Friedrich Hackländer
Ein Winter in Spanien
Friedrich Hackländer

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Zehntes Kapitel.
Valencia.

Kaltes Wetter. Ein Bad. Schmutzige Straßen. Charakter der Stadt und ihrer Bewohner. l'Audienzia. Die Alameda. Erinnerungen an den Cid. El Miguelete. Blick in die Huerta. Die arabische Bewässerung. Cort de la Seo. Die Kathedrale. Duenna und Escudero. Die Glorieta. Ein freundlicher Landsmann. Der Weihnachtsmarkt. Musik und Gesang. Eine todte Braut. Der Grao. Landhäuser in der Huerta. Ein unschuldiger Raub. Feier des Weihnachtsabends. Erinnerungen an die Heimath.

Auf dem Platze del Arzobispo in der Nähe der Kathedrale von Valencia liegt die Fonda del Cid, von außen ein ziemlich unscheinbares Haus, in welchem wir aber ein paar ordentliche Zimmer erhielten, freilich mit spanischem Meublement: Binsenmatte, Rohrsessel und Sopha; dazu schlecht geschlossene Balkonthüren und gänzlicher Mangel an jedem Feuerungsmittel. Man soll das freilich in einem südlichen Lande wie Spanien nicht verlangen, aber es gibt doch Augenblicke, namentlich am Abende, wo man sich selbst in Valencia nach einem Kamine oder Brassero sehnt. Es war ein paar Tage vor Weihnachten, hatte tüchtig geregnet, und nun spannte sich über die alte Stadt ein wolkenloser tiefblauer Himmel aus, keine Hitze herabsendend, wohl aber einen so eisigen Hauch spendend, daß in den Zimmern einigemale nach Sonnenuntergang eine tüchtige Bewegung in Paletot und Handschuhen nothwendig war, um sich zu erwärmen. Zu Hause hätten wir eine solche Temperatur unbedingt sehr kalt genannt, hier aber in Spanien, vor uns Palmbäume und Orangen, wäre es unverzeihlich gewesen, dergleichen auch nur zu denken.

Als wir in der Fonda del Cid angekommen waren, nach zweimal vierundzwanzigstündigem Fahren, ließen wir uns vom Lohnbedienten überreden, ein warmes Bad zu nehmen, welches man, wie das am Thor mit großen Buchstaben angekündigt war, im Hause selbst haben konnte. Jeden Reisenden will ich aber feierlich verwarnt haben, falls er je im Winter nach Spanien kommt, diesen Badgelüsten nachzugehen; die Bäder befinden sich tief unten im Hause, allerdings recht angenehm gewärmtes Wasser in marmornen Wannen, aber in einem eiskalten Gewölbe mit unverschlossenen Fensteröffnungen, so daß man sich nach dem Bade wahrhaft zähnklappernd in sein Leintuch wickeln mußte. Wir trugen auch Alle ein kleines Unwohlsein davon, welches übrigens unser Däne und Horschelt, der eine durch Morrisonsche Pillen der Andere durch heißen Punsch vertrieb.

Nach dem Bade kleideten wir uns an, um einen Streifzug durch Valencia zu thun. In der vortrefflichen Reisebeschreibung eines lieben Freundes las ich einstens mit großer Befriedigung, daß die schmalen Straßen, obgleich meistens ungepflastert, in dem besten Zustande seien, da sie weder durch den Regen, noch durch schweres Fuhrwerk viel zu leiden hätten; das mag allerdings für den Sommer passen, für warmes und trockenes Wetter; heute aber – es hatte, wie schon bemerkt, mehrere Tage geregnet – waren diese ungepflasterten Straßen zu Fuße nicht zu passiren, ohne bis über die Knöchel in den Koth zu gerathen, dazu sind die gepflasterten Trottoirs auf beiden Seiten kaum zwei Fuß breit, und da die Valencianer beiderlei Geschlechts außerordentlich zahlreich vor ihren Häusern zu sehen sind, so kamen wir zuweilen an Défilés, wo man lange Zeit warten mußte, bis Einer nach dem Andern über eine schmale trockene Stelle gelangt war.

Dabei ist die Stadt ein wahres Labyrinth, und man findet keine Straße, die auch nur wenige Fuß gerade ausliefe, sie bilden ewige Schlangenlinien, bald nach rechts, bald nach links, und da die Häuser mehr oder weniger einander gleichsehen, auch die meisten Straßen so enge sind, daß man nirgendwohin einen Überblick hat, um sich vielleicht nach einem benachbarten Thurm richten zu können, so ist es sehr schwer, Valencia ohne Führer zu durchwandern, wenn man nämlich den Zweck hat, irgend ein bestimmtes Gebäude zu erreichen. Beim Flaniren dagegen treibt man mit der Strömung, und wenn man auch an ein unbekanntes Gestade geworfen wird, gibt es doch Mittel den Heimweg zu finden.

Die Straßen Valencias haben einen ganz entgegengesetzten Charakter zu denen von Barcelona, dort breit gepflastert, mit hohen steinernen Häusern besetzt, alle Fenster mit Balkonen versehen, welche anzeigen, daß die Bewohner und mehr noch die Bewohnerinnen sich gerne auswärts umsehen oder sich von den draußen Wandelnden sehen lassen, hier dagegen enge Gassen aus unansehnlichen Häusern bestehend, die sehr häufig aus gestampftem Lehm gebaut sind, und mit dürftigen Fenstern versehen, sehr wenig versprechen. Vergessen wir aber nicht, daß wir uns dem Süden Spaniens genähert, und uns in einer Stadt befinden, die lange von den Mauren behauptet wurde und diesen Eroberern viel von ihren Einrichtungen verdankt, die eben durch dieses unscheinbare Äußere der Häuser sich als vollkommen orientalisch darstellt. Hier, wie in den großen Städten des Orients, z. B. Damaskus, hat man auf breite Straßen verzichtet, um dafür größeren Raum für das häusliche Leben zu erhalten, darauf hält der Südländer viel, und wenn wir bei diesem oder jenem unscheinbaren Thore stehen bleiben und in das Innere blicken, so bemerken wir einen geräumigen Hof mit murmelndem Wasser, üppigem Pflanzenwuchse, mit Lauben, zierlichen Bogengängen und kleinen, reizenden Gärten.

Auch in dem Straßenleben treten uns die Anklänge an die Maurenzeit wohl nirgends so deutlich entgegen als hier. Die Landleute der Huerta könnten mit einer kleinen Zuthat so vollkommen orientalisch gemacht werden, daß sie ohne Aufsehen zu erregen in jeder Stadt Syriens umherwandeln könnten. Das charakteristische Stück der Valencianischen Tracht sind die sogenannten Zaraguelles, sehr weite Beinkleider von weißer Leinwand, die in vielen Falten bis an die Kniee reichen und fast aussehen als trügen die Leute gar keine Beinkleider, sondern nur ein Hemd. Die Waden bis über die Knöchel und unter die Kniee sind mit einer Art blauer Strümpfe bedeckt, die Kniee nackt, an den Füßen Sandalen. Um den Leib einen blauen oder rothen Gurt (Faja). Dazu eine kurze blaue oder grüne Jacke mit Schnüren. Eine weiße oder bunte Weste mit Troddelknöpfen; bloße Brust und Hals – um den Kopf turbanartig ein buntes Tuch – oft zugleich ein Hut mit breitem Rand und hohem Kegel. Dazu kommt bei den Reichen eine braune oder blaue Capa, bei den Ärmeren eine weiße mit bunten Streifen und Rändern durchwirkte wollene Decke, nach Bedürfniß, aber immer malerisch umgeschlagen oder auf der linken Schulter hängend. Namentlich dieser letztere Theil des Anzuges, der mit dem Burnus so außerordentlich viel Ähnlichkeit hat, gibt dem Ganzen einen orientalischen Anstrich; selbst die Schirrung der Pferde und Maulthiere, unter denen man ausgezeichnet schöne Thiere sieht, erinnern mit ihrem vielen rothen Quastenwerk, mit ihren Messingzierrathen, von langen farbigen Troddeln, eigen geformten Sätteln und Steigbügeln an die Wüsten Arabiens und ihre Bewohner. Die Tartana, die in Valencia für Vornehm und Gering das einzige Beförderungsmittel bildet, welche wie die Droschken bei uns in der Stadt selbst benützt werden, und ebenso zu Ausflügen auf das Land, könnte man vielleicht von dem türkischen Arrabat ableiten, dem fast ähnlichen Fuhrwerke, wie es heute noch in Konstantinopel gebräuchlich ist. Dort sind diese Wagen freilich mit Ochsen bespannt und sind oft reich geschnitzt und mit Vergoldungen überladen und werden meistens von einem Neger, der zu Fuß geht, begleitet, während die spanische Tartane den Anforderungen unserer Zeit gemäß von außen glänzend, aber einfach lakirt ist, oben mit Wachstuch oder Leder überzogen, im Innern eine Einrichtung hat wie ein deutscher Omnibus und von einem Kutscher regiert wird, der auf einem kleinen Polster gewöhnlich auf dem rechten Gabelbaume sitzt. Man begegnet diesen Tartanen hier auf Schritt und Tritt, und bei den engen Straßen geniren sie die Fußgänger gewaltig. Wie eben bemerkt, macht man in ihnen seine Besuche, fährt ins Theater oder sieht sie in langen Reihen bei den nachmittäglichen Spazierfahrten auf der Alameda.

