Friedrich Wilhelm Hackländer
Namenlose Geschichten - Zweiter Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Sechsunddreißigstes Kapitel. Ein Bürgerball und seine Folgen.

Es gibt unter dem, was man gesellschaftliche Formen, oder noch besser gesagt, herkömmliche Anstandsregeln nennt, gewisse Dinge, denen sich die meisten Menschen nur mit Widerwillen unterwerfen, deren Fesseln sich aber der Ungebundenste nicht entziehen kann, wenn ihm ferner daran gelegen ist, unter seinen Mitbürgern zu leben. Wir rechnen hiezu das Hutabnehmen im Allgemeinen, namentlich aber Visiten aller Art; mögen es nun Antrittsvisiten sein, mögen sie nothwendig sein, als von einer Reise zurückgekommen, oder nach einem Diner, einer Abendgesellschaft, alle sind gleich hassenswerth, und das Menschengeschlecht von diesem Zwange zu erlösen, sollten sich einige muthvolle liberale Männer zusammenthun und man sollte gesellschaftliche Grundrechte erfinden und §. 7 müßte heißen:

Alle zwecklosen Visiten, sie mögen Namen haben, welche sie wollen, sind aufgehoben.

Und wenn man auch drei Tage nach einem Diner nicht vor der betreffenden Thüre kratzfußt, kann man doch ein gebildeter Mensch sein.

Die schrecklichste dieser schrecklichen Visiten aber ist eine Species, welche ich dir, geliebte Leserin, schüchtern nenne und welche du sanft erröthend vernimmst: so reizend, hold und anmuthig auch die Quelle ist, aus welcher diese Art Visiten entspringen, so sind sie um so schrecklicher, da sie die Betreffenden Veranlassen, eine kostbare unersetzliche Zeit nutzlos zu vergeuden.

Wir meinen nämlich Braut-Visiten.

Obgleich wir selber nicht in dem Fall waren, dergleichen zu machen, denn wir glaubten nie, diese Zeitverschwendung entschuldigen zu können, so sehen wir doch täglich dergleichen Schlachtopfer gesellschaftlicher Grausamkeit durch die Straßen rollen, mit langweiligen, ermüdeten Gesichtern, mit einer Leere im Herzen, die selbst für diesen Tag das gegenseitige zärtlichste Händedrücken nicht auszufüllen vermag. Er hat eine lange Liste in der Hand mit circa achthundertvierundachtzig Namen, welche man alle brautvisiten muß. Einige sind freilich so anständig und lassen sich nicht zu Hause finden, und das Brautpaar, über diese feine Aufmerksamkeit entzückt, gibt schnell ein paar Karten ab und der Wagen rollt weiter. Aber die wenigsten von denen, welche auf der Liste stehen, sind so, die allerwenigsten. Gewöhnlich rapportirt der Bediente das Donnerwort: »es wird Herrn und Madame N. N. eine große Ehre sein, und der alten Fräulein Y. ebenfalls«; und Herr und Madame N. N. und die alte Fräulein Y. bilden sich zuweilen noch obendrein ein, sie seien in diesem Moment ungeheuer höflich gegen das Brautpaar, und sie fühlen nicht, daß sie zwei ihrer Nebenmenschen um die kostbarsten Minuten bestehlen. Sie haben das Brautpaar noch gestern Abend in der Gesellschaft gesehen. Thut nichts, sie müssen die vier Treppen hinauf und sich präsentiren. Und was müssen sie da oben hören? Eine alltägliche, langweilige, abgedroschene Leier. Ist die Braut eine Fremde und kommt durch die Heirath in die Stadt, so belobt man den Bräutigam, daß er die Häuser um ein Angenehmes vermehrt und die Damengesellschaft um eine reiche Zierde bereichert. Ist er aber fremd und nimmt die junge Dame mit sich, dann wird er sanft geschmäht und man bedauert unendlich, daß er die schönste Perle der Mädchenwelt so grausam den stillen Vergnügungen der heimathlichen Stadt entreiße. Dann ist man ferner von ewiger Freundschaft überzeugt, oder hofft auf ein baldiges Wiedersehen, es werden Stühle gerückt und unten im Wagen angekommen, ist der Bräutigam hoch erfreut, auf seiner Liste einen neuen Strich machen zu können. Oben in seinem Zimmer aber sagt der Herr N.: die Braut hätte wohl eine andere Partie machen können, und dasselbe sagt Madame R. vom Bräutigam. Auch die alte Fräulein Y. seufzt von so vielen verfehlten Hoffnungen im Allgemeinen, von schlechten Ehen im Speciellen und schätzt sich glücklich, daß sie allen Versuchungen bis jetzt glänzend widerstanden.

