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10. Herr von Dankwart

Fast zu gleicher Zeit öffnete sich die Thüre und der alte Kammerdiener trat herein, gefolgt von einem Lakaien, der auf einem großen Präsentirteller das Theeservice hereinbrachte, einen Tisch in die Nähe des Kamins stellte und auf demselben Geschirr und Tassen zu ordnen begann, dazu Butter und Brod, etwas kaltes Geflügel und eine einzige Flasche Champagner. Er war mit diesem Arrangement noch nicht zu Ende, als der Bediente, der das Service gebracht und sich wieder entfernt hatte, abermals in das Zimmer schlich und dem alten Manne einige Worte in das Ohr flüsterte.

Dieser richtete sich in die Höhe, dachte einen Augenblick nach, schüttelte leicht mit dem Kopfe und ging zu dem Grafen hin, dem er meldete: »Herr Baron von Dankwart sind draußen und lassen fragen, ob der Herr Graf zu Hause seien.«

»Nein,« antwortete dieser ganz ruhig, indem er die Achseln zuckte. »Ich bin für den Herrn von Dankwart selbst am Tage nicht zu Haus; er soll mich in der Nacht ungeschoren lassen!«

Der Kammerdiener blickte auf den Bedienten, dieser zog mit einem sehr verlegenen Gesicht die Achseln in die Höhe, worauf der alte Mann zu seinem Herrn sagte: »Er hat die zweite Klingel gezogen, weßhalb ihm der Portier sogleich geöffnet.«

»Woher weiß er, beim Teufel! daß an meinem Hause zwei Klingeln sind? Für ihn ist nur die einzige da!«

In diesem Augenblicke schien der Vorhang, der im äußeren Zimmer hing, sich leicht zu bewegen. Der Bediente hustete verlegen, näherte sich seinem Herrn auf einige Schritte, und sagte mit vorgestrecktem Halse zu ihm: »Euer Erlaucht wollen gnädigst verzeihen, aber der Herr Baron von Dankwart sind bereits draußen im Salon.«

Graf Fohrbach, der ebenfalls ganz genau gesehen, daß bei der Thüre sich Etwas bewege, blickte scheinbar nachsinnend zur Decke empor und rief dann mit so lauter Stimme, daß man ihn nothwendig draußen hören mußte: »Ah! das kann nur ein Irrthum sein: Baron von Dankwart kenne ich gar nicht: es gibt keinen Baron dieses Namens hier. – Nicht wahr?« wandte er sich an den Assessor.

»Ich kenne auch keinen Baron dieses Namens,« entgegnete der Gefragte mit vollen Backen, denn er hatte eben angefangen, dem kleinen Goutté zuzusprechen.

»Ah! welch' vortreffliche Spässe!« ließ sich eine laute Stimme im Hinterhalt vernehmen, während ein kleiner Mann zwischen den Vorhängen der Thüre sichtbar wurde, der sich die Gesellschaft schalkhaft lachend betrachtete und sich mit außerordentlicher Beweglichkeit und etwas gespreiztem Wesen derselben näherte. Ein paar Mal schaute der kleine Mann mit vieler Wichtigkeit rechts und links, und seine Hände zuckten beständig, als wolle er sie einer Menge unsichtbarer Bekannten zum Schütteln darreichen, – ein Manöver, das er nun, am Kamin angekommen, dort ebenfalls genau auszuführen trachtete, ohne aber großen Anklang zu finden.

Der Graf hatte sich einer Tasse Thee bemächtigt, die er mit einer Hand hielt, während er in der andern die Cigarre hatte. – »Ah! Sie sind's, bester Herr von Dankwart?« sprach er scheinbar erstaunt. »Die Bedienten sprechen alle Namen so furchtbar ungeschickt aus; aber Sie werden verzeihen, daß ich Ihnen meine Hand nicht reichen kann, ich müßte sonst die Tasse oder Cigarre fallen lassen.«

