Friedrich Wilhelm Hackländer
Namenlose Geschichten - Zweiter Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Siebenundzwanzigstes Kapitel. Aus dem Marstall.

Es war Nachmittags gegen vier Uhr, die Thüren und Fenster im königlichen Marstalle standen weit offen, um der milden Mailuft den Eintritt zu gestatten. Von den Pferden war keines zum Herausziehen bereit gemacht, sondern alle standen, den Kopf gegen die Krippen gekehrt, und unterhielten sich flüsternd mit allerhand Tönen und in der, für den sonst so klugen Menschen völlig unverständlichen Pferdesprache, wozu sie wohlbehaglich mit den Schweifen wedelten.

Der Stall war leer bis auf eine einzige Person und dies war die Stallwache, welche an der Thür lehnte, die in die königlichen Anlagen ging, und eine neue Schnur an ihrer Peitsche befestigte. Nachdem dies Geschäft beendigt war, steckte die Stallwache ihre beiden Hände in die Hosentaschen, ließ sich auf dem Schrank an der Thüre nieder und machte sich allerlei Gedanken von kühlem Bier und saftigen Rettigen, während sie ihre Blicke über den klaren See des Parks und über das frische junge Grün der Bäume streifen ließ. Dieses selige Nichtsthun in dem offenen Stalle mochte vielleicht eine halbe Stunde gedauert haben, als man um die Ecke des Schlosses ein paar Stallleute kommen sah, denen bald noch mehrere folgten, alle im besten Anzuge, und jetzt wieder ein paar; ja, der ganze Stall schien im höchsten Staate einen Spaziergang gemacht zu haben.

Freilich hatten sie das, aber es war ein Spaziergang trauriger Art, indem das sämmtliche Stallpersonal soeben dem Oberkutscher Mundels die letzte Ehre erwiesen und ihn feierlichst zu seiner Ruhestätte auf dem Kirchhofe begleitet hatte. Er war dahingeschieden, der treffliche Rosselenker, an den Folgen eines kleinen Schlages, der sich nach einem sehr starken Nachtessen bei ihm eingestellt; versammelt zu seinen Vätern, saß er jetzt wahrscheinlich im Paradiese, wenn auch nicht im Schooße Abrahams, doch in Gesellschaft vorangegangener Collegen, verstorbener Hof- und Leibkutscher und anderer roß- und wagenkundiger Personen bis hinauf zu den Ajaxen und Achilleusen, welche den Herrn Mundels, als eine Zierde ihrer Kunst, wahrscheinlich mit Stolz empfangen hatten.

Die königlichen Stallleute traten in den Stall und wischten sich die Stirn ab; denn es war ihnen in Folge des langen Spazierganges in der Nachmittagssonne, sowie der eindringlichen Grabrede warm geworden. Der Pfarrer hatte sich sehr anzüglich über die Sterbefälle im Allgemeinen, über Schlagfälle im Speciellen und am speciellsten über dergleichen in Folge von starkem Nachtessen, beziehungsweise Nachttrinken ausgelassen, und hatte darauf, in einige Lebensregeln über die Erhaltung der Gesundheit übergehend vor dem allzu lustigen Lebenswandel wieder im Allgemeinen und vor dem zu vielen Weintrinken im Speciellen gewarnt. Er eröffnete dabei den entsetzten Kutschern und Vorreitern die gar nicht tröstliche Aussicht, daß, je nasser es diesseits bei ihnen zugehe, um so trockener und durstiger ihr jenseitiges Leben ausfallen würde. Das hatten sie, um das Grab des Seligen stehend, mit anhören müssen, und obendrein noch hatte ihnen während dieser Rede Seine Excellenz der Oberststallmeister forschende Blicke zugeworfen, welche so viel heißen mochten, als: »ich werde nächstens unter euch treten und fürchterliche Musterung halten.«

Aber bei allem dem sind wir fest überzeugt, daß das Stallpersonal heute Mittag ein Uebriges that und daß im Laufe des Tages und Abends das Uebermögliche geleistet wurde, um ihren Kummer über den Dahingeschiedenen in gutem Vierunddreißiger in den Magen hinabzuschwemmen, wo sich, wie wir wissen, nach der Theorie des Verstorbenen die Quelle der Träume befand.

