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12. Johann Christian Blaffer und Comp

Der würdige Mann, der diese Firma repräsentirte, saß bei seinem Frühstückstisch und hatte eine Menge Druckpapiere aller Art: Zeitungen, Broschüren, Korrekturbogen und dergleichen neben sich liegen; er stöberte emsig darin herum, hatte aber die Gewohnheit, alle paar Minuten über das Blatt, das er gerade in der Hand hatte, hinwegzusehen und einen Blick in das Nebenzimmer zu werfen, dessen Thüre halb geöffnet war. Meistens blieb es aber nicht bei diesem Sehen, denn sehr häufig räusperte sich Herr Blaffer sehr laut oder er spuckte auf die Seite und rief alsdann mit heiserem, schnarrendem Tone: »Herr Beil! – Herr Beil! – ich glaube nicht, daß ich Sie auf meinem Comptoir angestellt habe, um Decke und Wände zu betrachten. Sie thäten weit besser, Herr, wenn Sie sich um Ihr Buch bekümmerten oder die Bestellzettel sortirten. Was Teufel haben Sie denn immer an die Decke zu schauen?«

»Es ist eine Art Naturwunder, Herr Blaffer, was meine Aufmerksamkeit zufällig in Anspruch nimmt,« antwortete eine tiefe Baßstimme.

»Ich huste in Ihr Naturwunder!« tief entrüstet der Prinzipal und führte das auch wirklich aus; nur bediente er sich des Spucknapfes dazu.

»Eine Fliege, Herr Blaffer,« fuhr die Baßstimme fort, »im Monat Dezember eine lustige Fliege; sie spazierte soeben an den Wänden und an der Decke umher. Es wäre mir von Wichtigkeit, zu ergründen, ob diese Fliege ein übrig gebliebener Familienvater vom vorigen Jahre oder ob sie ein zufällig neu geschaffenes Geschöpf ist. Ich möchte eine Abhandlung darüber schreiben, vielleicht könnten wir sie selbst verlegen.«

»Sie sind ein Narr!« entgegnete ärgerlich der Prinzipal, indem er emsig in einer Zeitung blätterte; in Wahrheit blickte er aber schärfer als je in das Nebenzimmer.

Es war dies das eigentliche Comptoir, ein Zimmer wie viele der Art, mit weißgetünchten Wänden, an welchen ein Posttarif und ein paar Landkarten hingen, mit einem eisernen Ofen, einem großen doppelten, zweisitzigen Schreibpult und einem Bücherschrank, worin sich die Werke befanden, die Herr Blaffer verlegt oder von seinen Freunden zum Geschenk erhalten hatte.

An dem Ende des Schreibpultes saß Herr Beil, ein Mann von einer merkwürdigen Persönlichkeit. Er war klein, engbrüstig, und sah bis zum Halse, von unten an gerechnet, etwas verwahrlost aus; aber auf diesem Halse, der ziemlich lang war, befand sich ein Kopf, der wohl zu dem tiefen Basse der Stimme, aber durchaus nicht zum Körper des Mannes paßte. Dieses lange Gesicht, die breite Stirne, dieses schwarze Haupthaar und der wohlgepflegte Husarenbart hätten einem sechsfüßigen Untergestell alle Ehre gemacht, während das Alles zusammen hier ziemlich lächerlich aussah. Herr Beil war dabei ärmlich gekleidet und schien durchaus keine Vorliebe für weiße Wäsche zu haben; unter dem alten blauen Ueberrocke sah man eine graue Weste, welche so fest an die hohe schwarze Merinohalsbinde anschloß, daß man auf die Vermuthung kam, sie sei oben angenäht, was wohl auch der Fall sein mochte. Dieses unvortheilhafte Aeußere war ihm, obgleich er kein schlechter Arbeiter war, schon oftmals bei Erlangung guter Stellen hinderlich gewesen, und er mußte sich daher mit sehr mittelmäßigen begnügen, was einer der Gründe war, weßhalb er sich denn auch jetzt hier auf dem Comptoir des Herrn Blaffer befand. Da ihm aber die Beibehaltung seiner Kondition nicht besonders am Herzen lag, er auch wohl wußte, daß der Prinzipal für das wenige Geld, was er ihm gab, nicht leicht einen anderen Arbeiter bekomme, so nahm er sich, wie wir bereits vorhin gesehen, hie und da einige Freiheiten heraus, wofür er ein dankbares Publikum an dem Lehrling des Geschäfts hatte, der, den Prinzipal sehr fürchtend, sich außerordentlich darüber freute, wenn der Andere demselben ein paar passende Worte sagte.

