Friedrich Hackländer
Ein Winter in Spanien
Friedrich Hackländer

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Fünftes Kapitel.
Marseille.

Abschied von Florenz. Der Vectis. Englische Sitten während des Diner. Die schöne französische Küste. A la Réserve. Eigenthümlich schöne Lage von Marseille. Hafenleben. Hôtel des Ambassadeurs. Krankheit, Kälte und theures Holz. Eine Fahrt am Meer. Spaziergänge in der Stadt. Straßen und Magazine. Theater. Kaffeehäuser. Seltsame Prozessionsmusik. Ein Besuch auf Château d'If. Rekruten der Fremdenlegion. Cachot Monte-Christo. Die französischen Behörden helfen ihren Schriftstellern. Sonderbare Vertreter des deutschen Bundes. Der arme Magdeburger. Prachtvoller Abend zur Heimfahrt.

So hatte ich denn einmal wieder vier Wochen in Florenz verträumt und durch die Gunst des Wetters einen schönen Herbst verlebt, hatte die meisten der Orte wieder besucht, die ich in früheren Zeiten gesehen, jene reizende Punkte in- und außerhalb der Stadt, die man nicht mehr vergißt. Unsere Wohnung war in der Nähe des Domes, und dessen prachtvoller Glockenthurm aus weißem, rothem und schwarzem Marmor stand gerade vor meinen Fenstern. Fast jedesmal, wenn ich nach Hause zurückkehrte, führte mich mein Weg dort vorbei und an den wunderbaren Broncethüren Ghibertis vorüber, welche das Battisterio zieren.

Auch Santa Maria Novella besuchte ich wieder, das schöne Kloster mit seiner noch schöneren Apotheke; daß ich manche Stunde im Palazzo degli Uffici und in der Galerie Pitti zubrachte, versteht sich von selbst. Die meiste Zeit brachte ich aber mit meiner Familie, der all das Herrliche neu war, auf Spaziergängen zu in der reizenden Umgebung von Florenz, und wo gibt es schönere Punkte als bei dem Lustschlosse Poggio imperiale, über welchem in der Höhe die Villa einer befreundeten Familie lag, wohin uns ein lieber Hausgenosse, Herr L., brachte, dem ich hier nochmals meine besten, herzlichsten Grüße sage. Öfters saßen wir auf der verfallenen Mauer des Klosters San Miniato unter den riesenhaften dunklen Cypressen, wo man die prachtvollste Aussicht hat auf die Stadt mit ihren unzähligen Kirchen, auf das Arnothal und die Apenninen. Häufig aber machten wir weitere Spaziergänge über Bellosguardo hinaus, wo sich eine Villa an die andere reiht, wo wir liebe Freunde fanden, die uns unvergeßlich sind, und wo wir uns Genüsse bereiten konnten, die uns in der Heimath eigentlich fremd sind. War es doch Herbst, die Zeit der reifen Feigen, und es war schon interessant für uns, sich diese Frucht vom Baume pflücken zu lassen und mit weißem Brod und saftigen Salamischnitten unter einer ungeheuren Lorbeerlaube zu verzehren, während gelbglänzende Orangen und Citronen zwischen tiefem, dunklem Grün freundlich zu uns herübernickten, wie auf dem Landhause der freundlichen Signora Sofia.

Endlich aber war es für mich Zeit von Florenz zu scheiden. Nachdem ich meine Familie hier bei lieben Verwandten untergebracht und sie bestens aufgenommen sah bei guten Freunden, wozu ich vor Allen das freundliche Haus der Madame I. rechne, der ich für alle uns bewiesene Liebenswürdigkeit und Freundschaft hiemit nochmals besten Dank sage, wollte ich meine Reise nach Spanien antreten. Was jedoch die Zeit dieser Abreise anbetraf, so mußte ich mich nach meinen beiden Freunden richten, dem Maler Horschelt aus München und dem Baumeister Leins aus Stuttgart, von denen ich denn auch eines Tages Briefe erhielt, worin sie mir anzeigten, daß sie Ende November in Marseille eintreffen würden, von wo wir dann zusammen unsere Reise nach Spanien fortsetzen wollten.

Der Abschied von meinen Lieben wurde mir recht schwer.

Ich werde den Morgen nie vergessen, wo alle, besonders meine beiden lieben Buben, immer und immer wieder mit thränenden Augen Abschied von mir nahmen. Damals war ich sehr traurig, denn ich wußte ja nicht, ob ich Alle, die meinem Herzen nahe standen, gesund und froh wiedersehen würde.

Die Fahrt nach Livorno machte mich trübe und mißstimmig. Erinnerte mich doch bald dieses Dorf, bald jene Aussicht, Alles, Alles an die liebe Gesellschaft, mit der ich dieselbe Fahrt vor wenigen Wochen gemacht. Endlich in Livorno angekommen, war ich recht froh, in dem Gewühl der Hafenstadt einigermaßen Zerstreuung zu finden, besonders aber darüber, daß ich ein Paar deutsche Bekannte traf und so den Abend nicht einsam zu verbringen brauchte.

Damals hatte die große orientalische Dampfschiffgesellschaft angefangen, die Linie von Malta nach Marseille mit zwei schönen neuen Dampfern, Vectis und Lavalette, zu befahren, und berührte dabei die Häfen von Neapel, Civita vecchia, Livorno und Genua, ohne sich überall länger aufzuhalten, als nothwendig ist, um Passagiere und Güter ein- und auszuladen. Dadurch, sowie durch schnelleres Fahren, ward die Reise bedeutend abgekürzt, und aus diesem Grunde machten die neuen Schiffe den alten Gesellschaften eine gefährliche Concurrenz.

Am 18. November, Morgens um 10 Uhr, fuhr der »Vectis« von Livorno, und ich schiffte mich bei ziemlich ruhiger See und dem heitersten Wetter auf ihm ein. Ich habe selten auf dem Meer eine so klare und schöne Fernsicht gehabt, wie heute Morgen. Die langen regelmäßigen Wellen schlugen kaum merklich ans Ufer und schaukelten sanft und leicht das Boot, welches mich an Bord brachte, ohne auf den ziemlich großen Dampfer im geringsten einzuwirken; er lag unbeweglich da mit seinem schwarzen Körper in der von der Sonne hell angestrahlten Fluth, aus seinen beiden schiefstehenden Schornsteinen wälzte sich dichter Rauch hervor, während zuweilen weißer Dampf zischend und ungeduldig auffuhr. Der »Vectis« ist ein langes und schmales Boot, nach Art der Klipper gebaut, ich glaube von 1000 Tonnen Gehalt und 400 Pferdekräften; jedenfalls waren seine Maschinen übrig stark genug für das Schiff.

