Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. V. Buch
Karl Gutzkow

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Elftes Bändchen.

3 13.

Noch in nämlicher Nacht schlug das Wetter um. Zum Schnee gesellte sich Regen. Somit begann die Jagd bereits ganz mit Bestätigung jener trüben Ahnungen, die Tante Benigna schon um die Nachtruhe gebracht hatten; am Tage zuvor sah Paula eine Feuersbrunst und zusammenstürzende Gebäude, die sie nicht zu nennen vermochte.

Schon war heute in aller Frühe Terschka aufgebrochen und hatte, um nach Schloß Münnichhof zu kommen, wo sich die Mehrzahl der Mitglieder des großen Jagdfestes versammeln wollte, einen Umweg über Kloster Himmelpfort gemacht. Noch am Abend hatte er gestern Armgart nach dem Stift Heiligenkreuz zurückbegleitet, war spät wiedergekommen und beim Thee nicht mehr erschienen. Bonaventura hatte sich bereits entfernt, unmittelbar nach der Vision. Mit leicht erklärlicher Aufregung hatte er Paula befragt, welches Gebäude sie brennen sähe, doch keine Antwort von ihr erhalten. Ja er magnetisirte sie, um ihr Auge zu schärfen. Sie verfiel dadurch nur in einen sanften Schlummer, aus dem sie niemand mehr aufwecken mochte.

Onkel Levinus gehörte einer Familie an, die in den frühern geistlichen Zeiten die Landesoberjägermeister der Fürstbischöfe von Witoborn stellte. In jagdgemäßen Traditionen war er 4 aufgewachsen. Von dem Ideal eines Nimrod stand er jedoch so weit entfernt, daß Tante Benigna vollkommen Recht hatte zu befürchten, man könnte statt der erlegten Hirsche und Rehe auch allenfalls ihn selbst, den weiland Candidaten des Erblandoberjägermeisteramts, auf dem Beutewagen nach Hause bringen. Wie sie ihm die Pelzkappe darreichte, den Fußsack seinem Leibschützen Soetbeer auf die Seele band, ja diesem sogar zuflüsterte, wenn der Baron einen feuchten oder zu lang andauernden Stand im Walde bekäme, den Fußsack bei der Hand zu behalten; wie sie das Lederfutter untersuchte, worin die prachtvoll damascirte Doppelflinte geborgen lag, da hätte nur die – frühere Armgart gefehlt, um diesen Abschied aus dem Tragischen ins Komische zu übersetzen.

Onkel Levinus bewegte sich in seinem Jagdcostüme, wozu sich noch die Wildschur gesellte, wie zur Weihnachtszeit der »Pelzmärtel«. Aus Bär und Zobel konnte man ihn kaum herausfinden. Das Gesicht war erkennbar nur an zwei Brillengläsern, ohne die er heute keinen Rehbock treffen zu können behauptete. Bei seinen Fabrikationen von Berliner Blau, Stärkemehl, Pottasche, künstlichen Düngererden hatte er nie die Brille nöthig; nur auf die Jagd nahm er sie mit, um den Spott, der ihn als Abkommen so vieler fürstbischöflicher Erblandoberjägermeister heute wieder unfehlbar treffen würde, durch ein »kurzes Gesicht« zu mildern. Und dann war Graf Münnich als ein »schußneidischer« Cavalier in der Gegend bekannt. Der ist eifersüchtig auf jeden Schuß, der nicht aus seiner Büchse kommt! sagte der Onkel in einem Ton, als würden heute durch seine Kugel mindestens ein Dutzend Rehe fallen.

Eine Jagd in einem Walde, der im Frühjahr nicht mehr sein wird! seufzte beim Abschied Paula.

Ja, alles wird weggeschossen, was Haar oder Federn hat! renommirte der Onkel.

5 Bitte, bitte, Baron! fiel die Tante ärgerlich über einen so gefährlichen und herausfordernden und noch dazu, sie wußt' es ja, affectirten Ton ein. Bitte, sehen Sie nur zu, daß man Ihre Pelzmütze schont!

Die Tante ließ es noch zweifelhaft, ob auch sie zu den Transparentbildern Püttmeyer's, die Nachmittags den Damen der vornehmen Jäger gezeigt werden sollten, kommen würde. Sie wußte, nachher gab es ein stattliches Jagdbanket, und die Trauer Paula's gestattete weder ihr, noch Paula, sich in solchem Grade in die Zerstreuungen des Weltlebens zu mischen. Von Armgart, sagte sie, ließe sich erwarten, daß sie mit den Stiftsdamen auf Schloß Münnichhof zu Püttmeyer's Triumphen kommen würde; diese hätten drei Equipagen aus Witoborn bestellt. Zwei Stiftsdamen, Fräulein von Merwig und Fräulein von Absam, gehörten sogar zu den Jägerinnen und waren berühmt durch ihren Muth und ihre Fehlschüsse.

