Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. V. Buch
Karl Gutzkow

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134 11.

Die erste Begegnung mit dem damals schon dreißigjährigen Grafen Hugo fand in dessen Garnison zu Bruck an der Leitha statt. Wir schildern sie nicht, da sie sich aus allem entnehmen läßt, was wir von Terschka's persönlichen Talenten und aus den Erinnerungen der Gräfin Erdmuthe wissen.

»Das ist ja ein Jesuit!« hatte sofort bei der ersten Bekanntschaft mit diesem neuen Freunde ihres Sohnes der edlen Frau eine ahnungsvolle innere Stimme gerufen. Ein Beweis zugleich, daß Terschka damals noch die Weise des Paters Stanislaus hatte. Damals war Terschka noch höflich bis zum Unterwürfigen und zart bis zum Süßen. Er sprach selbst und hörte zugleich auf das, was neben ihm von andern gesprochen wurde. Er billigte das Gehörte zwischen seine eigene Rede hinein, wenn er diese auch inzwischen noch fortsetzte. Er vertheidigte nichts, was irgendjemand unangenehm berühren konnte. Er sprach von seiner Jugend mit einem verklärten Blick gen Himmel und folgte der Phantasie der Gräfin bis auf die Anfänge der Hussiten, bis auf die Trommel aus Ziska's Haut, bis auf den Kelch in der Fahne der Utraquisten – all diese Vielseitigkeit und Nachgiebigkeit lernt sich aus der Kunst der »Prolusion«. Geistig war er so biegsam, wie er es nun auch wieder körperlich werden mußte. Seine Reitkunst war die magische Kraft, die 135 bald den jungen Cavalerieoffizier und dessen Kameraden an den päpstlichen Rittmeister außer Diensten fesselte.

Nach einem halben Jahr empfand Terschka die vielen Bedenklichkeiten, die sich aus dieser Verbindung für seine Gelübde ergaben. Ueberhaupt welches war das Ziel, auf das er zusteuern sollte? Der Graf schloß sich ihm mit der ganzen Innigkeit an, die jungen Männern in jener Zeit eigen ist, wo hunderterlei Vorkommnisse ihrer fröhlichen Lebenslust Rath, Beistand, bald Schmeichler, bald Warner, bedürfen. Bald schon konnte Graf Hugo nichts mehr ohne Terschka unternehmen. Terschka wurde der Vertraute aller seiner Liebes-, Ehren- und Geldhändel. Terschka's Klugheit, seine im Grunde schüchterne und maßhaltende Denkweise, seine Lebenserfahrung gaben in allen Lagen die Aushülfe. Nun sich aber auch selbst freihalten von den Einflüssen eines solchen Umgangs vermochte der Genosse nicht länger. Es gab Spiel- und Trinkgelage, Abenteuer, wie sie Boccaccio geschildert hat: wie sollte sich dazu der Priester verhalten? Er bat seinen Vorstand in Rom um eine Beruhigung seines Gewissens.

Aus allem, was er erfuhr, trat ihm klar entgegen, daß ihn die oberste Ordensgewalt aller Rücksichten und Pflichten des Gewissens entband. Der Rittmeister Wenzel von Terschka sollte mit dem Grafen Hugo von Salem-Camphausen zwar nicht ganz nach den Worten Mephisto's verfahren:

Umgaukelt ihn mit süßen Traumgestalten!
Versenkt ihn in ein Meer des Wahns –!

sollte ihn nicht absichtlich in die Verderbniß locken, um dann den auf der letzten Stufe des erklommenen Tempels der Freude mit erschöpfter Kraft Niedergesunkenen als ein erobertes Opfer dem Schoos der Kirche zuzuführen (oft hatte die Kirche 136 diesen Triumph über entnervte Sünder gefeiert) – aber begleiten durfte ihn Pater Stanislaus auf Tritt und Schritt, durfte leben wie er, lieben wie er; nur die Heiligung des Mittels durch den Zweck durfte nicht fehlen. Mitten in diesem Taumel sollten die Ruhepunkte, die für den Grafen zuweilen eintraten, dann und wann für harmlose Erweckungen benutzt werden; Erweckungen, die nur gelegentlich, ganz nur wie zufällig und absichtslos einzustreuen waren. So wenigstens beschied man ihn.

