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2. Schwarze und rothe Schleifen

Wenige unserer geneigten Leserinnen werden schon in einer Theatergarderobe gewesen sein. Von den Lesern gar nicht zu reden; denn für sie sind die Ankleidezimmer, namentlich die des Ballets, vor, während und nach einer Vorstellung vollkommen verschlossene und unzugängliche Orte, wir wollen nicht sagen ein verbotenes Paradies, obgleich sich auch hier wie dort ein Hüter befindet: vor der Balletgarderobe freilich nicht mit flammendem Schwerte, wohl aber mit großem Stock, angehörend einem alten invaliden Portier von ziemlich mürrischem Gemüthe, und auf die Privilegien der Theaterankleidezimmer eifersüchtig wachend wie ein alter Türke. An ihm scheitert alle Bestechung, und nur wir vermögen es vermittelst der Macht, die uns verliehen, den geneigten Leser unsichtbar einzuschwärzen.

Diese Balletgarderobe besteht aus drei ineinandergehenden, großen Zimmern; in jedem befinden sich mehrere Ankleidespiegel, rechts und links mit Armleuchtern versehen, die aus der Wand heraustreten, und aus welchen Gasflammen brennen. Diese Armleuchter sind zum Drehen eingerichtet, um dem Spiegelglas eine größere oder eine kleinere Helle zu verleihen. An den Wänden befinden sich kleine, weiß angestrichene Kästen, die wie eben so viele Kommoden aussehen, nur daß sie statt der Schublaben Doppelthüren haben. Jedes dieser Schränkchen ist mit dem Namen der Tänzerin versehen, der es angehört, und hier verwahrt sie die nothwendigen Gegenstände zum täglichen Gebrauch, die sie nicht jedesmal mit nach Hause nehmen will. Es ist das wie der feldkriegsmäßig verpackte Tornister eines guten Soldaten und enthält alle Mittel für unvorhergesehene Fälle. Da befinden sich neuere und ältere, engere und weitere Tanzschuhe, sowie Vorrathsbänder zu denselben, ein paar Tricots zum Auswechseln, falls irgendein Unglück geschähe, kleine Lappen und Flecke von verschiedenen Sorten, Nadeln und Faden von allen möglichen Größen und Farben. Auch sonstige Theatertoilettegegenstände sind hier verwahrt: rothe und weiße Schminke, Pommade, Kämme, Haarnadeln, eine Schachtel voll Magnesia zum Pudern und die Pfote eines verstorbenen Hasen, um mittelst derselben die weiße Schminke auf dem Gesicht gleichmäßig zu vertheilen.

Es mag ungefähr fünf Uhr sein, und der letzte Wagen, den wir begleitet, hat mit seinem Inhalte das weibliche Balletpersonal vollständig zusammengebracht. In den drei Zimmern befinden sich vielleicht vierundzwanzig junge Mädchen, die lachend und plaudernd durcheinander rennen, sich ihrer Mäntel und Halstücher entledigen, ihre verschiedenen Anzüge ordnen und nun mit Hilfe der Ankleiderinnen daran gehen, ihre Balletkostüme anzuziehen. Sonderbar ist es, daß die Gespräche, namentlich aber Scherzen und Lachen, so lange nicht zum rechten Durchbruch kommen wollen, bis die Kleider und Unterröcke den Tricots und enganliegenden Leibchen Platz gemacht haben. Ist aber erst die ganze leichtfüßige Schaar soweit gerüstet und bis zur Taille mit den enganliegenden Tricots versehen, so scheint ein anderer Geist in sie gefahren zu sein, und Späße, eigentümliche Attitüden und unaussprechliche Pas wechseln so drollig ab und werden mit so schallendem Gelächter begleitet, daß sich oftmals die Oberanzieherin veranlaßt sieht, die Hauptschuldigen durch ihre Brille fest anzusehen und ernstlich um Aufhören des Spektakels zu ersuchen. Hierauf wird aber das leise Gekicher und die anscheinend harmlosen Späße doppelt eifrig fortgesetzt. Ein lauter Schrei erhebt sich dazwischen, denn es wurde heftig an eine der Thüren geklopft; es ist Monsieur Fritz, der Theaterfriseur, der sich von außen erkundigt, ob er eintreten dürfe. Alsbald setzen sich die Damen des ersten Zimmers durch umgeworfene Mantillen, Tücher oder Tanzröcke in gehörige Verfassung, um den eintretenden jungen unglücklichen Mann empfangen zu können, was übrigens nicht ohne einiges Gekreisch abgeht. Wir sagen: unglücklichen jungen Mann, und zwar aus doppelten Gründen, denn einmal ist es keine Kleinigkeit, vierundzwanzig junge Mädchen zur Zufriedenheit zu frisiren, und anderntheils hat Monsieur Fritz den Versuch gemacht, gegen die eine oder die andere der hübschen Tänzerinnen gelegentlich zu avanciren, was ihm nun bei jeder Veranlassung auf's Schonungsloseste vorgehalten wird.

