Friedrich Hackländer
Ein Winter in Spanien
Friedrich Hackländer

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Zwölftes Kapitel.
Madrid.

Vor der Stadt. Der Bahnhof. Der Prado. Cervantes. La Puerta del Sol. Fonda de Peninsulares. Der königliche Palast. Die Armeria. Straßen und Straßenleben. Das Fest des heiligen Antonius. Das große Museum. Buen Retiro. Theater. Die Gewohnheit des Rauchens. Kaffeehäuser. »Es ya pagado.« Das Land des à peu près. Straßencorrection. Kaffeehauspolitik. Die Geburt einer Prinzessin. Die Armee. Spanische Volksstämme. Sitten, Gebräuche und Charakter.

Es war ein frostiger Morgen, als wir um fünf Uhr von Tembleque gegen Madrid fuhren. Obgleich die Bahn bis Aranjuez noch nicht lange im Betrieb ist, so stießen und rappelten doch die Wagen auf höchst unangenehme Art, ja einigemal kam es uns vor, als neigten sie sich rechts oder links auf die Seite. Die der zweiten Classe sind ziemlich groß, mit schmalen, hartgepolsterten Bänken versehen, sie scheinen nach dem Vorbild der französischen gebaut zu sein und sind ebenso unbequem und unelegant wie diese. Bei Aranjuez hält der Zug einen Augenblick, doch sieht man wenig von der Stadt und den prächtigen Schlössern dieses Landsitzes der spanischen Könige. Die bisher ziemlich kahle Ebene, durch welche wir fuhren, ist hier dagegen mit Baumgruppen besetzt, durch welche man einige Häuser erblickt, in weite Ferne sich verlierend ein paar Alleen, eine schöne breite Straße, welche die Bahn kreuzt, und unter den Stämmen dichtgepflanzter Baumreihen hindurch lange Reihen von Arcaden, die den Schloßplatz umgeben. Und als wir bald darauf weiter fuhren, behielten wir die Gebüsche, hochstämmige Platanen, Eschen und Ulmen noch eine Zeitlang zu beiden Seiten, setzten auf einer hübschen Brücke über den Tajo, um bald darauf abermals alle Vegetation hinter uns zu lassen, und wieder in die weite, hügelige Ebene einzufahren – dem äußeren Anschein nach ein Terrain wie die Campagna um Rom, nur mit weniger schönen Formen, vor Allem aber nicht mit der prächtigen Färbung jener herrlichen Einöde.

Wenn man sich das Wort Madrid ausspricht, so denkt man unwillkürlich an eine große, prachtvolle Stadt. Mag der stolze Klang dieses Namens dazu beitragen, oder der Gedanke an die gewaltige Geschichte Spaniens, oder an die unermeßlichen Goldquellen, welche Jahrhunderte lang aus den reichen Colonien dahin geflossen – genug, man hält Madrid mit einer Stadt von lauter Palästen gleichbedeutend. Obgleich uns schon oft das Gegentheil versichert wurde, obgleich wir schon öfters gelesen, namentlich von der öden und unmalerischen Lage der spanischen Hauptstadt, so sind wir doch ungläubig und können in diesem Fall nicht recht begreifen, warum man denn, bei den vielen prachtvollen Städten, die Spanien besitzt, gerade Madrid zu jenem Rang erhoben. Freilich liegt es fast im Mittelpunkt des Reichs, ist aber bei den mangelhaften Straßen, namentlich zur Winterszeit, einer Insel zu vergleichen, welche der Reisende erst nach langen Mühseligkeiten und Gefahren erreicht. Übrigens ist ihr auch der Rang einer Hauptstadt schon öfter streitig gemacht worden, und vor Philipp II. wurden das Hoflager und die castilischen Cortes nur bisweilen in Madrid gehalten; in früheren Tagen war der Sitz der Regierung längere Zeit in Toledo, und wurde nach dem Tod Philipps II. auf einige Jahre nach Valladolid verlegt; doch zog Philipp III. um 1606 wieder nach Madrid zurück, von wo an es bis auf den heutigen Tag Haupt- und Residenzstadt geblieben ist. Zur Maurenzeit war Madrid unbedeutend und wenig genannt, und wenn seiner auch ums Jahr 930 Erwähnung geschieht, wo die Stadt vom König Ramiro II. von Leon überfallen wurde (sie gehörte damals den Arabern), so blieb sie doch bei den späteren gewaltigen Kämpfen ziemlich unbetheiligt. Zu jener Zeit hieß die Stadt Magerit, was den ehemaligen Wasserreichthum dieser Gegend bedeuten soll.

A. v. Rochau erzählt von einer hübschen Sage, woher die Stadt ihren Namen habe. »Vor Zeiten, als nur ein paar einzelne Häuser mitten im Walde an der Stelle standen, die heutzutag Madrid einnimmt, flüchtete sich hier ein Knabe, von einem Bären verfolgt, auf einen wilden Kirschbaum. Der Bär schickte sich an, ihm zu folgen, als die Mutter mit verzweiflungsvollem Geschrei herbeieilte; aber der Bube, ohne an seine eigene Gefahr zu denken, und nur um die Mutter besorgt, rief ihr von seinem Baum herunter zu: Madre id, Madre id! Mutter macht, daß ihr fortkommt! Daher entstand durch Zusammenziehung jener beiden Wörter der Name der spanischen Hauptstadt, in welchem das Andenken an jenen tapfern Burschen verewigt ist.«

Unterdessen keucht die Locomotive durch eine wahrhaft trostlose Gegend dahin. Es ist dieselbe kahle, Wasser- und baumlose Hochebene, welche wir auf unserem Ritt durch die Mancha kennen gelernt. Ein kleiner Hügel reiht sich hier an den andern, alle gleich einfach, gleich langweilig und von oben nach unten mit tiefen Einschnitten, welche die heftigen Regengüsse in das Erdreich gerissen, durchfurcht; die ganze Fläche, die wir übersehen, ist von rothbrauner oder schmutziggelber Farbe, und durch nichts unterbrochen. Man sieht weder das Glitzern eines Baches, noch das Leuchten eines Sees, noch eine Abwechselung durch Vegetation. Zuweilen ist das Terrain steril und zerrissen und wenn man glaubt, jetzt fange es an interessanter zu werden, so saust man im nächsten Augenblick wieder über dieselbe gleichförmige Ebene dahin. Schon sind wir ziemlich nahe bei der Residenz, ohne daß sich diese durch freundliche Dörfer, Landhäuser oder sonst dergleichen ankündigt. Auch der bebauten Felder bemerkt man wenige, und wo man etwas der Art sieht, da begreift man nicht, woher die Arme kamen, welche die langen Furchen gezogen, denn weit und breit bemerkt man nicht die Spur einer menschlichen Wohnung. Endlich aber erscheint hie und da ein Bauwerk auf dem Gipfel einer der Anhöhen; wir sehen alterthümliche Gebäude, deren Bestimmung wir zu enträthseln nicht im Stande sind, neben einsamen Kirchen und Kapellen, welche gerade in dieser ihrer Einsamkeit und ihren starren Formen wenig zur Belebung der Gegend beitragen. Wir glauben schon die Eisenbahn habe sich geirrt und sei Gott weiß nach welcher Richtung in die Mancha hineingerathen. Da endlich pfeift vorn die Locomotive; ein alter Spanier, der vor mir auf einer Bank geschlafen, wickelt sich aus seinem Mantel, schaut um sich und sagt gähnend: »Madrid!« Der Zug vermindert seine Schnelligkeit, wir fahren durch ein baufälliges Lattenthor, bei elenden Schuppen und Magazinen vorbei und befinden uns auf dem Bahnhof der spanischen Hauptstadt.