Es war bei diesem Verlust ein Glück zu nennen, daß der Herr Mundels keine Familie zurück ließ, daß kein Weib und keine Kinder sein Grab beweinten. Da war Niemand da als einige vergnügte Erben, die das Hauswesen des Leibkutschers baldigst besorgten, das heißt forttrugen.

Die zurückkehrenden Stallleute, welche keinen Dienst hatten, begaben sich in ihre Zimmer oberhalb des Stalles und gingen alsdann, wie schon angedeutet, ihrer Wege, um über den so schnellen Verlust alles Irdischen gehörig nachzudenken. Zu denen aber, die im Stalle zurückbleiben mußten, gehörte auch unser Freund, der Herr Winkler, welcher Hut und Rock einem Stallbuben übergab, der ihm dafür seine gewöhnlichen Kleider herunterholen sollte. Joseph klopfte Tibull und Pluto auf die Hinterbacken, welche Liebkosung von den Thieren durch freundliches Ohrenspitzen und Kopfumdrehen erwidert wurde, dann nahm er die Geschirre, legte sie auf den Rücken der Thiere, nachdem er das Kummet über den Kopf gestreift, und schnallte sie fest. Er sollte den Gespensterwagen anspannen, um die erste Hofdame gegen fünf Uhr zu irgend einem Diner zu fahren. Doch war er kaum mit dem Anschirren fertig geworden und wollte die Pferde eben im Ständer herumdrehen, als der Hoflakai Jean erschien und die Fahrt für heute Nachmittag absagte, dagegen den Befehl überbrachte, der Gespensterwagen solle heute Abend um acht Uhr am Schlosse vorfahren.

»Wenn die nur einmal da oben in dem alten Schloß eigentlich wüßten, was sie wollten!« brummte Joseph und begann die Pferde sogleich ihres Geschirres zu entledigen. »Also wird heute nicht dinirt?«

»Wenigstens nicht auswärts,« lächelte Jean; »wir haben bei uns zu Hause alle Hände voll zu thun und finden deßhalb nicht Zeit, auswärts zu speisen. Ich habe ein Billet von der gnädigen Frau zum russischen Gesandten hingetragen, in welchem sie ihr Ausbleiben entschuldigt.«

»Ja so!« sagte Joseph, indem er Pluto's Kummet an den Nagel hängte. »Ihr habt heute wichtige Briefschaften erhalten, ich habe darüber etwas von dem alten Dubel gehört. Na, die da oben wird sich recht ärgern!«

Jean schmunzelte wohlgefällig und antwortete: »so viel ist gewiß, daß ihr die Briefe, die heute Morgen der Graf Alfons übergeben, einen unangenehmen Tag gemacht. Zuerst hatten die Beiden eine ziemlich lebhafte Unterredung und der Graf muß sehr bestimmt zu Gunsten seines Freundes gesprochen haben; doch hat er sie keineswegs zum Nachgeben bewogen, denn ihr letztes Wort, das ich deutlich durch die Flügelthüren hörte, war: Nie! Nie! und das wiederholte sie mehrere Male und setzte noch hinzu: »»schreiben Sie ihm, Herr Graf, daß Sie mich gesprochen haben und daß ich entschlossen sei, dazu nie meine Einwilligung zu geben, ich handle vollkommen im Auftrage der Frau Herzogin.«« Darauf zog der Graf natürlich ab und die gnädige Frau schrieb den ganzen Nachmittag Briefe; sie ist auch jetzt noch dabei, läßt Niemanden vor sich und will nur heute Abend einen kleinen Besuch bei der Gräfin Clara machen, die, wie ich glaube, die Antwort der gnädigen Frau ihrem Bruder, dem Grafen Alfons, übergeben soll.«

