Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. V. Buch
Karl Gutzkow

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Zwölftes Bändchen.

1 20.

Obgleich der Kronsyndikus die letzten Jahre seines Lebens in Geistesschwäche zugebracht hatte, so sah man doch überall in Schloß Neuhof noch die von früher her stammenden Spuren seines rastlosen, gewinn- und ruhmbegierigen Geistes. Die Güter der Dorste-Camphausen waren damit verglichen im Verfall.

Rings um Neuhof erhoben sich stattliche Anlagen, die in ihrer Bedeutung und für die Zeit des Wachsens und Blühens vielversprechend sogar aus der winterlichen Decke hervortraten. Auf den Feldern, obschon sie hoch lagen, bemerkte man die sorgfältige Cultur selbst noch in den schneebedeckten Furchen. Kalköfen, Ziegeleien fanden sich auch hier; alles in stattlicherer Erscheinung, als bei den Dorstes. Der Holzschlag in den Waldungen war nach der Regel, mit Schonung und Voraussicht auch für künftige Zeit. Die Buschmühle, wo einst der Deichgraf gehaust, war ein Meyerhof von ganz besonderer Pflege. Daß dem Deichgrafen gleichfalls dafür ein Ruhm gebührte, wurde nicht mehr erwähnt, denn raschlebend ist unser Geschlecht – Oder – entschuldigt sich die Gegenwart durch die Sorgen, die auch ihr genug aufgebürdet sind? Traurige Kränze, die auf Friedhöfen niemand mehr erneuert! Trauriger Herbst, der zwischen verrosteten Gittern jahrelang hängen bleibt, bis ein Windstoß zu Hülfe kommt und damit – die Erde düngt –!

2 Der Park schien unverfallen. Die Ulmen, unter deren Schatten Lucinde so oft dahinhuschte, standen hoch und auch ohne Blätter stolz und vornehm. Die Tannenbäume gaben dem Ganzen einen Schein des Sommerlebens. Die Pavillons verriethen Bewohner, wie sonst. Nur der Teich war noch nicht aufgethaut; das große Geflügelhaus sah wie ein riesiger Strohmann aus – seine Bewohner mußten gegen die Kälte geschützt werden. Wie stattlich war das Schloß! Wie gewandt waltete der neue Erbherr schon! Wie sah man auf dem Hof von den Fenstern schon in der Frühe alles in Bewegung –!

Frau von Wittekind schritt trotz der Kälte und der feuchten Luft über den Hof und konnte, resolut wie sie war, Löb von der Unannehmlichkeit befreien, eben die nähere Bekanntschaft mit zwei wilden Neufundländern zu machen. Gut geschlafen, Herr Seligmann? lächelte sie. Sie bleiben doch den Tag über hier? Wir haben viel zu plaudern, aber erst nach Tisch! Machen Sie sich's inzwischen bequem! Sie sind unser Gast –!

»Sie sind unser Gast –!« Seit jenem: »Speisen Sie bei mir in Drusenheim!« das so vielverheißend und so wenig erfüllend im letzten Herbst Bernhard Fuld ihm zugerufen, nahm Löb eine solche Phrase nicht mehr allzu wörtlich. Er wußte auch bereits, Frau von Wittekind war genau. Sie liebte das Geld; sie verhandelte mehr mit ihm darüber, als ihr Gatte – Löb sollte über noch weitere Verbesserungen der großen Besitzungen sein Urtheil abgeben und Vorschläge machen zu Entäußerungen; es war an baarem Gelde Mangel. Auch standen nach dem Testamente des Kronsyndikus nicht kleine Legate zu bezahlen.

Frau von Wittekind hob sich durch ihr schwarzes Atlaskleid, in das sie sich schon in aller Frühe geworfen hatte, von den weißen Wänden des Schlosses stattlich ab. Sie schlüpfte behend über den mit Kieselsand bestreuten Hof. Ein eigenthümlicher 3 Kopfputz von schwarzem Draht und Schmelzperlen zierte das noch schöne dunkle Haar der schlanken Frau, die gegen die gedrücktere und durch die Jahre verkümmerte Gestalt ihres Gatten sich wie eine noch jugendliche hervorhob. Da Besuch erwartet wurde, sollte sich Löb erst den Nachmittag zu umständlicheren Conferenzen bereit halten.

In den Zimmern, wo Lucinde und Klingsohr einst jene verhängnißvolle Abendstunde verlebt hatten, wurde schon eine Tafel hergerichtet. Wie immer waltete bei den Vorbereitungen dazu die Lisabeth, die den Makler scheu von der Seite anblickte. Löb wußte, daß sie ihm seine Bekanntschaft mit dem Küfer nachtrug. Unter andern Umständen hätte sie sich wie eine Dame gezeigt, die sie beinahe auch geworden war. Heute mochte sie immerhin durch die Angst, es könnte bald die letzte Stunde ihrer hiesigen Wirksamkeit geschlagen haben, freundlicher gestimmt sein, als schon lange in ihrer Art lag.

Löb suchte Frieden und Freundschaft mit aller Welt und liebte es, sich aus dem Herzen heraus in die Herzen hinein zu plaudern. Schönes und Vornehmes übte auf sein ästhetisches Gemüth einen besondern Reiz. Silberne Geräthschaften, die man in die obern Zimmer trug, reizten nach dem Glanz, nach den Farben, dem Marmor, die oben verschwendet sein sollten, seine Neugier . . . Nur die fatalen Hunde umschnoberten ihn noch immer und hielten die schreckhaften Erinnerungen von gestern wach, auch die dunkeln Sagen vom vergangenen Leben auf Schloß Neuhof überhaupt.

Geängstigt umirrend und doch träumerisch alles bewundernd und taxirend, kam Löb auf die große Treppe. Stufe für Stufe zählend, schlich er hinauf. Eine hohe Thür stand mit beiden Flügeln offen. Behutsam trat er hier ein und maskirte seine Neugier durch den Schein einer hingerissenen 4 Bewunderung. Zuletzt ergriff ihn über all diese Pracht in der That ein natürliches Staunen. Er hatte viele Herrenhöfe besucht; diese Schönheit aber an Stuccaturen und Malereien, an bronzirten Marmortischen, in denen man sich hätte spiegeln und rasiren können, war ihm noch nicht vorgekommen. Reizend war eine nach links gehende Galerie, die an den bemalten Wänden mit seidenen Divans und Glaskronen und Bronzeleuchtern geschmückt war. Die Malereien stellten Scenen vor, wie sich Löb ganz richtig sagte, aus dem Olymp. Wenn aber auch der Klang des Liedes: »Vom hohen Olymp herab ward uns die Freude!« das im Roland am Hüneneck oft die Studenten sangen, in seine Seele drang, so war es nur eine kleine Verwechslung, daß er die vom »Olymp« herabkommende Freude mit – »Olim's Zeiten« in Verbindung brachte. Er machte diesen kleinen Schnitzer zum Staunen seines Neffen David Lippschütz, als er diesen Vorfall später in einem Briefe nach Kocher meldete.

Allerdings war auch hier die olympische eine Olim's Zeit! Für so verfängliche Gegenstände, wie an diesen Wänden von Künstlerhand wiedergegeben waren, würde die Gegenwart kaum die raschbereiten Künstlerhände gefunden haben. Sie glichen den Fresken über Alexander und Roxane, die sich von Rafael's Hand zu Rom im Hinterzimmer der Galerie des Fürsten Borghese finden. Löb betrachtete sie voll Unschuld. In unverfänglicher, rein kunstkennerischer Stimmung verlor er sich immer weiter und kam in einen großen Saal, der durch seine riesigen Dimensionen und seine Unwohnlichkeit und Kälte etwas »Schauerliches« hatte. Dieser Saal war rings mit Spiegeln belegt. In ganzer Figur, von seinen etwas zu kurzen schwarzen Beinkleidern an mit den hervorstehenden Knieen bis zum Scheitel seines heute ohne Musikbegleitung frisirten Haares konnte sich Löb hier in Lebensgröße betrachten. Es interessirte ihn, durch 5 den ganzen Saal einen Doppelgänger neben sich gehen zu sehen. Er und sein Spiegelbild, beide gingen auf den Zehen.

