Friedrich Wilhelm Hackländer
Namenlose Geschichten - Zweiter Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Vierunddreißigstes Kapitel. Elstergasse Numero Vierundvierzig.

Doktor Stechmaier gehörte zur literarischen Aristokratie. Er trug, wie wir bereits wissen, einen guten Hut, einen untadelhaften Paletot und Glacéhandschuhe, so lange er deren besaß. Wenn der letztere Luxusartikel nicht mehr zusammenhalten wollte, pflegte er lieber die Hände in seine Rocktaschen zu stecken, als sich vor dem Publikum eine Blöße zu geben. Dabei hatte er stets verabscheut, sich, wie die meisten seiner Collegen, einen großen Bart wachsen zu lassen, war überhaupt der einmal eingeschlagenen Richtung beständig treu geblieben und hatte nicht einmal den Versuch gemacht, durch eine kleine Neigung nach links, der »Spinne« ein größeres Netz zu geben, um durch dieses Mannöver zahlreiche Abonnenten einzufangen. Daher konnte es auch nicht fehlen, daß der wohlhabende und ruhige Bürger, sowie der hohe Adel, nachdem dieselben endlich eingesehen, daß die Presse anfange, eine Macht zu werden, ihr Auge auf die »Spinne« und Doktor Stechmaier warfen, als besonders tüchtig und fähig, die Interessen der conservativen Partei in die Hand zu nehmen. Nicht so bald hatte der Doktor seinerseits diesen Entschluß vernommen, der seine kühnsten Wünsche, ein größeres Journal mit ausgebreitetern Mitteln zu redigiren, realisiren sollte, als er in Anbetracht der Mittel, welche jener Partei zu Gebot standen, sich der kühnen Hoffnung hingab, jetzt die Thürklinke zum Glückstempel in der Hand zu haben.

Was konnte nicht aus einem Journal werden, für das sich die besitzende Klasse und der hohe Adel interessirte! Gelang es nicht schon der andern Partei, die wenige Kapitale in der Hand hatte, ihre Journale als selbstständig hinzustellen, ihnen ein Ansehen zu geben, sie würdig auszustatten? Und das ging von Leuten aus, denen die wenigen Kreuzer, welche sie ihrer politischen Meinung darzubringen im Stande waren, ja sogar die Zeit, welche sie ihren Journalen opferten, sehr kostbar war. Dagegen die conservative Partei mit großen Geldmitteln, mit tüchtigen Mitarbeitern! Ja, der Doktor war seines Gelingens gewiß, und der Eigenthümer der »Spinne«, ein armer Buchdrucker, begeisterte sich bei diesen schönen Hoffnungen für den Conservatismus und fing an, vollkommen rechts überzuhängen. In seiner Druckerei wurden keine vorwitzigen Redensarten mehr geduldet, das Tragen von rothen Halsbinden den Setzern aufs Strengste untersagt und der Druck eines kleinen Blattes von entschieden liberaler Färbung von der Hand gewiesen.

Das projektirte neue Journal auf Aktien herauszugeben, erschien nicht ganz thunlich; denn die wenigsten conservativen Menschen sind, bei aller Begeisterung für ihre Sache, geneigt, im ersten Augenblick eine größere Summe so in's Ungewisse hin auszugeben. Diesem widerspricht schon der Name »Conservatismus,« als das Erhalten des Bestehenden bezeichnend, und hiebei ist auch außerordentlich begreiflich, daß die Leute, welche etwas zu erhalten haben, zuerst an sich denken und ihre eigenen Geldmittel conserviren. Nebenbei schien ein anderer Plan, den der Doktor gefaßt, ihm viel ersprießlicher und für die gute Sache nützlicher. Das war nämlich der, die vielen vermögenden Mitglieder der conservativen Partei: Fürsten, Grafen, Herren, wohlhabende Bürger, zu vermögen, eine erkleckliche Anzahl von Unterschriften zu zeichnen, eine große Anzahl von Exemplaren zu nehmen, diese Exemplare an Unbemitteltere zu vertheilen und so nach allen Seiten hin zu wirken. Eine vorläufige Liste von den erwähnten Personen, welche der Doktor und der Buchdrucker gemeinschaftlich aufsetzten, und eine ganz bescheidene Zahl von Exemplaren, die sie jeder zuerkannten, gab eine solch' immense Summe von Abonnenten, daß den beiden Unternehmern ordentlich schwindelte. Wir sagen: den beiden Unternehmern; denn der Buchdrucker hielt es für gerathener, seinen Hauptredakteur mit in's Interesse – und, wenn die Sache nicht so ganz gut ginge, was aber unmöglich schien – ebenfalls mit in den Schaden zu ziehen.