Der kleine Mann, der seine gelben Glacéhandschuhe schon zu dem erwähnten Zwecke emporgehoben hatte, kam durchaus nicht aus dem Gleichgewicht; er hob seine Finger etwas höher, um dem Grafen sanft auf die Schulter zu klopfen, und sagte lachend: »Wie dieser gute Graf so ungeheuer bequem ist! Nun, unter Bekannten nimmt man's nicht so genau.« Hierauf sah er forschend im Zimmer umher, rief dem Major einen guten Abend zu, grüßte den Assessor vertraulich, und stieß den Baron von Brand, der am Tische beschäftigt war und ihm deßhalb den Rücken drehte, sanft mit dem Finger in die Seite, worauf dieser, ohne umzuschauen, einfach mit dem Kopfe nickte, und dabei sagte: »Ah! Herr von Dankwart, so spät noch? – Es freut mich, Sie zu sehen.«

»Das ist in der That ein possierlicher Herr!« erwiderte laut lachend der kleine Mann; »dieser theure Baron von Brand behauptet, mich zu sehen und dreht mir den Rücken; das ist außerordentlich komisch!« Alsdann legte er seinen Hut auf eine Chaiselongue, sah sehr freundlich aber nicht ohne Wichtigkeit nochmals im Kreise umher, aber natürlicherweise, ohne den Maler zu bemerken, der ihm am nächsten saß, und ließ sich dann mit einem leichten Seufzer in den neben ihm stehenden Fauteuil hineinfallen.

Der Graf konnte nicht umhin, Arthur dem eben Angekommenen vorzustellen. »Herr Arthur, ein junger talentvoller Maler,« sagte er – »Herr von Dankwart, Geschäftsmann Ihrer Hoheit, der Frau Herzogin.«

Arthur verbeugte sich, und der kleine Mann drehte mit großer Lebendigkeit seinen Kopf herum, indem er versetzte: »Habe noch nie die Ehre gehabt, in der That noch niemals die Ehre, von Ihnen zu hören, was mir eigentlich sehr befremdend ist, denn die Herren alle hier werden mir bezeugen, daß sich jeder Künstler um meine Bekanntschaft bemüht, daß – wie soll ich mich genau ausdrücken? – es für jeden Künstler von Wichtigkeit ist, von mir gekannt zu sein.«

»In dem Falle,« entgegnete Arthur lächelnd, »muß ich dem heutigen Abend besonders dankbar sein, daß er mir das Glück verschafft, Ihre Bekanntschaft zu machen, und mir gestattet, so viel Versäumtes nachzuholen.«

Herr von Dankwart schaute einen Augenblick aufmerksam in das Kamin; er schien die Antwort des Malers vollkommen überhört zu haben; wie es überhaupt eine Gewohnheit von ihm zu sein schien, nur zu sprechen und zu fragen, ohne eine genügende Antwort zu erwarten. – »Sollten Sie es glauben, bester Graf,« sagte er nach einer Pause, »daß die jungen Künstler völlig auf eigenen Füßen stehen wollen und die Protektion tüchtiger Männer für gar nichts achten, keine gute Lehre, keinen Rath mehr annehmen wollen? Ich versichere Sie – nun, ich brauche es eigentlich nicht zu betheuern, die Welt weiß, wie ich mich auf Anordnung und Colorit verstehe – aber die Herren wollen Alles besser wissen. – Haben Sie das Porträt Ihrer Hoheit gesehen, seit es fertig ist? – früher etwas mangelhaft, etwas leer in der Staffage, aber jetzt superb, herrlich! gemalt von Herrn Wiesel –«

»Ein sehr gutes Porträt!« versetzte Arthur.

»Jetzt freilich,« erwiderte Herr von Dankwart mit scharfer Betonung des ersten Wortes. »Ihre Hoheit steht vor dem Portal Höchstihres Landhauses und schaut hinaus in die Gegend. Das war Alles recht schön und gut, die Allerhöchste Figur kann man sehr gelungen nennen, aber sie schaute in eine Gegend, ohne daß sich etwas Interessantes in derselben begab; also blickte Ihre Hoheit, wenn ich mich so ausdrücken darf, aufmerksam in ein Nichts, denn die bekannte Gegend dürfte noch nicht im Stande sein, die gespannte Aufmerksamkeit Ihrer Hoheit zu fesseln. Darin lag der Fehler, ich fühlte das gleich, obgleich ich mich lange vergebens bemühte, dem Maler Wiesel dies ebenfalls begreiflich zu machen; aber es wäre schade, wenn man es nicht geändert hätte. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen, aber es war eine Leere da, die dem verständigen Beschauer drückend erschien.«

»Und dieser Leere halfen Sie?« fragte trocken der Major.