»Das sind ja alte verfluchte Geschichten!« lachte Joseph; »ich würde mich vor der Sünde fürchten, so ein Paar, das so famos zusammen paßt, wie der Baron und das alte Hoffräulein, gewaltsam zu trennen; aber ich hoffe, der Baron wird sich nichts daraus machen; und geheirathet wird doch. So meint auch der Dubel.«

Der Lakai nahm eine sehr wichtige Miene an, legte die Hände auf den Rücken und entgegnete: »so viel ich von diesen Geschichten verstehe – und ich verstehe Manches davon – und so weit ich das Hoffräulein kenne, wird die sich dagegen sehr viel daraus machen, wenn die Hofdame und die alte Herzogin nun einmal platterdings ihre Einwilligung zu der Heirath nicht geben wollen.«

»Ich wollte die da oben lange fragen!« sagte Joseph; »weit davon ist gut vorm Schuß! Und mich sollte so ein Brief abhalten, wenn ich im Begriff wäre, meinen alten Schatz zu heirathen! Notabene, versteht sich von selbst, wenn ich keine Vorgesetzten hätte.«

»Nun, was Eure Heirath anbelangt, Meister Joseph,« sprach pfiffig lächelnd der Lakai, »so wird das arme Mädel da drunten auch bald aus ihrem Jungfernstand erlöst werden; denn ich denke so bei mir: wenn Seine Excellenz einen der Geschicklichkeit nach zum Oberkutscher vorschlägt, da könnte es bei Euch langen. He, Joseph, meint Ihr nicht auch so?«

Winkler zuckte mit den Achseln und entgegnete: er habe noch nicht daran gedacht, daß ihm ein solch' unerhörtes altes Glück begegnen könne. »Auch glaube ich heute nicht daran,« setzte er hinzu; »Ihr werdet sehen, Jean, da schiebt man uns einen Fremden hinein, und ich kann mir schon denken, wen. Der selige Mundels hat mir einmal gesagt, als wir mit unserem Wagen neben einander hielten und auf das Ende des Balles warteten – nicht weit von uns stand die Equipage des russischen Gesandten – und da sagte der selige Mundels, indem er auf dieselbe wies: »»Siehst du, mein Junge, ich will dir was sagen: wenn es in dem Stalle eine Gerechtigkeit gäbe, so konnte es gar keinen Anstand haben, daß du einmal Oberkutscher würdest; aber da es nicht immer nach der Ordnung geht, so siehst du da auf dem Juchtenbocke meinen Nachfolger, wenn ich einmal absteige; ich hab's gesagt, denke an mich!«« Das sind die eigenen Worte des seligen Mundels, und Ihr sollt sehen, Jean, daß er Recht hatte.«

»Die Sache ist nicht ganz ohne,« entgegnete der Hoflakai, nachdem er einen Augenblick nachgedacht; »wir wissen ganz genau, wie viel der russische Gesandte bis oben hinauf gilt, namentlich hat er bei den Allerhöchsten Damen einen ungeheuren Stein im Brett, und wenn der Jemand empfiehlt, so kann man dem Empfohlenen gratuliren. Aber ich glaube immer nicht,« setzte er nach einer Pause hinzu, »daß Seine Majestät einen Ausländer zum Oberkutscher macht, und was für einen Ausländer! – Ja, wenn es nur ein deutscher Ausländer wäre, ein Oesterreicher oder ein Preuße, das wär' schon schlimm genug, aber ein Engländer! und noch obendrein ein Engländer, der beim russischen Gesandten gedient und dort alles Mögliche gelernt; nein, das glaube ich nimmermehr! Ich würde immer denken: so ein Kerl notirt sich, wenn und wie ich ausfahre, und berichtet darüber an seine Gesandtschaft; die Engländer mischen sich ohnedies gern in Alles, was sie nichts angeht, und nun obendrein ein Engländer, der, wie gesagt, bei Rußland war – 's ist eigentlich unmöglich!«