Für Madrid ist dieser außerordentlich bescheiden. Bei uns hat die geringste Landstadt einen weit prächtigern aufzuweisen. Dabei ist hier Alles so ruhig und still, den Zug verlassen kaum dreißig oder vierzig Personen, schweigsame Gestalten, den zugespitzten castilianischen Hut auf dem Kopf, fest in den langen braunen Mantel gewickelt; Gepäck ist so gut wie gar keines vorhanden, nur hie und da trägt Jemand ein kleines Bündel unter dem Arm. Wir nahmen unsere Koffer in Empfang und als wir nun an den Ausgang des Bahnhofgebäudes traten, mochten wir immer noch nicht recht glauben, daß wir uns in der nächsten Nähe von Madrid befänden. Vor uns auf einer Anhöhe sahen wir freilich Häusermassen, aber da hinauf führte kein ordentlicher Weg, denn was hier einen solchen vorstellen sollte, war eine breite, unergründliche, im Zickzack durch umherliegende Steinhaufen sich dahin ziehende Kothpfütze. Daß es nicht einmal vor den Thoren der spanischen Hauptstadt eine ordentliche Straße geben solle, war uns unfaßlich; ebensowenig bemerkten wir einen Fiaker und das einzige Beförderungsmittel war ein alter gebrechlicher Omnibus mit vier Pferden bespannt, dem wir uns anvertrauten, und der uns nach mehrmaligem Stehenbleiben die Höhe hinaufbeförderte. Ohne die geringste Übertreibung habe ich unsere Ankunft in Madrid geschildert, und fühle mich deßhalb um so mehr verpflichtet, zu sagen, daß sich der Anblick der Stadt wie mit einem Zauberschlag änderte, sobald wir nur auf einem ziemlich ordentlichen Pflaster bei den ersten Häusern vorbeigefahren waren. Man befindet sich hier sogleich auf dem Prado, dem prächtigen Spaziergange mit dichten, dreifachen Ulmen-Alleen, mit Wegen für die Fußgänger, mit einem Corso für die Wagen und Reiter, alles sorgfältig geebnet, mit Steinbänken, prächtigen marmornen Springbrunnen, und fährt so am Rande der Stadt hin, deren breite Straßen auf den Prado münden und die, da sie von ihm alle ansteigen, ein wahres Häusermeer übersehen lassen. Rechts haben wir das Nationalmuseum, die Artilleriekaserne, den botanischen Garten mit seinem unabsehbaren langen Eisengitter, hinter welchem die berühmten Anlagen des Buen Retiro beginnen. Dicht an der Straße steht der Obelisk, welcher das Volk von Madrid an die französische Gewaltherrschaft und an den blutigen zweiten Mai von 1808 erinnert. Jetzt biegt unser Omnibus links in eine Straße ein, es geht auf einem guten Pflaster ziemlich steil aufwärts an vier- bis fünfstöckigen Häusern vorbei und, auf der Höhe der Straße angelangt, kommen wir über einen kleinen dreieckigen Platz (Plazuelade Cervantes), in dessen Mitte wir erfreut die Bronzestatue des unsterblichen Schöpfers des Don Quixote erblicken. Die langsame Bewegung des Wagens läßt uns Zeit, sie etwas genauer ins Auge zu fassen; sie ist nach dem Modell eines spanischen Künstlers, aber in einer deutschen Werkstätte gegossen. Cervantes steht in vorschreitender Stellung, hält in der Rechten eine Papierrolle, die andere Hand stützt sich auf das Degengefäß, doch sieht man dieselbe nicht, da der Mantel darüber fällt und so die Verstümmelung verbirgt, welche der große Nationalschriftsteller und tapfere Soldat in der Schlacht von Lepanto erhalten. Am Piedestal sind einige Scenen aus dem Don Quixote in Bronze-Reliefen angebracht. So gut die Wirkung dieses Monuments an sich ist, so dürfte doch die ganze Masse desselben bedeutender sein, denn zu unserer Rechten erhebt sich in allzugeringer Entfernung die schöne Façade des Palastes der Cortes, in deren Mitte eine majestätische Colonnade von granitnen korinthischen Säulen und einem edel componirten Giebelfeld aus weißem Marmor herrisch über den Platz hereinragt; gewaltige Löwen von Bronze auf den Flügelmauern der breiten Marmortreppe als Anspielung auf das spanische Wappen bewachen den Eingang, und die ganze schön gegliederte Gebäudegruppe erweckt eine sehr günstige Meinung für die gediegene Richtung der modernen spanischen Architektur.

Was wir seit unserem Eintritt in die Stadt sahen, hat einen großen Eindruck auf uns hervorgebracht und Madrid ist in unserer Achtung bedeutend gestiegen; freilich rollen wir jetzt durch eine engere Straße, die Carrera San Geronimo, abwärts bei unbedeutenden, gänzlich uniformen Häusern vorbei, deren Läden und Magazine mit wenig Ausnahmen durchaus keinen großstädtischen Charakter haben. Jetzt hält der Omnibus auf einem kleinen Platze vor einer ziemlich geschmacklosen und unbedeutenden Kirchenfronte, einem Platze so klein, daß er eher ein Carrefour genannt werden dürfte, da er kaum Raum bietet für die Massen der Wagen und Fußgänger von sechs Hauptstraßen der Stadt, die sich hier kreuzen und münden. Wir steigen aus und schauen uns einigermaßen verwundert an, als uns der Omnibusführer ankündigt, daß wir die Puerta del Sol erreicht. Von diesem Brennpunkt des Madrider Lebens hatten wir uns doch ein anderes Bild gemacht. Das Gewühl der Wagen und Fußgänger war allerdings bedeutend genug, der Platz selbst aber fast rings umgeben von unbedeutenden Häusern, in denen sich wahre Kramladen befinden, gar zu unbedeutend für sein Renommee und seinen stolzen Namen Puerta del Sol – Sonnenpforte.

Um das Jahr 1520 war hier noch eine wüste leere Stätte, damals noch vor den Mauern der Stadt, welche wenig Schutz gewährten vor den zahlreichen Räuberbanden, die in den umliegenden Wäldern hausten und die Stadt häufig überfielen. An dieser Stelle baute man zur Abwehr gegen sie ein kleines Fort, dessen östliches Thor mit einer Sonne geschmückt war. Obgleich nun Thor und Sonne längst verschwunden sind, hat sich doch der Name bis auf den heutigen Tag erhalten. Was nun den Platz selbst anbelangt, so ist er für die Madrider Bevölkerung von großer Wichtigkeit; hier finden Rendezvous im großartigsten Maßstab statt, in ruhigen Zeiten tauscht man Anecdoten und Neuigkeiten aus, welche indessen meistens mit der Politik zusammenhängen; in unruhigen Tagen finden hier die ernsten Besprechungen statt, in deren Folge denn auch die meisten Aufstände an der Puerta del Sol losbrechen. Wie schon gesagt, münden hier sechs Hauptstraßen der Stadt, von denen die Alcalà mit ihrer Fortsetzung der Calle Mayor, die bis zum Schloßplatz geht, die Stadt in zwei Hälften theilt und die Hauptader Madrids genannt werden kann. Die Carrera San Geronimo, die Calle de la Montera und de Carretas, voll Läden und Buden, leiten den Lebensstrom der beiden gewaltigen Stadthälften hieher und in der Winterszeit Mittags zwischen zwölf und zwei Uhr ergießt sich aus all diesen Straßen eine wahre Fluth von Wagen und Fußgängern auf die Puerta del Sol, welche in der Tiefe liegt und, wie ein Thal durch herabstürzende Wasserbäche, bald angefüllt und überschwemmt ist, und Mühe hat, die brausenden Massen in andere Straßen abzuleiten.

Das Gewühl hier ist oft geradezu komisch anzusehen, und Jemand, der Eile hat, geräth in Verzweiflung, da es ihm nur möglich ist, sich langsam fortzuschieben. Dicht gedrängt stehen Haufen plaudernder Männer an den Häusern, den Mantel malerisch umgeschlungen, die Cigarre im Munde. Lachend winden sich einzelne Damen hindurch und halten sich nur mit Mühe auf dem Trottoir oder werden von galanten Spaniern gehalten, die das Übermögliche thun, sich zusammenzudrücken, um dem schönen Geschlecht einen Pfad freizulassen. Obgleich hier manches kleine Unglück vorkommt, z. B. daß das Ende einer Mantille in dem Gedränge festgeklemmt wird, oder ein paar Senoritas allzusehr gedrückt werden, oder Einer den Andern mit dem Mantelende, das er leicht über die Schulter wirft, ins Auge trifft, auch wohl auf diese Art den Hut vom Kopf oder die Cigarre aus dem Munde schlägt, so hört man doch selten oder nie eine heftige oder unartige Äußerung; alles wird mit der größten Höflichkeit abgemacht, man entschuldigt sich, wird um Entschuldigung gebeten, und selbst der Lastträger, dem wir im Wege stehen, sagt auf die freundlichste Art: »Erweisen Sie mir die Gunst, ein wenig auf die Seite zu treten.«

Namentlich sind die Trottoirs der Alcalà und die der Calle Montera immer dicht mit Menschen besetzt, und hier sieht man beständig Polizeibeamte, die, wenn der Menschenstrom gar zu arg stockt, die Vordern bitten, weiter zu gehen, und plaudernde Gruppen ermahnen, nicht stehen zu bleiben, damit auch die Nachrückenden vorwärts können. Für die angränzenden Buden- und Ladenbesitzer ist dieses ewige Gedränge vor ihren Schaufenstern natürlich nicht angenehm, und wenn es draußen gar keinen Platz mehr gibt, so ziehen sich die Plaudernden in die Gewölbe hinein, ohne viel Notiz von dem Kaufmann und seinen Waaren zu nehmen, wodurch sich mehrere der Ladenbesitzer veranlaßt sahen, wie man anderswo das Rauchen verbietet, an ihre Bude anschlagen zu lassen: »Aquì no se permiten tertullas!« (Hier sind keine Unterhaltungen gestattet!)