Besagter Lehrling war ein blasser blonder Mensch mit einem immerwährenden, halb blödsinnigen Lächeln auf den Lippen, der, wie wir später genauer erfahren werden, bei dem Herrn Blaffer im Hause wohnte und in seinen Freistunden Dienste verrichten mußte, die gerade nicht mit dem Buchhandel und der Literatur zusammenhängen.

Herr Beil warf einen durchdringenden Blick auf den Lehrling und zeigte ihm die bewußte Fliege, die in der That, aber ziemlich matt, an der Decke umher spazierte, rückte hierauf das große Buch vor sich hin und fing an einzutragen.

Der Prinzipal trat in diesem Augenblicke in das Comptoir.

Er war ein magerer, ziemlich großer Mann in den Vierzigen; ging etwas vornübergebeugt und liebte es, die Hände auf dem Rücken zu halten. Seine Kleidung, ziemlich alt, abgeschabt und nicht gewählt, bestand aus einem blauen Frack, dessen spitze Schöße hinten übereinander gingen, aus einer grauen Hose, die, eng anliegend, die Mode der weiten Beinkleider glücklich überdauert hatte, und nun wieder elegant geworden wäre, wenn sich nicht die Schwächen des Alters an den Knieen sehr bemerkbar gemacht hätten. Herr Blaffer trug ziemlich große Schlappschuhe, und um dieselben nicht von den Füßen zu verlieren, hatte er sich einen Schlittschuhgang angewöhnt, vermittelst dessen er nun, die lange dürre Nase und das spitze Kinn emporgehoben, die gebogenen Knie vorgestreckt, in dem Zimmer auf und ab fuhr. Dabei hatte sich dieser Mann ein unangenehmes Gesichterschneiden angewöhnt, indem er das linke Auge zukniff und den Mund höhnisch verzog. Dies that er namentlich, wenn er sich in einer Gemüthsaufregung befand, was bei seinem giftigen reizbaren Temperament häufig genug vorkam.

Nachdem Herr Blaffer einige Male im Comptoir auf- und abgefahren war, blieb er mit einer plötzlichen Wendung vor dem Lehrling stehen, schlug ihn leicht an den Kopf und sagte: »Sie sind ein junger verschwenderischer Taugenichts. Meinen Sie denn, das Makulatur hätte kein Geld gekostet, daß Sie mit Ihren Füßen darauf herum trampeln?«

»Da haben Sie Recht, Herr Blaffer,« versetzte der Commis, indem er geräuschvoll ein Blatt umwandte, »Makulatur ist eine theure Geschichte, namentlich die, womit er gerade einpackt.«

»Ich habe Sie nicht um Ihre Ansichten gefragt,« antwortete entrüstet der Prinzipal, während er sein Gesicht auf die oben beschriebene Art verzog.

»Es ist die Geschichte des türkischen Reiches,« fuhr der Andere mit lauter Stimme fort, »die vor vier Jahren gedruckt wurde, und von welcher nach der ersten Ostermesse ein Exemplar mehr zurückkehrte, als fortgeschickt worden. – Ja, ja, so ist's, und Sie machten mir von diesem merkwürdigen Buch ein Exemplar zum Geschenk, das dient mir von da ab jede Nacht zum Einschlafen. – Ein schönes Werk! – Pagina sechsunddreißig – Rostbraten und Comp. – sechs Exemplare: keine Hühneraugen mehr! – 1850, bei Johann Christian Blaffer.« –

Die letzten Worte sprach Herr Beil mit großer Gemütlichkeit, während er dabei das eben Bemerkte eintrug.