»Allerdings,« entgegnete wichtig Herr von Dankwart.

»Was aber nicht schwer sein konnte,« warf der Baron von Brand dazwischen, indem er sich mit dem Battisttuch den Schnurrbart wischte, »man brauchte ja nur ein zierliches Rosengebüsch anzubringen.«

»Diesmal hatte ich eine bessere Idee,« sagte lächelnd der kleine Mann mit Selbstzufriedenheit. »Wiesel war erstaunt darüber; unter uns gesagt, er äußerte sich, es schmerze ihn tief, daß ihm das nicht selbst eingefallen. Ich ließ also,« – fuhr Herr von Dankwart mit gehobener Stimme fort, wobei er Daumen und Zeigefinger der linken Hand vereinigte und sie bestimmt auf und ab richtete, während er diese Worte sprach, – »ich ließ also hinten aus dem Gebüsche den kleinen Hund der Frau Herzogin heraustreten, wodurch die ganze Scene belebt wurde und ein Gegenstand da war, auf welchen sich der fragende Blick der hohen Frau im nächsten Augenblicke richten würde.«

»Vortrefflich!« meinte der Major, indem er große Wolken aus seiner Cigarre blies.

»Und malte Wiesel den Hund?« fragte Arthur.

»Ob er ihn malte!« entgegnete Herr von Dankwart in wegwerfendem Tone, »auf Allerhöchsten Befehl –«

»Ich dachte, Sie hätten es befohlen,« sagte bedenklich der Assessor.

»Ich – nun ja, ich,« erwiderte der kleine Mann mit vieler Würde, »natürlich ich, aber wie es sich von selbst versteht, im hohen Auftrage, im Namen Ihrer Hoheit, der Frau Herzogin. – Aber wissen Sie auch,« fuhr er nach einer Pause in natürlicherem Tone fort, »weßhalb ich eigentlich hieher gekommen bin?«

»Nein,« versetzte bestimmt der Graf, »ich habe keine Idee davon.«

»Man hat mich versichert, Sie hätten eine Sendung des vorzüglichsten Latakia erhalten, und nun bin ich da, um zu untersuchen, ob er wirklich von so guter Qualität ist. Sie werden mir zugestehen, daß man bis jetzt die beste Pfeife bei mir rauchte; ist aber die Ihrige vorzüglicher, lieber Herr Graf Fohrbach, so kann ich Ihnen in der That nicht helfen, in dem Falle müssen Sie mir einen Theil erlassen. – Soll ich in die Hände klatschen?« – Nach diesen Worten und einem vergeblichen Versuche, mit den kurzen Füßchen den Fußboden zu erreichen, warf sich Herr von Dankwart graziös in dem Fauteuil hin und her und stützte die Ellenbogen auf die Kniee, die Handflächen ausgebreitet, um sie leicht zusammenschlagen zu können.

»Lassen Sie das Klatschen nur sein,« sprach ruhig Graf Fohrbach, »wissen Sie, mein theurer Herr von Dankwart, man ist hier im Hause nur an meine Befehle gewöhnt und Ihr Klatschen könnte mißverstanden werden. Aber ich will für Sie die Klingel ziehen; mit Vergnügen sollen Sie eine Pfeife haben.« Damit hob der Hausherr seinen Arm in die Höhe und schellte zweimal, worauf sich in der Thür des anstoßenden Schlafzimmers der Jäger des Grafen zeigte und auf erhaltenen Befehl eine angezündete lange Pfeife brachte, die er dem kleinen Mann in den Mund steckte.

Während demselben auf diese Art das Maul gestopft wurde und endlich einmal stille stand, und während er sich mit Behaglichkeit in dem Fauteuil ausstreckte, haben wir Muße, ihn dem geneigten Leser näher zu beschreiben.