Wie jedoch der menschliche Geist ist, kann er, wenn auch noch so geschult, da nie für sich gutsagen, wo ihm das zuweilen zweifelhafte Glück der ungebundenen Bewegung zu Theil wird. Terschka lebte mit dem Grafen Hugo bald nicht mehr wie der ihn Dirigirende, sondern wie der von seinem Zögling Dirigirte. Er hatte mit der Zeit vollkommen verstanden, was er sollte; er hatte Winke und Anweisungen erhalten, die sogar in zweifelhaften Fällen eher das Schlimme, als das Gute zu wählen anriethen, und so war er dem natürlichen Zuge seines beinahe gleichalterigen Freundes gefolgt, ergab sich ihm mit voller Anhänglichkeit, liebte ihn und ließ sich von ihm beherrschen, statt daß er ihn beherrschte. Die Berichte, die Terschka nach Rom einsandte, wurden unwahr. Terschka gab Zusicherungen über Richtungen des Gemüths, in welche sein Zögling verfallen wäre, die jeder Begründung entbehrten. Nun kam den Obern die Furcht, der junge Graf könnte wol gar bei solcher Stimmung in die ascetische Richtung seiner Mutter verfallen. Kannte man auch ohne Zweifel im al Gesù das deutsche Sprichwort: »Der Weg nach Rom geht über Herrnhut!« so würde doch die ganze Bemühung der Jesuiten verfehlt gewesen sein, wenn sich der Graf in die Leitung seiner Mutter begeben und deren separatistische Entschiedenheit angenommen hätte. Ein vorzüglicher Nachdruck mußte auf den Einfluß der Frauen 137 gelegt werden. Damals war im Leben des vornehmen Cavaliers ein eigenthümlicher Collisionsfall eingetreten. Jene Angiolina, die Graf Hugo bei einer Kunstreitergesellschaft in der dalmatinischen Stadt Zara gesehen hatte, war von ihm vor acht Jahren in einem gemüthlichen Zuge seines Wesens, das von plötzlichen Einfällen beherrscht wurde, ihrer Truppe abgekauft und in Pension gegeben worden. Das damals elfjährige bildschöne Mädchen hatte er dann und wann wiedergesehen, stets mit einer mächtigen Erregung seines Gefühls. Immer überraschender, immer reicher entfaltete sich die Bildung Angiolina's. Einmal gab er sie weit fort aus seiner Nähe, nur um sich nicht hinreißen zu lassen und blindlings seinem Gefühl zu folgen. Die Neigung Angiolina's für ihren Wohlthäter war nicht minder bedenklich. Auch sie floh die Bestrickung ihres Herzens, wenn im glänzenden Harnisch der schöne junge Mann vor ihr stand und sein sonst so feuriges Auge in milder Dämpfung auf sie niedersenkte. Einige Jahre währte dieser Kampf. Terschka wurde der Vertraute desselben und nahm zuletzt Partei für den Gedanken, ein so reines Bild nicht zu zerstören. Graf Hugo hegte ihn selbst und litt darunter. Oft warf er sich dem Freunde an die Brust und rief: Ich kann nicht leben ohne sie! Von Rom kam eine dunkle Weisung, die an das Wort der Schrift erinnerte, daß ein Sünder dem Himmel lieber ist, als zehn Gerechte.