Sie griffen an den Girandolen die Glastropfen an und ließen sie hin- und herbaumeln. Sie erfreuten sich an dem hellen Ton, den die Gehänge von sich gaben. Dann taxirten sie das Krystall, die Bronze, den Sammet und waren besonnen genug, die Kunst der Decoration höher anzuschlagen als den massiven Werth. Viele der Bronzirungen zeigten ein starkes Benagtsein durch den »Zahn der Zeit«. Jenen Begriff, welchen Veilchen in ihrem Humor vorgeschlagen hatte zum Namen des Nathan Seligmann'schen antiquarischen Geschäfts zu wählen. In das Geschäft: »Zum Zahn der Zeit« gehörte bei näherer Besichtigung fast jeder dieser Plüsch- und Seidenstühle. So bekam auch Löb Handelsideen zum Besten seines Bruders. Darüber verging eine geraume Zeit.

Als sich die Doppelgestalt dann endlich auf den Weg machte, um umzukehren, erschrak sie bei einem flüchtigen Blick in den Hof. Aus einem eleganten Wagen, der eben anfuhr, stieg ein Mönch heraus.

Bruder Hubertus – das? sagte sich Löb und die Erinnerung an die gestrigen Erlebnisse ergriff ihn mit schreckhafter Macht. Es war aber Hubertus nicht. Löb besann sich, es war Pater Maurus, der Provinzial und Guardian selbst. Kam er, um sich nach ihm zu erkundigen? Die Diener verbeugten sich dem Besuche tief. Löb beruhigte sich. Der Klosterabt schien mit freiherrlich Wittekind'schem Wagen aus seiner Zelle abgeholt zu sein.

Vor Neugier und Gewissensbissen gerieth Löb bei dem Gedanken an seinen Rückzug in einen falschen Corridor. Es liefen deren zwei in den großen Ballsaal ab. Einer sah dem andern so ähnlich, daß Löb nicht wußte, war er durch den linken oder den rechten gekommen.

6 Als er den nächstliegenden gewählt hatte und seinen Irrthum erkannte, mochte er den weiten Weg nicht umkehren; er hoffte eine der mehreren kleinen Thüren, die er hier sah, verbände vielleicht beide Corridore. Er drückte eine derselben auf.

Siehe da! Das war ein seltsames Gemach. Er trat einen Schritt vor, orientirte sich in der hier herrschenden Dämmerung. Da – o Himmel! – fiel die Thür hinter ihm in ein Schloß, zu dem er keinen Drücker fand. Im Dunkeln durchtastet der zu allen Schrecken nun auch noch sogar Gefangene die ganze Länge der Ritzen an der Thür, reißt sich an der Spitze eines hervorstehenden Nagels die Veranlassung zum schmerzhaftesten Au! von der Welt ein und steht nun noch mit einem blutenden Finger. Was jetzt thun? Klopfen? Lärm machen? Seine Neugier selbst an die Oeffentlichkeit bringen? Großen Männern gehen ihre Schatten voraus, sagt Jean Paul, und lebhafte Phantasieen erfassen sofort die äußerste Möglichkeit. Löb Seligmann sah sich vor Discretion, vor Scham und vor, vielleicht jetzt erst kaum halb bestrafter, Neugier »stumm rings um«. Er sah sich hier eines langsamen Hungertodes sterben – ganz wie Florestan in »Fidelio«.

Das Zimmer war ohne Fenster. Es konnte nur benutzt werden durch Erleuchtung. Höchst prachtvoll, wenn auch gleichfalls schon für das Geschäft »Zum Zahn der Zeit« brauchbar, war die Decoration. Sicher mußten hier einst die üppigen Schönen auf schwellenden Divans geruht haben, wenn sie auf Bällen aus der Hitze des Tanzsaals entflohen. Das sind Cabinete, dachte er, wie die, in welche Don Juan die »Tausend und Eins« entführte! Und um ihn her geigte und trompetete alles und im Geist rief er mit dem Schrei der Zerline: »Hülfe! Rettung!«

Mit der linken Hand, die er der Vorsicht wegen jetzt lieber mit einem glücklicherweise in der Tasche vorgefundenen 7 Pelzhandschuh bewaffnete, rutschte er an den Wänden entlang, immer noch in der Hoffnung, den Drücker zu einer, nur nicht sofort ersichtlichen, andern Thür zu finden, und schon gewöhnte sich sein Auge an die Finsterniß. Wirklich – da! die Hand fuhr jetzt auf eine Klinke – und ein neues Zimmer ging auf. Aber – auch dies Zimmer war ohne Ausgang. Es war von gleicher Beschaffenheit, wie das vorige. Auch hier war alles auf Beleuchtung berechnet. Gott meiner Väter! seufzte Löb. Er hatte manchen vornehmen Ball, selbst Bälle bei seinen Vettern Fuld, wenn auch aus angemessener Ferne, beobachtet; er konnte sich denken, wie das prachtvoll sein mußte, wenn alles hier von Lichtern widerstrahlte, Eis herumgegeben wurde, lachend und reizvoll dahingegossen die Schönen auf den Divans lagen, die Herren um sie her voll Bewunderung und Galanterie. Da und dort sah er Spieltische. Gold und Silber glänzte ihm unter den Karten entgegen – Aber – links und rechts waren sämmtliche Drücker abgeschraubt! Nur in der Mitte gingen die Thüren auf. So zu einem dritten Zimmer, das er gleichfalls noch öffnete. Die Luft war dumpf und stickig. Hier war seit Jahren nicht gelüftet worden. Löb wurde immer mehr lebendigbegraben.

Schon schickte er sich an, seinen Weg durch die drei Verließe zurückzunehmen und sein Heil, mit dem Risico des Verlustes seiner Kundschaft auf diesem Schlosse, in einem durchdringenden Hülferuf zu suchen, als er hinter einer Wand, da, wo es noch in ein viertes Zimmer gehen konnte, sprechen hörte. Jehovah sei Dank! war sein erstes Gefühl . . . Er wußte, daß nun schon ein lautes Klopfen genügen würde, ihm Beistand zu bringen.

Sollte er jetzt gleich an die hier ohne Zweifel wiederum befindliche Tapetenthür pochen oder sich vorläufig in Ruhe verhalten? Das Gespräch nebenan schwieg plötzlich. Leise wagte er auf den 8 an den inneren Verbindungsthüren vorhandenen, aber überall festgeschraubten Drücker den wunden Finger zu legen.

Hier jedoch war die Thür verschlossen und sicher vermuthete man nebenan statt ihrer nur eine Wand und lehnte sich sorglos an sie an und war keines Lauschers gewärtig.

Wieder begannen die Stimmen. Löb vernahm jetzt Worte, hörte Namen, die ihm bekannt waren. Selbst die Namen »Borkenhagen« – »Himmelpfort« – »Westerhof« fielen. Sie schienen Anlaß zu Mittheilungen zu werden, die ihn interessiren durften und die vielleicht mit seinen gestrigen Erlebnissen zusammenhingen.

Deutlich unterschied er die Stimme Terschka's. Deutlich die des Präsidenten. Zwei andere wußte er noch nicht unterzubringen. Eine davon war ihm nicht unbekannt.

Kämpfend mit sich selbst, was hier zu thun sei, ob er rufen oder schweigen sollte, ging er durch alle Zimmer noch einmal leise zurück, suchte nochmals überall, wo ein Ausweg sein konnte, fand aber keine Gelegenheit zu seiner Befreiung und überredete sich nun, daß er entweder entschlossen sein müßte, zu rufen, zu klopfen, durch die geheime Tapetenthür mit seiner »fragwürdigen« Anwesenheit hervorzutreten in die feine Gesellschaft und ganz gehorsamst um Entschuldigung zu bitten – oder sich hinzusetzen und zuzuhören. Er fand letzteres für den Augenblick gerathener. Es erforderte weniger Entschluß und Aufschwung.

Er erkannte jetzt auch die dritte Stimme. Es war der ehemalige Vicar von St.-Zeno in Kocher am Fall, der Neffe des Dechanten, Domherr von Asselyn. Der Vierte war ohne Zweifel der Provinzial. Sollte er nun wol seinen hülfeflehenden Septimenaccord einsetzen und ein so schönes Quartett stören! So kam es, daß er auf einem Polstersessel und dicht an der Thür verblieb, zum Horcher wurde mit und wider Willen, daß er Dinge 9 hörte, die ihm vor eisigem Schreck die Erinnerung an den noch nicht überstandenen Februar weckten, daß er eine der schweren Seidendamastdecken von den Tischen zog und sie, trotz der darin befindlichen Motten, um sich schlang, ja daß er sogar noch eine zweite holte, sich auch noch in diese einhüllte und sich nun wie ein Hoherpriester zu Jerusalem vorkam mit Urim und Thumim, denn die schweren Goldtroddeln hingen ihm quer über die Brust hinweg.