Es ist eigenthümlich, daß Valencia von zwei ganz verschiedenen Menschenracen bewohnt zu sein scheint. Die eine, welche namentlich in der untern Volksklasse und den Bewohnern der Huerta stark vertreten ist, hat schwarzes Haar, enggeschlitzte blitzende Augen, dunkle Gesichtsfarbe, und zeigt in ihrer Physiognomie etwas Trotziges, ja Wildes; die andere – namentlich die Handwerker und Kaufleute – haben einen weichen, fast schlaffen Gesichtsausdruck, weiße Haut und blonde Haare.

Das Gewühl auf den Straßen, namentlich auf dem großen Marktplatze von Valencia wird belebt und malerisch durch die fast orientalische Tracht der Landleute aus der nächsten Umgebung von Valencia, und durch die ganz verschiedene, ächt spanische mit runder Jacke und spitzem Hut der Maulthiertreiber, die von weiter her kommen, oder der Bauern, die von den Gebirgen bei Cuenca niedersteigen. Was die weibliche Bevölkerung von Valencia anbelangt, so findet man wenig schöne Gesichter; auch die Figuren der hiesigen Damen zeigen noch nicht jene Grazie und Leichtigkeit, welche man den Andalusierinnen nachrühmt. Die schwarze Mantille ist fast wie die in Barcelona, nur hängt der Schleier hinten vom Haarkamm herab und zeigt Taille und Kopf fast unverhüllt. Letzterer ist hier in Spanien interessant der häufigen blonden Haare wegen und des blendend weißen Teints, den man sonst in keiner spanischen Stadt sieht.

Über die Eigenschaften der Bewohner von Valencia hört man von ihren übrigen Landsleuten nicht viel Gutes reden, die Männer werden als hinterlistig, feig und blutdürstig bezeichnet, und was die letztere Eigenschaft anbelangt, so thut man ihnen darin nicht Unrecht, wenn es wahr ist, daß in den Straßen von Valencia jährlich an fünfzig Meuchelmorde verübt werden. Natürlich schieben die Stadtbewohner die Schuld davon auf ihre Landsleute aus der Huerta, die sie als ein wildes und trotziges Volk schildern, vor dem man sich in jeder Hinsicht in Acht nehmen müsse. Daß eine vielhundertjährige Feindschaft zwischen Stadt und Land besteht, ist nicht zu läugnen, und das Mißtrauen der ersteren geht so weit, daß man, so oft in Valencia Feuer ausbrach, eilig sämmtliche Stadtthore schloß, um die Bauern abzuhalten, von denen man vielleicht nicht mit Unrecht befürchtete, daß sie die entstandene Verwirrung zum Morden und zu allgemeiner Plünderei benutzen könnten.

Valencia ist arm an ausgezeichneten Bauwerken; nur hie und da bemerkt man ein prachtvolles Gebäude, in Stein aufgeführt, einen Palast, aus früherer Zeit herstammend, der sich, alt und schwarz geworden, zwischen den neueren Gebäuden zu verkriechen scheint. Blickt man in den öden Hof, so entdeckt man prachtvolle, breite Steintreppen, auf denen unsere Schritte unheimlich wiederhallen, und oben angekommen, eröffnen sich vor unserm Blicke weite stille Corridore und Zimmer mit reich geschnitzter Holzarbeit. Der prächtigste Palast dieser Art ist die Casa consistorial oder l'Audienzia, wo sich die Portraits der Könige von Spanien befinden, so wie im Saale der Cortes bemerkenswerthe Fresken von Zarinena, die von den herrlichsten Holzarbeiten an Wänden und Plafond eingerahmt sind. Im untern Stockwerke ist das Sekretariat des Gouvernements, wo sich eine ausgezeichnete Holzdecke befindet, in dunklem Eichenholz geschnitzt und reich vergoldet. Die Plateforme hoch oben auf diesem Palast mit einer schönen Balustrade umgeben, gewährt einen reizenden Überblick über die Stadt.

Der große Marktplatz, auf dem den ganzen Tag ein reges Leben herrscht, und wo sich Käufer und Verkäufer um kolossale Haufen von Gemüse und Früchte aller Art drängen (unter Anderem sah ich hier wahrhaft riesenhafte Zwiebel), ist mit alten nicht uninteressanten Gebäuden umgeben, unter denen sich die Lonja oder Seidenhalle besonders auszeichnet; der ganze untere Raum des Gebäudes ist hohl, mit Kreuzgewölben überdeckt, die von sehr schlanken spiralförmig gewundenen Säulen getragen werden. Die Sorgfalt, mit der im Innern und Äußern die Gliederungen aller Thür- und Fensteröffnungen behandelt sind, machen diesen Bau zu einem der interessantesten der spätgothischen Zeit. Der kleine Hof von beiden im rechten Winkel zusammenstoßenden Flügeln des Hauses gebildet, liegt nach rückwärts an zwei seiner Seiten frei als erhabene Terrasse mit fließendem Wasser und Orangenbüschen und erhöht den eigenthümlich Reiz dieses seltsamen Bauwerks.

Da uns der klare Himmel gleich den ersten Tag unserer Ankunft einen herrlichen Abend versprach, so beschlossen wir einen Spaziergang nach der berühmten Alameda hinaus. Wir verließen die Stadt durch das Thor el Sarranos, das mit seinen ungeheuern Mauern und gut erhaltenen Zinnen so trotzig dasteht, als sei es gestern beendigt worden; leider ist es aber auch nicht so alt, als wir es wohl wünschten, denn unsere Phantasie hätte gern seine Plattform mit den Gestalten des Campeador und seiner Familie belebt, die er ja auch auf einen der Thürme Valencias führte, als er ihnen das draußen lagernde zahllose Maurenheer zeigte.

Allda sahen sie zum weiten
Meer hinaus die Mauren kommen,
Sah'n mit großer Eil' und Sorgfalt
Sie aufschlagen ihre Zelte
Unter Kriegsgeschrei und Trommeln,
Kriegsgeschrei und Paukenhall.
Großer Schrecken faßt die Mutter
Wie die Töchter: denn sie hatten
Solche Heere nie zu Felde,
Nie auf Einem Platz gesehn.
»Fürchtet nichts, ihr Lieben Alle,«
Sprach der Cid, »so lang ich lebe
Nah' euch keine Sorg' und Angst.«

Vom unsterblichen Cid, der Valencia so lange und kühn vertheidigte, und nach seinem Tode noch durch seinen bloßen Anblick die Mauren in die Flucht schlug, ist aber leider nicht viel mehr hier vorhanden; nur sein Schwert zeigt man noch, ob ächt, ob falsch ist die Frage, sowie einen Thurm, la puerta del Cid, durch welchen der Campeador seinen Einzug in die Stadt hielt. Valencia war aber damals kleiner, und so steht dieser Thurm jetzt ziemlich weit entfernt von den heutigen Mauern, am Hause der Tempelherren; die Araber haben ihn erbaut und nannten ihn Alebufat. Von seinen Zinnen glänzte zuerst das christliche Kreuz von Valencia.