Einen solchen Brautvisitenwagen kennt man schon von Weitem. Wo keine eigene Equipage vorhanden, da bedient man sich einer nicht nummerirten Droschke. Die Geschirre sind blank geputzt, der Wagen und der Kutscher ebenfalls. Letzterer befindet sich im blauen Rock mit rundem Hut und neben ihm sitzt ein Lohnbedienter im schwarzen Frack, weißer Halsbinde, ditto baumwollenen Handschuhen und mit einem erfreulichen, sehr heiteren Gesichtsausdruck. Dieser Ausdruck steigert sich zu einem seligen Lächeln, wenn er irgendwo die Klingel zieht und der Braut den Wagenschlag öffnet. Zuweilen während des Fahrens schleicht sich aber auch ein ernster, melancholischer Zug über sein Gesicht, und dies geschieht gewöhnlich in der Nähe einer der Hauptkirchen, denn da denkt er an das morgige Leichenbegängnis;, bei welchem er, in derselben Kleidung wie heute, ebenfalls eine Rolle spielen wird, und probirt schon die Miene für Morgen.

Eine solche Kutsche nun bewegt sich bei dem langsamen Hundetrapp der Pferde in stiller Langweiligkeit Nachmittags durch die Straßen der Residenz, von denen die brennende Sonne des Spätsommers Fußgänger und Wagen ziemlich vertrieben. Die Brautkutsche hält fast vor jedem Hause, und da das Paar in demselben beinahe in jedem Hause angenommen und hinaufgenöthigt wird, so sind wir fest überzeugt, es muß etwas Außerordentliches, ganz Besonderes sich in der Kutsche befinden. Dort in dem großen Hause bleiben sie ziemlich lange, jetzt aber bellt ein Hund die Stiegen hinab, der Lohnlakai öffnet die Thüre – aufgepaßt! – – – –

Lieber Leser, verzeihe uns die sonderbare Ueberraschung, aber Wahrheit vor Allem! – Es ist der junge Eduard und die Honoratiorentochter, welche dort in den Wagen hüpfen. Die Sache ist ziemlich unglaublich, aber wir können sie nicht läugnen. Doch wollen wir uns bemühen, so viel wie möglich den unsichtbaren Fäden nachzuspüren, welche diese Verbindung geknüpft, und sehen uns deßhalb veranlaßt, in unserer Erzählung einige Monate zurückzugreifen, bis zu jenem Moment, wo der Herr Dubel, jetzt Dubelli, ein zweiter Joseph, die Flucht ergriff.

In dem Zimmer der Kiliane blieb damals Niemand zurück als Tante Elise mit ihrem Schmerz. Aber dieser Schmerz war fürchterlich, und Tante Elise war es nicht minder. Vergebens sehnte sie sich nach einem Opfer, das bereit sei, ihrem Grimme zu fallen. Es war Niemand da, die Kiliane erschien nicht wieder und die alte Katze derselben schien kein genugsam aufopferndes Gemüth zu besitzen, um sich ungestraft knuffen zu lassen. Tante Elise raffte demnach Hut und Shawl zusammen, und eilte auf die Straße, wo die einbrechende Dämmerung und der würzige Hauch der Frühlingsluft ihren Schmerz einigermaßen besänftigte und ihren Zorn in reichliche Thränen auflöste, die unter dem Schleier über ihre dicken Backen herabflossen. Wohin mich wenden? fragte sie sich selbst und die Beantwortung dieser Frage war nicht leicht. Soll ich nach Hause in meine einsamen Zimmer, kann ich mit verweinten Augen ins Theater oder zu einer Freundin, und welche von den letztern wäre passend, um ihr irgend eine fabelhafte Geschichte zu erzählen, die ihr Mitleid rege macht? – Daß Tante Elise natürlich nicht im Sinne hatte, das Vorgefallene, wie es sich wirklich begeben, zu erzählen, kann sich jeder Unbefangene selbst denken. Da fiel der armen Dulderin die Hofräthin ein, und sie beschloß, am Busen dieser fühlenden Frau, welche wußte, was Jammer des Herzens sei, sich auszuweinen. Hatte nicht die Hofräthin ihrerseits den Augen der Tante Elise ebenfalls manches Thränenspiel zum Besten gegeben, und konnte Letztere deßhalb nicht ein Gleiches erwarten? Gesagt, gethan. Es trieb die Honoratiorentochter eilenden Laufes durch die Straßen, ein allgewaltiges Schicksal jagte sie und ließ nicht ab von ihr, bis sie das Haus der Hofräthin erreicht, bis sie die Treppen hinaufgeeilt, bis sie die Glasthüre geöffnet hatte und nun bereit war, ins Zimmer zu stürzen an den Busen ihrer mütterlichen Freundin. Hier stand sie einen Augenblick still und wunderte sich ein paar Sekunden lang, daß sie Hofraths Mine nicht in der Küche beschäftigt hörte. Doch da es zuweilen vorkam, daß diese Dame ihre eigenen Gänge zu besorgen pflegte, in der Zeit des Zwielichts, wo die Hofräthin es außerordentlich liebte, in ihrer Sophaecke zu sitzen und über ihr Vergangenes freudenloses Leben nachzudenken, und deßhalb auf das Treiben des Dienstmädchens nicht genau Acht gab, so dachte die Honoratiorentochter, es sei heute ebenfalls so, eilte in das Zimmer der Hofräthin und warf sich, um ihren Eintritt recht ergreifend zu halten, schluchzend auf das Sopha und in die Arme – nicht der Hofräthin, wie sie erwartet, sondern des jungen Eduard, der hier in der Ecke einem sanften Schlummer oblag.