Der Prinzipal hatte anfangs Lust, sich ernstlich zu ärgern; da er aber seinen Untergebenen kannte, so begnügte er sich damit, die Arme übereinander zu schlagen, seinen Commis mit einem festen Blick anzusehen und zu sagen: »Herr Beil, werden Sie denn eigentlich nie vernünftig werden? – Es ist wahrhaftig schade, daß ein Mensch von einigen wirklich guten Anlagen durch seine ewigen Faseleien nie auf einen grünen Zweig kommt.«

»Da haben Sie wieder einmal Recht,« antwortete der Commis scheinbar mit großem Ernste. »Ich bin fürchterlich heruntergekommen, wie gesagt – 1850, bei Johann Christian Blaffer. – Es ist ganz entsetzlich!«

Der Prinzipal hatte keine Antwort erwartet, sondern sich in das Postpacket vertieft, das am frühen Morgen gekommen war, dann sah er nochmals die Bestellzettel durch, bald mit einem Lächeln auf den Lippen, bald mit einem finsteren Stirnrunzeln.

Letzteres trat aber häufiger ein als ersteres, denn da Herr Blaffer zugleich ein Kommissionsgeschäft hatte, so gehörten die dickleibigen Postpackete, welche jeden Montag und Donnerstag kamen, zum größten Theile seinen glücklicheren Kollegen, und ihm selbst blieb nur äußerst wenig; und noch dazu meistens Artikel, die sich schlecht ausnahmen gegen die schweren Zahlen, die hinter andern Werken prangten.

»Bah! bah!« machte der Buchhändler zuweilen und warf irgend einen Zettel mit geringschätzender Miene auf den Tisch. – »Was das deutsche Publikum nach und nach verwildert!« sagte er dann seufzend, »es ist fabelhaft. Nichts als Schund, Schund und wieder Schund! – Das zieht! – Die schönsten Uebersetzungen gehen nicht mehr und die besten deutschen Originalwerke, für die der Verleger Zeit und Kosten aufgewendet, bleiben schmachvoll liegen. Pfui Teufel! – Die besten, besten Werke!«

»Vierhundert Mittel gegen die Engbrüstigkeit und den Husten,« sprach Herr Beil, indem er seine Feder tiefer als gewöhnlich in's Tintenfaß tauchte. – »Gestatten Sie davon Disponenda?« fragte er den Prinzipal, indem er sein linkes Auge, welches Herr Blaffer nicht sehen konnte, gegen den Lehrling auf eine bedeutungsvolle Art zukniff, so daß dieser harmlose junge Mensch beinahe laut aufgelacht hätte.

Herr Blaffer legte nach einer kleinen Weile das Postpacket seufzend nieder und versetzte: »Wenn Onkel Tom nicht wäre, oder ein paar gangbare Dumas'sche Romane, so sollte mich der Teufel holen, wenn ich noch länger deutscher Buchhändler bliebe. Da haben wir vierzig anständige Bestellungen auf die Hütte; nehmen Sie und lassen Sie solche gut versenden.« – Damit reichte er ein Packet über den Pult hinüber. – »Ich hätte, weiß Gott, nie gedacht,« fuhr er nach einer Pause mit einem grinsenden Lachen fort, »daß der Sklavenhandel so ergiebig wäre. Es ist doch was Schönes darum, wenn man so jeden Posttag seine vierzig Schwarze verhandelt!«

»Ja, ja,« entgegnete der Commis wie tiefsinnig, »dazu haben Sie auch alles Zeug, Herr Blaffer; Sie haben eigentlich Ihre Bestimmung verfehlt.«

»Und welche Bestimmung, Herr Beil, wenn ich fragen darf?«

»Sie hätten Ihren Papa seliger bitten sollen, daß er Sie in irgend einem Sklavenlande geboren werden ließ, da würden Sie mit der Zeit ganz artige Beiträge zu einer zweiten Ausgabe irgend einer Onkel Tom's Hütte geliefert haben.«

Der Prinzipal begnügte sich, die Achseln zu zucken und dann mit der Hand an seine Stirn zu fahren, als wollte er auf solche Art pantomimisch anzeigen, wo die schwache Seite seines Commis eigentlich zu finden sei.

