Friedrich Wilhelm Hackländer
Namenlose Geschichten - Zweiter Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Zweiunddreißigstes Kapitel. Alfred's Erzählung.

»Die Meisten von euch,« sagte Alfred, »haben meinen Vater gekannt: wenigstens müßt ihr euch des alten Herrn noch deutlich erinnern mit der weißen Halsbinde und dem freundlich lächelnden Gesicht. Er selbst, ein tüchtiger Kaufmann, ein großer Banquier, der sein immenses Vermögen am Comptoirtische selbst verdient hatte, konnte doch seine Aversion gegen das Zahlenleben, wie er es nannte, nicht überwinden. Wie oft sagte er zu uns: »Jungens, werdet mir keine Kaufleute, werdet Alles in der Welt, nur keine Zahlenmenschen! Lauft herum in Gottes freier Natur, geht auf Reisen, wenn ihr könnt, werdet Jägerburschen, in Gottes Namen, wenn's nicht anders ist, Holzhauer, nur bleibt aus der Schreibstube!« Bei mir fanden diese Lehren den willigsten Eingang, mir war das Stillsitzen von jeher verhaßt gewesen. Ich hatte schon als Kind etwas Praktisches an mir und lernte am liebsten das, was von außen auf mich einwirkte. Dank aber der Strenge meines Vaters blieb ich auch in den Schulfächern nicht zurück und hätte mit sechszehn Jahren ein preußisches Artillerieoffizier-Examen machen können, was schon etwas sagen will. Dann schickte mich mein Vater auf Reisen, und ich war in London, als er starb. Nach Hause zurückgekehrt, um seinen letzten Willen zu vernehmen, sah ich, daß mir die Wahl blieb, in das Geschäft einzutreten oder, mich mit einer sehr ansehnlichen Jahresrente begnügend, dasselbe meinem Onkel zu überlassen. Ich wählte Letzteres und saß eine Stunde darauf in meinem Reisewagen, gegen Süden eilend. Ich ging über Mailand, Florenz, Rom nach Neapel und beschloß, dort einige Monate zu bleiben.

Eines Tages schlenderte ich auf dem Molo umher, und mir fiel ein, daß ich einem Deutschen, der in der Villa di Roma wohnte, schon mehrere Tage einen Gegenbesuch schuldig sei. Ich nahm deßhalb ein Cabriolet und fuhr nach diesem Hotel ab. An der Thüre desselben angekommen, bricht das linke Rad des Cabriolets, ich springe hinaus, komme glücklicher Weise auf die Füße zu stehen, pralle aber an einem alten Herrn an und hätte um ein Haar eine junge Dame, mit der er im Begriffe war, auszugehen, über den Haufen gerannt. Ich war in ziemlicher Verwirrung und entschuldigte mich, so gut es ging. Mein deutscher Bekannter war ausgegangen, und am andern Tage fuhr ich wieder bei der Villa di Roma vor, dieses Mal aber in meinem eignen Wagen, um kein neues Malheur zu haben, und machte zwei Besuche, den gestern projektirten und den andern bei dem alten Herrn, mit dem ich carambolirte. Es war ein Franzose, ein Vicomte tel et tel; die junge Dame aber, die gestern bei ihm war, seine Tochter, dieselbe, die auf dem Bilde dort in jenem Cabinet an der Terrasse der Villa Tasso lehnt.

»Ah!«

Der alte Herr nahm meinen Besuch freundlich auf und erlaubte mir wieder zu kommen. Auch Mathilde, so hieß seine Tochter, schien sich in meiner Gesellschaft nicht zu langweilen, und von der Zeit an war ich in der Villa di Roma mehr als in meinem eigenen Hotel.

Schon nach den ersten vierzehn Tagen unserer Bekanntschaft liebte ich das Mädchen leidenschaftlich. Gibt's wohl einen zweiten Ort in der Welt, der mit seiner großartigen, wunderbaren Natur so dazu gemacht ist, zärtliche Gefühle zu nähren, wie Neapel? Denkt an die unzähligen prachtvollen Punkte der Umgegend, die ich alle mit Mathilden und ihrem Vater besuchte. Denkt an Camaldoli, mit seiner herrlichen Aussicht! Wir standen an einem Rande der wilden Felsen, die fast senkrecht in's Meer hinunter gehen. Dort schwindelte es ihr und sie legte ihre Hand auf meine Schulter: es war ihre erste Berührung, aber ich werde die sanfte Wärme, die mich in diesem Augenblicke durchströmte, nie vergessen. Denkt an Portici, an Pompeji. Die Meisten von euch haben auch kleine Parthieen dorthin gemacht. Wir waren immer zu Drei, oder, wenn man will, zu Zwei; denn der alte Herr, obgleich bei uns, hatte beständig mit seinen Correspondenzen zu thun. Er las entweder eingelaufene Briefschaften oder notirte die Antworten in seine Schreibtafel. Mathilde hing unbefangen an meinem Arme, und ihr süßes Geplauder will ich nie vergessen.