Dieser vortreffliche junge Mann hatte heute sein Comptoir geschwänzt und eine kleine Landpartie gemacht, aber durchaus nicht in der Absicht, um der Arbeit zu entgehen, vielmehr mit dem sehr löblichen Vorsatze, etwas Nützliches zu erlernen, indem ein anderer junger Buchhändler, der lange am Rheine conditionirte, versprochen hatte, ein neues, sehr gutes Getränk anzufertigen, bekannt unter dem sanften Namen: Maitrank, und dessen Recept mitzutheilen. Dies war auch geschehen. Der Maitrank gelang außerordentlich gut und eine allgemeine Erheiterung war die Folge der zweiten Bowle.

Man kann sich denken, daß der junge Eduard, vollständig überrascht, aus seinem Schlummer emporfuhr, und da ihm geträumt, er müsse sich an irgend einen beliebigen Pfeiler anklammern, um nicht in ein wildes tosendes Meer zu seinen Füßen zu fallen, so hielt er einen Augenblick die erschrockene Honoratiorentochter fest in seinen Armen. Bald aber klärte sich das Mißverständniß auf, und in dem Zimmer dagegen wurde es immer dunkler. Wir wollen mit dieser Aufklärung nicht gesagt haben, als ob die Honoratiorentochter die Scene, welche sie mit dem Herrn Dubel gehabt, erzählt – Gott bewahre! sondern sie erfand vielmehr ein recht artiges Mährchen, an dessen Schlusse sich der junge Eduard in dem Glauben befand, als habe Tante Elise seit jenem unvergeßlichen Ballabend seiner zärtlich gedacht, ja, ihn eigentlich geliebt. Dafür nun bezeugte sich Eduard sehr dankbar; auch er erklärte der Tante Elise, nach jenem ersten Tage beständig mit einer Hochachtung, die an Liebe grenze, ihrer gedacht zu haben, und als die Hofräthin, vielleicht eine Stunde später, nach Hause kam, fand sie zu ihrem größten Erstaunen ein Brautpaar vor, das sich ihren mütterlichen Segen erbat. Was wollte die gute Frau machen? Sie kannte die Honoratiorentochter als ein sehr braves verständiges Mädchen, die mit einem anständigen Vermögen sehr viele Vorzüge des Geistes und Herzens verband. Den jungen Eduard zu bessern, hatte sie ohnedies als zu schwierig aufgegeben und beschloß, dieses seiner Frau zu überlassen. Der Hofrath Vater machte an demselben Abend ebenfalls eine gute Miene zum bösen Spiel, meinte aber in den nächsten Tagen und Wochen, der junge Eduard sei eigentlich viel zu jung zum Heirathen und müsse noch ein paar Jahre zuwarten, wogegen sich aber Tante Elise auf's Entschiedenste erklärte, und fest darauf bestand, die Hochzeit müsse in ganz kurzer Zeit vor sich gehen.

Das sollte also geschehen und die Brautvisiten wurden schleunigst abgemacht. Nur müssen wir bei dieser Gelegenheit noch bemerken, daß der junge Eduard, als er in den Wagen stieg, durchaus nicht das freudetrunkene Gesicht zeigte, das man an den meisten Bräutigamen zu sehen gewohnt ist; vielmehr sah er oftmals schüchtern die Straße hinauf und hinab, und wenn ihm alsdann die Tante Elise die Hand zum Schlage hinausreichte, um ihn sanft hineinzuziehen, so war es, als fasse ihn ein finsteres Verhängniß und ziehe ihn gewaltsam ab von den Freuden dieses Lebens und einer trüben Zukunft entgegen.

