Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. V. Buch
Karl Gutzkow

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34 21.

Also du – mein brauner Zigeunerknabe –! Du, Benno, der Sohn des Kronsyndikus und dieser armen, betrogenen, bemitleidenswerthen Frau –! . . . Der Bruder einer Angiolina, die das Schicksal bereits in die wildesten Strudel warf und die gleichwol noch eine Gräfin von Salem-Camphausen werden kann, wenn ein ruchloses Gaukelspiel – – doch, doch nicht völlig misglückte! »Was du auch in diesen Tagen von mir hören dürftest, ich war schwach – um der Liebe willen!« – hatte mir der Onkel geschrieben – Aber nein, Onkel! Das war die Liebe nicht, deren heiligste Forderungen du nicht verstandest! Das war ein Hohn, gesprochen den Gesetzen der Natur! Die Natur willst du preisen? Nur in den Sinnen hast du sie gefunden! Onkel, Onkel, Theurer, dessen milde Hand ich so gern küssen möchte, warum hast du uns das gethan –!

So, tiefschmerzlich und bei alledem hochaufjauchzend freudig, rief es in Bonaventura's Innern bei den vorgelesenen Mittheilungen des Dechanten an den Präsidenten, während auch nicht einer der übrigen Hörer die Menschlichkeit besaß, zu fragen: Was wurde denn nur aus jenem Bruder Angiolinens, der, wenn er am Leben blieb, jetzt etwa achtundzwanzig Jahre zählen müßte? – Sind euch die Sünden des Mannes, dessen Leben so grauenvoll aufgedeckt liegt, schon so geläufig, daß nicht Terschka, nicht der Präsident, nicht der Provinzial frägt: Wo ist denn nur das erste 35 Kind? Der Sohn der Herzogin von Amarillas? Was wurde aus ihm? Hatte also Benno Recht, so oft er sprach: Alles das muß in den Beichtstühlen verborgen liegen –!

Terschka, der glatte, jedem ausweichende, immer lächelnde Sendbote, der sogar das Herz einer Armgart bestrickte – wie hält er so seltsam geheimnißvoll die Fäden aller dieser Wirren in der Hand –! Nennt er vielleicht doch noch plötzlich Benno bei dem Namen, der ihm gebührt – Benno, dessen Ehrgefühl so krankhaft ist, wie Verdacht in der Liebe –? Nimmermehr dürfen diese Schleier gehoben werden, ohne daß es Benno will –! Nie, nie darf ihn dieser gräßliche Fluch seines Daseins überraschen auf dem Boden, auf dem er lebt –! Der Kronsyndikus, der Mörder des Deichgrafen – der unnatürliche Vater, der den Sohn nie wiedersehen mochte, nie sich um ihn gekümmert –! Erführe das Benno, er stürmte fort von diesem Schauplatz der Lüge, die selbst deine spätere liebende Sorgfalt, Onkel Franz, nicht veredelte –! Furcht war es wol, was dich bestimmte, Benno's Ursprung so zu verbergen –! Die Zeiten hatten sich geändert, der Onkel wollte das Stift St.-Zeno erhalten und erinnerte sich, daß er jetzt den unbescholtensten Priester zu spielen hatte. Ohne Zweifel bat er den Bruder Max, als dieser aus Spanien zurückkehrte, das Kind als sein eigenes auszugeben, das er von dort mitgebracht hätte – ohne Zweifel wurde deshalb vielleicht selbst dem Kronsyndikus jede Spur des Knaben entzogen –. Alles bot man auf, die Nachforschungen nach seinem wahren Ursprung unmöglich zu machen . . . Immer und immer wieder mußten Bonaventura's Erwägungen ihn auf jene Scene zurückführen, wo ein jetzt in Amtswürden stehender Priester – der Onkel Dechant! – als Meßner einen leichtsinnigen Juden in der ehelichen Segnung unterstützte, einen Juden – der – zuletzt auch noch ihn selbst, den Klagenden, getauft hatte –

36 Hier verwirrten sich seine Vorstellungen. Kaum hörte er noch der weitern Vorlesung zu. Brachen doch alle diese Thatsachen wie Blitze auf ihn herein! Und dazu noch die Nachricht: Lucinde ist dir gefolgt! Eine Kunde, die ringsum wieder alles in Nacht verdunkelte.

Die Conferenz fand statt in jenem Zimmer, wo einst Lucinde und Klingsohr sich hatten finden und vereinigen sollen, um den Kronsyndikus zu schützen. Behagliche Wärme entströmte einem weißen Ofen. Die Sonne schien hell und mild durch die Fenster. Still war alles ringsum. Auf dem Tisch, um welchen die vier Männer saßen, stand Schreibzeug, lagen Federn und Papierstreifen. Terschka zerdrückte in seiner Ungeduld eine Federspalte nach der andern und kämpfte ersichtlich – seine Erinnerungen an das kanonische Recht nicht zu sehr zu verrathen. Scheu blickte er zu Bonaventura auf, als wollte er sagen: Du weißt es doch, daß das Concilium von Trident zu einer Trauung zwar den Ortspfarrer oder dessen zugestandene Stellvertretung und zwei Zeugen verlangt, daß es aber zum Stellvertreter sogar gestattet einen noch nicht geweihten Priester zu nehmen? Das weißt du doch, daß sich das, was an einer Ehe das Sakrament ist, durch die Verbundenen selbst vollzieht und nicht im mindesten durch den bei allen andern Sakramenten als die Hauptsache vorwaltenden Priester? Das weißt du doch, daß sogar der Segen und alle Ceremonien bei einer Trauung an sich überflüssig sind, wenn ein sich selbst einander die Ehe gelobendes und vollziehendes Paar nur einer Messe beiwohnt; ja daß auch eine Messe zwar gelästert und verunreinigt werden kann durch Misbrauch, aber doch ein Opfer bleibt, das sich, richtig ausgeführt, durch seine eigene Kraft vollzieht? Die von einem Priester im Stande der Todsünde gelesene Messe bleibt wirksam – wie sollte die von einem Juden in Priesterkleidern gesprochene einfache Segnung nicht 37 wirksam gewesen sein bei einem Act, wo die heilige Mystik des Priesterthums ganz wegfällt? Hier fand eine Trauung ohne Messe statt, in einer Abendstunde, die sonst nicht Sitte, aber wiederum keineswegs hindernd ist. Endlich – schließt denn der Betrug, den man mit dem Pfarrer spielte, das gläubige und von Zeugen vernommene Ja! der Braut und das von ihr vernommene Ja! des Bräutigams aus? Das Mysterium der Ehe liegt, wie in Adam und Eva, in denen, die aus sich selbst durch die Liebe ein Abbild der Menschheit wiedergeben wollen, nicht etwa im ersten Priester des Paradieses, nicht in Gott, der sie zusammenthat; die Liebenden opfern durch sich selbst, durch die Ehe, also ohne Priester, ohne Gott. In der Ehe ist Gott oder der Priester nur der Empfangende. Beide geben nichts –, sie nehmen nur!

Das alles sprach Terschka nicht ganz aus. Auch war er kaum noch so heimisch in den Prüfungen, die einst »Pater Stanislaus« hatte bestehen müssen. Doch las Bonaventura ahnend aus Terschka's Augen, daß er errieth, was er wußte. Bonaventura war in diesen Anschauungen von der Ehe so heimisch, wie der Onkel Dechant vielleicht nur in den Wandgemälden Pompejis.

Der im Antlitz wie mit Purpur übergossene Präsident ersuchte den Provinzial weiter zu lesen.

