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23. Räubergeschichten

Der Polizei-Präsident war ein kleiner magerer Mann mit einem ernsten, dürren Gesichte, grauen stechenden Augen und einer langen Nase, mit welcher er sich übrigens viel zu thun machte. Er faßte sie häufig, zog sie bald rechts und bald links, und boshafte Spötter behaupteten, er steure damit seinen ganzen Körper, indem er immer zuerst die Nase gewaltsam in die Richtung brächte, welche er einschlagen wollte. So viel war übrigens gewiß, daß er seine Richtung oft veränderte; stand dieser würdige Beamte aber einmal stille, so drückte er sanft an seiner Nase herum, als wolle er sie sich für künftige Dienste freundlichst geneigt erhalten.

Der Baron war aufgesprungen und machte dem Chef der Polizei ein tiefes, ehrerbietiges Kompliment, dann folgte ein freundschaftlicher Händedruck, dann die Bitte, sich gnädigst niederlassen zu wollen, mit dem Versprechen, es ebenso zu machen, worauf Beide in ihre weichen Fauteuils zurücksanken, der Präsident steif, in aufrechter Haltung, nachdem er zuvor seine Nase sanft befühlt, der Baron elegant, graziös, dabei schlaff und zusammengesunken: jeder Zoll ein vollkommener Roué.

»Ich hatte einen kleinen Streit mit den Damen,« sagte er mit niedergeschlagenen Augen, »den Sie, Herr Präsident, allein im Stande sind zu schlichten.«

»Der Baron behauptet nämlich,« ergriff die Präsidentin lachend das Wort, »der junge Graf Fohrbach habe heute Morgen an uns geschrieben; es betrifft eine Wette, die dich übrigens nicht interessirt. Wir versicherten den Baron, keinen der Leute des Grafen gesehen zu haben, er aber beharrte auf dem Gegentheil und behauptete am Ende, wenn wir Nichts davon wüßten, so hast du ein Schreiben des Grafen Fohrbach erhalten.«

»Von Seiner Excellenz dem Kriegsminister?« sagte nachdenkend der Präsident, indem er seine Nase tief herabzog. – »Habe Nichts von ihm erhalten.«

»Ach Gott! nein,« entgegnete seine Gemahlin, »von dem jungen Grafen, dem Adjutanten Seiner Majestät.«

»Von dem noch viel weniger,« erwiderte der Chef der Polizei. »Worauf gründen Sie Ihre Behauptung, bester Baron?« wandte er sich an diesen, wobei er seine Nase losließ, die nun ein paar Zoll in die Höhe schnellte.

»Auf meine beiden Augen,« erwiderte der Baron; »vor einer halben Stunde sah ich die Livrée des Grafen in dieses Haus treten.«

»Ah! mein Bester, da haben Sie sich gewaltig geirrt,« sagte der Präsident; »es kam in der That ein Bedienter in Livrée in dieses Haus, aber er trug einen dunkelgrünen Rock, während die Leute des Grafen Fohrbach dunkelbraun, fast schwarz tragen.«

»Ah! – ah!« machte der Baron mit verblüfftem Tone, »dann habe ich mich gewaltig geirrt und ich bitte die Damen tausendmal um Verzeihung; dem Grafen Fohrbach habe ich in der That Unrecht gethan. Sprechen wir von was Anderem; wie gesagt, ich bitte inständigst um Verzeihung.«

»Und wer war denn eigentlich bei dir?« fragte die Präsidentin, deren Neugierde erregt war, ihren Mann, der in Nachdenken versunken schien und seine Nase auf der linken Seite kratzte.

»Das ist eine ganz eigentümliche Geschichte,« antwortete er nach einer Pause, »eine ganz sonderbare Geschichte. – Läßt sich ein Bedienter bei meinem Sekretär melden und dieser bringt ihn zu mir. Wie gesagt, dunkelgrüne Livrée – amarant aufgeputzt und gelbe Knöpfe.«

Der Baron schüttelte nachdenkend und nachsinnend den Kopf. »Dunkelgrüne Livrée,« sagte er, »amarant und goldene Knöpfe. Wissen Sie auch bestimmt, Herr Präsident, daß es dunkelgrün und nicht dunkelbraun war, wie die Leute des Grafen Fohrbach?«

»O pfui, Baron! schämen Sie sich,« versetzte lachend die Präsidentin. »Sind Sie immer noch nicht überzeugt?«