Man kann sich denken, daß nichts desto weniger im Hause der Tante Elise, sowie in dem der zukünftigen Schwiegereltern viel Lust und Freude herrschte. Die junge Braut saß regelmäßig des Morgens mehrere Stunden im Prunkgemache ihres Appartements und nahm Gegenbesuche an. Dieses Prunkgemach, wie es die meisten Familien, welche wissen, was sich geziemt, besitzen, war das schönste im Hause, sehr elegant möblirt und wurde nur bei großen Veranlassungen gebraucht. An gewöhnlichen gemeinen Tagen waren hier die Fensterläden verschlossen, die Vorhänge herabgelassen, Plüsch-Sopha und eben solche Stühle waren mit weißem Zeug verhängt, ebenso der Kronleuchter an der Decke und es sah aus, als trüge der Haken, an dem er hing, einen ungeheuren Kuchen in einer riesenhaften Serviette. Die Goldrahmen der Spiegel waren mit Gaze verkleidet, und im ganzen Raume wehte jener bekannte Duft, den man in verschlossenen Zimmern findet. Es ist etwas sehr Trostloses um diese Prunkstuben; finster und unbewohnt liegen sie zwischen den andern Zimmern, als befinde sich darin ein Gestorbener oder als sei sonst etwas Schreckliches da verwahrt. Der Hausherr mit seinen Stiefeln darf dieses Heiligthum nie betreten, die Mutter nur geht zuweilen leisen Schrittes hinein, um den Staub abzuwischen, die Kinder schleichen entsetzt hindurch, denn sie fürchten, einer der weißen Vorhänge, die auf dem Sopha ruhen, hebe sich langsam empor und zeige das Gesicht eines Kobolds, der sich dort eingenistet. So sind jene Stuben, und manche Hausfrau würde sie gern aufschließen und sich beständig an den freundlichen hübschen Möbeln erfreuen, aber sie darf nicht, da die alt hergebrachten Regeln, von denen wir oben zu sprechen die Ehre hatten, dagegen sind, und keine ihrer Bekannten das beste und wohnlichste Zimmer zum Wohnen benutzt.

In des Hofraths Hause ging es nun schon lustiger und vergnügter zu, als in dem der Braut.

Stadtrath Schwämmle, der anfänglich auf's höchste überrascht war, hatte sich doch mit der Partie einverstanden erklärt, und meinte, ein solcher Wildfang wie der junge Eduard sei eigentlich nur durch eine solide, gesetzte Frau zu bändigen. Er hatte so eben die Visite der Schwiegereltern erwiedert, – denn auch diese sind bei derlei Veranlassungen gezwungen, ihre Bekannten unnöthiger Weise zu belästigen, wie denn überhaupt die Verlobung eines bekannten Brautpaars eine ganze Stadt in Allarm bringen kann – und ging vergnügt und händereibend in seinem Zimmer auf und ab. Doch glaube man nicht, daß die große Seele dieses würdigen Stadtvaters durch die Aussicht auf eine große Hochzeit in Jubel versetzt worden sei, – weit gefehlt! Vielmehr waren heute Morgen andere sehr erfreuliche Nachrichten eingelaufen, welche in nichts Geringerem bestanden, als daß der Stadtrath beschlossen und die Regierung genehmigt habe, den Bau einer neuen Kirche unverzüglich in Angriff zu nehmen. Des Löschcorps wurde vorderhand nicht weiter gedacht, denn es hatte den ganzen Winter nur sechsmal gebrannt, und es waren durch mangelhafte Rettungsanstalten nur vier brave Familienväter verunglückt, als sie ihren Nebenmenschen zu Hülfe eilen wollten. Die frommen Seelen der Stadt hatten bedeutende Beiträge, eine verstorbene Wittib hatte mitten in der Stadt einen sehr schönen Bauplatz für die projektirte Kirche dem Baucomite testamentarisch vermacht, mit der ganz bescheidenen, anspruchslosen Bedingung, daß ihr Name am Altarstein eingravirt würde. Da dies natürlicher Weise bewilligt wurde, so hatte man den Bauplatz bereits in Beschlag genommen, und eine Menge gottgefälliger alter Jungfern begannen, als sie vom Vermächtniß gehört, eine große, wunderschöne Decke zu sticken, welche zum Zweck hatte, den Altarstein und jenen Namen auf ewige Zeiten vollständig zu verhüllen.

Stadtrath Schwämmle eilte in seinem Zimmer auf und ab, hielt die Hände auf den Rücken und hatte ein Papier in denselben, von welchem er aber dieses Mal keine Rede memorirte. Dieses Papier war nichts weniger als eine feierliche Danksagung des gesammten Magistrats für Schwämmle's vielfache und erfolgreiche Bemühungen pro Gasbeleuchtung und pro neue Kirche. Es war eine papierne Bürgerkrone, welche ihm überreicht ward, zugleich mit dem sehr ambitionirten Posten eines Vorstandes des Stiftungsrathes – ein sehr wichtiger Posten für Kirche und Schule; aber wo fand sich zu dem erledigten Posten ein Würdigerer, als Vater Schwämmle?