»Gebt nur Acht!« erwiderte Joseph, der seine Geschirre wieder geordnet hatte und den blauen Rock anzog, den ihm einer der Stallbuben ehrfurchtsvoll hinreichte, »gebt nur Acht, der Engländer wird Oberkutscher!«

»Wie heißt der Kerl eigentlich?« fragte Jean, und Joseph antwortete:

»Ja, wer kann das wissen! Ich habe den Namen wohl schon einmal geschrieben gesehen, aber darauf kann man bei so einem Engländer gar nicht gehen; wenn so ein Kerl sich Snowdov schreibt, so heißt er vielleicht Simpelmater.«

»Das ist ganz richtig!« entgegnete Jean, indem er wichtig thuend seine Halsbinde in die Höhe zog; »ich lese zuweilen Einiges von einem englischen Schriftsteller, der sich Dickens schreibt und wird »Boz« ausgesprochen; ja, so ist's bei den Engländern, und daher kommt's auch, daß sie sich überall schlau durchwinden und nie abzufassen sind.«

»Und so ein alter Engländer wird unser Oberkutscher!« sagte Joseph bestimmt, setzte den Hut auf's Ohr und ging seiner Wege.

Jean rief ihm nach: »Also bis acht Uhr, nicht vergessen!« und dann verließ dieser ebenfalls den Stall und ging in's Schloß zurück.

Unterdessen hatte es sich in Betreff des Baron Karl wirklich so begeben, wie der Hoflakai erzählt. Vergeblich hatte Graf Alfons, nachdem er die Briefschaften übergeben, versucht, die Hofdame zu Gunsten seines Freundes umzustimmen. Sie war erbitterter als je gegen das glückliche Paar und fest entschlossen, alle ihre Macht anzuwenden, um eine Verbindung zu hintertreiben, die sie nicht zugeben konnte, weil sie sie nicht eingeleitet und die jenen Menschen beglücken sollte, der es gewagt, sie zu hintergehen.

Neben allem dem war Neid und Mißgunst im Spiele und sie konnte es nicht ertragen, das arme Mädchen so plötzlich in eine Existenz versetzt zu sehen, die neben ihrer eigenen, in so falschem Glanz und Schimmer strahlenden, unendlich erhaben war. Sie war freilich erste Hofdame, sie war die Vertraute der Fürstin und das schon lange, lange Jahre gewesen; aber eben, weil sie es lange, lange Jahre gewesen war, so hatte sie die fürchterlich drückende Existenz einer ewigen Hofdame in ihrer ganzen Schwere kennen gelernt. Centnerschwer schleifte die Vergangenheit hinter ihr eine Kette von trostlosen, verlorenen Tagen, eine kalte, glänzende Zeit ohne Wärme, ohne Gemüth.

Wie war sie so natürlich und lebensfroh gewesen, als sie an dem Portal des Schlosses zum ersten Mal aus ihrem Wagen sprang und von ihrem Vater, einem armen Landedelmann, in die prachtvollen Gemächer eingeführt wurde! Welch' herrliches Leben, so glaubte sie damals, liege vor ihr! denn sie hatte bis jetzt den Hof nur aus der Entfernung gesehen, staunend und bewundernd den Glanz und die Pracht desselben, wie man im Theater einem großen Schauspiele zusieht. Jetzt sollte sie hinter die Coulissen treten und freute sich darauf. Anfänglich war ihr auch die Dämmerung, die hier herrschte, die Schattenseite des Glanzes, dessen strahlende Seite nur dem Publikum zugekehrt ist, neu und interessant; anfänglich bewunderte sie die künstliche Maschinerie, die dieses Ganze nach außen so blendend in Bewegung erhält; erstaunte über die unzähligen Drähte, welche, manchmal in der Hand eines Unbedeutenden zusammenlaufend, oft im Stande sind, die größten Effekte hervorzubringen; schauderte hie und da bei den Versenkungen und Fallthüren, die sich oft unvermuthet zu den Füßen der Mitspielenden eröffneten; fühlte sich aber dennoch glücklich, mitwirken zu können in all' dem Glanze und hie und da in Pracht und Herrlichkeit herauszutreten vor das Auge des erstaunten Publikums. –

