Friedrich Wilhelm Hackländer
Namenlose Geschichten - Zweiter Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Dreiundzwanzigstes Kapitel. Ein Bürgerball und seine Folgen.

Die Honoratiorentochter, welche wir schon einige Mal zu erwähnen das Vergnügen hatten, hieß Elise, und die zahlreichen Kinder der zahlreichen Familie, mit denen sie umging, nannten sie nur Tante Elise – eine Benennung, die sie sich hätte gern gefallen lassen und gefallen ließ von den kleinen Kindern bis zum vierten Jahr; daß aber herangewachsene Bengel von zwölf bis vierzehn Jahren immer noch Tante Elise sagten, war ihr sehr unangenehm, denn sie fürchtete mit einigem Grunde, sie werde aus dieser Tantenschaft nie mehr herauskommen, eine ewige Tante bleiben, ohne von einem menschlichen Wesen je den Namen einer näheren Verwandten zu erhalten.

Tante Elise war die verwaiste Tochter eines Oberregierungsraths und einer Oberregierungsräthin. Ohne daß sie gerade häßlich gewesen wäre, konnte man sie auch nicht hübsch nennen. Sie wurde im nächsten Sommer vierundzwanzig Jahre alt, das gestand sie nämlich ihren vertrauten Freundinnen nunmehr seit zehn Jahren ein, und wenn man so ihr Aeußeres in Summa betrachtete, so war Tante Elise eines von jenen Wesen, von denen man unmöglich glauben kann, daß sie einstens jung und niedlich gewesen sind, – ein Gedanke, der uns ebenfalls beim Hinblicke eines Elephanten oder eines Kameels beschleicht. Die ganze jetzt lebende Generation junger Leute kannte die Tante Elise nur, wie sie jetzt war, und behauptete, sie sei immer so gewesen.

Der selige Oberregierungsrath Vater hatte die Erziehung dieses einzigen Kindes geleitet, da die selige Oberregierungsräthin Mutter schon zu ihren Ahnen versammelt wurde, als Elise noch ganz klein war. Der Vater war schon damals ein mürrischer alter Mann, hatte spät geheirathet und haßte alle öffentlichen Vergnügungen, Theater, Bälle, junge Männer und Courmacherei. Daher kam es, daß sich die beiden letzteren Artikel nicht oder nur sehr schüchtern in die Höhle dieses Drachen wagten und daß im Allgemeinen nur sehr schwache Versuche gemacht wurden, Tante Elise aus derselben zu erlösen. Gott! die Arme hatte ein äußerst prosaisches Leben geführt und fühlte dies um so mehr, weil sie viele verbotene Bücher las, wo das, was ihr fehlte, so schön und glühend beschrieben wurde. Eine Zeit lang verzehrte sie sich im stillen Gram nach einem Gegenstande ihrer allerreinsten Liebe, später nach einem Gegenstande ihrer Liebe und dann bloß noch nach einem Gegenstande.

– – – – – Ach vergebens!
Alle Freuden dieses Lebens
Schwanden hin in ein verlornes Ach!

sang sie mit dem unsterblichen Dichter und kam in einigen Jahren zu der festen Ueberzeugung, daß das ganze Männergeschlecht eine elende Räuberbande sei, die durchaus nichts tauge und sich nur auf der Welt befinde, um arme Mädchen unglücklich zu machen. Ehe sie zu dieser Erkenntniß kam, hatte sie eine Übergangsperiode, in welcher sie sich aller verlassenen Geliebten, aller unglücklichen Bräute eifrigst annahm. Bald aber genügten diese eingebildeten Leiden ihrem fühlenden Herzen nicht mehr, und dagegen wurde es ihr Bedürfniß, sich an wirklichem Schmerz zu erlaben, zu welchem Zwecke sie sich in alle unglücklichen Ehen drängte, alle verstimmten Eheleute aufsuchte, eine milde Trösterin den Weibern, ein Schrecken den Männern. Von da an datirte sich auch ihre innige Freundschaft für die Hofräthin.

Tante Elise kannte demnach die kleinen Zerwürfnisse all' ihrer Bekannten, soweit die unglücklichen Weiber sie ihren jungfräulichen Ohren preisgeben konnten, und indem sie in das Getreibe des Ehestandes hineinsah, vergrößerte sich, wie sie nämlich sagte, der Abscheu vor den Männern in's Fabelhafte, und so faßte sie in ihrem vierunddreißigsten Jahre den unabänderlichen Entschluß, nicht mehr zu heirathen.