Häufiger als je blieb er an der Thüre des Nebenzimmers stehen und warf der dicken Gattin einige Worte hinein, sprach von Beharrlichkeit und schönstem Ziele, von außerordentlicher Willenskraft und glorreichem Ueberwinden aller Schwierigkeiten und setzte am Ende ganz gerührt hinzu: wie er seinem Schöpfer zu so großem Danke verpflichtet sei, da es ihm gestattet, der Familie Schwämmle einen so neuen und noch nie dagewesenen Glanz zu verleihen. Umsonst wartete der Gatte nach dieser feierlichen Rede auf einige Acclamation aus dem Nebenzimmer! Die dicke Stadträthin blieb vor der Hand stumm, und man vernahm nichts, als das Geklapper ihres Bügeleisens, mit welchem sie lebhaft hantierte.

»Es ist aber auch an der Zeit,« fuhr der Stadtrath fort, »die Anhänger der Partei zu belohnen und es die Gegner fühlen zu lassen, daß sie nicht bloß gegen uns, sondern auch gegen die heilige Kirche gefrevelt.« – Er hob bei diesen Worten sein Kinn drohend aus der Halsbinde hervor und ließ es einen Augenblick frei um sich schauen, ehe er es wieder in die Tiefe derselben hinabtauchte. »Ich werde es machen wie die Minister in großen Staaten, und nur unsere Freunde und die, so ihnen zugethan sind, sollen ruhen unter dem Schatten des neuerschaffenen Oelbaums. Ich habe da eben,« sagte er mit erhobener Stimme und rauschte mit einigen Papieren, »die Meßnerei, den Dienst eines Küsters an der Stadtkirche zu vergeben, und wer wäre hiezu tauglicher, als der gute Steinmann, jener mißkannte und so vielfach falsch beurtheilte Mann?«

Vater Schwämmle blickte bei diesen letzten Worten, die er sehr laut gesprochen, forschend nach der Thüre des Nebenzimmers und lächelte sanft, als er hörte, daß dort das Bügeleisen lebhaft niedergesetzt wurde, und als die Stimme der Stadträthin nun erscholl, welche sagte: »so ist es denn wahr, was sich die halbe Stadt mit Verwunderung erzählt, du wollest dem Steinmann, dem einäugigen Polizeidiener, zu der Meßnerei in der Stadtkirche verhelfen, allen Gegenvorstellungen zum Trotz und zum Skandal der Bürgerschaft, die jenen Menschen mit vollem Recht verabscheut?«

»Liebe Frau,« entgegnete der Stadtrath sehr sanft, »die Welt pflegt nur nach dem Aeußeren zu urtheilen, und dieses ist allerdings an dem guten Steinmann nicht das Empfehlungswertheste. Ich aber habe den Kern, das Innere desselben ergründet, und bin mir bewußt, keinen Fehlgriff zu thun.«

Die Stadträthin wollte etwas heftig erwidern, doch sagte Vater Schwämmle, nachdem er einen Blick durch's Fenster geworfen: »ich bitte dich, Frau, mäßige deine Stimme, ich sehe den wackeren Steinmann unserm Hause sich nähern und möchte nicht gern, daß er es vernähme, wir zwei Eheleute seien in einem Streit begriffen, und gar in einem Streite, der seine Person angeht.« –

Die Stadträthin eilte in ihr Zimmer zurück, die Thüre flog ziemlich heftig in's Schloß, und als es draußen schellte und der Steinmann eintrat, rumorte das Bügeleisen,, oder vielmehr zwei Bügeleisen, indem Stadtraths Ricke das andere führte, auf eine wirklich erschreckliche Art.

Vater Schwämmle, der im Grunde seines Herzens ein gemüthlicher Mensch war und alles Ernstes überzeugt, der Kern in der häßlichen Steinmann'schen Schale sei rein und echt, reichte dem Stadtsoldaten gerührt die Hand, vergrub sein Kinn tief in die Halsbinde und war sichtbarlich ergriffen, als er nun dem Steinmann das große Glück, welches ihn erwarte, mittheilte. Auch über die Züge des nunmehrigen würdigen Meßners flog ein falber Schein von Freude, ein unheimliches Wetterleuchten des Entzückens, und er fand nicht Worte, seinen Dank auszudrücken. Er hörte auch nur mit halbem Ohr, was ihm der Stadtrath von der neuen Kirche sagte, und empfahl sich so bald wie möglich und ging so nachdenklich seines Weges, daß er beim Weggehen nicht einmal Stadtraths Ricke bemerkte, welche ihm freundlicher als sonst die Glasthüre öffnete.

