Friedrich Hackländer
Ein Winter in Spanien
Friedrich Hackländer

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So fuhren wir dahin, es war am Sylvester-Abend, wo man sich zu gleicher Zeit in der Heimath anschickt, die letzten Stunden des Jahres so angenehm und kurzweilig wie nur immer möglich zu verbringen, wo man öffentlich einen soliden Punsch zubereitet und heimlich seine Pistolen ladet, um der Polizei an diesem Festabende ebenfalls eine unverhoffte kleine Freude zu bereiten. Der Himmel war klar, dunkelblau, und die Sonne ging mit einer unendlichen Pracht unter; wie ein Nordlicht strahlte der Himmel, als sie schon eine Zeit lang verschwunden war, noch immer in gewaltiger Gluth. Dabei war die Luft so rein, daß man die Gestalt jedes Zweigleins an den entblätterten Pappeln und Ulmen und den Umriß ganz entfernter kleiner Häuser aufs Deutlichste sah. Zu beiden Seiten schauten wir in eine weite flache Ebene hinein, und es war, als habe der eisige Wind, der uns gestern verlassen, hinter Albacete auf uns gewartet; denn kaum waren wir wieder im Freien angelangt, so blies er uns von der Seite an, sauste durch die Wagenfenster und jagte Mähnen und Schweife der Zugthiere auf die Seite. Der Mayoral hatte sich fröstelnd in seine Decke gewickelt, und der Delantero machte vorn auf seinem Pferde mit Händen und Füßen Bewegungen wie ein Hampelmann, wahrscheinlich um sich zu erwärmen. Der Zagal aber hatte den besten Theil erwählt und wurde von uns allen beneidet: er trabte neben der Kutsche her und litt auf diese Art weniger von der Kälte.

Die Chaussee, auf der wir fuhren, lief gerade, war sehr breit, mit Bäumen bepflanzt und ursprünglich mit Sachkenntniß angelegt, später aber gräulich vernachlässigt worden. In den tiefen Koth, der sie in den letzten Tagen bedeckt, hatten die schweren Karren und Wagen unergründliche Geleise geschnitten, die nun jetzt hart gefroren waren und sehr gefährliche Gruben für die Räder und die armen Zugthiere darboten. Es war in der That peinlich anzusehen, wie die letzteren von der hin- und herfahrenden Deichsel bald nach rechts, bald nach links gerissen wurden, ausglitten, stolperten, sich mühsam wieder aufrafften oder auch zuweilen ganz niederstürzten, wenn die Deichsel bei einer zu schnellen Bewegung einem dieser armen Geschöpfe alle vier Füße unter dem Leibe wegschlug.

Anfänglich ertrugen wir mit gutem Muthe diese unangenehme Fahrt; als aber die letzte Röthe vom Himmel verschwunden war und dieser nun wie dunkler Stahl glänzend mit seinen unzähligen Sternen über uns prangte, als wir durch Erzählung früherer Sylvester-Abende uns gegenseitig erweicht und gerührt, da vernahm man zuweilen zwischen dem Takte eines mühsam gesungenen lustigen Liedes einen tief verstohlenen Seufzer, und wir gestanden uns gern, das Reisen habe im Allgemeinen doch seine großen Unannehmlichkeiten. Glücklicher als wir beiden war unser kleiner Baumeister, der von der Natur die Gabe empfangen, in jedem Eilwagen, auf jeder Straße, sobald er sich in seine Ecke gedrückt, augenblicklich einzuschlafen. Noch war das erste hatjé! hatjé! des Zagal nicht verklungen, so gab er nur noch spärliche Antworten, und bald darauf schnarchte er regelmäßig wie das unschuldigste Kind in seinem Bette. Im Andenken an einen Roman von Dickens, wo ein Junge vorkommt, ebenfalls so glücklich begabt, daß er alle Mühseligkeiten dieses Lebens verschläft, nannten wir ihn wie diesen Joe, und auf die Frage im Eilwagen: Was macht Joe? erfolgte immer die gleiche Antwort: Der Joe schläft. So auch heute wieder; er hörte nicht, wie sechs Murcianer im Innern des Wagens allerlei ihrer vaterländischen Lieder in die Nacht hinausbrüllten und wie der Mayoral mit Peitschenknallen und unaufhörlichen Scheltworten zwischen die armen Maulthiere hinein fuhr; er sah nicht, wie unser Rosselenker endlich abstieg, um sich gehend zu erwärmen, wie es vorn der Delantero eben so machte und wie nun der Wagen ohne Leitung in stockdunkler Nacht – denn unsere einzige Laterne war nicht der Rede werth – auf der Chaussee dahin wankte und stolperte. Horschelt und ich aber sahen all dieses im hartnäckigsten Wachen um so deutlicher und wurden immer verdrießlicher, immer unangenehmer, immer mit uns selbst unzufriedener. Wenn das so fortgeht, seufzte ich, so kommen wir in acht Tagen nicht nach Madrid! – Vorausgesetzt, entgegnete der lange Maler, daß wir nicht in einem Graben den Hals brechen; namentlich wäre hier die schönste Gelegenheit dazu; denn wenn ich scharf in die Nacht hinausluge, so bemerke ich, daß wir keine Hand breit vom Chausseegraben entfernt sind. – Du? – Was? – Dieses Fahren in Spanien ist unter aller Beschreibung. – Na, du wirst's doch noch ärger beschreiben, als es wirklich ist. – Aber ist es nicht fürchterlich? – Niederträchtig! – – Du? – Was? – Drei Tage und drei Nächte, nicht wahr, das schmeckt dir? – Ein Esel wäre mir lieber, als die Kutsche. – Und mir erst! – Ich hätte mir aus dem Frost und der Mancha nichts gemacht. – Und aus den schlechten Nachtquartieren. – Meinst du nicht vielleicht, wir sollten noch... Aufrichtig gesagt, mir wäre es das Liebste, denn ich fühle mich nervös, wie nie, in dieser scheußlichen Maschine. – Es liegt ja in unserer Macht, ich habe die Reiseroute des Herrn H. in der Tasche. Was meinst du? Riskiren wir es in Gottes Namen. Die zweite Station ist La Roda, von wo wir die Chaussee verlassen müßten. Dort bleiben wir; ich habe überhaupt fürchterliches Kopfweh. Was meinst du dazu? – Mir ist es recht. – Also abgemacht! – Und Joe? – Ach! der schläft. Der hat's gut! – Ja, er hat's gut! seufzten wir darauf beide und versanken nach diesem Zwiegespräch in Stillschweigen, um nochmals über den gefaßten Entschluß nachzudenken.

