnete sich ganz, wodurch sich mir über die Gallerie hinweg eine Aussicht auf den Hof mit der schneebedeckten Weinrebe bot. Der Mond mußte am Himmel sein, denn der kleine Hof war ziemlich hell beleuchtet. Da die Nachtluft kalt hereindrang, so wollte ich meinen Laden wieder schließen, als ich von einem der Zimmer im Erdgeschoß die Töne eines Klaviers hörte, der Guitarre Accorde und das leise Knattern von Castagnetten, – etwas spanisches Leben, dachte ich mir. Wie hätte ich da ruhig schlafen, können! Ich lauschte, – ja es war eine wohlklingende Mädchenstimme, welche gleich darauf sang:

Qué calia, y cómo cruje
Ji baila jota ó fandango!
Y qué brio en cada empuje!
Y qué gloria de remango
      Alza, ola!
Vale un mundo mi manola.

Es war das zum erstenmale, daß ich einen schönen, echt spanischen Gesang vernahm, denn das Tremuliren, fast Jodeln der Zagals oder Delanteros, das ich schon öfter gehört, hat wohl etwas Eigenthümliches, aber nichts Angenehmes für das Ohr. Ich beugte mich zu meinem Fenster hinaus, um den Ort zu erkennen, woher der Gesang kam, und sah drunten eine Thür sich öffnen, aus welcher heller Lichter- oder Feuerglanz, sowie Musik und Gesang herausdrang. Als ich noch so zuhörte, schlurften Tritte auf dem Gange, Jemand trat an die Brüstung der Gallerie und schaute ebenfalls auf den Hof hinab. Es war Herr H., welcher sein Bett noch nicht aufgesucht hatte; ich rief ihn an, und als er an mein Fenster trat, sagte er: »Es ist eigentlich gut, daß Sie noch nicht schlafen; ich sprach so eben unsern Mayoral, welcher mir versicherte, der Eilwagen aus Murcia werde keinenfalls vor morgen früh acht, neun oder zehn Uhr kommen; da drunten scheint mir eine lustige Gesellschaft zu sein, auch ein gutes Kaminfeuer; ich hätte wohl Lust, mich noch ein wenig zu erwärmen.« Natürlich war ich gleich dazu bereit, rief auch meinem Schlafkameraden zu, der übrigens sein Bett mit einigem Widerstreben verließ, denn er behauptete, er habe sich prächtig erwärmt und schon ein ordentliches Stück geschlafen. Unser kleiner Baumeister war ebenfalls bald auf den Beinen, und so zogen wir denn den Tönen des Klaviers und der Guitarre nach; der Gesang war unterdessen verstummt.

Richtig! neben dem Speisezimmer fanden wir eine recht angenehme Gesellschaft: der Wirth des Hauses mit einigen seiner Freunde, der Tochter des Ersteren, ein junges und sehr hübsches Mädchen mit ein paar nicht minder angenehmen Gespielinnen und vor Allem ein mächtiges Feuer, das im ersten Augenblicke die meiste Anziehungskraft auf uns ausübte. Die musikalische Abendunterhaltung wurde übrigens durch unseren Eintritt unterbrochen und nur auf vieles Bitten erhielten wir noch ein Lied, mußten uns aber dagegen entschließen, auch von unseren vaterländischen Gesängen etwas Preis zu geben; Herr H. spielte fertig einige Stücke auf dem Klavier, und ich hatte mein Mögliches geleistet, als ich sang:

Sah ein Knab ein Röslein stehn,

und:

Muß i denn, muß i denn zum Städtele 'naus.

Den Text mußten wir den jungen Spanierinnen übersetzen; doch meinte eine von dem ersten Liede, der Knabe hätte sich umsonst seine Finger zerstechen müssen, wenn Röslein sich ordentlich gewehrt hätte.

Da wir nun einmal im Zuge waren, so brauten wir einen Punsch, bei welchem die Ingredienzien gut, die Art der Bereitung aber sehr mangelhaft war. Es wurde ein kleiner Kessel über das Feuer gehängt, Wasser, Rum, Citronensaft und Zucker hineingethan und das Ganze gekocht. Ein älterer Mann, welcher am Feuer saß, erhielt die Aufsicht über den Trank und mußte mit einem Suppenlöffel die Gläser vollgießen. Wir selbst hatten Wichtigeres zu thun: Bänke und Stühle wurden nämlich auf die Seite gerückt, Herr H. spielte einen lustigen Galopp, und in Kurzem war ein förmlicher Ball arrangirt, zu dem die Guitarre in den Händen des Wirths zuerst leisere, dann immer lautere Accorde lieferte, wozu die Castagnetten immer toller knackten und zu dem wir tanzten, so daß der alte Fußboden krachte und sich der schneebedeckte Weinstock im Hofe, der zur offen stehenden Thüre herein schaute, aufs höchste zu verwundern schien. Ich muß gestehen, daß Punsch und Tanz bis nach elf Uhr dauerten; dann suchten wir abermals unsere Betten auf und schliefen nun ungestört, fest und angenehm bis zum hellen Morgen.