Daß sich hieher eine große Menge Equipagen wendet, versteht sich von selbst. Da es aber um die eben angegebene Zeit meistens nur möglich ist, die Puerta del Sol im Schritt zu passiren, so stockt die Wagenreihe in den benachbarten Straßen und bildet eine große Zeile, die nun zur Unterhaltung der Zuschauer auf dem Platze langsam vorbeirücken, und bequem durchgemustert werden können. Öfters bilden diese Zuschauer förmlich Spalier da sie wegen der Wagen über die Straße nicht hinüber können, und wo dieß doch einer versucht, so geschieht es in großen Sprüngen, mit ängstlicher Hast nach allen Seiten blickend.

Bei bewegten Zeiten findet nun jede Partei ihre Freunde an einer bestimmten Stelle der Puerta del Sol oder in den Kaffeehäusern der nächsten Umgebung, wo sich gewöhnlich Clubs der verschiedenen Färbungen bilden, die alsdann durch ihre Agenten auf die Masse des Volks, welches den Platz besetzt hat, einzuwirken suchen. Die Mitte desselben ist dann mit einer unschlüssigen, hin- und herwogenden Menge bevölkert. An der Ecke der Straße de la Montera finden sich die angesehensten Einwohner, auch Beamte, die sich zur Oppositionspartei zählen; gegenüber bei der Carrera de San Geronimo die quiescirten Militärs, deren es in Madrid eine Unmasse gibt, und bei der Casa de Correos, einem großen für die Administration der Posten eingerichteten Palast, in dem sich aber derzeit ein Ministerium befindet, sieht man Angestellte, Anhänger der bestehenden Regierung, Bankiers und Börsenmakler. Dieses massive Gebäude war wegen seiner den Platz dominirenden Lage in unruhigen Zeiten oftmals von großer Wichtigkeit, und sein Besitz, wie zum Beispiel der des Pariser Stadthauses, bei Revolutionen mehr als einmal entscheidend.

Noch vor wenigen Jahren waren der Fiaker in der spanischen Hauptstadt sehr wenige, und die meisten führten alterthümliche und unbequeme Kutschen. Das hat sich nun sehr geändert, und als wir an der Puerta del Sol aus dem Omnibus stiegen, umschwärmte uns eine ganze Menge eleganter Coupés, von denen wir uns eines aussuchten, um nach der Fonda de Peninsulares, einem der besten Gasthöfe, zu fahren, wobei der Spanier seine zwei Peseten auf eine unverantwortlich leichte Weise verdiente, denn kaum hatten die Pferde angezogen, so hielten sie auch wieder, indem der Gasthof nicht zehn Schritte von der Puerta del Sol entfernt ist. Hier fanden wir unsern Reisegefährten, Baumeister Leins, noch sehr in Morgentoilette, und die Freude des Wiedersehens war groß, denn ihm, so wie Herrn Heeren war doch zuweilen Besorgniß aufgestiegen, ob es uns auch gelingen würde unsere Tour durch die Mancha glücklich zu beenden. Der Eilwagen war übrigens nur einen Tag vor uns eingetroffen.

Wie so manches in Spanien lassen auch die Fremdenhôtels noch viel zu wünschen übrig; die meisten sind erst in den letzten zehn Jahren entstanden und haben deßhalb noch viel provisorisches an sich. Spanien ist noch nicht so wie andere Länder mit Reisenden überfüllt, daher auch das Unterkommen mangelhaft. Es ist noch nicht gar lange her, daß der Betrieb einer Gastwirthschaft hier für ein niederes, fast verachtetes Gewerb angesehen wurde, und noch heute befassen sich wenige Spanier damit. Fast alle Wirthe sind Italiener, namentlich Lombarden; auch benützt der Spanier noch zu unsern Zeiten selten einen Gasthof zum längern Aufenthalt, sondern nur als Absteigequartier für eine Nacht, um den andern Tag Quartier in einem Privathause, was in Madrid sehr leicht zu erhalten ist, oder Unterkommen in einer sogenannten Pension, in einer Casa de Huespedes, zu finden. Wir hätten es gern eben so gemacht, doch da wir zu drei waren, fanden wir keine passende Wohnung, und was wir in verschiedenen Häusern ansahen, war nach Einrichtung und Preis nicht vortheilhafter als was man uns im Gasthofe bot. Hier erhielten wir einen ungeheuren Salon mit Fenstern, die bis auf den Boden herabgingen, und leider nicht fest zu verschließen waren; unter dem Fußteppich befanden sich Steinplatten; die Möbel waren alt, von verschiedenster Façon, und bloß sämmtliche Stühle glichen einander, aber nur darin, daß sie alle wackelig waren; ein überaus kleiner tragbarer französischer Kamin nahm sich in dem ungeheuren Raum wie eine schlechte Anspielung aus. Unsere Betten standen in drei Nebenkabinetten, und waren recht ordentlich. Wie man es in Spanien gewöhnlich zu thun pflegt, hatten wir uns einen Preis machen lassen für Wohnung, Heizung, Beleuchtung, Frühstück und Diner, wofür wir die Person zwei Duros täglich zu bezahlen haben – allerdings ein tüchtiger Preis, obgleich für Madrid nicht zu hoch. Auch hatten wir wenig Ursache mit der Fonda de Peninsulares unzufrieden zu sein, und wenn es nicht so unbeschreiblich kalt gewesen wäre, hätten wir in unserem Saal ein behagliches Leben geführt. So aber mochten wir, zum großen Leidwesen des Wirths, noch so viel Holz in den kleinen Kamin stecken, welches unser Baumeister Leins kunstvoll anzufachen wußte, das Zimmer blieb kalt und deßhalb unheimlich, und wenn auch unsere Fußsohlen fast verbrannten, so war doch der Rücken nur dadurch vor Rheumatismus zu schützen, daß wir Paletots und Mäntel anzogen. Um am Tische, der in der Mitte stand, zu schreiben oder zu zeichnen, mußten wir Pelzstiefel und Fußsäcke gebrauchen und dicke Handschuhe anziehen.

Die Stadt Madrid liegt lang und breit ausgestreckt auf einer Hochebene, mit vielen kleinen Hügeln, weßhalb es auch wenige Straßen gibt, in denen man nicht jeden Augenblick bergauf und bergab steigen muß. Die Spanier suchen eine Vergleichung mit Rom und Konstantinopel, und sprechen auch hier von sieben Hügeln; doch sind es, wie gesagt, deren viel mehr. Gegen Westen ist die Hochebene von einer tiefen Böschung umgränzt, an deren Abhang sich Spaziergänge und Gartenanlagen hinunter bis an den Manzanares ziehen, der hier gewissermaßen die Gränze des städtischen Gebiets bildet, und, wie ein dünner heller Faden die Landschaft durchschneidend, längs der Stadt nur durch die seinen Lauf begleitenden Trockenplätze der zahlreichen Waschanstalten mit dem Auge verfolgt werden kann. Bis an seine Ufer ziehen sich doppelte Reihen alter Ulmen, und an seinem Flußbett auf- und abwärts sieht man auch eine Spur von Vegetation. Jenseits der prächtigen Brücke von Toledo, eigentlich die größte Ironie auf den kleinen Manzanares, ist aber das Terrain wieder eben so kahl, eben so öde wie auf der Seite, von welcher wir die Stadt erreicht hatten. Hoch an dem eben genannten Abhange steht das königliche Schloß, und von seinen Terrassen blickt man auf den Manzanares, die Brücke von Toledo, über diese hinaus auf die kahle Ebene, und freut sich, am Horizont die prächtige Bergkette des Guadarrama zu sehen mit seinen von Schnee glänzenden Kuppen, an dessen Fuß geschmiegt der Escorial liegt. Etwas freundliches hat übrigens dieser Anblick nicht, er ist ernst und gewaltig. Das hügelige Land, dunkel gefärbt, hie und da mit gelben und röthlichen Streifen zeigt so von weitem keine Spur irgend eines Lebens. Dörfer oder einzelne Wohnungen sieht man nicht, ebenso wenig Bäume oder Sträucher, nur ein nackter Hügel liegt einförmig neben dem andern, und am Horizont der weiten Fläche ragt das dunkle Gebirge empor mit scharfen Zacken und tiefen Schluchten, selbst im Licht der Sonne wohl majestätisch, aber finster und ernst.