Die Engländer sind pünktliche Seeleute, und kaum war es 10 Uhr, so erschien der Consul mit Briefschaften und Pässen; der Anker wurde gehoben, und bald nachher dampften wir in die See hinaus. Rechts hatten wir die italienische Küste mit ihren malerisch zerklüfteten Formen und ihrer gelblich röthlichen Färbung, die wir auch bis Genua nicht aus dem Gesicht verloren, ja so nahe fuhren wir an ihr hin, daß wir später ganz deutlich die weißen Flecke der Carrareser Marmorbrüche, so wie la Spezzia mit seinem alten Schloß und schönen Hafen, dann Chiavari und die vielen Ortschaften und Villen sahen, welche das ganze Ufer fast ohne Unterbrechung bedecken.

Die italienischen Schiffe legen den Weg von Livorno nach Genua in etwa 10 bis 13 Stunden zurück. Der »Vectis« aber wollte das Gleiche in 5 bis 6 Stunden thun, und wenn man seine kräftigen Maschinen stets mit überflüssigem Dampf in voller Kraft arbeiten sah, so konnte man glauben, er habe nicht zu viel versprochen. Dafür glühten aber auch die Schornsteine in ihren untern Theilen so, daß man kaum bei ihnen vorbeigehen konnte, und die überaus hohen Schaufelräder machten bei 34 Umdrehungen in der Minute. Bei alledem aber fühlt man sich auf keinem Schiffe so angenehm und sicher wie auf einem englischen; der Dienst wird mit militärischer Genauigkeit versehen, ja wenn man die Pünktlichkeit betrachtet, mit der alles ineinandergreift, die Ruhe und Ordnung auf dem Verdeck, das respectvolle Verhalten zwischen Matrosen, Officier und Capitän, wo alles nur zusammenredet mit der Hand an Mütze und Hut, so könnte man glauben auf einem Kriegsschiff zu sein. Dabei war an jungen Officieren auf dem »Vectis« ein wahrer Überfluß, lauter hübsche Leute mit wohlfrisirten Haaren, feiner Wäsche und hellen Handschuhen, die sich mit Seekarten, Compaß und Logtafel beschäftigten. Der Capitän war ein kleiner lächelnder Mann, mit starkem Bart und den größten schneeweißen Zähnen, die ich seit lange gesehen; er schaute mit stillem Vergnügen dem kräftigen Lauf seines Schiffes zu und rieb sich die Hände, wenn das Auswerfen des Log ergab, daß wir 16 bis 17 Meilen in der Stunde fuhren. Passagiere hatten wir ungefähr 40 an Bord, Engländer vorherrschend, einige Italiener, Franzosen und Deutsche.

Die Überfahrt von Livorno nach Marseille kostet 80 Fr., alle Verpflegung einbegriffen, und so eine englische Verpflegung genügt auch für das ausschweifendste Verlangen. Ein Frühstück um 9 Uhr ist eine wahre Ausstellung von kalten und warmen Fleischsorten aller Art, Käse, Bier, die verschiedensten Weine, sowie ungeheure Kannen Thee und Kaffee. Der Lunch um 13 Uhr ist eine kleine Wiederholung des ebengenannten und für Mägen bestimmt, denen es zu schwer wird bis 4 Uhr zu warten, wo ein sehr copiöses Diner den Reisenden gänzlich vergessen macht, daß er sich in den Räumen eines Schiffs mitten auf dem Wasser befindet. Für Uneingeweihte in englische Sitte, oder für jemand, der die Sprache gar nicht versteht, ist ein solches Essen eigentlich aber mit Tantalusqualen zu vergleichen. Ein schüchterner junger Mensch sieht die schönsten Sachen vor sich stehen, die so sehr zur Stillung seines außerordentlichen Hungers geeignet wären, umsonst, niemand bietet ihm davon an; der Kellner eilt mit vollem Teller, für andere bestimmt, an ihm vorüber, sein Nachbar schneidet das saftigste Rostbeef an, ohne ihm davon zu geben, so lange er ihn nicht freundlich darum ersucht, und das ist sehr schwer, wenn man kein Wort Englisch versteht. Auch in andere Verlegenheiten kann man hier gerathen, wie z. B. ein junger Schweizer, der neben mir saß, und vor den das schönste Exemplar eines wälschen Hahns gestellt war; ihm gegenüber befand sich eine ältliche Engländerin, die offenbar nach uns herübercokettirte, d. h. nach dem Turkey; vergeblich ermahnte ich den Schweizer: es sei seine Schuldigkeit den Wälschen zu zerlegen und den Damen anzubieten, er wurde roth bis über die Ohren, indem er versicherte: das sei ihm gänzlich unmöglich, und als gleich darauf die Lady schüchtern sagte: »I will thank you for a little turkey,« meinte er zu mir: »sehen Sie, ich hatte ganz recht, sie will ja gar kein Geflügel, denn sie bedankt sich bestens dafür!« Um 6 Uhr ward zum Thee geläutet, und endlich um 10 Uhr erscheinen nochmals alle möglichen Weine, auch Rum, Brandy u. dgl., sowie Butter, Brod und kaltes Fleisch.

Der Capitän des Vectis hatte übrigens nicht zu viel versprochen, denn nach einer Fahrt von 5½ Stunden ließ er gegen 5½ Uhr in dem reizenden Golf von Genua den Anker fallen. Da wir nur einige Zeit im Hafen blieben, so hatte ich keine Lust ans Land zu gehen. Was sollte ich auch einsam und allein in den Gassen der alten Stadt machen, die ich noch vor wenigen Wochen in Gesellschaft der Meinigen gesehen – eine Erinnerung, die mich mehr trüb, ja traurig stimmte, und die nicht heiterer wurde, als ich auf einmal auf dem Quai dieselbe melancholische Musik hörte, von der ich erzählte, und in deren Text wir Deutsche so schlecht bedacht sind. Gegen 8 Uhr dampften wir wieder aus dem Hafen hinaus und waren bald in Nacht und Nebel eingehüllt, durch welche unser Schiff einherzog, ein schwarzes, rauchendes, feuerspeiendes Ungeheuer, mit seinen stampfenden Maschinen und kräftig schlagenden Schaufeln, welche hastig das Wasser peitschten, so daß wir beständig in weißen Schaumwellen dahinfuhren. Bald ward es ruhig auf und unter dem Deck, nur hie und da krachte eine Planke oder stöhnte ein armer Seekranker in seiner Cabine.