Der Theaterfriseur und Schneider werden seltsamerweise von den Tänzerinnen meistens für Wesen gehalten, welche der Liebe unfähig sind, für geschlechtslose Geschöpfe, und es ist eigentlich sehr gut, daß diese Ansicht besteht, denn sonst wäre des Zierens und Genirens kein Ende.

Monsieur Fritz ist also eingetreten; die Thüre zum zweiten Zimmer wird geschlossen, weil man dort noch nicht so weit angezogen ist, und das Frisiren nimmt unter Scherzen und Lachen seinen Anfang.

Aber man muß nicht glauben, daß Alle in diesen lustigen Ton mit einstimmen, daß es Allen gleichgiltig ist, wenn die umgeworfene Mantille zufällig von den Schultern herabrutscht, wenn der Friseur das Haar lockt oder ein Diadem aufsetzt. Nein, diese Stunden des Anziehens und später des Heraustretens vor die Lampen, vor das versammelte Publikum, sind für manche dieser armen Mädchen Stunden der bittersten Qual, ja tiefen Herzeleids. Man wird sagen: Warum brauchen sie Tänzerinnen zu bleiben? Sie sind es ja aus freiem Willen geworden. – Doch ist diese Ansicht eine vollkommen falsche; ihr Wille wurde und wird nicht gefragt. Da ist eine Mutter in dürftigen Verhältnissen, die hat zwei kleine hübsche Mädchen; da sie aber für das tägliche Brod zu Haus arbeiten muß und keine Magd anschaffen kann, um ihre armen Kinder, wie so viele Reiche und Glückliche, zu beaufsichtigen und zu verpflegen, so betrachtet sie die Balletschule als eine gute Gelegenheit, die Kinder zu versorgen und bedenkt nicht, wie theuer denselben dieser erste Schritt meistens zu stehen kommt. Die kleinen Mädchen werden untersucht, ob sie gerade Glieder haben, auch hübsche Augen und gesunde Zähne, und dann werden sie eingeschrieben zu einem äußerlich oft glänzenden, aber innerlich meistens erbärmlichen Leben. Anfangs betrachtet man Alles mit dem glücklichen Leichtsinn der Jugend; die kleinen Wesen freuen sich, wenn sie in den engen Trikots, in den farbigen Kleidchen mit goldenen Gürteln hinaus dürfen, und ahnen nicht, daß ihnen mit diesem glänzenden Schmuckwerk Ketten angelegt werden, die sie zu Sklavinnen machen und an ein bewegtes, ja wildes Leben fesseln. Dies Bewußtsein kommt erst nach einigen Jahren und meistens wenn es zu spät ist, wenn die Tänzerin nichts Anderes gelernt hat und allein auf den Balletsaal und die Bühne angewiesen ist, um von der geringen Gage sich und oft noch Eltern und Geschwister zu erhalten.

Es ist dies ein Leben, in vielen Fällen schlimmer als das einer wirklichen Sklavin; ist diese traurig, ist ihr Herz von Kummer und Schmerz zerrissen, so ist es doch ihrem Herrn gleichgiltig, ob sie die Lippen zusammenbeißt, ob eine Thräne über ihre Wangen herabträufelt; aber die Tänzerin muß lachen, muß vor den Lampen eine Glückseligkeit heucheln, wenn auch ihr Herz darüber brechen möchte. – Es ist wahr, eine Sklavin wird wie eine Waare untersucht, ihre Gestalt, ihr Wuchs, ihre Augen, ihre Zähne werden geprüft, aber das geschieht nur einige Mal in ihrem Leben; die Tänzerin dagegen muß sich allabendlich von dem gesamten Publicum untersuchen lassen! Jedes Glas richtet sich scharf auf sie und jedes Auge prüft genau die Formen ihres Körpers, um dem Nachbar sagen zu können: »Sie ist schöner geworden, sie blüht auf,« oder: »Sie nimmt ab, es geht zu Ende mit ihr.«