Aber tugendhaft war Tante Elise, das mußte der Neid ihr nachsagen; es war eine Gott wohlgefällige, herrliche Jungfrau, und wenn in der Oper »Norma« die Seherin ihre Arie anhob:

O keusche Göttin!

dann blickte sie auf dem zweiten Range stolz umher, als wollte sie sagen: »Seht auf mich!«

Da kam das Schicksal an jenem denkwürdigen Ballabende und warf im Drange der Finsterniß und der Gefühle die Honoratiorentochter an die Brust des Herrn Dubel, und der Herr Dubel, von diesem Augenblicke profitirend, schloß seine Arme fester als gerade nothwendig war, und einen solchen Druck nach dem aufregenden Tanze, in der Erschütterung der Angst, welche über die ganze Ballgesellschaft kam, vergißt ein Mädchen nicht leicht, eine alte Jungfer aber niemals! Tante Elise schwärmte für ihren Retter und malte sich ihn mit den schönsten Farben aus, bis sie erfuhr, daß dieser Retter nur ein – Schneider sei; das gab freilich eine Sonnenfinsterniß in ihrem Gemüthe, welcher jedoch der Brand ihres Herzens zu Hülfe kam, den selbst diese Entdeckung nicht löschen konnte. Die heimliche glühende Leidenschaft des so tief unter ihr Stehenden, meinte sie, habe einen ungeheuren poetischen Reiz; sie dachte an alle Romane, wo der Sklave seine Gebieterin geliebt, der gemeine Knecht die Fürstin, und beschloß, sich auch so lieben zu lassen – heimlich und verschwiegen, aber süß und innig! –

Anders aber dachte der Herr Dubel. Als er sich die Sache näher und Tante Elise bei Tageslicht besah, kühlten sich seine Gefühle, die er an jenem Ballabende gefaßt, bedeutend ab; als er aber im königlichen Balletsaale die blonde Solotänzerin gesehen, hatte sich sein Herz ganz verwandelt; wenigstens beschloß er, vorsichtig und überlegt zu Werke zu gehen. »Wer weiß,« sagte er zu sich selber, »wer weiß, ob die Liebe jener Dame – er meinte nämlich die Tante Elise – nicht so heftig zu dir ist, daß sie dir Mittel gibt und Wege anzeigt, um zu einer hohen, schönen Stellung im Leben zu gelangen, und will sie dann, wenn du erhaben und würdig dastehst, dich heirathen, so mußt du schon ein Auge zudrücken. In diesem Falle kannst du einer glücklichen Zukunft dein Herz schon zum Opfer bringen. – Wohlan! du willst sie also heirathen!«

Tante Elise aber brannte in hellen Flammen und dachte: »warum soll ich nicht, wenn auch in späteren Jahren, die Süßigkeiten einer ersten Liebe genießen, einer Liebe, so verschwiegen, so unschuldig, so gefahrlos? Wer wird eine Ahnung davon haben, daß ich hier bei der alten Büglerin mit einem jungen Manne zusammenkomme? und wenn es Jemand erführe – was thut's? Würde wohl die böseste Zunge im Stande sein, mich zu beschuldigen, ich hätte einen Schneider zum Geliebten?«

Mit diesen Gedanken saßen der Herr Dubel und die Tante Elise am nächsten Sonntag in den späteren Nachmittagsstunden in der Wohnung der Jungfer Kiliane, und die alte Büglerin, nachdem sie noch einmal die grauenvolle Geschichte des nächtlichen Einbruchs erzählte, entfernte sich auf eine Viertelstunde, wie sie sagte, um draußen eine nothwendige und dringende Bestellung auszurichten.

Die beiden Liebenden waren allein. Sie saßen auf dem alten Sopha, jedes in einer Ecke; der Herr Dubel aber zunächst dem Fenster, wodurch es ihm vergönnt war, ein Stück des blauen Himmels zu sehen, der, von der untergehenden Sonne bestrahlt, glühte und leuchtete.

Herr Dubel blickte sinnend zum Fenster hinaus, ohne ein Wort zu sprechen, und die Honoratiorentochter sagte nach einer kleinen Weile:

»Warum schauen Sie so angelegentlich da hinaus? Sie erblicken wahrscheinlich den lieblichen Frühlingshimmel?«

»Sie sehen ihn nicht, mein theuerssss-tes Fräulein?« fragte der Herr Dubel; »richtig, das Haus verbirgt ihn von Ihrem Sitze aus Ihren Blicken.«

»Wenn ich mich etwas bücke,« sprach das schelmische Mädchen, »so kann ich ihn ebenfalls sehen.« Dabei bückte sie sich, rückte näher nach der andern Ecke und sagte: »ach, ich sehe noch nichts!«

»Aber er issss-t so schön!« bemerkte der Herr Dubel, dem es warm wurde, und die Honoratiorentochter, die unter allen Umständen einen Blick in den Himmel werfen wollte, bückte und rückte so lange, bis ihre Schulter die Brust des Herrn Dubel berührte.