»Vollkommen, meine Gnädigste; aber ich dachte eben darüber nach, welches Haus dunkelgrün mit Amarant und Gold hat, und ich kann nicht darüber in's Klare kommen. – Der Obersthofmeister hat dunkelgrün mit Gelb; der Herzog Alfred dunkelgrün mit Blau; die Herzogin Schwester die gleiche Farbe mit Violett, und das ist Alles. – Es muß das ein ganz obskures Haus sein.«

»Das ist es auch,« erwiderte der Präsident und setzte seine Nase in Freiheit, da er mit der rechten Hand in die Rocktasche griff und daraus ein Papier hervorzog. »Die Livrée,« fuhr er fort, »die auch mir ganz unbekannt war – und das will viel sagen, denn auf der Polizei sind wir so ziemlich von allem Dem unterrichtet – gehört einem Herrn A., einem Privatmann, Rentier – was weiß ich? – kurz einem alten Herrn, der in seinem Hause vor dem E.'schen Thore wohnt.«

»Richtig!« rief der Baron, indem er sich an die Stirne klopfte, »wie kann man so vergeßlich sein! Dem alten A. gehört die Livrée, – ganz recht! ganz recht! Nun, mein lieber Herr Präsident,« setzte er mit einem vergnügten Lachen hinzu, »wenn Sie mit dem in Verbindung treten, – denn ich entnehme Ihren Worten, daß Sie ihn noch nicht kennen – so werden Sie die Bekanntschaft eines ganz närrischen und sonderbaren Kauzes machen.«

»Ei, ei!« machte der Chef des Polizeidepartements, indem er ziemlich bedächtig drein schaute.

»Ein ganz eigenthümlicher und sonderbarer Kauz,« fuhr Baron Brand fort, »ein Original.«

»So, ein Original?« fragte lebhaft die Präsidentin. »Das ist mir interessant. Wir sind wohl nie mit ihm in Berührung gekommen?«

»Gewiß nicht, meine Gnädigste,« bemerkte der Baron, nachdem er vorher mit großer Aufmerksamkeit die Glieder seiner goldenen Uhrkette geordnet, die sich etwas verdreht hatten. »Gewiß nicht; es ist das ein Mann hoch in den Sechzigen, der selten aus dem Hause geht, Gesellschaften nie besucht, auch fast gar keinen Umgang hat. Sie werden bei seiner kleinen Villa vor dem E.'schen Thor zuweilen vorbei gekommen sein; es ist das ein Gebäude ganz von dem Aussehen einer Festung en miniature, rings herum Gräben, dahinter Mauern, mit Eisen beschlagene Thore, kurz alle Apparate, um sich einen gewaltigen Feind vom Leibe zu halten.«

»Ah! das ist in der That merkwürdig,« sagte der Präsident. »Und was fürchtet der Mann in einem wohlgeordneten Polizeistaate, bei einer Gesetzgebung, die mit unnachsichtiger Strenge die Verbrecher aufsucht und bestraft? – ja, Herr Baron, ich kann Sie versichern: aufsucht und findet! Wollen Sie mir wohl glauben, daß von zwanzig Morden im vergangenen Jahre die betreffenden Thäter eingefangen wurden?«

»Mit dem größten Vergnügen glaube ich das,« erwiderte der Baron mit sanfter Stimme. »Aber als Sie die Thäter einfingen, waren die Mordthaten alle geschehen.«

»Allerdings,« sprach der Chef der Polizei mit einiger Entrüstung, »es versteht sich von selbst, daß die Frevelthaten geschehen waren; und das war an sich sehr gut, denn die Polizei muß doch, was das Einfangen anbelangt, in der Uebung bleiben.« Und bei diesen Worten ergriff er abermals seine unglückliche Nase und zog sie tief herab, wobei seine Augen so vergnüglich glänzten, als habe er eben einen Kapitalverbrecher eingefangen. »Ich denke darin wie jener berühmte englische Staatsmann, der, wie Sie wissen, sagte: wenn es im Parlament keine Opposition gäbe, so würde ich mir eine kaufen. – Und wenn es bei uns keine Diebe und Mörder gäbe, so würde ich mir à tout prix welche anschaffen, denn sie sind der Schleifstein, auf welchem der Eifer der Beamten, um mich richterlich auszudrücken, stets scharf und blank erhalten wird.«

»Ah, Papa, das sind ja schreckliche Grundsätze!« meinte Auguste, während sie den Baron von der Seite anblickte.