In Gineta wechselten wir die Thiere, und ich sprach einleitend mit Herrn H., sagte ihm von meinem unausstehlichen Kopfweh und ließ durchblicken, daß, wenn dasselbe sich nicht bessere, ich in La Roda bleiben und dann sehen müsse, wie ich später weiter käme. Ich muß nun gestehen, daß er mir sehr davon abrieth, schlechte Wege, Hunger, Frost, ja sogar Räuber zu Hülfe rief, und vielleicht auch unseren Entschluß wankend gemacht hätte, wenn der Weg von hier nach La Roda nicht noch schlechter gewesen wäre, als der auf der ersten Station. So aber erreichten wir dasselbe so mißmuthig, so abgespannt, so gänzlich gesättigt von dem spanischen Eilwagenfahren, daß Horschelt und ich unseren beiden Reisegefährten fest erklärten, wir blieben unter jeder Bedingung hier. Viel Zeit, uns zu überreden, hatten die Anderen glücklicher Weise nicht. Der Baumeister wollte unser Gepäck mit nach Madrid nehmen, Herr H. half uns mit einigen Geldern aus, ermittelte uns im Poststall einen Delantero, der uns in das vom Ingenieur bezeichnete Haus führen wollte, und schrieb mir in meine Brieftasche im besten Spanisch eine freundliche Bitte an die Posten der Guardias civiles, um ihren Schutz; ja, Beide liefen noch mit uns an das bezeichnete Haus, mußten uns aber augenblicklich wieder verlassen, da der Mayoral in der Entfernung unter unzähligen schlimmen Redensarten nach seinen Passagieren schrie. Wir nahmen ziemlich ernsthaft Abschied von einander, ja sogar wehmüthig, und Herr H. versicherte mir später, er habe in der That nicht gedacht, daß das Ding gut ablaufen werde.

So standen wir denn in einem gänzlich fremden Orte, mitten in der Nacht, vor einer fremden Thür, ohne Kenntniß der Landessprache, und als nun in der Ferne der Eilwagen mit unseren Freunden unter Peitschenknall und lautem Geschrei davon rollte, überschlich mich ein eigenes Gefühl. La Roda war unendlich still, kein Licht schimmerte, kein menschliches Wesen ließ sich sehen; ich verglich es in Gedanken mit unseren Städten in Deutschland um diese Stunde, und sagte meinem Freunde, es sei eigenthümlich, daß hier die Neujahrsnacht so still verbracht werde – kein Schießen, kein Lärmen –, eine Äußerung, die mir aber der sonst so geduldige lange Maler im gegenwärtigen Augenblicke höchst übel nahm; denn er sagte, er begriffe nicht, wie man in unserer Lage noch an Schießen und Spektakel denken könne; ich solle ihm lieber helfen, an die Thür zu klopfen, damit uns endlich Jemand aufmache.

Lange Zeit blieb unser immer stärker werdendes Gepolter am Eingange des Hauses unbeantwortet; endlich erleuchtete sich ein Fenster, ein Kopf wurde hinter dem Gitter sichtbar, und so viel wir begriffen, fragte eine Stimme, was wir in der späten Nacht wollten. Hierauf gründlich zu antworten, war für uns sehr schwer, ich sagte deßhalb: Estranjeros quieren pasar la noche aqui, und reichte zu gleicher Zeit die Karte des Ingenieurs – Felix de Bona ist der Name dieses Wohlthäters – zum Fenster hinein. Sie war für uns ein Talisman, denn alsbald erwiederte die Stimme mit dem freundlichsten Tone, man werde uns augenblicklich öffnen, was auch sogleich geschah. Es war eine alte Frau, mit der wir durch das Gitter gesprochen, und die uns, nothdürftig angezogen, im Hausflur empfing und nach dem Wohnzimmer des Hauses geleitete, das in den meisten kleinen spanischen Häusern Küche und Salon zu gleicher Zeit ist. Ein großer Kamin ragt weit in diesen Raum hinein, die Herdplatte ist dicht am Boden, und rechts und links um dieselbe stehen Stühle, auch bei wohlhabenden Leuten, wie unsere Wirthsleute zu sein schienen, ein Sopha.

Der Hausherr selbst, Don Jose, der Mann jener alten Frau, war über Land; gleich darauf aber erschien der Sohn uns aufs herzlichste bewillkommnend. Die Frau kehrte den Platz auf dem Herde rein, brachte einen großen Haufen Reisig herbei, zündete es an und machte so ein hohes flackerndes Feuer, was uns ausnehmend wohl that. Der junge Mann erkundigte sich freundlichst, ob wir etwas zu Nacht zu speisen wünschten; da es aber nahe um Mitternacht war, so baten wir nur um Chocolade und Picatostes (in Öl geröstetes Brod), welches auch alsbald für uns zubereitet wurde. Dabei waren die Leute von einer wahrhaft rührenden Herzlichkeit, und wir hätten gewiß eine schöne Unterhaltung mit ihnen geführt, wenn wir nur nicht so wenig vom Spanischen gewußt hätten; nur was sich auf Essen und Trinken bezog, brachten wir halbverständlich heraus, im Übrigen aber behalfen wir uns mit Italienisch und sehr sinnreichen Pantomimen, in denen wir es jedoch schon im Laufe der nächsten Tage zu einer solchen Fertigkeit brachten, daß wir, nicht ohne die Beihülfe eines französisch-spanischen Vocabulaire, über Mineralogie, Geographie und über den Türken- und Russenkrieg eifrige Unterhaltungen pflogen.

Als unsere Chocolade fertig war, zog ich meine Uhr hervor und sah, daß es Mitternacht war, also jener Zeitpunkt, wo das alte Jahr Abschied nimmt und das neue sein Regiment antritt. Für uns war dieser Wechsel dieses Mal vielleicht bedeutungsvoller, als der mancher früherer Jahre. Nicht nur, daß wir eine weite und vielleicht auch gefährliche Reise vor uns hatten, sondern wir waren auch in der heutigen Nacht vom geraden und breitgetretenen Pfade abgewichen, um uns auf eigene Faust und mühsam auf schlechten Wegen dem ersehnten Ziele zu nähern; und wie wir so, nicht unbehaglich, am Kaminfeuer saßen, waren wir erfreut über unseren Schritt und gratulirten uns, dem maulthierlenkenden Mayoral mit seinem stoßenden Wagen entronnen und gewisser Maßen wieder die eigenen Lenker unseres Schicksals geworden zu sein; in diesem Augenblicke schlugen auch draußen die Glocken die Mitternachtsstunde, und mit spanischer Chocolade tranken wir auf das Wohl unserer Lieben, so wie der Freunde zu Hause, und ich vergaß dabei nicht, einer theuren Genossenschaft in der Heimath ein fröhliches »Glück auf!« zuzurufen.