Übrigens gibt es wohl keine Stadt, deren mittelalterliche Mauern und Thürme ringsum so vollkommen wohl erhalten sind, wie die von Valencia. Sie wurden von Peter dem Vierten ums Jahr 1350 erbaut und weisen mit ihren Eckthürmen, ihren aus- und einspringenden Winkeln, Wallgängen und Zinnen so vollkommen in eine andere Zeit zurück, daß wir uns gar nicht wundern dürften, wenn uns dort an der Ecke ein Retterzug begegnen würde, von Kopf bis zu Fuß geharnischt, mit flatternden Fahnen, wehenden Mänteln und Helmbüschen. Aber es ist sehr still vor den Mauern von Valencia, und erst wenn wir uns dem Guadalaviar, heutzutage gewöhnlich Turia genannt, nähern, an dessen Ufern die Alameda liegt, lenken wir wieder in den Menschenstrom ein, der aus den Thoren dorthin oder nach der Huerta hinausdringt.

Die Alameda von Valencia ist eine der schönsten Spaniens, und namentlich durch ihre Umgebung für uns, die wir eine solche nicht gewöhnt sind, sehr interessant. Zwischen mehrfachen Baumreihen hat sie zwei breite Fahrstraßen und viele mit großer Sorge unterhaltene Fußwege. Auf der einen Seite haben wir den Fluß, der freilich sehr stattliche Uferbauten hat, aber so wenig Wasser, daß man den größten Theil des Jahres kaum ein paar Hemden darin waschen kann; auf der andern Seite zieht sich eine Reihe schöner Gärten mit reizenden Landhäusern hin und fesseln unsere Aufmerksamkeit durch massenhafte Orangen- und Citronenbäume und Büsche, deren tiefdunkles Laub von anderen für uns ebenfalls seltenen Pflanzen schattirt wird und die überragt sind von hohen schlanken Palmen. Senden wir die Blicke rechts über den Fluß hinüber, so zeichnet sich scharf auf dem tiefblauen Abendhimmel die charaktervolle Silhouette von Valencia vor uns ab. Dabei konnte ich mich einer Idee nicht erwehren, die mir schon oft auf Reisen gekommen. Wie oft war es mir beim Betrachten einer seltsamen Bergform, einer malerischen Landschaft, einer eigenthümlichen Stadt, als habe ich das schon einmal gesehen, wenn ich auch vorher nie auf dem Punkte gewesen, ja wie hier bei Valencia nie eine Abbildung davon gesehen. Ich erinnerte mich deutlich des einzelnen Weges, auf dem ich schon gegangen, eines Hauses, zu dessen Fenster ich schon hinausgeschaut, was mir immer unerklärlich war, und aufs neue unbegreiflich hier beim Anblick von Valencia. Am andern Morgen war unser erster Gang zur Kathedrale, die nur durch den erzbischöflichen Platz von unserm Gasthofe getrennt lag. Die vielen zahlreichen Bettler, die uns hier hartnäckig verfolgten, sind eine Erbschaft, welche die aufgehobenen Klöster der Stadt hinterlassen haben; namentlich in der Nähe der Kirchen, vor allem aber hier bei der Kathedrale, muß man ein wahres Défilé von ausgestreckten Händen passiren, bis man zur Thüre gelangt. Wie jeder Bettler seinen bestimmten Platz hat, der von den andern respektirt wird, so hat er auch seine gewissen Geber oder seine Kundschaft, die ihn vor allen andern berücksichtigen. Sogar bei uns fremden Reisenden trat nach wenigen Tagen der gleiche Fall ein, und ich ging nie bei einer gewissen alten Frau vorüber, die neben einem Pfeiler gekauert da saß, ohne ihr etwas zu geben. Sie hatte zwei kleine Kinder bei sich, aus deren schönen Gesichtern mich so frische, treuherzige Augen anlachten, daß ich nie vorbei konnte, ohne stehen zu bleiben.

Die Kathedrale, ein Conglomerat von An- und Umbauten um den alten Kern, im lateinischen Kreuz gebaut, über dessen Durchdringung sich eine großartige achteckige Kuppel erhebt, hat drei Haupteingänge, wovon der westliche, neben dem Hauptthurm »Miguelete« angebrachte, weit gegen den Kunstwerth der beiden andern altgothischen in den Kreuzgiebeln befindlichen zurücksteht, obwohl sie von schwerfälligen Formen sind, er ist ein entsetzlicher Wust von verdrehten Säulen, ausgerenkten Gesimsen und Zierrathen; eine der üppigsten Blüthen der Zopfzeit.

Das noch von der Kirche aus der guten gothischen Zeit übrig gebliebene ragt im Äußern, ich möchte sagen siegreich hervor über das aus allen Zeiten herrührende Angefügte, doch ist diese Mischung verschiedener Style nicht uninteressant, und eines der allerreichsten Bilder gewährt die Kirche von der Plaza mayor gesehen, wo die beiden Thürme, das nördliche Portal, der zierliche Arkadenumbau der Abside aus der Zeit der guten Renaissance im Anschluß an die hoch über die Straße weg gesprengte Brücke, die nach der Kapelle de los desemparados hinüberführt, eine nach Maßen, Silhouette und Verkürzung der Linien so herrliche reiche Gruppe geben, daß man einen Decor der großen Oper von Paris zu sehen glaubt.

Das Äußere der Kuppel des Kreuzes hoch emporgehoben von einem achteckigen von herrlichen gothischen Fenstern durchbrochenen Untertheil hat ganz die ähnliche Anordnung wie der Obertheil des Miguelete, der die große und renommirte Glocke, die Vela, trägt, über der obersten Terrasse des Thurmes aber erhebt sich noch einmal eine massive, isolirte, mit Bogenöffnungen versehene Wand zu noch weiteren Glocken, und zeichnet sich der Umriß dieses Thurms sehr malerisch auf der Luft ab.

Ihn erstieg der Cid nach der Einnahme von Valencia, um sich in seinem neuen Besitzthum umzuschauen, und Don Rodrigo hatte Recht, denn man hat von hier oben einen entzückenden Anblick auf die Stadt und die Huerta. Diese liegt rings um uns her, von einem Halbkreise niedriger, aber felsiger Gebirge eingeschlossen, dessen eines Ende nördlich von Valencia von den Thürmen des Castells von Murviedro, den Ruinen des alten Sagunts, gekrönt, das andere unter dem Namen der Sierra de Santa Ana südlich von Valencia ans Meer stößt, so daß die Küste als Sehne dieses Halbkreises erscheint, in deren Mitte die Stadt Valencia liegt, etwa sechs Leguas von jedem Ende entfernt. Dieser Raum ist fast ganz flach, und nur im äußersten Hintergrunde nach Westen senkt sich das Gebirge, dem Laufe des Jucar und des Guadalaviar folgend, allmälig in die Ebene herab, welche jener an ihrem südlichsten Rande bespült, während dieser sie ungefähr in der Mitte quer durchströmt.

Als Hauptmittelpunkt des Anbaues dieses Halbkreises erscheint nun Valencia selbst mit seinen mittelalterlichen Mauern und Thoren und zahlreichen Kirchen, Klöstern und Hospitälern; um die Stadt her liegen in mehreren Halbkreisen und in verschiedener Entfernung eine Anzahl stattlicher Dörfer mit hohen Kirchthürmen wie Quarta, Manises, Ruzafa, Chirirella, Torrenta, Benituser, Benache &c.; dann weiterhin am nördlichen Rande des Halbkreises Puzol, im südlichen Alcira und im westlichen Hintergrunde die alte Stadt Liria. Jedes dieser Dörfer aber bildet gleichsam nur den dichteren Kern einer Unzahl von kleineren Hütten, die reinlich und schneeweiß aus den kleinen, saftiggrünen, mit blaßgrünen stachligen Aloen eingefaßten Gärten hervorschimmern. Hie und da erhebt sich ein einzeln liegendes größeres Landhaus oder ein Kloster über diese Hütten oder ein Büschel Palmen, eine Reihe hoher, dunkler Cypressen über das gleichförmige, gleichhohe Grün der Ebene.

Aus dem Gesagten geht schon hervor, daß dieß Alles kein eigentlich malerisches Ganzes bilden kann, und das um so weniger, da es dem Bild ganz an Wasser fehlt. Das Meer nimmt zwar die ganze östliche Hälfte des Gesichtskreises ein, aber es ist durch den geraden Strich einer sandigen Küste begränzt und trägt nicht zur Belebung der andern Hälfte bei; dieser aber, obgleich ein bedeutender Fluß sie durchströmt, fehlt es – einige Wochen im Winter ausgenommen – fast ganz an Wasser zu allen landschaftlichen Behufen, eben weil dasselbe ausschließlich andern Zwecken zugewendet wird. Die ganze unglaubliche Fruchtbarkeit der Ebene von Valencia, die ihr mit so vielem Rechte den Namen Huerta (Garten) erworben hat, hängt nämlich von dem künstlichen Bewässerungssysteme ab, wodurch das Wasser des Guadalaviar in einem Netze von Kanälen (acequias) und kleinen Gräben über die ganze Ebene verbreitet und bis zu jedem einzelnen Beete der unzähligen Gärten geleitet wird, von denen jeder, betrüge er auch kaum anderthalb Morgen, zu dem Unterhalte einer Familie hinreicht. Diese arabischen Wasserleitungen, welche das Wasser zuführen, sind gemauerte Kanäle, laufen oft zwei- oder dreifach über einander und sind in ihrem Fall und ihrer Aufstauung so richtig berechnet, daß tausend Jahre in dem Gebrauch keine Änderung erzeugten.