Pater Maurus that es – lächelnd: »Eine Scene war es, die uns selbst mit Schrecken erfüllte. Die nächtliche Stille im mondbeschienenen Walde –! Die Klänge der Orgel –! Von einem Mahle kamen wir, das uns Graf Altenkirchen gegeben hatte. Die Diener waren zurückgeblieben. Wir erklärten gegen Mitternacht, vom Kapellenthurm aus im Walde über die Baumkronen hinweg das Spiel der Mondstrahlen beobachten und eine Windharfe hören zu wollen, die über einen Durchhau der Tannen gespannt war. Ich ging voraus und fand Leo Perl bereits im Ornat, einsam in der Kapelle auf- und abschreitend und mit sich 38 selbst redend. Wahrhaft schön sah er aus in seinem langen Kleide; die Stola, reichgestickt, hing über seiner Schulter. Graf Altenkirchen spielte die Orgel. Fulvia Maldachini wurde nun vom Kronsyndikus hereingeführt; Baron von Liebetreu trug die Schleppe ihres Kleides. Sie schwebte dahin wie Juno, als sie Zeus vor allen Olympiern zu seiner Gemahlin erhob. Bei ihrem Stolz und Glück hatte sie von allem kein Arg. Die Worte, die der Priester deutlich sprach: ›Willst du diese gegenwärtige Signora Maldachini, Marchesina von Montalto, zu deiner Gattin nach Vorschrift der heiligen Mutter Kirche annehmen?‹ verstand sie nicht, aber den Gebräuchen paßte sie auf. Der Wechsel der Ringe, alles erfolgte nach Vorschrift. Leo Perl war so heimisch in dem, was er zu thun hatte, daß wir darüber erstaunen mußten. Auch nicht eine Eigenheit des Ritus ging verloren! . . . Dann gingen wir zum Schloß zurück, scheu und in der That schon erschreckt von unserm Frevel. Die Windharfe, von goldenen Mondstrahlen beschienen, klagte geheimnißvoll über die Tannen herüber. Noch klang die Orgel hinter uns her – Graf Altenkirchen blieb bis zuletzt, um die Kapelle zu schließen. Wir hörten das Rascheln unserer Schritte auf dem grünen Wiesenplan, wo uns die Leuchtkäfer umglühten. Der Weg war nicht zu nah bis zum Schlosse. Glücklicherweise war die Italienerin in einer so überspannten Aufregung, daß sie uns alle zu sprechen zwang. Es ging französisch, italienisch, deutsch durcheinander; aber wir fanden erst allmählich den Ton des Scherzes wieder. Einer dann aber niemals mehr – Leo Perl –« . . .

Der Provinzial hielt inne – um das Gericht Gottes zu bezeichnen. »Der Freund«, fuhr er nach einer Weile gelassen fort, »hatte den Gedanken unsers Betruges, mein' ich, ganz ebenso leichtsinnig ergriffen, wie wir. Sein Geist, bedingt durch Voltaire und die Principien des Zufalls, den die Kabbala lehrt, 39 scherzte über alles, was im Leben Plan und Absicht sein sollte. In Alles müsse man sich blindlings hineinwerfen. Sogar in die Ehe. Ja sogar lächerlich erschien ihm die Anmaßung dieser Italienerin, die ›soviel Werth auf sich legte‹ und ihre Hingebung erst an Bedingungen knüpfen, sie erst für Titel und Glücksgüter bewilligen wollte. Er war auch eitel darauf, sich unsers Vertrauens zu erfreuen. So weit ging seine Lust an der Sache, daß er eine Befriedigung darin fand, zu zeigen, wie vollständig ihm, einem Rabbinen, der Ritus unserer Kirche bekannt war. Was konnte ihm, mochte er damals denken, bei einer Mitschuld so bedeutender Namen geschehen! Geld, glaubte man, würde ausreichen den Handel, wenn er bekannt würde, niederzuschlagen. Da mußten wir denn freilich überrascht werden, als wir plötzlich unsers fröhlichen Doctor Leo Perl's Spur verloren. Er war verschwunden – sogleich nach der Trauung. Wir suchten ihn mit sich mehrender Verlegenheit und erschraken nicht wenig, als wir in Erfahrung brachten, er wäre Christ geworden und befinde sich zu Witoborn im Seminar. Sofort eilte ich ihn aufzusuchen und hörte zu meinem Erstaunen, daß Leo Perl in den Priesterstand treten wollte. Als ich mit ihm sprach, erkannte ich ihn nicht wieder. Scheu blickte er zur Erde und wich allem aus, was ihn an die Vergangenheit erinnerte. Sind Sie aus einem Saulus ein Paulus geworden? fragte ich. Es gibt viel Wege nach Damascus! war seine Antwort. Es war kein Zweifel, daß für ihn der Weg zur Erleuchtung durch die Mondscheinnacht in Altenkirchen gegangen war. Hat Sie unser Frevel so erschreckt? fragte ich. Haben die Meßgewänder Sie zu unserm Ritus herübergezogen? In der That, er verrieth, daß er sich hatte taufen lassen – im Schauer über seine That, im Schmerz um seinen Leichtsinn und wie von Christus selbst darum angeredet und ermahnt und wie verfolgt von einer gespenstischen Furcht. Er 40 sprach wie Augustinus in seinen Bekenntnissen. Wie diesen sein künstlich sophistisches Redneramt mit Gewalt zum Ernste gezwungen, so geschah es ihm mit seiner falschen Rolle. Die Windharfe hätte ihm, sagte er, gerufen, was dem Redner Augustinus, als er unterm Feigenbaum in Mailand über sein stetes Lügen und rednerisches Prahlen weinte, die Kinderstimmen aus dem Nachbarhause riefen: Nimm und lies! Nimm und lies! Als ich seinen Entschluß lobte und ging, wollten andere sagen, sein Entschluß wäre nur aus Furcht vor einer weltlichen Strafe hervorgegangen; noch andere, der Kronsyndikus, der die Entdeckung zu fürchten anfing, hätte ihn zu diesem Schritt mit Geld bestimmt. So viel ist gewiß, daß Leo Perl seine erste Messe nach unser aller Wunsch im Münster von Witoborn lesen mußte, nur damit die gerade anwesende Maldachini ihn sah. Mir gegenüber wollte Perl einmal behaupten, die Ehe derselben wäre gültig –! In unserm lebhaften Streit darüber unterbrach uns der Besuch seiner Verwandten. Perl hatte eine Jugendgeliebte gehabt, an die er Briefe schrieb, wie Plato an Diotima, ob sie gleich ein einfaches Judenkind war. Er malte sie sich wie ein hohes Phantasiegebilde aus, das er freilich desto leichter aufgeben konnte. Seine Verwandten fingen deshalb an, ihn aufs heftigste zu bestürmen. Eines Tages erschien ihm sogar am Fenster eines seiner Zimmer im Convict gegenüberliegenden Hauses seine ehemalige Geliebte, geschmückt wie Esther, das Haar voll weißer Perlen und vom bräutlichen Schleier umwunden. War es Traum oder Wirklichkeit, der Eindruck auf ihn wurde so mächtig, daß er zum Rector, dem spätern Bischof Konrad, eilte und sich ihm zu Füßen warf mit der Bitte, ihn wieder freizulassen – er könne nicht Priester werden.«

Der Provinzial hielt einen Augenblick inne. Nicht nur von Bonaventura's, auch von Terschka's Brust rangen sich Seufzer los. Letzterer gab sich sogleich den Schein, als wären diese Töne 41 nur die zufällige Folge des durch die Spannung hervorgebrachten Zurückhaltens seiner Athemzüge.

»Der gute Rector des Seminars«, las der Provinzial weiter, »war zu dieser Freilassung gern bereit. Da jedoch soll Ihr Vater mit seiner gewohnten Gewaltthätigkeit dazwischengetreten sein, Leo Perl auf Neuhof entboten und ihn so in die Enge getrieben, ihn so eingeschüchtert haben, daß Perl, die Rache des mächtigen Mannes fürchtend, zurück ins Convict floh und wirklich Priester wurde. Gleich nach seiner ersten Messe im Münster erhielt er durch Ihren Vater eine vortreffliche Pfarre. Seitdem sah ich ihn nicht wieder. Er verfiel in Hypochondrie, blieb ein einfacher Landpfarrer und zeitlebens von verschlossenem Sinn. Auch mich überschleicht Trauer und Wehmuth, gedenk' ich jener Tage . . . Um den Sohn der Fulvia, um Ihren natürlichen Bruder, tragen Sie keine Sorge! Er lebt in Verhältnissen, die es beinahe zur Grausamkeit machen würden, ihn über seine Herkunft aufzuklären. Ohne Zweifel erhielt Pater Maurus Anweisungen aus Rom. Diese werden, denk' ich, nicht weiter gehen, als daß er die Wahrheit erforschen soll. Er hat Ihnen einen Bevollmächtigten der Ansprüche Angiolina's in Aussicht gestellt. Theilen Sie von allen meinen Geständnissen, die ich vor Gott und meiner Ehre vertrete, diesem so viel mit, als zu seiner Aufklärung nothwendig ist. Ich wünschte, es wäre ein Priester; denn scheue ich mich auch nicht, vor meinen Mitleviten zu bekennen, was wir täglich ausrufen sollen: Mea culpa maxima culpa! so wünscht' ich doch, die Gräber blieben unaufgedeckt. Was auf ihnen blüht, blüht gesund und schön! Und ist es auch Irrthum und Sünde, woraus es hervorging – es ist! So ist's auch mit unserm ganzen Leben! Wollte man nur Wahrheit pflanzen, würde sie gedeihen – –?« Noch kamen einige Worte des Grußes an Bonaventura und an dessen Mutter – die Lauschende . . . Das Bekenntniß des Dechanten war zu Ende.