Pater Stanislaus sah das Maß der künftigen Reue sich mehren, wenn Verhältnisse eintraten, die doch nicht auf die Dauer bleiben konnten. Die »Prolusio« malte es ihm aus: Endlich verläßt ein so vornehmer Herr doch seine Geliebte wieder – vielleicht wird es eine Verbindung wie die Ehe – die Gräfin Paula verlangt nicht nur ihre standesmäßige, sondern die volle, auch die sittliche Höhe ihrer Rechte als Gattin – der im stillen gedemüthigte Gatte wird schwächer und schwächer und muß zuletzt 138 der katholischen Gattin – ein Opfer bringen, eben jenes, das die Gattin und – die Kirche, wenn auch stumm, verlangen. Aqua Toffana der Jesuitenmoral! Gift aus einer nur zu vollkommenen Kenntniß unserer Natur gezogen! Die Sünde hört auf, wo das Leben des Einzelnen nur ein Theil einer großen Maschine wird, die wiederum nicht ein Einzelner dirigirt, sondern ein großes Ganzes, das Anfang, Mitte und Ende immer zugleich im Auge hat! Damit die Olive das klare, fließende Oel wird, muß nicht nur ihre saftige Hülle, auch ihr Kern zerstampft, auf der Mühle zermalmt werden; was kümmert dich die zerstörte schöne Frucht, wenn aus ihr ein Höheres hervorgeht, das der Einzelne, haftend an der flüchtigen, wenn auch schönen Erscheinung, gar nicht ahnen kann? Und es gibt eine Linie, die, trotzdem daß sie nur Einem Pole zustrebt, doch schwankend ist wie die Magnetnadel, die Grenze zwischen »Gut« und »Böse«. Ihre Uebergänge sind oft schroff, ganz deutlich unterscheiden sie sich, wie das Oel vom Wasser; aber ebenso oft auch rinnen sie in einander und das schwache Herz, der Sünde schon verfallen, glaubt immer noch unter der Herrschaft reiner und gerechtfertigter Instincte zu stehen! Shakspeare sah die Jesuiten erst entstehen. Sein Richard III., der im Stande war ein Weib am Sarge ihres ermordeten Gatten für sich zu gewinnen, hatte jenen Basiliskenblick, der erstarren macht und jede moralische Entschlußnahme tödtet – Klingsohr, der, eben von der Leiche seines Vaters kommend, in einer dunkeln Nachtstunde von einer wild tyrannischen, imponirend dämonischen, seinen Idealen vom alten Feudalgeist des Mittelalters entsprechenden Natur überredet wurde, sie zu schonen – Da gehen die schwindelnden Wege im Nachtleben des menschlichen Gemüthes, die niemand sicherer zu wandeln weiß über Dorn und Klippe, den, welchen sie führen, fest an der Hand haltend, als die Jesuiten. Wie sollst du dich dem 139 Menschen nahen? Der Orden sagt: Ut si non bene ei succedant negotia! (Wenn es ihm in seiner äußern Lage gerade schlecht geht!) Oder: Etiam optima commoditas est in ipsis vitiis! (Auch aus den Schlechtigkeiten selbst heraus entwickelt sich manchmal ein guter Anlaß zur Bekehrung!) Was hier zunächst nur vom Gewinn des Gemüths für die Gottseligkeit überhaupt gesagt worden ist, wurde es auch von jedem Gewinn für die Kirche selbst.

So lebte Terschka eine Reihe von Jahren als täglicher Begleiter, Secretär, Geschäftsführer seines von ihm geliebten Freundes, des Grafen Hugo von Salem-Camphausen. Sorglos durfte er auf alles eingehen, was zu dessen Lebensverhältnissen gehörte. Er durfte die Mutter des Grafen auf Schloß Salem und in Castellungo besuchen. Er durfte sich dem großen Erbschaftsproceß widmen, durfte im Interesse desselben reisen, durfte die Anhänglichkeit an seinen Freund ohne jeden Eigennutz zur Schau tragen. Der Orden rechnete nicht auf das fünf- oder sechsunddreißigste Lebensjahr des Grafen, er begnügte sich mit einem Schritt, den dieser vielleicht erst in seinem sechzigsten, siebzigsten that. Die Stunden kommen dann schon von selbst, wo ein alter Podagrist über die Welt, die jung bleibt, während ihm selbst die Zeit das Haar gebleicht hat, verdrießlich wettert; die Stunden, wo man an einem kalten Winterabend bei Schneegestöber im warmen Zimmer sitzt, Anekdoten aus der Vergangenheit durchspricht, die nicht mehr zünden wollen, und zuletzt sagt: O Terschka, Terschka, manchmal fange ich doch an zu moralisiren: was ist nun wol das Leben! Und dann zuckt ein solcher mit ihm altgewordener, jetzt auch weißhaariger Freund, der das Gnadenbrot des Protectors ißt, die Achseln, spricht mit seinem Lächeln von der Ruhe, die ihm denn doch zuletzt sein Glaube gewähre, und hat einen Kreis von alten Chorherren, von alten devoten Damen, wo er seine Abende behaglich zubringt und auf welche der alte Freund 140 eifersüchtig wird. Dann auch einmal das nun schon kühnere Wort hingeworfen: Wenn man denn doch einmal positive Dinge glauben will, lieber Graf, so soll man es auch ganz; lieber alles oder nichts! Und das wird zuweilen entscheidend. Daraufhin schrieb Gräfin Erdmuthe einst aus Castellungo, daß Lady Elliot sie besucht hätte und voll Verzweiflung aus Rom gekommen wäre –: vierzehn Engländer hätten zu gleicher Zeit in der Katakombe San-Calisto das Abendmahl nach katholischem Ritus genommen – eben deshalb, weil: »Will man einmal positive Dinge glauben, dann auch gleich ganz; sonst lieber nichts!«