Mit der Versicherung, daß man sich verlassen könnte, er würde sich weder zu lange an dem Banket, noch an dem selbst in dieser frommen Sphäre nach den Jagdpartieen üblichen hohen Spiel betheiligen, entzog sich der Onkel endlich dem beklommenen Abschied. Das leichte, trotz des Schneeregens offene und freie Jagdwägelchen rollte von dannen.

Unterwegs pfiff der Wind nicht wenig. Die Brillengläser des kühnen Jägers beschlugen; oft verlor er den Athem beim Umsetzen des Windes, wenn der Leibschütz und der Kutscher, die vor ihm saßen, als Windfang nicht mehr dienen konnten. Dennoch wurde er nicht müde, Jagdanekdoten theils selbst zu erzählen, theils sich erzählen zu lassen, Anekdoten, die bis in die glänzendsten Zeiten seiner Familie hinausreichten und keineswegs dem Ausspruch: Ecclesia sanguinem abhorret! entsprachen; denn immer handelte sich's um eine Heldenthat, wo »Se. 6 fürstbischöflichen Gnaden dazumalen entweder selbsten die Sau abgefangen« oder sich von einem sichern Standorte aus Flinte auf Flinte, bereits geladen, hatten darreichen lassen und die herbeigetriebenen Rehe und Hirsche zum »Plaisir Serenissimi zusammengemördert« hatten.

Gegen zehn Uhr war man auf Münnichhof. Auf diesem stattlichen Herrensitze, der noch mit Zugbrücken und einer Anzahl Lünetten für noch vorhandene alte eiserne Böller, mit Wällen und in einem großen ringsumgehenden Arm der Witobach mit vorgeschobenen Eisbrechern oder sogenannten Dücs d'Alba ausgestattet war und im Innern des Hofs in die Blüte und Herrlichkeit des siebzehnten Jahrhunderts versetzte, fand man den größten Theil der Gesellschaft wieder, die neulich dem Freiherrn von Wittekind die letzte Ehre gegeben hatte. Bereits war der Hof belebt von dem Jagdzeug des Grafen, das mit den Contingenten der benachbarten Herrschaften, vorzugsweise dem großen Jagdpersonal der Dorstes vermehrt worden war. Da standen die Wagen für die Jagdtheilnehmer und für die gemachte Beute. Treiber und Jagdbursche hielten die Schweißhunde an der Leine und mancher von letztern trug noch am Halse die »Korallen«, einen Stachelring, nach dessen Abnahme man voraussetzen konnte, das gereizte Thier würde um so gieriger an seine wilde Arbeit gehen. Der musikalische Theil der Jagd war durch einige horngeschickte Jäger, namentlich durch die in Jagdcostüme gekleideten Trompeter der Husarengarnison von Witoborn vertreten; ja sogar ein Bajazzo fehlte nicht – der bucklige Stammer hatte sich vom gräflich Dorste'schen Oberförster ein Costüm erbettelt und blies aus Leibeskräften mit den übrigen. In seiner grünen Mütze mit einer Feder sah er aus wie ein Heusprengsel und die Gräfin von Münnich, eine fromme Dame, die ohne eine kirchliche Buße nicht ins Theater ging, mußte im 7 Kreise ihres Besuchs wider Willen über ihn lachen, als sie auf einen Balcon hinaustrat, der in den Hof ging, angelockt von einem Hornsolo, das jedoch des Guten zu viel that und zuletzt in Dissonanzen übersprang.