Da wir den andern Morgen so früh wie möglich La Roda verlassen wollten, so erholten wir uns bei unseren Wirthen Rathes, ob wohl in dem Städtchen Reitthiere zu bekommen seien. Doch meinte der Sohn, es werde auf morgen früh schwer halten, er hielt es überhaupt für besser, wenn wir zur Reise nach unserem nächsten Nachtquartier Villarrobledo uns eines einspännigen Karrens bedienen würden; das sei eine charmante Fahrgelegenheit, man könne sich auf Stroh legen, mit der Manta warm zudecken, und er sei versichert, wir würden nach angestelltem Versuche diese Art, zu reisen, dem Reiten bei Weitem vorziehen.

Obgleich es nun nicht in unserer Absicht gelegen, wie eine Waare über Land gekarrt zu werden, so war doch weiter nichts zu thun, und Horschelt, der zwei Worte mehr zu wissen glaubte als ich, schaffte also auf morgen früh um acht Uhr den bewußten Karren an. Darauf wurden wir in unser Schlafzimmer geführt, ein Gemach mit zwei ziemlich guten Betten, einem großen Zeichnentische – es war nämlich das Quartier des abwesenden Stationsingenieurs –, Büchern, großen Karten und Meßapparaten; auch eine Unzahl von Schaufeln und Hauen standen und lagen hier und dort herum.

Wir erfreuten uns eines vortrefflichen Schlafes und konnten erst des anderen Morgens um sieben Uhr durch mehrmaliges Klopfen erweckt werden. Für das Frühstück hatte die Frau besser gesorgt als für das gestrige Souper; es war fast zu viel für diese frühe Stunde; doch da uns Don Joses Sohn versicherte, wir würden den ganzen Tag nichts zu essen bekommen, so sprachen wir den gebackenen Eiern, den gerösteten Schinkenschnitten, den gebratenen Schweinscotelettes und nachher noch der Chocolade mit Picatostes tapfer zu.

Wenn auch so ein spanisches Privathaus recht gut eingerichtet ist, Küche und Keller in der Ordnung sind, es auch gute Betten hat und dergleichen, so ist dagegen in den meisten Fällen für ein anderes, sehr unentbehrliches Bedürfniß schlecht oder vielmehr gar nicht gesorgt. Man ist gezwungen, sich den Hof und die Hintergebäude zu betrachten, und findet dort oft Hausthiere, welche den Eindringling unfreundlich ansehen. So hatten wir beide am heutigen Morgen einen hartnäckigen Kampf zu bestehen mit einem schwarzen Bock und einem großen Truthahn, welche eine Entweihung ihres Territoriums nicht dulden wollten und außerordentlich zudringlich waren.

Die Zeche war für Spanien mäßig, wir bezahlten Jeder etwas über zwei Gulden, und unser junger Wirth schrieb uns noch für das nächste Nachtquartier eine eigenhändige Empfehlung auf unsere Marschroute hin. Diese lautete an einen Sastre (Schneider), welcher aber trotzdem den stolzen Namen Don Alonso führte.

Punkt acht Uhr war der Karren da, eine sehr einfache Maschine; er hatte zwei Räder mit einem Untergestell, zwei kurze Leitern bildeten die Seitenwände, und einige Reifen, welche oben übergespannt waren, trugen eine leichte Strohmatte, die zum Schutze gegen Sonne und Regen diente. Unsere Nachtsäcke wurden zum Sitzen benutzt und vor sie hin ein Strohbund vertheilt. In die Gabel des Karrens ward ein kräftiges Maulthier gespannt, das unser Kutscher und Führer an einer Strickhalfter hielt. Dieser Kutscher war ein gedrungener Kerl, ziemlich mangelhaft bekleidet, namentlich hatten seine Hosen eine entschiedene Neigung abwärts zu sinken, weßhalb seine linke Hand fast immer damit beschäftigt war, sie in der Höhe zu erhalten. Er trug eine gestickte Jacke, einen breitkrämpigen, zugespitzten Hut, hatte aber den unten ganz zerfetzten Mantel mit vielem Anstand um Schulter und Hals geschlungen.

Es verursachte uns einige Mühe in den Karren hinein zu kriechen, denn die Räder waren hoch und von einem Tritt keine Spur. Unser eben beschriebener Führer war der Knecht des Fuhrwerkbesitzers, dieser selbst war indeß auch mitgekommen, um sein Geld in Empfang zu nehmen. Don Joses Sohn aber nahm uns bei Seite und ersuchte uns, ihm den Betrag auszubezahlen, den er dem Anderen sogleich einhändigen werde, sobald der Knecht mit einem Zettel zurückgekehrt sei, auf welchem wir ihm seine gute Aufführung bezeugt. – »Machen Sie es künftig auch so,« sagte er mit einem eigenthümlichen Augenzwinkern; »man kann nicht aller Welt trauen, und lassen Sie unterwegs nirgendwo viel Geld sehen.« Darauf reichten wir ihm nochmals vom Karren herab die Hände und humpelten unter ziemlich unsanften Stößen über den hartgefrorenen Boden durch La Roda hinaus ins Freie.

Ich kann nun gerade nicht behaupten, daß unser Sitz sehr angenehm gewesen wäre; wir hatten keinen Rückhalt, und daß wir die Beine und Füße gerade vor uns ausstrecken mußten, war sehr ermüdend. Eine russische Teleka ist ein viel angenehmeres Fahrzeug; sogar ein türkischer Karren, den ich einst in Rumelien benutzt, war mit mehr Comfort gebaut, als dieses spanische Landfuhrwerk. Schon nach der nächsten Viertelstunde verließen wir unseren Sitz und legten uns der Länge nach in den Karren hin. Das ging schon besser, doch sahen wir so nichts weiter vor uns, als das Hintertheil des Maulthieres, dessen Schweif sehr abgeschunden war, was wohl daher kam, weil man es beständig ganz fest nach hinten in die Deichselbäume gespannt hatte, und zwar so sehr rückwärts, daß es seine natürlichen Bedürfnisse auf unsere Füße zu verrichten pflegte, was gerade nicht die Annehmlichkeit unseres Fortkommens erhöhte.

Der Himmel war herrlich klar, aber der scharfe Wind von gestern und vorgestern stellte sich auch heute wieder ein, uns in dem offenen Fahrzeuge mehr noch durchkältend. Die Gegend war unendlich flach und öde, weit und breit weder Baum noch Strauch, das Terrain hügelig, in röthlicher Färbung, nur hie und damit einem dünnen Streifen von magerem Grase schattirt. Unser Pfad, ein ziemlich ausgefahrener Hohlweg, zog in einer ewigen Schlangenlinie weit, weithin sichtbar Hügel auf und Hügel ab.

Nachdem wir eine Stunde im kurzen Paß unseres Maulthiers dahin gerollt waren, voltigirte unser Führer, der bisher nebenbei getrabt, auf den linken Baum der Gabel, wobei er uns freundlich zuwinkte, als wolle er sagen, es gehe ganz vortrefflich vorwärts. Der Bursche hatte ein gutmüthiges, röthliches Gesicht, nur lachte er beständig, und, wie mir schien, ohne alle Veranlassung.