Präsident von Wittekind sprach mit einer, wie es schien erregten und von seiner gewöhnlichen kalten Art abweichenden Stimme fest und bestimmt die deutlich hörbaren Worte: Ja, Herr von Terschka! Ich war vorbereitet auf einen Bevollmächtigten, den man mir in dieser betrübenden Angelegenheit von Rom aus schicken würde. Daß aber Sie es sein würden, gesteh' ich, hätte ich nicht erwartet!

Seligmann brauchte nur von »Rom« zu hören, um mit desto gespannterer Aufmerksamkeit zu folgen.

Herr Präsident, antwortete Terschka mit seiner leutseligen, Löb bekannten Harmlosigkeit, die nur zuweilen, wie Löb ebenfalls hätte bestätigen können, unter vier Augen nachdrücklich und bis zur Malice gehend abgelegt werden konnte, Herr Präsident, bei meiner nahen Verbindung mit dem Grafen Hugo ist der Auftrag, wie ich ihn vorgestern durch den Herrn Pater Provinzial entgegengenommen habe, nicht so auffallend. Kenne ich doch auch genau das außerordentlich liebenswürdige Mädchen, das so zu sagen eine Adoptivtochter des Grafen Hugo ist!

Seligmann rüstete sich auf Vervollständigung seiner genealogischen Kenntnisse, die in diesen hohen Kreisen empfehlend sind.

Ich muß Sie, lieber Sohn, sprach der Präsident und redete ohne Zweifel damit den Domherrn von Asselyn an, ich muß Sie mit dem Gegenstand unserer Verhandlung bekannt machen! 10 Sie wohnen ihr nicht nur in Ihrer Eigenschaft als mein Sohn und Freund, sondern auch als geistlicher Rathgeber und zuverlässiger Zeuge bei. Man hat von Rom aus in einem an den Herrn Provinzial gerichteten Schreiben ausdrücklich –

Diese Worte brachen in einer für Löb nicht ganz verständlichen Weise ab. Eine Pause deutete die stumm bejahende Geberde des Pater Maurus an, der wirklich also zu den drei Löb bekannten Personen die vierte war.

Mein Vater, fuhr der Präsident mit Erregung fort, hat leider aus dem himmlischen Gnadenschatz all die Spenden nöthig, die Rom und, mehr als Rom, Gott in unsrer Beichte uns Sündern bietet. Ich spreche dies mit Schmerz, aber offen aus. Vorzugsweise muß ich gestehen, daß zu einer ganz besondern Kränkung für mich die lebenden Zeugen seiner Verirrungen dienen müssen. Doch werden diese befriedigt werden und sie sind es zum Theil schon – – Nur Ein Verhältniß bot und bietet immer noch Schwierigkeiten. In Rom befindet sich eine Frau, von der man behauptet, sie hätte Ansprüche, sich die zweite Gemahlin meines Vaters nennen zu dürfen. Sie soll in der That von einem frühern Pfarrer – dieser – Gegend – ich glaube – Leo Perl –

Seligmann erbebte bei Nennung dieses Namens. Jetzt verwarf er alle Ermahnungen seines Gewissens, die unausgesetzt ihm zuflüstern wollten, sich ein Zimmer weiter zurück zu setzen und sich nicht in so ungeziemender Weise in die Geheimnisse der vornehmen Welt einzudrängen.

Nicht wahr? unterbrach sich der Präsident, als suchte er sich der Richtigkeit des Namens zu vergewissern.

Die Herzogin von Amarillas kennt vielleicht den Namen des Geistlichen nicht mehr, der sie traute –! bemerkte Terschka.

Der sie traute – haha! Das ist es! Mit meinem Vater 11 nämlich traute, lieber Sohn! sagte der Präsident. Es handelt sich um eine Frau, die nichtsdestoweniger, daß sie sich Frau von Wittekind-Neuhof zu nennen berechtigt sein will, doch 1843 von Kassel aus nach Paris flüchtete und dort eine neue Heirath einging mit einem spanischen Granden, leider einem Granden ohne Vermögen, dessen langer Titel sie lockte. Von der schweren Sünde der Bigamie, scheint es, will die römische Curie die Herzogin von Amarillas freisprechen und sich jetzt plötzlich für ihre erste Ehe entscheiden!

Keineswegs, Herr Präsident! sagte eine rauhe Stimme. Ohne Zweifel war es die des Mönches Maurus.

Bigamie –! Zwei Männer auf einmal! Löb Seligmann schauderte vor einer Situation, die ihn zum Zeugen solcher Enthüllungen machte. Dennoch blieb er – mit nur gespannterem Interesse.

Der Präsident in seiner Anklage gegen Rom sich mäßigend, fuhr fort: Allerdings gestehe ich, Herr Provinzial, in dem Interesse, für welches Herr von Terschka auftritt, nicht völlig klar zu sehen und wieder nicht in dem, wofür Sie beauftragt sind. Ich weiß und will es nicht leugnen, diese sogenannte Frau von Wittekind soll von meinem Vater zwei Kinder besitzen; als Herzogin von Amarillas war sie gewissenlos genug, beide zu opfern. Von meinem Vater muß ich leider dieselbe Gewissenlosigkeit eingestehen; er machte sich aus den Folgen seines – Temperaments – keine Sorgen. Diese Kinder, denen ich ihr Dasein und eine gewisse Berechtigung auf meine Anerkennung als natürliche Geschwister nicht im mindesten bestreiten will, überließ er dem Zufall, der sie dann auch wirklich seinen Augen ganz entrückte. Jetzt soll eines dieser Kinder entdeckt sein. Von wem entdeckt? Entdeckt in einem Augenblick, wo die Herzogin von Amarillas in Wien aufzutreten gedenkt, in Wien, wo, wie überall, 12 Gesetze gegen Bigamie herrschen, falls – die Casuistik der Curie nicht hilft! Doch, wie gesagt, räthselhaft ist mir weniger eine Schwester, die ich haben soll, als die nähere Absicht der Entdecker derselben. Die Gemeinte ist eine gewisse Angiolina – Pötzl, glaub' ich, ein Mädchen, das, wie Herr von Terschka sagt, vom Grafen Hugo vor Jahren angenommen worden – es war – wol, mein' ich, bei einer – Kunstreitergesellschaft –?

Auf dies auffallend scharf betonte Wort trat eine Pause ein.

Terschka schien die Frage überhört zu haben.

Graf Hugo, fuhr in immer mehr sich steigernder Schärfe der Präsident fort, hat an dem Kinde edel gehandelt. Es wurde von jener sogenannten Frau von Wittekind, meiner Stiefmutter –! mitten auf der Landstraße verlassen – freilich bei der Flucht der kasselschen Oper damals – Ich vergaß Ihnen zu sagen, lieber Sohn, Frau von Wittekind-Neuhof war ursprünglich eine italienische Sängerin!

Hörten für Löb Seligmann schon lange bei Nennung des Namens Leo Perl die Gewissensscrupel auf, so fühlte er nun die behaglichste Wärme, sowol unter seinen bunten Decken und auf dem gepolsterten Sessel, wie vor Antheil am Vernommenen selbst. Ein Uebergang der Enthüllungen in die Sphäre der Oper! Eine italienische Sängerin! Er gedachte der berühmten Henriette Sontag, die eine Gräfin Rossi geworden war.

Graf Hugo, fuhr der Präsident fort, hat sein Pflegekind lieb gewonnen, so lieb, daß er nicht abgeneigt sein soll, seine Gemahlin daraus zu machen.

Sie irren! unterbrach Terschka.

Doch! doch! ließ sich der Präsident seine Behauptung nicht nehmen. Das ginge auch ganz nach Wunsch, wäre nachgewiesen, daß Angiolina Pötzl eine rechtmäßige Freiin von Wittekind wäre. Von Herrn von Terschka wird mir das Ansinnen gestellt, die 13 Wendung der Finge möglich zu machen. Ist dies der Antrag des Grafen Hugo selbst? Offen gestanden, ich kann es nicht glauben. Würde er in Wien nicht seine Schwiegermutter mit einem Proceß auf Bigamie empfangen müssen?