Es war eines Abends in Torre del Greco. Wir hatten den Vesuv bestiegen und machten hier unten auf der Terrasse eines niedlichen Landhauses ein kleines Diner. Vor uns stieg majestätisch der schwarze Lavakegel empor. Mathilde stand neben mir, wiegte sich an einer Rebe und ich sprach viel und emsig in sie hinein – nicht von Liebe, das hätte ich nie gewagt, auch nicht von dem flammenden Vesuv, sondern von der Heimath erzählte ich, von Deutschland und seinen herrlichen Thälern, und malte eine kleine Villa aus, wie ich sie in meinen süßesten Träumen erfunden. Das Mädchen hörte mir aufmerksam zu und drückte ihr Gesicht in das Laub der Rebe. Ich verwandte keinen Blick von ihr, während ich sprach, und sah, wie ihr schlanker Körper sichtbar erzitterte.

Mathilde, sprach ich leise und innig, wäre ein solcher Ruhepunkt, nachdem man die Welt gesehen, nicht himmlisch und beneidenswerth?

Aber ich erhielt keine Antwort, sie wandte sich um und verließ schnell die Terrasse. Ich sah ihr schmerzlich bewegt nach.

Ist denn kein Gefühl in diesem für alles Schöne sonst so empfänglichen Herzen? murmelte ich verletzt in mich hinein. Wenn sie mich auch nicht liebt, etwas müßte sie doch empfinden, wenn ich ihr mit aller Innigkeit ein Bild der Heimath gebe. – Und einen Augenblick darauf wollte ich mich überreden, ich liebe sie auch ganz und gar nicht, und wollte mich glauben machen, wenn ich Neapel verließe, bliebe mir nichts übrig, als das Andenken an eine Reisebekanntschaft. Doch nein, nein, tönte es mir, betrüge dich nicht, du liebst das Mädchen namenlos, du kannst ferner nicht ohne sie leben. Und einmal diese Scheu meines eigenen Herzens überwunden, jauchzte und frohlockte es an den dunklen Nachthimmel hinauf: Ja, ich liebe dich, liebe dich unendlich, ewig! Ich drückte meinen Mund gegen die dunklen Blätter, gegen dieselbe Stelle, wo ihre Stirn geruht, und fuhr überrascht, ja entsetzt zurück; denn die Blätter waren feucht, nicht vom Abendthau: sie hatte geweint.

Ich hoffte, aber Mathilde war nicht mehr dieselbe. Wenn wir allein vorausgingen, war sie befangen und zerstreut, und wenn wir Abends allein auf der Terrasse der Villa di Roma standen, so wußte sie Gespräche einzuleiten und festzuhalten, Gespräche, die ich alsdann unmöglich in meine Bahn hinüberziehen konnte. Der alte Herr, ihr Vater, blieb sich immer gleich. Ich sah, daß er nicht reich war. Er lebte ziemlich bescheiden, und nachdem einmal seine Scheu vor mir, als Fremden, überwunden war, bediente er sich gern meiner Bedienten und meiner Equipage. Er war aus der Normandie, wie er mir eines Tags erzählte, und nach dem Tode seiner Frau nach Italien gegangen, weil ihm die Gesundheit seiner Tochter Mathilde Besorgnisse eingeflößt. Seine Frau war überdieß eine Italienerin gewesen, und Mathilde hatte sich schon lange darauf gefreut, das Heimathland ihrer Mutter zu sehen. Ich könnte gerade nicht behaupten, daß das Aeußere des Vicomte angenehm und Vertrauen erregend gewesen wäre. Es war meistens ein finsterer Ernst auf seinem Gesicht und oft, wenn er nach Beendigung seiner Correspondenzen zu uns auf die Terrasse kam, war er fürchterlich abgespannt, und nur das liebenswürdige Geplauder seiner Tochter vermochte ihn nach und nach zu beruhigen.