Herr Beil stöberte unterdessen eifrig in den Bestellzetteln und sortirte unter den vierzig, die ihm übergeben worden, mit sichtlichem Wohlbehagen einige zehn heraus, welche er lächelnd über den Pult zurückschob, indem er sagte: »Sie haben sich ein wenig geirrt, Herr Blaffer; auf diesen Zetteln werden allerdings Onkel Tom's Hütten verlangt, aber von anderen Firmen.«

Der Buchhändler, der unterdessen das Bestellbuch eifrig durchgesehen, würdigte diese Einwendung gar keiner Antwort, sondern schob die Zettel mit der Hand wieder zurück und versetzte anscheinend ruhig und bestimmt: »Wenn ich Ihnen Zettel zur Auslieferung übergebe, so liefern Sie aus und machen mir weiter keine unnützen Bemerkungen, denn – –«

Da der Prinzipal seinen Satz nicht beendigte, so hielt sich der Commis hiezu verpflichtet und sagte: »Ich bin der Herr und ihr seid die Sklaven. – Also vierzig Onkel Tom's Hütte, erster Theil. – Gut!«

In diesem Augenblicke wurde leise und bescheiden an die Thüre geklopft.

Der Buchhändler, der dies wohl hörte, that übrigens nicht, als ob ihn das Klopfen im Geringsten anginge, Herr Beil ebensowenig, obgleich er einen Augenblick in die Höhe schaute. Nur der harmlose Lehrling, der sich am nächsten bei der Thüre befand, wandte das Gesicht herum und rief von »Herein!« die erste Silbe, die zweite aber blieb ihm in der Kehle stecken, denn er erinnerte sich augenblicklich eines Verbots des Prinzipals, nicht »Herein!« zu rufen, bis ein zwei- oder dreimaliges Klopfen erfolgt sei.

Herr Blaffer hatte dafür seine guten Gründe und er pflegte zu sagen: wer zwei- oder dreimal klopft, der verlangt selten was von uns, wer aber einmal und so bescheiden anpocht, ist größtentheils ein Bettler oder unbekannter Schriftsteller.

»Habe ich Ihnen nicht schon hundertmal gesagt,« lispelte der Prinzipal mit gedämpfter Stimme, aber trotzdem sehr eindrucksvoll, »daß Sie Ihr Maul halten sollen, wenn angeklopft wird! Wie können Sie überhaupt ›Herein!‹ rufen? – Wer will zu Ihnen? – Niemand! –«

»Junger Sklave!« ergänzte Herr Beil, wobei er aufmerksam eine Illustration zum bewußten Buche anschaute, als gälte dieser der besagte Ausruf.

Indessen klopfte es zum zweiten Male und etwas lauter.

Auch diesmal gab der Buchhändler keine Antwort; doch wurde der erste Commis von einem gewaltigen Husten überfallen, der ihm einen bösen Blick des Chefs eintrug und worauf sich dieser denn nun veranlaßt sah, sein gastliches »Herein!« erschallen zu lassen.

Die Thüre öffnete sich und der alte Mann trat herein, den wir vom Kirchhofe, vom Grabe seiner Tochter, hierher begleiteten und dem wir vorausgeeilt sind.

Begreiflicherweise hatte er seinen Hut schon draußen abgenommen, und als er nun so demüthig an der Thüre stehen blieb, strich er verlegen sein weißes Haar von der Stirne zurück, begrüßte den Prinzipal, den Commis und sogar den Lehrling.

»Ah! Herr Staiger!« sagte der Prinzipal, indem er ihn mit einer Handbewegung begrüßte. »Setzen Sie sich einen Augenblick dort auf die Kiste, ich muß hier eben einen wichtigen Artikel in der Buchhändlerzeitung durchlesen, der auch auf Sie einige Beziehung hat.«

Bei diesen Worten warf Herr Blaffer einen schnellen Blick auf seinen Commis, doch war Herr Beil anscheinend gänzlich vertieft in die Beschauung seiner Zettel.

Der alte Mann ließ sich auf die Kiste nieder, nahm seinen Hut zwischen die Kniee und richtete die hellen, klaren Augen auf den Buchhändler, welcher übrigens nicht geneigt schien, diesen offenen Blick zu erwidern.