Terschka genoß das wiener Leben, als wäre er dafür geboren und erzogen worden. Er war der Matador der Gesellschaft und war viel heiterer, als Graf Hugo, der mit den Jahren trübsinnig, nachdenklich und nur noch stoßweise von seinem alten Humor erheitert wurde. Terschka hatte seine Rolle keineswegs vergessen; aber sie schreckte ihn beinahe. Er fühlte etwas wie eine Mahnung an – ein leicht zu entdeckendes Verbrechen, an dem er betheiligt war, nicht an eine ernste und ihm werthe Pflicht. Er konnte vor einem Brief mit geistlichem Siegel erbeben. Oft war es ihm in Abendstunden, wenn er über die Straßen Wiens eilte, als wenn in den dunkeln Schatten der Häuser ihm eine verhüllte Person folgte. Die Kette seines Lebens bis zu seinen ersten Anfängen lag dann vor ihm. Gedenke deines Mals am linken Arm! rief ihm einst Nachts im Novembersturm eine Stimme an der uralten Kirche Maria zur Stiegen. Es war nur eine Gaukelei seiner erhitzten Phantasie – er kam von Angiolina, der ehemaligen Kunstreiterin, wo es glückliche, unterhaltende Abendstunden gab. Dann stürzte er wol am andern Morgen in den Beichtstuhl der Piaristen zu Maria-Treu, auf den er von Rom aus angewiesen war. Kehrte er zurück von der Josephstadt 141 ins Innere Wiens, so war es ihm oft, als müßte ihm aus einem der Fiaker, die an einsamer Stelle hielten, unterm lachenden Sonnenschein ein Unbekannter winken, ihn zum Einsteigen auffordern und ihn mit sich zurücknehmen geradeswegs nach Italien in die unterirdischen Kerker, deren es im al Gesù genug gibt. Oft auch wünschte er das Ende seines Lebens, wenn sein Gewissen zu heftig zu schlagen, seine Furcht zu heftig ihn zu erschüttern begann.

Für Terschka war der geistliche Stand nur gewesen, was Andern Schul-, Gymnasial- und Universitätsbildung überhaupt. Nur durch Sklaverei hatte er zu einer schöneren Freiheit gelangen können. Aber die Kette ließ ihn nicht. Ueberall zog er sie hinter sich her. Er zog sie mit den Jahren schwerer und schwerer, unmuthiger und unmuthiger. Durch die ihm gestattete Freiheit trat er in eine lebhafte Welt der Discussion ein. War doch das damals ein Geist der Freiheit, der Opposition gegen die Herrschaft des allmächtigen Staatskanzlers, eine Lust am Verbotenen und Versagten bis in die höchsten Kreise hinauf, ja bis in die der Unterdrücker selbst, die mit demjenigen, was sie öffentlich verfolgten, heimlich liebäugelten. Wie konnte er gegen die Mode des Tages Einspruch thun? Terschka scherzte mit den andern, lachte mit den Spöttern, vertheidigte nichts, was angegriffen wurde, denn wäre etwas festgehalten worden, so hätte es über seine wahre Lebensstellung leicht Verdacht erwecken können. Doch nicht ungestraft wandelt man unter Palmen! Man lernt die süße Luft der Freiheit liebgewinnen! Die erquickenden Schatten laden zum traulichen Hüttenbauen ein! Terschka kämpfte mit sich, ob er die Fessel, die ihn hielt, nicht einst brechen, seinem Freund und der von ihm hochverehrten ehrwürdigen Mutter desselben ganz und für immer sich offenbaren sollte.