Ich versichere euch, ich stand mehrere Mal auf dem Punkte, ihm meine Liebe zu Mathilden zu erklären und förmlich um ihre Hand anzuhalten; denn daß ich ihr nicht gleichgültig war, wußte ich. Ich leitete auch diese Sache langsam ein, indem ich ihm mit größter Offenheit meine Verhältnisse auseinandersetzte.

Da schlug ich eines Tages eine kleine Partie nach Capri vor und nach Sorrento, das die Beiden noch nicht kannten. Wir fuhren nach der Tafel; das Meer war wie ein Spiegel, und Capri glänzte in einer Farbenpracht, wie ich es nie gesehen. Wir fuhren auf den kleinen, niedrigen Booten durch das enge Felsenthor in die blaue Grotte und Mathilde war vor Vergnügen außer sich. Der Schiffer erzählte die alte bekannte Geschichte von Fremden, die bei gutem Wetter eingefahren waren und durch einen plötzlichen Sturm genöthigt wurden, volle zwei Tage in der Grotte zu bleiben. Mathilde meinte, so hier abgeschieden von der Welt zu leben, wenn es möglich sei, wäre herrlich.

Möchten Sie so leben, Mathilde? fragte ich sie, so jetzt hier leben? – und auch mit mir? setzte ich zögernd hinzu.

Ja, sagte sie mit leiser Stimme und fügte mit entschlossenem Tone hinzu: wohl verstanden, wenn es möglich wäre, abgeschnitten von der Welt und allen Erinnerungen.

Das gab mir zu denken, und doch hoffte ich.

Abends waren wir in Sorrent, der Vicomte las seine Briefe, und wir standen auf der Terrasse allein, auf der Terrasse der Villa Tasso, von deren wunderbarer Aussicht euch der Künstler einen schwachen Begriff gab. Wir sprachen lange kein Wort; ich legte meine Hand auf ihre Hand, sie zuckte zusammen, zog sie aber nicht weg. Ich legte meinen Arm um ihren Leib, sie entwand sich mir nicht, aber sie athmete tief und schwer.

Mathilde, sagte ich mit zitternder Stimme, Mathilde, ich liebe Sie, wollen sie die Meine sein?

Sie antwortete nicht.

Mathilde, sagte ich weiter, seien Sie aufrichtig gegen mich, seien Sie barmherzig! Könnten Sie mich lieben? Darf ich hoffen?

Da wandte sie sich rasch und leidenschaftlich um, und reichliche Thränen zitterten auf ihrem Gesicht.

Alfred, sagte sie zu mir, ich will Ihre Frage beantworten, aber geben Sie mir Ihr Ehrenwort, alsdann einer Bitte, einem Wunsch, einem Befehl augenblicklich Folge zu leisten.

Ich gab ihr mein Wort.

Ja, Alfred, sagte sie, ich liebe Sie, ich liebe Sie, wie die Rose das Licht, wie alles Lebende die Luft, die es einathmet!

Sie warf sich an meine Brust und weinte und zitterte heftig in meinen Armen. Ich war für einen Augenblick der glücklichste Mensch auf der weiten Welt, doch nur für einen Augenblick. Sie entwand sich mir und sagte mit tonloser, aber fester Stimme: jetzt meine Bitte, mein Befehl!

Wäre nach diesem Moment der Vesuv flammend und krachend in's Meer gestürzt, es hätte mich nicht so überrascht und entsetzt, wie ihre Worte.

Gehen Sie zu meinem Vater, sprach das Mädchen, sagen Sie ihm, wichtige Briefe riefen Sie in die Heimath. Gehen Sie noch heute nach Neapel zurück und verlassen Sie morgen Italien.

Nie, nie! rief ich, du liebst mich, Mathilde, das ist mir genug.

Ja, entgegnete sie, ich liebe Sie, aber ich würde Sie hassen, wenn Sie Ihr Wort brächen.

Ich will euch nicht erzählen von der schrecklichen Scene, die ich noch durchmachte. Sie blieb fest und sagte nur: Gott sieht mein Herz!

