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4. Ein Loch im Vorhange

Das kleine Lustspiel war zu Ende, der Vorhang sank herab, und das Publikum, nachdem es einigen wenigen Applaus gespendet, lehnte sich bequem auf seine Sitze, lachte, scherzte, sprach rechts und links, mit dem Hinter- und dem Vordermann; und so entstand ein artiges kleines Summen in dem weiten Hause. Dazwischen hörte man Logenthüren auf- und zuschlagen, Sperrsitze niederklappen, kurz das Geräusch der Eintretenden, welche das ihnen langweilige Lustspiel vorbeigehen ließen, um sich jetzt mit frischem Sinn an dem Ballet zu ergötzen. Im Parterre unterhielt man sich von den Schönheiten und den Mängeln des eben vorübergegangenen Stückchens, man sprach von dem neuen Ballet, namentlich aber von der Besetzung desselben, die nun natürlicher Weise wie immer von diesen Kunstrichtern etwas zu wünschen übrig ließ. Da hätte der diese Rolle übernehmen müssen, und jene Tänzerin die Rolle der anderen. Von den Dekorationen versprach man sich ohnehin nicht viel; und was die Maschinerie anbelangt, was war da von einem Maschinisten zu erwarten, dem jeden Augenblick die Flugwerke in der Luft hängen blieben, bei dem die Vorhänge auf halbem Wege nachdenkend wurden und nicht herab wollten, und durch dessen Schuld die Leute, die nicht versinken sollten, versanken, dagegen die Geister, Gespenster und Hexen, die unter die Erde gehörten, hartnäckig und trotz alles Stampfens auf der Oberfläche blieben! –

Auf der Scene bewegte sich ein noch regeres Leben durcheinander. Die Dekorationen des Lustspiels waren weggeräumt; das Theater stellte einen großen Festsaal vor mit weißen und vergoldeten Säulen; Kronleuchter wurden herabgelassen und angezündet; die Tänzerinnen des Balletkorps schwärmten ab und zu und hielten sich viel in der Nähe des Vorhanges auf, wo an den beiden Löchern, durch welche man auf das Publikum schauen kann, immer wenigstens ein halbes Dutzend stand und sehnlich auf eine Ablösung harrte, um nach irgend Jemand sehen zu können.

Geneigter Leser, wenn du dich im Theater befindest und der Vorhang niedergefallen ist, so erscheint dir an demselben Alles so einfach und unschuldig. Der langweilige rothe oder blaue Faltenwurf, die Masken oder Köpfe, die darauf gemalt sind, das Alles kommt dir außerordentlich harmlos vor; für dich ist die Hauptgardine nichts Weiteres als ein Vorhang, der das Publikum von der Bühne vollkommen scheidet. Du bemerkst keine Bewegung an demselben, durchaus nichts Auffallendes, wenn du nämlich kein Eingeweihter bist. Wir sehen das Ding schon mit ganz anderen Augen an, heften unseren Blick fest auf den großen Vorhang und sehen, daß derselbe in Zeichen spricht wie der beste Telegraph. In jeder anständigen Gardine befinden sich wie gesagt zwei Löcher mit einigen schwarzen Flecken umgeben, die von Weitem einem Gesichte nicht unähnlich sind, wie man sie denn auch fast den Abdruck eines Gesichts nennen könnte, denn die dicken pomadisirten Augenbrauen, die sich beständig dagegen drücken, dunkeln nach und nach durch, ebenso die Schnurr- und Kinnbärte, und treten so allmählig an der andern Seite hervor. Durch diese beiden Löcher nun wird eine fortwährende und umständliche Konversation mit Diesem oder Jenem aus dem Publikum unterhalten; natürlich hat jeder seine Zeichen, die er versteht. Eine neue Person, die hinter dem Vorhang an jene Stelle tritt, ist dadurch bemerkbar, daß sich derselbe sanft bewegt, was so viel heißt, als: gebt Achtung! Nun wird ein Finger durchgesteckt, mit oder ohne Handschuh, denn das hat Beides seine Bedeutung: der Finger bewegt sich nach rechts, nach links, nach oben oder nach unten, vier neue Zeichen, die wichtige Dinge telegraphiren. Der Finger bewegt sich auf und ab und erzählt so eine ganze Geschichte; der Finger verschwindet mehrere Male und kommt mehrere Male wieder, und erklärt damit, was nach dem Theater geschehen könnte. Oft erscheint die Oeffnung schwarz, dann wird sie plötzlich weiß; man hält ein Sacktuch daran, ein Zeichen von außerordentlicher Bedeutung. Spricht das Loch im Vorhang nicht, so spricht sie selbst, die sonst so langweilige Gardine: man bemerkt an irgend einer Stelle, wie sie ein Finger berührt, der sich längs eines Theils der Bühne fortbewegt, oder hinter der Leinwand allerlei Figuren macht; man entdeckt ein paar Füßchen, die den Versuch machen, sich unter der Bordüre einzubohren; man sieht endlich, wie der Vorhang an den beiden Seiten zuweilen, anscheinend ohne alle Absicht, eine kleine Bewegung macht. Alles das hat seinen Grund, lieber Leser, und wenn du dir einmal zufällig die Mühe geben willst, diese Zeichen und damit die strahlenden Blicke deiner Nachbarn und Nachbarinnen, sowie auch andere Zeichen zu beobachten, welche diese gegen den Vorhang machen, so hast du im Zwischenakt viel Vergnügen und du amüsirst dich während desselben oft weit besser, als in manchen langweiligen Stücken.