Schon anfänglich hatte ich bemerkt, daß unser Maulthier beständig auf die rechte Seite drückte und unser Kutscher an dem linken Strick der Halfter zerrte, um es wieder auf den richtigen Weg zurückzubringen. Dieß mußte er nun später versäumt haben, oder der Himmel weiß, was sonst Schuld war, genug, das Thier kletterte mit einem Male rechts an der hier nicht gerade sehr steilen Böschung in die Höhe, und als der Kutscher es wieder abwärts wenden wollte, nahm er die Drehung zu kurz, und einen Augenblick nachher schlug der Karren mit uns um in den Hohlweg hinein, und wir rollten, ohne uns übrigens wehe zu thun, auf die Reifen der Decke; Nachtsäcke, Stroh und Decke fielen über uns, und es dauerte eine Weile, bis wir zur Rückwand hinausgekrochen waren. Das Maulthier, welches durch seinen Eigensinn dieses Unheil verschuldet, lag ruhig am Boden. Unser Erstes war, dasselbe von seinem Geschirr zu befreien und aus der Gabel hervorzuziehen; der Führer kratzte sich verlegen am Kopfe und schien wahrscheinlich Schlimmes zu erwarten. Wir spendeten ihm auch ein paar Carajos, gaben uns aber gleich darauf mit vereinten Kräften an die Arbeit, den ziemlich schweren Karren aufzurichten, was uns auch nach großer Mühe gelang.

Das war ein schlechter Anfang für unsere Landtour, und wir waren am unangenehmsten überrascht von der Entdeckung, daß es einem Karren überhaupt möglich sei, umzuwerfen; wir hatten dieß viel eher bei den hoch aufgepackten und schweren Eilwagen für möglich gehalten. Unser Vertrauen auf die neue Fahrart war gänzlich dahin, und da wir nebenbei der unbarmherzigen Stöße satt waren, auch durch und durch gefroren, so beschlossen wir, zu Fuß zu gehen. Das Maulthier, wieder eingespannt und sehr erleichtert, sprang nun in schnellerer Gangart vor uns her, und wir folgten in kurzem Trabe. Es hatte das aber auch seine Beschwerden, denn oft stieg das Terrain anhaltend, was namentlich für mich ziemlich ermüdend war. Der Maler mit seiner dürren Gestalt und seinen langen Beinen kam schon besser fort und wollte sich über meine Weichlichkeit zu Tode lachen, als ich mich endlich an den Karren festhängte und so mit fortschleppen ließ.

Wir boten übrigens auf der weiten, unendlichen Fläche eine Gruppe, die des Aufzeichnens in der That werth gewesen wäre. Vorn der Kutscher, freundlich grinsend, dann Maulthier und Karren, ich mit den Händen hinten an festgeklammert, und Horschelt nebenher laufend, in seine Bettlermanta gewickelt. Er hatte sich nämlich eine von grauem Zeuge gekauft, wie sie die Maulthiertreiber zu tragen pflegen; denn er behauptete, eine solche sei viel schöner und malerischer. Dazu der scharfe Wind, hier und da tiefer, weicher Boden – es war wirklich eine Vergnügungstour, wie ich lange keine erlebt. Nebenbei hatten wir die Aussicht, so den ganzen Tag bis zur sinkenden Nacht fortziehen zu können, denn wir mußten sieben Leguas bis Villarrobledo machen.

Nach einer halben Stunde schon hatte ich des unsinnigen Trabens genug; ich ließ das Maulthier einen kurzen Schritt gehen; denn warum sollte ich mich abplagen, um vielleicht eine Stunde früher das Nachtquartier zu erreichen? Wir zündeten eine Cigarre an und dachten an die beiden Freunde und Reisegefährten, die auf unserer rechten Seite in den weichen Sitzen des Eilwagens vor dem Winde geschützt, vielleicht vortrefflich frühstückend, gegen Madrid rollten. Ja, wir waren boshaft genug, ihnen ebenfalls ein kleines Ungemach zu wünschen, einen holperigen Weg oder dergleichen, eine langsame Fahrt, nur sollten sie gerade keinen Schaden nehmen.

Unter solchen angenehmen Gesprächen zogen wir nun vor dem Karren durch die Mancha dahin. Rechts hatten wir Campo de Montiel, den classischen Boden Don Quixotes und seines Stallmeisters. Wollte Cervantes, als er seinen Roman in diese öde und einförmige Gegend verlegte, der Phantasie seines Helden den größtmöglichen und weitesten Spielraum lassen, sie mit seinen Gebilden zu bevölkern, oder wählte er diese menschenleere Gegend, um es glaubwürdig zu machen, daß der sinnreiche Edle sein Wesen so lange treiben konnte, ohne als Wahnsinniger eingefangen zu werden? Ich glaube das Erstere; denn mit einer etwas erregbaren Einbildungskraft hier durch diese gewaltige Fläche ziehend, ist man wohl im Stande auf seltsame Gedanken zu verfallen und, wenn man den Kern einer ähnlichen Narrheit in sich trägt, so weit zu kommen, daß man seinen eigenen Schatten für einen Angreifer, Windmühlen für Riesen hält.

La Roda war längst unseren Blicken entschwunden und ringsumher, so weit man sehen konnte, kein Dorf, kein Haus, keine Spur einer menschlichen Wohnstätte. Wellenförmig breitete sich das Terrain nach allen Richtungen aus, aber ohne daß der Horizont durch eine erhabene Bergkette begränzt worden wäre. Der Färbung nach schien übrigens vor uns etwas dergleichen zu sein, denn dort verwandelte sich das gelbliche Roth der Haide in Grau, später in Violet; aber es war nur ein flacher Streifen ohne die ausgesprochene Form eines Gebirges. Vielleicht war dort eine Waldung, und das hätte uns in der langweiligen Öde, in der wir nun schon mehrere Stunden fortgingen, einige Abwechslung gewährt. Aber unser Führer meinte, es sei hier weit herum kein Wald, es ginge immer nur in gleicher Art fort, Hügel auf und Hügel ab nach Villarrobledo, Tembleque bis Madrid, immer gleich, immer gleich. Auch begegneten wir bei unserem Marsche Niemanden; es schien uns, daß es hier in Spanien nicht Sitte sei, viel über Land zu reisen; ja, unser Mann erklärte uns, er sei erst einmal in Villarrobledo gewesen, und das wäre seine längste Reise. Was wir schon in Katalonien bemerkt, fanden wir hier in Castilien, nur nicht in dem ausgedehnten Maßstabe wie dort: auch hier kamen wir zuweilen an bearbeiteten Feldern vorbei, ohne daß wir die Wohnungen entdeckt hätten, wo sich die Menschen aufhielten, welche dieses Feld bebauen.