»Ja,« fuhr Herr Blaffer fort, indem er mit seinem knöchernen Zeigefinger der rechten Hand über die Zeitung fuhr und Etwas zu suchen schien, »hier steht's. – Richtig! Onkel Tom's Hütte bei Johann Christian Blaffer. – Geben Sie Achtung, ich muß es Ihnen vorlesen, obgleich es nicht gerade sehr angenehm klingt. – Von dieser neuen Uebersetzung, der vierundvierzigsten in hiesiger Stadt und, wenn wir nicht irren, der sechshundertsten im gesamten Deutschland, tritt uns als Uebersetzer ein ganz obscurer Name entgegen. – Wer ist dieser Herr Staiger, der u. s. w. – – Man muß indessen nicht zu viel auf Recensionen geben,« sagte Herr Blaffer, indem sein Blick das Zeitungsblatt verließ. »Wissen Sie, der Beurtheiler macht eigentlich mir allein den Vorwurf; ich hätte mir sollen einen bekannten Namen erwerben, um ihn auf den Titel zu setzen, wissen Sie, einen Doktor so und so. Es hat ja deren genug, vollkommen genug, die außerordentlich zufrieden sind, wenn man ihnen Veranlassung gibt, ein anständiges Honorar zu erwerben.«

Bei diesen Worten sah der alte Mann schmerzlich in die Höhe.

»Dann spricht der Artikel ferner,« fuhr Herr Blaffer fort, »von mangelhaften Stellen in der Uebersetzung, und vor allen Dingen beklagt er sich über die Langsamkeit, mit der die einzelnen Lieferungen bei mir erscheinen. – Und das muß wahr sein, Herr Staiger, langsam geht die Geschichte vorwärts. An dem wievielsten Hefte sind wir eigentlich?«

»Am vierten,« entgegnete ruhig Herr Beil, »während vierundzwanzig andere Buchhandlungen hiesiger Stadt das zweite kaum ausgegeben haben.«

»Die zweite Lieferung!« rief Blaffer mit einem wahren Giftblick auf seinen Gehilfen. »Den zweiten Band wollen Sie sagen. – Doch das ist gleichviel. Sie müssen sich wahrhaftig beeilen, mein lieber Herr Staiger, sonst kommen uns die anderen weit zuvor.«

»Ich arbeite Tag und Nacht,« erwiderte der alte Mann, »denn es ist mir selbst darum zu thun, Etwas für mich und die Kinder zu verdienen. Hier ist Manuskript zur fünften Lieferung; sie wäre schon ganz fertig, doch habe ich in den letzten Tagen einiges Herzeleid zu Haus gehabt, was mich am Arbeiten verhinderte. Wenn man ein sterbendes Kind vor sich sieht, Herr Blaffer, so will es einmal so gar nicht recht vor sich gehen mit der Uebersetzung des Sklavenlebens eines anderen Welttheils.«

»Es ist Ihnen ein Kind gestorben?« fragte teilnehmend der Commis. »Doch nicht Mamsell Clara?«

»Nein, nein!« entgegnete eifrig der alte Mann; »das hat der liebe Gott denn doch nicht gewollt. Mein kleinstes Mädchen starb, ein armes Kind, das immer kränklich war.«

»Nun, so danken Sie dem Schöpfer, daß er sie zu sich genommen. Kinder sind ein Segen, aber auch eine Last. – Nun geben Sie Ihr Manuskript her. – Aber da fehlen noch zwei Bogen, bis die Lieferung fertig ist. Ah! ich wollte, wir hätten sie ganz!«

»Das wollte ich auch,« sprach Herr Staiger mit einem verlegenen Lächeln, indem er den Hut zwischen den Händen herumdrehte und von der Kiste aufstand. – »Das wollte ich in der That auch, mein verehrter Herr Blaffer, denn sehen Sie, ich hatte darauf gerechnet, die fünfte Lieferung heute Früh noch zu beendigen, – es ist Mitte des Monats, das bischen Einkommen meiner Tochter Clara ist längst verbraucht, die kleine Leiche hat meine Kasse in Anspruch genommen, und so wäre ich denn außerordentlich glücklich und zufrieden, wenn die fünfte Lieferung fertig wäre, um – um – das Geld dafür – –«