42 Die Blicke aller Anwesenden waren auf Terschka gerichtet. Terschka, zu Bonaventura's Schmerz kein Priester, sondern ein Laie – er sollte jetzt sagen, wie weit seine Aufträge gingen. Der Provinzial schien eine völlig neutrale Rolle zu spielen.

Terschka drückte die Federspalten, die er auseinander getrieben hatte, eine nach der andern wieder zusammen. Während der ganzen Sitzung, die von seiner Geistesgegenwart beherrscht zu werden schien, hatte sein Inneres keine Ruhe gefunden. Wie stand es doch so seltsam mit ihm –!

Er war vorgestern, ehe er auf der Jagd erschien, im Kloster Himmelpfort gewesen und hatte sich dorthin voll äußerster Entschlossenheit begeben . . . Er wollte sich von seinem Orden losreißen, wollte sich Gräfin Erdmuthe anvertrauen, sich in deren Schutz begeben und die Rolle eingestehen, die er auf Roms Betrieb hätte spielen sollen und an deren Durchführung er nur durch seine Freundschaft für ihren Sohn gehindert worden wäre, er wollte sogar die Confession wechseln. Den Muth zu diesen gewagten Entschlüssen gab ihm der trunkene Taumel, in den ihn das Entzücken über Armgart's wunderbare Grille, ihre förmliche Absicht, ihn zu fesseln, versetzte. Armgart mußte schnell erobert werden! Noch vor den Enthüllungen, die ihm drohten! Hatte er erst ihr Ja! errungen, dann kam – bei seinem Charakter – ihr Schaudern vor ihm zu spät. Selbst die katholische Gesinnung Armgart's, die sein Uebertritt aufs tiefste verletzen mußte, schreckte ihn nicht. Mit Hülfe ihrer Mutter, der Gräfin Erdmuthe, seines Freundes Hugo glaubte er alles möglich machen zu können. Er sah sich mit Armgart auf protestantischem Boden, in Berlin, in London, in Amerika, und mit ihr verbunden. Vor drei Tagen hatte er Armgart nach dem Stift Heiligenkreuz zurückbegleitet. Er hatte seine Leidenschaft gemäßigt und doch nichts unterlassen, was den Wahn des bethörten Mädchens verstärken, ihren Entschluß, ihn von ihrer 43 Mutter abzuziehen – durch ihren eigenen geistigen Tod! – befestigen konnte. Zitternd war sie an seiner Seite hingeschritten. Im Waldesdunkel, verführt vom Reiz der Einsamkeit, hatte er gewagt, zärtlicher ihren Arm zu ergreifen. Da erschreckte ihn der Mönch, der ihnen gefolgt war, Bruder Hubertus. Er gesellte sich zu ihnen, ließ sie nicht wieder allein, ja Armgart hielt ihn absichtlich fest, nur um nicht gleichsam von einem Thurm, auf dem sie sich zu befinden glaubte, himmelhoch niederzustürzen. Armgart versprach dann zur Jagd zu kommen. Es war, als müßte sie sich besinnungslos in den Strudel des Lebens werfen. Nur um alles vergessen zu können, was sie ihrem Opfer zu Liebe that und thun zu müssen glaubte, raste sie dahin! Denn ein Gelübde nicht erfüllt zu lassen, wie wäre das einem katholischen Herzen möglich gewesen! Aus Dank über eine Krankheit, die Paula bestanden, hatte sie einmal Gott gelobt, funfzigmal an einem Tage die Antiphon »Salve regina« in deutscher Uebersetzung und zwar einen Monat lang zu sprechen. Als sie diese Pflicht nachlässig betrieb, wurde sie von Müllenhoff's mildem Vorgänger als im Stande der Todsünde befindlich erklärt – Wie konnte sie in wichtigern Dingen fehlen –! Terschka war die Nacht beim Verwalter des Stiftes geblieben. Die Furcht, es möchte sich ihm der Mönch aufs neue anschließen, bestimmte ihn, nicht sogleich wieder den Weg zurückzumachen. Am Morgen darauf mußte er zum Provinzial Maurus, dann zur Jagd. Er fuhr sich selbst auf seinem Jagdwagen und jagte querfeldein wie ein von Furien Verfolgter. Wieder redete ihn auch im Kloster Franz Bosbeck an; wieder fragte er nach seinen Verwandten. Und wenn ihm der Lästige das Dreifache in Aussicht gestellt hätte von dem, was er für seine Erben in Bereitschaft zu halten erklärte, er würde ihn wild angefahren haben: Gehen Sie nach Böhmen! Meinen Namen tragen dort Hunderte –! Beim Pater 44 Provinzial bebte er vor der Erwartung, daß er als Priester begrüßt, für etwaige Renitenz von den Vätern vielleicht sogar mit Enthüllung seines zweideutigen Ursprungs bedroht werden würde. Gefesselt an Leib und Seele war er ihm in die Bibliothek gefolgt. Pater Maurus theilte ihm ein über Wien aus Rom gekommenes Schreiben mit, demzufolge sich Terschka mit ihm verständigen sollte zur Beantwortung folgender Fragen:

»Ist Angiolina Pötzl, wie sie von einer Theaterfamilie genannt wurde, die rechtmäßige Tochter der in zweiter Ehe sich Herzogin von Amarillas nennenden Fulvia Maldachini –?«

»Welche Umstände haben bei der Trauung der letztern mit dem Kronsyndikus von Wittekind-Neuhof obgewaltet –?«

Beim Lesen der genaueren Motivirungen hatte ihn höchstes Erstaunen ergriffen. Angiolina sollte eine Tochter des reichen, hier vor wenig Tagen bestatteten Kronsyndikus sein! Eine Tochter seiner Gönnerin in Rom –! Hatte man das Interesse des Grafen Hugo für sein Pflegekind wahrgenommen und dem Ursprung dieses Mädchens so angelegentlich nachgeforscht? Warum? Wer stellte die Frage: Ist Angiolina eine ebenbürtig Geborene? Graf Hugo? Nein! Die Frage stellte sein Ordensgeneral –! In der Stimmung, in welche ihn die Furcht vor dem endlichen »Ablaufen seiner Stunde« und vollends jetzt die wildsinnliche Leidenschaft für Armgart versetzte, hätte er wahrlich nichts gethan, den Vätern der Gesellschaft Jesu zu dienen, wenn ihn nicht die Umgebung des Klosters und der lauernde Hubertus mit Furcht und Schrecken erfüllt hätte. Pater Maurus, als Inhaber der Beichte des Kronsyndikus, die er seinem General in Rom, dem General der Franciscaner, der darin vorgekommenen Reservatfälle wegen hatte zuschicken müssen, schwieg zu allem, was in jenem Briefe angeregt wurde, und er konnte doch wahrlich Terschka mindestens nun für einen Affiliirten der Jesuiten halten! Terschka entschloß 45 sich daher, an einem der nächsten Tage auf Schloß Neuhof durchaus im Interesse seines Freundes des Grafen Hugo und der schönen Angiolina zu sprechen. In dieser Stimmung machte er die Jagd mit, umschwärmte Armgart mit seinen Huldigungen, begrüßte mit Vertraulichkeit und allen Beweisen seiner gewohnten Galanterie Lucinden, zeigte beim Brande, über welchen er kein Arg hatte, seinen gewohnten Thateifer und kam auf Schloß Neuhof an mit dem Schein einer völligen Unbefangenheit. Er stellte sich, wie wenn der empfangene Auftrag ihm höchst lästig wäre und er nur opponire, um seinen Auftraggebern die unerläßliche Schuldigkeit zu thun.

Aber den Präsidenten brachten seine Aeußerungen über die Legitimität der zweiten Ehe seines Vaters in die leidenschaftlichste Erregung. Ueberhaupt hatte Wittekind die Relicten seines Vaters verwickelter gefunden, als er erwartet. Sein Ehrgefühl litt schon lange unter dem bösen Ruf seines Namens und vollends gereizt wurde er über die Sprödigkeit, mit der man ihm und seiner Gattin hier begegnete. Bonaventura fand heute an seinem Stiefvater ein wahres Wohlgefallen. Fast betroffen war er von dem innigen Händedruck, mit dem ihn dieser begrüßt hatte. Die Anrede: Mein Sohn und Freund! war in der That so aufrichtig betont, daß Bonaventura aufs lebendigste für ihn Partei ergriffen hätte, wäre ihm nicht – der Gedanke an Benno, der nun in wirkliche und, nach seiner Ueberzeugung, legitime Verwandtschaft mit ihm trat, für die Lage seines Gemüths zu bestimmend geworden.

Terschka sagte auf die ganze Eröffnung des Dechanten mit einer spitzen und ironischen Betonung nur: Ich bewundere den Muth dieser Geständnisse! Aber ja, ja, die Ehe gilt –!