Wer hätte diesen Moment können vorbeigehen lassen, ohne, wie es der Herr Dubel that, ganz leise seinen Arm um ihren Leib zu legen, sie sanft an sich zu drücken und sie zu fragen: »sehen Sie jetzt den Himmel, Elise?« – worauf sie ihm sanft zur Antwort lispelte:

»O Heinrich, ich ahne etwas dergleichen!«

Das war ein schöner Moment für Beide, wenigstens für die Honoratiorentochter; der Herr Dubel dagegen, der, wenn er gen Himmel in die Höhe sah, an die Höhe dachte, welche er in Folge dieser Leidenschaft in der Gesellschaft wohl einnehmen könne, brachte das Gespräch sanft auf praktische Gegenstände und sprach von einer schönen Zukunft. »Was issss-t eine Liebe,« meinte er, »die sich nicht zum Hauptziel macht, den geliebten Gegenssss-tand zu sich emporzuziehen, ihn sowohl im Innern als auch vor den Augen der Welt zu veredeln und zu erheben? Diese Liebe issss-t die wahre und schöne, und da, theure Elise, Ihre Liebe zu mir gerade von dieser Art issss-t, so fühle ich mich doppelt selig, doppelt glücklich!«

»O Heinrich,« sagte die erglühte Dame, »wie kann man in der Liebe nach Zwecken, nach Absichten fragen? Sie braust daher, sie ergreift unser Herz, sie macht uns glücklich, und wer kann dabei an Anderes denken?«

»Theuerssss-te Elise,« entgegnete der Herr Dübel, »eine Liebe ohne Zweck, ohne reellen, soliden Zweck issss-t Leidenschaft, und leidenschaftlich,« setzte er etwas ängstlich hinzu und rückte, so weit er konnte, in die Ecke des Sopha's, »leidenschaftlich wollen wir nicht sein!« Doch er hatte gut reden, der Herr Dubel, er hatte dem Feuer, das neben ihm loderte, gut befehlen, es solle einhalten: er sah mit Schrecken ein, wie gefährlich es sei, sich mit einer Jungfrau von gewissen Jahren zu einem Rendezvous zu vereinigen.

»Wie können Sie,« fuhr er mit einiger Aengstlichkeit fort, »von einer Liebe ohne Zweck sprechen? – was issss-t eine zwecklose Liebe? – ein Unding! Hat denn unsere – Liebe nicht einen so schönen und edlen Zweck? Ich hoffe so, weil ich Ihr edles Herz zu kennen glaube. O Elise, Sie ssss-tehen auf einer andern SSSS-tufe der menschlichen Gesellschaft, auf einer viel höheren, und wenn ich auch in meinen Gedanken keck dort hinzureisen im SSSS-tande bin, so können es doch meine äußern Verhältnisse nicht. Um nun diese glänzend umzugessss-talten, bieten Sie, ein reiches, unabhängiges Mädchen, Alles auf, was Sie besitzen – o, wie sind Sie so edel, Elise!«

Die Dame starrte noch immer zum Himmel empor und sah bei den letzten Worten, die er sprach, auf den Herrn Dubel mit einem Ausdrucke, der zu sagen schien: sie verstehe ihn nicht ganz.

»Die Mitwelt wird Sie preisen, Elise,« fuhr der junge Mann fort, »Sie werden hoch dassss-tehen bei Ihren Bekannten; Sie lernen mich durch einen eigenthümlichen Zufall kennen, Ihr Herz bebt nicht zurück, als Sie erfahren, daß ich nur ein Schneider bin – edles Mädchen, nein! Sie bewilligen mir sogar Ihre Liebe, Sie bieten mir Ihr Herz, Ihre Hand.«

»Meine Hand?« sagte zweifelnd die Honoratiorentochter; »ich hätte Ihnen meine Hand angeboten?« – Sie rückte ein wenig auf die Seite und sah den Herrn Dubel mit einem sonderbaren Blick an.

»Können Sie noch fragen? O, Sie verssss-tellen sich, edles Wesen, sprechen Sie es aus, daß Sie mich zu sich emporheben wollen, daß Sie mich durch eine Heirath ...«

»Durch eine Heirath?« kreischte die Dame und fuhr erschrocken zurück; »ich soll Sie heirathen? Sie sollten mich heirathen? O mein Herr,« sagte sie mit einiger Entrüstung, »wer hat Ihnen so etwas weiß gemacht?«

»Wie, mein Fräulein!« entgegnete der Herr Dübel ziemlich überrascht, »Sie gessss-tanden mir nicht Ihre Liebe, Sie wollten mich nicht durch den Besitz Ihrer Hand glücklich machen?«

»Nimmermehr!« sagte die Honoratiorentochter und rückte in die Ecke des Sopha's, welche sie vorhin freiwillig verlassen. »Kommen Sie mir nicht näher, mein Herr, Sie werden zudringlich!«

Obgleich der Schneider über diese Wendung, welche die zärtliche Scene nahm, sich durchaus nicht unglücklich fühlte, so war er doch im höchsten Grade überrascht und konnte sich nicht enthalten, zu fragen: »aber was wollten wir denn eigentlich, mein Fräulein?«

»Ich weiß es nicht!« sagte entrüstet die Honoratiorentochter, indem sie von dem Sopha aufstand; »das scheint mir hier ein vorbereiteter Ueberfall gewesen zu sein – o Gott! in welche Falle bin ich gerathen?« – Sie ging mit heftigen Schritten im Zimmer auf und ab und murmelte zwischen den Zähnen: »eine Heirath? – O Gott, diese Schmach! Eine Heirath mit einem Schneider!«