Ich stürzte fort, und hörte noch Ihren letzten Ruf: lebe wohl, Alfred! Ich warf mich auf mein Pferd, und weiß nicht, wie ich nach Neapel kam. Ihr Geständniß, daß sie mich liebe, klang unaufhörlich in mir wieder, und dazwischen wie Hohnlachen mein Ehrenwort, das ich ihr gegeben.

Ich ließ augenblicklich einpacken und verließ mit dem ersten Schiff Neapel. Mein Wort jagte mich; ich ging nach Marseille und Paris, blieb dort über ein halbes Jahr und stürzte mich in den Strudel aller Vergnügungen, um sie zu vergessen. Unmöglich. Bald aber widerte mich das wilde Leben an. Ich verließ Paris und durchstreifte die Normandie allein und zu Fuß. Ich forschte in jeder Stadt, in den zahlreichen Schlössern, ja in jedem Dorfe, in jedem einzeln stehenden Hause nach dem Vicomte. Ich hatte ja nicht mit meinem Ehrenwort versprochen, sie nicht wieder aufzusuchen. Alles umsonst. Niemand kannte ihn. Er mußte mir einen falschen Namen genannt haben. Ich ging zurück nach Italien, nach Neapel, nach Sorrent. Ich besuchte alle die Orte wieder, die ich mit ihr gesehen, und ihr könnt denken, was ich dabei gelitten. Von dem Vicomte und seiner Tochter natürlich keine Spur. Sie waren abgereist, Niemand wußte wohin.

Zu meinem größten Troste fand ich dort einen Maler, der bei Ausflügen viel in unserer Gesellschaft gewesen und der es unternahm, aus der Erinnerung ihr Bild zu malen – das Bild, wie ihr es Alle kennt. Ich ging durch Spanien nach Paris zurück, stürzte da auf einem Spazierritt mit dem Pferde und verletzte meinen Fuß, woran ich noch heute zu leiden habe.

Da schrieb mir eines Tages mein Onkel und sandte mir eine Menge Papiere. Von einem der Commis unseres Hauses, der darauf flüchtig wurde, war ein falscher Kreditbrief ausgestellt worden im Betrage von dreitausend Pfund auf ein Londoner Haus. Der junge Mensch, dessen Signalement beigefügt war, gehörte einer guten uns befreundeten Familie an, weßhalb mich mein Onkel ersuchte, selbst nach London zu gehen, um dort, wenn der Kreditbrief von dem Commis vorgezeigt werde, so schonend wie immer möglich gegen ihn zu verfahren.

Da ich nicht viel zu thun hatte, so fuhr ich sogleich nach Ostende; das Packetboot nach England ging Abends um acht Uhr ab.

Es dämmerte schon, als ich das Schiff betrat. Wir fuhren ab. Das Meer war ziemlich ruhig, obgleich das Wetter sonst nicht angenehm war. Wie meistens gegen Ende August, bedeckten schon trübe Wolken den Himmel, kalt wehte der Wind, und nur hie und da stahl sich ein Blick des Mondes auf's Verdeck, die dort Umherwandelnden matt beleuchtend. Die See war schmutzig grau. Das Schiff stöhnte, kurz es war eine unerquickliche Fahrt. Ich dachte unwillkürlich an meine Seereisen auf dem Mittelmeer.

Die Gesellschaft war auch nicht bemerkenswerth. Ich hinkte an meinem Krückenstock über das Verdeck, ließ mich endlich gegen zehn Uhr in der Nähe des Steuerruders nieder und starrte gedankenvoll in die Fluthen.

Die Schiffsglocke schlug mehrere Male an, ich saß lange da. Nicht weit von mir hatte sich ein Herr mit einer Dame niedergelassen, doch beachteten wir uns gegenseitig nicht. Plötzlich sagte der Herr: wenn du noch oben bleiben willst, so ist mir's recht, ich gehe hinunter.

Die Stimme durchschauerte mich furchtbar, und ich erhob mich rasch. Als aber erst die Dame antwortete: ich werde nicht lange mehr hier oben bleiben, so war ich meiner Sache gewiß – es war Mathilde!

Ihr glaubt nun, ich wäre auf sie zugestürzt, ich hätte leidenschaftlich ihren Namen ausgerufen. – Nein! ich hielt mich ruhig an dem Verdeckgeländer, und obgleich mein Herz fieberhaft schlug, so war doch etwas Unerklärliches in mir, das mich an die Stelle bannte. Ich sah den Vicomte – er war es – ruhig in der Cajüte verschwinden; ich sah, wie Mathilde den Kopf auf den Arm gestützt, in das Meer hinabblickte. Nach wenigen Augenblicken trat ich ruhig vor sie hin und nannte ihren Namen. Sie schaute auf, erschrak heftig, und machte eine Bewegung, mir entfliehen zu wollen.