Ganz in Harmonie mit dieser Landschaft, zumal von der Nordseite gesehen, ist der an der Stelle des alten Alcazars der Mauren erbaute königliche Residenzpalast, von dessen Vorhof aus wir dieses melancholische Gemälde betrachten, ein ungeheures Viereck im Charakter des Palastas von Caprarola bei Rom; seine Architektur ist streng, wenn auch in den Einzelnheiten etwas verschnörkelt. Auf dem in derben Formen ausgeführten untern Stockwerk ist rings um das Gebäude her bis zum obersten Gesims die gewaltige Masse durch eine an die Wand angelehnte Colonnade gegliedert, die an den vier Ecken stärker hervortritt, breite aus Granitquadern erbaute Terrassen und weite Durchfahrten, die auf den Vorhof führen, erstrecken sich zu beiden Seiten des letzten nach der Armeria Real, der großen königlichen Waffensammlung, die an seinem dem Schloß gegenüber liegenden Ende den weiten Platz abschließt. An dem dem Thal zugewendeten Terrassenflügel wird immer noch, aber sehr langsam gebaut, und der Fuß desselben sowie die Substructionen des Schlosses selbst verlieren sich auf dieser Seite in ein Chaos halbfertiger gewaltiger Mauern. Die Nordseite, den entferntern und viel tiefer liegenden, ausgedehnten Baulichkeiten des Marstalls zugewendet, greift mit ihrem massenhaften Unterbau tief neben den umliegenden Straßen hinab, und macht den Eindruck einer festen Burg; nur Schade, daß das Ebenmaß dieser Façade durch Abtheilung in all zu viele Zwischengeschosse auf eine bedauerliche Weise zerstückelt ist; der innere quadratische Hof gewährt einen prächtigen Anblick, die Haupttreppe aber gehört durch die Großartigkeit ihrer Anlage und ihre gigantischen Masse zu den imposantesten Architekturwerken.

Gegenüber dem Paläste in einem niedrigen Gebäude der Armeria real befindet sich die königliche Rüstkammer, mit prachtvollen Waffen aller Arten und Zeiten, Rüstungen und geharnischten Pferden. Obgleich die Sammlung nicht so reichhaltig ist, wie z. B. die des Tower und die Dresdener, so ist doch Alles werthvoll und dabei vortrefflich aufgestellt, die kleineren Sachen in Glasschränken verwahrt, und das Ganze macht einen Eindruck, wie die reiche Sammlung eines Privaten, der jedem einzelnen Stück mit Liebe und Geschmack seinen gehörigen Platz angewiesen hat. Die Rüstungen sind vortrefflich unterhalten, die schwarzen orientalischen Klingen matt glänzend und das übrige Stahlwerk, wo es sein muß, spiegelblank. Dabei hat man sich aber wohl gehütet, Helme, Schilde oder Lanzenspitzen, welche die so wohlthuende Eisenfarbe hatten, dieses Überzugs zu berauben und ebenfalls zu glätten, wie das zum Beispiel in der großen Waffensammlung von Zarskoje-Selo bei Petersburg geschehen, wo alle Waffenstücke häufig aufs Neue polirt werden, dafür freilich außerordentlich glänzen und funkeln, aber auch gänzlich ihr altes, ächtes Ansehen verloren haben.

Sehr reich ist die Armeria an maurischen Waffen, prächtigen Säbeln und Dolchen, sowie an eigenthümlich geformten und verzierten arabischen Helmen und Panzern. Von historisch merkwürdigen Stücken sieht man das Schwert Gonzalvo's de Cordova, Rüstung und Helm des letzten Königs von Granada, Boabdil, sowie die Rüstung Pizarro's und die Degen von Ferdinand Cortez, Carl dem Fünften und Philipp dem Zweiten; von letzterem ist auch ein reich und zierlich gearbeiteter schwarzer Panzer da. Viele türkische Trophäen, Roßschweife und Waffen hat die Schlacht von Lepanto geliefert, sowie auch den Turban des Kapudan Pascha. Interessant ist eine oben mit schwarzem Wachstuch überzogene grauseidene Tragbahre mit Lehnstuhl, deren sich Karl V. in den Feldlagern bediente, sowie eine große Staatskutsche, welche der Mutter des großen Kaisers, der tollen Johanna gehört haben soll. Ein anderer interessanter Wagen ist der Ferdinand's des Siebenten, welchen ihm die Nordprovinzen zum Geschenk machten, und der ganz aus blankgefeiltem Eisen gebaut ist.

Von der Armeria zurückkehrend gingen wir über den innern Schloßplatz, um an dessen niederer Brustwehr noch einmal den Blick auf die flache Gegend vor dem Palaste zu werfen.

Die Ebene um Madrid hat etwas von einer Wüste an sich, und wenn wir hier an dem königlichen Schloß stehen, so fällt uns der Contrast derselben mit der volkreichen Stadt wohl am lebhaftesten auf. Hinter uns das Gewühl der Volksmenge, das Sausen der Stadt, das Rasseln der Equipagen, neben uns die prächtigen Gebäude, der Schloßplatz, Plaza de Oriente, mit seinen schönen Fontainen und sehr schlechten Marmorstatuen und vor uns dagegen eine kleine Brustwehr, die eine hohe, steile Mauer krönt, über welche hinweg die Blicke in die traurige, öde Natur schweifen. Gern kehren wir in das Menschengewühl zurück, um einen Spaziergang durch die Straßen zu machen.

Madrid ist eine große Stadt, die aber, mit Ausnahme weniger Straßen, nicht viel Großstädtisches hat. Die einzige Alcalà ist prächtig zu nennen; hier wo die Minister, die vornehmsten Beamten und die fremden Gesandten wohnen, reiht sich ein palastähnliches Gebäude an das andere. Doch ist selbst der Anblick dieser sehr langen und breiten Straße, trotz dem schönen Abschluß, den sie durch den Triumphbogen Karls III. an ihrem Ende hat, nicht von großer Wirkung, da sie ebenfalls über einen Hügel hinweggeht, und man daher ihre ganze Länge nicht übersehen kann. Auch in den übrigen Straßen gibt es schöne Paläste genug, doch stehen sie meistens mit wenigsagender Front in den Häuserreihen, sind in die Tiefe hineingebaut, und zeichnen sich so wenig aus. Im allgemeinen aber wandelt man durch Madrid Straße auf, Straße ab, ziemlich theilnahmlos an den unendlich langen Häuserreihen vorbei. Alle Gebäude gleichen sich mehr oder weniger, haben vier bis fünf Stockwerke, an den Fenstern befinden sich eiserne Balkone, und im Parterre unbedeutende Laden. In vielen alten Städten bleibt man so gern bald hier, bald dort stehen, betrachtet sich einen seltsamen Palast, einen prächtigen Brunnen, eine malerische Straße, eng gewunden, mit dunklen, alterthümlichen Häusern besetzt, oder man erreicht mit einemmal einen großen Platz, wo man die schönen Formen einer Kirche anstaunt. In einer neuen Stadt mit viel Leben und Getreibe kann man sich stundenlang vor den großen Magazinen angenehm beschäftigen, oder man flanirt behaglich auf breitem Trottoir. Madrid aber ist weder eine alte Stadt mit auffallenden Bauwerken, noch eine neue mit glänzenden Magazinen und schönen Trottoirs, vollends aber ohne besondere Anlässe keine Stadt mit spanisch-nationalem Leben.