Herr von Dankwart war von sehr kleiner Gestalt, die, an sich in recht guten Verhältnissen, nur zu dem ziemlich dicken und unförmlichen Kopfe durchaus nicht passen wollte, welcher der ganzen Figur etwas Zwerghaftes verlieh. Der eben erwähnte Kopf bildete ein vollkommenes Dreieck von dem spitzen Kinn an bis zu der breiten Stirne, die nach oben an eine außerordentlich dünne Haarlichtung stieß und sich solchergestalt fast bis zum Hinterkopf fortzusetzen schien. Das Gesicht hatte einen ganz eigentümlichen Ausdruck: es lag etwas Verschmitztes und zugleich sehr Hochmüthiges darin. Die Wangen waren sehr eingefallen und selbst das Gesträuch des dort wuchernden Bartes war nicht im Stande, diese tiefen Thäler auszufüllen. Der Mund war ziemlich klein, die Augen aber weit geöffnet und von einer unangenehmen bläulichen Farbe und geistlosem Ausdruck. Obgleich Haar und Bart so sorgfältig als möglich gepflegt waren, so machte doch der ganze Kopf den Eindruck, als sei er vernachlässigt worden, habe lange Zeit vergessen in einem Winkel gelegen und sei dort von den Ratten abgenagt worden. – Der Anzug des Herrn von Dankwart war untadelhaft von den fein lackirten Stiefeln an bis zu dem steifen und hohen Halskragen; er befand sich im schwarzen Frack und schien aus einer Soirée zu kommen.

Hier, beim Grafen Fohrbach, hatte sein Erscheinen indeß nicht zur Belebung der Unterhaltung beigetragen. Der Hausherr lehnte ziemlich verdrießlich an dem Kamin und ließ große Rauchwolken aus seiner Cigarre aufsteigen; der Major war still und einsilbig geworden, und während sich der Assessor bei einer soliden Restauration mit Champagner und kaltem Geflügel beschäftigte, tauchte der Baron von Brand verschiedene Biscuits in Zuckerwasser – au fleur d'orange.

Der kleine Mann rauchte seinen Tabak prüfend aus der langen Pfeife, sog den Dampf ein, verschluckte ihn unter verschiedenen Grimassen, trank eine Tasse Thee darauf und ließ eine Weile nachher den Tabaksrauch nach echter orientalischer Manier wieder aus dem Magen herauf steigen, um ihn hierauf von sich zu blasen.

»Der Latakia ist gut,« sagte er nach einer Pause, »ich möchte sagen, fast so gut wie der meinige, und wenn es Ihnen recht wäre, mein lieber Graf, so machten wir einen kleinen Tausch. – Apropos,« fuhr er nach einem abermaligen tiefen Zuge fort, ohne vorher eine Antwort abzuwarten, »um vom Tauschen zu reden, so kennen Sie, lieber Major, gewiß den kleinen Fuchsen des Prinzen A. Halten Sie ihn von einer guten Zucht, von einer unverfälschten Rasse, würden Sie zum Beispiel zu einem Tausche zwischen jenem Pferde und meinem Schimmel rathen?«

Der Major blickte einigermaßen erstaunt empor und entgegnete: »Der Fuchs ist ein vortreffliches Pferd, und bei allem Respekt vor Ihrem Schimmel begreife ich doch nicht, wie einem Kenner hiebei ein Tausch einfallen könnte.«

»Es ist vielleicht dem Prinzen darum zu thun,« meinte der Baron von Brand mit einem süßen Lächeln, »Etwas zu bekommen, was dem Herrn von Dankwart gehörte; wie man auch sonst wohl die unbedeutendsten Sachen, wenn sie großen Männern angehörten, in hohem Werthe hält.«

Der Graf Fohrbach lächelte in sich hinein, und Herr von Dankwart blickte verwundert auf den Sprecher; doch da er dessen gleichmütiges, unbewegliches Gesicht sah und sich gnädigst erinnerte, man müsse dessen beschränktem Verstande schon Etwas zu gute halten, so begnügte er sich damit, die Achseln zu zucken, die Backen aufzublasen und alsdann aus seinem Pfeifenkopfe eine Menge Rauch zu stoßen.

»Es wird spät,« sagte der Major, »ich gehe nach Hause. – Du kannst morgen nicht auf die Jagd?« wandte er sich an den Grafen.