Das ging mehrere Jahre so fort, dann begann ihr der Zwang, der sie rings umgab, unerträglich zu werden, und obendrein spielte sie in diesem allgemeinen Schauspiel eine eigene Tragödie der finstersten Art, eine Tragödie, die wie ein Lustspiel anfing und im fünften Akt mit Verrath und Treubruch endigte, und als sich ihr Schicksal so gewendet, sah sie schaudernd ein, wie so gar keine Wahrheit in dem Leben liege, wie Einer mit dem Andern Tag für Tag das gleiche Spiel treibe: freundliches Lächeln auf den Lippen und die geballte Faust hinter dem Rücken. Wie durfte sich so nichts zeigen, wie es wirklich war! Kein Gefühl, warm und frisch, wie es aus dem Herzen quoll, war in seiner Natürlichkeit in diesem Kreise erlaubt; es mußte sich mit allem Anderen beugen unter die herrschenden Regeln, ja unter die jeweilige Laune der Gebieterin. Auf der Wange durfte die Blässe eines tiefen Seelenschmerzes nicht wagen, frei und offen zu erscheinen; das grollende Wort mußte hinabgedrängt werden und eingesperrt im ängstlich klopfenden Herzen, und die Fluth der Gedanken, die oftmals wild und schäumend emporzuschlagen drohte, mußte sanft geebnet daliegen, Frieden athmend und Bild und Wunsch der Gebieterin sanft widerstrahlend.

Das dachte die Hofdame, während sie in ihrem Boudoir auf dem kleinen Fauteuil saß und die Hand fest auf's Herz preßte. Wie viele qualvolle Stunden schwebten an ihrem Gedächtnisse vorüber, wie viele finstere Tage schwangen sich im Reihentanz vor ihren Augen, behängt mit den bunten Lappen der Freude, aber die Faust, mit der sie eine Kette bildeten, krampfhaft zusammengedrückt. Verschwunden war von dem Gesicht der Hofdame jene ruhige Freundlichkeit, jener Ausdruck des liebenswürdigen Scherzes, mit dem sie stundenlang die Gesellschaft ergötzt; ihr Gesicht, wie ein Spiegel die Bilder vergangener Zeiten wiedergebend, war blaß und eingefallen und zeigte eine fieberhafte Aufregung. Sie hatte ihre Briefschaften beendigt und die einzelnen Schreiben lagen zerstreut vor ihr. So viel es ihr möglich war, hatte sie in dem Brief an Pauline an deren Herz, an deren Dankbarkeit appellirt und sie beschworen, jene Verbindung nicht einzugehen; aber sie fühlte schon während des Schreibens, daß sie dem jungen Mädchen keine haltbaren Gründe gegen die Verbindung angeben könne, und es zitterte ihre Hand, als sie jene Zeilen schrieb. Sie hatte das Mädchen erzogen, sie hatte sie gebildet, sie hatte sie bei Hof eingeführt und ihr den Weg angebahnt zu dem, was sie selber war. Sie hatte sie mild und freundlich behandelt in Betracht der dornenvollen Bahn, die das Mädchen gleich ihr zu durchlaufen habe; jetzt aber auf einmal und ohne ihr Zuthun wandte sich das Schicksal derselben einem glänzenden Lichte entgegen, einem Lichte, von dem die Hofdame geglaubt, es leuchte ihr selbst in finsterer Nacht und bringe in ihr eigenes Leben einen neuen rosigen Morgen.– – Das war jetzt Alles vorbei und finstere Nacht lag um sie, sie fühlte sich einsam und allein, und eben deßhalb streckte sie die Hand aus und hielt das Mädchen zurück, welche im Begriffe war, mit entzücktem Herzen jener blendenden goldenen Helle, die vor ihren Augen aufstieg, entgegenzueilen. »Ich will nicht,« sprach sie mit fester Stimme, »ich will nun einmal nicht, und wenn die ganze Welt sich mir bittend für die Beiden nahte, bei Gott, ich will nicht!«

Es war spät am Nachmittag geworden, und Frau von C. erhob sich aus ihrem Fauteuil, trat an die großen Spiegelfenster und drückte ihre erhitzte Stirn an die kalten Scheiben. Vor ihr lagen die Berge, welche die Stadt umgaben, von der Gluth der Abendsonne bestrahlt, in violetter und rosiger Färbung. Leichte Wolken schifften gegen Westen der Nacht voraus, die nun bald mit dunklem Schleier Alles überziehen würde.