Die Idee des neuen conservativen Journals fand denn auch bei der ersten Besprechung in verschiedenen Cirkeln den besten Anklang. Dies war eigentlich durchaus nicht zu verwundern; denn der Doktor Stechmaier war mit seinem Unternehmen der Erste, der für die Rechte arbeiten und leiden wollte. Es war nämlich die Führung eines solchen Journals für den Redakteur nicht ganz ohne Gefahr; denn es war schon früher einmal vorgekommen, daß ein ähnliches Unternehmen sich gewaltsam zerschlagen hatte, oder vielmehr nächtlicher Weise auf dem armen Redakteur zerschlagen worden war. Darum bekümmerte sich aber der Doktor Stechmaier bei seiner bekannten Gleichgültigkeit nicht besonders. Er verachtete allen Zwang, und es that seinem Herzen wohl, denen, die ihn haßten und verfolgten, tüchtig die Meinung sagen zu können.

Für das Unternehmen interessirten sich nun gewichtige Männer aller Klassen der conservativen Partei. Diese gewichtigen Männer zeichneten auch eine ziemliche Anzahl von Exemplaren und mancher unter ihnen hatte dabei das Zartgefühl, dem andern den Vorrang auf der Subscriptionsliste einzuräumen, woher es denn kam, daß die ersten Seiten dieser Listen ein wenig leer blieben und nur sich auf den letzten untern Spalten einige Namen in schüchterner Bescheidenheit zeigten. Die Meisten unterzeichneten aber vor der Hand gar nicht und waren großherzig genug, im Stillen für das neue Unternehmen wirken zu wollen. So sagten sie dem Doktor Stechmaier mit gnädigem Händedruck, und wenn man ihrem vielsagenden Blick glauben wollte, so konnte sich der Buchdrucker veranlaßt sehen, ganze Bände geheimer Subskriptionslisten einbinden zu lassen, und große Geldkisten aufzustellen, und die reichlichen anonymen Beiträge aufzunehmen. Ebenso ging es auch mit den Versprechungen zu schriftlichen Beiträgen für das Beste ihrer eigenen Sache und des Blattes. Der Doktor sah schon im Geiste, wie er täglich aus einem ungeheuren Stoße von Manuskripten das Beste herauszulesen habe, und war überzeugt, daß er sich bald genöthigt sehen würde, Ergänzungsblätter zu dem neuen Journal auszugeben; denn geistreiche Mitarbeiter, die ohne Honorar liefern, dadurch vor den Kopf zu stoßen, daß man ihre Sachen in den Papierkorb legt, war durchaus nicht thunlich. So war es denn auf's Beste vorbereitet; die paar hundert Abonnenten der bisherigen »Spinne,« der bürgerlichen Mittelklasse angehörend, schienen trotz des vergrößerten Formats und des erhöhten Preises treu bleiben zu wollen, und der Doktor begann frohen Muthes sich mit der großen Schwierigkeit zu befassen, dem neuen Journal einen pikanten und noch nie dagewesenen Namen zu geben. Diese Sache, die an und für sich sehr leicht erscheint, ist aber außerordentlich schwierig; denn jeder, der etwas mit dem Journalwesen vertraut ist, weiß, wie viel man auf einen neuen passenden Namen hält und wie schwer es ist, einen solchen aufzufinden, da in der Welt fast schon Alles dagewesen. Der Doktor begann damit, das Original zur bisherigen Benennung, »die Spinne,« in Gedanken körperlich zu Vergrößern: – Kreuzspinne, Vogelspinne, – unmöglich! hat keinen Sinn. – Tarantel würde bei dem Blatt eine abentheuerliche, schwankende Haltung voraussetzen; auch gäbe es zu schlechten Witzen auf den