»Herrendienst!« erwiderte dieser; »ich bin morgen in das Vorzimmer gefesselt. Wenn du Nachmittags zurückkommst, kannst du mir erzählen, wie es draußen ausgesehen.«

»Ich komme gegen Abend und werde dich besuchen,« versetzte der Major, indem er sich erhob. »Nun, Assessor, du fährst doch mit mir?«

»Ich hatte auf einen Platz bei Ihnen gerechnet, lieber Major,« sagte Herr von Dankwart, »und schickte deßhalb meinen Wagen nach Hause.«

»Daran haben Sie bei diesem Wetter sehr unrecht gethan,« entgegnete der also Angeredete. »Den Teufel auch, man muß im Winter nicht so unvorsichtig sein! – Ich könnte Ihnen nur ein kleines Bänkchen in meinem Coupé anbieten, aber es ist voll Pelzfußsäcke und dergleichen.«

»Lassen Sie sich eine Droschke holen, Herr von Dankwart,« meinte der Baron von Brand. »Sie können sich denken, daß ich Ihnen mit großem Vergnügen einen Platz bei mir anbieten würde, aber erstens habe ich da den Maler aufgeladen, und zweitens fahren wir nicht ganz direkt nach Hause. – Sie waren auch einmal ein fröhlicher Garçon und werden mich schon verstehen.« Mit diesen Worten hatte er seinen Hut genommen und Arthur leicht angestoßen, als er bei diesem vorüber kam.

Unter dem allgemeinen Aufbruch, der nun erfolgte, schien das ziemlich lange Gesicht des kleinen Mannes, mit dem er diese Abweisungen erhalten, nur von dem Hausherrn bemerkt zu werden. Dieser führte den Major wie absichtslos in eine Ecke, und sagte dort leise zu ihm: »Rückt in Gottesnamen zusammen und nehmt mir den Kerl mit fort, sonst sitzt er mir da hin, langweilt mich noch eine Stunde und ich muß ihn am Ende nach Hause fahren lassen.«

»Recht!« erwiderte der Andere, indem er den Mund zum Lachen verzog, »wir wollen ihn in die Mitte nehmen.« Dann wandte er sich an Herrn von Dankwart und sagte zu ihm: »Sie werden hoffentlich so gut von unserer Galanterie denken, daß wir Sie nicht bei Nacht und Nebel allein und zu Fuß nach Hause gehen lassen. Wenn Sie den Mittelplatz zwischen diesen respektabeln Körpern einnehmen wollen,« – dabei zeigte er auf den Assessor und sich selbst – »so wird's uns freuen.«

»Das ist mir wahrhaftig angenehm,« entgegnete hierauf Herr von Dankwart mit großer Lebhaftigkeit; »und ich versichere Sie, den Weg zu Fuß zu machen, wäre mir eine Kleinigkeit, da ich bedingungsweise die kühle Nachtluft liebe; aber ich habe Ihnen einiges nicht Unwichtige mitzutheilen. Ihre Hoheit nannte beim Frühstück Ihren Namen und – doch davon später! Bringen wir also diesen guten Assessor nach Hause, er wohnt nicht weit von hier, und dann fahren wir äußerst angenehm zu mir.« – Bei diesen Worten erhob sich Herr von Dankwart stolz und beruhigt, zog seinen schwarzen Frack in die Taille hinein, warf den Kopf mehr als gerade nöthig war, in die Höhe und reichte seine Finger mit vieler Grazie rechts und links zum Abschiede. Da aber zufälligerweise Niemand besonders darauf achtete, so gingen mehrere schöne Händedrücke für diese undankbare Welt verloren.