»O bräche auch der Abend meines Lebens schon herein!« seufzte die Dame, »o, könnte auch ich untergehen, um einmal noch bestrahlt von dem Lichte eines seligen Glückes! o, wäre meine Zeit um! Es ist ja gewiß keine Redensart, es hört mich ja Niemand – aber ich verlange wirklich nach dem Ende meiner Tage, nach einer Ruhe, die ich ja doch nie hier finden werde!«

Die Sonne verschwand allmälig, der Fuß der Berge hüllte sich in ein dunkles Grau, und nur auf den Spitzen derselben lag noch ein letzter goldener Sonnenschein. Auf diesen letzten Schein blickte die Hofdame anhaltend und starr und wollte ihn mit dem Blicke ihrer Augen festhalten – umkehren, meinte sie, solle die Sonne für dieses Mal, wieder größer und heller werden, dieser letzte kleine Punkt, den sie vergoldete, sich ausbreiten und ein neuer Tag anbrechen; aber das war ja unmöglich, die Sonne war untergegangen, der Abend heraufgestiegen, und in wenig Stunden brach die finstere Nacht herein.

Seufzend wandte sich die Hofdame vom Fenster ab und warf sich auf's Neue in ihren Fauteuil. Jean trat soeben mit leisen, kaum hörbaren Schritten in das Gemach und trug zwei Armleuchter in den Händen, welche er auf den Kamin niedersetzte, um sich dann, rückwärtsschreitend, ehrerbietig zu entfernen.

»Ist mein Wagen bestellt?« fragte die Dame den Lakaien, worauf Jean erwiderte:

»Nach dem Befehl der gnädigen Frau auf acht Uhr.«

Alsdann befahl ihm ein leichtes Kopfnicken, sich zu entfernen, und er verließ das Boudoir, auf den Zehen schreitend, und zog die Flügelthüren leise hinter sich zu. –

In der Nähe des Marstalles gingen in diesem Augenblick zwei Personen und näherten sich demselben in angelegentlichem Gespräch. Es war der Herr Winkler mit seiner Frau Mutter, und als sie das Thor erreicht, öffnete er dasselbe als galanter Mann und guter Sohn und ließ die Mutter zuerst in den Stall treten. Beide näherten sich nun den Ständern von Tibull und Pluto, und während der Kutscher seinen blauen Rock auszog und ihn neben dem Hut an den Nagel hängte, sagte er:

»Habt lieber keine Hoffnungen, alte Frau, ich versichere Euch, 's ist besser so, und dann kann ich vor allen Dingen das Beschreien nicht leiden. Sagt mir heute Nachmittag der Steinle, der alte Esel: ich gratulire, Herr Oberkutscher! Ich habe ihm aber gleich das Handwerk gelegt und ihn gebeten, er möge gefälligst sein altes Maul halten.«

Die Frau Winkler schüttelte still lächelnd den Kopf und sprach: »du magst nun sagen, was du willst, ich habe es gestern Abend in den Karten gelesen, es steht dir ein großes Ereigniß bevor.«

»Ja,« versetzte Joseph, »es ist mir in meinem alten Leib wahrhaftig auch so wie ein Ereigniß, aber wie kein angenehmes, hol' mich der Teufel; ich habe so eine alte Unruhe in mir, wie in meinem ganzen Leben nicht.«

»Das glaub' ich wohl!« kicherte die Alte; »wenn man so schöne Aussichten hat, Herr Oberkutscher und Frau Oberkutscher! Ach!« setzte die Frau Winklere gerührt hinzu: »wenn mich unser Herrgott noch dieses Vergnügen wollte erleben lassen!« – Sie fuhr mit dem Zipfel ihrer Schürze an die Augen, und that, als trockne sie sich Freudenthränen ab.