Und das setzt sich auch hinter den Coulissen fort und spielt in's gewöhnliche Leben hinüber. Wem es nur irgend möglich ist und wer hiezu ein Recht zu haben glaubt, macht sich ein Vergnügen daraus, zu untersuchen, ob eine Tänzerin fest geschnürt sei, und jeder Geck glaubt eine Verpflichtung zu haben, diesem armen Mädchen nachzulaufen, eben weil es eine Tänzerin ist. – – Und dabei hat sie nicht einmal das Mitleid ihres Geschlechtes für sich. Was ist eine Tänzerin? – Ein Geschöpf, über welches die Nase zu rümpfen man berechtigt ist, der es ja ein Vergnügen macht, sich so und so vor dem Publikum zu präsentiren. – Nein, ihr Damen vom ersten und zweiten Rang, es macht ihnen in den meisten Fällen kein Vergnügen und es ist nur ein Beweis, daß es auch bei uns Sklaven und freie Menschen gibt, ein Beweis, auf welch' traurige Weise auch bei uns die Glücksgüter vertheilt sind; denn wenn immer nach der Reinheit der Gesinnung und den Gefühlen des Anstandes die Stellen des gesellschaftlichen Lebens vertheilt wären, so säße manche Tänzerin in eurer Loge, nachlässig zurückgelehnt mit verächtlich zugedrücktem Auge, und Manche von euch zeigte sich da unten dem lachenden Publikum. Das heißt wenn an ihr irgend etwas zu zeigen ist! – – – –

Im dritten Zimmer ist dasselbe Treiben, dieselbe Geschäftigkeit wie in den beiden andern. Hieher entlud sich der Inhalt des letzten Wagens, den wir begleitet, und da diese Tänzerinnen später kamen als ihre Kolleginnen, so ist man hier auch noch weiter im Anzüge zurück. Doch ist jede Tänzerin eifrig beschäftigt; die Ankleiderinnen helfen angelegentlichst und bald schält sich aus dem Chaos von Tricots, Weißzeug, gestickten Kleidern, falschen Blumen und dergleichen mehr etwas Solides und Fertiges heraus, und das stellt sich nun vor die Spiegel, probirt vorläufig die neue Frisur, schminkt sich nach der Lancaster'schen Methode, oder läßt sich von einer der Schneiderinnen noch hie und da etwas am Anzuge ändern.

Vor einen der Spiegel tritt gerade eine als Nymphe des Waldes gekleidete Tänzerin; fleischfarbene Tricots sind oben mit einem äußerst kurzen Rock bedeckt, der Oberkörper steckt in einem Leibchen von hellgrünem Atlas, das bei jeder Bewegung des Körpers kracht und sich dehnt. Neben ihr auf einem Stuhl sitzt eine andere Tänzerin, die Arme übereinander geschlagen, die Füße weit von sich abgestreckt, so daß der Tanzrock mehr als eine Spanne über dem Knie bleibt. Beide sind sehr schöne Mädchen; die vor dem Spiegel hat dunkle Haare, blitzende Augen und ist tadellos gewachsen. Die Andere, eine Blondine, hat ein sanftes Gesicht und ruhige, weniger leidenschaftliche Bewegungen.

»Hast du bemerkt,« sagte Letztere, »daß die Marie dort in der Ecke wieder eine Thräne um die andere fallen läßt? Warum nimmt das Mädchen auch keine Vernunft an!«

»Wird schon kommen,« erwiderte die vor dem Spiegel, indem sie sich übermäßig stark zurückbog, um zu sehen, ob die Verbindung zwischen Rock und Leibchen nichts zu wünschen übrig ließe. »Wem ist es am Ende nicht so ergangen? Wer von uns hat ein Verhältniß ganz vollkommen nach seiner Neigung anfangen können?«

»Ich,« versetzte die Blonde; »und deßhalb dauert mich die Marie.«

»Nun, du hast was Rechtes!« entgegnete die Andere lachend und hob mit einem gelinden Ausdruck der Verachtung ihre Oberlippe, während sie mit den Händen ihre Hüften umspannte und sich selbstzufrieden in dem Spiegel besah.

»Aber er wird mich heirathen,« fuhr die Blonde fort.