Dieser erwiderte lächelnd: »O, seien Sie unbesorgt, mein Fräulein, vorderhand braucht Papa dergleichen nicht zu kaufen, es gibt noch genug davon im Lande, und ist auch noch nicht Alles entdeckt, das kann ich Sie versichern; die Polizei hat immer und vollauf zu thun; nicht wahr, Herr Präsident?«

Dieser nickte ernst und bedeutsam mit dem Kopfe, worauf seine Gemahlin sagte: »Aber mit euren Räuber- und Mordgeschichten erfahren wir nimmermehr, welche Art von Original der Herr A. ist! – Baron, seien Sie so artig und erzählen Sie uns das.«

Der Herr von Brand hatte unterdessen durch verschiedene brennende Blicke mit der Tochter des Hauses scharf geplänkelt, und sein Feuer war lebhaft erwidert worden, ja er hatte schon eine kleine Pantomime riskirt, indem er seine rechte Hand sanft auf die Stelle des Herzens legte, worauf sie die Augen niederschlug, fast ein klein wenig erröthete und einen stillen Seufzer mühsam unterdrückte. Man sah das an der heftigen und dann plötzlich unterbrochenen Hebung ihres Busens.

»Ja so!« erwiderte der Baron auf die Frage der Präsidentin, indem er plötzlich aus einem tiefen Traume aufzuwachen schien, »ja so – richtig – vom Herrn A. und seinen Räubergeschichten! – Ah! Das hätte ich beinahe rein vergessen.«

»Nein, keine Räubergeschichten, bester Baron,« sagte die Präsidentin mit einem zweifelhaften Lächeln, »Sie wollten von den Sonderbarkeiten dieses Herrn erzählen.«

»Ja, darin kommen eben auch Räubergeschichten vor,« erwiderte der Baron mit einer graziösen Verbeugung.

»Ei der Tausend!« sprach aufmerksam der Präsident und ließ seine Nase wieder so hastig los, daß sie augenblicklich emporschnellte und zu schnüffeln anfing, als wittere sie arme Sünder.

»Räuber und Mörder,« fuhr Herr von Brand fort, »aber – nur in der Phantasie. Stellen Sie sich nämlich vor, meine Damen, dieser Herr A., ein reicher Kapitalist, kann nun einmal von der Idee nicht loskommen, man laure ihm den ganzen Tag auf, man wolle ihn um's Leben bringen, man wolle sein Geld rauben. Auf jedem Schritte fürchtet er Räuber und Mörder; deßhalb ist sein Haus mit Graben und Mauer umgeben und deßhalb hat dieser arme Mann bei Tag und Nacht keine ruhige Minute, er vertraut Niemand den Schlüssel zum Hof- und Hausthor an; so oft es klingelt, öffnet er selbst, und so wie es anfängt dunkel zu werden, bewaffnet er sich und seine Bedienten und macht drei- bis viermal des Nachts eine förmliche Patrouille durch das ganze Gebäude. Er hat alsdann einen Säbel umgeschnallt, ein Paar Pistolen im Gürtel stecken; sein Bedienter trägt ein Gewehr sowie eine Laterne an einer langen Stange, und so ziehen sie denn vom Keller bis hinauf auf den Söller und untersuchen jeden finsteren Winkel, jeden Riegel, jedes Schloß.«

»Ja, ja, – so, so,« machte lächelnd der Präsident; »ich glaube, mir geht ein Licht auf.«

»Es ist auffallend,« fuhr der Baron in gleichmüthigem Tone fort, »wie eine solche Furcht vor Räubern und Mördern ansteckt.«

»Doch Sie nicht?« fragte die Präsidentin.