Bleiben Sie, Mathilde! bat ich, um Gotteswillen bleiben Sie! Und ich setzte mich an ihre Seite und erzählte ihr ruhig, was ich von dem Tage an, wo ich sie in Sorrent verlassen, um sie gelitten, wie ich sie in der Zeit gesucht. Aeußerlich ruhig erzählte ich ihr das; aber nicht leidenschaftslos. Ihr Blick ruhte auf mir und Thränen entströmten ihren Augen; Thränen wie damals in Sorrent, nur ganz anderer Art. Sie hatte sich sehr verändert. Sie sah sehr bleich aus; hatte sie sich um mich gegrämt? Aber alles das war mir eigentlich ganz gleichgültig.

Eine merkwürdige Ruhe hatte sich um mein Inneres ergossen. Ich hatte sie, die ich heute ebenso liebe, wie damals, wieder gefunden. Rings um uns war das Meer. Sie konnte mir nicht entfliehen. Ob sie das wohl fühlte? Ihre Hand, welche ich in der meinigen hielt, zitterte heftig.

Mathilde, sagte ich endlich, und Sie freuen sich nicht, mich wieder zu sehen? Und habe ich nicht mein Wort gehalten? bin ich nicht abgereist, wie Sie befohlen?

O Alfred, entgegnete sie, halten Sie auch ferner Ihr Wort; verpfänden Sie mir es wieder und gehen Sie nach Norden, wenn ich gegen Süden gehe.

Eisig durchzuckten mich diese Worte.

Und Sie lieben mich nicht mehr? haben mich vergessen?

Ich liebe nur einmal in diesem Leben, und wen ich liebe, habe ich in Sorrent gesagt.

Nun denn, Mathilde! rief ich aus, so verlasse ich Sie nicht mehr. Jetzt gleich will ich zu Ihrem Vater und ihn um seine Einwilligung bitten. In kurzer Zeit sind wir in England, und dort wirst du mein Weib.

Todtenblässe bedeckte ihr Gesicht, und ein recht furchtbares Lächeln überflog ihre Züge.

Fliehen Sie mich! sprach sie tonlos, halten Sie Ihr Wort!

Nein, entgegnete ich, ich will zu Ihrem Vater.

Zu meinem Vater! sprach sie schrecklich lachend.

Ja, zum Vicomte, zu Ihrem Vater.

Der Vicomte ist so wenig mein Vater, wie ich seine Tochter.

Oh!

Sie fuhr anscheinend ruhig fort.

Was kümmert Sie das? – Ja, ich bin nicht die Tochter des Vicomte.

Mathilde, um Gotteswillen! wer sind Sie?

Sie lachte wieder so entsetzlich, wie vorhin.

Wer ich bin? Nun, eine Französin bin ich. Ich habe mir die Welt besehen. Der Vicomte hat mich kürzlich geheirathet und deßhalb, mein Herr, sehen Sie wohl ein, daß ich nicht länger hier oben bei Ihnen allein bleiben kann.

Sie stand auf und entfernte sich langsam. Ich knirschte mit den Zähnen, ich riß an dem Verdeckgeländer. Ich war einen Augenblick unschlüssig, ob ich nicht da unten in dem grauen Wasser ein ewiges Vergessen finden könne.

Betrogen! betrogen! hohnlachte es in mir, und mir klang das Rollen der Wogen, das Pfeifen des Seewindes im Tauwerk wie Hohngelächter. Ich verbrachte eine schreckliche Nacht, bei Weitem entsetzlicher, als jene, wo ich Sorrent verließ. Ich hatte den Glauben an die ganze Menschheit verloren.

Endlich brach der Morgen an, trübe und unheimlich. Englands weiße Küste lag dicht vor uns. Wir fuhren in die Themse, und bald legte das Schiff am Uferplatze bei. Ich sprang an's Land, warf mich in einen Wagen und fuhr zu dem Banquier, bei dem ich meines Oheims Geschäft besorgen sollte. Noch denselben Mittag wollte ich London wieder verlassen. Die ganze Welt war mir voll schrecklicher Gespenster. Ich hatte ja nichts mehr zu suchen. Sorrent, Neapel waren nicht mehr, wie damals, schmerzliche Gräber meiner schönen Vergangenheit: Alles, Alles war für mich verloren. Ich war in meinen heiligsten Empfindungen leichtsinnig und frevelhaft betrogen worden.