Seinerseits erhob sich der Herr Dubel ebenfalls sehr entrüstet und sprach feierlich: »mein Fräulein, ich habe mich entsetzlich in Ihnen getäuscht, ich glaubte bei Ihrem SSSS-tande, bei Ihrer Bildung annehmen zu können, daß die Zuneigung, welche Sie zu mir gefassss-t, auf eine edle Absicht begründet sei, mir die Hand zu reichen und mich dadurch zu dem Range zu erheben, den Sie einnehmen, mir durch Ihre Glücksgüter äußerlich das zu verschaffen, was mir fehlt; ich sage nur äußerlich, mein Fräulein, denn was mein Inneres anbelangt, so issss-t es unendlich reich und könnte zehn Herzen wie das Ihrige mit Edelmuth und anssss-tändigen Gesinnungen ausfüllen, zehn solcher armen Herzen.«

»Ich ein armes Herz?« schrie entsetzt das Fräulein und sank auf das Sopha, indem sie that, als weine sie bittere Thränen; »ich ein armes Herz? – Was an mir ist arm? – Nichts! sage ich Ihnen; o mein Gott! und das soll ich mir von einem solchen Subjekt bieten lassen?«

»Sie brauchen sich von mir gar nichts bieten zu lassen!« versetzte feierlich Herr Dubel und nahm seine schönste Stellung an; »ich habe überhaupt nicht Lussss-t, Ihnen etwas anzubieten; das einzige Gefühl, das mich manchmal beschleicht, issss-t allein das des Erbarmens, des Bedauerns; ja, mein Fräulein, ich bedaure Sie!« – Damit wandte sich der Herr Dubel nach der Thüre und überhörte, was die erhitzte und erzürnte Schöne ihm nachrief, indem er die Thüre hinter sich in's Schloß warf und schwer aufathmend, aber gar nicht unglücklich, die Treppen hinabeilte.

Unten angekommen, ging er in den Hof, um durch die Hinterthüre, welche erst bei einbrechender Nacht geschlossen wurde, in die Straßen zu gelangen. Als er mit leichten Schritten in den dunklen Holzschuppen trat, hörte er, wie zwei Männer die Treppen zur Wohnung über diesem Gelasse hinaufstiegen und miteinander sprachen. Der Eine sagte:

»Nun, ich will es Euch glauben, daß sie Euch von ihrer Flucht nichts auf die Nase gebunden haben; ich muß es glauben und ich will es glauben, denn, beim Teufel! wenn ich Euch im Verdacht hätte, daß Ihr den Weibern gegen mich geholfen, so machte ich Euch kalt, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Seid nur nicht gleich so hitzig, Gevatter,« sprach der Andere, »und denkt einmal vernünftig nach, was es mir hätte nützen können, die Weiber zur Flucht zu ermuntern oder ihnen zu helfen; verliere ich nicht an unserer guten Freundin Madame Müller mehr, als Ihr an dem dummen hochmüthigen Mädel? O, sie war eine gescheidte, kluge Person, die Alte nämlich! Was für einen guten Rath hatte sie nicht immer bei der Hand, wie wußte sie Alles zu erklären und scharf zu beurtheilen! Das Geschäft ist fast ruinirt. weil sie nicht mehr dabei ist.« – Dies sagte er mit einem großen Seufzer.

»Freilich, freilich!« murmelte der Andere, »sie hat uns viel genützt und ihre Flucht ist uns ein großer Schaden.«

»Auch könnte sie uns verrathen.«

»O unbesorgt!« entgegnete der Erste, »die Alte ist hart wie Fels und das Mädel weiß wenig von unsern Geschichten – wenn es mir nur nicht immer vorschwebte, als sei ich den Beiden an dem Abend selbst, wo sie davonliefen, auf der Straße begegnet. Wenn dem so ist, möchte ich mir den Kopf einrennen! Aber ich werde sie wieder bekommen, dafür stehe ich Euch; ich habe schon an ein paar gute Bekannte geschrieben, und so wie man mir Nachrichten von den Beiden gibt, setze ich ihnen selbst nach und lasse sie irgendwo als gefährliche Landstreicherinnen arretiren.«

»Bravo, Gevatter!«

»Wie steht's aber mit der anderen Sache?« fragte die erste Stimme; »habt Ihr was ausgedacht, wie wir den hochmüthigen Kerl ruiniren?«

»Laßt mich nur machen!« lachte der Andere; »wir haben ein herrliches Plänchen und das kann nicht fehlschlagen.«

Jetzt verloren sich die Stimmen der beiden Sprechenden in's Innere der Wohnung, und der Schneider, welcher weiter nichts hörte, auch genug hatte, um sich allerlei Gedanken darüber zu machen, indem er die Stimme des Herrn Steinmann erkannt hatte und sich wohl erinnerte, wie ihm die alte Kiliane heute Nachmittag gesagt. Niemand als die schlechte Person im Hinterhause, die auch mit ihrer Tochter bereits davongelaufen sei, habe ihr das Geld gestohlen.

Nachdenkend schlenderte der Schneider durch die Straßen weiter, und da er keinen Zweck hatte, der ihn da- oder dorthin trieb, so befand er sich bald in der untern Stadt und stand mit einem Male vor seiner früheren Wohnung, Elstergasse Numero Vierundvierzig. Er schaute hinauf und da er in dem Zimmer des Doktor Stechmaier Licht gewahrte, so beschloß er, demselben einen Besuch zu machen. Er trat in's Haus, grüßte die Wirthin freundlich und herablassend und stieg die wohlbekannten Treppen hinauf bis zur Thüre seines ehemaligen Wohnzimmers, wo er sachte anklopfte.