Ja, es war fast zehn Uhr, als wir die zum Frühstück unentbehrliche Chocolade tranken, und noch keine Spur von dem Eilwagen aus Madrid und Murcia! Die Kellnerin meinte, wir könnten ohne alle Gefahr auf drei Uhr unser Mittagessen bestellen, es müsse in der Gegend von Murcia sehr viel Schnee gefallen sein; und vielleicht, setzte sie lachend hinzu, sei der Wagen auch irgendwo umgeworfen worden, und wenn das wäre, so könnten wir wohl heute noch einmal die gestrige Tanzpartie wiederholen –, eine sehr untröstliche Aussicht. Der Reiz, den der Gasthof gestern Abends für uns hatte durch das gute Kaminfeuer, durch Gesang, und Tanz, war gänzlich verschwunden; ja, sogar der Weinstock erschien uns heute unendlich prosaisch; der Himmel war klar, die Sonne erschien über den Häusern und der Schnee tropfte langsam von den Ästen und von den Dächern herab.

Der Gasthof war sehr kalt und öde, und erst die Straßen und der Ort dazu! Der Maler und ich, wir machten einen Gang durch die Gassen an lauter Lehmhütten vorbei; nur eine einzige Straße war da mit ziemlich anständigen Häusern, in denen sich einige Läden befanden –, Magazine mit buntfarbigen Mantas, groben baumwollenen Hemden, rothen Kopftüchern, Binsen-Sandalen, Tabak und Salz. Auf dem Marktplatze sahen wir runde Strohschirme, zeltförmig an Stangen befestigt, unter denen frierende Obstweiber saßen, auf den Schnee hatten sie ihre Körbe gestellt, und die armen Südfrüchte, Orangen, Citronen und Granatäpfel, nahmen sich in der schmutzigen und frostigen Umgebung recht traurig aus. Übrigens war der Marktplatz und auch die Straße trotz des für hier sehr kalten Winterwetters ziemlich belebt. Der Spanier kann es zu Hause nun einmal nicht aushalten; wenn er Geld hat, geht er ins Café, und wenn nicht, so stellt er sich mit seinen Bekannten auf die Straße, um zu plaudern. Zum Standorte wird aber jeder Sonnenstrahl benutzt, und wo auf dem Marktplatze von Albacete das helle und erwärmende Licht hindrang, da sah man lange Reihen Einwohner bei einander stehen, und Weiber und Kinder an den Häusern entlang zusammensitzen. Letztere verbanden hierbei das Angenehme mit dem Nützlichen, denn sie lausten sich nach der Lancaster'schen Methode, wobei oft drei, vier mit gespreizten Beinen hinter einander saßen. Die Männer dagegen, in den unentbehrlichen Mantel gewickelt, rauchten eine Papier-Cigarre um die andere.

Bei unserer Rückkunft in den Gasthof trafen wir den jungen Redacteur in kurzem Mantel und Reitstiefeln, der hier in Albacete Geschäfte hatte und uns gestern bei der Ankunft verließ. Auch er hatte viel Unangenehmes über die Straße nach Madrid gehört und meinte, wenn es nicht gar so kalt wäre, so zöge er es vor, durch die Mancha zu reiten. Seine Worte fielen bei Horschelt und mir als Samen auf sehr fruchtbaren Boden. Wir hatten noch immer unsere fehlgeschlagene Tour von Valencia nicht vergessen können und baten nun Herrn Heeren, der hier einen Geschäftsfreund hatte, er möge sich doch erkundigen, ob es nicht möglich sei, von hier zu Pferde oder zu Maulthier nach Madrid zu gelangen. Da ihm selbst die noch bevorstehenden zwei, vielleicht auch unter Umständen drei Tage und Nächte nach Madrid auf so scheußlichen Wegen unangenehm genug vorkamen, so ging er mit dem jungen spanischen Schriftsteller, um sich nach dem Wege durch die Mancha zu erkundigen.