Auf unsern zahlreichen Wanderungen haben wir nichts merkwürdiges von alter Architektur gefunden, als in der Toledostraße, zunächst der Plaza de Cebada, den Eingang zu dem Spital der Latina, wohl das älteste Portal in Madrid und von großem Kunstwerth; überhaupt ist die ganze Bauart Madrids eine kümmerliche, bloß die Vorderseite des Hauses ist massiv, alles übrige ist von Fachwerk aufgeführt und sehr hinfällig construirt, da bei der Holzarmuth der Spanier sie dieses aufs Äußerste sparen, und die Wände so dünn machen, daß sie nur eben halten. Madrid hat nur breite und gerade Straßen, eingefaßt mit Häusern, welche vielleicht schön sind nach den Begriffen des Miethers und Vermiethers, doch könnte Madrid ebenso gut in Frankreich, in Italien, selbst in Deutschland liegen, ohne als Ausländerin Aufsehen zu erregen. In Paris bietet jedes Stadtviertel ein eigenes und belebtes Bild, in der spanischen Hauptstadt dagegen kann man sich die Mühe ersparen, alle Straßen zu durchlaufen: eine ist wie die andere, und es ist sehr schwer, die eine oder die andere lebhaft in der Erinnerung zu behalten. Auffallend ist die Abwesenheit großer Kirchen, und die meisten sind bloß einschiffige; man sieht zwar zahllose Glockenthürmchen, aber nirgends die imposante Masse eines Doms.

Auch an Plätzen und Märkten ist die Stadt sehr arm; die Plaza de Cebado ist fast ringsum von elenden Baraken eingefaßt, und der interessanteste ist wohl die Plaza mayor, an der Calle mayor, nicht sehr weit von der Puerta del Sol. Man betritt ihn, von weitem schon durch eine in seiner Mitte stehende bronzene Reiterstatue angezogen, durch einen großen Thorbogen, und befindet sich in einem länglichen Viereck dicht aneinander gebauter Häuser im Berninischen Perückengeschmack, aber lange nicht von der Ausdehnung des Hofs des Pariser Palais royal. Der bedeckte Gang, der unter den Häusern hinläuft und in seinem Hintergrund unbedeutende Boutiquen enthält, ruht auf Granitpfeilern, die, wo eine bedeutendere Straße, wie die Calle Toledo oder die Zugänge von der Calle mayor, auf den Platz einmünden, sich zu hohen Bogen aufwölben. Das öffentliche Gebäude in der Mitte der Langseite, das die große marmorne Inschrift: Plaza de la Constitucion trägt, ist wohl das einzige, welches bei dem Umbau dieses Platzes seine alte Form ganz behalten hat; die grauen Mauern haben zahlreiche, ziemlich geschmacklos verzierte Fenster und Giebel, das Dach erhebt sich zwischen allerlei phantastischem Schnörkelwerk. Dieser Platz hat eine sehr traurige und blutige Geschichte. Früher wurden hier ausnahmsweise die großen glänzenden Stiergefechte, welche der Hof veranstaltete, gehalten; in diesem Fall ward der Platz dick mit Sand bestreut. Schranken erhoben sich rings umher, und an den Fenstern, die noch heute numerirt sind, wo sich die Zuschauer befanden, sah man bunte Decken und Teppiche herabflattern. An dem oben erwähnten alten Gebäude bemerkt man noch jetzt die breiten Fenster, wo sich der königliche Hof befand. Dort blickte wohl Philipp II. einst auf den Platz herab, und die spanischen Damen und Edelfräulein verbargen das Gesicht hinter ihrem Fächer, wenn ein gefeierter Torrero in den Fall kam, von den Hörnern des wüthenden Stiers gespießt zu werden, oder auch wenn bei einem andern Schauspiel der Rauch von brennendem Holz und versengten Knochen gar zu heftig emporqualmte, denn auf der Plaza mayor wurden neben den Stiergefechten hauptsächlich die zahlreichen Auto da Fe's abgehalten, welche mit ihren gräßlichen Flammen Philipps Regierungszeit so schauerlich beleuchteten. Unter der königlichen Loge bemerkt man noch heute die alte Uhr, welche den Anfang dieser Schauspiele zeigte, und die kleine Glocke, welche jetzt so heiser anschlägt, ward wohl schaudernd vernommen von Hunderten der Unglücklichen, die hier verbrannt wurden.

Das Straßenleben von Madrid ist wohl nur mit dem von Neapel zu vergleichen. Paris in seinen besuchtesten Straßen zeigt nicht einmal so seine Bevölkerung, und Piccadilly und der Strand in London haben eine ganz andere Art von Bewegung. Dort schiebt sich auch eine endlose Menschenmenge an einander vorbei, aber jeder rennt ernst und geschäftig seiner Wege, denn »Zeit ist Geld.« Man hat zu thun, man strebt vorwärts einem gewissen Ziel zu, man grüßt flüchtig einen Bekannten, wobei man sich ohne Aufenthalt eilig durch die Menge windet. Hier in Madrid dagegen glaubt man ein ganzes Volk von glückseligen Flaneurs zu sehen; keiner scheint was rechtes zu thun zu haben, und alles ist, so glaubt man, auf der Straße, um frische Luft zu schöpfen, zu sehen, gesehen zu werden, die ausgestellten Waaren zu betrachten, oder mit guten Freunden eine halbe Stunde zu verplaudern. Wenn der Spanier auch wirklich in einem andern Stadttheil Geschäfte hat, so ist er darum doch nie eilig, er tritt zu seinem Haus hinaus, er beschaut sich das Wetter, wirft gravitätisch seinen Mantelkragen über die linke Schulter, und da er andere Leute rauchen sieht, so macht er sich ebenfalls eine Papiercigarre zurecht und setzt sich erst langsam in Marsch, nachdem sie angezündet ist.

Schon öfter erwähnte ich, daß, obgleich der Spanier sehr heißes Blut hat, er höchst selten bei Wortwechseln aus seiner vornehmen Gelassenheit herauskommt. Wohl sieht man hie und da eine Gruppe, die heftig gesticulirend zusammenspricht, doch vernimmt man kein unschönes Wort, wenn sich die Köpfe nach und nach erhitzen, selbst nicht einmal bei den untersten Volksklassen, man bleibt in den Schranken einer höflichen Sprechweise, und gewöhnlich beschließt irgendeine scherzhafte Wendung den Streit, worauf man sich lachend entfernt. Natürlicherweise gibt es auch dergleichen Veranlassungen, die nicht so freundlich endigen, wo am Schluß die Messer blitzen und Einer, schwer verwundet, zusammensinkt. Doch kommt das in jetziger Zeit wohl nicht öfter vor als im kälteren Deutschland, und sind auch die Veranlassungen hier wie dort die gleichen: ein kleiner Rausch, die Augen einer treulosen Schönen – eine Eifersuchtsscene.

Während unseres Aufenthalts in der spanischen Hauptstadt hatten wir selten Gelegenheit, das schöne Geschlecht von Madrid in seinem vollem Glanz zu sehen. Es war ja Winter, die meisten Bäume kahl, ein heftiger Wind fegte durch den Prado, so daß einem die nackten Marmorfiguren ordentlich leid thaten; auch ließ sich zuweilen ein leichter Schnee in den Alleen sehen, und das ist durchaus keine Witterung für die schönen Spanierinnen. Es ist überhaupt eigenthümlich, wie ein für unser Klima sehr gelindes Frostwetter die ganze Physiognomie von Madrid ändert. Da sind die Straßen mit einemmal leer, es ist, als habe der Wind die Menschen weggefegt, und was noch von ihnen zu sehen ist, eilt hastig vorüber, fest in den Mantel gewickelt, ein dickes, wollenes Tuch oder ein Pelzkragen verwahrt Mund und Nase. Alsdann liegen die Straßen öde, und vor allen Dingen könnte man glauben, Madrid habe gar keine Damen mehr. Nirgend die Spur einer Mantille. Kaum aber zertheilen sich die Wolken am Himmel, hört der Wind auf, bricht die Sonne hervor, trocknet das Pflaster und erwärmt die Luft angenehm, so scheinen die Menschen förmlich aus dem Boden hervorzuwachsen, und es ist, als habe Jeder dem Andern ein Rendezvous gegeben. Ein paarmal hatten wir einige warme Tage nacheinander, und der Prado belebte sich während der Mittagszeit. Im Sommer versammelt sich hier die schöne Welt bei Sonnenuntergang, um bis ein, zwei Uhr in der Nacht plaudernd und singend auf- und abzuziehen. Jetzt aber lag der Prado meistens ziemlich leer und öde, nur hie und da bemerkte man eine wenig elegante Kutsche mit einer alten, dicken Dame und ihrem Schooßhunde, auch wohl ein paar Reiter, die erschienen, sich flüchtig umschauten und dann im schnellsten Trabe nach dem Prado de Recoletos hin verschwanden.