Zur Blüte des Adels, zu jungen und alten im Bann der hiesigen Anschauungen lebenden Cavalieren, auch Offizieren der benachbarten Garnisonen, hatte sich schon jetzt eine nicht geringe Anzahl Frauen gesellt. Amazonenhaft traten nur einige auf. Mit Spannung erwartete man vorzugsweise die Damen aus dem Stift – Ohne Zweifel blieben die Fräulein von Merwig und von Absam schon auf dem für den Beginn der Jagd abgesteckten Standort zurück, an welchem sie vorüberfahren mußten und wo sich alle diejenigen einfinden wollten, die über Münnichhof einen Umweg gemacht haben würden. Terschka war nicht zu sehen. Jeder fragte nach ihm. Fest stand, daß ihn seine Ritterlichkeit heute wieder zur Hauptperson des Tages machen würde. In der That schon mit »Schußneid« sagte das Graf Münnich, ein schlanker, von Kopf bis zu Fuß jagdgemäß gerüsteter Herr, dessen Aufregung unter den zwanzig bis dreißig Cavalieren die lebhafteste war. Benno und Thiebold sollten gleichfalls kommen. Letzterer schon als baldiger Herr des heute zum letzten mal vom Jagdruf widerhallenden Waldes. Der auch an ihn ergangenen Einladung hatte er um so weniger widerstehen können, als er nach den gestrigen schmerzlichen Erfahrungen für Benno's ihn »jetzt ängstigenden« Trübsinn und den minder gefährlichen eigenen die erheiternde Wirkung eines solchen Vergnügens geltend machte, auch »nicht leugnen« konnte, daß ihm ein vom jungen Tübbicke in Witoborn schleunigst nach dem Modejournal angefertigtes Jagdcostüm nicht übel stehen müßte.

In dem großen Ahnensaal, in welchem neben den bis weit über den Westfälischen Friedensschluß hinausreichenden 8 Familienporträts die wunderbarsten Hirschgeweihe hingen, solche sogar, die mit Baumästen verwachsen waren, nahm man ein Frühstück ein. Unfehlbar wäre man dann, da die, welche noch fehlten, auf dem gewählten Schießstande im Warten ungeduldig werden konnten, aufgebrochen, wenn sich nicht auf eine eigenthümliche Art durch das Eintreten einer Persönlichkeit, deren Erscheinen niemand hier erwartete, die Scene geändert hätte.

Ein magerer Herr in mittlerer Statur, in der sogenannten Armeeuniform, die Brust mit Orden bedeckt, trat ein. Hinter ihm folgte ein Jäger, der, wie alle Leibschützen, die Flinte seiner Herrschaft trug. Der Landrath! ging es mit einstimmigem Murmeln durch die Reihen der aus ihren schon wieder angezogenen Pelzröcken und Ueberwürfen kaum erkennbaren Physiognomieen.

Niemand war bestürzter, als der Wirth, Graf Münnich selbst. Was ist das? rief er erstaunt und allen hörbar. Bald stellte sich heraus, daß den Landrath von Enckefuß niemand eingeladen hatte. Noch mehr. Der feierliche Aufzug des in dieser Sphäre lange schon durch die Zeitereignisse Proscribirten hatte etwas Beängstigendes. Daß sich dieser weiland »schöne Mann«, ein alter Cavallerieoffizier, mit der größten Beflissenheit seinen Bart, sein Haar gefärbt, ja sogar die Runzeln seines fast fleischlosen und nur noch aus Haut und Knochen bestehenden Kopfes hinweggemalt hatte, überraschte niemanden. Auch heute hatte er seine allbekannte Toilette, dieselbe Chevalerie mit den Damen, dasselbe stramme Auftreten mit den hohen Stulpstiefeln, dieselben Scherze, die man an ihm gewohnt war. Aber in so seltsamer Uebertreibung kam an ihm alles zum Vorschein, daß man annehmen mußte, entweder hatte er bereits seinem vormittägigen Lieblingsgetränk, dem Curação, stark zugesprochen oder er befand sich in allem Ernst im Zustand geistiger Unzurechnungsfähigkeit.

Sofort bildete sich ein Phalanx gegen den Vertreter der 9 Regierung, gegen den Mann, der einen Bruder des Kirchenfürsten im Duell erschossen hatte, gegen den Freund des Kronsyndikus, den Vater des Assessors, des jetzigen Raths von Enckefuß; wiederum sah man die große Kluft des Vaterlandes und immer peinlicher wurde die Verlegenheit für den Jagdherrn. Allgemein stellte man ihm in ergrimmter Aufregung die Zumuthung, er sollte den unberufenen Eindringling bedeuten, daß sein Eintreffen auf Schloß Münnichhof ein Misverständniß wäre. Sogar die Gräfin besaß den Muth, die Bedenklichkeiten ihres inzwischen zaghafter gewordenen Gatten zu überwinden und mit der Würde ihrer äußern Erscheinung, in dem Hochgefühl ihres Zusammenhangs mit dem Träger der dreifachen Krone, den Landrath auf ein »Misverständniß« aufmerksam zu machen; sie wollte sagen, daß sie sich ein Gewissen daraus gemacht haben würde, den Herrn von Enckefuß »mit Elementen« zusammenzuführen, »die ihm nur unangenehm sein müßten«.