»Herein!«

Der Doktor saß an seinem Tische, hatte eine Menge Zeitungen vor sich liegen und schrieb emsig. Dem Eintretenden nickte er mit dem gewöhnlichen gleichgültigen Gesichte zu und bat ihn, sich einen Stuhl zu nehmen, da er mit seiner Arbeit im Augenblicke fertig sein würde.

Dem Herrn Dubel, dem es sehr interessant war, einen Schriftsteller im Augenblicke des Schaffens zu belauschen, lehnte sich an die Fensterbank und bemerkte von dort aus, wie der Doktor eifrig die Spitze seiner Feder zerkaute, bald an die Decke hinaufsah, in einige Zeitungen blickte und dann wieder eifrigst fortschrieb. Endlich war er fertig, spritzte die Feder aus, legte sich in seinen Stuhl zurück und sagte mit wohlgefälliger Miene zu dem Herrn Dubel: »so, das wäre abgemacht! Nach gethaner Arbeit ist gut ruhen – jetzt wollen wir eine Cigarre oder eine Pfeife rauchen – was beliebt?«

Dubel entschied sich für Cigarren, und da der Doktor im Augenblicke die seinigen nicht finden konnte, so nahm er von denen seines Bekannten, steckte aber dagegen bereitwilligst ein Zündhölzchen an. »Darf ich fragen,« sprach der Schneider, nachdem er einige Züge gethan, »welche Arbeit Sie soeben beendigt? ein neues, unssss-terbliches Werk, ein Kapitel eines Romans, einen Akt einer Tragödie?«

»Für dieses Mal ist es nur geringere Arbeit,« erwiderte der Doktor ruhig: »eine kleine Theaterrecension.«

»Ei!« sagte der Herr Dubel, »verzeihen Sie meine Neugierde, lieber Herr Doktor, aber ich habe niemals eine solche im Manuscript gelesen; wäre es vielleicht unbescheiden, wenn ich Sie bäte, mir Ihre Arbeit zu zeigen?«

Der Herr Dubel nahm das Blatt und las: Sonntag, den 4. Mai: Robert der Teufel von Meyerbeer. – »Das issss-t ja erssss-t heute Abend!« rief er mit ziemlichem Erstaunen.

»Allerdings,« bemerkte der Doktor sehr ruhig, »es ist das eine Recension für die Vorstellung, welche heute Abend stattfindet; dieselbe wird wohl bis zehn Uhr dauern, und nachher habe ich nicht Zeit noch Lust, das Ding zu schmieren.«

»Aber wie kann man so etwas im Voraus machen?« meinte Herr Dubel, worauf der Doktor entgegnete:

»Bei einer Theaterrecension kommt es für den Kritiker nicht so genau darauf an, wie jene Vorstellung wirklich gewesen; man folgt dabei dem Schema, das man sich selbst gemacht. Seine Freunde lobt man natürlich, seine Feinde setzt man herunter, mögen sie nun gespielt haben, wie sie wollen, das ist ganz gleichgültig.«

»Ah so!« sagte der Schneider mit ziemlich langem Gesichte; »also schreibt man Kritiken, ohne zu wissen, wie die Künssss-tler gespielt?«

»Auf alle Fälle,« entgegnete der Doktor; »das bleibt ausgemacht, Unrichtigkeiten kommen natürlicher Weise häufig genug vor, auch wenn man die Sache noch so gründlich betreiben wollte, die meisten Recensionen werden eben um's tägliche Brod geschrieben, und da muß man in dasselbe Horn mit dem Eigenthümer des Blattes blasen; andere schreibt man, wie gesagt, um seine Freunde zu erheben, um seine Feinde zu ärgern, das ist einmal Herkommen, eine ewige Ueberlieferung. Glauben Sie mir, theurer Freund, unter hundert Kritikern versteht kaum Einer etwas Gründliches davon, und die meisten betreiben das Geschäft, bewußt oder unbewußt, auf die gleiche Art; mich wundert nur Eins: wie nämlich Künstler und Publikum so dumm sein können, auf Recensionen etwas zu geben. – Und sie geben etwas darauf, geben sehr viel darauf! Sehen Sie, wenn z. B. morgen der Herr A., der den Robert spielt – und er spielt ihn nicht schlecht, – in der »Spinne« liest, wie folgt: Die Schönheiten des großartigen Tonwerks von dem unsterblichen Meyerbeer – Meyerbeer, müssen Sie wissen, wird immer gelobt, erstens, weil er ein reicher Mann ist, dem es, wenn er einmal zufällig die »Spinne« zu Gesicht bekommt, nicht darauf ankommt, dem Referenten zwanzig Dukaten zu schicken, und zweitens, weil es der große Meister wirklich verdient – sind zu oft geschildert und besprochen worden, als daß unsere schwache Feder nur ein Wort über dies herrliche Eigenthum sämmtlicher musikliebenden Nationen sich zu sagen erlauben dürfte. Man kann vor diesem kolossalen Werke nur bewundert hinstehen und kann den Genius des Meisters nur preisen, der es vermochte, solch' eine eminente Composition von dieser Ausdehnung so zu erschaffen, daß das entzückte Ohr des Musikkenners von Anfang bis zu Ende athemlos und gefesselt lauscht. Was helfen uns, wie bei unsern großen ältern deutschen Kompositionen, sanfte einschmeichelnde Melodieen, wenn sie, wie so manche derselben, nicht unterstützt durch glänzende, prachtvolle Chöre, farblos vorübergleiten? Hier bei Meyerbeer ist wahres Leben, wahres Gefühl, und wenn jene Opern, für welche die sogenannten klassischen Musikfreunde in vollkommener Lächerlichkeit schwärmen, längst verblichen sind, werden »Robert,« die »Hugenotten,« und der »Prophet« ein herrliches Dreigestirn ewig jung und ewig frisch am musikalischen Himmel prangen!«