Solcher Aderlässe – im Spanischen bedient man sich des Ausdrucks sangrar und sangria in dieser Bedeutung – muß der Guadalaviar auf seinem ganzen Laufe von etwa fünfundzwanzig Leguas nicht weniger als dreißig erleiden, von denen jedoch nur die acht letzten und bedeutendsten der Huerta von Valencia zu Gute kommen. – Kein Wunder also, daß der arme Strom in der heißen Jahreszeit kaum Kräfte genug behält, um einige Tropfen Wasser bis zu seiner Mündung zu tragen. Jene acht Kanäle sind ursprünglich größtentheils das Werk der Araber, allein ihren Nachfolgern, den arragonischen Eroberern, gebührt jedenfalls die Ehre, diese Werke und die zu deren möglichst gemeinsamen und sicheren Benützung erforderlichen gesetzlichen Einrichtungen und Verwaltungsart in ihrer ursprünglichen zweckmäßigen Einfachheit so viele Jahrhunderte hindurch unversehrt erhalten zu haben – ein Verdienst, das überall, besonders aber in Spanien, wo fast alle Einrichtungen von vorne herein dem Verfall geweiht zu sein scheinen, zu selten ist, als daß eine so erfreuliche Ausnahme nicht hervorgehoben werden müßte.

Durch einen Gnadenbrief des Eroberers von Valencia, König Jayme I. von Arragon von 1339 überließ er seinen Kampfgenossen und den übrigen Ansiedlern aus Arragon als Belohnung ihrer treuen Dienste die Bewässerungsgräben der Huerta als freies Eigenthum: »daß sie das besagte Wasser gebrauchen sollten in der Art wie es von Alters her festgesetzt und gebräuchlich war zur Zeit der Sarazenen.« Seit der Zeit ist die Verwaltung und Beaufsichtigung der Kanäle, die Vertheilung des Wassers, die Entscheidung aller dabei vorkommenden Streitigkeiten ausschließlich in den Händen der dabei betheiligten Landleute, ohne die geringste Einmischung einer höheren oder Centralbehörde; und vor dem aus Landleuten bestehenden Gerichtshofe, der Cort de la Seo, verschwindet jedes Privilegium, dessen einer der Grundbesitzer in andern Verhältnissen genießen mag, wäre er auch Grande von Spanien.

Die Cort de la Seo, das Wasserschiedsgericht, hielt in frühern Zeiten jeden Donnerstag, und zwar an der Hauptthüre der Kathedrale ihre Sitzungen. Dieser Ort der Zusammenkunft schrieb sich noch aus der Maurenzeit her, wo die maurischen Eroberer von Valencia sich hier einfanden, um alle vorkommenden Streitigkeiten zu schlichten. Dort trafen sich Kläger, Beklagte und Zeugen, und die, welche zuerst kamen, breiteten ihre bunten, wollenen Decken, die ihnen heute noch als Mantel, Stuhl, Bett und zum Staate dienen, im Schatten des tiefen Portals der Kirche aus, die Dinge erwartend, die kommen würden. Die, welche später aus der Huerta oder vom Markt zu Fuß, auf Maulthieren oder Eseln anlangten, wobei nicht selten zwei und drei auf einem Thier anritten, mußten sich schon bequemen, auf der sonnbeglänzten Plaza Major gegenüber der Kirchthüre zu warten, denn die Hauptsache war, diese nicht aus den Augen zu verlieren. Die Meisten dieser wartenden Menge sind bewaffnet, und wenn man sie in ihrer eigenthümlichen Kleidung, mit den bunten, turbanartigen Kopftüchern da kauern sieht oder auf dem Pferde hängen, über den Hals ihrer Thiere gebeugt, den bunten Mantel wie einen Burnus um die Schultern, so wird man, wie nirgends, an den Orient erinnert.

Mit dem Schlage zehn Uhr tritt in der zahlreichen und bis dahin durch nicht selten in Streit und Schelten ausartendes Gespräch vielfach bewegten und lauten Versammlung eine tiefe Stille ein; die kleinere Pforte in dem großen Thor der Kathedrale öffnet sich und die Richter, vier alte Landleute, ehrwürdig anzuschauen, mit langem, schneeweißem Haar, treten heraus, hinter ihnen in städtischer Kleidung ein Escribano, eine Rolle Papier in der Hand. Auf ihre Stäbe gelehnt, murmeln sie ein kurzes Gebet, machen dann das Zeichen des Kreuzes, wobei die ganze versammelte Menge ihrem Beispiel folgt, und lassen sich auf einer eigens dazu bestimmten steinernen Bank nieder. Der Escribano setzt sich seitwärts auf einen niedrigen Stein, breitet seine Papiere auf seinen Knien aus, setzt ein kleines Dintenfaß neben sich und sieht nach seiner Feder. Einige Geistliche oder andere ältere und angesehenere Leute, welche die Richter in ihrer Nähe unter dem versammelten Landvolk bemerken, treten halb auf ihre Einladung, halb nach Gewohnheitsrecht hervor und nehmen, jedoch in ziemender Entfernung, ebenfalls unter dem Portal auf der steinernen Bank Platz, ein Paar Kanalaufseher (Celadores) treten heran, um als Gerichtsdiener der Befehle des Gerichts gewärtig zu sein, und auf einen Wink des ältesten Richters ruft der erste Celador mit lauter Stimme: »Die Cort de la Seo dieses Tages ist eröffnet, in Gottes Namen, Amen!« und die Verhandlungen beginnen.

Die streitenden Parteien, oder solche, gegen die von Seiten der Celadores Klage erhoben wird, sowie auch die Zeugen werden aufgerufen, treten unter das Portal vor, um auf die Fragen der Richter zu antworten oder ihre Rechtfertigung vorzubringen, dann erfolgt nach kurzer, leiser Berathung der vier Richter das Urtheil, selten auf geschriebene Verordnungen, meistens auf Herkommen oder Billigkeit gegründet; der Escribano hat, sehr gegen seine Neigung und den Gebrauch oder Mißbrauch, der bei anderen Gerichten herrscht, nichts bei der ganzen Sache zu thun, als das Urtheil aufzuschreiben und zu beglaubigen. Kosten sind bei dem ganzen Verfahren keine, denn auch für den Escribano selbst ist dieß Geschäft eine Ehrensache, die ihm freilich eben dadurch wieder anderweitigen Vortheil bringt, als Veranlassung oder als Beweis des Vertrauens der Landleute.

Ist das Urtheil gefällt, welches entweder bei Beeinträchtigungen des Nachbars diese aufhebt, sonst aber eine Geldstrafe auferlegt, so wird ein Termin gesetzt, bis wann dem Urtheilspruch Genüge geschehen muß, und bis dahin ist der Celador angewiesen, keinen Tropfen Wasser auf die Felder des Verurtheilten laufen zu lassen. Dieser kräftige Zwang veranlaßt Jeden, dem schiedsrichterlichen Spruch so bald als möglich nachzukommen.

Nachdem wir uns droben auf dem Thurme lange in der herrlichen Gegend umgeschaut, auch mit etwas besorgter Miene die mit Schnee bedeckten Berge betrachtet, die in der Gegend von Cuenca liegen, und über welche uns der Weg nach Madrid führt, stiegen wir wieder herab und traten in die Kirche, die heute, einem Sonntage, mit Andächtigen angefüllt war.