»Und dann bist du fertig! Nein, nein, Elise, da macht's unsereins ganz anders! Und wenn die Marie nun einmal nicht will, wer kann sie zwingen?«

»Du weißt, daß sie keine Eltern mehr hat und bei ihrer Tante wohnt.«

»Bei dem Drachen am Kanal! Oeffentlich hat sie Aepfel feil und verkauft Singvögel; was sie aber im Geheimen treibt, wissen wir. – Pfui Teufel! Nun, zwingen soll sie sich nicht lassen; man muß mit ihr sprechen.«

»Thu' das, Therese,« sagte die Blondine. »Du weißt, die Marie ist ein gutes Geschöpf, ruhig und sanft, sie ist keines großen Widerstandes fähig und eine intime Freundin hat sie auch nicht.«

»Man muß mit ihr sprechen,« wiederholte stolz Therese. »Laß mich nur machen!« Mit diesen Worten trat sie noch einmal fest vor den Spiegel hin, hob den Kopf hochmüthig in die Höhe, besah sich rechts und links, griff nochmals sich lang streckend, um ihre Taille und wandte sich dann höchlich zufrieden mit einer halben Pirouette vom Spiegel, worauf sie stolz wie eine Kaiserin nach der vorhin angedeuteten Ecke schritt.

Hier war der unvortheilhafteste Platz des ganzen Gemaches; er war neben einem Fenster, wo wenig Licht hinfiel und sich nur ein kleiner Wandschrank befand. Hier mußten sich die Jüngsten begnügen, bis sie endlich älter und erfahrener wurden und durch den Abgang einer Kollegin oder durch irgend eine Protektion an einen bessern Platz vorrückten.

Die zwei Mädchen, die sich hier angezogen, waren beide jung, beide schön, sie hatten beide dunkles Haar und dunkle Augen und waren doch unendlich voneinander verschieden.

Wir kennen Beide bereits: von der Einen sprachen eben die beiden Tänzerinnen an dem großen Spiegel, die Andere war Mamsell Clara, welche zuletzt in den Wagen gestiegen.

Die Erstere war ein Bild der Frische und Ueppigkeit, dabei hatte sie eine gute Taille, starke Arme, ein rundes, blühendes Gesicht, und die Röthe ihrer Wangen drang so stark hervor, daß sie mit keiner andern Schminke zu bewältigen war; von Rothauflegen war gar keine Rede, und schon nach den ersten Schritten des Tanzes glühte sie so, daß man ihr vorwarf, sie sei ungeschickt und übermäßig geschminkt. Ihre Augen waren dunkel und glänzend, der Gesichtsausdruck aber nicht sehr geistvoll; Hände und Füße ließen auch etwas zu wünschen übrig, woher es denn auch wohl kam, daß es ihr schwer wurde, eine graziöse Stellung anzunehmen, und daß sie, obgleich wie gesagt ein sehr schönes Mädchen, doch nie in die ersten Reihen gestellt wurde.

Clara war von einer mittleren Größe und mit einer Zierlichkeit und Eleganz gewachsen, die Jedermann in Erstaunen setzte. Dabei hatte sie den kleinsten Fuß, die kleinste Hand, und ihre Taille, nicht unverhältnißmäßig schmal, stand zu dem langen und vollen Oberkörper in so richtigem Verhältniß, daß das schärfste Kennerauge in diesem Körper nur die vollkommenste Harmonie entdecken mußte. Auch Hals und Kopf paßten vortrefflich zu dem Ganzen; ihr Gesicht war lang, doch nicht schmal, die Farbe desselben etwas blaß; dabei hatte sie große Augen und zwischen frischen Lippen glänzend weiße Zähne. Ihr fast schwarzes Haar war wegen seiner Fülle der Kummer des Friseurs, denn Monsieur Fritz war, wie er sagte, nicht im Stande irgend eine korrekte Frisur damit herzustellen. Wenn wir dabei versichern, daß dieses Mädchen mit einer außerordentlichen natürlichen Grazie begabt war, daß keine ihrer Bewegungen etwas Eckiges hatte, daß ihr Körper und ihre Füße schmiegsam und biegsam wie bei keiner Anderen waren, daß sie den größten Pas mit Leichtigkeit lernte und sich schon nach dem ersten Jahr vor allen ihren Kolleginnen während des Tanzes auffallend hervorthat, so wird man sich wundern, weßhalb sie bei dem Korps de Ballet blieb und nicht zur Solotänzerin ausgebildet wurde. Doch hatte das seine guten Gründe, und Clara, die, wie wir später sehen werden, fast schutzlos in der Welt stand, dagegen viel Schutz zu verleihen hatte, fand nicht die Zeit, täglich die langwierigen Exercitien zu machen, die nothwendig sind, wenn man es in der Tanzkunst zu etwas bringen will. Dabei fürchtete sie sich auch vor dem ersten Tänzer, der sich ihr anfänglich auffallend genähert hatte, dem sie aber mit ihrem richtigen Gefühl schaudernd auswich. Ueberhaupt konnte sie sich nie mit dem wilden Treiben vieler der anderen Tänzerinnen befreunden und nahm deßhalb eine isolirte Stellung ein, die häufig Veranlassung war, daß sie Spott und Neckereien aller Art ertragen mußte. Mamsell Marie war die Einzige, welche mit großer Anhänglichkeit an Clara hing, sie wahrhaft verehrte und fast unterthänig gegen sie war, wie gegen eine Gebieterin.