Endlich sorgte der Himmel für einige Abwechslung; es zogen Wolken auf, deren Schatten die stille Fläche in etwas belebten, und es gewährte uns Unterhaltung, wenn wir den langgestreckten Flecken zusahen, die von weither auf dem hellen Grunde wie dunkle Schaaren bald langsam, bald geschwind näher zogen. Zum Fahren hatten wir beide keine Lust mehr, und so zogen wir rüstigen Schrittes dahin, bis wir gegen zwei Uhr endlich einige Wohnungen vor uns entdeckten. Bei denselben hatten wir etwas über die Hälfte des Weges gemacht. Es waren elende Hütten, die da bei einander lagen, von Lehm aufgeführt; nur ein paar hatten Fenster, bei den übrigen wurden Licht und Luft zur Haus- und Zimmerthür hereingelassen. Es war nicht daran zu denken, hier etwas Eßbares zu erhalten; doch suchten wir nur ein Obdach, um wenigstens eine Weile vor dem immer toller werdenden Winde geschützt ausruhen zu können. Indeß ließen wir vor mehreren Hausthüren vergeblich unser Hoje erschallen; entweder war niemand zu Hause, oder die Baracken waren überhaupt verlassen. Letzteres schien mir am glaubwürdigsten; denn hier und da waren die Mauern halb zusammengestürzt, der Kamin heruntergeweht, und große Spalten im Dache ließen allerlei Vögel aus und ein spazieren. Bei einer alten Frau fanden wir endlich ein Unterkommen, aber nur ein Unterkommen im einfachsten Sinne des Wortes. Wir mußten uns auf einen Herdstein niedersetzen; das einzige Wassergefäß hatte der Mann mit aufs Feld genommen, und Brod, sagte die Frau, bekäme sie erst heute Abend wieder. Leichtsinniger Weise hatten wir es versäumt, uns etwas Mundvorrath mitzunehmen. Der Maler meinte, es sei eine Art Verweichlichung, wenn man sich mit so vielem Eßbaren vorsehe, bei einer Tour übers Land nehme man fürlieb mit dem, was man gerade finde. Er habe das im bairischen Gebirge immer so gehalten. Der Unglückliche! das baierische Gebirge mit der Mancha zu vergleichen! Dort fand er wenigstens auf jeder Alm etwas Genießbares, einen Kübel Milch und ein Stück Brod, die Sennerin gar nicht mitgerechnet, hier aber – nun, er mußte mit mir dafür leiden, und vielleicht mehr als ich; denn ich konnte es am Ende schon ein paar Tage länger ohne gute Mahlzeit aushalten.

Da ich nun meinen Don Quixote ziemlich im Kopfe habe und ihn trösten wollte, so gut wie möglich, so sagte ich ihm aus der Rede des sinnreichen Edlen, was derselbe bei ähnlicher Veranlassung seinem getreuen Stallmeister Sancho Pansa zum Besten gab: »Erfahre also, Sancho, daß die Ehre der irrenden Ritter darin besteht, in einem Monate nicht zu essen, und selbst wenn sie essen, das, was ihnen in die Hände fällt. Du würdest auch davon versichert sein, wenn du so viele Historien wie ich gelesen hättest; denn trotz der großen Menge habe ich nicht in einer einzigen erwähnt gefunden, daß die irrenden Ritter gegessen hätten, wenn es sich nicht etwa traf, daß man ihnen ein prächtiges Banket anrichtete; sonst begnügten sie sich an den übrigen Tagen mit Entbehrung. Wenn ich nun freilich wohl einsehe, daß sie nicht ohne Essen so wie die übrigen natürlichen Bedürfnisse leben konnten, denn sie waren eben solche Menschen, wie wir es sind, so versteht es sich doch auch von selbst, daß sie die meiste Zeit Ihres Lebens in Waldungen und Einöden, und zwar ohne einen Koch, zubrachten, daß sie sich an Entbehrungen gewöhnen mußten, um selbst ohne die allergewöhnlichsten Speisen geraume Zeit bestehen zu können.«

Nachdem wir jene ungastlichen Häuser verlassen, erreichten wir in kurzer Zeit den dunklen Streifen, den wir von Weitem gesehen und den ich für einen Wald gehalten hatte. Es war aber nichts als eine Haide, mit mannshohen Buxbaumsträuchern bewachsen, die ziemlich dicht standen, natürlicherweise auch in dieser Jahreszeit belaubt waren, für uns aber die Unannehmlichkeit hatten, daß sie den Boden feucht und schlammig erhielten, weil Sonne und Wind nicht auf den Weg dringen konnten. Bis hieher hatten wir doch wenigstens einen erkennbaren Pfad gehabt, durch diese Sträucher aber führten beständig ein Dutzend Wege durch einander in den eigensinnigsten Windungen, bald rechts, bald links ein Gebüsch, einen Hügel umgehend, was außerordentlich ermüdend war.

Seit unserem Abenteuer von heute Morgen hatten wir den Karren nur auf Augenblicke bestiegen, um zuweilen ein wenig auszuruhen; hier aber in dem schwarzen feuchten Moorgrunde brachte ihn das Maulthier kaum unbeladen und dann auch nur sehr langsam von der Stelle. Es wäre dieß übrigens ein prächtiges Terrain gewesen, um ein paar arme Reisende auszurauben, und ein einziger Kerl wäre damit zu Stande gekommen; er hätte nur auf Schußweite hinter einem Strauche her uns unter Anschlagung seines Gewehrs zu ersuchen gehabt, uns gefälligst mit dem Gesicht auf die Erde zu legen. Ich bin überzeugt, unser Führer wäre gleich niedergestürzt, und uns, in der Ungewißheit, mit wie Vielen man es denn eigentlich zu thun habe, auch wohl nichts Anderes übrig geblieben. Wir unterhielten uns über dergleichen Gegenstände, so wie auch über andere, rauchten eine Cigarre um die andere und erreichten endlich, lange aufwärts steigend, eine Art Hochebene, wo die Buxbaumgesträuche lichter wurden und uns eine weitere Aussicht gestatteten.

Die Ebene dehnte sich immer noch in gleicher Einöde und Langweiligkeit rings um uns aus; nur gerade vor uns war eine kaum merkliche Erhöhung, und auf derselben erkannten Horschelts scharfe Augen Windmühlen. – »Villarrobledo!« rief zu gleicher Zeit unser Führer. – Ach! unser Nachtquartier! Der Anblick stärkte uns wunderbar; auch das Maulthier fand hier wieder einen besseren Weg, und so zogen wir mit beschleunigten Schritten dahin.

Es war ungefähr drei Uhr Nachmittags. – »Wie viele Stunden werden wir noch bis an das Dorf haben?« fragte ich den Maler.