Herr von Terschka! rief der Präsident voll äußersten Unwillens.

Gewöhnen Sie sich doch an diese Vorstellung! lächelte Terschka. Sie sollten Angiolina kennen! Olympia in Rom gliche ihr –? 46 Nein, da ist zu viel Kälte! Lucinde Schwarz hier –? Da ist der Verstand zu zergliedernd! Ich versichere Sie, ich gönne es Angiolinen, zu erfahren, daß sie an Jahren älter ist, als wofür sie allgemein gilt – Ein Wort sagt alles: Sie ist ein Engel!

Das Fräulein von Wittekind bezaubert ganz Wien durch – ihre Reitkunst! Ich weiß es! sagte der Präsident.

Nur die Schuld Ihres Vaters, daß das kaum geborene Kind, dessen Alter, wie man in solchen Lagen gewohnt ist, falsch angegeben wurde – unter –

Die Gaukler gerieth! ergänzte der Präsident. Ich werde Sorge tragen, daß an Angiolina Pötzl nachgeholt wird, was versäumt wurde –!

Das haben Sie nicht nöthig, Herr Präsident! erwiderte Terschka. Fräulein von Wittekind entbehrt nichts, als ihren legitimen Namen. Sonst ist ausreichend für sie gesorgt.

Am wenigsten gönnen Sie ihr wol eine solche Mutter, die man bei ihrem Erscheinen in Wien mit einem Proceß auf Bigamie begrüßen würde?

Sie kennen die Herzogin von Amarillas? unterbrach Bonaventura, um den Eifer der Streitenden zu mildern.

Als ich in der römischen Armee diente, sagte Terschka, sah ich sie oft, und ich gestehe Ihnen, die Gründe nicht zu begreifen, die man haben kann, eine so hochgestellte Dame mit diesen Nachforschungen zu beunruhigen –

Diese Gründe sollten Ihnen unbekannt sein?

Vollkommen! sagte Terschka und stutzte über einen wie Hülfe suchenden Blick, den der Präsident auf den Provinzial geworfen hatte.

Bonaventura ahnte von Seiten seines Stiefvaters den noch heftigern Ausbruch einer nur mühsam unterdrückten Stimmung und warf ihm einen bittenden Blick zu. Die Hauptangelegenheit, 47 das Feststellen der vor Jahren stattgehabten Vorgänge war ja beendet; das Aussprechen der Legitimität der zweiten Ehe hing nur von einer Entscheidung der römischen Gewissensräthe ab. Ihn zog es nach Westerhof zu Paula, die nach dem schreckhaften Erlebniß dieser Tage seines Zuspruchs bedurfte. Auch Benno war heute auf dem Schlosse –! Er hatte die mit Terschka verabredete nochmalige Revision des Archivs, die jetzt einer neuen Anordnung gleichkam, auf heute Nachmittag anberaumt. Wie bebte er dem ersten Gruße des Freundes entgegen –!

Da wir unter uns sind, lieber Sohn, begann, dem Bitteblick erwidernd und das »unter uns« seltsam betonend, der Präsident aufs neue, so will ich eine Vermuthung aussprechen. Ich gelte schon lange für keinen besonders guten Katholiken – Doch als hätte er in diesem Augenblick das Erschrecken seiner hinter der Wand lauschenden Gattin gesehen, verbesserte er: Ich kenne wenigstens meinen Ruf! Die Regierung schenkte mir Vertrauen, und diesem Vertrauen habe ich als Patriot zu entsprechen gesucht. Das Zeugniß kann ich mir aber geben, daß ich meine Religion darum ebenso liebe, wie andere. Meine amtliche Stellung brachte mit sich, nur die Anmaßungen der römischen Curie zu beseitigen; auch da verfuhr ich mit Ueberzeugung. Zum Kirchenfürsten ging ich, weil es meine Gattin wünschte. Offen habe ich ihm ins Auge sehen können, und wenn ich es nicht gethan, so war es, um einen Gebeugten nicht zu kränken. Wir gehören einem gemeinsamen Staate an, der die gegebenen Zustände schont, ohne sich den Verbesserungen zu verschließen. Wollte der Himmel, die Nothwendigkeit der letztern würde nicht zu dringend! Verurtheilen Sie mich nicht, Herr Provinzial! Ich frage Sie – welch eine Institution ist allein schon unsere Beichte, die bis nach Rom unsere geheimsten Athemzüge vernehmen läßt!

Ein Rauschen an der Wand hätte ihm den Schrecken der Gattin verrathen können.

48 Erkennen Sie darin keinen Segen? erwiderte der Provinzial mit düster zusammengezogenen Augenbrauen.

Der Präsident beherrschte sich und fuhr fort: Es ziemt mir nicht, Behauptungen auszusprechen, die ich nicht beweisen kann! So weit aber hat mein Amt mich in das innere Leben der Hierarchie einblicken lassen, daß ich vollkommen zu verstehen glaube, welche Zusammenhänge diesen Belästigungen meiner Ruhe und Ehre zum Grunde liegen. Sie glauben, ich würde nicht die Berechtigung der Herzogin von Amarillas, sich meine zweite Mutter zu nennen, anerkennen? Ich würde nicht meine Geschwister an mein Herz ziehen? Sie irren sich! Ich bin dazu bereit, wenn die Ehe wirklich nach bürgerlichen, allgemein gültigen deutschen Gesetzen als richtig geschlossen gelten könnte. Sie kann dies nicht – und ich glaube nicht daran, daß auch irgendjemand von den Betheiligten in Wahrheit interessirt ist, daß dies geschehe.

Nicht Angiolina, nicht Benno –? rief es in Bonaventura's Innern.

Oder glauben Sie, Herr von Terschka, daß Sie Instructionen erhalten werden, noch eine gerichtliche Untersuchung über den Vorgang, den in so edler Offenheit der Dechant uns erzählt hat, in Angriff zu nehmen? Wahrlich nicht! Grell aufgedeckt, aller Welt bekannt soll dieser Vorfall werden? Oder was schrieben Ihnen darüber – die Jesuiten –?

Terschka bot alle seine Verstellungskunst auf, um auf dies leicht hingeworfene, alle erschreckende Wort lächelnd wiederholen zu können: Die Jesuiten –!

Ja! Die Jesuiten! bestätigte der Präsident. Diese sind kürzlich wiederhergestellt worden. Mächtig genug sind sie schon. Aber die Macht des Ordens ist ihm noch nicht wieder die alte! Die übrigen Orden wuchsen inzwischen in zu großer Autorität empor. Von 49 den frommen Vätern des heiligen Franciscus droht allerdings seinem Ehrgeiz wenig Gefahr. Ihr General, Herr Provinzial, wird den Einblick in die Beichte meines Vaters verweigert haben; aber doch sind Sie angewiesen, die Bemühungen des Herrn von Terschka zu unterstützen! Ich weiß es! Bestreiten Sie es nicht! Die Dominicaner hätten es nicht gethan. Sie würden Ihnen, Herr Provinzial, geschrieben haben: Lehnen Sie jeden Beistand zu Untersuchungen ab, die den Jesuiten gegenüber eine bei uns niedergelegte Beichte compromittiren könnten –!

Herr Präsident –! wallte der Provinzial auf und blickte auf Bonaventura, der ihm beistehen sollte.