Auf diese scharf betonte Hervorhebung aller Dunkelheiten der in Frage stehenden Situation trat eine Pause ein. Aber mochte sich auch Seligmann diese Pause mit noch so viel stürmischen Passagen füllen, sein musikgeübtes Ohr hörte die Accorde nicht, die in Bonaventura's Innern auf und nieder wogten und riefen: So sprichst du, du – von Bigamie! Du, mit dem sich vielleicht – meine eigene Mutter in der gleichen Sünde befindet –!

Graf Hugo, fuhr der Präsident fort, wird jetzt so reich, daß er unmöglich für sein Pflegekind blos eine Ausstattung, unmöglich nur Geld begehren kann. Meine junge Stiefschwester soll schön und gebildet sein. Herr von Terschka verglich sie schon lange mit jener abenteuernden Lucinde, von der Sie, lieber Sohn, vielleicht schon hörten – sie war der Anlaß zum Tode meines armen Bruders Jérôme. Jene Dame meine ich, von der man sagt. daß sie jetzt plötzlich in Witoborn wieder aufgetaucht ist.

Wieder trat auf diese gelegentliche Anmerkung eine Pause ein. Schwerlich würde der Musikschwärmer Seligmann, wenn er mit den ebengehörten Worten auch deren Eindruck auf die Hörer hätte belauschen können, ein Tonbild gefunden haben, das dem wilden Sturm entsprach, welchen sie in dem Herzen Bonaventura's aufregen mußten – Lucinde in Witoborn!

Inzwischen sagte Terschka wie zu einem, der daran zweifelte: Ja! das genannte Fräulein war vorgestern auf Münnichhof. Aber Sie erwähnen sie nicht zu ihrem Vortheil, Herr Präsident! Es ist eine Reihe von Jahren her, daß Graf Hugo und ich Ihrem Vater und diesem Mädchen, seiner damaligen Begleiterin, 14 am Strande der Ostsee begegneten. Wir kauften dort Pferde ein. Mein Freund, der Graf, besprach mancherlei, was zu seinen hiesigen Erbschaftshoffnungen gehörte und worüber Ihr Herr Vater, der Onkel und damalige Vormund der Gräfin Paula, Auskunft geben konnte. Auf jenes schöne Mädchen, das unter seinem Schutze reiste, kam die Rede. Allerdings verglich ich sie mit Angiolina. Der Kronsyndikus gerieth über meine Analyse in die größte Verwirrung. Die Nacht soll er eine aufgeregte Scene gehabt und nur von seiner zweiten Gemahlin gesprochen haben. Das aber wie von einem Wesen, dessen Vorhandensein aufs allerschwerste sein Gewissen drückt!

Ich bestreite dies nicht, nur irren Sie sich in einigen Punkten! fiel mit seiner frühern Schärfe wieder der Präsident ein. Jene Lucinde verglichen Sie nicht nur mit Angiolina, auch mit jener so unrühmlich bekannt gewordenen Olympia Maldachini in Rom! Darüber kam dann der Schrecken meines Vaters; der Name Fulvia Maldachini war der frühere Name der Herzogin von Amarillas. Von Ihrer Angiolina scheint er nichts gewußt zu haben.

Seligmann sah jetzt im Geist echt italienische große Oper. Maldachini –! Welch ein Klang –!

Der Präsident, der immer mehr in eine beinahe drohende Vortragsweise kam, fuhr fort: Der Stand der Dinge ist der: Mein Vater hat, als er noch bei Geisteskräften war, vor einigen Jahren eine Generalbeichte beim ehrwürdigen Pater Maurus hier niedergelegt. Diese war so inhaltsreich, daß sie nach Rom geschickt werden mußte. Dort scheint sie einflußreichen Personen bekannt geworden zu sein –

Nur meinem General! unterbrach der Pater.

Des Präsidenten Lächeln konnte Seligmann nicht sehen. Er durfte es aber aus einem leichten Husten abnehmen, nach 15 welchem der Präsident fortfuhr: Jedenfalls erfuhren Personen davon, die an dem Erweis einer Bigamie der Herzogin von Amarillas mehr Interesse zu haben scheinen, als die vielleicht sehr vernünftige Frau selbst, welche wenigstens seit Jahren nicht mehr die mindeste Erinnerung an Schloß Neuhof verrathen hat. War ihr Gedächtniß früher zu schwach für zwei Kinder, die sie in Deutschland zurückließ, wie sollte es jetzt aufleben für das Bekenntniß einer Schuld, die vielleicht die römische Curie, nicht aber die bürgerliche Gesetzgebung verzeiht! Der Herzog von Amarillas war arm. Ein echter Grand von Spanien, besaß er nur seinen Namen, der in seiner ganzen Vollständigkeit acht bis zehn Güter repräsentirte, die für ihn im Monde lagen. Mein Vater schickte damals bedeutende Summen nach Rom; in frühester Zeit wurden sie erbeten, in späterer gefordert. Dann plötzlich verhallte alles, was für ihn dort drohend genug laut geworden. Wer ist es nun jetzt, der plötzlich dort wieder Sprache gewonnen hat, wer redet nun jetzt durch Sie, Herr von Terschka –?

Angiolina ist so liebenswürdig, unterbrach Terschka aufs eiligste, daß ihr die Auszeichnung, mit Ihnen verwandt zu sein, an und für sich schon zu gönnen ist.

Wer ist Ihr Auftraggeber? drängte der Präsident.

Ich – wich Terschka, ohne Zweifel lächelnd aus – ich kann nur sagen, man wünscht, daß ich in aller Stille die Verhältnisse sondire, namentlich das Factum herstelle, ob die Herzogin von Amarillas wirklich Ihre rechtmäßige Stiefmutter ist. Die weiteren Folgerungen daraus, gesteh' ich, liegen meinem Verständniß gänzlich fern.

Löb ersah Terschka's ihm bekannte diplomatische Schlauheit.

Nun wohl, Herr Provinzial! wandte sich der Präsident an den Mönch. Sie sehen, alles geschieht, um das Siegel von jener Beichte, die Sie empfingen, zu brechen. Ihr 16 Ordensgeneral hat Ihnen nicht erlaubt, den Inhalt dieser Beichte zu erzählen, aber Sie sollen – so ungefähr, denk' ich mir, schrieb man Ihnen – nach dem wirklichen Zusammenhange aller dieser Dinge forschen. Wohlan denn! In Ihrer Gegenwart, lieber Sohn, in Ihrer, Herr von Terschka, leg' ich hiemit die Zeugnisse von sechs Cavalieren vor, die leider nicht mehr am Leben sind; sie haben der sogenannten Vermählung meiner Stiefmutter beigewohnt. Dann aber bitt' ich Sie, Herr Provinzial, lesen Sie sich in die Handschrift des edeln Dechanten von St.-Zeno hinein, des Herrn von Asselyn in Kocher am Fall, meines Schwagers, wie ich ihn nennen darf, und theilen Sie uns später diese Zuschrift mit, die ich gestern Abend noch, auf eine Stafette, die ich vor acht Tagen nach Kocher schickte, erhalten habe. Sie wird uns über diese Ehe und über Leo Perl's dabei gespielte Rolle die genügende Auskunft geben.

Löb mußte aufstehen. Es war in der That zu viel, was hier auf seine Wißbegierde einstürmte. Er bedachte: Erfährt man je, daß du ein Mitwisser dieser Familiengeheimnisse bist, so steckt man dich vielleicht ein oder macht dich auf irgendeine andre Art unschädlich, wie jenen Lauscher in den »Falschmünzern«. Er mußte seine Decken lüften, denn er war in Transspiration.