Jetzt aber erfuhr sie durch die Dienerschaft, Herr von Enckefuß wäre durch die Nichteinladung zu einer Jagd, an welcher jeder Adelige der Gegend theilnähme, in einem Grade beleidigt worden, daß man ihn seiner für nicht mehr mächtig halten könnte. Stündlich hätte er die Einladung zur Jagd abgewartet, hätte sein Schießzeug hervorgesucht, es selbst geputzt, seinen Hund angeredet: Sie danken dich ab, Caro! Sie werfen dir einen Knochen vor, Caro! Sie setzen dich außer Brot, Caro! Dann wäre seine Ungeduld gestiegen, immer hätte er gefragt: Keine Einladung vom Grafen? Keine von Baron Levinus? Keine von Herrn von Terschka? Seit gestern hätte er dann eine Miene angenommen, als wäre die Einladung wirklich erfolgt. Nun hätte er seinem Bedienten befohlen, sich als Jäger zu kleiden. Auf die Einrede, er irre sich, die Einladung fehle, hätten die heftigsten Zornausbrüche geantwortet, sodaß man zuletzt 10 vorgezogen, zu schweigen und sich in alles zu fügen. In diesem Zustand erschien er und scheinbar nicht im mindesten empfindlich. Er sprach leutselig mit allen, wie wenn sie seine besten Freunde und Bekannte wären. Ein ängstlicher Waffenstillstand zwischen zwei feindlichen Lagern –!

Hinein in die Unentschlossenheit, was nun zu beginnen wäre, in den unheimlichen Eindruck des so außerordentlich sichern, ja fröhlichen Benehmens des Landraths ertönten die Signale des Aufbruchs, die Rüden schlugen an, johlten und heulten vor Jagdungeduld, die Jäger klatschten mit den Peitschen und noch ehe man den Landrath entfernt hatte, kam der Zug in Bewegung. Auch jetzt folgte Enckefuß wohlgemuth und setzte sich auf einen der Wagen, gerade wie wenn er dazu gehörte. Da sein Diener nicht jagdkundig war, blieb dieser zurück. Dafür schloß sich dem Landrath ohne weitere Weisung einer der jedem Jagdtheilnehmer zum Beistand beorderten Jäger an.

Die Fahrt dauerte nicht allzu lange. Bald gelangte man in den von hohen Tannen und Buchen bestandenen Wald. Es war die letzte große Jagd in einem Walde, der hundert Jahre bedurfte, um das wieder zu werden, was er war. An einer Eichenschonung stand unter zwanzig Männern, die hier schon zu Fuß und zu Wagen harrten, nur einer, der sich das in stillem Träumen sagte und, rings um sich blickend, es wehmüthig genug nachfühlte. Wie selten liegt ein feiner Sinn in den Auffassungen der Menschen! Wie gehen sie ruhig an Thatsachen vorüber, an denen ein anderer mit Schmerz verweilt –!

Benno war es, dessen schlanke Gestalt durch einen einfachen kurzen grauen Militärmantel mit rothem Kragen, einen Mantel, den er fest an den Hüften zusammengeschnürt über seiner gewöhnlichen Kleidung trug, gefällig gehoben wurde; ein schwarzer bürgerlicher Hut bedeckte sein blasses, leidendes Antlitz. Trotz seiner 11 schwermüthigen Stimmung aber mußte er lächeln – über Thiebold, der in einiger Entfernung einen Kreis um sich hatte, dem er bereits wieder in bester Laune seine amerikanischen Abenteuer und seinen berühmten Sturz in den St.-Moritz erzählte.

Für Benno's Jugendträume gaukelten hier die kleinen Elfen des Waldes daher dahin. Noch einmal hielten sie unsichtbar ihren letzten Reigen unter den grünen Tannen, schwangen sich zum letzten mal auf den Nacken des Wildes, um ihm einen Weg durch das Dickicht zu bahnen vor seinen Verfolgern; zum letzten mal waren die kleinen Seen, die sich hier und dort im Walde fanden und zu denen im Mondlicht sonst die Hirschkühe ihre Kleinen zur Tränke führten, von den Schatten hoher Bäume bekränzt. Bald sollten diese Lichtungen, die sich unter der schmelzenden Schneedecke so geheimnißvoll und traulich im Holze öffneten, dem Winde preisgegeben sein, der über die zurückgelassenen todten Stumpfe der verkauften Stämme fegte. In einem von einem leichtsinnigen Verschwender schon vor der Zeit gelichteten Walde glaubt man ohnehin oft Banket gehalten zu sehen von Junkern und geputzten Damen bei musicirenden Eichhörnchen und brummenden Borkenkäfern und taktschlagenden Spechten in den Zweigen. Hier, wo der Wald zu Eisenbahnschwellen benutzt werden sollte, brauste einst die Locomotive dahin und schnaubte und pfiff so teufels- und aufklärungsgemäß, wie nicht blos Norbert Müllenhoff neulich gesagt hatte, sondern selbst Onkel Levinus selbst wiederholte, der, je besorgter er allmählich wurde, desto mehr zu sprechen anfing. Benno war von ihm aufs freundlichste begrüßt worden.