Ein eigenthümliches Fest verschaffte uns indessen das Vergnügen, die weibliche Bevölkerung von Madrid in vollem Glanze auf der Straße und an den Fenstern zu sehen. Es war der siebenzehnte Januar, als wir uns nach dem Prado begaben, um die große Gemäldegalerie zu besuchen; doch fanden wir das Gebäude, eines Feiertags wegen, geschlossen und schritten langsam die Alcalà wieder hinauf.

In der Nähe des Palastes de Buenavista, wo sich das Kriegsministerium befindet, holte uns ein Bekannter ein, ein spanischer Architekt, der eilig hinter uns drein geschritten kam. »So recht!« rief er uns zu, »Sie sind schon auf dem Wege nach der Puerta del Sol. Aber ich bitte, ein Bischen eiliger zu gehen, die Funktion hat schon lange begonnen.« »Welche Funktion?« fragten wir. »Nun, Sie wissen doch, was heute für ein Tag ist.« »So viel ich mich erinnere, Dienstag.« »Ach, das meine ich nicht!« erwiederte lachend unser spanischer Architekt, »ich wollte fragen, welcher Heilige nach dem Kalender heute seinen Tag hat.« Und da er bemerkte, wie wir ihn verwundert anschauten, fuhr er fort: »Heute ist ja St. Antoniustag, das einzige Fest, welches auch den armen Thieren zu gute kommt.« – Richtig, jetzt fiel es mir ein, daß ich an diesem gleichen Tage vor mehreren Jahren in Rom war und dort ebenfalls dem Feste beiwohnte, welches, wie der Spanier sagte, den armen Thieren zu gut käme. »Geschwind,« mahnte der Architekt, »eilen wir, die Puerta del Sol zu erreichen, und dann wollen wir von dort gegen St. Antonio hinaufsteigen.

Die Puerta del Sol war heute noch belebter als an andern Festtagen. Man hat Mühe, durch die Menschenmenge zu dringen, welche Kopf an Kopf steht, förmlich Spalier bildet und nur die Verbindung der Straße Mayor mit der Straße de la Montera offen läßt. Wir drängen uns in die vordern Reihen und sehen einen Strom von Equipagen, Fußgängern, namentlich aber Reitern an uns vorüberziehen. Und Reiter, nicht im Überrock oder Wamms, wie wir sie gewöhnlich in den Straßen Madrids sehen, sondern heute im phantastischen spanischen Costüme. Es ist wie ein großartiger Maskenzug; jeder Elegant hat sich und sein Pferd bestens herausgeputzt, Kutscher und Reitknechte der vornehmen Häuser kommen in der Tracht ihres Heimathlandes, während viele der Pferde Wappendecken tragen und die bunten Bänder am Kopfzeug und Sattel die Farben der Herrschaft zeigen.

Einen Augenblick hier stehen zu bleiben ist schon amüsant, doch um Alles genau und deutlich zu sehen, was nach St. Antonio hinaufzieht, müssen wir dem glänzenden, lebendigen Strome folgen und hinaufsteigen bis zur Straße Hortalexa, einer so engen Gasse, daß Wagen und Reiter nur im Schritt und Einer hinter dem Andern durchpassiren können. Es wird uns schwer werden, dort auf dem schmalen Trottoir einen Platz zu erhalten, doch sind die Spanier ein sehr anständiges und höfliches Volk, und da die Umstehenden im Augenblicke hören, daß wir Fremde sind, so drücken sie sich zusammen, lassen uns vornehm stehen, und nennen uns gern einen eleganten Reiter, der vorbeikommt, oder den Namen der Herrschaft einer besonders reichen Equipage.

Die Straße Hortalexa ist sehr lang, schmal und mit hohen Häusern besetzt, bietet aber heute einen Anblick, wie der Corso in Rom. Alle Balkonthüren sind geöffnet und mit Damen besetzt, von denen wenigstens zwei Drittheile junge schöne Mädchen sind. Nicht als ob die Straße deren selbst so viele auszuweisen hätte, sondern aus ganz Madrid findet man sich hier bei Verwandten und Bekannten zusammen, um zu sehen und gesehen zu werden. Anfänglich üben auch die zahlreich besetzten Balkone eine stärkere Anziehungskraft auf die Vorüberwandelnden, als der Zug der Pferde und Equipagen. Über den eisernen Geländern hängen bunte Teppiche, neben welchen vielfarbige Bänder flattern. Die Damen haben sich, dem Tage zu Ehren, ebenfalls festlich geschmückt und man sieht hier von der reizenden spanischen Nationaltracht in einer Stunde mehr, als sonst in einem Monate im übrigen Madrid und Alle da oben sind in lebhafter Bewegung. Anscheinend nur mit sich selbst oder dem Zuge drunten beschäftigt, blitzen die großen, schönen Augen doch überall herum und Alles, was ihnen halbwegs fremdartig erscheint, erregt ihre Aufmerksamkeit. Dabei wird geplaudert, gelacht, die weißen Zähne gezeigt, jetzt der Fächer vorgehalten, hinter dem man ein künstliches Erstaunen geschickt verbirgt, wenn ein vorüberziehender Reiter ziemlich laut versichert, er habe lange nichts so Schönes gesehen, als die Mädchenschaar da oben. Gleich darauf aber klappen die Fächer wieder zusammen, Alle beugen sich über das Balkongeländer, daß man glaubt, sie wollen sich herabstürzen in einen Wagen, der jetzt beim Hause angelangt ist, und in dem sich Bekannte befinden, mit welchen nun augenblicklich eine lebhafte Konversation beginnt. Dazwischen werden Orangen und Zuckerwerk verspeist, auch kleine Papier-Cigarren von den niedlichen Fingern gedreht und dem Nachbar gereicht, oder auch wohl von der Sennora selbst geraucht; natürlich hinter vorgehaltenem Fächer, aber doch so, daß es die halbe Straße sehen kann.

Was ich eben von einem einzelnen Hause berichtete, vor welchem wir gerade stehen, wiederholt sich in der ganzen Länge der Straße, weßhalb diese einen reichen, wunderbaren Anblick gewährt. Überall flatternde Teppiche und Bänder, strahlende Augen, wehende Mantillen und goldglitzernde, im Sonnenstrahl spiegelnde Fächer. Am Eingang der Calle de Hortalexa befindet sich ein kleiner Platz, wo sich Reiter und Equipagen sammeln, um von dort ihren Weg durch die Straße langsamer fortzusetzen. Hier kommt ein einzelner Reiter, die schwarze Sammtjacke mit silbernen Knöpfen besetzt, den castilianischen Hut auf dem Kopfe, mit emporgewichstem Schnurrbart, und er zügelt sein feuriges Pferd, das nun langsam, aber in die Zügel knirschend und mit dem Kopfe schüttelnd, vorbeitanzt, viel zu langsam für einen ungeduldigen Trupp anderer Reiter, der ihm folgt. »Caballero!« ruft ihm Einer zu, »erweisen Sie uns die Gunst, ein wenig geschwinder zu reiten,« was übrigens keine Wirkung hat, weßhalb denn die tolle Schaar nach wenigen Sekunden ihre Pferde in Galopp setzt und rechts und links bei ihm vorbeijagt. Doch fühlt sich der erste Reiter in seinem Stolze verletzt, er läßt seinem schwarzen Hengste die Zügel, und da dieser mit ein paar Sätzen die Schaar überholt hat, so würde ein kleines Wettrennen entstehen, wenn nicht einer von den aufgestellten königlichen Reitern in der Straße dazwischen sprengte und Alle ermahnte, ruhig ihres Weges zu ziehen.

Das hat denn eine kleine Lücke gegeben, welche ein nun folgender Andalusier benützt, um im kurzen Galopp durch die Straße zu paradiren. Es gibt heutzutage keine schönere, ritterlichere Erscheinung, als der Majo in voller Tracht zu Pferde; alles glänzt und flimmert an ihm, hochmüthig und stolz sitzt er auf dem reichverzierten Sattel, die gelben Ledergamaschen mit den flatternden Riemen schließen sich fest an die Weichen des Pferdes, und der elastische Oberkörper folgt zierlich jeder Bewegung. Gewöhnlich trägt der Majo eine dunkelfarbene Jacke von Atlas, mit schwarzem Schmelz gestickt, darunter eine hellere Weste mit Gold- und Silberschnüren besetzt, um den Leib die rothseidene Schärpe. Dabei ist er vollkommen Herr seines Pferdes, und wenn der Hengst unter ihm noch so sehr auf dem Pflaster tanzt, raucht er doch ruhig seine Papiercigarre fort und cokettirt an den Häusern hinauf.