Nach einer Weile, während ohne Zweifel Bonaventura voll Staunen oder – voll Besorgniß der Worte seines Onkels gedachte: »Lass' alles das unter Priestern bleiben!« und von Terschka's Anwesenheit immer mehr beunruhigt werden mußte, begann die rauhe und strenge Stimme des Pater Maurus vorzulesen: »Mein insonderst geehrter Herr Präsident und lieber Herr Schwager! Alles habe ich geahnt, was nach Ihres Vaters Tode kommen mußte! Auch schon zu meinem Neffen, unserm guten Bonaventura, hab' ich mich in einer vor kurzem 17 abgegangenen Zuschrift darüber ausgesprochen. Es ist ein seltsamer Vorgang, auf den Sie hindeuten, und wohl versteh' ich Ihren Schmerz, Ihre tiefe Betrübniß! Beschämung – sagen Sie? Warum dies Wort – zu – Priestern? Wir Priester der römischen Kirche sind – bei solchen Dingen in – – unserm Element« –

Der Vorlesende stockte. Der Präsident sagte, wie es schien, mit Lächeln: Sie werden hier eine Stelle finden, die Sie überschlagen dürfen! Indessen – – Bonaventura mochte voll Besorgniß der Intoleranz des Provinzials gedenken. Und auch Seligmann gedachte mit Schrecken des Dechanten, der so freundlich mit der Hasen-Jette verkehren konnte und nur deshalb nicht die untern Viertel am Fall in Kocher besuchte, weil er zu sagen pflegte: »Reinlichkeit ist eigentlich mein erstes Religionsdogma!«

»Denn«, fuhr jedoch der Provinzial und ohne weitern Ausdruck der Befremdung über diese Freimüthigkeit zu lesen fort, »denn unsere ganze Kirche beruht ja auf dem, was im Menschen das Natürliche ist. Wer unsere Kirche schildern will, muß vom Fleisch beginnen und im Fleisch aufhören. Die katholische Kirche erbaute Gott zu einer Hülfe für die Sünder. Sie ist in allem deshalb der Gegenpol der nackten Menschheit und darum eben nur auf diesen Gegenpol errichtet. Bei den Protestanten ist die Sünde eine Unterbrechung ihres vom Geist beginnenden und im Geist endenden Lehrgebäudes; bei uns ist sie das alleinige Wesen desselben. Darum liebt der natürliche Mensch den Katholicismus und der Katholicismus wieder« – –

Der Provinzial stockte und murmelte.

Seligmann dachte an die Rumpelgasse und den Unterschied der Religionen und ergänzte –»den natürlichen Menschen«.

18 Lassen Sie das weg! Lassen Sie das weg! unterbrach der Präsident im Ton seiner andauernden Wallung.

Der Mönch fuhr jedoch fort: »Da hatt' ich beim Abschied vom Obersten von Hülleshoven den Streit über die Frage: ›Was ist unser Genius?‹ Seine Gattin Monika hatte mir einst geschrieben: ›Unser Genius ist der Schutzgeist vor unsern Schwächen!‹ Der Oberst sagte: ›Unser Genius ist der Fahnenträger unserer Tugenden!‹ Beide haben Recht und beide Unrecht. Sie hätten sagen müssen, wie der Genius im Menschen entsteht. Was ist der Genius – des Katholicismus – der Genius Napoleon's – der Genius Goethe's?« –

Wieder unterbrach der Präsident. Wieder dachte Seligmann, wenn auch schon etwas schwieriger auffassend, an Bereicherungen für Veilchen.

»Napoleon war körperleidend«, fuhr Pater Maurus fest und sicher zu lesen fort. »Man kann leidend sein und doch sich ganz beherrschen. Die fallende Sucht aber kann man nicht beherrschen; das ist ein trauriges Naturgebot. Oft mußte Napoleon's Kammerdiener Marchand ihn einschließen; des Kaisers Angst war: Jetzt überfällt dich dein Dämon! Napoleon's Genius war demzufolge der Geist, der ihn trieb, diesem Dämon zu entfliehen. Daher seine stete Unruhe, seine Liebe zum Frieden und doch die Unmöglichkeit, beim Frieden zu verbleiben, daher ein Vorwärtsdrängen, seine Art zu kämpfen, seine Auffassung über Welt und Zeit, sein Aberglaube, sein Wallensteinglaube an Ahnungen, seine Besuche bei Kartenlegerinnen, seine glühende Neigung zu Frauen und seine Kälte im Augenblick der Liebe selbst – Napoleon ist das Leben eines Mannes, der sich unter einem unglücklichen Naturgesetz weiß. Alles, was er that und sprach, war auf dies Naturgesetz: Entfliehe deinem Fluche! bezogen. Goethe ist nicht anders zu verstehen, als aus einem 19 Naturgesetz. Nur bezieht sich bei Goethe sein Denken und Fühlen auf ein anderes Factum – er hatte einen unehelichen Sohn! Diese Möglichkeit und sittliche Gêne mußte er durch seine Dicht- und Weltauffassung vertheidigen. ›Legitim‹ oder ›Illegitim‹ – das wurde sein Grübeln und sein schlechtestes Werk, ›die natürliche Tochter‹ war merkwürdigerweise gerade aus den geheimsten Falten seines Herzens hervorgegangen. Warum plaudere ich das alles? Ich könnte bitter sein und es so ausführen: Unsere ganze römische Kirche ist mit der Zeit allein über den einzigen dunkeln Abgrund der Seele erbaut worden, daß wir Priester nicht heirathen dürfen . . .« Der Provinzial setzte ironisch hinzu: Der Dechant gehört der philosophischen Zeit an!

Er will sie auch nur schildern, sagte der Präsident und beruhigte Bonaventura. Dieser drängte auf die Mittheilung nur des Hauptsächlichen aus einem Briefe, der ihm in ängstlicher Weise die immer krankhafter werdende Aufregung des theuern Onkels verrieth.

»Ich schildere Ihnen die Zeit, wo unsere Sünden jung waren, die Zeit, wo ich mit dem Kronsyndikus bekannt wurde. Es war gerade, als Goethe, unser damaliger Gott, den einzigen gefunden hatte, vor dem auch er zu Staub wurde. Dies eben war Napoleon, unsere zweite Gottheit. Es war in jenem Erfurt, da, wo Goethe vor Napoleon schweigsam stand, der Mann, der ewig die Natur suchte, vor dem Mann, der ewig die Natur floh. Ich befand mich gerade damals bei dem sogenannten ›Parterre der Könige‹ als ein der Diöcese Dalberg's angehörender Priester. Ihr Vater war zu Erfurt erschienen als Syndikus der jungen Krone Westfalen bei den alten deutschen Ständen des Teutoburger Waldes. Herr von Wittekind zog vor, in der Nähe der Pracht und Herrlichkeit des fremden Hoflagers zu leben. Und doch starb in Ihrem Vater trotz seines Leichtsinns ein Mann 20 wie aus der Ritterzeit. Die eiserne Hand, die Götz nur künstlich führte, hatte Ihr Vater natürlich. Ich habe gesehen, wie er von einer Tischplatte die Ecke abbog wie August der Starke von Sachsen, dem er leider nur zu sehr glich, wenn ihm auch dessen Sinn für Größe, stolze Haltung und Bedeutsamkeit der Gesinnung versagt waren. Ein Nimrod war's, der zuletzt in wilder Baulust, wie jener den Thurm zu Babel baute, den Rest von Muth austobte, der ihm vom Jagdtreiben noch übrig geblieben. Sein Park, sein Schloß, seine Oekonomie müssen ihm Summen gekostet haben; aber er brachte sie durch Geiz wieder ein. Die Folgen seiner gewaltthätigen Natur, die genug von ihm verdeckt werden mußten, liegen Ihnen jetzt offen vor – die stärkste Prüfung, welche einem Kinde beschieden sein kann, das die Erbschaft seines Vaters antritt« – Pater Maurus besaß den Takt, hier einen Augenblick innezuhalten.

Seligmann warf einen ihn still beglückenden Rückblick auf seine eigene vorwurfslose Laufbahn als Garçon.