Die Solotänzerinnen sind jetzt auch auf der Bühne erschienen. Doch ist es im gegenwärtigen Augenblicke nicht der Mühe werth, viel von ihnen zu sagen. Sie dienen dem Theater schon seit einer ziemlichen Reihe von Jahren und sind dadurch wohl größere Künstlerinnen, aber weder jünger noch hübscher geworden. Es ist das fast bei jedem Theater anders: dort ist das Balletkorps verbraucht und unansehnlich und die Solotänzerinnen jung und frisch, anderswo ist es umgekehrt. Und gerade so war es auch hier der Fall. Dafür ergab sich aber für die jungen hübschen Mädchen vom Chor auch nicht die geringste Aussicht, einen Solotanz zu erhalten; die alte Garde hielt hartnäckig an ihrem Privilegium und nahm keine jungen Rekruten in ihre Reihen auf.

Das Ballet begann wie immer mit einer langen Ouverture; endlich flog der Vorhang empor, das Publikum beklatschte den Glanz und die Pracht der Dekoration, und die Geschichte nahm mit einem strahlenden Ballfeste ihren Anfang. Die Musik erklang lustig und herausfordernd, Tänzer und Tänzerinnen wogten lebhaft durcheinander in scheinbarer Unordnung, aus welcher sich aber die schönsten Figuren entwickelten. Die ganze Bühne war angefüllt mit buntfarbenen seidenen Gewändern, mit Gold- und Silberstickerei, mit fliegenden Schärpen, blitzenden Brillanten und wallenden Federn. Vollkommen geblendet war das Auge der Zuschauer und kam erst wieder zur Ruhe nach der ersten Scene, nachdem das Balletkorps auf allen Seiten verschwunden war, nachdem die Klingel ertönt, die Dekorationen gewechselt und das Theater einen Garten bei Mondscheinbeleuchtung darstellte, wo er und sie sich fanden und verstanden.

Nach so einem großen anstrengenden Tanze kommen die armen Tänzerinnen gewöhnlich in einer Verfassung hinter den Koulissen an, welche Aehnlichkeit mit der von jungen Rennpferden hat, welche trainirt werden. Die Stärksten und Ausdauerndsten unter ihnen tanzen von der Bühne ab, um hinter derselben schwer athmend stehen zu bleiben; andere erreichen zur Noth wohl eine Bank oder einen Stuhl, wo sie sich niederlassen können. Die Schwachen und Unbehilflichen haben aber nicht sobald die schlitzende Koulisse erreicht, als sie krampfhaft irgend einen Pfahl oder eine Latte fassen, die Hand an das Herz pressen, die Stirne irgendwo anstützen und in Schweiß gebadet allmählig und keuchend ihren Athem an sich ziehen. Alle aber sind erschöpft, und wenn Manche sogar in diesem Augenblicke lachen und plaudern, so geschieht es doch mit großer Anstrengung und mit auf- und abwogender Brust. Dabei wird aber der Anzug und die Frisur nicht außer Acht gelassen und die Eine beschäftigt sich mit der Anderen, hier eine Locke wieder aufzustecken, dort eine Schleife zu befestigen, oder einen Schleier, der sich gelöst hat, wieder anzubinden.