Den Drang seiner Brust, diesen Entschluß zu ergreifen, 142 vermehrte zuletzt die Bekanntschaft der »Frau in silbernen Locken« bis zur Unwiderstehlichkeit. Die Liebe als reine, geläuterte Flamme des Herzens kannte er nicht. Er war ein Wildling gewesen, Wanderer der Heide, Gaukler, Zigeuner. Je schreckhafter er auf das zurückblickte, was er gewesen, je gewissensbanger er an seine unwiderrufbaren Gelübde dachte, desto ungestümer wuchs sein Verlangen, in allem und jedem das reinigende Feuer der Bildung auf sich wirken zu lassen und die Schlacken der Seele von sich zu werfen. Gerade Monika's religiöser Freimuth durfte ihn fesseln. Frauen von Geist und Grazie kannte er genug, allen war er werth; seine immer gleiche Weise war jeder weiblichen Natur willkommen, besonders da, wo sie vorzugsweise im Mann nur einen Ableiter ihrer Laune zu haben wünscht. Aber Monika's Geist war positiv. Sie hatte Ueberzeugungen und konnte Partei ergreifen. »Die Menschen sind so dumm, so dumm!« Mit einem Zorn konnte sie das ausrufen, daß ihre Augen Funken sprühten. Terschka hatte nur immer zu beruhigen und in die Bahn des Hergebrachten zu lenken. »Sie sind der ewige Leimer und Versöhner!« sagte sie dann. »Sie vermählen den Großtürken mit der Republik Venedig! Was wäre die Welt geworden, hätte es nicht Frauen von Gesinnung gegeben! Perikles lernte erst Reden halten von Aspasien! Die Kraft der Römer lag in ihren Gattinnen und Müttern! Die Frauen haben das Mittelalter vor dem Uebermaß der Barbarei bewahrt! An jeden großen Namen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts knüpft sich ein Weib, das für ihn kämpfte, mit ihm litt, seinen wankenden Muth befeuerte! Heute noch herrschte Napoleon, wenn er einer Frau von Geist, vielleicht der Staël, die ihn liebte – sie haßte ihn wenigstens aus Liebe – hätte vergeben können, daß sie häßlich war!« Graf Hugo sagte auf dies Wort in seiner trockenen und einfachen Art: »Das vergibt sich 143 schon, meine gnädige Frau, wenn man nur nicht eine so häßliche Frau dann auch sogleich wiederlieben soll!« Die Mutter fand den Beruf der Frauen für große Eingriffe ins Leben vollkommen bewiesen durch die Schrift. Sie pries nicht die immerhin etwas zweideutige That der Judith, wohl aber die der Deborah, die alles Volk zum Kampfe wider Sissera aufgefordert, ja jene Jaël, die dem Sissera, als er schlief, einen Nagel durch den Kopf trieb – nur hätten diese Frauen dabei Gott die Ehre gegeben, was man von den atheistischen Gönnerinnen der »Herren Rousseau und Voltaire« nicht sagen könnte. »Chère maman«, sagte Graf Hugo scherzend und voll Artigkeit den Dampf seiner Cigarre zum offen stehenden Fenster hinausblasend, »il y en a encore beaucoup de femmes, die uns den Kopf – ›vernageln‹! Mais, chère maman, – sie müssen hübsch sein!« Terschka vermittelte und kam auf Napoleon zurück, auf Josephine Beauharnais, auf die Liebe eines einfachen und rein – weiblichen Weibes – »Pah«, sagte Monika, »Josephine Beauharnais war empfindlerisch und verstand nur, sich in türkische Shawls zu drapiren!«