Diesem leichten Reiter folgt etwas schwere Cavallerie: der Kutscher eines guten Hauses auf einem derben catalonischen Pferde, welches aber ganz orientalisch aufgezäumt ist, so ächt türkisch, mit seinen rothen Quasten, goldenen Stickereien und schweren Bügeln, daß es auf dem Atmeidan in Konstantinopel augenblicklich von einem Bim Baschi hätte bestiegen werden können. Das sind noch Anklänge an die Maurenzeit, die man ja so häufig auch in den spanischen Trachten bemerkt und die Jahrhunderte nicht verwischen und verdrängen konnten. Ein weiterer Beweis für diese Behauptung zeigt der Valencianer auf dem Bocke der nun erscheinenden Kutsche; mit ein paar unbedeutenden Veränderungen in seinem Anzuge könnte er bei Jaffa oder sonstwo in Syrien spazieren gehen. Er trägt ein buntes Kopftuch, hat Sandalen an den Füßen, und seine helle Blouse mit weiten Ärmeln ist von einem vielfarbigen Gürtel zusammengehalten. Im Wagen, den er führt, sitzt ein Dutzend schöner Kinder aus vornehmen Häusern in der allerliebsten spanischen Tracht, lauter Manolo's und Manola's; letztere haben kleine Fächer, mit denen sie ebenso geschickt umzugehen wissen, wie die Alten.

Auch komische Scenen gibt es genug in dem Zuge, der nun schon über eine Stunde unaufhörlich bei uns vorüber rasselt und klappert. Dort kommen ein paar kleine Delantero's mit ihrem dicken Mayoral, alle festtäglich geputzt, und führen einige zwanzig, oft schäbig aussehende Maulthiere zur Kirche. Diese armen Geschöpfe haben es bei ihrer schweren Arbeit wohl am meisten nöthig, vom Segen des heutigen Tages zu profitiren; sie sind mit ihrem besten Geschirr, mit Messingstücken und kleinen rothen Fahnen geschmückt, scheinen es aber hier in dem Menschenstrom durchaus nicht behaglich zu finden. Einer der Vorläufer wird störrisch, sobald er die enge Straße betreten, spitzt seine langen Ohren und macht rechtsumkehrt. Glücklicherweise ist der unermüdliche Zagal auch hier bei der Hand, schwingt seinen dicken Stock und prügelt das störrische Maulthier wieder in die Reihe hinein, wobei er ausruft: »Schäme dich, Emilia, bist sonst ein vernünftiges Vieh und willst dich so unchristlich aufführen!« »Es geht ihm wie Dir,« ruft der kleine Delantero, »er scheut sich auch vor der Kirche.« Worauf der Mayoral dann entscheidet daß Alle zusammen: Maulthiere, Delantero und Zagal leider Gottes bis auf den heutigen Tag gewartet hätten, sich bei einem braven Heiligen sehen zu lassen.

So ziehen sie vorüber und ihnen folgen andere Reiter, bald einzeln, bald zu mehreren, bald allein, bald Handpferde führend. Ein lautes Gelächter entsteht über einen großen Kerl mit sehr langen Beinen, der auf einem kleinen Esel einhertrabt, namentlich im nächsten Augenblicke, da er fast überritten wird von einem Zuge toller Basken, wilden, verwegenen Gesellen in braunen Jacken, die roth und weiße Mütze auf dem Kopfe, Diener von Offizieren oder anderen vornehmen Herren, die in vollem Galopp die Straße unsicher machen und nicht einmal den Ermahnungen der berittenen Wache folgen, die sich dann auch zurückzieht und die wahrscheinlich gut Gekannten lachend ihren Weg verfolgen läßt.

Jetzt flüstern die Mädchen auf den Balkonen emsig mit einander und schauen eifrig nach dem Eingange der Straße. Ein paar Damen erscheinen zu Pferde, von vielen Reitern umringt, alle in andalusischer Tracht, welche sich bei den Reiterinnen noch reizender ausnimmt. Über dem langen Reitkleide tragen sie ein Jäckchen von amaranthfarbigem Sammet, mit schwarzen Schnüren besetzt und unzähligen kleinen silbernen Knöpfchen; schief auf dem Kopfe sitzt keck der andalusische Hut.

Um das Ende oder allmälige Aufhören des Zuges zu erwarten, müßten wir noch mehrere Stunden hier stehen bleiben, ohne viel Anderes zu sehen als das, was wir eben zu schildern versuchten. Deßhalb wollen wir uns langsam vorwärts schieben, was übrigens auf dem sehr schmalen, menschenbesetzten Trottoir keine Kleinigkeit ist. Auf das Pflaster zu treten, kann lebensgefährlich werden, denn bald wird uns eine Equipage streifen, oder ein unartiges Maulthier, welches anfängt, rückwärts zu gehen, uns sehr unsanft berühren. Man hilft sich so gut man kann, man bittet um Entschuldigung und wird wieder um Entschuldigung gebeten; man hält laut aufschreiende Sennorita's, die in Gefahr sind, vom Trottoir hinabgedrängt zu werden und wird dafür im nächsten Augenblicke von einem höflichen Spanier ebenfalls vor einem Sturze bewahrt.

So gelangen wir sehr langsam in die Nähe der kleinen Kirche von St. Antonio, wo übrigens nicht viel zu sehen ist. Unter der geöffneten Thüre stehen ein paar Geistliche, welche die Thiere an sich vorüberziehen lassen und geweihtes Wasser hinausspritzen. Auch erhalten viele Reiter einen kleinen Zettel, dessen Bedeutung wir übrigens nicht erfahren konnten. Mag man über den Gebrauch, ein unvernünftiges Thier zu seinem harten und beschwerlichen Tagewerk durch ein Wort des Segens stärken zu wollen, vielleicht achselzuckend lächeln, so ist doch der feste Glauben auch hier etwas zu Schönes, um darüber zu spötteln. Man muß nur sehen, wie sich jeder Reiter beeifert, mit seinen Thieren so dicht wie möglich an die Kirchthüre zu gelangen, und man begreift wohl, wie viel Werth er darauf legt, mit seinen treuen Arbeitsgefährten an diesem Tage bei St. Anton gewesen zu sein. Wahrhaft rührend erschien mir ein alter Mann auf einem schäbigen und sehr störrischen Maulthier, welches sich zu fürchten schien und trotz allen Bemühungen seines Reiters nicht in die Nähe der kleinen Kirchthüre zu bringen war. Geduldig stieg er endlich ab, band das Maulthier an die Stange eines eisernen Fenstergitters, ließ sich seine Hand mit dem Wasser befeuchten und strich dann dem Thiere über die Stirn, worauf er wieder aufstieg und beruhigt von dannen ritt. Möge ihm sein Glaube helfen!

Unser Spaziergang ist übrigens hier an der Kirche noch nicht zu Ende; wir müssen uns noch weiter durchdringen, bis an's Ende der Straße, wo dieselbe auf den weiten Platz von Santa Barbara mündet. Dieser führt ziemlich steil aufwärts zum Thore des Paseo de la Ronda, einem prächtigen Platz für die tollen Reiter, die im Schritte aus der Straße Hortalexa herauskamen und nun hier ihre Reiterkünste zeigen. Zu beiden Seiten des Platzes befand sich eine zahlreiche, zuschauende Menschenmenge, und viele elegante Equipagen hielten da, und die darin Sitzenden betrachteten sich ebenfalls das glänzende Schauspiel, welches die wilde Reiterschaar bot. Etwas Ähnliches, wie dieß tolle Reiten hier, habe ich aber auch nur bei den Arabern der Wüste gesehen, es war wie eine Razzia, wo Jeder sich beeilt, vorwärts zu kommen, um den herannahenden Feind zu überfallen. Sowie ein Trupp Reiter mit oder ohne Handpferde die enge Straße verlassen hatte, brachen alle in ein gewaltiges Hurrah aus, schwenkten Hüte und Mützen, knallten mit ihren Peitschen, setzten ihren Thieren die Sporen in die Seite und vorwärts jagten Alle im wilden Carrière. Daß die Maulthierzüge nicht dahinter blieben, kann man sich leicht denken. Und so ging es im tollsten Durcheinander bis hinauf zu dem engen Thore, wo alsdann parirte, wer die Thiere in seiner Gewalt hatte, wer nicht halten konnte, schoß im tollen Jagen durch den Bogen des Thores, auf die Gefahr hin, überritten oder gequetscht zu werden. Beides kam denn auch leider am heutigen Tage, trotz der zahlreich aufgestellten Wachen, mehreremal vor.