– »Ich schätze,« meinte er, »daß wir um fünf Uhr dort sein können.« – Also noch volle zwei Stunden! Ich fragte auch unseren Führer über seine Ansicht und erschrak recht ordentlich, als er entgegnete, er glaube nicht, daß wir vor sieben Uhr ankommen werden. Und doch schien uns das unmöglich; schon nach einer halben Stunde sah auch ich die Windmühlen, Horschelt aber erkannte die Flügel und sagte, dieser oder jener drehe sich. Auch Häuser wurden nach und nach erkennbar; da war es aber schon halb Fünf geworden. Um fünf Uhr sahen wir das Nest deutlicher, da fing es an zu dämmern und wir hofften, unser Nachtquartier in einer Viertelstunde zu erreichen.

Doch waren wir noch an keine Tour in der Mancha gewohnt, wir kannten dieses flache, unendliche Terrain noch nicht, ebensowenig die klare und reine Luft, noch die anscheinend so kurzen Entfernungen, die sich stundenlang gleich zu bleiben scheinen, und welche Fußgänger, ja sogar Reiter fast zur Verzweiflung bringen können. Wir zogen still seufzend unseres Weges dahin, jetzt wieder hinter dem Karren, denn wir hatten abermals einen Hohlweg erreicht, auf dessen beiden Rändern wir der Dunkelheit wegen nicht marschiren konnten. Es war vollkommen finster geworden, die Sterne leuchteten mit einem ungewissen Scheine und ein oder zwei Lichter aus Villarrobledo, die wir endlich sahen, wollten nicht näher kommen.

Es wurde sechs Uhr, es wurde sieben Uhr, es wurde halb Acht, – da endlich hatten wir – nicht das Dorf erreicht, doch einen so bodenlos schlechten Weg, daß wir fest überzeugt waren, jetzt endlich einer spanischen Ortschaft nahe zu sein. Und so war es denn auch. Noch eine Viertelstunde ging es die so lange gesehene Anhöhe hinauf, dann kamen wir an eine Reihe Häuser, die ein Mittelding zwischen Straße und Platz bildeten – der Anfang von Villarrobledo.

Für Leute, wie wir, die hungrig und müde auf ein freundliches Nachtquartier hoffen, für die der Lichtschimmer aus irgend einem Fenster so wohlthuend ist, war der Anblick dieses Nestes wahrhaft trostlos. Ein Haufe niedriger Häuser, fast ohne Fenster, mit hohen verschlossenen Thüren, fast ohne den Schimmer eines Lichtes, eine Gasse, die bald rechts, bald links lief, mit Schnee und Schmutz bedeckt und so menschenleer und öde, daß unsere Schritte und der Hufschlag des Maulthiers wahrhaft erschreckend wiederhallten, nahm uns ungastlich und wie befremdet in sich auf. So gut wir konnten, trösteten wir uns mit dem Andenken an La Roda, dessen Häuser von außen auch sehr wenig versprachen und welches uns doch so freundlich beherbergt hatte. Wo aber war hier der Mann zu finden, an den wir empfohlen waren – der Schneider Don Alonso? Ein paar Mal sahen wir wohl in der Entfernung irgend eine schattenhafte Gestalt, in einen dunkeln Mantel gewickelt, doch huschte das jedesmal bei unserem Anrufen wie ein scheues Gespenst um eine Ecke. Endlich gelang es dem Maler, einen solchen Einwohner von Villarrobledo einzufangen, der uns denn auch in kurzer Zeit vor das Haus des Schneiders brachte.

Hier sah es schon besser aus; auf unser Pochen öffnete sich das Thor, wir traten in einen ziemlich ordentlichen Hof, und der Hausherr kam uns gleich in Hut und Mantel entgegen. Ich reichte ihm die Visitenkarte, sowie das Empfehlungsschreiben unseres Wirthes in La Roda; doch als er Beides gelesen, zuckte er die Achseln und bedauerte, uns nicht bei sich aufnehmen zu können, da seine Frau bedeutend erkrankt sei und sich also Niemand unserer Bewirthung annehmen könne. Doch setzte er augenblicklich hinzu, als er unsere sehr verlängerten Gesichter bemerkte, er werde uns alsbald in eine Posada führen, wo wir vortrefflich aufgehoben seien.

So klapperten wir abermals durch die öden Straßen und ließen unsere Köpfe mit dem Maulthier um die Wette hängen. O weh! in eine spanische Posada! Und das nach dem heutigen Marsche! das Beste an der Sache war, daß wir nicht weit mehr zu gehen brauchten, denn schon nach einigen Schritten hatten wir das Thor der Posada erreicht. Hier war Alles finster und verschlossen; es schien kein Mensch in dem Hause zu sein. Don Alonso klopfte an; es wurde eine kleine Thüre geöffnet und uns, als man den Schneider mit Reisenden erkannte, augenblicklich der Eingang gestattet. Plötzlich befanden wir uns hier in einer ganz anderen und merkwürdigen Umgebung. Der Thorweg führte in den weiten unteren Theil des Hauses, ein großes Gemach, das auf Holzpfeilern ruhte und verschiedene Abtheilungen hatte. Die, zu welcher wir herein traten, war leer und halbdunkel; doch strahlte aus dem Hintergrunde heller Feuerschein und wir hörten nicht allein den Klang von menschlichen Stimmen, sondern auch Guitarren-Accorde und das Knacken von Castagnetten. Das versprach schon etwas.

Wir schritten ermuthigt weiter und kamen bald in das eigentliche Wohnhaus, das auch hier zugleich Küche und Aufenthalt der Gäste war. Ach! hier sah es bunt und malerisch, ja in der That recht heimlich aus. Auf der Herdplatte am Boden brannte ein so riesenhaftes Feuer, daß die Flamme bis hoch hinauf in den Schornstein fuhr. Zu beiden Seiten desselben, auf Bänken, Stühlen und Fässern, saß und lag eine ganz auserlesene Gesellschaft: Maulthiertreiber, Krämer, Wegschützen, Contrebandiers, kurz, ein Dutzend Männer in der ungezwungensten Haltung, in meistens recht lumpigen, aber dabei nicht übel aussehenden Costümen. Einer arbeitete auf der Guitarre herum, sang auch zuweilen eine Strophe, bei deren Refrain die Anderen einfielen, mit den Händen klatschten, oder, die Fäuste unter den Kopf gestemmt, lächelnd zuhorchten. Es war eine malerische, bewegte Gruppe, der das flackernde Herdfeuer die prächtigste Beleuchtung verlieh und durch den hin und wieder zuckenden Schein die blitzenden Augen und das lebendige Mienenspiel noch erhöhte; denn bald fuhr ein leichter Schatten über die Köpfe, bald wurden sie wieder hell bestrahlt von der röthlichen Gluth.