An der Thüre sagte der Baron von Brand zu dem Hausherrn: »Ich hätte bald vergessen, Sie zu fragen, lieber Graf, wie Sie es morgen bei dem Begräbniß des Fräuleins von M. halten?«

»O, ich schicke einfach einen geschlossenen Wagen hin.« »Kutscher und Bedienten?«

»Natürlicherweise; je größer die Pracht, desto mehr bezeugt man sein Beileid. – Gute Nacht! – Gute Nacht!« –

Der Wagen des Majors fuhr zuerst ab, er selbst darin mit dem Assessor und dem Herrn von Dankwart; doch muß man durchaus nicht glauben, es habe der Letztere sich des angebotenen Mittelplatzes bedient; im Gegentheil, er setzte sich unter vielen wichtig ausgesprochenen, im Grunde aber sehr unwichtigen Redensarten in die rechte Ecke des Coupé's und versicherte, man könne sagen was man wolle, die in hiesiger Residenz gebauten Wagen seien alle unerträglich, ein Uebelstand, dem er aber abhelfen werde, indem er gerade im Begriffe sei, einen neuen Unterwagen zu konstruiren, so vortrefflich, ja sinnreich erdacht, daß er notwendigerweise bei der Ausführung die allgemeine Bewunderung erregen müsse.

Als Arthur im zweiten Wagen mit dem Baron durch die Straßen fuhr und dieser über gleichgiltige Dinge sprach, fiel dem Maler abermals die Ähnlichkeit mit der Stimme auf, die er heute Abend an jenem Durchgange gehört.

»Es ist sonderbar,« sagte er, »wie sich zwei Organe gleichen können; heute Abend zog ich in den Straßen der Stadt umher und hätte unter andern Verhältnissen darauf schwören wollen, Sie, Baron, da gehört zu haben.«

»Ei der Tausend,« entgegnete Herr von Brand, »und wo war das, wenn ich fragen darf?« Dabei zog er ein Sacktuch hervor, und der ganze Wagen füllte sich mit dem eigentümlichen Parfüm des schon erwähnten coeur de rose.

»Natürlich ist es eine Täuschung,« fuhr der Maler fort, »es war in der Gegend des Marktplatzes, wo die alten merkwürdigen Häuser stehen, für uns Künstler ein interessanter Platz. Es ist dort ein Durchgang.«

»So, ein Durchgang? – Ich erinnere mich nicht.«

»Das glaube ich wohl,« sagte Arthur lachend. »Dieser Durchgang führt namentlich zu einer sonderbaren Kneipe, wo sich herumziehende Musikanten, Gaukler von der Messe und allerhand Leute von noch weniger ausgesprochenem, aber doch einträglichem Gewerbe zusammen finden.«

»Ah! das muß nicht uninteressant sein!« meinte der Baron. »Waren Sie schon da?«

»In dem Hause selbst nie.«

»Das ist schade, sonst könnten Sie mich einmal hinführen; man sieht da lustige und pikante – – Scenen; ich liebe dergleichen. – Wie heißt die Kneipe?«

»Zum Fuchsbau,« entgegnete Arthur.

»Habe den Namen nie gehört,« versetzte lachend der Baron, »will mir ihn aber merken.«

Damit war der Wagen an dem Hause Arthurs angekommen; der Kutscher hielt die Pferde an, der junge Maler öffnete den Schlag, sprang heraus und wünschte dankend eine gute Nacht.

Als der Baron seine Wohnung ebenfalls erreicht hatte, verließ er das Coupe, welches nach den Stallungen fuhr, während er in den Thorweg seines Hauses trat. Hier war er eben im Begriff, die Klingel zu ziehen, als er bemerkte, daß ihm Jemand von der Straße nachgefolgt war, der, dicht in einen Mantel gehüllt, ganz nahe vor ihn hintrat.

Der Herr von Brand wich bei dieser plötzlichen Begegnung einen Schritt zurück und griff mit der Hand in seine Brusttasche, vielleicht absichtslos, vielleicht hatte er aber auch dort eine Waffe verborgen.

Der Andere, welcher diese Bewegung sah, rief laut lachend:

»Gut Freund, Baron! lassen Sie nur stecken! – Teufel auch! ich glaube, Sie hätten nicht übel Lust, eine Pistole gegen mich zu wenden.«

Der Baron, welcher augenblicklich diese Stimme zu erkennen schien, sprach im Tone der höchsten Ueberraschung: »Wie? Sie sind es, gnädigster Herr? – Ich muß gestehen, ich hätte Euer Durchlaucht nicht zu der Zeit hier erwartet.«

»Daran sind Sie selbst schuld; man findet Sie ja nie, und wo Sie oft sind, habe ich nicht immer Lust hinzugehen.«