»O meine gnädige Frau, ich für meine Person wäre beinahe zur Furchtsamkeit geneigt, aber ich kenne das Schalten und Treiben unserer vortrefflichen Polizei und bin deßhalb äußerst ruhig. – Aber nein, ich wollte Ihnen nur sagen, daß ein solches Beispiel der Furchtsamkeit auf sehr merkwürdige Art schwache Charaktere mit ergreifen kann. Als ich nämlich vor zwei Jahren hier war, bekam ich zufällig einen Bedienten, den jener Herr A. entlassen; es war dies ein ganz brauchbarer und tüchtiger Mensch, bis auf seine Furcht vor Räubern und Mördern. Darin hatte ihn das Beispiel seines früheren Herrn so verdorben, daß ich fast einen anderen Burschen gebraucht hätte, um jenem bei Tag und Nacht Gesellschaft leisten zu lassen. Sobald es dunkel wurde, scheute er sich, allein über Korridore und Treppen zu gehen. Da er aber, wie gesagt, sonst ein ordentlicher Mensch war, so nahm ich ihn über diese Lächerlichkeiten vor und versuchte es, sie ihm auszureden. – Umsonst! Sein früherer Herr hatte die Phantasie des Burschen systematisch mit Räubergeschichten vollgepfropft, wie man einen Kettenhund, um ihn schärfer zu machen, dadurch reizt, daß man von außen an's Hofthor oder an seine Hütte schlägt.«

»Und er glaubte an diese Räubergeschichten?« fragte sehr aufmerksam der Präsident.

»Vollkommen; in seiner Phantasie existirte eine ganze wohlorganisirte Räuberbande, die sollte ihren Sitz – ich weiß nicht mehr wo – haben, und von der fabelte er mir ein Langes und Breites vor.«

»Ganz dieselbe Geschichte,« sagte der Präsident, wobei er seinem Riechwerkzeuge mehrere zärtliche Nasenstieber gab.

»Ich mußte ihn entlassen,« fuhr Herr von Brand fort, ohne, wie es schien, auf jene Worte zu achten. »Er hätte mir die ganze Dienerschaft angesteckt, ja es war das ganz eigentümlich, die Räuberbande war bei diesem Menschen zur fixen Idee geworden. Wenn er mit dem Wagen vor irgend einem Laden hielt, so konnte er mir sagen, während er den Schlag öffnete: Sehen Sie, Herr Baron, hier oder dort das schlechte Gesicht; der gehört auch mit dazu.«

»Und ließen Sie sich von ihm nie einen Ort nennen, von dem er glaubte, dort könne die Räuberbande ihren Sitz haben?«

»O ja! – Und darin hatte er eine lebhafte Phantasie; da nannte er mir scheinbar verdächtig aussehende Orte und Winkel, irgend ein einsames Haus in einem stillen Stadtviertel, oder eine halb verfallene Schenke vor den Thoren. Ich weiß das nicht mehr so genau; ich habe die Details vergessen.«

Der Polizeipräsident streckte sich würdevoll in die Höhe, schaute einen Augenblick an die Decke, dann sagte er: »Ja, es ist kein Zweifel; ganz dieselbe konfuse Geschichte. – Aber es ist doch höchst merkwürdig.«

Der Baron schien die Worte des Papas gar nicht zu beachten, sondern beschäftigte sich häufig mit der Tochter, deren Sitz er durch allerhand kleine Manöver mit seinem Fauteuil Zoll um Zoll näher rückte. Bald ließ er einen Handschuh fallen, und um ihn zu erreichen, mußte er seinen kleinen Lehnstuhl ein wenig vorrollen, bald suchte er während des Sprechens ein Gemälde an der Wand aufmerksam zu betrachten, und um das thun zu können, brauchte er nur eine für seine Zwecke entschieden günstige Bewegung zu machen.

»Es scheint wohl heute einmal der Tag der Geschichten zu sein,« sagte neugierig die Präsidentin zu ihrem Gemahl. »Was ist denn das, worauf du anspielst?«

»Dasselbe, was der Baron soeben erzählte,« erwiderte der Beamte, indem er das Papier, welches er vorhin aus der Rocktasche genommen, langsam entfaltete. »Wie schon gesagt, da kommt heute Morgen ein Bedienter zu meinem Sekretär auf die Kanzlei –«

»Ah! der in der Livrée: dunkelgrün, amarant ausgeputzt mit gelben Knöpfen! – Ich vergesse so was nicht: aber Sie müssen mir zu meiner Entschuldigung eingestehen, daß sie der des Grafen Fehrbach auffallend ähnlich sieht. – – Doch verzeihen Sie, Herr Präsident,« unterbrach der Baron sich selbst, »tausendmal bitte ich um Entschuldigung; – Sie wollten eine Mittheilung machen?«