Ich klage Sie ja nicht an, Herr Provinzial! fuhr der Präsident fort und strich sich seine grauen Haare, als hätte er das Gefühl, daß sie sich unter seiner zunehmenden Erregung aufsträuben müßten. Ich sage nicht, daß Sie heute überhaupt schon zu Herrn von Terschka's Beginnen ein Ja oder ein Nein verriethen. Sie ließen ihn einfach gewähren. Ich will Ihnen aber Eines nur sagen, was Sie überraschen soll. In tiefstem Frieden über alles, was uns hier beunruhigt, lebt in Rom die Herzogin von Amarillas –! Ohne Sorge rüstet sich die jetzt hochgestellte Frau zu einer Reise nach Wien. Cardinal Ceccone hat sich seit Jahren an sie und ihren Umgang gewöhnt – Olympia, seine – Nichte – Sie kennen ja die Sage über Olympia – beherrscht die römische Welt und beherrscht ihn und die Herzogin –! Ceccone, wie uns Männern vom Regiment auf unsere alten Tage wol zu geschehen pflegt, ist der Inquisitionen und Dolche müde. Er hat das Seinige für die dreifache Krone gethan. Aus Furcht ist er sogar ein – Affiliirter der Jesuiten geworden –! Und doch, doch thut er dem Orden noch immer nicht genug! Ceccone schließt Concordate, bekämpft die Revolution, bereichert den Index der verbotenen Bücher, verdammt Philosophieen und Glaubenssysteme, selbst die, 50 die sonst der Mutter Kirche ganz ergeben sind, Ceccone läßt Donner und Blitz vom Vatican selbst über die neuen Eisenbahnen rollen – dem General der Jesuiten – alles das noch nicht genug! Man erwartet, daß Ceccone nach Wien geht. Die Diplomatie und Staatskunst wollen den Frieden der Kirche mit unserm Lande vermitteln. Aber die Jesuiten nehmen diesen Augenblick wahr. Ihnen scheint er für Deutschland, für Europa entscheidend. Jetzt oder – erst in einem Jahrhundert? So wollen sie den letzten Rest von Selbständigkeit, den sich der Heilige Vater durch seine nächsten Organe noch erhält, vernichten. Nur den Befehlen des Al Gesù soll er folgen, nur eine Politik, eine Diplomatie nach kirchlicher Autorität vertreten. Erst sollen Priester, Mönche, Bischöfe sprechen, dann die Staatskanzler. So stechen sie jetzt dem Cardinal, einem alten Richter und Advocaten allerdings voll Weltlichkeit, in die Ferse durch die Drohung: Die Frau, ohne die du nicht leben kannst, die Frau, die der Deckmantel deiner zärtlichsten Fürsorge für Olympia ist, verfällt einem Schicksal, das sie und Olympia und dich selbst an den Pranger stellt: Sie war die Gattin zweier zu gleicher Zeit lebender Männer –! Wozu würde sich nicht Ceccone entschließen, wenn er solche Gefahren von seiner Ehre, von der Ehre der Frauen, die er schätzt und liebt, abwenden muß! Welche Dispense sind da nicht nöthig, um dergleichen Verbrechen zu sühnen! Welche Schwierigkeiten vor demjenigen Theil des geistlichen Ministeriums in Rom, der sich mit den Herzens- und Heirathssachen von hundertunddreißig Millionen Kindern der Kirche beschäftigt! Erkennen Sie nun die Möglichkeit, wie zuletzt dem Staat über solche Intriguen die Geduld reißt! Ich nehme von dem nichts zurück, was ich für die Freiheit der gemischten Ehen gethan habe.

Das Rücken des Stuhles, auf dem der Provinzial saß, übertönte ein fortgesetztes Rascheln, das an der Wand hörbar wurde 51 und immer noch niemanden auffiel; selbst nicht dem Präsidenten, der es doch ausdrücklich hören sollte. Wie ergriff jedes dieser Worte Bonaventura im Hinblick auf die Empfindungen, die – eben auch darüber – seine Mutter hätte hegen müssen –! Terschka wagte nicht zu widersprechen. Vollkommen von der Wahrheit dieser Enthüllungen durchdrungen, sah er im Geist seinen löwenmuthigen General, hörte er die vor Jahren in Rom erhaltenen Anreden, sah den Feldherrnblick, der im Al Gesù das Nächste und Entfernteste vom kleinsten Menschen bis zum größten Staatenschicksal zu benutzen versteht, sah, wie Ceccone ihn früher entlassen, so ganz in Demuth und Ergebung vor dem, was aus dem Collegium der Jesuiten kam.

Wohlan, fuhr der Präsident fort, ich bin beruhigt, wenn mir Herr von Terschka sein Ehrenwort gibt, vorläufig in dieser Sache nichts weiter zu thun, nicht in Witoborn oder sonst auf den Archiven verdächtigende Nachforschungen anzustellen, sondern nur vorläufig nach Wien oder – nach Rom zu berichten, daß dieser Handel von unsern Auffassungen und Gesetzen abgemacht wird und die Herzogin von Amarillas keineswegs die Frau von Wittekind sein kann!

Was aber lähmte Terschka nur die ihm sonst so geläufige Zunge und ließ ihn über die scharfe Betonung des Wortes: »Sein Ehrenwort« erschrecken?

Der Präsident sagte noch einmal: Geben Sie Ihr Ehrenwort!

Terschka schwieg.

Ihr Ehrenwort! Als Cavalier –!

Als Terschka auch jetzt noch sinnend niederblickte und schwieg, sprach der Präsident mit ergrimmter leiser Stimme: Ich vergesse – – Herrn von Terschka bindet an seine Obern das Gelübde des Gehorsams –!

Die Wirkung dieser Worte war mächtig. Der Präsident erhob 52 sich. Die andern blieben sitzen wie gelähmt. Terschka bleich mit halbgeöffnetem Munde. Selbst der Provinzial mit hoch aufgezogenen Augenbrauen. Bonaventura mit einer Ahnung, die im Hinblick auf – den ketzerischen Grafen Hugo, im Nu – die volle Wahrheit erkannte.

Nehmen wir ein Frühstück, meine Herren! sprach im Gefühl seines wenigstens jetzt unwiderlegbaren Triumphes der Präsident und wollte, scheinbar unbefangen, vorangehen, um die Thür zu öffnen.

Die drei Priester waren zwar auch aufgestanden, blieben aber noch immer wie erstarrt stehen. Kein Wort kam von ihren Lippen. Das Wort des Präsidenten konnte für einen Scherz gelten – Man erkannte aber zu deutlich – der Falsche, der Abtrünnige, der »Segestes«, wie ihn sein Vater genannt hatte, war zu diesem Kampfe wohlgerüstet erschienen.

Um die Vernichtung Terschka's, der sich, wie mit tausend Dolchen durchbohrt, am Stuhl zu halten suchte, zu mehren, ging der Präsident in leichtem, scherzendem Ton zu den Worten über: Will Graf Hugo seine Güter hier selbst antreten, so würde er allerdings gut thun, sich zuvor in den Schoos der alleinseligmachenden Kirche zu begeben, und daß dies geschieht, dafür werden Sie schon sorgen, Herr – Pater Stanislaus!

Terschka lachte zwar, als wenn sich der Präsident in Scherzen gefiele, aber sein Lachen wurde vom Beben seiner Lippen als gemacht verrathen. Indessen hatte der Präsident schon geklingelt und Diener traten ein. Nicht lange, so erschien Frau von Wittekind. Man setzte sich zu Tisch. Der Präsident entwickelte eine Heiterkeit, eine Fülle von Kenntnissen, die ihn scheinbar zum Sieger über seine Gegner machte, trotzdem daß er ahnte, wie sich ohne Zweifel mit der Zeit zwei auf Legitimität Anspruch machende Geschwister ihm zur Seite stellen würden.

53 Bonaventura brach früher auf als die andern.

Wie hätte er mit Terschka länger noch zusammen sein können! Wie noch länger den Blick ertragen mögen, der in Terschka's Augen der der tiefsten Vernichtung war –! Welche Enthüllungen – Terschka ein Jesuit –! Abgesandt, wie sich ihm sogleich von selbst verstand, zur Convertirung des Grafen Hugo –! Und mit welchen Mitteln sollte er ihn bekehren? Mit welcher Kunst der Verstellung! Bonaventura's Schaudern über Rom ergriff den ganzen Menschen. Sah er auch im katholischen Sakrament der Ehe, das abweichend von den sechs andern Sakramenten, sich ohne den Priester, rein nur durch die Liebe vollzog, wieder seine vollen schönen großen Rosen in den Münstern glühen, was sollte er nunmehr – mit Benno beginnen –? Sollte er ihn lind und sanft auf seine Jugendtage zurückführen? Auf einen – Kronsyndikus als Vater?! Auf eine in Rom unter Verhältnissen, die sich aller klaren Beurtheilung entzogen, lebende Mutter! Auf eine Schwester in zweideutiger Lebensstellung –! Benno, jetzt begriff er es ganz, war der Sohn der Maldachini! Wie auch anders konnte Benno in seinen Erinnerungen das Bild einer schönen Frau haben, die aus einer prächtigen Kutsche stieg und ihn so oft voll Schmerz und Liebe betrachtete –! Wer konnte dies anders gewesen sein, als eben die Frau, die eine rechtmäßige Geburt verbergen mußte –! Als sie bald darauf in die allgemeine Flucht des westfälischen Hofes gerissen wurde, blieb ihr über den erlebten Betrug kaum noch ein Zweifel. Ohne Einsicht in die ihr beistehende Kirchenlehre ergriff sie Furcht, Haß, Scham in dem Grade, daß sie nichts vom Vergangenen mehr besitzen mochte und nun in ein neues Lebensverhältniß trat, vielleicht leichtsinnig genug. Und Benno? Zuerst hatte ihn Max von Asselyn, der aus Spanien zurückkam, als seinen Sohn mitgebracht, dann erzogen ihn die Hedemanns, dann kam er in die 54 Dechanei. Alles das mußte verabredet sein um des Dechanten willen, dessen Existenz von einer plötzlich strenger gewordenen Censur abhing. Ein Zug der Natur war es nur, daß sich Benno so eifrig die Sprache seiner Mutter aneignete und oft Bonaventura selbst anfeuerte, sich im Italienischen zu vervollkommnen. Und neben Benno stellte sich Angiolina – Eine Rivalin Paula's – denn Graf Hugo sollte ja Angiolina lieben, möglicherweise sogar heirathen – und doch eine Abenteurerin, gewissermaßen eine zweite Lucinde! Lucinde! Sie blieb die immer wiederkehrende, nie zu vermeidende Begleiterin alles Alten und Neuen in seinem Leben! . . . Zuletzt hafteten alle seine Gedanken nur noch an ihr. – Gefolgt war sie ihm aufs neue wie sein Schatten. Auf Schloß Münnichhof, unter dem Schutze einer Frau von Sicking, wagte sie zu erscheinen. Nichts fürchtete sie von Klingsohr, von allem, was Bonaventura über ihr Leben aus ihrer ihm unvergeßlichen Beichte wußte, nichts. Es durchbebte ihn, gedachte er dieser Fessel seines ganzen Lebens. Das war sie und das blieb sie auch und – zu einem glühenden Hassen Lucindens konnte er sich nicht einmal erheben. Nur fliehen mußte er vor ihr. Wer weiß, ob sie nicht rücksichtslos auf Schloß Westerhof erschien, sich Paula vorstellte und die Schmerzen, welche die Leidende sonst in ihrer Nähe sich mehren fühlte, erneuerte. Als er im verschlossenen Wagen seines Stiefvaters jetzt dahinfuhr, nieder zur Ebene, war es ihm, als müßte Lucinde ihm nachfliegen, umschwärmt von Raben, und mit einem Zauberstab auf die Brandstätte deuten – als den Anfang all des Unheils, das sie ihm vorausgesagt hätte.