Hätte Terschka, den Schwur vergessend, der ihn gefangen hielt, die Liebe Monika's gewinnen können, er würde sich zu allem entschlossen haben, was zur vollständigen Erreichung seines Glücks gehört hätte. Traten Beide zur Confession der Gräfin Erdmuthe, ihrer Gönnerin, über, so war ihre Verbindung möglich. Aber Monika vermied seine Bewerbung. Sie verstand sie nicht oder sie gab sich den Schein, sie nicht zu verstehen. Sie wich den Beweisen seiner Gefälligkeit aus. Sie hatte eine eigenthümliche, namenlose Scheu vor ihm. Ja die stete Rückkehr der Gräfin auf ein gewisses, wenn auch nur angedeutetes und neulich erst vor ihrer Reise nach England offen behandeltes Kapitel fing sie zu beunruhigen an. Sie floh vor einer 144 Aufregung ihres Innern, die ihr unheimlich wurde; sie floh – der Gefahr entgegen, Armgart in die Gewalt ihres aus Amerika zurückgekehrten Gatten übergeben zu sehen. Terschka folgte. Er folgte in der Absicht, Kocher am Fall zu besuchen. Er wollte diesen vielbesprochenen, noch in räthselhafte Nebel und Schleier gehüllten Ulrich von Hülleshoven kennen lernen. Aber die Erbschaftsfrage rief ihn bald nach Witoborn. Hier lebte er jetzt seit beinahe einem halben Jahre, in dem ganzen, äußerlich mit bewunderungswürdiger Virtuosität verdeckten Zwiespalt seines zerrissenen Innern, in steter Angst vor einer ihm drohenden, wol gar ihn ganz abrufenden Mahnung aus Rom, im Kampf mit Entschließungen, die dann für sein ganzes Leben gelten mußten.

Und wie war er jetzt so nahe gerückt allen maßgebenden Momenten seiner Vergangenheit; seiner nächsten in der außerordentlichen Katholicität der Gegend – seiner entferntesten in den plötzlichen Entdeckungen, die er über den Laienbruder Hubertus machen mußte –! Er hatte eine Ahnung, daß ihm bald die mächtige Hand, der er nimmermehr glauben durfte entronnen zu sein, mit Riesenkraft nahen würde.

Er verbrachte eine schlaflose Nacht. Am folgenden Morgen begann er seine gewöhnliche Thätigkeit. Er klopfte an die Thür des Onkel Levinus, plauderte und rauchte mit ihm, ließ sich von seinen alten Zauberbüchern, an welche der Onkel nicht glaubte und die er dennoch mit hoher Andacht studirte, von seinen chemischen Präparaten erzählen, scherzte sogar über einen Homunculus, den der Onkel am Ende doch noch in der Retorte als seinen Erben und Fortpflanzer des Namens Hülleshoven hinterlassen würde; dann war er einige Stunden im Rentamt, begrüßte die Damen nach der Toilette, begegnete auch bereits im Schlosse wieder Thiebold, der gekommen war auf Anlaß des inzwischen schon auf morgen angesetzten großen Jagdfestes und 145 mancherlei über seinen Ankauf zu besprechen hatte; später begegnete er Benno, der den Nicht-Einladungen der Tante zum Trotz ab und zu doch plötzlich auf dem Schlosse erschien, da im Schreibamt des untern Geschosses Veranlassung zu Nachfragen genug auch für ihn gegeben war. Allen diesen Begegnungen zeigte Terschka seine gewohnte heitere und zuvorkommende Art und dennoch war sein Inneres in räthselhafter Unruhe.

Armgart, bleich und angegriffen, begegnete ihm wieder mit der Postmappe und ließ ihn seine Briefe selbst aussuchen. Wiederum war ein Brief von ihrer Mutter darunter. Doch war das Couvert nicht mit deren Handschrift geschrieben. Der Poststempel zeigte auf einen Ort, der nur noch wenige Meilen entfernt war. Armgart, als wenn sie die Ahnung hätte, dieser Brief, den Terschka befremdet an sich nahm und betrachtete, sollte die Ankunft der Mutter verdecken, fixirte den Empfänger. Oeffnen Sie ihn doch. sagte sie mit Bestimmtheit. Es ist doch wol nur ein Brief von meiner Mutter – nicht wahr?

Wie kommen Sie darauf? Sie sehen, die Handschrift – Und jetzt allerdings las Terschka den Brief am wenigsten.

Ich weiß alles! sagte sie und warf die Mappe auf einen Tisch, der in der Nähe stand, und eilte davon.

Terschka stand bestürzt. Ein Diener, der des Weges kam,. hob einige herausgefallene Briefe und Zeitungen auf und trug die Mappe auf Terschka's Geheiß zum Onkel Levinus.