»Allerdings; dieser Bediente also läßt sich bei meinem Sekretär melden, thut anfänglich sehr, verlegen und spricht endlich von einer weitverzweigten Räuberbande in hiesiger Stadt.«

»Der Bediente des Herrn A.?« rief lachend der Baron. »Sehen Sie, meine Damen, das ist also in dem Hause noch immer dieselbe Wirtschaft, – eine wahre Manie.«

»Ich muß gestehen,« fuhr der Präsident fort, »daß sowohl mir wie meinem Sekretär diese Angabe eigentlich komisch erschien. – In hiesiger Residenz, wo wir die Zügel des Gesetzes mit Kraft und Umsicht führen, sollte sich eine Bande wohl organisirt und fast unsichtbar aufhalten können! – Lächerlich! – Aber dieser Mensch beharrte so fest und entschieden auf seiner Angabe, wollte uns so genaue Beweise vorlegen, ja machte sich anheischig, uns das Haupt jener Spitzbubenbande in die Hände zu spielen, daß es uns ordentlich stutzig machte.«

»Sehen Sie diese Phantasien!« rief lachend der Baron. »Ja wahrhaftig, man sollte diesem Herrn A. alle Dienerschaft verbieten; er macht aus den armen Teufeln komplette Narren.«

»Ja, ich glaube auch, daß es diesem Kerl nicht recht im Kopfe war; er verlangte zweitausend Gulden und dann wollte er uns den Ort, die Zeit der Zusammenkünfte, Alles auf's Bestimmteste angeben; natürlich habe ich darüber nicht zu verfügen, und müßte zuerst an die vorgesetzte Behörde berichten.«

»Was du aber jetzt nicht thun wirst,« sprach ziemlich entrüstet die Präsidentin; »man könnte ja in die Gefahr kommen, sich vollkommen ridicul zu machen.«

Der Präsident zuckte mit den Achseln. »Es wäre wahrhaftig geschehen,« sagte er, »ohne die interessanten Mittheilungen des vortrefflichen Barons; ich war eigentlich von Anfang nicht dafür, die Sache zu beachten, aber mein Sekretär meinte das Gegentheil.«

»Ueberflüssiger Diensteifer der Subalternen!« sprach wegwerfend die Präsidentin.

Der Baron zuckte beistimmend mit den Achseln.

»Er wollte ihn sogar da behalten,« fuhr der Chef der Polizei fort, »ich aber, der die Lächerlichkeit halb und halb durchschaute, begnügte mich damit, ihn seinen Namen und Wohnort auf dies Papier schreiben zu lassen und schickte ihn seiner Wege, wobei ich ihm anbefahl, er solle morgen wiederkommen.«

»Ohne mich im Geringsten in den Gang Ihrer Geschäfte mischen zu wollen,« sagte der Baron mit einer ehrerbietigen Handbewegung, »muß ich mir doch erlauben, Ihrer Handlungsweise vollkommen beizupflichten. Es würde den alten Mann draußen unsäglich alterirt haben, wenn sein Bedienter so plötzlich verschwunden wäre; es hätte seiner traurigen Phantasie von Räubern und Mördern neue Nahrung gegeben.«

»Das war auch meine Idee,« erwiderte der Präsident, »weßhalb ich glaube, Alles auf's Beste arrangirt zu haben. Hier ist das Papier, lesen Sie, Baron! Kommt der Bursche morgen wieder, so wollen wir ihm allerdings etwas genauer auf den Zahn fühlen, und sollten wir darauf hin uns weiter mit ihm einlassen, so wäre es nur, daß er neue und glaubwürdige Angaben machte.«

»Woran ich sehr zweifle«, antwortete der Baron, während er mit gleichgiltiger Miene das Papier in die Hand nahm. Doch zuckten seine Finger fast unmerklich, als er es nun öffnete. – »Ja, ja,« sagte er, »das ist die ungebildete Handschrift eines Bedienten, und die Adresse auf's Genaueste angegeben, auch beigefügt, auf welche Art man ihn benachrichtigen könne, ohne daß sein Herr etwas merkt. In der That, ich fürchte, auch der Verstand des Burschen hat etwas nothgelitten.«

»Lassen Sie das Papier sehen,« sagte die Präsidentin und streckte die Hand darnach aus.