»Der Handel mit Fulvia Maldachini«, fuhr der Mönch fort, »stammt aus jener Zeit einer wilden Philosophie, aus jener Zeit, wo auch in des sonst so strengen Napoleon Heergefolge der alte französische Leichtsinn sich wieder regen durfte. Seine Marschälle waren ehemalige Perrükenmacher und Kellner. Als sie auf ihren Lorbern ausruhen wollten, konnten sie nur genießen, wie Perrükenmacher und Kellner, die das große Loos gewonnen haben, eben genießen. Napoleon hatte Verwandte, die er, um eine neue Legitimität zu begründen, auf Throne erhob, während seine Schwestern Courtisanen, seine Brüder Champagnerreisende waren. Der Hof des Königs von Westfalen riß in seinen Strudel Männer und Frauen vom deutschesten Ursprung. Wir waren tief gesunken! Und noch jetzt – im Vertrauen – wir sind ein liebedienerisches Volk, geborne 21 Fürstenknechte! Ich habe in Deutschland Bureaumenschen gesehen, die einem Nero und Caligula ebenso zuvorkommend würden gedient haben, wie einem Antonin oder Marc Aurel. Ihr Vater, ein junger Witwer – kein Stand ist gefährlicher, als der der jungen Witwen und Witwer – genoß noch einmal seine Jugendjahre. Trotz seines Amtes war er ein Händelsucher, ein Wettrenner, ein Don Juan. Damals besaß ich am Münster von Witoborn ein Kanonikat, das ich in alter Weise von einem Vicar verwalten ließ. Ich war Priester geworden, wie andere unter die Soldaten gehen. Mein Bruder Friedrich studirte die Rechte, mein Bruder Max war Soldat. Als ich Priester geworden war, reiste ich in die Welt, war lange in Paris und kam nach Kassel, Erfurt und Witoborn – wie ein Abbé zurück. Goethe, Napoleon und – Grécourt waren meine Gottheiten. ich schloß mich meinem Landsmann, Ihrem Vater an. Wittekind konnte so ansteckend lachen, daß man ihm gar nicht wegen seiner sonstigen Unarten lange zürnen konnte. Wir waren ein Kreis wilder Gesellen und ich bekenne und darf es bekennen, da ich später mancherlei Unstern deshalb bestand, ich, ein Priester, entwarf nach Bildern aus Herculanum und Pompeji Zeichnungen, nach denen in Kassel nicht etwa Frauen zweideutigen Rufs lebende Bilder stellten, sondern die Gattinnen der Minister, die Töchter der Gesandten, Deutschlands ältester Adel –!«

Eine Pause ließ Löb Zeit, die vorhin gesehene olympische Galerie und die Frömmigkeit des jetzigen Adels dieser Gegend in Vergleichung zu bringen.

»Eine der gefeiertsten Tagesschönheiten«, fuhr der Provinzial zu lesen fort, »war die Römerin Fulvia Maldachini. Sie war eine Sängerin in der italienischen Truppe, die König Jérôme noch neben der deutschen und französischen hielt. Das Repertoire überwachte der Kaiser von Paris oder dem Hauptquartier aus22 und verfuhr darin ebenso streng, wie bei Bildung der Ministerien, des Heers und jenes Schattens von Repräsentativverfassung, dem Ihr Vater seinen ›Kronsyndikus‹ verdankte. Ich seh' Ihren Vater noch, wie er die Syndikatsuniform zum ersten mal anlegte und den Galanteriedegen umschnallte. Ungeduldig, sich bei Eröffnung der Landstände zu verspäten, war er nahe daran, gegen seinen Bedienten die etwaige Schärfe des Spielzeugs zu versuchen. Der Maldachini sagte man nach, sie wäre besserer Abkunft, wäre durch Umstände veranlaßt worden, ihre Stimme zu verwerthen – eine Stimme, die uns Deutschen mehr Entsetzen, als Bewunderung einflößte. Sie hatte, so jung und schön sie war, in ihrer Kehle eine Tiefe, die mit Proserpina bis in den Tartarus hinunter zu steigen schien. Das Theater erdröhnte zwar von Beifall, wenn sie ein: Perfido! knirschte; aber ein Dolch lag gleichsam neben jeder Note, die sie sang und besonders – wenn man einmal nicht applaudirt hatte« – –

Seligmann wußte nichts von Gluck und Piccini. Aber Bellini's »Norma« bot Vergleichungen. Er verstand vollkommen dieses »Knirschen« und namentlich beim Nichtapplaudiren.

»Es galt für unmöglich, die Gunst der Maldachini zu gewinnen . . .« las der Mönch weiter. »Das gerade reizte den Kronsyndikus. Die Schönheit ihrer Erscheinung, ihrer Gestalt war mächtig, das Geheimniß, mit dem sie sich umgab, bestrickend. Sie nahm die Huldigungen des Freiherrn von Wittekind an, natürlich zuerst seine Geschenke; sein Lohn dafür war nicht mehr als ein Zunicken im Theater. Sie lehnte sich an den Hof, der sie beschützte, an die große Zahl ihrer Verehrer. Der Kronsyndikus ertappte sich auf einer wirklichen Schwäche für sie. Feste bot er ihr an, die sie auch annahm. Er ließ sie zur Fastenzeit, wo die Bühne geschlossen wurde, und in den Sommerferien in sechsspännigen Carrossen nach Neuhof kommen. Sie, Herr Präsident, 23 und Ihr seliger Bruder waren damals auswärts. Die stolze Sängerin wohnte auf Schloß Neuhof wie eine Fürstin. Nichts aber entlockte ihr eine Zärtlichkeit, nichts eine Erwiderung der Liebesbetheuerungen, die ihr, wie Lauscher mich versicherten, der Freiherr auf den Knieen gemacht hat« – –

»Lauscher versicherten« –! Seligmann erbebte. Wo wol anders als hier in diesem Cabinete waren die Orte, wo man auf Schloß Neuhof lauschen konnte?

»Fulvia Maldachini verlangte die legitime Gemahlin des Freiherrn zu werden. Sie nannte sich eine geborne Marchesina und in der That, der Freiherr von Wittekind beschloß, sie zu heirathen« . . .

Löb sah den Eindruck dieser Worte –! Sah Terschka's triumphirendes Lächeln.

Mit einer Stimme, deren Sicherheit deutlich verrieth, daß in allen diesen Mittheilungen für ihn nichts Neues lag, las der Provinzial weiter: »Dies Heirathsproject entsprach an sich ganz dem Charakter jener Tage. Man hatte nicht im mindesten das Gefühl, als ob diese Napoleonischen Zustände nur eine Episode wären. Ein völliges Aufopfern des Stolzes und Heimatgefühls war bei uns eingetreten. Fast wäre Ihr Vater seiner Leidenschaft erlegen, wenn nicht seine Freunde dazwischengetreten wären. Freiherr von Malstatt, Graf von Dohrn, Baron von Liebetreu – alle widersetzten wir uns. Als Fulvia kalt blieb, höhnisch die Lippen aufwarf und sich in ihren rothen Gewändern, mit dem grünen Kranz auf dem kurzgeschnittenen schwarzen Tituskopf, den Dolch im Busen, wie eine junge Medea zeigte und bestrickend schön, verheißungsvoll lächelnd wie der beginnende Frühling blieb, da wurde zur Rettung Ihres, wie es schien, fast verlorenen Vaters ein Entschluß gefaßt. Wir verpflichteten uns, eine Farce aufzuführen« –

24 Eine Pause trat ein. Seligmann liebte die »Farcen« nicht. Er stutzte nicht wenig über das, was er jetzt zu hören bekommen würde.

»Fulvia konnte kein anderes Wort deutsch«, las der Provinzial, »als soviel nöthig war, kräftig zu fluchen. Sie lebte unter uns, wie im Grunde damals alle diese Fremden; sie lebten, im eigentlichsten Sinn des Worts, wie in der Verwirklichung eines Traums. So war auch für Fulvia Deutschland nichts als Wald und Flur und Flur und Wald; nur vom Geld sah sie, daß es das allbekannte echte Silber und Gold war. Der Freiherr schlug ihr eine Ehe vor, die aus Familienrücksichten einige Jahre lang geheim gehalten werden müßte. Fulvia, die große Stellung, den großen Güterbesitz ihres Verehrers kennend, auch von seinen mächtigen Verwandten wissend, sah ein, daß für gewisse Vermögensverhältnisse, namentlich in Rücksicht auf die vorhandenen Söhne erster Ehe Schwierigkeiten entstehen konnten. Sie willigte in diese Geheimhaltung ein. In dem Dünkel und Siegesübermuth, der sie, wie damals alle diese abenteuernden Fremden, gegen jede Vorsicht blind machte, steigerte sie sich selbst zuletzt zur Ueberzeugung, daß sie erst von spätern Zeiten die allgemeine Anerkennung ihres Titels als Frau von Wittekind abhängig machen müßte –«

Seligmann hörte voll Spannung und erwartete jetzt mit Beben die Betheiligung Leo Perl's an einem Frevel.