Vor dem Feuer aber stand ein Mädchen, dessen Gesicht wir nicht sehen konnten, da es uns den Rücken wandte. Sie dirigirte eine große Bratpfanne, welche auf einem eisernen Untersatz ruhte und in der es prasselte und schmorte. Sie mußte jung sein, das sah man an dem leichten zierlichen Wuchse, auch gewiß schön, denn die jungen Burschen um das Feuer wandten bei einem Worte des Liedes lachend ihre Augen nach ihr hin, worauf sie den Kopf zurückwarf und etwas erwiederte, was ich nicht verstand.

Der Wirth des Hauses ließ uns übrigens keine Zeit, die Gruppe um das Feuer näher zu betrachten; er schritt uns voran durch den entfernt vom Herde immer dunkler werdenden Raum. Hier waren rechts und links an der Mauer schon besetzte Schlafstätten, ein Bund Stroh, eine wollene Decke, einige Maulthiersättel und Geschirre, deren Messingzierrathen zuweilen leise klirrten, wenn sich der Schläfer herumwarf, oder die aus irgend einer Ecke hervor im Wiederschein des Feuers glänzten, eben so wie manches leuchtende Augenpaar, das sich bei unserem Vorüberschreiten öffnete und seufzend wieder schloß.

Das uns angewiesene Zimmer war nun eigentlich nur die durch eine dünne Wand geschiedene Fortsetzung des scheunenartigen Hauses. Die Dachsparren gingen an einer Seite bis tief herunter; mit dem Verschluß der Ziegel auf denselben hatte man es nicht sehr genau genommen; denn wenn man eine geeignete Stelle traf, so sah man deutlich die Sterne durchschimmern, das einzige Behagliche in demselben war neben dem in der That gutmüthigen und freundlichen Gesicht des Wirthes und der Wirthin ein großer Brassero voll glühender Kohlen, der eine angenehme Wärme ausströmte.

Was nun das Bett anbelangt, so war es dem Lager Don Quixote's in dem Abenteuer mit der Asturianer Magd so erschreckend ähnlich, daß ich nicht umhin kann, die Worte des spanischen Dichters hier abermals zu erwähnen. »Es war,« so sagt er, »auf zwei ungleichen Brücken erbaut, über welche man vier ungehobelte Bretter legte, auf diese wurde eine Matratze, nicht dicker als eine Decke ausgebreitet, voller Knollen, die, wenn man nicht an einigen gewissen Stellen gesehen hätte, daß sie Wolle waren, man dem Gefühle nach wohl für Kiesel hätte halten können; dazu zwei Betttücher aus steifem Leder und eine Bettdecke, deren Fäden man, ohne sich um einen zu verrechnen, hätte zählen können, wenn man sich die Mühe hätte geben wollen.«

Obgleich ich überzeugt bin, daß es dem edlen Cervantes sehr gleichgültig sein kann, daß ich die Wahrheit seiner Schilderung hiemit bezeuge, so kann ich es doch bei meiner Wahrheitsliebe nicht unterlassen. – Einige Abtrocknung unserer Stiefel und Strümpfe war das erste nothwendige Geschäft, das wir unternahmen. Mit den letzteren sah es, wenn unsere folgende Tour nicht vom Sonnenschein begünstigt war, sehr traurig aus; wir hatten in unsere Nachtsäcke nur sehr wenig packen können, bei der großen Eile, mit der wir die Diligence verlassen hatten, vorher nicht an unsere Tour denkend.

Nachdem der Wirth unseren Brassero geschürt, ging er, unser Nachtessen zu bestellen, was ungefähr eine kleine halbe Stunde in Anspruch nahm. In dieser Zeit machten wir es uns so bequem wie möglich und empfingen auch den Besuch des hier stationirten Eisenbahn-Ingenieurs, eines Bekannten von Herrn B., nach dessen Befinden er sich eifrigst erkundigte. Hier nun kam uns unsere Sprachunkenntniß recht zu Statten; denn da wir jenen Herrn, auf den wir uns beriefen, in unserem ganzen Leben nicht gesehen, so wäre es auch sehr schwierig für uns gewesen, über seine Person, Aufenthalt und Gesundheit Nachricht zu geben; sein College mußte also unsere gewiß verkehrten Antworten dem angegebenen Grunde beimessen. Übrigens hatten wir im Sprechen doch schon einige Fortschritte gemacht, und im Verlauf unserer Unterhaltung erzählten wir von den deutschen Eisenbahnen, sogar vom schwäbischen Alp-Übergange bei Ulm zur großen Zufriedenheit unseres Ingenieurs.

Endlich kam das Nachtessen und nach fast zwölfstündigem Fasten und Marschiren sahen wir eine übergroße Schüssel voll Geflügel und Reis mit großem Behagen auftragen. Der gute Ingenieur war discret genug, nicht unser Gast sein zu wollen, und so attaquirten wir unser Gericht von zwei Seiten mit dem größten Eifer. Was uns einigermaßen im Essen genirte, war die Anwesenheit des ganzen weiblichen Hauspersonals während desselben in unserem Zimmer. Die Wirthin selbst hatte die Schüssel gebracht, ihr folgte das junge Mädchen vom Herd – in der That, es war jung und schön – dann kam eine ältere Schwester, ferner ein anderes Frauenzimmer, nicht minder die Küchenmagd, und schließlich eine stämmig, nicht üble Weibsperson mit hellblonden Haaren und einigem Stallgeruch. Sämmtliche Obengenannte stellten sich im Halbkreise um unseren Tisch herum und schauten buchstäblich jedem Bissen zu, den wir in den Mund steckten. Zuerst genirte uns diese Geschichte, dann fanden wir sie recht komisch, was sie auch in der That war. Obgleich wir zum Öftern für die Aufmerksamkeit und Ehre dankten, so blieben doch Alle hartnäckig an ihrem Platze. Ja, als wir darauf in einem fort allerlei Gegenstände verlangten, als: noch mehr Brod oder Salz, Pfeffer, Wein, so sprang eine fort, das Geforderte zu holen, kehrte aber so eilfertig an ihren Platz zurück, als fürchte sie, etwas höchst Interessantes zu verlieren. – Und nicht nur in Villarrobledo fanden wir diese seltsame Sitte, auf allen anderen Touren im Inneren Spaniens ist uns das Gleiche begegnet; es ist eine Ehre, welche man den Reisenden damit zu erweisen glaubt.

Das Geflügel in unserem Reis war ein halber wälscher Hahn, den wir glücklich beseitigten, um uns dann an die andere Hälfte zu machen, die gebraten aufgetragen wurde. Dann folgte noch eine uns unbekannte, fast widerlich süße Speise, sowie harter saurer Käse, den wir übrigens auch nicht ungestraft entließen, geröstete Mandeln und Chocolade. Dazu tranken wir einen sehr guten schwarzen Landwein, hatten vortreffliches Brod, kurz, ein Souper, bei dem es sich schon aushalten ließ.