Der Steinmann schien mit seiner Ernennung in der Tasche augenblicklich den Polizeibeamten ausgezogen zu haben; wenigstens ging er auf der Straße theilnahmlos bei einigen Buben vorbei, die in ernstlichem Streit mit einer Obsthändlerin begriffen waren, er sah eine Droschke auf der Straße dahingaloppiren, ohne sie anzurufen oder sich die Nummer zu merken, ja, er bemerkte mehrere Cigarrenraucher und stellte sie nicht zur Rede. Es war aber nicht die Freude über seine Ernennung, welche ihn so nachdenklich machte; denn er wünschte im jetzigen Augenblicke die Stelle eines Meßners nicht ambitionirt zu haben, ja er wollte, sie wäre nicht erfolgt und er harmloser Polizeisoldat geblieben. Ihm graute vor der Kirche, und wenn es auch bei ihm lag, ein anderes Leben anzufangen, so war es ihm doch nicht möglich, das Andenken an vergangene Tage zu verwischen. Doch dauerten diese de- und wehmüthigen Betrachtungen nicht gar zu lange, und als er sich den Zorn der vielen durchgefallenen Aspiranten auf diese Stelle lebhaft vorstellte, so blinzelte sein eines Auge freundlicher und er schritt wieder erhobenen Hauptes dahin. Eilig nahm er seinen Weg nach dem Stadtgraben, verschwand hinter dem Hause, in welchem die Jungfer Kiliane wohnte, drückte sich an den Häusern in den engen Gäßchen hin und eilte schnell durch die Hinterthüre der Holzställe über die Treppe hinauf in die Wohnung der Frau Müller.

Dort schien man ihn erwartet zu haben, wenigstens der Gevatter, der in ausgelassener Lustigkeit entsetzlich schielte und, auf dem Sopha sitzend, die Füße lustig hin und her schlenkerte. Die Frau saß in der Ecke des Zimmers und nähte an einem alten Ueberock.

»Wie gerufen, wie gerufen!« lachte der Gevatter dem Eintretenden entgegen; »rathet, was ich hier für Euch habe!«

»Nun, was wirds sein!« sagte mürrisch der Steinmann; »irgend eine Gaunerei, eine schlechte Geschichte, oder,« setzte er freundlicher hinzu, »am Ende ein Brief von der Anna – wie, Alte?«

Die Frau gab keine Antwort, ja, sie blickte nicht einmal in die Höhe; der Gevatter aber rief lustig: »besser als das, viel besser als das! Na, rathet einmal! – Könnt Ihr nicht? Habt Ihr gar keine Ahnung? Nun, ich will es Euch sagen, – Briefe aus Mailand habe ich, schöne Briefe aus Mailand, poste restante an Eure Adresse, ich habe sie von der Post geholt. Da nehmt! Gott verdamm mich, die haben schnell geantwortet!« Der Steinmann wechselte einen Augenblick die Farbe, aber kaum merklich, als ihm der Gevatter das Packet überreichte; dann schielte er zu der Frau Müller hinüber, welche aber wie vorhin that, als achte sie nicht auf das Gerede der Beiden. Darauf trat er mit dem Packet ans Fenster, riß den Umschlag ab und der Gevatter, der vom Sopha aufgestanden war, lehnte sich an dasselbe und sah forschend in das geöffnete Packet und auf die Züge des Steinmanns.

Es waren ein paar Briefe in demselben, sowie einige zusammengefaltete Papiere, welche das gierige Auge des Gevatters alsbald für Wechsel erkannte. Der Steinmann las die Briefe durch, sein Gesicht wurde ernster und ernster, und er ließ die Unterlippe nachdenklich herabhängen. Als er mit Lesen fertig war, fuhr er mit der Hand über die Augen und sagte: »ich wollte wahrhaftig, wir hätten das nicht gethan. Da ist ein Schreiben darin von dem Vater des kleinen Mädchens, der gar kläglich und gerührt über den Tod desselben thut.«

Der Gevatter rieb sich vergnügt die Hände, während die Frau Müller näher trat und sich angelegentlich erkundigte, von welchem Kind und von welchem Todesfall man eigentlich spreche.

»Faxen, Faxen!« rief lustig der Gevatter. »Frau, Ihr bekommt ein merkwürdig schlechtes Gedächtnis; in der letzten Zeit. Ihr wißt doch, die Papiere, die ich drüben mitnahm, die von dem kleinen Mädchen, das bei der Welscher wohnt – nun ja! – und da haben wir deren hochgeborenem Papa geschrieben und ihm angezeigt, daß Mutter und Kind gestorben seien, und daß wir braven Leute sie bis zu ihrem Ende unterstützt und ihnen die letzten Stunden leicht gemacht. – Ha! ha! ha! und jetzt schickt der Herr einiges Geld – nun, wie viel ist's denn?«

Er griff mit zitternden Händen nach den Wechseln.