Indessen – auf den Feldern lag ein milder Sonnenschein. Der Frühling fing an sich mächtig zu regen. Die Wälder in der Ferne hatten in einer einzigen Nacht einen Schimmer bekommen, als trieben schon die Bäume ihre verjüngenden Säfte. 55 Heller hoher Mittag war es. In der Ebene mußte er den Schlag öffnen, um ganz die Sonne hereinzulassen.

Und wenn es ihm da allmählich wurde, als müßte bis in die Sternenwelt schon die Lerche seines Frühlingsliedes steigen, so war es, weil sich in milder Anmuth Paula's Bild zuletzt doch siegreich auf sein inneres Auge senkte. Es verrollte immer mehr das Gewitter in ihm. Nur noch einzelne Schläge, nur noch das Zucken seines Auges vor einem letzten Leuchten des Blitzes – dann zogen die drohenden Geister der Luft immer ferner und ferner. Der innere Himmel blaute wieder und all sein Leben ruhte im Blick hinüber auf Westerhof.

Nun klagten, in jener allem Dichten eigenen Wonne des Schmerzes die innern Melodieen:

Muß ich es ewig sehn! In deine Locken
Flicht doch den Kranz dereinst die fremde Hand!
Der Myrte silberweiße Blütenflocken –
Doch schimmern sie dir einst im fernen Land!
Unsterblich Loos, an Sterbliche gegeben,
Dich zu umfangen für ein ganzes Leben!

O lächle nicht zu hold! Du kannst nicht wissen,
Wie mir dein Lächeln Hoffnungsdämmerschein!
Wie mir das Licht sich ringt aus Finsternissen
Und hüllt die Welt in Rosenwolken ein!
Du ahnst es nicht, wie deinem Zauberworte
Zu sel'gen Träumen sich erschließt die Pforte!

Es darf nicht sein! Es soll nur stumm verhallen!
Wie Zephyrhauch am holden Frühlingstag!
Wie in dem Strom die stillen Tropfen wallen!
Nur wie die Knospe bricht im Rosenhag! . . .
Und jauchzte mir's die Welt – Dennoch: Entsage!
Spräch' immer nur des Echos leise Klage.

Bonaventura wurde in Witoborn von dem alten Meßner Tübbicke angehalten. Er bat ihn aufs dringendste, erst nach 56 St.-Libori zu fahren, wo Norbert Müllenhoff plötzlich erkrankt war und das Bett hütete. Eben entbot er ihm einen Vicar. Vielleicht, bat er, hätte auch der Domherr die Freundlichkeit, den Pfarrherrn in seinen Functionen zu unterstützen. Beichten, Messen, alles würde in Stocken gerathen, wenn die Krankheit andauerte.

Bonaventura erschrak. Nichts kam ihm weniger genehm, als die Aussicht auf Beichthören, und gern billigte er als Aushülfe einen Vicar aus dem Seminar – demselben, aus dem einst Leo Perl gekommen. Er mußte nun den Umweg über St.-Libori nehmen. An der Besitzung der Frau von Sicking, wo Lucinde wohnte, brauchte er jetzt nicht, wie er gefürchtet, vorüberzufahren.

Den Pfarrer fand er in der That im Fieber. Müllenhoff behauptete, sich beim Brand erkältet und über des Fräulein Benigna von Ubbelohde »Impertinenzen« geärgert zu haben. In Wahrheit aber waren nur die beiden Wiegen, die vor seiner Thür gestanden hatten, der Anlaß seiner Krankheit. Als der Gensdarm von der Schmeling zurückgekommen war und den ganzen Hausstand derselben geschildert hatte, auch die Anwesenheit des verunglückten Dieners auf Westerhof, auch die jener finkenhofer Lene und ihre bei Mutter Schmeling abzuwartenden »andern Umstände«, da legte er sich ins Bett.

Der Geschäfte gab es für den Eiferer so viele. Gerade war der Kirchenconvent gekommen. Er kam, um Strafen zu verhängen, um die neue Tanzordnung für den Finkenhof zu ordnen, um den Jünglings- und Jungfrauenbund für die Ostern einzuleiten. Alle diese Neuerungen mußte Bonaventura auf einen andern Tag verschieben. Müllenhoff, wie sich bei einer so markigen und kernhaften Natur erwarten ließ, wand sich in ungeberdiger Ungeduld auf dem Lager. Vor Aufregung und 57 Erhitzung durch den Thee, den ihm die Kathrein zu trinken gab, sah er wie zum Schlagtreffen aus.

Bonaventura sprach ihm Beruhigung zu. Besaß doch auch nur er diesen sanften Ton, der Herder's Behauptung widerlegen müßte, daß die Sprache von den Menschen erfunden ist– diesen Ton, der zu den Leidenden tröstend spricht, wie ein Balsamhauch über brennende Wunden fährt, den das Herz selbst einsetzt und gerade so einsetzt, wie der Schmerz seine Klage ausgestoßen; diesen allein tröstenden Ton, den ein Arzt hat, wenn er, ein weiser Heilkünstler, in das Zimmer eines Kranken tritt, den ein Vater hat, wenn er ein Kind an sein Herz zieht und es ermuntert, nur ihm, allein nur ihm seine jungen Leiden anzuvertrauen und die Erstlinge seiner Schmerzen zu opfern.

Müllenhoff meinte zaghaft: Ich möchte Ihnen wol beichten –!

Bonaventura hielt dies Wort für ein Zeichen der Todeserwartung, für ein Begehren, schon die Sterbesakramente zu empfangen. Er bat den excentrischen Mann, sich nicht aufzuregen.

So unterblieb für Müllenhoff das Abschütteln einer, wie es schien, ihn recht bedenklich drückenden Last.

Ein normirtes Vespergebet mußte Bonaventura im Stift Heiligenkreuz halten. Das war unerläßlich – Wer zählt die religiösen Pflichten, die sich an die Altäre der alleinseligmachenden Kirche auf Stunde und Minute knüpfen –! Kein Gotteshaus, und wär' es noch so klein, es hat seine Ordnung und seine bestimmten Tage, die nur ihm allein angehören. Geburtstage im Kalender der Heiligen (die Geburt eines Heiligen fällt auf seinen Todestag, an ihm war er für den Himmel geboren) gibt es mehr, als im Jahre Tage. So reicht die Zeit kaum aus für die Reihe der Zeugen und Bekenner, deren Gedächtniß die Kirche feiert. Jede Diöcese besitzt ein Programm seines Kirchenjahrs, 58 so festgeordnet auf Ort und Minute, wie die Astronomie die Constellation der Gestirne bestimmt.