Redakteur Veranlassung, wenn man z. B. einmal sagte: der Redakteur der Tarantel scheint von seinem eigenen Blatte gestochen zu sein. Weiter also! – Meerspinne – mit einem stehenden Artikel: Deutsche Flotte – zu ungewiß und nicht bezeichnend genug. – Der Krebs – wäre nicht so ganz übel, man könnte vielleicht die demokratische Partei als den Krebs bezeichnen, welcher an den Grundrechten der menschlichen Gesellschaft nagt. – Doch weiter! – Krebs könnte den Buchhändlern nicht angenehm erscheinen und sie veranlassen, sich nicht für das Journal zu interessiren. Der Doctor verließ das Reich der Insekten und suchte unter den gefiederten Bewohnern der Luft. Die Lerche, mit hellem Lied aufsteigend, eine bessere Zeit verkündigend – unpassend für ein konservatives Journal! – die Fledermaus – zu dämmerig! – Der Phönix – schon dagewesen, schon einigemal verbrannt, ohne verjüngt wieder aufgestanden zu sein – die Schnepfe, mit dem Motto: Oculi, da kommen sie – schmeckt zu sehr nach einer Jagdzeitung. Adler – Lämmergeier – Habicht – Sperber – sind lauter Raubvögel und von keiner conservativen Haltung. – Einen Augenblick blieb der Doktor bei dem Edelfalken stehen, dem schönen Jagdvogel, dem Verfolger schädlichen Gevögels – ja, der Name »Edelfalke« schien ihm bei dem Antheil, den die Edlen des Landes seinem Unternehmen zuwendeten, nicht so ganz unpassend. Doch suchte er weiter unter den fliegenden Geschöpfen – Wespe – war leider schon mehrere Mal dagewesen – Fliege – zu alltäglich, obgleich der Titel: »die conservative Fliege« keinen so schlechten Klang gehabt hätte. Einen Augenblick dachte der Doktor au das Fabelthier, den Drachen oder den Greif, der verborgene Schätze hütet. Dieser Name war wirklich nicht zu verwerfen; Schätze besaß die Partei genugsam, sowohl Schätze des Geistes, wie klingende Schätze; verborgen waren diese Schätze vorderhand auch noch; ebenso hätte sich der Greif bildlich dargestellt nicht so übel gemacht. Indessen überlegte der Doktor, daß es dabei doch wohl nöthig sei, vorher bei der Cotta'schen Buchhandlung anzufragen, ob man sich deren Wappenthier aneignen dürfe. So saß der Doktor lange, und konnte nicht mit sich in's Reine kommen, welcher gewichtige, pikante und unbekannte Namen dem Journal eigentlich geschöpft werden sollte. Zur gewöhnlichen Zeitung, Kronik oder Journal mit einem bezeichnenden Vorwort seine Zuflucht zu nehmen, war ihm zu alltäglich, zu unbedeutend, und, nebenbei gesagt, wie viele Zeitungen, Kroniken, Journale gab es nicht schon durch das ganze Alphabet durch! Waren nicht schon alle nur einiger Maßen passende Bezeichnungen mit Zeitung, Journal etc. zusammengeleimt worden? – Unmöglich, hierin etwas noch nicht Dagewesenes zu finden. Aber ein Name mußte entdeckt werden, und wo möglich noch heute; denn schon in den nächsten Tagen sollte die erste Nummer des vergrößerten, conservativen Journals erscheinen. Der Doktor hatte schon mehrere Federn zerkaut, hatte mit seinem Blicke fast ein Loch durch die Decke gebohrt und stand jetzt mißmuthig von seinem Stuhle auf und trat an's Fenster, Feder und Papier in der Hand, da ihm die eingetretene Dämmerung nicht mehr erlaubte, das am Tische aufzuschreiben, was ihm vielleicht in nächster Sekunde einfallen würde. –