Levinus plauderte schon deshalb soviel, um sich dem Jagdhumor zu entziehen, der sich auf der Herfahrt von Schloß Münnichhof und hier bei dem Halloh der ersten Begrüßung auf seine Kosten zu entwickeln anfing. Man fragte ihn, welche Nummer seine Brille hätte, wie viel Wild er heute würde am Leben 12 lassen, ob er es unter einem Sechzehnender thun würde und so fort in jenem jagdüblichen Schrauben, das bei allen schon im vollen Gange war.

Ich kenne eure Pfiffe! rief Onkel Levinus. Ihr wollt uns nur sicher machen durch eure schlechten Witze! So wild werd' ich darum doch noch nicht, daß ich vor Zorn mich mit dem ersten besten Stand begnüge, der mir angewiesen wird! Das ist so eine Ihrer bekannten Finten, Graf Münnich, uns im Spaß alles übersehen zu lassen! Wir Landesoberjägermeister kennen das!

Man befand sich auf einer mitten im Walde liegenden Fläche, die auf einige hundert Schritte weit von Knieholz unterbrochen wurde und sich zur Aufstellung einer doppelten Schützenreihe, auf jeder Seite zwanzig, hinter Busch und Baum, vortrefflich eignete. Eine Freifrau von Stein, die schon vom Schloß mitgekommen war, ließ sich in einem Tragsessel von zwei Bauernburschen ins Holz tragen; eine schon bejahrtere Frau von Böckel-Dollspring-Sandvoß watete selbst durch den Schnee mit Wasserstiefeln, die ihr bis an die Kniee gingen. Die Wagen waren inzwischen nicht weit vom Eingang in den Forst zurückgeblieben.

In der Ferne und immer näher kommend hörte man schon ein Rasseln und Schlagen in den Büschen und der Oberförster versicherte, es wäre die höchste Zeit, die Posten einzunehmen. Noch war keine rechte Einigkeit da, denn Terschka fehlte. Alle spähten nach ihm; nicht blos Onkel Levinus, nicht blos Benno und Thiebold, welche hinter zwei mächtigen Erlenbäumen, die, gabelförmig aus der Erde gewachsen, zusammenstanden, Platz genommen hatten. Terschka's Jagdkunst schien allen bestimmt, den Preis zu gewinnen.

Da er ausblieb, wollte man nun doch beginnen. Der Onkel aber bedeutete die Signalisten und rief: Diese Eile ist wieder nur eine eurer verdammten Finten! Statt mit Vorsicht und 13 Bedacht die Plätze anzuordnen, wird nun alles mit Hast übers Knie gebrochen! Schweigt! Schweigt! sag' ich. Die verdammten Intriguanten haben alles abgekartet.

Endlich hörte man nur noch Ein Signal blasen; es kam aber aus der Ferne. Das wird Terschka sein! hieß es. Terschka kam in der That auf einer Jagdchaise dahergebraust und schon eine Strecke vor ihm – allgemeiner Jubel! – zogen im erweichenden Schnee drei Wagen voll heiligenkreuzer Stiftsdamen, die Terschka eben einholen wollte. Das war ein Grüßen jetzt und Rufen und Lachen und Spotten. Aus dem Gewirr der Regenschirme und Pelze und Schleier entwickelten sich zwei Jägerinnen, Fräulein von Merwig und Fräulein von Absam. Und nun plötzlich ertönte noch eine Salve von Bravis und schallendem Händeklatschen. Noch eine dritte Amazone sprang vom Wagen. Es war Armgart von Hülleshoven.

Thiebold und Benno trauten ihren Augen nicht. Sie riefen zum Erstaunen des Onkels diesem Armgart's Namen hinüber und jetzt nicht im mindesten zu seinem Schrecken. Levinus dachte nur an sich selbst. Seine Stimmung wurde immer wilder und (vor Furcht) kühner: er lobte Armgart und verdammte alle Stubenhocker.