»Sehen Sie, darüber ärgern sich die Mozart'schen, sie sagen freilich: es steht nur in der »Spinne!« aber sie ärgern sich doch, und daß sie sich ärgern, geschieht ihnen vollkommen recht. Denn dieses eckelhafte Coquettiren mit alter klassischer Musik, wenn sie auch noch so herrlich und groß ist, wird eben durch derartige Leute, die für sonst nichts Sinn haben – sie thun wenigstens so – oder die nichts Anderes mehr wollen gelten lassen, nachgerade entsetzlich langweilig. Derjenigen, die wirklich im Stande sind, die Tiefe und Schönheit unserer älteren deutschen Musik zu begreifen, sind sehr wenige, und die, welche nur nachbeten, was sie von Jenen hören, die schon entzückt sind, wenn sie nur den Namen Mozart und Beethoven lesen, die auf die Gesichter jener Ersteren lauschen, um ja gewiß zu wissen, wo sie eigentlich applaudiren sollen, die, wenn man es ihnen vorher nicht sagte, den ersten Akt des Nabuco für den ersten Akt des Idomeneo hinnehmen und beklatschen würden, das ist das allerschlechteste Publikum, und die sind nicht werth, daß ein Rossini und Bellini so schöne, rein menschliche und zu Herzen gehende Melodieen geschrieben haben. – Es ist eigentlich schade,« fuhr der Doktor fort und rückte an seiner Brille, »daß ich das, was ich eben gesagt, nicht für die »Spinne« aufgeschrieben; – doch weiter im Texte:

Um so weniger begreifen wir aber, wie die Theater-Intendanz uns gerade solche Meisterstücke wie »Robert« vorführt, da sie doch wohl selber weiß, daß sie nicht im Stande ist, uns die Schönheiten derselben vollkommen genießen zu lassen. Wer keinen besseren Robert vorzuführen hat, als den Herrn A., der sollte uns die Oper lieber gar nicht vorführen. Träger des ganzen Werks, ohne Stimme, ohne Vortrag, ohne Schule, ohne Spiel, ein Robert ohne Stimme und Spiel, das ist zu viel verlangt, und wir können unsere gerechte Entrüstung bei allem Wohlwollen für die Bemühungen der Intendanz nicht verbergen. Und ist es denn bloß das Publikum allein, welches durch den Herrn A. leidet? muß sich nicht auch ein trefflicher Sänger, ein großer Künstler, – diesen Namen können wir dem Herrn B. (Bertram) mit voller Wahrheit zuerkennen, – nicht sehr gedrückt fühlen, wenn er von Herrn A., Robert, durchaus nicht unterstützt wird, ja beständig gehindert? Und trotz allem dem, wie führte Herr B. seine Parthie durch? wie groß war er namentlich im dritten Akte, wo er sich gehoben fühlte durch unsere Nachtigall, die liebliche Blume der Normandie, durch Fräulein C. als Alice. Doch das Schicksal ist gerecht, und wie sich das Schöne, Würdige findet, so findet sich auch das Häßliche und Unbedeutende, deßhalb erhält auch der Herr Robert am Schluß die Hand der Isabella, der Madame D. und ein würdigeres Paar im Unbedeutenden ist nicht leicht zu finden. Wäre das große Duett im vierten Akt zu ruiniren, so würde es Madame D. unbedingt ruinirt haben, aber ist es zu glauben? – – – – sie wurde sogar applaudirt!« –

»Aber woher wissen Sie das?« fragte der Schneider.