»Unser Leichtsinn ging nun so weit«, las der Provinzial, »daß der eine von uns künstliche Pacten schloß mit Siegeln von Aemtern, die nirgends existirten, der andere vorgebliche Correspondenzen eröffnete mit Wittekind's Gesammt-Familie, der dritte falsche Dimissorialen des Pfarrers von Schloß Neuhof brachte, die nothwendigen Dispense, die dem Freiherrn gestatteten, sich andern Orts trauen zu lassen – kurz es geschahen Dinge, wie sie nur in 25 einer Zeit möglich waren, wo täglich die größten Ereignisse sich drängten, Throne wankten, Völker in Bangen und Zagen lebten. Wir erfanden und setzten dies Abenteuer unserer ›noblen Passionen‹ in Scene wie eine Fastnachtsposse« . . .

Löb Seligmann schauderte über den ehrwürdigen Herrn Dechanten, der solcher Streiche fähig gewesen –!

»In Paris hatte ich einen jungen geistvollen Gelehrten kennen lernen, eine geniale Natur. Er nannte sich Leo Perl und war ein Jude –«

Löb's Athemzüge wurden ihm jetzt fast selbst vernehmbar. Er mußte aufstehen und zwei Schritte weiter gehen. Dann, um nichts zu versäumen, stand er wieder still und horchte zitternd.

»Leo Perl war«, las der Provinzial, »aus der Gegend meines jetzigen Wohnorts gebürtig und seines Zeichens ein Rabbiner. Sein Aeußeres war ein stattliches. Nach Paris kam er, um in den dortigen Bibliotheken talmudische Manuscripte zu lesen. Ich lernte ihn kennen und schätzen. Im Geiste der Zeit, die nicht mehr der Geist des Deismus, sondern ein Bestreben war, irgendwie aus dem Deismus herauszukommen, standen wir uns nahe. Natürlich waren wir am wenigsten Frömmler; das Leben nahmen wir leicht – ich wenigstens gab den Lebensanschauungen eines Alcibiades nichts nach.«

Alcibiades! wiederholte sich Löb und wußte jetzt ein »feineres« Wort zu minder verletzender Bezeichnung des Leichtsinns.

»Aber wir hatten ein Bedürfniß des Positiven. Freilich – wir suchten das Positive eher in Indien und an den Quellen des Ganges, als in Judäa und an den Quellen des Jordan. Leo Perl war, halb aus Scherz halb ernsthaft, Kabbalist, was mich als Curiosität anregte. Er sprach die meisten lebenden und 26 mehrere todte Sprachen. Sonst war er aufgewachsen, wie ein echter Rabbinerknabe, in alten Büchern und mikrologischen Studien; die Welt war ihm auf dem Gebiet des Parquets und der feinern Geselligkeit fremd, seine zähe Lebenskraft jedoch, sein Witz und manche Schalkhaftigkeit halfen ihm, sich auch dort zu behaupten –«

Gott im Himmel –! sagte sich Seligmann und war nicht einverstanden mit dem Worte: »Zähe Lebenskraft.«

»Perl war zugleich gefällig und interesselos, wie ein Kind. Ihm verdank' ich nicht nur den größten Theil meiner Ausbildung, die Läuterung meiner Lebens- und Kunstansichten – sondern sogar meine Existenz –«

Ein Mensch –! rief Seligmann schmerzbewegt.

»Durch Perl wurde ich auf das Stift St.-Zeno an seinem Geburtsort aufmerksam gemacht und auf dessen alte Rechte und Urkunden. Er begleitete mich nach Deutschland und gab mir Mittel und Wege an die Hand, mit Hülfe des Kaisers von Oesterreich diese einträgliche Stelle aus der Säcularisation zu retten und für mich zu gewinnen. Ich habe ihm für alles das ein treues Herz bewahrt und meine Schuld ist es nicht, wenn ich zu den vielen Erinnerungen an ihn nicht auch noch äußere Beweise meiner Dankbarkeit fügen kann. Plötzlich zog er sich von uns allen zurück. Trotzdem, daß er infolge unsers Leichtsinns Christ werden mußte –«

Löb setzte sich jetzt wieder ganz nahe und zusammengekauert wie ein Jäger auf dem Schnepfenfang.

»Leo Perl hatte in seinem Wesen zwei unvermittelte Gegensätze. Der gewaltige Mann lebte höchst mäßig, entbehrte wie ein Stoiker und dachte doch wie Epikur. Er vermied die Frauen und duldete jede Ausgelassenheit –«

Gerade wie Veilchen –! sagte Löb.

27 »Er aß trocken Brot und sprach anerkennend über die, denen nur Trüffeln mundeten –«

Wie Veilchen –!

»Er erklärte sich für unfähig, einen vernünftigen Satz zum Druck zu stilisiren und seine zierliche Hand schrieb Briefe voll Geist« . . .

Wie Veilchen –!

»Perl war der strengste Kritiker, der je beizende Lauge im Urtheil über ein Ganzes mit der Fähigkeit verband, im Einzelnen Tiefe der Absicht und Schönheiten des Details zu erkennen –«

Dies Lob wurde für Löb zu hoch und – »beizende Lauge« führte ihn sogar mit unwillkommener Zerstreuung auf Veilchen's antiken Spitzenhandel.

»In kleinen Aufsätzen konnte er ein Buch so tadeln, daß man den Verfasser – dennoch lieb gewann. Es war dies die Folge seiner Bonhommie. Vor Lachen wurde ein Kranker gesund, wenn er seine Scherze las« . . .

Seligmann hauchte wieder für sich hin: Wie Veilchen –!

»Ich nannte ihn den zwölften Apostel, den Christus zum Ersatz für Judas Ischarioth hätte nehmen müssen. Auch versicherte er, sein Vorgänger Judas Ischarioth wäre der unglücklichste aller Menschen gewesen. Er wisse für bestimmt, er hätte Christus geliebt, er hätte ihn mehr geliebt, als Johannes; er hätte Jesus nur verrathen, um ihn zur Entschiedenheit zu bewegen; er hätte sich erhängt nur ans Verzweiflung, weil ihm ein Werk der Freundschaft mislungen. Würde ihn Jesus, sagte Perl, drei Jahre lang um sich geduldet haben, wenn er nicht Eigenschaften an ihm erkannt hätte, die wenigstens denen der andern Apostel gleichkamen –? So zwischen Ernst und Scherz, bald durch seine Behauptungen erschreckend, bald wieder 28 wohlthuend, konnte Leo Perl plaudern. Wir gewissenlosen Cavaliere – immer ist es mir, als hätten wir nicht Ursache gehabt, uns der spätern Wendung seines Schicksals so zu rühmen, wie wir wol zu unserer Beruhigung im Stillen thaten –!«

Leo Perl starb als christlicher Pfarrer in Borkenhagen! sagte Terschka mit einer dumpfen Stimme, die ihm sonst nicht eigen war. Dies Wort schien auf die bindende Kraft eines geweihten Priesters berechnet zu sein und die Rolle vorzubereiten, die bei jener »Heiraths-Farce« Leo Perl gespielt haben mochte.

Vielleicht war er schon heimlich in Paris ein Christ! erwiderte der Präsident mit parodirender Ironie.

»Leo Perl«, fuhr der Provinzial fort, »wurde von uns überredet, in den Betrug der Maldachini miteinzutreten. Ganz in einer Laune, wie wir sie an ihm kannten, griff er zum Champagnerglase und sagte zu. Wir verlangten von ihm nichts Geringeres, als daß er sich in ein Priestergewand hüllte und in einer entlegenen Kapelle, auf den Gütern eines der Mitverbündeten, bei nächtlicher Weile den Freiherrn von Wittekind mit Fulvia Maldachini traute. Aufrichtig gesagt, ich erstaune noch jetzt über seine Zustimmung. Ich kannte sonst die Gewissenhaftigkeit, die ihn beseelte, bei aller Leichtigkeit in der Beurtheilung anderer –«

Für Löb verlor sich jetzt sein: Wie Veilchen –! und der Spinozismus in Vorstellungen von drei bis fünf Jahren Gefängniß.

»Perl war des Ritus so kundig, wie oft kein Domdechant –«

Der Provinzial mußte im Lesen gelächelt haben; seine Stimme klang heller.