Der Baron reichte es ihr auf die graziöseste Art, doch folgte sein blitzendes Auge scharf beobachtend allen ihren Bewegungen und seine Zähne preßten sich unwillkürlich aufeinander, als sie das Papier, nachdem sie es gelesen, zusammenknitterte und Miene machte, es in das lodernde Kaminfeuer zu werfen.

Der geneigte Leser muß schon unsern Worten glauben, daß dies ein qualvoller Moment für den Herrn von Brand war. Obgleich sein Gesicht die größte Gleichgiltigkeit affektirte, so wagte er doch kaum zu athmen und fühlte sich in die größte Spannung versetzt; glücklicherweise aber hielt Auguste die Hand ihrer Mutter auf, entnahm ihr das Papier und faltete es langsam auseinander, um es ebenfalls zu lesen. Hiebei durfte der Baron ungezwungen ihre kleinen weißen Hände betrachten, die das unglückselige Blatt hielten, sowie dem Lauf ihrer Augen folgen, welche die harten Schriftzüge durchliefen. Nachdem sie gelesen, knitterte sie das Papier ebenfalls zusammen, warf es aber nicht in den Kamin, sondern ließ es achtungslos neben sich auf den Teppich fallen.

Der Baron blickte mit gierigem Auge darauf hin, indem er mit Sehnsucht auf eine glückliche Gelegenheit lauerte, den kleinen Knäuel an sich zu bringen. Doch ließ sich dies nicht leicht ohne Aufsehen thun, er hätte zwischen Vater und Mutter hindurch schlüpfen oder es sich noch einmal zur Ansicht reichen lassen müssen; und dies gab seine Klugheit nicht zu.

Unterdessen hatte sich auch sein Besuch über die gewöhnliche Zeit ausgedehnt und er mußte fürchten, dem Präsidenten beschwerlich zu fallen. Indessen half ihm sein gutes Glück über diese Klippe hinweg.

»Sie werden mir verzeihen,« sagte nämlich der alte Herr, »daß ich Sie verlassen muß, aber meine Geschäfte rufen mich in die Kanzlei. Es ist meine Stunde, wo ich den Rapport der verschiedenen Polizeikommissäre empfange; bleiben Sie aber ruhig bei den Damen. Ich glaube nicht, daß ihr etwas Besonderes vorhabt.« – Dabei sah der Chef der Polizei seine Frau an, und der Baron warf auf Auguste einen der glühendsten Blicke, den er aufwenden konnte, worauf beide wie aus einem Munde sagten, daß sie sich außerordentlich geschmeichelt fühlten, wenn der liebenswürdige Freund des Hauses sie noch einige Zeit so vortrefflich unterhalten wolle wie bisher.

Der Präsident erhob sich ernst und würdevoll, seine Finger glitten von der Nase herab, als er seine Hand dem Baron zum Abschied reichte.

Dieser sprang elastisch in die Höhe, versicherte, er verdanke dem Präsidenten eine angenehme Morgenstunde, werde aber nächstens um dieselbe Zeit wiederkommen, – »wenn es mir nämlich,« setzte er hinzu, »einmal erlaubt wäre, höchst indiskret zu sein.«

Der Präsident sah ihn fragend an.

»Es ist kindisch, was ich da sage,« fuhr der Baron lachend fort. »Aber es würde mich auf's Höchste interessiren, wenn es mir vergönnt wäre, einmal so einem Polizeirapporte beizuwohnen. Da müssen doch ganz merkwürdige und seltsame Dinge zu Tage kommen.«

»Gewiß,« versetzte der Chef der Polizei, »dieser Rapport ist zuweilen sehr interessant; man könnte ganze Romane daraus zusammenstellen. Wenn Sie in der That einmal anwohnen wollen, so soll es mir ein großes Vergnügen machen. – Ich werde Sie alsdann den Beamten,« setzte er lächelnd hinzu, »als einen neuen geheimen Sekretär vorstellen.«

»Zu viel Ehre und Glück für mich, Herr Präsident,« erwiderte der Baron. Doch wenn er auch die Worte an den Papa richtete, so sah er doch dabei die Tochter mit einem innigen Blicke an. – »Aber ich halte Sie beim Wort; nächstens wird sich Ihr geheimer Sekretär bei Ihnen melden.«

»Abgemacht!« sprach der Präsident mit freundlicher Geberde, aber einem ziemlich steifen Kopfnicken und verließ dann den Salon.

 


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