»Ah! zum Grafen Fohrbach!«

»Ganz recht! ganz recht! – Haben Sie Zeit für mich zu zwei Worten?«

»Die ganze Nacht. – Aber wollen Euer Durchlaucht nicht zu mir hinauf spazieren?«

»Nein, nein, ich will nach Hause. – Kommen Sie einen Augenblick in die Straße, es ist gleich abgemacht.« – Damit faßte er den Baron unter dem Arm, und Beide traten aus dem Thorwege hinaus, um an der Häuserreihe in langsamem Schritt auf und ab zu gehen.

»Sie wissen,« sagte der Unbekannte, »ich habe es mit vieler Mühe durchgesetzt, daß Eugenie von S. zum Ehrenfräulein ernannt wurde.« »Schön,« entgegnete der Baron, indem er mit dem Kopfe nickte; »sie wird im Schlosse wohnen. – Euer Durchlaucht haben da die beste Gelegenheit, sich ihr zu nähern.«

»Teufel auch! wenn mich das nur was nützt! – Sie soll sehr streng sein und wird hier bald einen Anhang von Leuten haben, die mir gerade nicht besonders gewogen sind; ihre Mutter war eine genaue Bekannte des Grafen Fohrbach, sie selbst ist eine Nichte des Major von S. – Und dann ist Eugenie zu schön, sie muß Aufsehen erregen; man wird sich um sie bewerben. – Ich fürchte wahrhaftig den jungen Grafen Fohrbach.«

»Pah!« lachte der Baron, »wen hätten Sie zu fürchten, gnädiger Herr?«

»Na, lassen wir alle Schmeicheleien,« entgegnete der Andere mit einer ungeduldigen Kopfbewegung; »ich stehe schon für mich ein, aber die Partie ist ungleich: Sie wissen, ich bin weder bei den Fohrbachs noch bei Major S. sehr gelitten, habe also keine Verbündeten.«

»Mit Ausnahme des Vaters,« erwiderte der Baron mit seltsamem Lächeln, das aber der Andere nicht sehen konnte, denn er fuhr ungeduldig fort:

»Was nützt mich der Vater? Ich muß hier auf dem Platze auf sie einwirken können.«

»So muß man Ihnen Verbündete schaffen.«

»Deßhalb wende ich mich an Sie. – Glauben Sie, daß das möglich ist?«

»Auf die großen Familien kann ich begreiflicherweise nicht einwirken, aber ich sehe wohl ein, es ist nothwendig, daß wir vorderhand von allen ihren Schritten unterrichtet werden, daß wir erfahren, wohin sie geht, wen sie empfängt, mit einem Wort, was sie thut und treibt.«

»Und ist das möglich? – Es wird schwierig sein.«

»Nicht so sehr,« meinte der Baron nach einigem Nachdenken. »Was ich verspreche, das pflege ich zu halten. – Aber auch Graf Fohrbach muß beobachtet werden.«

»Das ist auch meine Ansicht, bester Baron,« sprach eifrig der Andere; »ich wäre Ihnen zu tausend Dank verpflichtet, wenn Sie im Stande sind, so Etwas für mich anzurichten.«

»Verlassen sich Euer Durchlaucht ganz auf mich; ich mache mich anheischig, Ihnen in kurzer Zeit täglich, ja stündlich die gründlichsten und getreuesten Berichte sowohl über Fräulein von S., als auch über den Grafen zu machen. – Dagegen aber, gnädigster Herr, hoffe ich, auch vorkommendenfalls vielleicht auf Sie rechnen zu können.«

»Sie wissen, bester Baron, daß Ihnen mein ganzer Einfluß zu Gebote steht –«

»Und ich werde mir erlauben,« unterbrach ihn Herr von Brand, »Euer Durchlaucht – einstens daran zu erinnern.«

»Das hoffe ich, und – die Sache wäre abgemacht.«

»Vollkommen.«

»Ich erhalte meine Berichte –«

»Sobald das Fräulein da ist.«

»Nun denn, vorderhand meinen besten Dank! – Gute Nacht. Baron!«

»Gute Nacht, gnädigster Herr!«

 


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