»Es sind nach unserem Geld achthundert Gulden,« sagte der Steinmann und eine tiefe Röthe schlug auf seinem Gesicht auf.

»Achthundert Gulden!« jauchzte der Gevatter, und die Frau schauderte zusammen und ging in ihre Ecke zurück.

»Achthundert Gulden,« wiederholte der Steinmann, setzte sich an den Tisch und breitete die Wechsel vor sich aus.

Der Gevatter wollte darnach langen, aber der Stadtsoldat legte seine breite Hand darüber hin und wehrte ihn ab, »Ich wollte,« sagte er alsdann, »wir hätten die Geschichte nicht gemacht, es ist riskirt, es kann herauskommen, wahrhaftig ich wollte, es wäre nicht geschehen!«

»Wie ist mir denn, Gevatter?« lachte der Andere und sah dem Steinmann starr ins Gesicht. »Seid Ihr fromm geworden, oder ist es vielleicht wahr, was man sich in der Stadt munkelt, man habe Euch die Meßnerei an der Stadtkirche übertragen? He! was ist Wahres daran?«

»Ja,« sagte der Steinmann fest und bestimmt, »es ist so, und deßhalb bin ich eigentlich da, um mit euch Beiden ein paar ernste Worte zu sprechen. Mit dir und mit der Frau da.«

Der Gevatter stützte die Ellbogen auf den Tisch, legte den Kopf darauf und horchte aufmerksam zu, ohne einen Blick von den Wechseln abzuwenden.

»Ihr wißt,« sagte der Steinmann, »daß ich stets mit euch treu und redlich zusammen gehalten, daß wir eine Reihe von Jahren gute Geschäfte gemacht, und daß ich euch in keiner Weise übervortheilt. Gebt das zu, Gevatter, und Ihr auch, Frau, das Bischen, das ich hie und da mehr bekam, war nicht der Rede werth für die größere Arbeit, für die Gefahr, in der ich beständig geschwebt, und für den trefflichen Rath, den ich Euch immer gegeben, nicht zu gedenken des polizeilichen Schutzes, der Euch durch mich zu Theil wurde. Ich habe Euch aber schon vor längerer Zeit gesagt, daß, wenn ich einmal in den Fall komme, meine bisherige Stellung zu verlassen und mich zu verbessern, alsdann unsere Verbindung aufhören müsse, und der Augenblick ist jetzt gekommen. Es ist wahr, ich habe den Meßnereidienst an der Stadtkirche erhalten, und ebenso wahr ist es, daß ich einestheils auf diesem Posten doch schicklicher Weise unsere Geschäfte nicht fortsetzen kann, und daß ich Euch anderntheils wenig mehr nützen kann, indem ich meine bisherige Stellung verlasse. Deßhalb müssen wir uns trennen.«

Der Gevatter nickte finster mit dem Kopfe und die Frau nähte ruhig weiter.

»Ja,« fuhr der Steinmann fort, »wir müssen uns trennen, aber in Freundschaft. Was die Frau Müller anbelangt, so wird sie schon einen kleinen Erwerb finden, und bin ich auch gern bereit, ihr, wo es thunlich ist, mit gutem Rath an die Hand zu gehen. Ihr aber, Gevatter, müßt die Stadt verlassen und das sobald wie möglich. Ich kann Euch versichern, Ihr seid in den Registern der Polizei ungeheuer schlecht angeschrieben, man späht Euch nach, und wenn sie Euch einfangen, so sitzt Ihr ohne Gnade für eine lange Reihe von Jahren. Nehmt deßhalb Euren Wanderstab und zieht in's Teufels Namen von hinnen. Hier sind die Mittel, daß Ihr eine Zeit lang Euer Leben anständig fristen könnt, und dann müßt Ihr Euch anderswo selbst helfen. Von dem Betrag dieser Wechsel will ich nichts.«

»Nichts, gar nichts?« sagte der Gevatter mit gierigem Auge; »das soll Alles mein sein?«

»Nicht so ganz, mein Freund,« versetzte der Steinmann listig lächelnd; »bedenkt unsere wackere Frau Müller, und dann will ich Euch etwas sagen, was ohne Widerrede gilt: hier sind achthundert Gulden, die theile ich in zwei gleiche Hälften – schaut mich doch nicht an, wie ein böser Hund, ich will ja nichts von dem Bettel, – die eine Hälfte, vierhundert Gulden, ist für Euch, die anderen vierhundert Gulden aber sind für das Kind selbst, dem wir die ganze Summe eigentlich doch gestohlen.«

Die Frau blickte zweifelnd von ihrer Arbeit auf und der Gevatter knirschte mit den Zähnen.