Da unten auf der Straße gingen die Leute ihren Geschäften nach, so beruhigt und alltäglich wie immer. Jeder dachte nur an sich, und keiner der Vorübergehenden schien eine Ahnung davon zu haben, wie sehr der unglückliche Journalist droben sein Gehirn abquälte, um eine passende Benennung zu finden. Allmälig wurden in den gegenüberliegenden Häusern die Lichter angesteckt, Gesellen und Lehrbuben erschienen unter der Hausthüre, um vor dem Nachtessen noch einen Mund voll frische Luft zu nehmen. Drüben an dem Eckhause waren noch die letzten und unartigsten einer Schaar Buben mit dem interessanten Spiel »Anwerfen« beschäftigt. Die besseren dieser kleinen Galgenvögel oder die, welche sich auf keine solide Lüge hinsichtlich ihres Ausbleibens besinnen konnten, waren schon längst zu Hause. Dort kamen schon die Weiber mit den Zeitungen gelaufen, hinter ihnen drein auch der kleine Bube mit der »Spinne.« Ach! er hatte an seinen Exemplaren nicht viel zu schleppen, aber doch kam er, der kleine Junge mit der defekten Hose, ein winziges Packetchen unter dem Arm, neben jenen andern Großmächten der Gesandte eines sehr kleinen Staates. Und er trug heute die vorletzte »Spinne« herum, morgen früh nach dem Kaffee gab es Verschiedene heißhungrige Setzer, welche erstaunlich lüstern waren, den Namen des neuen Blattes zu setzen. Der Prospektus war da, schön, bieder, gerade, wahr, umfassend und kurz, wie ein Prospektus sein soll. Schon lange, hieß es in irgend einer bescheidenen Stelle, ist ein großer Theil von Vierzig Millionen Deutschen mit uns derselben Ansicht, wie dringend und nothwendig es sei, auch in unserer Residenz den Uebergriffen einer zügellosen Presse kräftig und geharnischt entgegen zu treten. – Aber gerade diese Kunststelle war es, welche den Doktor einigermaßen unmuthig stimmte; denn so gleichgültig im Allgemeinen er auch war, so fand er es doch durchaus nicht spaßhaft, den größeren Theil von Vierzig Millionen Deutschen, wenn auch nur einen Tag lang, auf das Journal warten zu lassen. Und warten mußten sie ohne alle Gnade, wenn der Doktor nicht noch heute Abend einen Namen erfand. Drum einen Namen.

Ein Königreich um einen Namen!

Mittlerweile war es ganz dunkel geworden, und der Doktor der sehr hoch oben wohnte, bemerkte an dem plötzlichen Hellwerden hie und da in den Straßen, daß die Gaslaternen angesteckt wurden. Jetzt erschien der Aufklärungsbeamte mit seinem langen Stock und der kleinen Laterne daran auch in der Elstergasse, wo sich dem Hause Nummer Vierundvierzig gegenüber ebenfalls eine Gaslaterne befand. Der Anzünder drehte mit seinem Stock den Hahn, hielt sein Laternchen in die Oeffnung des Brenners, und ein milder Lichtstrahl ergoß sich über die dunklen Häuser der Elstergasse, welche darüber vor innerer Freude ordentlich zu schmunzeln schienen, wenigstens blinzelte hie und da ein altes Fenster vergnüglich in die Nacht und bei dem hellen Licht und dem tiefen Schatten an den Vorsprüngungen eines anderen Hauses hätte man darauf schwören können, es verziehe grinsend sein Gesicht zu einer behaglichen Geberde.

Der Doktor hatte dem Anzünder nachsinnend zugeschaut, und als jetzt die weiße Flamme herausfuhr und sich auf seine Fenster und sein Gesicht lagerte, ging ihm plötzlich ein riesenhaftes Licht auf, eine ganze Gasbeleuchtung, ein wahrer Waldbrand – prächtig! jubelte er in sich hinein; – köstlich, unübertrefflich! ja, das ist neu, noch nicht da gewesen, bezeichnend, umfassend! Hastig schrieb er ein Wort auf sein Papier hin, faßte sich aber bald wieder, denn er hielt es für schwach und unmännlich, sogar sich selber eine freudige Bewegung zuzugestehen, sich zuzugeben, daß er sich selbst durch einen sublimen Gedanken überrascht. Er drückte das Kinn fest auf die Halsbinde und brachte die Brille näher ans Gesicht und sagte mit außerordentlicher Ruhe: »ja, so könnte es vielleicht gehen, das Blatt muß auf jeden Fall »»die Laterne«« heißen, ein Helles Licht, das wir der Welt aufstecken, angenehm für unsere Partei, hell und blendend für die blöden Augen der Radikalen!«

So hieß denn das berühmte conservative Journal »die Laterne,« und der Eigenthümer fand den Namen nicht so ganz übel, die heißhungrigen Setzer setzten ihn den andern Morgen, in der Residenz las man es noch denselben Tag, und in den nächsten Tagen wußte die Mehrzahl von vierzig Millionen Deutschen, daß ein neues Blatt, »die Laterne« entstanden sei.