Der Vectis lief übrigens in der Nacht nicht so geschwind wie am Tag. Die Schornsteine waren bedeutend abgekühlt, und der Kapitän gestand offenherzig: er spare jetzt seine Kohlen, denn es sei ja doch gleichgültig, ob man eine Stunde früher oder später nach Marseille komme. Sobald am andern Morgen die Sonne aufgieng – und sie erhob sich schnell und strahlend – gieng ich aufs Verdeck hinauf um mich umzuschauen. Rechts hatten wir das offene Meer, links die Küste von Frankreich, der wir auch nun bis Marseille ziemlich nahe blieben. Um 10 Uhr sahen wir den Golf von Toulon, und gegen Mittag machte unser Dampfer eine kleine Wendung nach Norden, wandte sich um ein seltsames Vorgebirge, das nackt, steil, ja schroff in die See abfiel, worauf wir in den Meerbusen der alten Phönizierstadt einfuhren, die auf drei Seiten von der Küste und verschiedenen Inseln eingeschlossen ist. Der tiefblaue Himmel über uns, und das strahlende Sonnenlicht zeigte uns alles das im schönsten Glanz, und ich werde diesen Anblick nie vergessen: röthlichgelb, fast glänzend stieg die Küste mit ihren weichen schönen Formen aus dem grünen schillernden Wasser empor; scharf ausgezackte dunkle Felsen bildeten rechts den Vordergrund, während links die Inseln Ratoneau, Pomegne und jener gewaltige Steinhaufen, der das Château d'If mit seinen plumpen Thürmen trägt, sich im hellsten Licht, fast weiß aus der tiefdunkeln Meeresfluth erhoben. Von hier aus ahnte man kaum die Stadt; von der Bergwand im Hintergrund des Meerbusens sah man durch Nebel und Rauch Häusermassen emporsteigen, doch ganz undeutlich, da sie fast von der Farbe der Felsen waren, an denen sie lehnten; vor ihnen stiegen Wälle und Thürme auf in gewaltigen Dimensionen, die trotzig den Eingang zum Hafen bewachten, und dazwischen bemerkte man Mastspitzen, bunte Wimpel und weiße Segel. Mitten im Golf angekommen, minderte der Vectis die Kraft seiner Maschinen, und wir nahmen einen Lootsen an Bord, der von seinem Schiff auf eine eigene Art zu uns hinaufstieg, denn er erkletterte seinen Mast und sprang von da auf das Deck des Dampfers. Mit leichten Schlägen glitt unser Schiff nun dem innern Hafen zu, an andern Dampfern vorbei, die uns entgegenkamen, sowie an Kauffahrteischiffen der verschiedensten Größe, die mit ausgespannten Segeln den Landwind benutzten um in die See hinauszugehen.

Wenn man näher zur Stadt kommt, sieht man rechts die Höhen des Ufers mit phantastischen buntbemalten Häusern bedeckt, ein kleines Stück China, solche Formen haben sie, wie wir sie aus Abbildungen vom himmlischen Reich her kennen: luftige Gallerien, grüne sonderbare Dächer – hier ist einer der Vergnügungsorte der Marseiller aller Stände – à la Reserve, wo man gute Weine findet, Tafel zu jedem Preis und überall die berühmte Bouillabaisse, ein übrigens schauerliches Gericht aus allen möglichen Fischsorten zusammengekocht. Mein lieber Freund L., dem ich sie zu Liebe, da er sie mir außerordentlich gerühmt, in den ersten Tagen meines Hierseins versucht, möge mir verzeihen; aber entweder ich habe nicht die richtige Quelle gefunden, oder das Gericht ist überhaupt nur für den Magen eines Provençalen.

Zwischen der Citadelle St. Nicolas und dem Fort St. Jean fährt man in den alten Hafen, ein langes schmales, rings von Quaien und Häusern eingefaßtes Becken, tief genug für die größten Schiffe, und in seiner Lage vollkommen gesichert gegen die wildesten Stürme. Wenn man sich die Umgebungen hinwegdenkt, so hat es eine Ähnlichkeit mit dem goldenen Horn Konstantinopels; natürlich sieht man hier statt der bunten türkischen Häuser, statt Moscheen und Cypressen, große fünf- bis sechsstöckige steinerne Gebäude von grauer Farbe mit unzählbaren Fenstern, die auf das Gewühl im Hafen blicken, und lebhaft genug geht es hier zu: in langen Reihen liegen die Schiffe aller Nationen neben einander und jedes bietet ein besonderes Bild. Hier wird ausgeladen, wozu niedrige schwimmende Gerüste an die Seite gebracht werden, auf welche man nun Fässer, Bretter, Kisten in unendlicher Zahl aufstapelt und so hinwegführt; dort wird auf gleiche Weise eingeladen, jenes Schiff ist angekommen und wird unter melancholischem Gesang der Matrosen in die Reihe der andern hineingezogen, ein anderes bereitet sich zum Auslaufen. Die Raaen werden aufgezogen, die Ruder befestigt und mehrere Boote voll Mannschaft bugsiren den riesenhaften schwerfälligen Schiffskörper so langsam vorwärts, daß man kaum eine Bewegung an ihm wahrnimmt. Vor uns liegt eine ganze Reihe großer und kleiner Dampfer; einige haben angefangen zu heizen und rauchen leicht, andere lassen den weißen Dampf zischend ausfahren wie auch unser Vectis, der wie in weiße Wolken eingehüllt ist und nach allen Seiten seine überflüssige Kraft hinausspritzt. Unzählige Boote schwärmen zwischen den Schiffskolossen umher; alle sind mit dem Namen irgend eines Heiligen versehen, und die ganze biblische Geschichte schwimmt hier auf dem Wasser umher. Die Schiffer sind meistens in brauner Jacke, mit der rothen phrygischen Mütze auf dem Kopf, und bringen uns in kurzer Zeit für 1 Fr. 50 Cent. mit unserm Gepäck an den Quai d'Orleans, wo die berühmteste Straße von Marseille, die Cannebière beginnt, von der die hiesigen ehemaligen Phönizier in ihrer Bescheidenheit sagen: wenn Paris eine Cannebière hätte, so wäre es ein kleines Marseille. Übrigens concentrirt sich auch fast das ganze hiesige Leben auf die Straße und die Hafenquais, an der Cannebière sind die schönsten Läden, Magazine, die ersten Gasthöfe, die prächtigsten Cafés, und wenn man hier umherschlendert, ist man sicher, nach und nach sämmtlichen Fremden zu begegnen, die sich in Marseille aufhalten. Die Quais an beiden Seiten des Hafens sind unendlich belebt; in langen Reihen folgt ein schwerbeladener zweirädriger Karren dem andern, mit starken, meistens grauen Pferden bespannt; die Geschirre sind mit Messing und rothen Quasten bedeckt, und an beiden Seiten des Kummets stehen lange geschweifte Hölzer wie Hörner hervor, die der ganzen Bespannung ein eigenthümliches Ansehen geben. Lastträger mit Säcken und Kisten durchkreuzen diese Linie jeden Augenblick, natürlicherweise unter vielem Geschrei, da sie oft in unangenehme Berührung mit den Wagen kommen. Schiffer stehen Cigarren rauchend in Gruppen beisammen oder irgend welche Kaufleute umgebend, die über Fracht und Ladung mit ihnen handeln; hier werden Kisten und Fässer zugeschlagen und bezeichnet, dort große Haufen Getreide von Staub und Schiffsschmutz gereinigt. Auch an Eckenstehern fehlt es hier nicht, die auf dem Werft umherlungern und auf den Augenblick passen, wo sie mit dieser oder jener Dienstleistung einige Sous verdienen können, ebenso wenig wie an Müßiggängern aller Art, welche die Straße verengen und jedermann im Wege stehen; zu den letztern rechne ich besonders die Bootsleute der griechischen Schiffe, sowie die aus Algier, Tunis und Marocco, welche man den ganzen Tag im langsamsten Schritt auf den Quais umherschlendern sieht; doch bilden sie zwischen der andern Bevölkerung für das Auge eine malerische Abwechslung, und man sieht sie gern die gelben, braunen und schwarzen Gesichter unter dem weißen Turban oder den rothen und grünen Kopftüchern in ihren kurzen verzierten Jacken oder dem weißen Burnus, unter dem die hagern Arme hervorschauen und die knöcherne Faust, welche die lange Pfeife trägt.