»Die vermessene, wahnwitzige Scene ging vor sich bei 29 Lichterglanz und unter Assistenz eines Meßners, den eine Person spielte, die ich Ihnen nicht nennen will –«

Eines Priesters also! sagte Terschka bedeutungsvoll, ohne den Dechanten, der sich jedenfalls selbst bezeichnet hatte, namhaft zu machen.

Wie es scheint! bemerkte der Präsident und setzte mit Bitterkeit hinzu: Sie suchen für Ihre Casuistik irgendeine geheime Schraube! Was aber das bürgerliche Recht mit dem Zuchthaus bestraft, wird bei uns das kanonische nicht zum Sakrament erheben –! Doch lesen Sie! Ich bitte –

»Eine katholische Trauung muß in dem Ort stattfinden, wo man lebt: dafür hatten wir die Dimissorialien. Sie findet in der Regel des Morgens statt: dafür hatten wir einen andern Erlaßschein. Das in einer Waldkapelle bei Nacht verbundene Paar bestieg seine Kutsche und fuhr zurück nach Schloß Neuhof. Dort lebte es so, wie der Freiherr gewünscht. Einstweilen kehrte Fulvia noch in ihre Stellung zur Bühne zurück. Sie genas eines Knaben, der auf den Namen der Mutter getauft und von einer mir befreundeten Dame erzogen worden ist, die ich bedaure nicht nennen zu können« . . .

Frau von Gülpen! blitzte es in Löb auf, obgleich er sich nichts davon träumen ließ, daß auch Bonaventura auf diese Ahnung alle Fassung verlor.

Aber der Provinzial fuhr fort: »Die Kämpfe der Maldachini, sich anerkannt zu wissen, gingen mit der Zeit aufs Aeußerste. Sie wurden um so gefährlicher, als sie zuletzt Verdacht schöpfte und mit Entdeckung drohte. Nur weil bei ihren Besuchen auf Neuhof und in Witoborn Perl ihr öfters in wirklicher Priestertracht entgegentreten konnte, wurde sie beruhigt. Der Kronsyndikus hatte in seinen Neigungen keinen Bestand; bald benahm er sich 30 gegen diese Frau wie gegen alle andern – sein Leben auf Neuhof steigerte sich ja bis ins Sinnlose« –

Löb füllte die Pause, die entstand, mit dem Gefühl aus: Muß das ein Sohn von seinem Vater hören –! . . .

»Bald erfuhr auch diese seine vermeintliche Gattin die gewöhnliche Tücke seines Benehmens. Sie kam zum zweiten mal in die Hoffnung und bestand mitten im Gewühl der Flucht des westfälischen Hofes von Kassel 1813 ihre Entbindung. Der Kronsyndikus, sich trotzig an dem Zusammenbruch des Königreichs Westfalen haltend, verstieß sie. Hülflos wurde sie von den Mitgliedern ihrer Gesellschaft in den allgemeinen Strudel des Schreckens und der Flucht mit fortgerissen. Wir verloren sie aus den Augen und für immer. Ihr Vater erzählte mir eines Tags lachend, sie wäre in Paris eine Herzogin geworden. Damals brach jedoch die Zeit an, wo über uns alle ernstere Stimmungen kamen. Unsere mannichfach neubedingten Lebensstellungen riethen uns, unsere Aufführung zu regeln, und so entstand das Bedürfniß, auch über diesen Jugendstreich den Mantel der Vergessenheit zu breiten – zumal da ich später von Leo Perl zu meinem Schrecken erfuhr, daß er diese Ehe –«

An dieser Stelle war es dem Horcher plötzlich, als hörte er eine Bewegung, die nicht von den Männern im Nebenzimmer kommen konnte, obgleich auch drinnen die durcheinander gehenden Stimmen ein Staunen auszudrücken schienen.

Aengstlich sprang er zur Seite und hielt die Decken fest, die ihm entgleiten wollten.

Alles war wieder still. Glücklicherweise! Denn gerade die ihm werthesten Stellen der Bekenntnisse des Dechanten konnten ihm durch eine Störung verloren gehen.

Der Provinzial hatte inzwischen nicht weiter lesen können; denn Terschka sprach. Terschka sprach von der Ehe und forderte 31 Bonaventura auf, zu sagen, worin die katholische Ehe ein Sakrament wäre, ob durch den Priester oder durch die Verbundenen?

Die Lehre der Kirche läßt es kaum zweifelhaft! lautete die leise und mit tiefster Erschütterung gegebene Antwort des Domherrn, der nur an den von Frau von Gülpen erzogenen Sohn des Kronsyndikus dachte.

Der Präsident bat um genauere Erklärung. Doch an dieser so hochwichtigen Stelle mußte Löb Seligmann den Schrecken erleben, daß sich jenes Geräusch deutlich wiederholte. Es schien sogar aus jenem der dunkeln Zimmer zu kommen, welches er zuerst betreten hatte. Bebend sprang er zur Seite und fiel beinahe über die Franzen seines improvisirten Hohenpriestermantels. Nun war wieder alles still.

Dafür aber waren die Männer nebenan im lebhaftesten Streit über die Ehe und das Sakrament. Der katholische Glaube in allen Subtilitäten, deren genaue Kenntniß von Terschka mehr im Scherz als im Ernst angedeutet wurde, regte den Präsidenten so auf und veranlaßte seinerseits für die Rückhaltsgedanken der Kanonisten so heftige Wortbezeichnungen, daß der Provinzial mit entschiedener Stimme einfiel und rief: Lesen wir wenigstens den Brief zu Ende! Dann fuhr er fort: »Die Trauung selbst war allerdings eine Scene, die uns alle mit Schrecken erfüllte. Die nächtliche Stille in dem mondbeschienenen Walde! Die Klänge der Orgel –«

Löb Seligmann konnte nicht nachfolgen. Der Himmel strafte ihn für die Schuld seiner Väter. Das Geräusch nahm zu, er hörte einen sich nähernden, leise auftretenden Fußtritt – er bekam Gesellschaft!

Unwillkürlich mußte er sich zur Erde ducken hinter einem der größern Sessel. Offenbar kam jemand, der gleichfalls die Vortheile 32 der spanischen Wände des Schlosses genießen wollte. Schon war derselbe im zweiten Zimmer und kam leise auftretend jetzt ins dritte. Es war eine Dame – die Herrin des Schlosses selbst, die Präsidentin!

Löb sah seine Ehre und seine Zukunft auf dem Spiel, wenn die hohe Gönnerin ihn hier ertappte.

Die Decken waren ihm bereits entglitten. Beinahe wäre die vornehme Frau darüber gefallen; sie legte sie murmelnd auf die Tische. Sie schien hier schon orientirt zu sein. Es war die Mutter des Domherrn – und doch so völlig ihre Weise jetzt eine andere –!

Löb kniete hinter dem Lehnstuhl und berechnete schaudernd, wie sich die Frau wundern würde, wenn sie seinen Hut – – Gott sei Dank! Sein Hut war in einem Schlosse, wo er sich so heimisch fühlen durfte, auf seinem Zimmer geblieben!

Die Präsidentin nahm, wie er selbst, an der Wand Platz und schien so vertieft in die Worte, die der Provinzial las, daß er es wagte, das geringere zu wählen zwischen den beiden Uebeln: Entdeckt zu werden oder über Leo Perl keineswegs völlig ins Reine zu kommen. Er mußte letzteres vorziehen. So kroch er auf allen Vieren in das nächste Zimmer, richtete sich dort behutsam auf, schlich in das erste Zimmer zurück und fand, wie er erwartet hatte, nunmehr an der Thür, die auf den Korridor führte, einen Drücker. Eben jetzt erst mußte derselbe von der Präsidentin aufgesetzt worden sein.

Sanft folgte die Thür dem Druck seiner Hand. Nun, sah er wohl, fehlte der praktikable Handgriff draußen!

Leise zog er die Thür wieder an sich und verschwand. Er war befreit!

Die hellste Mittagssonne schien. Sie schien so frühlingsahnungsreich, so erlösend von allen Banden des Winters und 33 des Todes, daß er glaubte von einem Traum erwacht zu sein. Zu dem, was ihm noch an Vervollständigung der merkwürdigsten Geheimnisse seines Lebens fehlte, fügte er lieber das Gefühl hinzu, im Sichern zu sein, unentdeckt auf Fährten, die ihn leicht hätten aus seiner gegenwärtigen glänzenden Laufbahn entfernen können. Schloß Neuhof wurde ihm zum »Schloß Avenel«.


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