Die beiden Mädchen waren stillschweigend übereingekommen, Monsieur Fritz so wenig als möglich in Anspruch zu nehmen, und da sie sich schon seit längerer Zeit so gegenseitig bedienten und nachgerade eine große Fertigkeit erlangt hatten, so wurde es ihnen nicht schwer, sich gegenseitig die kunstvollsten und schwierigsten Frisuren zu machen. Dadurch waren sie meistens vor allen Uebrigen fertig, so auch heute, und als in allen Zimmern und vor allen. Schränken noch große Bewegung herrschte, hatten sie ihre gewöhnlichen Kleider schon aufgeräumt und beschäftigten sich, völlig angezogen, mit etwas Anderem.

Diese Beschäftigung war aber sehr verschiedener Art: Clara hatte sich vor ihr Schränkchen gesetzt, das zweite Paketchen ihrer Näherei geöffnet und fing an zu arbeiten, während Marie an dem Fenster lehnte und mit gefalteten Händen in die dunkle Nacht hinaussah. Uebereinstimmend aber waren die Gesichtszüge beider Mädchen; auf beiden lag ein tiefer Schmerz und die etwas gerötheten Augen zeigten Spuren von häufigem Weinen. Clara hatte stark roth auftragen müssen, um die durchdringende Blässe ihres Gesichts zu bewältigen. Weßhalb die am Fenster geweint, haben wir bereits erfahren, und wenn wir einen Blick auf die Arbeit der Anderen werfen, sind wir auch hier über die Ursache des Schmerzes nicht mehr im Zweifel: Clara nähte an einem Kinderkleidchen und war eben im Begriff, dasselbe mit schwarzen Schleifen zu besetzen.

In diesem Augenblicke kam Mamsell Therese von ihrem Spiegel und trat mit erhobenem Kopfe vor die Beiden hin. »So, ihr seid schon fertig?« sagte sie. »Und Clara ist schon wieder am Arbeiten? – Was machst du denn da?«

»Mir ist heute Nacht meine kleine Schwester gestorben,« antwortete das Mädchen. Und als sie ihren Kopf aufhob, um die Tänzerin anzuschauen, standen ihre großen Augen voll Thränen.

»So, so,« entgegnete Therese mitleidig, »deine arme kleine Schwester ist gestorben? Ei, ich habe nichts davon gewußt. Und da machst du ihr das letzte Kleidchen?«

Clara nickte stillschweigend mit dem Kopfe.

»Wie alt war denn das Kind?«

»Sie war zwei Jahre – aber so lieb – so lieb –«

»Nun, ihr ist wohl,« versetzte die Andere; »aber es thut mir leid für dich, du hast das Kind gewiß sehr gern gehabt.«

»Wie ihr eigenes,« sagte Marie am Fenster, und unter dem Dunkel des Vorhanges glänzten ihre feuchten Augen hervor.

Einige andere Tänzerinnen in der Nähe, namentlich die blonde Elise, welche ihrer Freundin gefolgt war, hatten diese Unterredung theilweise gehört und traten nun mitleidsvoll näher. Bald war Clara von allen Damen umringt, die sich im Zimmer befanden, und es war ein eigener Anblick, wie die vorhin noch so lachenden Gesichter der jungen lustigen Tänzerinnen auf das dürftige Todtenhemdchen niederschauten. Um dasselbe herum stand nun so plötzlich ein lautloser Kreis, glänzend in Spitzen, Atlas, Silberstoffen und falschen Brillanten. Dabei kontrastirte die Stille hier im Zimmer auffallend mit dem Lärmen in dem andern; dort wurde geplaudert, gelacht, auch wohl ein lustiges Lied gesungen und zwischen hinein knatterten die Castagnetten und hörte man hin und wieder das taktmäßige Auftreten der Füße, wenn die Eine oder die Andere irgend einen Pas versuchte.