Das weibliche Geschlecht ist hier nicht aufs zierlichste vertreten; die Matrosenweiber und Verkäuferinnen von Tabak, Wein und Branntwein haben ein schlampiges und schmieriges Aussehen, und wenn man zuweilen eine schlanke, wohlgebaute Gestalt sieht, die aufrechten Hauptes einhergeht und das gebräunte ernste Gesicht nur auf ihren Weg richtet, so ist sie vielleicht vom Dorf der Catalanen draußen. Zuweilen sieht man auch Mädchen aus der Gegend von Toulouse in einer eigenthümlichen, nicht unangenehmen Tracht; sie haben graue Röcke, schwarze Spenser, ein weißes Tuch, das über die linke Schulter herabfällt, und das schwarze Haar mit einem dunkelrothen Lappen umwunden.

Wie an allen Seehäfen, so herrscht auch hier ein unaussprechlicher Parfüm, ein Gemisch von Gerüchen aller Art, dessen Hauptbestandtheil die Ausdünstung des hier fast stillstehenden Seewassers bildet. Nur in der Nähe der Citadelle St. Nicolas auf dem Quai de la Rive neuve nimmt die Atmosphäre einen ausgesprochenen Charakter an, weil hier Theergeruch vorherrscht, der vom Kalfatern alter ruinirter Schiffe herkommt.

Einer unserer Reisegesellschaft vom Vectis hatte mir das Hôtel des Empereurs vorgeschlagen, ein imposantes Gebäude auf der Cannebière, doch war's mir nicht möglich, hier ein einigermaßen ordentliches Zimmer zu erhalten; man gab mir eines auf der Hinterseite des Hauses mit abgefallenen Kalkwänden, einem Steinboden ohne Teppich und der Aussicht auf ein paar Dutzend schwarzer Schornsteine, die mir nur den Anblick eines ganz kleinen Stückchens blauen Himmel gestatteten. Da ich aber voraussichtlich mehrere Tage in Marseille bleiben mußte, – denn weder waren meine beiden Freunde eingetroffen noch fand ich Briefe von ihnen – so suchte ich mir ein behaglicheres Quartier, das ich auch im Hôtel des Ambassadeurs fand. Es ging mir hier fast wie jenem Württemberger am Cap der guten Hoffnung, der nach einem Sindelfinger fragte und einen Böblinger traf, und wenn mich auch kein Landsmann aus letztgenannter Stadt bewillkommte, so fand ich doch in dem Geschäftsführer des Hauses einen Stuttgarter, der mich aufs freundlichste empfing. Es war übrigens ein glücklicher Zufall, der mir ein angenehmes Quartier verschaffte, denn ich hatte mich wahrscheinlich auf dem Meer erkältet, und eine hartnäckige Halsentzündung fesselte mich mehrere Tage ans Zimmer. Übrigens rathe ich jedem, der es gut mit seiner Kasse meint, in Marseille nicht krank zu werden; denn für das Auflegen einiger hungrigen Blutegel und sehr unangenehmer Kataplasmen mußte ich ein ungeheures Geld bezahlen. Ohne mich in weitere Details einzulassen, will ich nur noch erwähnen, daß, wenn der Mistral durch die Straßen wehte, ich täglich für drei Franken Holz verbrennen mußte, wenn ich nicht halb erfroren vor meinem Kamin sitzen wollte.

Dabei war ich so entsetzlich allein, die Tage wollten nicht vorübergehen und die langen Abende nicht endigen. Bekannte hatte ich in Marseille so gut wie gar keine, und wenn auch zuweilen der deutsche Secretär des Gasthofs mich Vormittags besuchen kam, so blieb er höchstens eine Viertelstunde, da ihn die unerbittliche Glocke sogleich wieder aufs Comptoir rief. Zufällig hatte ich die Bekanntschaft eines kleinen handlungsbeflissenen Landsmanns gemacht, sehr jung noch, und der besuchte mich alle zwei Tage auf eine Stunde von 7 bis 8 Uhr Abends, wenn das Comptoir geschlossen war und Privatstunden, die er nahm, noch nicht begonnen hatten. Sprechen konnte ich begreiflicher Weise nicht viel mit ihm, mein Hals schmerzte mich zu sehr, und doch war ich so froh, zuweilen ein menschliches Wesen mir gegenüber zu haben, daß ich an den Tagen, wo er kam, schon 5 Uhr auf die Uhr blickte, und mich freute, wenn der Zeiger mit jeder Minute näher auf 7 rückte. Wenn er mich freilich um 8 Uhr wieder verließ, dann fühlte ich meine Einsamkeit doppelt. War dieß doch die Stunde, wo man sich jetzt in Florenz um den großen, runden Tisch setzte, wo die Lampe angezündet wurde, und wo meine beiden lieben Buben kurz vor ihrem Schlafengehen alle möglichen Possen trieben, wenn sie dem italienischen Dienstmädchen nachäfften, die alsdann zu ihnen sprach: Adesso è tempo di andar a letto. Von Leins und Horschelt erfuhr ich lange nichts; ich war der Erste und Pünktlichste beim Rendezvous und dafür mußte ich nun mit meiner Einsamkeit büßen. Endlich erhielt ich ein Schreiben meines großen Malers aus Paris, worin er mir sagte, er sei von München über Stuttgart gereist, um Baumeister Leins mitzunehmen; dieser aber habe noch einige unaufschiebbare Geschäfte zu besorgen gehabt, aber sicher versprochen, in den nächsten Tagen nachzufolgen. So war denn die kleine Hoffnung vorhanden, daß unsere Reisegesellschaft nächstens beisammen sei und wir nach Spanien abreisen könnten. Ich mußte mich in Geduld fassen. Von meinen Lieben in Florenz erhielt ich begreiflicher Weise keine Zeile, denn, da ich nicht auf einen längeren Aufenthalt in Marseille rechnete, hatte ich gebeten, die ersten Briefe mir nach Barcelona zu schicken. Endlich besserte sich mein Hals ein wenig, Dank einiger energischen Einschnitte, die mir der Arzt auf meinen dringenden Wunsch machte. Die Entzündung ließ nach, bald konnte ich wieder ohne Schmerzen eine Fleischsuppe genießen und ein paar Tage nachher wurde mir eine Spazierfahrt erlaubt.