Der Wittekind'sche Wagen blieb zu Bonaventura's Verfügung. Er fuhr damit nach Heiligenkreuz und hielt das Vespergebet zu nicht geringer Ueberraschung der Stiftsdamen. Gib Acht, du kommst nach Westerhof und triffst Lucinden schon –! Dieser Gedanke verfolgte ihn. Lange aber hatte ihm eine einfache kirchliche Function nicht so wohlgethan, wie heute nach allen Aufregungen dies stille Murmelgebet in der kleinen dunkeln Kapelle des Stifts.

Und das hätte allerdings dann den Damen behagt, wenn ihnen Bonaventura auch Beichte abnahm. Sie hätten sämmtlich ihren gewöhnlichen Seelenarzt Müllenhoff mit Freude aufgegeben und dem neuen weit, weit mehr als nur Fastengebotverstöße von sich eingestanden. Wie »bedeutend« hätte sich jede in ihren Zweifeln und Beunruhigungen hingestellt –! Fräulein von Merwig, die »Anflickerin«, hätte ihren starken Geist gedemüthigt und ein Mittel gegen den Ehrgeiz begehrt, nur um zu verrathen, daß es Dinge gab, worauf sie ehrgeizig sein konnte. Fräulein von Absam hätte »Neid« in der Brust gehabt, nur um damit zu verrathen, worauf ihre geheimen Sehnsuchten gingen. Fräulein Portiuncula von Tüngel-Appelhülsen, eines der jüngern Mitglieder, erst im Anfang der Vierziger, hätte vielleicht eine Indiscretion gebeichtet, die beinahe wie eine Rache herauskam. Sie war eine Verwandte der Schwester Scholastika, Aebtissin der Hospitaliterinnen in Wien. Aber die Tüngel-Heides und die Tüngel-Appelhülsens wichen voneinander ab wie Tag und Nacht. Unbekannt mit diesem Unterschied, ging Monika jene Portiuncula unter dem Siegel der Verschwiegenheit an, ob sie nicht bei ihr unter fremdem Namen absteigen und so in Armgart's Nähe einige Tage leben und sich ihrer Nachbarschaft einwohnen könnte, ohne daß sie es wisse. Und auf diesen Brief hatte das Fräulein geantwortet, ganz so steif, ganz so beschränkt, wie es ihrem Charakter entsprach. Monika hatte diesen Brief nicht vertrauenerweckend gefunden, nur noch kurzweg um Entschuldigung gebeten und ihre Hülfe abgelehnt. Aber – dumme Menschen sind immer gefährlich und gerade die klugen Leute – die machen dann auch noch manchmal erst recht die dummsten Streiche –! Portiuncula hatte sich, aus Rache für diese Ablehnung, gestern Abend in ihrer ganzen Glorie gezeigt. Unter Kichern und zweideutigen Anspielungen hatte sie, ganz im Geist des Stiftes, zu Armgart, die seit dem Brand in Westerhof geblieben, gesagt: »Na ja, Fräulein von Hülleshoven, jetzt kann ich Ihnen doch sagen, Ihre Frau Mama ist schon in Eschede! Sie wohnt bei Schönians. Die Müller'n, die Angelika, steckt sogar von Paris aus dahinter! Ja, und von da geht sie noch heute zu Frau von Sicking, und wer, denken Sie, wird sie da eingeführt haben? Niemand anders, glaub' ich, als die Person, die mir mein ganzes Lebensglück ruinirt hat, Sie wissen – die Schwarz! O, ich könnte in Neuhof die Erbin so gut sein, wie andere! Aber wenn Sie morgen Abend in Westerhof beim Thee sitzen, da passen Sie mal auf, dann ist die Mutter da und hält Ihnen die Augen zu! Sie hat sich mit Benigna hinter Ihrem Rücken ausgesöhnt! Und wollen Sie von Ihrem Vater hören, so müssen Sie – aber verrathen Sie mich nicht – zu Hedemann nach Witoborn! Lassen Sie da Ihren Herrn von Terschka doch anfragen – Aber freilich – bei Hedemann wohnen der Herr von Asselyn und Herr de Jonge! Ei siehmal Einer an – Sie Kleine, Sie fangen schon früh an – –!« Und nun kam alles heraus, wie es so ist in der Welt, wenn der Mensch sich einbildet, sein Leben und sein Handeln wäre nur für ihn allein da; alle wissen davon und oft wissen sie mehr, 60 als wir selbst. Könnte man es nur manchmal so aufgedeckt sehen, was man alles hinter unserm Rücken von uns wissen will! Bei alledem – diese Beichten blieben glücklicherweise aus.

Es war schon Abend, als Bonaventura in Westerhof eintraf und das Schloß in eigenthümlicher Bewegung antraf. Schon im Vorhause hörte er aufs lebhafteste sprechen. Die Diener standen in Gruppen. Beinahe war das Anfahren seines Wagens übersehen worden.

Bonaventura achtete wenig darauf. Er fühlte sich schon erleichtert, kein Anzeichen zu sehen, das auf eine Anwesenheit von Besuch und wol gar auf Lucindens schließen ließ.

Herr Domherr! hieß es. Bisjetzt haben Herr von Asselyn auf Sie gewartet und Herr de Jonge! Beide lassen sich Ihnen empfehlen und hätten Sie gern noch einmal gesprochen.

Ist Benno schon fort? fragte er mit Bedauern. Doch durfte er hoffen, ihn und Thiebold morgen noch in der Stadt zu finden.

Ueber Terschka erfuhr er, daß dieser und Benno, Thiebold und der Onkel, wie beabsichtigt gewesen, am Nachmittag das Archiv geordnet hatten.

Vom Hof aus leuchteten die Laternen, die, um Unglücksfällen vorzubeugen, die düstere Brandstätte erhellten. Klingeln erschallten von da und dort.

Ist doch Paula – nicht – krank? dachte er bangend und wagte nicht zu fragen, ob dies Klingeln und Laufen der Gräfin gelte –

Die Herrschaften sind oben! hieß es ungefragt. Herr von Terschka kleidet sich um, auch Herr von Hülleshoven!

Wozu – umkleiden? dachte er.

Eine Kammerjungfer des Hauses eilte an ihm vorüber, blieb stehen und sagte: Sie wissen doch schon, Herr Domherr –?

Sein Blick deutete das Gegentheil an.

61 Das Document – die langgesuchte Urkunde –

Eine Klingel zwang die Sprecherin, in Eile abzubrechen . . . Bonaventura blieb – mit einem Riß durch sein Herz stehen. Indem trat Onkel Levinus zu ihm heran. Da sind Sie ja endlich! Nun Domherr, sprachen Sie schon Ihren Vetter Benno?

Was ist nur –?

Sie hörten noch nichts? Ja! Die Urkunde ist gefunden! Beim Räumen des Archivs. Mußte uns erst ein solcher Brand auf die rechte Fährte bringen! Sehen Sie, so hab' ich mich umkleiden müssen vor Ruß und Brandgeruch! Auch Herr von Terschka! Die Urkunde ist da! Ein Wunder ist's! Staunen Sie nur! Unbegreiflich! Sie wissen doch, die Urkunde, der zufolge Graf Hugo nicht erben soll, wenn nicht die verlangte Religion zutrifft! Paula bleibt demnach die Erbin! Darüber ist jetzt kein Zweifel!

Bei allen Heiligen –

Wunderbar! Aber kommen Sie! Sehen Sie das Document an! Wir fanden es mitten unter den geretteten Papieren!

Schon stand Bonaventura in der geöffneten Thür des großen Vorsaals und – am Weihwasserbecken. Doch hatte er die Besinnung, sich zu benetzen. Die Gruppe, die sich seinen Augen bot, ließ nichts anderes aufkommen. als zunächst den Gedanken: Paula stirbt –! Denn beleuchtet von Kerzen, die von Dienern und einigen Mädchen in die Höhe gehalten wurden, stand Paula mit einer Pergamentrolle in den Händen, leichenblaß, wachsfarben, wie ein Cherub des Himmels und im Chor der Seligen schwebend. Armgart, zu ihr in Andacht und Schrecken aufsehend, hielt sie mit ihrer Linken umfaßt, Tante Benigna mit ihrer Rechten. Paula las zwar, aber ihr Auge stand starr und wie gebrochen. Wie mit Geisterhand geschrieben waren auf ihrer 62 Stirn die Worte zu lesen: »Vorbehaltlich daß die jüngere Linie meinem Beispiel folgt und bis dahin in den Schoos der alleinseligmachenden Kirche zurückgekehrt ist.« Onkel Levinus sprach diese Worte allen hörbar. Als Bonaventura eintrat, erlosch Paula's Auge gänzlich, ihre Kniee wankten, mit einem Hauch des Schreckens verging ihr die Kraft, sich zu halten. Ohne Bewußtsein lag sie in den Armen Derer die hinzusprangen und sie nebenan auf ein Sopha trugen.