Benno und Thiebold betrachteten sich mit stockendem Herzblut. Es war Armgart! Armgart, die trotz ihrer gestrigen Thränen aus dem einen der drei großen offenen Omnibus, der mit den übrigen Stiftsdamen zum Schloß Münnichhof fuhr, heraussprang und von Terschka's Armen aufgefangen wurde. Sie trug einen blauen engen, gefütterten Tuchrock über einem grauseidenen Kleide, einen grauen runden Hut mit wallendem blauen Schleier, dunkle Handschuhe und einen carrirten blaugrünrothen Plaid rings um ihre Schultern geworfen. Ihr Antlitz war geisterblaß. Ihr Ausdruck, ihr Lächeln ließ ihre zwei weißen Zähnchen blinken, wie immer, wenn sie träumerisch abwesend war. Sie grüßte niemanden, blinzelte nur zu den weißen Erlen hinüber, wo Benno 14 und Thiebold standen, und ging dorthin, wohin sie Terschka stellte, willig wie ein Opferlamm. Ihr ganzes Wesen war gebunden, ihr Wille, des Menschen edelste Kraft, lag vor dem Altar der Gottesmutter – Die katholische Macht des »Gelübdes« –!

Der Onkel rief ihr ein Willkommen zu und allerdings sprach er noch drohend: Na ja! Ich dachte mir doch gleich so etwas! Das wird schön werden – mit der Tante! Jetzt nur Vorsicht! Vorsicht, Herzenskind!

Benno sagte voll Grimm und Verzweiflung zu Thiebold: Das wird heute eine förmliche Erklärung! Eine öffentliche Vorstellung vor der Gesellschaft! Sehen Sie nur, wie alles flüstert!

Auch Thiebold »war im Begriff, außer sich zu gerathen«; aber hinter jedem der Jagdtheilnehmer stand ein Jäger und bediente das Schießzeug – man mußte vorsichtig sein und that besser, zu schweigen.

Pancraz! rief aber auch Terschka wild auf und ein Jägerbursche, in der dorstischen grüngelben Livree, sprang hinzu und bot Armgart die Flinte, offenbar schon im Einverständniß und nach gestern Abend mit ihr getroffener Verabredung. Sie nahm sie, wie wenn ihre Hand ein Todesloos aus der Urne zog.

Trara! Trara! Trara! begann es jetzt überall und Halloh! Halloh! An die Plätze! Nun lief alles und stellte sich erwartungsvoll. Der mittlere Plan war leer. Zwei Jägerreihen zogen sich vierhundert Schritt entlang. Am äußersten Ende stand der immer laut perorirende Landrath. Ein Rascheln, ein Knacken hörte man jetzt. Siehe da! Fünf Hirsche brachen aus der rechten Flanke des Quarrés, das die Gesellschaft bildete. Die Hunde, die noch an der Leine gehalten wurden, winselten. Noch standen die Thiere Keinem schußrecht.

Da plötzlich ruft eine Stimme – es war die des Grafen –: Tire haut!

15 Tire haut? Alles lachte. Der Lärm der Treiber hatte die gefiederten Bewohner der Baumkronen in Aufregung gebracht; aber der Onkel hatte ganz Recht, als er heftig lospolterte: Was sind das für Sachen! Dieser verdammte Münnich! Nur die Aufmerksamkeit will er vom laufenden Wild ablenken durch die Vögel, die heute gar nicht in Betracht kommen! Es sind nur Flederwische da oben!

Doch über ihn her fiel Schnee von einem abstiebenden Auerhahn.

Pancraz sagte: Herr Baron! Oben »steht Alles ein«!

Während Armgart über den technischen Ausdruck von »einstehendem« Geflügel vom Onkel eine Belehrung zugeflüstert bekam, erscholl es Piff! Paff! Von allen Seiten. Vier Hirsche lagen; der fünfte war durchgebrochen.

Aber auch der Auerhahn stürzte herab. Diesen hatte Terschka geschossen. Darüber gab es Verwirrung genug. Man hatte die Hunde losgelassen. Verwundet war das fünfte Thier entflohen. Auf dem Schnee sah man die Schweißspuren. Einige hundert Schritt von der andern Flanke der Pläne, die man bestand, stutzte der Hirsch, machte, von den Treibern der andern Seite empfangen, Halt und wandte sich zurück. Nun stellte ihn die Meute und der Zunächststehende war berufen, das Thier zu schießen. Es waren gerade Benno und Thiebold. Thiebold, »vorwitzig, wie auch nur ich sein kann«, schoß – schoß fehl. Jetzt legte Benno an – wollte losdrücken. Paff! Im Nu schon sank das Thier, von einer Kugel getroffen, die vom äußersten Ende der Jagdreihe kam. Der Landrath hatte geschossen. Aus einer Entfernung, wo ihm zum Schuß jede Berechtigung fehlte.