Es war ein prachtvoller, klarer Tag. Ich fuhr gegen den wunderschönen Spaziergang zum Château des Fleurs hinauf, aus der engen dunkeln Gasse hinweg, in der mein Gasthof lag, wollte ich mit einem Male den Anblick der prachtvollsten Natur genießen. Gegen das Verbot des Arztes ließ ich ein Wagenfenster herab, denn die Sonne schien so entzückend warm, und fuhr so, nein ich schwelgte auf dem schönen breiten Wege am Ufer des Meeres dahin. Die Wellen waren vom Mistral, der vor wenigen Tagen geherrscht, noch ziemlich bewegt und schlugen tosend gegen die Felsengestade empor. Weiter hinaus hatte die See schon wieder ihre tiefblaue Farbe, die am Horizonte fast ins Schwarze überging und aus der die Gestade gegen Toulon hin, sowie vor mir die Insel Ratoneau und der helle Felsen mit dem Château d'If, blendend weiß hervorblickten. Dampfer und Segelschiffe zogen ihre Bahn; erstere finster und traurig, den langen Rauch wie einen schwarzen Schleier hinter sich drein ziehend; die andern lustig und elegant, vor dem Wind auf den Wellen tanzend, mit den weißen Segeln kolossalen Schwänen vergleichbar.

An einem kleinen Häuschen – es war eine Wirthschaft, ich glaube auf dem Schilde war sogar: Bière allemande angezeigt, es hatte eine kunstlose Veranda, aus ein paar Latten bestehend, die an Bäumen befestigt waren und um welche sich eine gewaltige Rebe schlang – ließ ich meinen Wagen halten. Das Häuschen stand an einer Stelle des Weges, wo eine schroffe Felswand fast senkrecht in's Meer hinabhing, an der sich die Wogen, Schaum spritzend und tosend, brachen. Ich blickte in das Meer hinaus, vergnügt, fast glücklich. Es lag ein so unermeßlicher Sonnenreichthum auf Land und See, daß das Herz davon anschwoll und freudiger schlug. Es strahlte, zitterte, leuchtete, glänzte rings um mich her von den Felsgestaden, von Meer und Himmel, und dazu wehte ein angenehmer, erfrischender Seewind, den ich begierig einathmete und der, das fühlte ich, für mein Leiden zuträglicher war als Zimmerluft und Arzneien. Ja nach beendigter Spazierfahrt hatte ich einen ungeheuern Schritt in meiner Genesung vorwärts gethan. Ich konnte seit vielen Tagen zum ersten Mal mit etwas Appetit essen und hätte auch vortrefflich geschlafen, wenn mich nicht um 11 Uhr in der Nacht der allabendliche Lärm, den die ankommenden Fremden machten, welche der letzte Pariser Bahnzug von Avignon herbrachte, wieder aufgeschreckt hätte. Heute wars besonders lebhaft und als ich eine halbe Stunde später wieder einschlummerte, war es mir gerade, als hörte ich die Stimme meines Freundes Horschelt vor der Thüre. Täuschung! dachte ich, schlief gleich darauf wieder ein und träumte von meinem Reisegefährten, daß er mir aus Paris einen Brief geschrieben, worin er mir mit dürren Worten anzeigt, er habe keine Lust, nach dem langweiligen Spanien zu gehen, wolle vielmehr lieber in Paris bleiben, um König der Franzosen zu werden. Höchst ärgerlich erwachte ich am andern Morgen und was sah mein erster Blick? Unter der Thüre stehend die lange Gestalt meines lieben Freundes, mit dem guten lächelnden Gesichte. Ich war außerordentlich erfreut, nun einen Gefährten zu haben. Der Arzt, der nachher kam und der mich untersuchte, erklärte den Zustand meines Halses für so befriedigend, daß er mich als genesen entließ. Von Baumeister Leins wußte Horschelt nur, was er ihm nach Paris geschrieben hatte. Zu den unaufschiebbaren Geschäften seien andere noch viel unaufschiebbarere gekommen, die ihn verhinderten, zur versprochenen Zeit in Paris einzutreffen; doch habe es gar keinen Anstand, daß er uns in wenigen Tagen, jedenfalls vor dem ersten December hier überraschen würde.

Marseille hat als Stadt, das Hafenleben abgerechnet, viel Ähnlichkeit mit Brüssel, ist auch wie dieses an den Berg hinangebaut, und seine Läden, Kaffees, Spaziergänge sind hier wie dort nach Pariser Modellen eingerichtet. Sehr angenehm ist es, daß in Marseille viele Straßen mit Bäumen bepflanzt sind, die ebenfalls wie in der Hauptstadt Boulevards genannt werden, ohne ehemals Wälle gewesen zu sein.