»Aber warum nähst du schwarze Schleifen auf das Kleid?« fragte nach einer längeren Pause Therese, indem sie sich niederbeugte und das Kleidchen mit der Hand berührte. »Man nimmt ja gewöhnlich Rosaband; auch sind die hier von Baumwollenzeug.«

Clara blickte in die Höhe und versuchte zu lächeln, aber es wollte ihr nicht recht gelingen. »Schwarz ist ja die Farbe der Trauer,« sagte sie, »und dann hatte ich diese Bänder schon; Roth ist so theuer.«

»Du hast sie von einem Kleid heruntergetrennt,« fuhr die Andere fort, nachdem sie genauer hingesehen. – »Ich will das nicht leiden.« Dabei richtete sie sich stolz in die Höhe. »Dein Schwesterchen soll nichts Schlechteres haben, als die anderen Kinder. – Allons!« wandte sie sich an die Andern, »sucht rothes Atlasband zusammen, aber eilt euch! – Wie viel Schleifen brauchst du ungefähr?«

»Laß nur gut sein. Therese,« bat Clara, »meine Liebe zu dem armen Kind ist nicht geringer, wenn ich auch schwarze Schleifen hinnähe.«

»Aber es muß einmal so sein,« entgegnete Therese eigensinnig, »du hast ja kaum mit deinem schwarzen Band angefangen. Macht, daß wir rothe Schleifen bekommen!«

Schon auf den ersten Ruf hin waren mehrere der Tänzerinnen zu ihren Schränken geeilt, und eine brachte das Verlangte herbei.

Therese durchschritt alle Zimmer und rief nach rothem Atlasband.

»Wozu?« fragten mehrere Stimmen. »Zu welchem Zweck?«

Und kaum hatte die Tänzerin erklärt, um was es sich handle, so wurden bereitwillig Schränke und Schachteln geöffnet und jede der glänzenden Nymphen, der strahlenden Göttinnen und edlen Ritterfräuleins beeilte sich, ihre rothe Schleife zu bringen, so daß Clara kaum mit dem Annähen fertig werden konnte.

Wie wohl that ihr übrigens diese Theilnahme und wie erfreut war sie, als nun das Kleidchen fertig war und nicht mehr so düster in Schwarz und Weiß aussah, sondern freundlich und rosig, wie es für das liebliche Gesichtchen des verstorbenen Kindes paßte!

»Wann wird dein Schwesterchen begraben?« fragte die blonde Tänzerin, die jetzt in den Kreis trat, in ihrer Hand einen kleinen Kranz haltend von künstlichen Orangenblüthen, fast ihr einziges und bestes Eigenthum, das sie aber gerne hingab, um das Köpfchen der Verstorbenen damit zu zieren. »Wann wird es begraben?« wiederholte sie. »Denn es versteht sich von selbst, daß wir Alle mitgehen.«

»Natürlich,« sagte Therese, »da wird gewiß keine fehlen. Und an Blumen bringen wir mit, was wir auftreiben können; die jetzt gewachsenen und blühenden sind freilich theuer, aber es thut nichts, sollte es auch ein künstlicher Strauß sein. Es hat die gleiche Wirkung, wenn es nur vom Herzen kommt.«

»Es soll mich freuen,« erwiderte Clara, »wenn ihr auf den Kirchhof kommen wollt; das Begräbniß ist übermorgen um zehn Uhr.«

»Verlaß dich darauf, es fehlt keine,« versetzte Therese bestimmt. Und damit nahm sie das fertig gewordene Kleidchen in die Höhe und Alle betrachteten die wohlgelungene Arbeit.

In diesem Augenblicke ertönte eine Klingel dreimal und heftig; es war das Zeichen für die Tänzerinnen, auf die Bühne zu kommen, weßhalb die Schränke eilfertig zugeschlossen wurden. Jede trat noch einen Augenblick vor den Spiegel, streckte den Oberkörper so weit als möglich in die Höhe, zog den Tanzrock herab, betrachtete prüfend die Schuhe, ob nirgendwo ein Fehler zu entdecken sei, und darauf flatterte die leichte Schaar die Treppen hinab und rauschte auf die Bühne, wie ein anderes wildes Heer.

 


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