Darüber gab es denn einen gewaltigen Lärm. Diese Anmaßung war gegen alle Regel. Die Kugel hätte fehltreffen, jemanden verwunden, tödten können. Zornig schrie man durcheinander. Dem Onkel wurde es wirr zu Muthe. Das fortgesetzte 16 Knallen der Büchsen – an andern Orten brach neues Wild durch – die Nähe der Schießstände, das Pfeifen der Kugeln, Armgart's ihm jetzt »tollkühn« erscheinende Anwesenheit, alles mahnte zu Vorsicht und in leibhafter Gestalt sah er Tante Benigna neben sich, die mit den ängstlichsten Warnungen ihn beschwor, sich um aller Heiligen willen in keine Gefahr zu begeben. Jetzt auch bemerkte er die geheimen Instructionen, die sein Leibschütz Soetbeer mitbekommen. Hätte Soetbeer vor dem jetzigen Durcheinander etwas vom »Fußsack« merken lassen, so würde der Onkel es ihm schön gegeben haben; nun, in dem Geknatter und in dem Pulverdampf, ließ er alles zu seinem Besten geschehen.

Ein Rehbock kam mit zwei Riekchen und ging dicht an ihm vorüber. Der Rehbock kam erstaunt und nicht einmal besonders geängstigt »dahergestapelt«, wie Fräulein von Merwig rief – die Familie des Fräuleins hing nach des Onkels Ansicht unfehlbar mit dem Geschlecht der alten Merovinger zusammen – der Bock schien zu wissen, daß wenigstens die beiden Rieken, die ihn begleiteten, vor dem Schusse sonst sicher sind, da man Weibchen nicht schießt; es galt hier aber einen Vertilgungskampf. Unter dem Beileid der kunstgerechten Jäger brachen auch diese zarten Thierchen zusammen und mit so vielen Kugeln, daß sich darüber neuer Streit erhob.

Armgart war schon in fieberhafter Erregung angekommen, jetzt stand sie vollends zitternd und hielt sich an – Terschka, der nach dem Meisterschuß auf den Auerhahn nicht mehr schoß und nur links und rechts spähte, vorzugsweise hinüberschielend auf Benno und Thiebold. Benno gehörte plötzlich zu den wildesten Jägern. Jede Ladung suchte er so schnell wie möglich los zu werden. Thiebold bat ihn wiederholt, sich zu mäßigen – nach seinem Fehlschuß hatte er die Courage verloren; Armgart käme ihm vor, sagte er, als wollte sie das Ziel aller Kugeln sein. Und doch schien sie ein überirdischer Geist, den keine Kugel treffen konnte.

17 Inzwischen fuhr der Landrath fort, eine Unvorsichtigkeit nach der andern zu begehen. Eine seiner Kugeln ging dicht am Handgelenk der Frau von Böckel-Dollspring-Sandvoß vorüber. Die Fräulein aus dem Stifte, ohnehin gegen ihn tendenzgereizt, sprachen über den »tollen Mann« in Ausdrücken, die keineswegs verriethen, daß auch sie zu den Dichterinnen im Stifte gehörten. Auf der Jagd, in der Hitze des erregten Blutes, wählt man die Ausdrücke nicht und so hörte der Landrath eine Beleidigung nach der andern.

Seltsam jedoch, er brach auf alles, was ihm von nahe und von fern zugerufen wurde, in Gelächter aus. Man würde ihn fortgewiesen haben, wenn nicht jetzt auf ein gegebenes Signal der Stand geändert worden wäre, um mehr ostwärts zu ziehen. Dem Oberförster kam des Wildes zu wenig. Er schrieb's auf Rechnung des Windes. Nun trat alles aus den Büschen hervor und zog weiter.

Onkel Levinus aber war entschieden dafür, daß man erst den Mann entfernte, »durch den hier heute noch ein Unglück entstehen würde«. Alle die, welche schlecht geschossen hatten, unterstützten seine Meinung. Meine Damen! rief der Landrath im Dahinwaten über die Pläne, wo inzwischen schon das gefallene Wild von dem dazu bestimmten Jagdpersonal schnell ausgeweidet wurde. Amor schießt blind, immer blind und trifft doch! Haha! Hier soll man bei offenen Augen die Kugel im Lauf behalten? Korn und Visir! Ein Blinzeln nur von so schönen Damenaugen und gleich gehöre ich zu den lumpigsten »Schneidern«, die's nur geben kann – Meck! Meck! Meck! Meck!