»Altes dummes Zeug!« brummte Joseph; »was geschehen soll, das soll geschehen, aber man muß so etwas nicht vorher besprechen, das taugt in alle Ewigkeit nicht.«

»Aber hat nicht Seine Excellenz, der Herr Oberststallmeister, schon ein ähnliches Wörtlein fallen lassen?« fragte die Mutter.

»Allerdings!« entgegnete der Sohn; »er hat gesagt, man könne nicht wissen, was Seine Majestät der König zu thun gesonnen sei, bei fortgesetztem gutem Lebenswandel, und wenn die Aufführung im Stalle so bliebe wie jetzt; na! was so Herren überhaupt schwätzen, wenn sie einem armen Teufel eine vergebliche Hoffnung machen.«

Unterdessen hatte er die Pferde aufgeschirrt und drehte sie in ihren Ständern herum, um ihnen das Kopfzeug aufzulegen. Als dies beendigt war, sah er auf seine Uhr, es war halb Acht, und zog dann stillschweigend seinen Rock an.

»Ich weiß nicht,« sagte die Frau Winklere, die ihm dabei behülflich war, »warum du heute so mürrisch und verdrießlich bist; ein Anderer würde lachen und springen.«

»Ich weiß es selbst nicht,« entgegnete Joseph, »aber Gott soll mich – – es liegt mir wie tausend Pfund Blei auf dem Herzen, es ist mir gerade, als sollte mir etwas Unangenehmes passiren. Ich bin doch sonst nicht furchtsam und weiß nicht, woher mir heute so alte dumme Gedanken kommen.«

»Das ist ganz begreiflich,« sagte beschwichtigend die Mutter, »das kommt von dem Begräbniß heute; wenn man so etwas mitmacht und eine Leichenpredigt anhört, da hat man den ganzen Tag seine absonderlichen und betrübten Gedanken.«

»Ich glaube, Ihr habt Recht, alte Frau,« entgegnete Joseph; »was helfen auch die alten Grübeleien? Was kommt, kommt doch, und wenn ich mit meiner heutigen Fahrt glücklich zu Ende bin, so seht Ihr mich noch am Abend bei Euch – sie wird doch auch kommen?«

»Allerdings wird sie kommen!« schmunzelte die Mutter; »ach, was das gute Mädchen für eine Freude hat bei den schönen Aussichten!«

»Mutter ...«

»Nun ja!« sagte die Alte beschwichtigend, »laß' mir doch die guten Aussichten! Es ist mir ja bis jetzt immer so betrübt gegangen, kaum meine ich ja, ich hätte etwas – muck! wird mir's wieder entzogen. Ich war auch heute bei dem Stadtrath Schwämmle und bat ihn, er möchte mir doch die Museumsquittungen wieder geben, doch er sagte: er könne für mich gar nichts mehr thun, und er rieth mir recht höhnisch, ich solle mich bei dem neuen Löschcorps anstellen lassen.«

»Ein unverschämter Gesell,« brummte Joseph, indem er die Pferde herauszog; »aber so ein schlechter Reiter, wie der ist, kann das alte Herz nun und nimmermehr auf dem rechten Flecke haben. Nun, lebe Sie wohl, Frau Mutter, so Gott will, bis nachher!«

Dahin ging der gewandte königliche Hofkutscher und gute Sohn, und die Mutter sah ihm mit großem Stolze nach. Auch gewahrte sie zu ihrer großen Befriedigung, wie die Stallwache ehrfurchtsvoller als sonst die Thüre vor ihm aufriß; denn es war schon etwas Wahres an dem Gerüchte, welches den Hofkutscher Winkler an die Stelle des verstorbenen Herrn Mundels beförderte.


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