»Das muß ich schon sagen,« meinte Demoiselle Therese, eine der Ersten, die wieder vollständig zu Athem kam, »der Kapellmeister ist heute wieder einmal ganz von Sinnen. Hat man je ein so rasendes Tempo gesehen? Mir ward mein Leibchen zu eng, und das will doch viel sagen. – Armer Schatz,« wandte sie sich an eine schmächtige Kollegin, welche, die heiße Stirne an einen Balken gedrückt, vergeblich darauf zu warten schien, daß sich ihr Herzschlag beruhige, »dich habe ich noch zu guter Zeit aufrecht erhalten; ich werd's aber dem da drunten stecken, wenn er im Zwischenakt heraufkommt. – – Fühlst du dich unwohl?« wandte sie sich abermals an die erschöpfte Kollegin.

Diese schüttelte mit dem Kopfe und versetzte nach einer längeren Pause: »Unwohl gerade nicht, aber es hat mich furchtbar angegriffen; wenn du mich nicht aufrecht gehalten hättest, so wäre ich am Souffleurkasten niedergestürzt. Ich danke dir, Therese.«

»Keine Ursache,« entgegnete diese, »aber ich will dir was sagen: du bist zu fest geschnürt, laß dich ein bischen loser machen.«

»Ich kann nicht,« sagte die Andere mit leiser Stimme, »mein Kleid ist mir so eng genug; ich würde mich gerne krank melden, aber wenn ich das jetzt schon thue, so muß ich fürchten, entlassen zu werden, und wovon soll ich alsdann leben?«

Demoiselle Therese zuckte die Achseln und wandte sich hinweg. »Armes Geschöpf!« murmelte sie zwischen den Zähnen. Dann winkte sie jener Tänzerin, die sich in der Garderobe neben Clara angezogen, und die mit verweinten Augen in der Fensternische gestanden. Die Beiden gingen etwas abseits und stellten sich hinter eine Felspartie, die im dritten Akte vorkommen sollte.

»Du hast mir etwas mitzutheilen,« sprach Demoiselle Therese hier zu ihrer Kollegin. »Elise hat es mir gesagt.«

»Es ist mir recht lieb, daß ich mit dir sprechen darf,« antwortete die andere Tänzerin. – »Aber haben wir auch Zeit?«

»Ueber eine Viertelstunde; die langweilige Gartenscene dauert wenigstens zehn Minuten, dann kommt der Chor der Ritter und Burgfräulein, bei dem wir ja nichts zu thun haben. – Nun, fängt deine Tante endlich an, dich zu plagen?«

Das junge Mädchen nickte mit dem Kopfe und sah einen Augenblick stumm vor sich nieder. Dann sagte sie: »Du kennst meine Tante?«

»Leider kenne ich sie. Der Teufel soll sie holen! – Aber weiter; ich habe immer geglaubt, du erfahrest nichts von ihrem heimlichen Geschäfte.«

»Lange erfuhr ich auch nichts davon,« versetzte Marie. »Gott! wenn man sechzehn Jahre alt ist, hat man ja keine bösen Gedanken. Und dann habe ich im Hause auch nie was Schlimmes bemerkt; mir leben wie die ruhigsten Bürgersleute.«

»Ja, ja, das glaube ich wohl,« lachte Therese. »Madame vermittelt blos. – Nun, und endlich?«

»Was soll ich sagen, endlich? Schon seit mehreren Wochen spricht sie von der schweren Zeit, von dem wenigen Verdienst, den ich habe; meine Wäsche allein koste mehr, sagte sie, und daß es auf längere Zeit nicht so gehen könne. – – Warum ich mir keinen Geliebten anschaffe, meinte sie neulich.«