Das Innere der Kathedrale mit drei Hauptschiffen, wovon das mittlere ganz durch die Silleria del coro eingenommen ist, hat von ihren alten Einzelheiten mit Ausnahme des wunderschönen Kuppelaufsatzes, dessen zahlreiche gothische Fenster eine reiche farbige Lichtmenge auf den Hochaltar herabsenden, Nichts mehr erhalten, Alles hat einem Umbau aus der Zeit der Renaissance weichen müssen, der, obwohl von geschickter Hand geleitet, doch durch die etwas gedrückten Verhältnisse den alten gothischen Bau zurückwünschen läßt; aber reich an guten Gemälden, prachtvoll in den Marmorn der Pfeiler, Altäre, Mosaiken der Böden, Metallgeländern, Bronzen und Vergoldungen macht das Innere nichtsdestoweniger einen imposanten Eindruck, den eine Masse außen herumliegender Kapellen und auch solcher, die zum Theil in der Mauerdicke zwischen Mittel- und Seitenschiff im Rücken der Chorstühle angebracht sind, kräftig unterstützt. Der neue Kapitelsaal ist sehr unbedeutend und von nüchterner moderner Architektur, dafür aber der alte ein wahres Kleinod; ganz unversehrt erhalten, herrlich schlank und wunderschön gewölbt ist er mir das Liebste an der ganzen Kathedrale, der Altar nimmt mit seinem Retabel eine der Wände ein, die nicht übertüncht die bloße Steinfarbe zeigen, gleich wie die Steingewölbe; die vielen Heiligenfiguren des Altars auf Goldgrund unter ihren überreichen Baldachinen, die schöne Farbe der alten Holzschnitzereien, die Musterhaftigkeit der Steinsculpturen sind von unvergleichlich wohlthuender Wechselwirkung, und das gebrochene Licht in diesem hehren Raum erhöhet den heiligen Schauer, mit dem man jedesmal aufs Neue denselben betritt. An den Wänden befinden sich mitunter sehr schöne Brustbilder der Erzbischöfe von Valencia. Zwei ungeheure Ketten, die ebenfalls hier aufgehängt sind, erregten unsere, Aufmerksamkeit, und ein freundlicher Geistlicher, den wir darum fragten, gab uns zur Antwort, sie seien eine Trophäe von dem Hafen von Marseille.

Das Innere einer spanischen Kirche zur Zeit des Gottesdienstes ist eines der lebendigsten Bilder, die man sehen kann. Durch die bunten Glasscheiben dringt spärliches Licht herein und verdunkelt zu gleicher Zeit mit dem Qualme des Weihrauchs den ohnehin schattenreichen Raum zwischen den dicken Mauern und Pfeilern. Die Kerzen am Altar brennen dunkelroth und werfen blitzende Streiflichter auf die reichgestickten Gewänder der fungirenden Geistlichkeit. Im Kirchenschiffe steht die Menge dicht gedrängt; die Männer, in ihrer mannigfaltigen bunten Tracht, so auffallend zwischen den Weibern, die in dunkler Basquina und meistens schwarzer Mantille erscheinen; unter letzterer hervor glänzen nun freilich wieder die blendend weißen Gesichter mit den blitzenden Augen; und die zahllosen vergoldeten Fächer, die man überall sieht und die in immerwährender Bewegung sind, erfüllen den dunkeln Raum mit einem wahren Sprühregen von Lichtgefunkel. Über die Menschenmenge hin brausen die Töne der gewaltigen Orgel, und wenn nun das Glöcklein ertönt und Alles andächtig auf die Kniee sinkt, so hören wir einen herrlichen Choral, wahrhaft ergreifend von vielen Baßstimmen vorgetragen.

Nach der Messe bildet sich hier in Valencia die ganze Gemeinde zu einer Prozession, die dem Sanctuarium folgend in allen Räumen der Kirche umherwandelt. Die nicht fungirende Geistlichkeit, die ebenfalls mitzieht, trägt hier eigenthümlicher Weise schwarzseidene Mäntel mit Roth ausgeschlagen.

Zwei Wesen, von denen wir oft gelesen und gehört, die aber ihrem ursprünglichen Charakter gemäß wohl fast ganz verschwunden sind, sieht man hier beim Ausgang aus der Kirche noch in leisen Nachklängen: die weltbekannte und berüchtigte Duenna und den Escudero. Sobald die letzten Orgeltöne verklungen sind, entströmt Alles der Kirche und die Männer treten vor derselben zusammen in einzelnen kleinen Gruppen (Corillos), die für das tägliche Leben in Spanien von großer Wichtigkeit sind. Sie ersetzen gewissermaßen die Tagesblätter anderer Länder als Quellen einer allgemeinen Bildung und öffentlichen Meinung. Der weibliche Theil der Familien aber geht ruhig nach Hause; die Mutter, neben ihr zuweilen der Hausvater, meistens aber ein geistlicher Herr aus der nähern Bekanntschaft und vor ihr in absteigender Linie die Töchter, von der aufgeblühten Jungfrau bis zum kleinsten Schwesterchen, das nicht nur in der Kleidung, der dunkeln Basquina, der Mantille und den bunten Schühchen, als fast komisches Ebenbild der Erwachsenen erscheint, sondern auch in der Art, wie sie ihr Gebetbüchlein trägt, den Fächer handhabt und zierlich einherschreitet, in bald feierlicher, bald schalkhafter Miene, je nachdem sie die Augen niederschlägt, oder gelegentlich seitwärts aufblitzen läßt. Hinter der Familie nun, in angemessener Entfernung kommt eines der beiden Wesen, von denen ich oben sprach, bei Wohlhabenden die Duenna oder der Escudero, bei der ärmeren Bürgersfrau oder der Handwerkerin die Hausmagd oder auch nur der Lehrbursche, welch letzterem es aber nun sehr schwer wird, selbst bei Androhung der härtesten Strafen, ehrbar und anständig hintendrein zu gehen.

Während der Sommerszeit haben die Spaziergänge des schönen Geschlechts mit dem Besuch der Kirche für die heißen Tagesstunden ihr Ende erreicht. Straßen und Plätze sind alsdann wie ausgestorben und erst nach der Siesta zwischen fünf und sechs Uhr Abends fangen die Straßen wieder an, sich zu bevölkern. Dann ist auch große Fahrt auf der Alameda, bei welcher sich die Schönen der Stadt auf recht türkisch, für die äußere Welt unsichtbar, in ihren Tartanen einfinden, und wo nun zwei Reihen dieser verschlossenen, langweiligen Fuhrwerke sich im langsamen Schritt den Corso auf und ab bewegen. Es muß das für die Insitzenden ein eigenthümliches Vergnügen sein, unsere Damen würden keinen Reiz darin finden, in den unbehülflichen Karren gestoßen zu werden und Nichts zu sehen, als den Rücken des eigenen Kutschers und Pferdes oder den Kopf des nachfolgenden. Hat man sich auf diese Art auf der Alameda genug gelangweilt, so kehren die Tartanen, Fußgänger und Reiter nach der Stadt zurück; vor dem Thore steigen die Damen aus und begeben sich nach der Glorieta, einem kleinen reizenden Garten im Innern der Mauern, um hier zu bleiben, bis die späte Mitternachtsstunde oder der Anfang des Theaters die Umherwandelnden von dannen lockt.

Während der Winterszeit ist das begreiflicherweise ganz anders und dann verschmäht die Spanierin ebenfalls nicht den warmen Sonnenschein. Da belebt sich die Glorieta gewöhnlich schon nach dem Nachmittagsgottesdienste. So auch heute, wo wir dem Strom der Kirchgänger folgten, mit dem wir denn auch glücklich auf der Glorieta landeten. Es ist dieß ein runder Platz von Häusern umgeben; ich möchte ihn mit einem der großen englischen Square vergleichen, nur daß wir hier an der prachtvollen Vegetation sehen, wie weit wir schon im Süden vorgerückt sind. Es ist dieß eine kleine Parkanlage, deren geschlungene Wege uns jetzt zu dichten Lorbeerlauben, dann zu süß duftenden Orangenbüschen und später dagegen zu einer der einsam stehenden Marmorstatuen führt. Das Ganze ist von Platanen und Akazien überschattet und mit Kunst und Geschmack angelegt; einzelne Parthien machen einen überraschenden Eindruck, wie eine vortrefflich zusammengestellte Theaterdecoration – ich hoffe, durch diesen Ausdruck nicht mißverstanden zu werden, denn wenn auch die Natur von der Malerei nicht erreicht werden kann, so sieht man dagegen oftmals in der letzteren Zusammenstellungen, die man in der ersteren schwer findet. Es war auf der Glorieta ein Platz, den auch unser vortrefflicher Maler und Reisebegleiter Horschelt zeichnete. Links im Vordergrunde ein Paar arrangirte Bogen von Lorbeer, die sich über einer Fontaine wölbten, rechts schoben sich die Orangenbüsche auseinander und ließen eine einsame Marmorfigur sehen, die unter einem Dome von hochgewölbten Platanenzweigen stand; über Lorbeeren und Platanen hinaus blickte das gelbe trotzig dastehende Stadtthor, in dessen unmittelbarer Nähe jene Glorieta liegt, und neben diesem sah man durch grüne Zweige die den Garten umstehenden blendend weißen Häuser durchschimmern, deren Terrassenkrönung sich dann wieder so prächtig schön, ordentlich glänzend von dem tiefblauen Abendhimmel abhob.