»Diese Arie wird immer applaudirt,« sagte der Doktor ruhig und fuhr fort:

»O ja, es ist zu glauben; außer Denjenigen, welche diese schöne Perle aus dem Diadem des großen Meisters bewundernd anerkannten, gibt es in unserem Theater eine gewisse Anzahl bekannter junger Leute, welche durch unanständiges Händeklatschen gegen alles Schöne eine unwürdige Opposition machen und für alles Unschöne schwärmen. Sollte man es z. B. glauben, daß unsere reizende, vortreffliche Künstlerin, unsere Sylphide, Demoiselle Pauline, einer der Glanzpunkte unsers Ballets, kaum beachtet wurde, als sie so graziös und meisterhaft den ungelenken Robert dazu vermocht, den Cypressenzweig zu rauben? So betrübend das für uns und alle Kunstkenner war, so dankbar müssen wir im Namen der Künstlerin die Bemühungen einiger anderer sehr gebildeter Jünglinge anerkennen, welche sich eifrigst bemühten, den verdienten Applaus der liebenswürdigen Tänzerin zu spenden. – Doch genug für heute! Nur noch ein Wort zum Publikum, von dem eine nicht geringe Anzahl in jener, leider bekannten, schlafmützenartigen Indolenz von Anfang bis zu Ende dasaß, die herrliche Musik über sich ergehen lassend, wie der Hund einen kalten Regenguß. Liebes Publikum, wir bemerken mit Schmerz, daß wieder sehr viel geplaudert wird und daß wieder außerordentlich viel Aepfel verspeist werden. Beides ist sehr störend, aber am allerstörendsten ist und bleibt es jedenfalls, daß ein hoher Adel und verehrungswürdiges Publikum es nicht erwarten kann und ruhig sitzen bleiben, bis der Vorhang am Schluß des letzten Aktes fällt. Dies Aufstehen, Scharren, Sichbewegen, ist ein Raub an dem wahren Musikfreund, der sein Geld doch bezahlt hat, um das ganze Stück zu genießen. Wird man diese Unanständigkeit nicht endlich einsehen lernen, glaubt man vielleicht, das Nachtessen könne nicht noch einen Augenblick länger warten, oder glaubt man vielleicht, Dichter und Componist hätten ihre Stücke so eingerichtet, daß es erbaulich sei, den Schluß derselben durch unausstehlichen Spektakel accompagnirt zu sehen?«

Hiemit endete der Doktor seine Vorlesung, setzte sich in seinen Stuhl und legte das Blatt auf den Tisch.

Der Herr Dubel war sichtlich ergriffen von der Größe seines Freundes, der sogar im Stande, seine Artikel prophetisch abzufassen, und der obendrein that, als seien derartige Arbeiten gar nichts Besonderes. Er machte ihm einige schüchterne Complimente hierüber und meinte, es sei wohl ebenso schwer, solche Artikel zu verfassen, wie auf die Entgegnungen, die doch zuweilen folgen würden, gehörig zu antworten.

Der Doktor streckte sich auf seinem Stuhle aus, steckte seine Hände in die Hosentaschen, gähnte höchst gleichgültig, und meinte: auf Erwiderungen müsse man sich gar nicht einlassen; »was einmal gedruckt ist, ist gedruckt,« sagte er, »und der erste Eindruck ist nicht zu verwischen, solche Erwiderungen nützen den Angegriffenen gar nichts. Etwas Anderes dagegen ist viel schlimmer, wenn z.B. eine auswärtige Redaktion, denen man hie und da Kunstkritiken zusendet, unter irgend einem Artikel boshafte Bemerkungen macht, hie und da ein Fragezeichen einschiebt, ein Ausrufungszeichen, einen Gedankenstrich, oder ein ei! in Parenthese, das ist sehr unangenehm und kann unter Umständen einen ganzen Aufsatz vernichten. So geschah es mir vor einiger Zeit, daß ich in einer Theaterkronik unser Fräulein C., die heutige Alice, außerordentlich lobte und ihre Leistungen bedeutend hervorhob, ich stellte sie als Stern erster Größe hin, als eine Erscheinung, auf die nothwendiger Weise ganz Deutschland sein Auge richten müsse. Was that die Redaktion? – Sie machte unter meinen Artikel die höchst unpassende Bemerkung: Tant de bruit pour une omelette! Das war doch höchst abgeschmackt von dieser Redaktion, und ich habe es ihr auch fühlen lassen, indem ich ihr keine Artikel mehr zusende. Hatte sie nicht durch diese hämischen Worte mein ganzes Lob vernichtet? und dazu die unzarte Vergleichung einer Sängerin mit einem Eierkuchen, pfui Teufel!«

Der Herr Dubel hielt es im Verlauf des Gesprächs für passend, dem Herrn Doktor Stechmaier einige passende Worte über seine Leistung als Fortinbras zu sagen; er that es in höchst feiner Weise, indem er sagte, daß ein Mann, wie der Doktor, ein solch' großes publicistisches Talent, sehr Unrecht thue, wenn er die mit so viel Glück betretene, ihm von Natur angewiesene, literarische Laufbahn verlasse, um sich einer andern Kunst in die Arme zu werfen, von der er doch nicht gewiß sei, ob sie ihm holdselig zulächeln würde.