So groß unsere Ermüdung auch war, so mochten wir doch nicht sogleich unser zweifelhaftes Bett aufsuchen, sondern begaben uns in das Vorhaus, wo die Gruppe um den Herd noch immer ihr gleiches Wesen trieb; nur der Guitarrenspieler war durch einen anderen abgelöst worden; auch das junge Mädchen stand abermals am Feuer und bereitete irgend eine Speise für neuangekommene Gäste.

Es war das eine schlanke, zierliche Gestalt mit schwarzen Haaren und großen, lebhaften Augen. Sie besorgte ihr Geschäft mit einer angebornen Grazie und hatte dabei Zeit genug übrig, verschiedene, wie uns schien, pikante Antworten auf die zudringlichen Fragen und Bemerkungen der Maulthiertreiber nach rechts und links auszutheilen. Dabei übersah sie aber ihre Pfanne und drei oder vier Kochtöpfe, die um das Herdfeuer standen, mit großer Leichtigkeit und ohne viel Wesens dabei zu machen. Überhaupt ist es merkwürdig, wie einfach hier in diesen ländlichen Wirthshäusern die Kocherei betrieben wird. Unter Sprechen und Lachen setzt die Hausfrau oder eine ihrer Töchter Reis, Wasser und Hammelsfett ans Feuer, versucht nach einiger Zeit die Brühe, wirft Salz oder Pfeffer nach, doch vergißt sie während alles dieses die Unterhaltung nicht und reicht dabei mit der freundlichsten Miene den Umhersitzenden Holzkohlen für ihre Papier-Cigarren.

Die ganze Wirthschaft hier am Herde hatte etwas Zigeunerartiges; denn, wie schon bemerkt, die Kochanstalten hätten unter freiem Himmel nicht einfacher sein können und nicht zwangloser die Gruppen der um das Feuer her Lagernden. Eine Figur für einen Hauptmann war auch da – ein alter, grauer Contrebandier oder Flurschütz, oder beides zugleich; und dann vor allen Dingen Preciosa nicht zu vergessen, Preciosa vor der Bratpfanne, die gegen Jeden freundlich war, ohne Einem eine Vertraulichkeit zu erlauben. Sie hatte in der That prächtige Augen, und wenn sie so zuweilen unter den langen Wimpern hervor nach uns fremden Reisenden herüberschielte und auf einem solchen Blicke ertappt wurde, so überflog ein freundliches Lächeln ihr Gesicht und die emporgehobenen Lippen zeigten ihre blendend weißen Zähne. Ihr Anzug war einfach, aber hübsch: sie trug einen rothgestreiften, ziemlich kurzen Rock, dazu eine Art von schwarzem Mieder mit silbernen Knöpfen und hatte um den Kopf ein gelb und weißes Tuch gebunden, dessen Zipfel hinten herab hingen. Ich will gern zugeben, daß alles das durch die eigenthümliche Umgebung und das flackernde Herdfeuer verschönert wurde, aber Preciosa war auch bei Tag eine reizende kleine Spanierin.

Jetzt war die Kocherei beendigt, die Hungrigen verzehrten ihr Essen theils am Feuer, theils nahmen sie es mit in einen dunkeln Winkel, vielleicht zu einem Cameraden, der dort schon ausgestreckt lag. Die ersteren, welche unter unseren Augen soupirten, versäumten nicht, uns zu Gast einzuladen, was wir natürlicherweise abschlugen, dagegen gern zuschauten; mit welchem Anstand, mit welcher Ruhe nun ihrer Drei, Vier aus einer Schüssel aßen! Da wurde kein rohes Wort gehört, da wartete immer Einer, bis der Andere seinen Löffel voll herausgeholt, keine Gier, keine Hast, ja sie munterten sich gegenseitig auf, doch der Schüssel tapfer zuzusprechen. Natürlich fehlte ihnen gutes Brod nicht, ebensowenig Landwein, den sie aber auf eine eigenthümliche Art zu sich nahmen. Sie hatten ein Glasgefäß, fast wie eine kleine Gießkanne geformt, dessen Rohr sie vor den geöffneten Mund setzten, ohne es aber mit den Lippen zu berühren, und dann das Getränk nur hinablaufen ließen. Auf diese Art kann man mit Jedem trinken, ohne befürchten zu müssen, in eine vielleicht unangenehme Berührung zu kommen.

Als alle Töpfe entfernt waren, wurde der Herdplatz rein gefegt und ein wahrer Berg von Reisig aufgethürmt, der eine solche Gluth hervorbrachte, daß sich alle Köpfe scheu in die Ecke drückten und wir in den entferntesten Winkel rücken mußten. Bei dem aufflackernden Feuer entdeckte ich auch unseren Führer, der ebenfalls abgespeist hatte und uns nun freundlich zugrinste. Er wurde übrigens den ganzen Abend von den Anderen verhöhnt, denn er hatte es nicht verschweigen können, daß er uns heute Morgens in den Graben geworfen.

Nachdem die Gluth wieder zusammengesunken war, stellte sich auch der Kreis um das Feuer wieder her. Preciosa stand vor demselben, sie hatte den rechten Arm in die Seite gestemmt und blickte nachdenkend in die glühenden Kohlen. Der Guitarrist der neben ihr saß, schaute sie auffordernd an und berührte endlich mit dem oberen Theile seines Instrumentes leicht ihren Arm; sie blickte fragend nach der Seite, und als er nun auf seinem Instrumente hastig einige Accorde herunterriß und dazu mit dem Kopfe gegen sie nickte, lachte sie und nickte ebenfalls, worauf er taktgemäß zu spielen begann. Preciosa senkte ihre beiden Hände in die Taschen ihres Kleides, holte ein paar Castagnetten heraus, welche sie an ihren Daumen befestigte, dann hob sie das Köpfchen stolz empor und begann die Accorde mit einem leisen, aber außerordentlich taktsicheren Geknacke zu begleiten. Alle im Kreise schmunzelten, und als sie nun gleich darauf mit einer hellen, nicht unangenehmen Stimme nach der bekannten, spanischen Landesweise zu einem Liede ansetzte, klatschten Alle in den Pausen taktgemäß mit den Händen, und das Vergnügen war allgemein.

Sie sang:

Yo soy la Jitana
La jembra que va,
Sin hoy ni mañana
De aqui para allá;
Y erramo consuelos...
Y entono primores...
Y vendo gunuelos...
Y galas y flores:
Y largo se cura
Por poco parné:
La güena – ventura
Quien la quié sabé?
Naide, naide toque andana
Too la dica la Jitana
      chachipé!
Venga el unto y lo parné –

und als sie geendet, machte sie schnell gegen uns eine leichte Neigung mit dem Kopfe, drehte sich auf dem Absatze herum und verschwand darauf in der Dunkelheit.


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