Bei unserem heutigen Diner in der Fonda del Cid fanden wir einen Fremden, den wir schon in Barcelona bemerkt; ein deutscher Herr, der uns dort sehr schweigsam gegenübersaß und mit dem wir nur wenige Worte wechselten. Er war mit dem längst erwarteten Barcino nach Valencia gekommen und wollte wie wir nach Madrid. Doch hatte die große Straße dahin über Cuenca durch den vielen Schnee, der ausnahmsweise in diesem Jahr gefallen war, so sehr gelitten, daß die Posten nie regelmäßig ankamen. Selbst der Courier war am Tage unserer Ankunft um zwölf Stunden zurück, und, wie es hieß, mehreremale in den Schneemassen stecken geblieben. Auch hörten wir von einer Diligence, die seit einigen Tagen fehle, und daran knüpften sich Betrachtungen über Gott weiß welche Unglücksfälle, Räubereien u. dgl. Der deutsche Reisende, von dem ich vorhin sprach, ein Herr Heeren aus Hamburg, hatte den Weg von Madrid hieher schon öfters gemacht und schien genau die Schwierigkeiten einer Fahrt zur Winterszeit zu kennen. Wenn man gar nicht durchkommen kann, meinte er, und das kann schon auf eine Zeit von vier Wochen vorkommen, so ist es für den, der nach Madrid muß und Andalusien sehen will, das Beste, den allerdings großen Umweg über Granada zu machen; man hat ja bis Malaga den Dampfer und von Granada nach Madrid sind Straßen und Fahrgelegenheiten sicherer und auch besser eingerichtet.

Dieser Rath schien uns nicht so übel, doch hatte die Ausführung für uns die große Schwierigkeit, daß unsere Reisekasse nicht darauf eingerichtet war – wir hatten nämlich die Absicht gehabt, nur ein paar Tage in Valencia zu bleiben, um dann mit der ersten Diligence, auf der wir gute Plätze erhielten, nach der Hauptstadt zu fahren, wo wir neue Gelder erheben konnten, und dazu reichte unsere Baarschaft gerade hin. In Spanien überflüssige Gelder bei sich zu führen, ist nicht immer rathsam, und der vorsichtige Reisende versieht sich nur mit dem Nothwendigen; dießmal aber waren wir zu vorsichtig gewesen und saßen hier in Valencia fest, ohne sichere Aussicht, bald wieder loskommen zu können; da nämlich, wie ich schon gesagt, Eilwagen und Courier schon seit längerer Zeit sehr unregelmäßig ankamen, so gingen sie auch nicht pünktlich ab und obendrein war schon eine Menge Reisender zur Fahrt vorgemerkt, die schon weit länger als wir gewartet.

Vorderhand saßen wir freilich recht gut aufgehoben im Gasthof des Cid und war es gerade nicht unangenehm, beim flackernden Kaminfeuer und einem Glase vortrefflichen Alicante über die Gefahren der vorhabenden Reise zu sprechen. Horschelt warf dabei die Idee hin, wir sollten es doch unternehmen, die Tour über Cuenca nach Madrid zu Pferde zu machen – ein Vorschlag, der mir außerordentlich gefiel, der aber von der übrigen Tischgesellschaft als unausführbar verworfen wurde. Ein junger Franzose, der mit dabei war, wollte diese Tour einmal im Frühjahr bei besserer Jahreszeit gemacht haben und erzählte so schreckliche Dinge davon, daß uns unglaublich erschien, wie er nach allem dem überhaupt noch am Leben sei. Auch Herr Heeren rieth uns, einen solchen Entschluß nicht zu fassen: er kenne die Straße genau, und ein solcher Ritt sei namentlich ohne vollkommene Kenntniß der Landessprache nicht zu unternehmen.

Im Laufe des Gespräches erklärten wir unserm vortrefflichen Landsmann, weßhalb es für uns unangenehm sei, hier in Valencia längere Zeit liegen zu müssen, worauf er uns, den ihm fast gänzlich Unbekannten, aufs Freundlichste und Liebenswürdigste seine reiche Kasse zur Verfügung stellte, ein Anerbieten, das in der jetzigen verdorbenen Welt so selten vorkommt, und das wir auch für den nöthigen Fall mit großem Danke annahmen.

Am heutigen Abend waren die meisten Straßen von Valencia belebt und glänzend beleuchtet, weßhalb wir noch einen Gang durch die Stadt machten. Morgen war nämlich der heilige Weihnachtsabend, weßhalb ein großer Markt gehalten wurde, der namentlich von den Landleuten aufs Zahlreichste besucht wurde. Uns erinnerten die auf einem großen Platze aufgeschlagenen Buden mit ihrem Menschengewühl und zahllosen Lichtern so lebhaft an die Heimath; hier wie dort waren Kinderspielwaaren die Hauptsache, alte liebe Bekannte aus Nürnberg, und es war interessant zu sehen, wenn so eine Familie aus der Huerta, Vater, Mutter, auch wohl erwachsene Kinder in ihrem fast orientalischen Kostüm so überrascht lächelnd den geheimnißvollen Mechanismus eines hölzernen Tambours anstaunten, der taktmäßig die Arme hob und dazu den bekannten klimpernden Ton von sich gab, oder wenn sie einen ehrlichen deutschen Hampelmann die bekannten außerordentlichen Sprünge machen ließen. Stark besetzt war dieser Weihnachtsmarkt an Südfrüchten aller Art, an grobem Backwerk und feinen Huckerwaaren, in deren Anfertigung es namentlich die Valencianer zu einer großen Fertigkeit gebracht haben. Ächt spanisch erschienen mir die Buden, in welchen ziemlich roh gearbeitete Guitarren und Mandolinen der verschiedensten Größe verkauft wurden. Hier hörte ich denn auch zum erstenmal, seit wir in Spanien reisten, den Klang der Guitarren, begleitet von einem in näselndem Ton vorgetragenem Volksliede, wenn nämlich die Käufer ihre Instrumente versuchten.

Im Allgemeinen war es uns aufgefallen, hier in Spanien, dem schönen Lande des Weins und der Gesänge, wie Mephistopheles zu den Leipzigern Studenten sagt, so wenig Spiel und Gesang zu finden. Wenn man von Italien kommt, ist man darin verwöhnt, und wenn man auch dort keine Volkslieder hört, – die Italiener haben fast gar keine – so vernimmt man dagegen allabendlich auf Straßen und Plätzen, namentlich aber am Ufer des Meeres, z. B. in Genua und Neapel, die beliebtesten Chöre und Arien aus jeder neuen Oper und oft von wahrhaft prachtvollen Stimmen mit einer Fertigkeit vorgetragen, die uns in Erstaunen setzt.