Was die Ausstellung und elegante Einrichtung der hiesigen Buden und Magazine anbelangt, so wird darin das Übermögliche geleistet, und kann die Provinz mit der Hauptstadt concurriren. In den Hauptverkehrsstraßen der Cannebière, der Rue de Paradis, de Rome und andern herrscht Abends eine ungeheure Verschwendung an Gaslicht und macht die Nacht zum Tag, und wenn auch die Straßenbeleuchtung selbst nicht übermäßig glänzend ist, so strahlt doch aus den sogenannten Bazars und den großen Gewölben ein blendender Lichtglanz hervor. Dabei verstehen sie es auch hier ihre Waaren elegant und lockend auszulegen; man könnte leicht versucht werden, hier in ein glänzendes Porzellanmagazin einzutreten, dort den so sehr appetitlich aufgestellten Eßwaren aller Art einen Besuch zu machen, oder gar nach Kalifornien zu gehen, einem Goldschmiedgewölbe mit den schönsten und reizendsten Sachen, wo edle Metalle und Steine durcheinander funkeln und glänzen. In einer dieser Straßen machte mir besonders ein Teppichmagazin einen heimlichen und angenehmen Eindruck; es war wie ein kleines Theater gebaut, dessen Hintergrund und Coulissen aus den weichen bunten Stoffen bestehen, deren vielfarbige Dessins von einander gegenüberstehenden Spiegeln ins unendliche wiederholt werden. Am ersten Tag meiner Anwesenheit sah ich in der Allée de Meilhan ein Gebäude, von oben bis unten vollständig illuminirt; an der Thüre waren Wachen aufgestellt, und eine Menge Volks drängte sich aus und ein. Natürlicherweise folgte auch ich dem Strom der Neugierigen, und sah, daß dieses Haus nichts mehr und nichts weniger als eine große Niederlage von fertigen Kleidern und Stoffen aller Art war, die man aber auf eine wahrhaft lächerliche Art beleuchtet hatte; außer unzähligen Lüstren, die überall von den Plafonds herabhiengen, standen Armleuchter und Lampen auf den Fußböden, in den Fensternischen, auf den Treppengeländern, kurz wo nur irgend ein Platz war um Licht anzubringen; es war hier eine fabelhafte Helle, die den Augen weh that und grell von den hellen seidenen Stoffen abstrahlte. Der Besitzer mit seinen Ladengehülfen in schwarzen Fräcken und weißen Halsbinden spazierte in den Zimmern auf und ab, und da ich nicht wußte, was ich von all dem zu halten hatte, so bat ich um Auskunft. Der Principal, an den ich mich zufällig gewandt, zupfte seine Halsbinde in die Höhe, strich sich durchs Haar und sagte mir: dieß große Kleidermagazin, la Maison du Prophete, werde auf gleiche Weise drei Tage lang wie heute in demselben Glanz gezeigt, worauf am nächsten Montag der Verkauf beginne; er halte sich in Pantalons, Westen und Paletots bestens empfohlen, und sei überzeugt, meinem dringenden, längst gefühlten Bedürfniß hiedurch abzuhelfen. Nach diesen Worten maß er mich mit einem Blick, der deutlich zu sagen schien: er speculire stark auf Abschaffung meines nicht sehr eleganten Reisecostüms.

Wenn man mit frischer Erinnerung an die italienischen Theater hieher kommt, die mit ihren regelmäßig abgetheilten Logen, mit den eleganten Damentoiletten und der reichen Beleuchtung einen so angenehmen Eindruck machen, und man betritt eines der hiesigen Schauspielhäuser, so findet man einen gar traurigen Contrast. Um unten anzufangen, besuchte ich le Gymnase, ein kleines Haus mit dunklem Parterre und einem breiten ringsherumgehenden Amphitheater, welches die Stelle der ersten Gallerie vertritt. Logen gibt es hinter demselben nur einige wenige, und man sieht alles in bunter Reihe durcheinander. Über die Brüstung herab hängen Damenhüte, Shawls, Paletots, und wenn die Sitze gerade nicht sehr besetzt sind, so legt sich jeder so bequem wie möglich hin, der Arm wird auf die hintere Bank gestützt, der auf die vordere gelegt, den Hut auf dem Kopf, summt auch nach der Melodie die Gesänge mit, oder spricht ziemlich ungezwungen mit seinem Nachbar. Man gab ein paar kleine Vaudevilles; das erste war durchaus unbedeutend, und das zweite so voll Zweideutigkeiten, die gar keine Zweideutigkeiten mehr waren, daß ich mich nicht erinnere ähnliches gehört zu haben. Es hieß l'amour qu'est ce que c'est que cela? und die Hauptpointe war, daß eine junge Müllerin und ein hübscher Bauerbursch, die sich unbewußt lieben, durch allerlei seltsamen Unterricht, den sie von einem alten Knecht erhalten, sowie auch durch praktische Anleitung endlich zur Erkenntniß kommen, was denn eigentlich die Liebe sei. Das große Theater, wo meistens Opern gegeben werden, ist ebenso wenig elegant und freundlich, wie das kleinere; auch hier statt der Logen im ersten Rang eine einzige große Gallerie, ebenso verziert mit herabhängenden Kleidungsstücken wie im Gymnase; Herren und Damen durcheinander, und wenig schöne Toiletten. Für den Fremden ist es sehr unangenehm, daß alle bessern Plätze für das ganze Jahr verkauft sind, und man bei einer guten Vorstellung für theures Geld das Vergnügen hat den ganzen Abend aux premiers an der Thüre stehen zu dürfen, oder vielleicht einen Platz hinter den Blechinstrumenten und Pauken zu erhalten, wo man zu wenig sieht und viel zu viel hört. Ich sah hier die Norma, welche von einer Mad. Lafont vortrefflich gesungen und gespielt wurde, namentlich den zweiten Act gab sie mit einer Gluth und Energie, wie ich in Italien von der besten Sängerin nie etwas ähnliches gehört. Sie hatte eine hohe prächtige Gestalt, und südlich leidenschaftlich war jeder Ausdruck ihres schönen Gesichts, niederschmetternd jeder Blitz aus ihren schwarzen Augen. Sever dagegen war ein vollkommener Waschlappen ohne den geringsten Geschmack in seiner Leidenschaft für eine sehr dicke Adalgise, die übrigens sonderbarerweise der Liebling des Publicums zu sein schien. Verdientermaßen kam Norma hinter die Schliche des römischen Proconsuls; bei uns verzeiht am Schlusse die Seherin mit deutscher Gutmüthigkeit, und nachdem Sever erfahren, »welch treues Herz er hintergieng,« eilen sie gemeinschaftlich zum Tode. Mad. Lafont aber ließ sich kalt und stolz in den schwarzen Schleier hüllen, versicherte den erbärmlichen Liebhaber schließlich ihrer vollsten Verachtung, und ging, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern, allein – in die Garderobe.

An sehr schönen geräumigen Kaffeehäusern hat Marseille keinen Mangel, und jedes Jahr entstehen neue, welche es an Glanz und Pracht der innern Einrichtung den andern zuvorthun wollen. So haben sie sich denn jetzt schon so gesteigert, daß zwei erst vor kurzem eröffnete, der l'Univers und Café Turc, so fabelhaft luxuriös eingerichtet sind, daß man sich nicht mehr behaglich in diesen Räumen findet. Im ersten sind alle Wände mit Spiegeln bedeckt, welche die Hunderte von Gaslichtern und sämmtliche Gäste wahrhaft unheimlich vervielfältigt in einer weiten, weiten Ferne zeigen, bis alles nur noch ein undeutliches Gewühl ist und sich die Gasflammen wie blaue Punkte ausnehmen. Die Decke wird getragen von Bronzefiguren, Faunen und Nymphen mit kleinen Amoretten, welche Blumenguirlanden halten oder um reichvergoldete Kronleuchter geschlungen sind; im Hintergrund plätschern Brunnen, dort stürzt das Wasser zwischen künstlichen Blumen und Früchten herab, die, am Tag ihre natürlichen Farben zeigend, Abends durch blaues Feuer nachgebildet sind. Die Einrichtung des Café Turc gränzt aber ans Unsinnige; hier sind nicht nur alle Wände von Spiegeln, nicht nur sämmtliche Tischplatten, wodurch man auf allen Seiten, selbst neben den Kaffeeschalen, beständig sein eigenes, uninteressantes Gesicht sieht, sondern horribile dictu auch die Plafonds des ganzen Etablissements, in deren Widerschein man beständig die Gäste wie Fliegen an der Zimmerdecke mit dem Kopfe abwärts herumspazieren sieht; namentlich gewähren hierbei die Damen einen sehr ängstlichen Anblick, denn man befürchtet jeden Augenblick, es müsse nothwendigerweise etwas schreckliches da oben geschehen. Um den Wahnsinn voll zu machen sind alle Kellner türkisch gekleidet, und es macht einen komischen Eindruck, wenn unter dem rothen Fes ein gutmüthiges französisches Gesicht die Worte ruft: »versez au quatre!«