»Das habe ich auch gedacht,« erwiderte der Doktor, »und ich muß Ihnen gestehen, daß ich zu dem Entschluß gekommen bin, unter keinerlei Bedingungen mehr die Bühne zu betreten. Es ist doch ein höchst schlüpfriges und gefährliches Terrain, ich habe durch mein erstes Auftreten einen tiefen Blick in jenes Treiben geworfen. Von aufopfernder Freundlichkeit für einen Anfänger ist bei diesen Leuten keine Rede, Jedem bangt für seine Existenz, und je größer sich ein aufkeimendes Talent zeigt, um so weniger wird es unterstützt; ich könnte einen Band darüber schreiben. Warum veranlaßte mich der Herr M. schon im ersten Akt, meine Rüstung anzuziehen? – um mich zu ermüden! – warum zog mich der Garderobediener mangelhaft an? – weil ihn der Herr A., ein ganz miserabler Anfänger, dazu bestochen! warum gab endlich der Souffleur das Zeichen zum Fallen des Vorhanges so früh? – weil er ein Vetter des Herrn A. ist, und weil er sah, daß ich mich nach einer sehr passenden Kunstpause würdevoll aufrichtete, um durch meine Rede das Trauerspiel effektvoll zu Ende zu bringen. Ich versichere Sie, das ganze Theater ist ein Gewebe von lauter Abscheulichkeiten, weßhalb ich mich auch fest entschlossen habe, keinerlei Versprechungen nachzugeben, sondern mich mit aller Kraft auf die Schriftstellerei zu werfen. Das conservative Journal, von dem ich Ihnen neulich sagte, ist im Entstehen begriffen, mehrere Gutgesinnte haben sich entschlossen, die »Spinne« zu kaufen und sie bedeutend zu vergrößern, der Adel hat seine Mitwirkung zugesagt, und Sie werden bald etwas Großes erleben.«

Der Schneider seufzte tief auf, wenn er bedachte, welche Wege zu Glanz und Ruhm seinem Freunde offen ständen und wie er so gar nichts habe, um eine Leiter zu erbauen, auf der er emporsteigen könne über das gewöhnliche Treiben der Menschheit. Er klagte dies dem Doktor, welcher die Achsel zuckte und sagte: »es ist freilich wahr, daß ein Mensch vor dem andern begabter erscheint, doch muß man nicht verzweifeln; machen Sie einmal den Versuch, einen kleinen Artikel zu schreiben. Recensiren Sie einmal ein Buch oder eine Vorstellung im Theater; man muß immer mit dem kleinsten und leichtesten anfangen.«

Herr Dubel schüttelte traurig mit dem Kopf und versicherte, hiezu gehen ihm alle Kenntnisse, alle Fähigkeiten ab.

»Es ist schade,« fuhr der Doktor fort, »daß Sie es mit dem Theater nicht versuchen können; Sie haben keinen Namen, man wär' von Ihnen überzeugt, daß Sie mit einer bescheidenen Stellung vorlieb nehmen und man würde alsdann keine Kabalen gegen Sie schmieden, es ist wirklich schade!«

»Freilich, freilich!« seufzte der arme Schneider, »aber mir fehlt Alles dazu, obgleich ich eine ssss-tarke Brussss-t habe, issss-t meine SSSS-timme doch schwach, und dann kann ich, wie Sie wissen, das es ssss-te nicht aussprechen.«

»Ja, ja,« sagte der Doktor und senkte den Kopf nachdenklich auf die Brust, »schade, schade, aber wie wär' es,« sprach er nach einer Pause und sah seinen Bekannten scharf durch die Brille an, »wie wär' es, wenn ich plötzlich etwas für Sie gefunden hätte, wodurch Sie im Stande sind, zu Geld, zu Ruhm, zu Ehre, zu einem Namen zu gelangen?«

»Doktor Stechmaier!« rief der Schneider entzückt, »issss-t das wahr, hätten Sie wirklich etwas für mich erdacht?«

»Allerdings,« sagte der Doktor sehr ruhig und mit einem wichtigen Ausdruck in seinem Gesicht. »Sie sind gut gewachsen, schlank, leicht, haben angenehme Bewegungen – gehen Sie zum Ballet, werden Sie Tänzer.«

Da ward es dem Schneider, als haben sich dunkle Wolken, die bis jetzt seinen Horizont umschattet, gelichtet und würden heller und rosiger, je mehr sie empor schwebten, endlich brach ein heller Sonnenstrahl in sein Gemüth und ließ ihn fast aufjauchzen vor Freude. – Ein Tänzer! – ja, das war es, wonach er sich unbewußt immer gesehnt, hiezu fühlte er die Kraft in sich und es stand klar vor seiner Seele, daß er etwas Großes zu leisten im Stande sei; er erblickte sich schon im seidenen Trikot mit einem zierlichen Kleide von weißem Atlaß. Die Balletratten, welche er neulich gesehen, umschwebten ihn, eine Schaar holdseliger Amoretten, er verdrehte seinen Körper auf die zierlichste Weise und reichte der Mademoiselle Pauline, der schönen blonden Tänzerin, die Hand, seine Brust war so voll, er hörte kaum, was der Doktor Stechmaier lächelnd zu ihm sprach: daß er ihn protegiren werde, daß die »Spinne« ein herrliches Netz um seinen Namen weben solle und der erstaunten Welt zurufen, ein zweiter Vestris sei entstanden.

Bald nahm er seinen Hut und eilte, die Brust voll herrlicher Gedanken und schöner Pläne eilends davon.


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