Der Spanier im Norden hat eine rauhe Stimme, aber, wie man sagt, ein feines Ohr für Musik und Gesang, woher es denn wohl kommen mag, daß er seine Stimme so wenig erschallen läßt, und daß man hier oft junge Leute beider Geschlechter gruppenweise zusammensitzen und arbeiten sieht, ohne daß ein Gesang oder ein Lied erschallt. Am Abend des heutigen Weihnachtsmarktes vernahm man aus den engen Straßen, die auf den Platz münden, wo die Buden standen, wohl ein lustiges Getöse, auch Jubeln und Singen, letzteres waren aber mehr kurz abgebrochene Ausrufungen, die Freude bezeichnend über den Klang der Guitarren und Panderos, die spanischen Schellentrommeln, die sich bedeutend hören ließen zwischen dem Knacken der Castanuelas und den eigenthümlichen brummenden und schnarrenden Tönen der Zambomba. Dieses sehr beliebte Kinder-Instrument besteht aus einer kleinen Art von Trommel, über die statt des Kalbfells eine feuchte Schweinsblase gespannt ist, in deren Mitte man ein Stück Rohr aufrecht festbindet. Sowie nun die Hand an diesem Rohre auf- und abgleitet, entstehen sonderbare, wenn auch nicht gerade sehr musikalische Töne. Mir rief der erste Anblick der Zambomba in Spanien aufs Lebhafteste heimathliche Erinnerungen ins Gedächtniß; auch bei uns am Niederrhein haben die Kinder ein ähnliches Instrument, welches aber »Brummtopf« genannt wird, freilich nicht so wohlklingend wie das spanische »Zambomba.« Außer dem Geklimper der Guitarren auf dem Jahrmarkt selbst war ich überrascht, auch noch andere Musik auf dem Weihnachtsmarkt zu hören, die einer Drehorgel nämlich, welche von einem kleinen Manne getragen wurde, dessen abgeschabter und verblichener Anzug ehedem eine französische Uniform gewesen zu sein schien. Daß die Orgel französischen Ursprungs sei, das unterlag keinem Zweifel, oben im Kasten nämlich sah man zwei kleine Figuren, den großen Kaiser, sowie eine Dame, die Kaiserin Marie Louise, die von einander wehmüthigen Abschied zu nehmen schienen, denn jetzt hoben Beide die Hände in die Höhe und dann wandte Napoleon mit einem Ruck den Kopf auf die Seite; dazu spielte die Orgel eigentlich höchst unpassend die Marseillaise und das Lied der Girondisten mit seinem schönen Refrain:

»Mourir pour la patrie.«

Die Spanier schienen übrigens von dieser Orgelmusik wenig Notiz zu nehmen, und der arme Franzose war sehr überrascht und dankbar, als wir ihm ein Paar kleine Silbermünzen in die Hand schoben.

Auf einem unserer Spaziergänge am andern Tage trafen wir auf eine kleine, ziemlich versteckt liegende Kirche, die unsere Aufmerksamkeit auf sich zog, weil sich vor dem Portal ein großer Haufen Volks befand und weil in den benachbarten Gassen lange Reihen schwarzbrauner Tartanen standen, Kutscher und Bediente in tiefer Trauer, und an deren Spitze ein mit weißen Rosen geschmückter Leichenwagen. Wir versuchten es, durch die Menschenmasse zu dringen und das Kirchenportal zu erreichen, was uns auch gelang, denn die Spanier, unbedingt das höflichste Volk der ganzen Welt, machten bereitwilligst Platz, da sie wohl sahen, daß wir Fremde waren. An dem Portale stand ein Kirchendiener, der uns mit einer freundlichen Handbewegung einlud, näher zu treten und einen schweren Thürvorhang aufhob. Wir traten in die Kirche, blieben aber aufs Höchste überrascht auf der Schwelle stehen. Es wurde hier ein Traueramt gehalten; das Schiff der Kirche sowie Seitengänge und Chor waren mit schwarzem Tuche ausgeschlagen; auf dem letztern, welches etwas erhöht war, befand sich ein zahlreiches Orchester und ein starker Sängerchor, welche ein Requiem aufführten, dessen ergreifende traurige Klänge tief zu Herzen drangen. Zuweilen setzte die Orgel mit gewaltigen Accorden ein und dann fiel ein unsichtbarer Sängerchor droben klagend ein. In dem Schiffe aber befanden sich Hunderte der größten und stärksten Wachskerzen, die einen Sarkophag zu umgeben schienen, deutlich konnten wir das auf unserem Platze an der Thüre nicht sehen, denn der Glanz der unzähligen Lichter und der Qualm, der über sie emporstieg, blendete unser Auge und ließ die Blicke nicht durchdringen. Auch jetzt waren die Zuschauer so freundlich uns langsam vorzuschieben, so daß ich endlich ganz in die Nähe des Sarkophages kam, trat aber fast erschreckt einen Schritt zurück, – – denn so dicht vor mir, daß ich sie mit der Hand erreichen konnte, erhob sich eine Erhöhung, ein Lager mit reichen schwarz sammtenen Decken überhängt, deren silberne Fransen auf den Boden reichten, und auf diesem Lager ruhte ein junges, wunderschönes todtes Mädchen. Ihr Gesicht war wie von weißem Wachs, die Augen geschlossen und die langen schwarzen Wimpern so ruhig gesenkt, daß man hätte glauben sollen, sie schlafe nur. Auch von den feinen Lippen hatte die Hand des Todes noch nicht die frische Röthe weggestreift. Wie man uns sagte, gehörte die Verstorbene einer der ersten Familien Valencias an, war 16 Jahre alt geworden und als Braut gestorben. Ihr reiches schwarzes Haar trug auch den Myrthenkranz und einen langen Schleier, der um ihren Körper herumfloß und den sie auf der Brust zwischen den zusammengefalteten Händen hielt. Die ganze Feierlichkeit war ergreifend und wir verließen so tiefbewegt die Kirche, als hätten wir es gekannt, das arme Mädchen, welches in Fülle der Jugend, des Glückes und der Schönheit so unerbittlich dahin gerafft wurde. An der Thüre warf ich noch einen Blick zurück, und sah es noch einmal, das schöne Gesicht der Todten. Lichterglanz und Rauch bildeten einen Baldachin über ihrem Haupte und der letztere ward oben angestrahlt von einem Streiflicht der Sonne, welches durch ein unverhülltes Fenster drang und den obern Theil der dunklen Kirche so mit glänzendem Lichte erfüllte, daß ein Paar goldene Engelsfiguren über der Kanzel in dem wehenden Rauche und dem hellen Schein wie lebend erschienen und sich herabbeugten über das schöne Gesicht der armen Gestorbenen.

Diese Art, die Todten in der Kirche auszustellen, ist in Valencia allgemein gebräuchlich und man kann fast keine Kirche betreten, ohne nicht oft auf abschreckende Weise an die Sterblichkeit erinnert zu werden.

Schon seit mehreren Tagen hatten wir dem kleinen Dorfe Grao, der Rhede von Valencia – einen Hafen kann man sie nicht nennen – unsern Besuch zugesagt. Mit der Eisenbahn fährt man in ein paar Minuten dahin, doch ist das Warten auf die Abfahrt über die bestimmte Zeit hinaus etwas unangenehm. Mir schien es fast wie ein Omnibus, wo es erst losgeht, wenn alle Plätze besetzt sind. Die Wagen dieser Eisenbahn, meistens in Norddeutschland erbaut, sind auch fast wie die dortigen eingerichtet und recht elegant. Endlich wurde mit einem großen Aufwand von Lärmen der Angestellten und Pfeifen der Locomotive das Zeichen zur Abfahrt gegeben und dann brausten wir dahin, um in viel weniger als ¼ Stunde wieder anzuhalten, da wir Grao erreicht hatten. Es ist dieß ein gänzlich unbedeutendes Dorf, dessen Häuser, eine einzige ordentliche Straße bildend, zusammengedrängt liegen am Landungsplatz der weiten Meeresbucht, welche die Rhede von Valencia vorstellt. Von einem eigentlichen Hafen ist nichts vorhanden, und deßhalb auch der Molo, den wir vor uns sehen, ohne allen Nutzen. Die schwächste Seebrise regt die Wellen zunächst dem Landungsplatze heftig auf und macht das Anlegen selbst von kleineren Fahrzeugen meistens unbequem und häufig sehr gefährlich. Fast die Hälfte des Jahres über ist das Landen in kleineren Schiffen fast unmöglich, und da man dasselbe oft erzwingen will und muß, so fallen häufig Unglücksfälle vor. Die Dampfer und andere Seeschiffe ankern fast eine Stunde von Grao, und Passagiere, Effekten und Wagen müssen in kleinen Booten ans Ufer geschafft werden.