Unser Geschäftsfreund war von meiner Ankunft unterrichtet. Wir kannten uns von früher her sehr genau, und er empfing mich auf's Herzlichste.

Was die verdrießliche Geschichte mit dem falschen Creditbriefe anbelangte, so hatte er seit mehreren Tagen einen Constabler in einem Nebenzimmer seines Bureau's, um den Vorzeiger des Creditbriefes augenblicklich festnehmen zu können.

Wir saßen in seinem Cabinet neben dem Zimmer der Hauptkasse und hatten die Thüren da hinein geöffnet. Es herrschte hier das Leben und Treiben, das ihr alle kennt. Da wurden Creditbriefe, Wechsel vorgezeigt und ausgezahlt; da wurden Gelder gebracht, Banknoten und andere Papiere ausgewechselt. Ich lehnte an der Thüre und sah dem Getreibe zu, als plötzlich mir gegenüber der Vicomte in das Kassenzimmer trat. Ich wollte mich zurückziehen; doch es war zu spät: er hatte mich schon bemerkt und trat freundlich lachend auf mich zu. Der Mann hatte mir eigentlich nichts gethan, und ich war ihm obendrein Dank schuldig, daß er mir in Neapel so freundlich und unbefangen erlaubte, seiner Gesellschafterin den Hof zu machen.

Aha, Monsieur Alfred! rief er mir zu, italienischer Flüchtling! findet man Sie so wieder?

Er reichte mir die Hand und trat in das Cabinet des Banquiers. Ich machte die Beiden mit einander bekannt, und der Vicomte nahm gern eine Cigarre, die ihm der Banquier offerirte. Wir plauderten über Italien und der Vicomte erzählte von unserem Zusammenleben in Neapel. Es war für mich eine peinliche halbe Stunde. Glücklicherweise erwähnte er seiner Tochter gar nicht, und man kann sich denken, wie froh ich endlich war, als er seine Briefschaften hervorzog und dem Banquier einige Papiere gab, die derselbe, sich auf den Kamin stützend, durchlas. Ich stellte mich an's Fenster und sah in die nebelige Morgenluft hinaus. Ich starrte in das emsige Getreibe auf den Straßen und es that mir wohl, auch draußen ein solch' wirres Durcheinanderlaufen zu finden, wie in meinem Kopfe. Ich tauchte meine Ideen da hinein und konnte es so einen Augenblick über mich gewinnen, an nichts zu denken. Ich hatte den Banquier und den Vicomte vergessen. Doch bewog mich ein Ausruf des letztern, den Kopf herumzudrehen.

Der Banquier hatte die Thüre in's Kassenzimmer geschlossen, neben ihm stand der Constabler. Er deutete auf den Vicomte und sprach: arretiren Sie diesen Herrn, sein Creditbrief ist falsch.

Einen Augenblick stand ich regungslos am Fenster. Mich hatte der Schreck fast gelähmt. Dann stürzte ich hinzu, noch ehe der Constabler Zeit hatte, sich dem Vicomte zu nähern.

Halten Sie ein! rief ich dem Banquier zu. Hier muß ein Irrthum vorliegen. Der Vicomte hatte, bleich wie der Tod, die Lehne eines Stuhles erfaßt.

Es ist kein Irrthum möglich, sagte der Banquier; es ist der Creditbrief, von dem Sie selbst die Anzeige brachten, daß er verfälscht sei.

Der Vicomte warf mir einen schmerzlichen Blick zu. Ich nahm das Papier und starrte hinein. Es war der von mir bezeichnete Creditbrief von dreitausend Pfund, und die Unterschrift meines Oheims war täuschend nachgemacht.

Wie kommen Sie in den Besitz dieses Papiers? fragte ich den Vicomte.

Ich habe es gekauft, sagte er; denn er bemerkte wohl, daß er entdeckt war, und machte gar keinen Versuch, zu läugnen.

Auf meine Bitte trat der Constabler ab.