»Seid doch nicht so dumm und habgierig!« sagte der Steinmann heftig, »wir müssen dem Kinde etwas abgeben – den Teufel auch, wer weiß, ob der Italiener nicht seinen Korrespondenten hier hat! Ich glaube wohl, daß Euch Alles einerlei ist, aber nicht mir. Mein Name hat auf dem Briefe gestanden, und wenn von der Geschichte je etwas herauskäme, so würde man sich an mich halten; also keine Widerrede; wollt Ihr oder wollt Ihr nicht? Ich bringe Euch morgen die vierhundert Gulden – oder mich soll der Teufel holen, wenn ich nicht die Wische da vor Euren Augen zerreiße, dann habt Ihr gar nichts.«

Der Gevatter vergrub die Hände in sein Haar, murmelte etwas vor sich hin, und als er vergeblich versucht, den Steinmann zum Nachgeben zu bewegen, sagte er mürrisch: »und was meint die Frau dazu?«

»Ich?« erwiderte die Müller, »o, laßt mich bei der Geschichte aus dem Spiel, ich will nichts, gar nichts von Eurem Geld.«

»Nichts?« sagte der Gevatter grinsend; »ei, das ist schön! dann kommen auf meinen Theil vierhundert Gulden, ich laß' mir das gefallen.«

»Nein, nein!« sprach der Steinmann eifrig, »die Frau muß ihren Theil haben; wovon will sie leben, wenn das Geschäft aufhört?«

»Vielleicht werde ich arbeiten,« sagte die Frau mit Thränen in den Augen und blickte nach dem Zimmer, wo ihre Tochter gewohnt. »Kümmert euch nicht um mich, ihr Herrn, denkt nicht mehr an mich.«

Der Steinmann zuckte mit den Achseln, raffte Wechsel und Briefe zusammen und stand auf.

Die Frau erhob sich ebenfalls von ihrem Platze und sagte: »Laßt mich den Brief lesen, den der Vater des Kindes geschrieben hat.«

»Wozu, Frau?« entgegnete der Steinmann; »es ist ein jammervoller Brief, hätt' nicht geglaubt, daß dem Herrn das uneheliche Kind so am Herzen liegt, obendrein da er verheirathet ist, wie der italienische Advokat schreibt.«

»Aber er hat vielleicht weiter keine Kinder?« sagte forschend die Frau.

»So scheints in der That,« entgegnete der Steinmann, nachdem er noch einen Blick in die Papiere geworfen. »Ich glaube, er wäre im Stande gewesen, das Mädchen zu sich zu nehmen; er ist aber jetzt nach Sicilien abgereist.«

»Und wie heißt der Herr?« forschte die Frau weiter und der Gevatter sagte lachend:

»Ja, das möchte ich auch wissen!«

»Graf von St. Alban,« las der Steinmann aus dem Briefe und steckte seine sämmtlichen Papiere in die Tasche, worauf der Gevatter lustig sagte:

»Nun, jetzt weiß ich doch, wem ich dankbar bin, und werde wahrhaftig nicht ermangeln, einige Schoppen auf das Wohl des Grafen von St. Alban zu trinken – wann bekomme ich mein Geld, Steinmann?«

»Morgen früh,« entgegnete mürrisch der Stadtsoldat. »Ihr könnt kommen und es bei mir holen; aber schmiert Eure Sohlen und packt Eure Garderobe zusammen. Ihr müßt morgen noch die Stadt verlassen. An Euch werde ich denken, Frau.«

Damit ging er die Treppen hinab, gefolgt von dem Gevatter, der in dem dunkeln Vorplatze zurückblieb, bis der Steinmann die nächsten Gäßchen hinter sich hatte. Dann schlüpfte auch er auf die Straße.

So waren denn die Verbündeten zum letzten Male freundschaftlich bei einander gewesen, und es hatte sich ein Bund aufgelöst, der so lange und fest gehalten in guter und schlechter Zeit. Der Steinmann war der Einzige, der, wie immer, sich mit Vortheil zurückzog, während des ganzen Zusammenlebens mit seinen Verbündeten und so auch heute. Lustig und vergnügt schritt er durch die Straßen, die gute Meßnerei in Aussicht und achthundert Gulden in der Brieftasche, von denen er freilich vierhundert abgeben mußte, doch blieben ihm noch immerhin vierhundert, um – seine ersten Ausgaben beim Antritt des neuen Amtes bestreiten zu können.


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