Jetzt war für die conservative Partei einem längst gefühlten dringenden Bedürfnis abgeholfen, das Blatt war da und es fehlte an nichts, als an zahlreichen Abonnenten, um es zu unterstützen. Hatte man nicht schon lange geseufzt und gesprochen? – Freilich, statt zu handeln, nur geseufzt und gesprochen. Ja, wenn wir einmal ein Organ hätten, worin wir unsere Ansichten niederlegen könnten, unsern gerechten Grimm aussprechen über die Uebergriffe einer zügellosen Partei, wie wollten wir auftreten! hatten sie gesagt und hatten gedroht, wie in dem Mährchen das Schlachtmesser zum Dachladen heraus:

O hätt' ich dich,
Wie wollt' ich dich
Mit meinem langen Messer!

Das lange Messer war nun freilich schon lange da; auch die, auf welche es gezückt werden konnte, zogen sich nicht feig zurück, sondern stellten sich dahin und sagten: »hier bin ich!« Aber das lange Messer wurde darum doch nicht gezückt; sie scheuten es, das lange Messer, und wenn es hie und da einmal zu arg wurde, und es nahm Einer muthig das lange Messer in die Hand, so eilten die Andern davon oder blickten scheu und vorsichtig auf die Seite und konnten es nicht mit ansehen, wie das lange Messer – – in das Innere eines Beefsteaks fuhr.

Aber es war den Leuten nicht übel zu nehmen, daß sie sich nicht gegen den gemeinschaftlichen Feind vereinigten; sie hatten keinen Vereinigungspunkt. Ja, wenn sich einmal ein muthiger, gewandter Arm fände, der das lange Messer kräftig in die Hand nähme und es zum Nutzen und Frommen gegen den Feind führte, wie wollten wir ihn heimlich unterstützen! Ihm öffentlich zur Seite stehen, war freilich nicht thunlich, aber ihm wenigstens aus dem Dunkel heraus unter die Arme zu greifen und ihn aufrecht zu erhalten, das hätten sie schon thun können. Der Arm hatte sich gefunden: Doktor Stechmaier stellte sich offen und frei hin, hieb mit der Waffe der Satire und des Humors um sich, und focht mit einem Heldenmuthe, der, wenn auch nicht einer besseren Sache, doch besserer Mitkämpfer würdig gewesen wäre.

Die Mitkämpfer aber, einige gewichtige, hochherzige Männer ausgenommen, hatten schon am ersten Tage Manches an der »Laterne« auszusetzen, an dem Journal für die conservative Partei, für welches sie bis jetzt gar nichts gethan. Schon der Name war ihnen anstößig, unangenehm, unheimlich, und es schwebte ihnen die Aristokratie an der »Laterne« vor. Dann erlaubte es sich der Doktor Stechmaier auch zuweilen, auf ein altes verrostetes Vorurtheil der eigenen Partei hinzuweisen, oder erkühnte sich zu sagen: »hättet ihr das und das von selbst gethan, so würde man es euch nicht abnöthigen!« Edel von dem Doktor Stechmaier, schade für das Blatt; denn darauf hin beschlossen Viele, die bis jetzt kein Abonnement auf die Laterne hatten, gar keins zu nehmen. Andere und sehr hohe Herren, von denen man mit Recht erwartet, sie würden ein Unternehmen, das ihre Sache verfechte, auf's Kräftigste unterstützen, trieben die Bescheidenheit so weit, sich mit einem einzigen Exemplar zu begnügen. Die geheimen Geldbeiträge blieben aus, die geistigen Beiträge ebenfalls; denn es war doch zu gewagt, sich mit einem Blatte einzulassen, das so offenkundig und schonungslos gegen die mächtige demokratische Partei auftrat. Man konnte ja nicht wissen, ob die Namen der Mitarbeiter nicht später einmal bekannt würden, und was daraus entstehen könnte. So blieben die Kassen auf der Druckerei leer, und die großen Bücher füllten sich mit unbezahlten Rechnungen, von denen sich der Unternehmer des Blattes für seinen Theil sehr, der Doktor Stechmaier für den seinigen gar nicht gedrückt fühlte.