Auf seinem Zimmer sah Terschka, daß Armgart recht hatte. Monika war in einer der nahe gelegenen kleinen Städte angekommen und deutete an, daß sie hoffte in kurzem auf Westerhof zu erscheinen. Sie machte Terschka nicht zum Vertrauten ihrer Absichten. Sie schrieb ihm nur aus Anlaß einer Einlage der Gräfin, die ihr diese mit besonderm Couvert abzusenden aufgetragen hatte. Die Sache, in welcher Gräfin Erdmuthe schrieb, war 146 unbedeutend – sie wollte Monika nur eben zwingen, mit Terschka in Verbindung zu bleiben; sie war in ihrer Art eine ebenso fanatische Proselytenmacherin, wie die Jesuiten. Monika's Begleitschreiben wich allem aus, was ihr Terschka über das nächste Geschäftliche hinaus geschrieben hatte, es war sogar förmlich.

Terschka ging im Zimmer auf und nieder. Er verbarg den Brief und sagte sich: Vergebens! Vergebens! Diese Hoffnung erfüllt sich nicht! Das war ein Traum, der nur zu deiner Phantasie gelebt hat. Dahin ziehen dich deine Sterne nicht! . . . Und jetzt mußte ihn Armgart's Wesen befremden. Er hatte ihrem Benehmen anfangs nicht viel nachgedacht. Seit einigen Tagen jedoch bildeten sich in seinem Innern seltsame Gedankenreihen. Liebt dich denn wol gar das Mädchen? sagte er sich schon seit längerer Zeit. Sie wollte von ihm reiten lernen. Er hatte damit auch begonnen und sich überzeugt, welche wilden Geister sich in ihrem Innern befanden – gebunden zwar, aber wie leicht entfesselbar! Heute war ihr Benehmen wieder zu auffallend gewesen. Es flammte und brauste deshalb in seinem Innern. So kalt die Luft ging, das Fenster mußte er aufreißen. Träume, Wahngebilde der berauschendsten Möglichkeiten umgaukelten ihn.

Da klopfte es an sein Zimmer und Benno war es, der nur flüchtig hereinschaute.

Bester Baron! sagte Benno mit dem ihm eigenen ironischen Lächeln, das vorzugsweise auch nur Terschka gegenüber seine Lippen umzog. Wissen Sie schon? Das Obertribunal hat gestattet, daß Nück's Verlangen, noch einmal die Archive von Westerhof in Ihrer und meiner Gegenwart untersuchen und nach seiner verdammten Urkunde kramen zu dürfen, genehmigt wird! Herr von Hülleshoven hat dafür den nächsten Montag bestimmt. Ist es da auch wol Ihnen genehm?

Auf sein: Mit Freuden, Herr von Asselyn! war Benno schon verschwunden.

147 Es lag in Terschka's Charakter, nicht im Zimmer zurückzubleiben,. sondern trotz der größten Aufregung seinem Besuche zu folgen und ihm die Begleitung zu geben. An die Cadenz der Höflichkeit, wie sie in der Jesuitenerziehung gelehrt wird, war er gewohnt.

Als er hinaustrat, war Benno auf einer der kleinen Lauftreppen verschwunden. Nun aber sah er am entferntesten Ende des Corridors eine seltsame Gruppe. Dort stand Armgart und reichte Thiebold de Jonge eben die Hand. Thiebold küßte diese und sie ließ es geschehen. Fast schien es, als hätte Thiebold auch einen bunten Gegenstand, den er in Händen hielt, mit Küssen bedeckt. Armgart schien sogar zu weinen. Darauf deutete ein Taschentuch in ihrer Hand. Schweigend standen beide eine Weile in sich verloren; dann raffte sich Armgart auf, winkte mit der Hand ein Lebewohl und verschwand. Thiebold sah ihr lange nach, zog jetzt gleichfalls sein Taschentuch, trocknete sich – halb die Augen, halb, trotz der Kälte wie im heißesten Sommer, die Stirn und wandte sich, ohne aufzublicken, gleichfalls einer der Lauftreppen zu, die aus dem ersten Stock ins Erdgeschoß führten.