»Auch ich wäre sehr zufrieden, wenn die fünfte Lieferung fertig wäre,« unterbrach ihn rasch der Buchhändler. »Es ist sehr traurig, daß sie nicht fertig ist. Da wartet das Publikum, da wird man hinausgeschoben, da kommt man mit dem Buch in's neue Jahr hinein, und da muß man mit der Heimbezahlung warten, daß Einem Hören und Sehen vergeht. – Ah! ihr Schriftsteller seid glücklich gegen uns zu nennen: hier das Manuskript, hier das Geld. Aber wissen Sie, wie lange ich warten muß, wie lange sich der Buchhändler überhaupt gedulden muß?«

»Nein, ich weiß es nicht,« sagte geduldig der alte Mann.

»Oft zwei Jahre,« fuhr der Buchhändler mit lauter Stimme fort und betonte die »zwei Jahre« außerordentlich stark. »Zwei volle Jahre! Ja, das ist entsetzlich!«

»Alsdann nehmen Sie aber auch große Summen ein,« entgegnete Herr Staiger. »Aber hier handelt es sich nur um ein paar Gulden, die ich in zwei, höchstens drei Tagen wieder abgearbeitet habe, um eine Kleinigkeit als – – – Vorschuß.«

»Kommen Sie einem Buchhändler nicht mit Vorschüssen!« rief entrüstet Herr Blaffer. »Diese Vorschüsse bringen doppelten Schaden. Erstens kosten sie uns Geld, das man noch nicht einmal schuldig ist, also verlieren wir Zins, und zweitens entfremden sie den Autor dem Verleger. Nur um Gotteswillen keine Vorschüsse!«

»Aber bei dem wirklich kleinen Honorar, welches Sie mir zahlen,« erlaubte sich der alte Mann mit großer Aengstlichkeit zu sagen, »könnten Sie mir wohl für einmal diesen Gefallen thun. Ich brauche nur vier Gulden.«

»Kleines Honorar!« rief entrüstet der Buchhändler. »Ich bitte Sie um Gotteswillen, Herr Staiger, Sie erhalten für den Druckbogen, glaube ich, einen Gulden und dreißig Kreuzer, und das nennen Sie ein kleines Honorar! – Wer schrieb uns doch gestern,« wandte sich Herr Blaffer an seinen Commis, »und bot uns eine Übersetzung zu einem Gulden und zwölf Kreuzern per Bogen an? – Es war sogar ein bekannter Name. – War es nicht Doktor Hintermaier? – Soll ich Ihnen den Brief zeigen?« fragte er rasch den alten Mann. – »Beil, sehen Sie in H. nach und suchen Sie nach dem letzten Schreiben von Doktor Hintermaier.«

»Da werde ich vergebens suchen,« erwiderte ruhig der Commis, »das ist einer von den Briefen, die Sie angeblich in Ihrer Privatsammlung aufzuheben pflegen.«

»Möglich! möglich!« unterbrach ihn rasch der Prinzipal, denn er fürchtete noch Unangenehmeres zu hören, »ich werde ihn wohl in der Tasche meines Ueberrocks haben. – Nun, es ist ja gleichviel! Aber ich versichere Sie: den Bogen zu einem Gulden und zwölf Kreuzern.«

Herr Staiger schüttelte den Kopf und entgegnete gedankenvoll: »Das kann nicht mit redlichen Dingen zugehen; da müßte man von andern Uebersetzungen abschreiben.«

»Ja, das ist auch eine Kunst,« versetzte der Buchhändler, indem er mit dem Daumen und Zeigefinger seine lange Nase zwickte. »Das ist nicht so ganz schlecht, aus drei Uebersetzungen eine vierte machen. Wenn man es geschickt anfängt, merkt's das Publikum nicht und der Verleger erspart sein theures Geld. – Aber das kann ich Sie versichern, mein lieber Herr Staiger: von Vorschüssen müssen Sie mir nicht sprechen. Vorschüsse bewillige ich selten, und nie bei Artikeln, an denen man so wenig verdient, wie bei diesem unglückseligen Buche.«

Der Buchhändler hatte sich ordentlich in die Hitze hineingesprochen und seine Rede klang um so überzeugter, als er auf dem Gesichte seines ersten Commis zu lesen glaubte, daß dieser mit ihm übereinstimme, was äußerst selten geschah.