So brannte in der »Laterne« ein kümmerliches, elendes Licht, und wenn es auch den Aufopferungen Derer, die es mit dem Blatte gut meinten, gelang, hie und da einen hellen Schein auf das Treiben der anderen Partei zu werfen, so waren dieser Wenigen zu wenig, und nach einem solchen Aufflackern herrschte allemal trübseligeres Dunkel als zuvor, und bald sah jede Nummer wie eine Grabrede auf sich selbst aus. Die gewichtigen Männer, die ihr Geld dazu gegeben, sahen bald, daß das Blatt, an allgemeiner Theilnahmlosigkeit kränkelnd, nicht zu halten sei und zogen sich gleichfalls zurück. Der Buchdrucker und Eigenthümer hängte dem Doktor Stechmaier von den aufgeopferten Unkosten so viel an den Hals, als er, ein deutscher Literat, zu tragen im Stande war, und die acceptirten Wechsel des Redakteurs, die vor der Verfallzeit wie leichte, lose Blätter flatterten, wurden plötzlich nach diesem denkwürdigen Tage zu eben so viel Mühlsteinen, welche, an ihm hängend, ihn unaufhaltsam in den Abgrund niederzogen.

Das Blatt hörte demnächst auf, und Doktor Stechmaier, der, seit er nicht mehr in dem Wandschranke wohnte, der Polizei zugänglich geworden war, sah sich an einem schönen Morgen genöthigt, der freundlichen Einladung des Polizeicommissärs seines Bezirkes nachzukommen und sich auf das Polizeibureau zu verfügen, wo der eben genannte vortreffliche Beamte eine solche Anhänglichkeit an den Doktor und Redakteur bezeugte, daß ein härteres und grausameres Gemüth als das unseres Freundes dazu gehört hätte, dieser zarten Neigung zu widerstehen. Der Doktor, der dies auch einsah, machte keinen fruchtlosen Versuch, sich der Freundschaft des Polizeicommissärs zu entziehen, und so geschah es denn, daß er das Quartier in der Elstergasse Numero vierundvierzig verließ, ohne eigentlich ausgezogen zu sein, und daß er dafür ein anderes Gemach bezog, in der Nähe des eben genannten würdigen Freundes, ein kleines bescheidenes Zimmer mit vier weißen Wänden, einem tannenen Tisch und Stuhl, einer Bettlade und einigem Bettwerk, versehen mit Wasserkrug und sonstigen nothwendigen Utensilien und geschmückt mit einem kunstreichen Gitter, welches das Fenster in phantastischen Formen bedeckte.

Hier befand sich der Doktor eigentlich nicht schlecht, abgesehen davon, daß die Sonne nur Mittags zwischen zwölf und ein Uhr den schwachen Versuch machte, mit dem erwähnten Gitter zu liebäugeln; und abgesehen von der sonderbaren Gewohnheit, ein paar Riegel vor die Thüre zu schieben, welche der alte Mann, der ihm das spärliche Essen brachte, angenommen hatte, sah der Doktor in dieser Aufbewahrungsanstalt durchaus nichts Abschreckendes, und nachdem er berechnet, daß er wohl lebenslänglich hier sitzen könne, bis sich eine mitleidige Seele seiner Partei herbeiließ, ihm die Schulden zu bezahlen, und nachdem er gefunden, daß diese Zeit doch gar zu lang sei, entschloß er sich, mit allem Fleiß an literarische Arbeiten zu gehen, vor Allem aber seine Memoiren zu schreiben, um darin jungen, unerfahrenen Schriftstellern durch sein Beispiel zu zeigen, wie höchst gefährlich es sei, auf die Theilnahme der conservativen Partei bauend, ein Journal in deren Interesse zu unternehmen.


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