Machen Sie keine Umstände! sprach der Vicomte bitter lachend. Das Schmerzliche, daß Sie, Monsieur Alfred, mein Ankläger sind, ist nun überwunden. Gehen wir.

Aber plötzlich fuhr er zusammen und ein entsetzlicher Schmerz malte sich auf seinem Gesichte.

Mathilde! stöhnte er; Mathilde,! o das Unglück! Er wandte sich zu mir.

Sie waren so freundlich gegen uns, sagte er dringend. Hier ist die Adresse meiner Wohnung. Gehen Sie zu Mathilden, erzählen Sie ihr mein Unglück. Sagen Sie meiner Tochter, was mich betroffen.

Ihrer Tochter? entgegnete ich ihm und wies die Karte zurück.

Er ließ die Hand ruhig sinken und entgegnete: verzeihen Sie, aber ich bedachte in dem Augenblicke nicht, daß Sie die Tochter des entehrten Vaters nicht mehr kennen werden.

Ihre Tochter wohl, antwortete ich, aber nicht Ihre – Frau.

Meine Frau, entgegnete der Vicomte, hat das Alles nicht erlebt. O mein unglückliches Kind! Ihm schossen die Thränen über den grauen Bart. Ich zitterte wie ein Kind vor einem Gespenst, zitterte vor etwas Entsetzlichem, was hier verhüllt schien.

Reden Sie! rief ich ihm zu; reden Sie um alles was Ihnen heilig ist: ist Mathilde Ihre Tochter oder nicht?

Er reichte mir stillschweigend aus seiner Brieftasche einige Papiere, aus denen ich ersah, daß Mathilde wirklich seine Tochter war.

Ich versichere euch, ich war in dem Moment dem Wahnsinn nahe, und doch jauchzte mein Herz auf, wie vor einer ungeheuren Freude. Ich riß die Karte aus der Hand des Vicomte, überlegte wenige Augenblicke und nahm alsdann den Creditbrief, dem ich einige Worte hinzufügte.

Was machen Sie da? rief der Banquier, der mir über die Achsel sah; Sie bestätigen dies verfälschte Papier?

Als Bevollmächtigter meines Oheims.

Ich überreichte den Creditbrief dem Vicomte, der uns zweifelnd ansah. Der Banquier öffnete die Thüre des Nebenzimmers und sagte kalt: dort ist die Kasse.

Ich stürzte fort, warf mich in meinen Wagen und eilte der Straße und dem Hause zu, die auf der Karte verzeichnet waren. Ich eilte die Treppe hinauf, suchte das Quartier; die Thüren desselben sind weit geöffnet. Ich nenne bebend den Namen Mathildens. Das Mädchen übergibt mir einen Brief und sagt gleichgültig: die Dame ist vor einer halben Stunde abgereist.

Ohne die Aufschrift des Briefes näher anzusehen, reiße ich das Couvert ab und lese:

»Mein Vater!

Ich kann Sie nicht verlassen, ohne Ihnen Lebewohl zu sagen. Ich kann aber auch nicht bleiben; denn es müßte Ihnen fürchterlicher sein, das beständige Unglück Ihrer Tochter, als dieselbe gar nicht mehr zu sehen. Ich kann und darf Ihnen keine Vorwürfe machen, aber ich kann und darf Ihnen in Erinnerung bringen, wie oft ich Sie auf meinen Knieen gebeten, nicht durch unüberlegte Handlungen die Ehre Ihres und meines Namens auf's Spiel zu setzen. Ich habe Ihnen geopfert, was ein Kind seinem Vater opfern kann; mein ganzes Lebensglück, meine Liebe, alles, alles, was ich besaß. Leben Sie wohl, Vater, und forschen Sie nicht nach mir. Für uns ist kein Wiedersehen möglich.

Mathilde.«

So lautete der Brief und mir ward Alles schrecklich klar. Ich hatte das edelste Herz verloren, das je in einem weiblichen Busen schlug, auf ewig verloren – ich habe seit der Zeit nie wieder etwas von ihr gehört. – Das, meine Freunde, ist die Geschichte des Bildes, und jenes Albumblatt der Creditbrief meines Oheims – er wurde mir später von dem Banquier in London geschickt.« – –

Das war die Erzählung des Hausherrn.

Unterdessen war es Nacht geworden, und der Mond, der drüben über die schwarzen Tannen emporstieg, beleuchtete die ernsten Gesichter der Gesellschaft und eine stille Thräne.


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