Wie mit Donnerton wollte Bonaventura rufen: Aber die Urkunde ist ja falsch –! Doch auch ihn entwaffnete ihr Anblick. Er kannte so viele solcher alten Urkunden. Diese trug die Spuren ihrer Echtheit unverkennbar. Das Pergament war zermürbt, mannichfach zerbrochen, altersbraun. Die Buchstaben der Handschrift zeigten ganz den steifen Kanzleigeschmack der Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege. Während Paula ins grüne Zimmer nebenan getragen wurde, erzählte der Onkel die Art des Fundes, die Ueberraschung Benno's, die Zweifel Thiebold's und seine eigenen Untersuchungen.

Aber Terschka –? fragte Bonaventura außer sich.

Ist betroffen! natürlich – erschüttert! Es ändert sich vieles – wenn nicht alles –!

Alles! wiederholte Bonaventura . . .

Der Onkel hörte und sah nichts mehr, als die wahrscheinliche Geschichte einer Urkunde, der sich beugen zu wollen, wenn sie nur gefunden werden könnte, die jenseitige Linie, wie im triumphirenden Gefühl, daß dieser Fund unmöglich wäre, so oft versichert hatte. Er bewies an den Falten und Brüchen des Documents, wie dasselbe zwei Jahrhunderte lang müsse eingeklemmt gewesen sein an der hintern Wand eines Schubfachs. Er hatte das Siegel der Dorstes nie in so richtiger Prägung gesehen. Drei Sterne fand er wieder, die gerade Maximilian 63 von Dorsts zuerst in das Wappen des Hauses einführte. Er bewunderte die damalige Schreibart einiger Dorfschaften, die zu den gräflichen Gütern gehörten. Längst von ihm geahnte Ursprünge derselben sah er durch diese Schrift jetzt bewiesen.

Paula blieb inzwischen auf dem Sopha; Armgart kniete vor ihr und barg thränenvoll ihr Haupt. Tante Benigna sagte halb bangend, halb von ihrem Standpunkt schon freudestrahlend: Eine großartige Wendung! Paula – bleibt die Herrin des Ganzen! Das steht nun fest und bleibt unwiderruflich!

Und auf ein Wort, das sie eben von den Rücksichten der Etikette beginnen wollte, trat Terschka ein, in schwarzen Kleidern, in völlig veränderter Haltung gegen sonst, bleich wie der Tod. Die Augen Bonaventura's wagte er nicht auszuhalten. Er verbeugte sich und blinzelte auf alle Umstehenden von der Seite, während er aufs neue die Urkunde ergriff. Er wußte, oft hatte man sich von Wien aus bereit erklärt, sich ihr unterwerfen zu wollen, falls sie gefunden werden könnte und überhaupt je ausgestellt wäre. Es handelte sich um eine veränderte Stellung aller Fragen, die Nück bisher vertreten hatte. Es handelte sich um die weitere Erbfolge, die eine völlig andre wurde, wenn sie von Paula, als Herrin, ausging und nicht von der jüngern Linie. Blieb Paula die Besitzerin, so hatte auch die weibliche Linie der Dorstes Erbrechte und da ergab sich auf diese Art nicht nur der berechtigtste Antheil drüben auf Neuhof für die Person des Präsidenten und durch diesen für Bonaventura, sondern auch für viele entfernter wohnende Angehörende. Gerade von dieser Seite aus war lange schon und besonders durch den Kronsyndikus wie eine felsenfeste Nothwendigkeit die Convenienzregel hingestellt worden, daß, wenn Graf Hugo nicht mit dem Erwerb dieser großen Güter, weil er nicht katholisch wäre, durchdränge, dann Gräfin Paula seine Hand annehmen müßte, um 64 ihn und die jüngere Linie von ihrem Verfall wieder emporzubringen. Ein solcher Receß nun, wie er jetzt eintrat, gestattete Paula nicht die freie Disposition über ihr Eigenthum; Vettern und Muhmen und Kirche und Landschaft nahmen an den Pacten einer Ehe theil und legten die mannichfachsten Beschränkungen der vollen Besitzergreifung auch für Paula auf. Paula, die freilich immer die reiche Erbin blieb und höchstens aus freiern Willen, aus Hinopferung ihrer Hand für die jüngere Linie etwas thun konnte – für den Grafen Hugo, den Lutheraner, den Freund Angiolina's – des – Freifräuleins von Wittekind, der Schwester Benno's –! Paula erhielt an die Freiheit ihres Willens Berufungen, denen ihre Kraft wenigstens jetzt noch nicht gewachsen war. Voll Schrecken und Wehmuth übersah Bonaventura dies Alles.

Terschka erklärte nun mit scheinbarer Ruhe und mit einer den Onkel und die Tante wohlthuend berührenden Mäßigung seine Ueberraschung durch diesen Schicksalsschlag. Seinen unbedingten Glauben an die Aechtheit der Urkunde verweigerte er vorläufig keineswegs. Er erwähnte die Anstalten, die er getroffen, sofort durch einen Kurier nach Wien die neue Wendung bekannt zu geben, eine Sendung, die man jedenfalls – er verbeugte sich gegen Paula – hoch in Ehren zu halten hätte. Dabei kämpften in seinem Innern die Entschließungen, die er für sich persönlich fassen sollte. Seine irrenden Augen suchten Armgart, welche die ihrigen verbarg.

Die Beichtworte, die Bonaventura von Hammaker und Bickert gehört hatte, lauteten auf »Feuersbrunst« und »falsche Urkunde«. Ein Wie? ein Wo? und Wann? hatte er aus dem Munde keines von beiden erfahren können. Hatte er vielleicht in der That diese beiden Geständnisse in eine zu rasche Verbindung gebracht mit Benno's Scherzreden bei jenem 65 Abendspaziergang am Ufer des großen Stroms, die gelautet hatten: »Die Kunst, in alten Lettern auf Pergament zu schreiben, ist heimisch in unserer Stadt –?« Konnte und durfte er jetzt eine Wendung, die zunächst für Paula eine glückliche war, so ohne weiteres auf diesen seinen Verdacht hin für ein Werk des Betrugs erklären? Als er Terschka lesen und lesen sah, kam ihm sogar der Gedanke: Hat wol gar ein Verräther der Freundschaft für den Grafen Hugo – ein Jesuit – dies Verbrechen gefördert – fördern müssen – in majorem Dei gloriam –? Oder liegt den Motiven der That die Absicht zum Grunde: Man reiße Paula mit Gewalt zu dem Mann hinüber, den sie in den Schoos der Kirche führen soll und – führen wird –! Sicherte man sich in Rom zwei Magnete zur Bekehrung dieses lutherischen Oesterreichers: Paula – und – Angiolina –?

Paula erholte sich und ihr Auge suchte Bonaventura. Sie wollte den Rath der geliebten Stimme hören – den Rath gegeben – an Heloisen – vom entmannten Abälard –!

Die Aufregungen des Onkels, der Tante dauerten fort. Benno, der bis jetzt kaum von der Tante genannt wurde, erhielt von ihr plötzlich die höchste Anerkennung und Thiebold de Jonge verschwand eine Weile vor ihren ihn stets bewundernden Augen. Eine Neigung zum Skepticismus, die Thiebold heute beim Anblick des wunderbaren Fundes – sein Waldankauf wurde dadurch rückgängig – verrathen hatte, verdächtigte ihr Thiebold's Gemüth, sogar seine Grundsätze. Die Tante sprach kein Bedauern aus, daß der sonst so »liebenswürdige junge Herr von Jonge« heute fehlte und nun wol bald für immer fehlen würde.

Bonaventura verließ endlich das Schloß, dessen Bewohner sich nicht sammeln konnten. Terschka schien zögernd mit ihm sprechen zu wollen. Er entriß sich ihm voll Grauen.

66 Wie die Nebel um ihn her aufstiegen, wie rings alles in ein undurchdringliches Dunkel sich hüllte, so umnachtet in seiner Seele schritt er dahin und fast den Weg verfehlend. Erst die Glocken von St.-Libori wiesen ihm die rechte Straße. Sie läuteten schon seit einigen Tagen auf die kommende Fasten-, Leidens- und Osterzeit.

In seinem immer tiefer und schwerer belasteten Innern griff das Kirchenjahr noch weiter hinaus – schon bis zum Tag der Verklärung und der Himmelfahrt:

Ostern! Ostern! Dein Erwachen
Führt nur himmelwärts den Nachen,
Aufwärts aus der Erde Noth –!
Ach, zu tödtlich ist der Tod –!
Wer entronnen seiner Truhe,
Sucht auf Erden nicht mehr Ruhe.

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