»Ah! zu einem Geliebten wird sie schon Einen in Aussicht haben. Tritt dir Jemand häufig in den Weg, auf den du Verdacht hast, oder kommt irgend wer in's Haus, dem sie dich verkaufen will?«

»Nein, nein,« sägte das junge Mädchen, »in meine Nähe kommt Niemand. Und doch hat sie Jemand in Aussicht für mich.«

»Also ein kalter Handel!« sprach verächtlich die schöne Tänzerin. »Pfui Teufel! das ist sehr unangenehm.«

»Nicht wahr, es ist schrecklich, Therese? O gib mir einen Rath. Ich habe ja Niemand auf der Welt, dem ich mich anvertrauen könnte, Niemand, der mir die geringste Hilfe leiht, wenn ich mich weigere.«

»Es ist eine vollkommene Niederträchtigkeit,« entgegnete Demoiselle Therese nachdenkend. »Aber wenn du nichts Näheres weißt, so ist dir schwer zu helfen. – Wer ist's denn? Hat man dir keinen Namen genannt?«

»Den Namen kann ich dir nicht sagen, aber er kam einmal in unser Haus und zufällig war ich im Nebenzimmer und habe an der Thüre gehorcht. Da hat sie freilich gesagt, sie wolle mich nicht zwingen, aber es wäre ihr recht, wenn sie sich so aus der Verlegenheit reißen könne.

»Du hast ihn also gesehen?«

»Ja!«

»Und kennst du ihn nicht?«

»Nein.«

»Ist es ein junger Mann?«

»So ziemlich; in den Dreißig.«

»Aber liebes Kind,« versetzte halb ärgerlich Therese, »wenn du mir keine genaueren Kennzeichen anzugeben im Stande bist, so kann ich dir keinen Rath ertheilen. Ich muß vor allen Dingen wissen, um wen es sich handelt; ich muß den Feind kennen, wenn wir den Krieg beginnen wollen. Erkundige dich also, wenn du kannst, nach seinem Namen!«

»Vielleicht kennst du ihn.«

»Wohl möglich, wenn ich ihn sehe.«

»Ich will ihn dir zeigen.«

»So ist er also im Theater?«

»Ja, ich habe ihn gesehen.«

»Ah! das ist etwas Anderes,« erwiderte die Tänzerin lachend. »Dann wollen wir ihn im Zwischenakt beobachten, und wenn ich ihn kenne, will ich dir aufrichtig sagen, ob da viel oder wenig zu befürchten ist.«

Hiemit hatte die Unterredung ein Ende, denn der Inspizient rief in diesem Augenblicke: »Meine Damen, das dritte Tableau beginnt!« Die Klingel ertönte; die Dekoration wechselte abermals; das Theater stellte einen weiten Park vor, die Beiden unvorsichtig Liebenden freuen sich ihres Lebens inmitten des ebenfalls lustigen Hofstaates, da erscheint plötzlich der Herzog, begleitet von Fackelträgern, und jetzt erfolgt die Scene, wie wir sie schon oben beschrieben. Fürchterlich schön war der Herzog anzusehen, und als er so über die Bühne dahinglitt, angefüllt mit Wuth und Rachedurst, die Fäuste geballt, den Bart ordentlich emporgesträubt, da wurde ihm ein unendlicher Applaus zu Theil. Die unglückliche Braut sinkt nach ihrem großen Pas de deux in Ohnmacht, der ganze Chor macht übermäßige Anstrengungen, Entsetzen, Schrecken, sowie alle möglichen Leidenschaften auszudrücken, und – der Vorhang fällt.