Was ist das nur? sagte sich Terschka und schritt weiter, als müßte er Armgart anreden. Schon faßten ihn die Geister der Versuchung. Eben noch hatten ihn die wenigen Worte Benno's über die Urkunde in erschreckender Weise an den Augenblick erinnert, wo sein General damals vor ihm stand und ihm sagte: Fände sich die Urkunde, die für die Antretung der Erbschaft das Bekenntniß unserer Religion bedingt, so würde sich das ganze Verhältniß ändern, die Gräfin würde durch einen Familienpact den Grafen Hugo heirathen müssen und die Aufgabe würde für uns hinfort eine leichtere werden! Terschka combinirte: Findet sich die Urkunde, dann ruft man dich vielleicht – nach Rom zurück!

Aber dieser wie Donnerton auf ihn einbrechenden 148 Gedankenreihe konnte er nicht volles Gehör schenken, die Mittelstufen derselben wankten, Seligkeit und Qual rangen wie im Titanenkampf. Es zog ihn vorwärts und vorwärts. Was sollte dieser Abschied Armgart's von dem jungen Thiebold? Warum nur stand vor Thiebold der liebliche Engel so seltsam bewegt? Wie verklärt waren diese Augen! Wie ganz dem Bild ihrer Mutter gleichend! Sie aber noch die wirkliche Jugend, das wirklich blühende Leben – kein Silberschnee des Haars, der die Jugend Lügen strafte –! Und Terschka's Abenteurernatur entfesselte sich. Losgebunden regte sich die Seele des Emporkömmlings, der sich an alles hält, was ihn erheben und fortreißen kann. Eine der Krallen des apokalyptischen Thieres nach der andern, der »Probabilismus« und die siebenköpfige jesuitische Moral des: »Besser ist besser!« packten ihn in furchtbarster Gewalt. Taumelnd folgte er. Er kam an das Ende des Ganges, das, da das Schloß im Geviert gebaut war, hier zugleich den Anfang eines im rechten Winkel sich einsetzenden neuen bildete. Hier sah er, daß Armgart ein in den Hof gehendes Fenster geöffnet hatte und hinunterwinkte.

Dem ihm zunächstliegenden Fenster sein Auge zuwendend, sah er nun auch, daß es Benno war, den sie mit schwacher. erstickter Stimme anrief. Benno unten verstand sie nicht sofort. Nun winkte sie ihm heraufzukommen. Benno eilte auf der ersten der kleinen Treppen, die in den Hof gingen, herauf. Terschka zog sich zurück. Offenbar, sagte er sich, hat sie mit de Jonge eine Scene gehabt, die sie mit Asselyn wiederholen will!

Schon war Benno oben, schon hatte er dessen zwar leicht, aber ohne Zweifel tieferbebend an Armgart dargebrachten Morgengruß vernommen. Armgart erwiderte nichts. Terschka hörte nur das Klappen einer Thür.

Er trat jetzt wieder vor. Armgart und Benno waren verschwunden.

149 Das Zimmer, in das sie hatte gehen müssen, kannte er. Es war dasselbe, wo Bonaventura neulich seine Mutter wiedergesehen. Nichts hielt ihn, am wenigsten die Moral seiner Bildung und Erziehung, von dem Versuch ab, das Gespräch Benno's und Armgart's zu belauschen.

Die Schlüssel der Zimmer standen ihm zu Gebote. Mit wenig Sprüngen war er beim Onkel Levinus, schützte das Interesse an einem alten Stammbaum vor, der in einem großen Speisesaal hing, nahm die Schlüssel von der Wand, schloß etwa fünf bis sechs Thüren von derjenigen, hinter welcher jenes Gespräch stattfand, entfernt einen Saal auf, schloß wieder hinter sich zu und ging vorsichtig und langsam durch die entweder offenstehenden oder nur leise aufzuklinkenden Verbindungsthüren hindurch bis zu dem Nebenzimmer jenes Fremdenstübchens.

Dort trennte ihn von dem Gespräch nur eine Thür, an die er sein Ohr legte. Es war kalt und schauerlich still in allen diesen alterthümlichen Räumen, von denen einige mit großer Pracht ausgestattet waren. Ihn kümmerte nichts. Er horchte.


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