Sehr angenehm und behaglich ist das Café de Luxembourg, wo man vortreffliche Getränke aller Art, gute Gesellschaft und die Allgemeine Zeitung findet.

Einen Besuch auf dem Château d'If hatte ich mir aufgehoben, bis Freund Horschelt aus München angekommen sei, mit dem ich denselben gemeinschaftlich machen wollte. Einem Bekannten in Deutschland versprach ich bei meiner Abreise feierlich, mich auf dem alten Schloß umzusehen, nicht nach Mirabeaus oder Lafayettes Kerker, sondern nach den Spuren, die sich vielleicht dort noch von Alexander Dumas fabelhaftem Monte Christo auffinden lassen würden; es gibt zarte Seelen, die sich für so etwas interessiren, und was man verspricht muß man halten. Um aber jenen Auftrag in vollkommenster Ausdehnung erfüllen zu können, machten wir einen Spaziergang um das ganze Hafenbecken, gingen durch die Vorwerke der Citadelle St. Nicolas und stiegen hinter derselben die kleine Anhöhe hinan, wo ein einfaches Wirthshaus liegt, dessen Besitzer uns die feierlichste Versicherung gab: in jener Laube vor seinem Haus, auf dem grob gezimmerten Tisch sei jene Denunciation geschrieben worden, die den unglücklichen Dantes ins Gefängniß lieferte.

Vor unsern Augen hatten wir das Dorf der Catalanen, eine Reihe kleiner ärmlicher Häuser, aber ohne die Spur einer Mercedes; rechts das Meer mit den weißen Massen des Château d'If. Wir befanden uns also vollkommen bei der Exposition des Romans und konnten unsere Fahrt nach der Insel getrost beginnen. Als wir zum Hafen hinabstiegen, begegneten wir auf dem Quai einer seltsamen Procession: weißgekleidete und vermummte Männer trugen das hölzerne und buntbemalte Bild irgend eines Heiligen, dem eine große Schaar Andächtiger mit brennenden Kerzen in der Hand folgte; voraus zog eine Militärmusikbande, welche mit lustigen Klängen wieder an die gestrige Oper erinnerte, denn sie spielte zu der gewiß feierlichen Handlung aus dem ersten Act der Norma die Arie Severs:

»Mit Adalgise Hand in Hand
Stand ich am Traualtare.«

Um den Preis von sechs Franken fanden wir einen alten Fährmann, der uns zum Château d'If hinausrudern wollte, doch bedingte er sich eine Zulage aus im Fall das Meer unruhig sei; die See war aber spiegelglatt, und unser Boot glitt dahin fast ohne alle Bewegung und schaukelte nur einmal bedeutend, als wir draußen in das Fahrwasser eines der großen Dampfer kamen, der vor uns zum Hafen hinausfuhr. Man braucht eine gute Stunde um das alte einsame Schloß zu erreichen. Die Felsen, auf denen man steht, heben sich fast senkrecht aus dem Wasser hervor, und oben hängen die kleinen Eckthürme der ersten Mauer wie Schwalbennester in der Luft. Auf einem Zickzackwege, den mehrere gewaltige Thore verschließen, stiegen wir hinauf in den Schloßhof. Ein ziemlich geräumiger Platz, dessen Hintergrund das Schloß einnimmt, ein rohes Gebäude mit vier runden gewaltigen Thürmen, einige kleine Häuser, die Wohnung des Aufsehers, eine Wachtstube und ein paar Schenken liegen ohne Symmetrie umher und fassen einen Platz ein, der vollkommen uneben, hier aus dem nackten Felsen besteht, dort mit Steingeröll bedeckt ist, und in ein paar Ecken auf sehr magerer Erde einen dürftigen Graswuchs zeigt. Die Aussicht von hier auf die See, auf die felsigen Gestade des Golfs von Marseille ist wahrhaft entzückend, namentlich heute, wo die weißen Felsen wie mit goldenem Licht übergossen waren und das Meer zwischen ihnen im hellen Sonnenschein funkelte und strahlte.

Man hatte uns in Marseille gesagt, auf dem Château d'If sei eine ständige Garnison, doch fanden wir neben ein paar französischen Soldaten, welche am Thor die Wache hatten, auf dem Schloß eine sonderbare Gesellschaft versammelt. Vielleicht dreißig bis vierzig Männer trieben sich dort umher; einige gingen auf und ab, andere standen in Gruppen beisammen, dann auf verschiedenen Überresten der alten Mauer saßen viele und blickten, wie mir schien, nachdenkend in das Meer hinaus. Von einer Uniform war bei ihnen keine Rede, und wenn wir nicht gewußt hätten, daß das Schloß keine Gefangenen mehr beherbergt, so wären wir auf die Idee gekommen, es sei gerade die Zeit des Spazierengehens für derartige Unglückliche. Man sah hier die abgetragensten Kleider, fadenscheinige Blousen, dort einen alten zerrissenen Militärmantel, hier die rothe Hose des französischen Soldaten. Erst später sollte uns dieses Räthsel gelöst werden, denn als der Aufseher des Schlosses kam, um uns dasselbe zu zeigen, hatten wir vorderhand keine Zeit, Erkundigungen einzuziehen. Ein ziemlich tiefer Graben umgibt das alte Gebäude, und eine morsche Brücke mit ausgetretenen Planken führt hinüber unter einen breiten gewölbten Thorweg, durch welchen man in einen kleinen melancholischen Hof gelangt. Dieser hatte was unbeschreiblich trauriges und wahrhaft gefängnißartiges – ein würdiger Vorhof für einen Unglücklichen, der hier vielleicht auf Lebenszeit eingeschlossen wurde. Die hohen Wände des Schlosses, welche ihn umgeben, lassen kaum das Tageslicht, geschweige einen Sonnenstrahl eindringen; rechts und links sind kleine gewölbte Thüren, die in die ehemaligen Gefängnisse führen. An einer Seite windet sich von Säulen getragen eine steinerne Treppe in die obern Stockwerke und in der Mitte des Hofs befindet sich ein Brunnen, über dem unter drei eisernen Stangen an rostiger Kette ein Eimer hängt. Gleich bei unserm Eintritt sahen wir über einer kleinen gewölbten Thüre mit großen Buchstaben die Worte »Hôtel Monte Christo«; dieß war nun freilich von einem Unberufenen hingemalt worden, aber auf der kleinen schwarzen Tafel, die von Rechtswegen an derselben Thüre hing, las man deutlich: Nr. 1. Cachot Monte Christo.