Es war ein Glück, daß die Solotänzer und Tänzerinnen sich im Zwischenakte umziehen mußten, denn sonst wäre an dem Vorhang nicht so bald eine Oeffnung frei geworden. Auch ohnedies mußte Demoiselle Therese ihr ganzes nicht geringes Ansehen aufwenden, um ein halbes Dutzend verschiedenartiger Gespenster und junger Teufel, die im letzten Akt vorkommen, zu verscheuchen, bis sie endlich an der Gardine einen Platz erobern konnte. Dann stellte sie ihre Kollegin vor sich hin und sagte: »Jetzt schau durch und sage mir, wo er sitzt.«

Die andere Tänzerin legte ihr Auge eine kleine Weile an die Oeffnung, dann trat sie zurück und bat Therese, hinauszuschauen und mit dem Blick ihren Erklärungen zu folgen. »Du siehst,« sagte sie, »die königliche Mittelloge, von der zähle rechts vier Säulen. – Hast du?«

»Allerdings,« entgegnete Therese, »doch ich sehe da Niemand als den alten General von L.«

»Ja, auf dem ersten Rang,« erwiderte die Andere eifrig. »Ich meine aber den zweiten Rang.«

»Ah! du meinst den zweiten Rang!« versetzte Demoiselle Therese in gedehntem Tone. »Das wird sich kaum der Mühe verlohnen. – Nun, wir wollen nochmals zählen. Die erste, zweite, dritte, vierte Säule – halt!«

Hierauf schaute sie einen Augenblick aufmerksam hinaus, dann fuhr sie heftig zurück und rief aus: »Ah! Marie! du mußt dich irren; der Herr in der dritten Loge kann's doch nicht sein! Oder ist der, den du meinst, vielleicht gerade weggegangen; sieh noch einmal hin.«

Die jüngere Tänzerin sah nach dieser Aufforderung über die Achsel ihrer Freundin, dann sagte sie ruhig: »Nein, er sitzt noch da; sieh, er scheint sich zu langweilen, er legt den Kopf in die Hand.«

»Ganz richtig. Und du irrst dich nicht?«

»Wie sollte ich mich irren! Ich habe ihn vorhin ganz deutlich gesehen und gleich erkannt. – Du weißt also, wer er ist? Und die Dame, die neben ihm sitzt?« –

»Die Dame, die neben ihm sitzt, ist seine Frau. – Schöne Geschichten!«

»Das wäre schrecklich!« rief das junge Mädchen aus. »Was ist da zu thun, Therese? O denke nach; du mußt mir helfen!«

Diese blickte, ohne eine Antwort zu geben, noch eine Zeitlang in das erleuchtete Haus, dann trat sie einen Schritt zurück und auf ihrem schönen Gesichte zeigte sich ein finsteres Lächeln. Die preßte die Lippen zusammen, stemmte die rechte Hand in die Hüfte und fuhr mit der linken über die Stirne, während sie eifrig nachzudenken schien. – »Ja, ja, es wird gehen,« sagte sie nach einer längeren Pause. »Warte, Heuchler!«

»Du kennst ihn also?« fragte Marie.

»O ja, ich kenne ihn, obgleich ich ihn nie gesprochen. Das ist einer von den scheinheiligen Bösewichten, welche die Achsel zucken, wenn man nur vom Ballet spricht; mit dem Haus habe ich überhaupt eine Geschichte abzumachen. Du weißt, meine Schwester ist eine Nähterin; sie suchte die Kundschaft dieses Hauses nach; Madame war nicht abgeneigt dazu, und meine Schwester glaubte schon so glücklich zu sein, dort hie und da etwas verdienen zu können, Der Herr aber meinte, eine Arbeiterin von unbescholtener Familie wäre ihm lieber. – Von unbescholtener Familie!« setzte die Tänzerin hinzu und biß ihre Zähne übereinander. »Das war vor vier Jahren, die Aeußerung ging allein auf mich, und war ich doch damals so unbescholten wie nur eines der jungen Mädchen auf allen Gallerien; aber ich war eine Tänzerin und somit ein verlorenes, bescholtenes Geschöpf. – Doch wir wollen uns revanchiren!«

»Was soll ich aber thun?«

»Vorderhand sollst du nichts thun, und mir nur genau berichten, wie die Angelegenheit steht,« antwortete Therese. »Aha!« fuhr sie spöttisch lachend fort und machte einen tiefen Knix gegen den Vorhang, »man will sich mit dem Ballete einlassen – gut denn! Ich erkläre dir da oben den Krieg; du sollst einen heftigen Kampf haben und keine Schonung.«

 


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