Herr Beil hatte die Augenbrauen in die Höhe gezogen, den Kopf nachdenkend auf die Seite geneigt und sagte nach einer Pause mit der größten Ruhe und Ueberzeugung: »Sehen Sie, mein verehrter Herr Staiger, diesmal ist der Herr Blaffer vollkommen in seinem Recht. Sie wünschen einen Vorschuß – zu welchem Zwecke? Wahrscheinlich, um Holz zu kaufen, weil es Sie und Ihre kleinen Kinder zu Hause friert; ferner um Brod zu kaufen, weil es Ihre Familie hungert; dann endlich, um die Kosten des kleinen Begräbnisses zu bezahlen, weil dies, namentlich für arme Leute ein theurer Spaß ist – – Ernst wollte ich eigentlich sagen. Dazu also wollen Sie Vorschuß? – Habe ich nicht Recht?«

Der alte Mann nickte traurig lächelnd mit dem Kopfe.

»Aber der Herr Blaffer verweigert Ihnen diesen Vorschuß, obgleich es nur ein paar armselige lumpige Gulden sind. Und der Herr Blaffer, obgleich ein sehr ehrenwerther Mann wie der selige Brutus, kann nicht anders handeln. Sie sollen für ihn ein Buch übersetzen, das von allerlei großen und kleinen Leiden einer Menschenklasse handelt, die man Sklaven nennt. Darin kommen Hunger, Durst, frierende, auch sterbende Kinder und dergleichen schöne Sachen mehr vor. Das aber mit dem richtigen Tone wieder zu erzählen, würde Ihnen schwer fallen, wenn Ihnen nicht die große Güte des Herrn Blaffer Veranlassung gäbe, all' diese schönen Dinge bei sich selbst zu erleben. Sehen Sie, nur aus dem Grunde verweigert er Ihnen den Vorschuß. – Sie frieren zu Haus, Sie hungern auch ein klein wenig, Ihre Kinder ebenfalls, und Alles das macht Sie geschickt, die vortrefflichste Übersetzung zu liefern für das bekannte Haus Johann Christian Blaffer und Compagnie.«

Damit schlug Herr Beil dröhnend sein Buch zu, rutschte von dem Comptoirstuhl herab und verließ das Zimmer, nachdem er zuvor vor einem armseligen Spiegel in der Ecke seinen großen schwarzen Schnurrbart so horizontal als möglich nach beiden Seiten hinausgestrichen.

Der Buchhändler hatte anfangs nicht gewußt, was die Rede seines Commis bedeuten solle. Ja, sie war ihm zuerst sehr gutmeinend vorgekommen, und er hatte sie mit einem beistimmenden Kopfnicken begleitet. Bald aber hörte dieses Kopfnicken auf, die Nase hob sich drohend und immer drohender, sein aschgraues Auge blitzte und die zuckenden Finger suchten nach irgend etwas Schwerem, um es seinem Gegenüber an den Kopf zu werfen. Doch bezwang er sich männlich, that einen tiefen Athemzug, und indem er mit der einen Hand verächtlich auf Herrn Beil zeigte, wie er noch vor dem Spiegel stand, wiederholte er mit der andern die Pantomime von vorhin nach der Stirne.

Während jener Rede hatte der alte Mann auf seinen Hut geblickt und den Commis nur ein einziges Mal angesehen. Aber dieser Blick, den er ihm zuwarf, war freundlich und dankend. Er schien auch jetzt vollkommen resignirt zu sein und zog sich nach der Thüre zurück, um das Zimmer zu verlassen, als dieselbe nach einem kurzen aber heftigen Anklopfen von außen so rasch geöffnet wurde, daß sie Herrn Staiger beinahe auf die Seite drückte.

 


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