Es ist in der That lobenswerth, daß die beaufsichtigende Behörde des Château d'If den französischen Schriftsteller nicht ausschließt, vielmehr so bereitwillig auf seine Phantasie eingeht; bei uns würde man bei einer ähnlichen Veranlassung wahrscheinlich durch ein großes Placat an ein verehrliches Publikum die Warnung ergehen lassen, der Fabel keinen Glauben zu schenken, die sich der Schriftsteller N. N. unterstanden, über hiesiges königl. Gefängniß in seinem lügenhaften Buche zu verbreiten. Der Aufseher des Château d'If aber schwört auf seinen Monte Christo, indem er uns die kleine Thüre öffnet. Man gelangt in ein niedriges schmales Gewölbe, und von dort ein paar Stufen tiefer in ein finsteres Loch, das in den Felsen gehauen ist, in dem man nur gebückt stehen und vielleicht sechs Schritte machen kann. Wenn auch jene Person Dumas' eine Fabel ist, so durchrieselte es uns doch kalt bei dem Gedanken, daß hier ein Mensch Wochen, Monate, Jahre zugebracht – und daß hier wirklich Unglückliche vielleicht ihre ganze Lebenszeit verseufzten, ist wohl unzweifelhaft.

Unser Aufseher indessen wußte seinen ganzen Roman auswendig und zeigte uns in der Ecke eine aufgewühlte Stelle, wo der berühmte Verbindungsweg gewesen sei, und führte uns später durch eine andere Thüre in das Gefängniß des Abbé Faria. Die obern Räume des Schlosses enthalten ebenfalls unheimliche finstere Hallen; doch hat man jetzt mehrere durch Abbrechen der Zwischenwände vereinigt und so größere Räume geschaffen, die jedoch immer noch unfreundlich genug aussehen; hier waren elende hölzerne Schragen aufgestellt mit dürftigen Strohsäcken und mit braunen abgenutzten Teppichen bedeckt, die Lagerstätten der bedauernswerthen Gesellschaft im Hofe. Wir mußten mehrere derselben durchschreiten, um einige andere merkwürdige Kammern des Schlosses zu besichtigen, so das Zimmer Mirabeau's und ein rundes vollkommen finsteres Gewölbe, in welchem die sogenannte eiserne Maske eine Zeitlang eingesperrt war.

So traurig der kleine Schloßhof, zu dem wir jetzt wieder hinabstiegen, auch war, so hat er doch etwas so malerisches, daß Horschelt eine Zeichnung davon entwarf; er hatte sich aber kaum hier an einer Seite auf einen Stein niedergelassen, als mehrere der Leute, von denen ich vorhin sprach, uns neugierig umstanden; sie blickten aufmerksam auf das Papier, und endlich, »o süßer Laut vom Ufer der Garonne«, hörte ich einen im reinsten Kölnisch sagen: »Es ist wohl der Mühe werth, das alte Loch hier abzumalen.« Natürlicherweise wandte ich mich an den Mann, und als ich ihn deutsch ansprach, drängten sich die andern auch hinzu, und ich muß leider gestehen, daß unter den abgerissenen Gesellen mit den confiscirten Gesichtern fast der ganze deutsche Bund vertreten war. Ehemalige badische Dragoner waren mehrere da, auch nicht wenige Preußen, von denen einer sogar in einer abgetragenen, freilich kaum mehr kenntlichen Uhlanenuniform erschien. Wir erfuhren denn auch in kurzer Zeit, daß auf Château d'If ein Depot der Fremdenlegion sei, und alle die armen Menschen klagten sehr über den hiesigen Aufenthalt und hofften sehnsüchtig auf den Augenblick, wo ein Dampfboot sie fern von der Heimath nach der Küste Afrika's bringen werde. Als Horschelt seine Zeichnung beendigt hatte und wir das Schloß verließen, wurde gerade zum Essen getrommelt. An dem äußern Pfeiler der Zugbrücke lehnte ein junger, schöner, großer Mann mit wohlgepflegtem Bart, der vorhin den andern seine Fahrten erzählte; er war aus Magdeburg und sagte jetzt mit einem tiefen Seufzer: »Seht, wir Deutschen kommen immer zuletzt, jetzt sind die Franzosen in der Küche und fressen das Fett von der Suppe, und dann gießen sie für uns Wasser nach – o du Heimath.« Der Mann that mir weh und ich verstand vollkommen sein letztes Wort; denkt man doch gern und dennoch schmerzlich an die ferne Heimath, selbst wenn man in glücklichen Verhältnissen und aus freiem Willen reist, wie viel mehr aber noch, wenn man ohne Hoffnung der Rückkehr in halber Gefangenschaft auf dem Château d'If sitzt und mit Wasser verdünnte Suppen essen muß – armer Magdeburger! Die Sonne sank eben hinter der Insel Ratoneau unter, als wir das Schloß verließen und unsern Nachen wieder bestiegen; ihre letzten Strahlen gossen einen unbeschreiblich schönen Schein, einen warmen violetten Duft auf die Gestade ringsumher aus. Auf dem glühenden Abendhimmel zeichneten sich die früher weißen Formen des alten Gefängnisses jetzt dunkel und schattenhaft ab. Wir warfen einen Blick rückwärts und sahen schwarze Gestalten auf den Mauern umhersitzen, die gewiß sehnsüchtig unserm Boot nachschauten, das auf der glänzenden Fluth so leicht dahinglitt; waren wir doch freie Menschen und uns die Rückkehr in die Heimath wohl nicht verschlossen. Meer und Hafen hüllten sich allmählich in Nacht ein; kleine Fischerbarken mit weißen Segeln schossen vor uns dahin, vom Werfte beim Catalanen-Dorfe schallte ein melancholischer Gesang herüber und während sich der Abendnebel auf den Mastenwald und die Stadt herniedersenkte, erglühten über uns am dunkeln Himmel Tausende von Sternen – bekannte Bilder – süße Erinnerungen an andere schöne Nächte.


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