Den Rückweg nach Valencia machten wir zu Fuß. Man hat eine kleine halbe Stunde bis zum Thore der Stadt zu gehen. Die Fahrstraße, welche nie besonders gut sein soll, war nach dem Regen der vorigen Woche in sehr erbärmlichem Zustande; doch befinden sich auf beiden Seiten der sehr schönen vierfachen Alleen trockene Wege für die Fußgänger. Rechts und links hatten wir zuweilen schöne Aussichten auf die anstoßenden Gärten und die Huerta, deren Landhäuser, ich verstehe darunter die Wohnungen der gewöhnlichen Bauern, außerordentlich malerisch sind. Von der Straße sind die Grundstücke meistens geschieden durch einen Graben und eine undurchdringliche Hecke der gewaltigsten Aloen, deren eigenthümliche, starre, hellgrüne Blätter, mit scharfen Spitzen versehen, als trotzige Wächter die unbefugt Eindringenden mit schmerzlichen, ja giftigen Wunden zurückweisen; dabei ist aber hie und da eine so freundlich, einen riesenhaften 30 bis 40 Fuß hohen Blüthenschaft emporzutreiben, dessen weit ausgestreckte Zweige mit den rothgelben Blüthenbüschen von zahllosen Bienen und Schmetterlingen umschwärmt sind. Über den vorhin erwähnten Graben führt ein Steg und durch eine steinerne, von Epheu umrankte Pforte, gewöhnlich mit einem Kreuze oder Marienbilde geschmückt, tritt man in eine schattige kühle Rebenlaube, deren vom leichten Luftzuge schwach erzitternde Blätter im Herbst so dicht über einander liegen, daß nur hie und da ein blitzender Sonnenstrahl durchdringen kann, so daß es fast den Trauben, die von ungewöhnlicher Größe sind, mühsam wird, sich durchzubrechen. Am andern Ende dieser Rebenlaube – es ist eigentlich nur ein dunkler Laubgang – glänzt die weiße Wand des kleinen Häuschens uns entgegen, dessen Thüre offen steht und uns einen Blick in das reinliche Innere erlaubt. Die Wände sind hier von gestampftem Lehm, haben aber durch einen weißen Anwurf, der beständig erneuert wird, ein frisches, freundliches Aussehen. Meistens ist das Haus mit einer Terrasse bedeckt, sonst aber mit einem spitzen Dache, das aus leichten Rohrstäben besteht. Wie überall in Spanien nimmt die Küche den größten Theil des Raumes für sich in Anspruch, doch ist diese zu gleicher Zeit Wohnstube für Alle und Schlafstube für die Männer. Fenster gibt es hier nicht und das Licht dringt durch die offene Thüre herein; das Herdfeuer brennt auf einer Steinplatte am Boden und ebenso einfach sind auch alle übrigen Einrichtungen. Auf einem Paar Brettern, die an der Wand angebracht sind, befindet sich das meistens aus rothem oder gelbem Thon bestehende Küchengeschirr; die Formen desselben sind überaus zierlich und weisen noch auf die Zeit der Araber, zuweilen sogar auf die der Römer zurück. In einer Ecke befindet sich für das heiße spanische Klima unentbehrliches Geräthe, ein Wasserkrug von meistens 4 Fuß Höhe, der außerdem noch 3 Fuß tief im Boden steckt und mit einem hölzernen Gerüst umgeben ist, auf dem sich eine Menge Trinkgeschirr in den verschiedensten Größen befindet, die den alten Wasserkrug umgeben, wie Kinder und Enkel das Haupt der Familie. Ein gewöhnlicher Tisch mit ein Paar kleinen Schemeln machen den übrigen Hausrath aus. In der anstoßenden kleinen Kammer finden sich Kisten und Truhen, worin das Eigenthum der Familie verwahrt wird, sowie ein Paar Betten für Frau und Töchter; neben dem Häuschen ist ein leichtes Wetterdach, wo Maulthier oder Esel zugleich mit dem Acker- und Gartengeräthe untergebracht sind.

Ehe man von dieser Wohnung, Choza genannt, die Felder betritt kommt man gewöhnlich noch durch ein kleines Gärtchen, wo ein schattiges Gebüsch von Granat- und Feigenbäumen, Orangen und Limonen, über welche sich oft ein Paar schlanke Palmen erheben, ein reizendes Plätzchen bilden, auf welchem sich die Familie nach Sonnenuntergang zu versammeln pflegt. In ganz Spanien gleicht übrigens eines dieser Bauernhäuser dem andern, weßhalb ich mir erlaubte, ein solches einmal ausführlicher zu beschreiben.

Die unmittelbar an die Straße von Grao nach Valencia stoßenden Häuser waren indessen minder malerisch und glichen öfters aufs Genaueste unsern deutschen Bauernhäusern. Die Bewohner derselben schienen heute ein eigenthümliches Treibjagen auf Vögel zu halten, denn auf jedem Grundstück standen hier ein Paar Männer, die, ohne sich gerade viel darum zu bekümmern, welche Richtung ihre Schrotkörner nahmen, auf kleine unschuldige Vögel knallten, die ängstlich zwischen den Hecken und Bäumen emporflatterten.

Da wir den heiligen Abend vor uns hatten und ihn so gut als möglich nach der schönen Weise der Heimath feiern wollten, so brauchten wir ein Bäumchen um die Lichter aufzustecken. Weil aber hier in Spanien an eine kleine Tanne nicht zu denken war, so versuchten wir, uns ein Paar tüchtige Olivenzweige zu verschaffen, zu welchem Zwecke sich unser Baumeister auf ein benachbartes Feld begab, um einen Raub auszuführen. Als Sprachkundiger hatte er sich dazu erboten; denn er war der Einzige, der sich im Fall der Überraschung mit dem betreffenden Bauern verständigen konnte. Natürlich deckten wir seinen Rückzug und als unser Felddiebstahl gelungen und wir einige schöne Zweige erbeutet hatten, mußte sie der große Horschelt unter seinen Mantel nehmen und so brachten wir sie glücklich nach Hause.

Die Bescherung hatten wir so angeordnet, daß Jeder dem Andern eine Kleinigkeit kaufen und ein Bäumchen für ihn herrichten mußte. Darüber hatten wir das Loos gezogen und so konnte Keiner wissen, von wem seine Bescherung herkam. Der Lohnbediente der Fonda del Cid, der uns Lichter und Zuckerwerk verschafft, sah unserm Treiben mit großen Augen zu und hatte bald darauf im ganzen Hause verkündigt, daß die vier Deutschen zum heiligen Christabend eine ganz absonderliche Feier veranstalteten, was uns später sämmtliche neugierige Kellner, Wirth und Wirthin und ein Paar der spanischen Gäste vor unsere Thüre zog, die alsdann mit großen Augen und sehr erstaunten Blicken unsere strahlenden Weihnachtsbäumchen betrachteten.

Auf dem Tische hatte Jeder von uns für seine Lieben zu Hause, die gewiß auch in dem gleichen Augenblick an uns dachten, brennende Lichtchen aufgestellt mit dem Namen derselben versehen; die wollten wir auf der ganzen Reise mit uns führen, hoffend, sie nach erfolgter glücklicher Rückkunft im Kreise der Unsrigen noch einmal anzünden zu können. Obgleich uns die erhaltenen kleinen Geschenke recht viel Spaß machten, war doch unser Fest kein außerordentlich vergnügtes zu nennen, denn Jeder von uns beschäftigte sich mehr oder minder mit lieben Erinnerungen an ähnliche Abende in der Heimath, und als die vier Bäumchen noch recht helle brannten, fand es sich, daß sich Jeder von uns in einen besondern Winkel des Zimmers zurückgezogen hatte, und dort seinen ernsten Gedanken nachhing. Erst, als die Kerzen ausgelöscht waren, die Bäume weggeräumt, und wir bei einem Glase Punsch um den Tisch vereinigt saßen, kehrte die frühere Heiterkeit wieder zurück. Die Wachslichter, mit den verschiedenen Namen versehen, wurden sorgfältig in Papier verpackt, und obgleich man einer Schilderung nicht vorgreifen sollte, will ich doch hier gestehen, daß ich so glücklich war, meine Lichtchen vor meinen Lieben wieder anzünden zu können, und daß meine beiden Buben dieselben außerordentlich erfreut mit großen glänzenden Augen betrachteten; besonders als ich ihnen dabei erzählt, daß sie an einem Olivenzweige gebrannt, an einem Baume, von dem das gute Öl herkomme, und daß ich sie weit, weit über das Meer herüber von Valencia mitgebracht, einer alten, berühmten spanischen Stadt, welche die wilden Araber häufig angegriffen und die vertheidigt wurde von einem tapfern christlichen Ritter, von Cid dem Campeador, der nach seinem Tode noch die Araber besiegte; denn als er schon gestorben war, setzten sie ihn in voller Rüstung auf sein getreues Roß, gaben ihm sein Schwert in die Hand, bei welchem Anblick die Mauren erschreckt davon flohen.

Also siegt' auch nach dem Tode,
Weil San Jago ihm voranging,
Cid; gewonnen ward an Beute
Großer Reichthum: alle Zelte
Voll von Golde, voll von Silber,
Auch der Ärmste wurde reich.


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