Daß der festliche Tag in den Schenken und Tanzlokalen der anliegenden Straßen lärmend beendet wurde, versteht sich von selbst. Bis spät in die Nacht hinein sah man viele Häuser mit Lichtern und Papierlaternen erleuchtet, hier wurde zu rauschender Musik getanzt und dort war man vielleicht ebenso lustig bei dem Klang einer Guitarre und dem Knacken der Castagnetten.

Was das Klima in der spanischen Hauptstadt anbelangt, so ist es dem öffentlichen Leben im Freien wohl nicht so günstig, wie in anderen besser gelegenen Städten. Die weite Hochebene wird gegen Nord und West von dem beinahe 9000 Fuß hohen Zug des Guadarrama-Gebirges begränzt; merkwürdigerweise fängt das Gebirge alle Wolken auf, die von West und Nord heranziehen, wodurch die Hauptstadt während der Sommermonate fast ununterbrochen einen klaren und heitern Himmel sieht, einen beständigen Sonnenschein, den die nackten Granitschichten des südlichen, von Wald gänzlich entblößten Abhangs des Gebirges wie ein ungeheurer Brennspiegel zurückwerfen und so die unerträgliche Hitze hervorbringen, von der Madrid, trotz seiner hohen Lage, den Sommer über heimgesucht ist. Der Spanier flieht vor ihr in das Innere seines Hauses, und dem Sprüchwort nach sieht man alsdann auf der Straße nichts als Hunde und Franzosen. Sobald es aber Abend wird, weht von den Schneekuppen des Guadarrama, die auch während des Sommers nicht ganz verschwinden, ein eiskalter Wind, der die Schwüle des Tages mit einemmal in eine empfindliche Kühle verwandelt. Dabei gibt es wohl keine Stadt, die selbst während der Tageszeit einen so großen Wärmeunterschied in Sonne und Schatten zeigt. Ein Spanier versicherte uns, man könne sich in Madrid mehrmals im Tag einen Schnupfen holen, wenn man nämlich erhitzt den Schatten aufsuche, diesen Schnupfen aber ebenso leicht wieder verlieren, wenn man zurück in die Sonne trete. In der kalten Jahreszeit gibt die hohe Lage der Stadt aber eine Kälte, wie man sie sonst nicht leicht findet. Wenn auch Schnee und Eis nicht gerade sehr häufig sind, so genossen wir doch Beides während unseres Aufenthalts zur Genüge, ja der Winter war so streng, daß sich während einiger Tage viele der anwesenden Deutschen auf dem großen Teiche des Buen Retiro mit Schlittschuhlaufen belustigten.

Was ich von den Straßen Madrids sagte, daß sie durchaus keinen spanischen Charakter haben, das gilt noch mehr von den Menschen, die sie bevölkern, namentlich von den Männern, denn Mantille und Fächer der Damen erinnern uns freilich immer daran, wo wir sind. Verschwunden ist hier die bunte Manta der Catalonier und die rothe Mütze der Basken, eine andalusische Tracht sieht man äußerst selten und was allenfalls durch bunte Kleidung auffällt, sind die Mayoral's und Delantero's, namentlich der Kutschen, welche aus dem Süden kommen. Die Straßen sind bedeckt mit runden Hüten und dunkelfarbenen Mänteln; nur die galizischen Wasserträger bringen einige Abwechslung – kräftige Gestalten in manchesternen Hosen und grünen oder braunen Jacken. Auf der Schulter tragen sie ihre kupfernen Wassertonnen, die eine Ähnlichkeit mit der alten Amphora haben. Man sieht sie überall, namentlich in der Nähe der Fontänen, bei denen den ganzen Tag Hunderte von diesen kleinen Tonnen liegen und die Passage hemmen. Die meisten sind auch neben ihrem Geschäft, die Häuser mit frischem Wasser zu versehen, deren Marktlieferanten, und tragen in großen Körben Fleisch und Gemüse umher.

Neben der großen Menschenmenge, die sich auf den Straßen von Madrid hin- und herbewegt, wird der Wandel noch bedeutend erschwert durch riesenhafte Frachtwagen, die uns jeden Augenblick begegnen. Dazu kommt die lange Bespannung, sechs, acht Maulthiere vor einander, und wenn der Fuhrmann um die Ecke links biegen will, so müssen die vorderen Thiere zuerst rechts bis auf das Trottoir hinauf, wodurch der Spaziergänger häufig in unangenehme Berührung mit Hufen und Rädern kommt. Was dieß anbelangt, ist es noch gut, daß Madrid gar wenig Handel hat, d. h. so gut wie gar nichts ausführt; man sieht schwerbeladene und stark bespannte Wagen nur hereinfahren, alle Galero's dagegen, welche die Stadt verlassen, sind größtentheils leer und deßhalb schwach bespannt. Die spanische Hauptstadt producirt gar nichts, weder Luxusartikel, noch selbst die geringfügigsten Dinge zum täglichen Gebrauch, alles kommt entweder vom Ausland, oder doch von anderen Städten. Der Fuhrmann kann nur auf eine Fracht rechnen, und hält diese daher für Alles, was er hereinbringt, sehr hoch. Der Kaufmann muß diese großen Speditionsgebühren auf den Preis seiner Waaren schlagen, woher es denn auch kommt, daß in Madrid Alles unverantwortlich theuer ist. Dinge, wie z. B. Papier, Bleistifte, sogar kleine Ansichten von Madrid – alles das kommt von Paris und kostet hier das Dreifache wie dort. Ich erinnere mich, daß ich eines Tages ein Heft kaufen wollte mit den lithographirten Ansichten eines Stiergefechts – eine Sache, die der Pariser Herausgeber vielleicht für 5 Franken verkauft, hier verlangte man 15 dafür.

Obgleich man in neuerer Zeit angefangen hat, der Straßenbettelei in den größeren Städten Spaniens entgegenzuwirken, so wird man doch auf Schritt und Tritt unter allen möglichen Formen angebettelt. Man spaziert harmlos auf dem Trottoir, plötzlich rennt ein Kerl gegen uns, der ein Paket Papier in der Hand trägt und uns nicht mehr von der Stelle läßt, sobald er an ein paar Worten merkt, daß wir Fremde sind. Es ist ein blinder und privilegirter Verkäufer der letzten fürchterlichen Mordgeschichte, eines andern wichtigen Ereignisses oder eines der kleinen Tagesblätter; man ist fast gezwungen, ihm ein Exemplar abzukaufen. Zerlumpte und schmutzige Bettler strecken die Hand aus oder folgen eine halbe Straße, indem sie uns weitläufig ihr Elend erzählen – andere sitzen an den Ecken, klimpern auf einer alten verstimmten Guitarre, singen dazu und schicken ihre kleinen Kinder aus, um den Vorübergehenden anzubetteln. Alle haben übrigens etwas eigenthümliches und charakteristisches an sich und man begreift hier in Madrid vollkommen, woher Murillo, namentlich aber Velasquez ihre köstlichen Bettlergestalten nahmen; heute noch sieht man Gruppen unter ihnen, die, von einem Maler ohne die geringste Änderung aufgefaßt, ein prächtiges Bild geben würden. So sah ich in der Nähe der Post sehr häufig einen alten Mann sitzen, dessen geflickter Mantel ein kleines Kind bedeckte, das in seinem Schooße schlief. Man erblickte von diesem nur den hübschen runden Kopf und die Händchen, während ein größerer Bube mit wunderschönen, schwarzen Augen und lachender Miene in die Saiten der alten Guitarre griff. Auf der Alcalà trieb sich fast jeden Tag ein Hundeverkäufer herum, der mehrere dieser Thiere an Stricken führte, während er eine kleine Bulldogge aufrecht sitzend auf dem Arm trug; nun war aber die Physiognomie des letzteren seinem eigenen Gesicht auf eine wahrhaft komische Art ähnlich; und so schritt er gravitätisch einher mit dem ebenso ernst aussehenden Thiere. Grauenhafte Bilder der Armuth und des Elends bieten die alten Weiber, die an den Kirchthüren betteln. So reizend eine jugendliche Spanierin ist, so ist hier das Alter häßlicher als irgendwo. Man hat oft Mühe, durch die Schaar dieser Weiber durchzukommen, und muß sich diese Passage jedesmal mit ein paar kleinen Geldstücken erkaufen.


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