Bei Albacete vorbei führt die projectirte Eisenbahn von Valencia nach Madrid, und ein kleines Stück von hier bis La Roda, vielleicht fünf Leguas – eine Legua ist stark anderthalb deutsche Stunden –, sollte nächster Tage zur Probe befahren werden. Herr Heeren, welcher große Lieferungen von Locomotiven und Wagen für die spanischen Eisenbahnen besorgt, kannte deßhalb mehrere der Beamten und Ingenieure, und er kam auch nach einer halben Stunde mit genügenden Nachrichten zurück. Man hatte ihm eine vollständige Marschroute aufgeschrieben, von hier nach La Roda auf der großen Straße, und von dort über Villarrobledo, Campo critana nach Tembleque – von letzterem Orte ging die Eisenbahn nach Madrid –, mit Angabe der Entfernung dieser Ortschaften und der Nachtquartiere. Der Ingenieur, der ihm dies besorgt, hatte freundlicher Weise seine Visitenkarte beigefügt, auf welche hin wir bei Privatleuten in den verschiedenen Dörfern gern ein Unterkommen finden würden. Die Fonda's seien durchweg außerordentlich schlecht. Das waren die Lichtseiten des Berichtes. Die anderen, das Aber, lauteten, die Wege würden hier und da fast grundlos sein, auch die Kälte auf der weiten, baumlosen Ebene in der Mancha sehr unangenehm, fast unerträglich, und wenn wir einen guten Rath annehmen wollten, so sollen wir lieber einen Tag länger mit dem Eilwagen, vielleicht auf sehr schlimmen Wegen, aber doch sicherer gehen.

Herr Heeren und unser Baumeister waren nun durchaus nicht für die Reittour eingenommen, deßhalb mußten wir beide nachgeben, um so mehr, als im entscheidenden Augenblicke einige Buben herbeiliefen und die Nachricht brachten, endlich lasse sich die Postkutsche sehen. Es war die Madrider, die nach einer Viertelstunde mit gänzlich abgematteten Thieren vor das Haus kam; der Mayoral, erschöpft und mißmuthig, sprang fluchend von seinem Sitze, und Zagal und Delantero ließen ihre Köpfe noch tiefer hängen als selbst die Maulthiere.

Das war also der Wagen, der uns mit denselben müden Thieren weiter befördern sollte. Doch konnte er nicht eher abfahren, als bis die Murcianer Kutsche angekommen war, und von der sahen und hörten die ausgeschickten Boten nicht eine Spur. Im Post-Bureau wurde ein großer Rath gehalten und endlich beschlossen, den Madrider Wagen neu zu bespannen und dem anderen entgegen zu schicken. Es war Mittags zwei Uhr geworden, und eine halbe Stunde später fuhr denn auch die eben angekommene Kutsche wieder davon, um nach ihrer Collegin zu sehen; aber noch bei dem Hause passirte schon ein Unglück. Die Gasse war sehr eng, der Mayoral nahm die Wendung etwas zu kurz und fuhr gegen eine der Lehmmauern, die ein Grundstück umfaßten, so stark an, daß das morsche Mauerwerk unter dem Stoße zusammenbrach und Räder und Achsen mit Steinen bedeckt wurden. Es dauerte eine Zeit lang, bis der Wagen wieder frei wurde und weiter konnte. Wie wir später erfuhren, mußte er, da die Hauptstraße noch immer unprakticabel war, noch einige Kreuz- und Querzüge durch den Flecken machen und hatte auch noch sonstige Unannehmlichkeiten zu bestehen gehabt, ehe er ins Freie kam. Dafür aber trafen die beiden Eilwagen denn auch schon glücklicher Weise nach einer Stunde auf einander, und um vier Uhr kehrte der unsrige nach Albacete zurück, nahm seine Briefschaften für Madrid, unsere und der anderen Reisenden Koffer, und dann hieß es: Caballeros al coche.

Unser Eilwagen war ein ansehnliches Gebäude, befand sich aber schon im vorgerückten Alter. Die Deichsel wackelte bedeutend und war stark geschient, und die meisten Kutschenschläge litten an einer gelinden Maulsperre. In diesem Kasten also sollten wir vielleicht drei Tage und drei Nächte zubringen. Ich muß gestehen, daß ich denselben vor dem Einsteigen kopfschüttelnd umging und mit einem wehmüthigen Blicke das Wort »Madrid« auf der Hinterseite las. Ach! dachte ich, mit welcher Wonne willst du dieselben Buchstaben auf der Alcalà-Straße wieder lesen! Ich hatte trübe, unbestimmte Ahnung, mit dieser Equipage, trotz bezahlten Fahrgeldes und trotzdem, daß wir nun endlich eingestiegen waren, niemals Madrid zu erreichen. Und, wahrlich! diese Ahnung hat mich nicht betrogen.

Wir drei Reisegefährten, der Baumeister, der Maler und ich, saßen vorn in der Berline (unser deutsches Coupé) – ein Platz, der bei gutem Wetter sehr viel Angenehmes bietet, Spanien aber durch seine Aussicht auf die schlechte Straße und das ewige Stolpern der Maulthiere in den tiefen Fahrgeleisen nicht eben zur Beruhigung der Nerven beiträgt. Der Mayoral bestieg finsteren Blickes seinen Sitz und entgegnete auf meine Frage nach dem Wege – ich muß gestehen, daß ich die üble Gewohnheit hatte, viel zu viel danach zu fragen –, derselbe sei so schlecht wie möglich.


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