Die Amazonen, selbst die hinter Terschka einherschleichende und Benno und Thiebold wie ihr Gewissen vermeidende Armgart nicht ausgenommen, waren Kennerinnen der Jagd genug, um zu wissen, daß dies Meck! Meck! von ihm spottweise gerufen 18 wurde, weil schlechte Schützen »Schneider« genannt werden. Fräulein von Merwig hatte den beständigen Beinamen des »Fräulein von Anflicker«, den sie von ihrer Leidenschaft für die Jagd und ihrer geringen Trefffähigkeit für immer zu behalten fürchten mußte. Doch schon aus dem Aerger, den sie über diesen Spottnamen empfand, konnte man sich denken, wie verletzend es wirkte, daß der Landrath allen Jagdgenossen unausgesetzt nun sein höhnisches Meck! Meck! nachrief.

Die gutmüthigsten Naturen können auf der Jagd, besonders wenn die Füße kalt werden und lieber die Hände in den Pelzhandschuhen stäken, als harrend am kalten Lauf der Flinte, einen determinirten Auflug von Malice bekommen. Jetzt riefen sogar schon die früher schweigsamen Stimmen: Ungebetene Gäste wirft man zur Thür hinaus. Andere: Werft das Gescheite (das Eingeweide) in den Busch für die Füchse! Andere wandten sich zu den Damen: Meine Damen, Sie sprechen von »Amor«? Wir haben allerdings einen blinden Passagier unter uns!

Graf Münnich wollte keinen Eclat und bot alles auf, den Frieden zu erhalten. Darüber kam man an den neuen Stand, den der Oberförster bereits angeordnet hatte. Es war wieder eine Pläne, hier rings nur von Tannendickicht umgeben.

Leider aber hatte sich der Oberförster verrechnet. So lange man auch harrte, so lange auch die Treiber rasselten und mit ihren Knitteln an die Bäume schlugen, keine »Pfote kam heraus« – zuletzt einen einzigen Hasen ausgenommen, dessen Erscheinen ein allgemeines Gelächter erregte.

Lampen schoß in natürlicher Großmuth als zu geringfügige Beute niemand; der Geängstete wurde durch die Stände hindurch hin- und hergewiesen, bis er den Damen fast so nahe zugetrieben wurde, daß sie ihn an den Ohren hätten fassen können. Aber wieder störte der Landrath dies komische Intermezzo durch 19 seinen aufgeregten Eifer. Er schoß den Hasen dicht vor den Füßen Armgart's nieder und hätte diese, die sich dessen nicht gewärtigte, leicht verwunden können.

Darüber brach denn der Unwille der ganzen Gesellschaft in helle Flammen aus. Halb bewußtlos lag Armgart an einen Fichtenstamm gelehnt; die Flinte, die sie, ohne zu schießen, in der Hand gehalten, war ihr entfallen; Benno und Thiebold waren auf halbem Wege ihr zu Hülfe gesprungen und setzten sich selbst darüber dem nächsten Schusse aus. Ueber alles das entstand eine Scene der höchsten Aufregung. Sie mehrte sich, als der Landrath vorsprang und rief: Wer raisonnirt hier? Ruhe! Ich befehle! Ich –! Wuthschäumend stand er jetzt auf der Mitte der Pläne.

Ein gemeinsamer Ruf unterbrach ihn: Er ist verrückt! Haltet ihn! Bindet ihn! Wirklich schlug der tolle Mann um sich, drohte mit seiner Doppelflinte, deren einer Lauf wahrscheinlich noch geladen war, und würde ein Unglück angerichtet haben, wenn nicht sofort jemand hervorsprang, ihm die Arme festzuhalten. Auf die Jäger rechnend, hielt man Benno und Terschka zurück. Eine leicht erklärliche Scheu vor der ersten Verwaltungsbehörde der Gegend hielt aber die Nächststehenden noch eine Secunde ohne Entschluß – Da theilten sich die Büsche und mit dem Rufe: Pax vobiscum! sprang mit auffliegender Kutte ein Franciscanermönch auf den Plan, hielt mit einem Arm die Flinte des Landraths und griff mit dem andern so geschickt beide durch die Luft fuchtelnden Hände des ungeberdig Drohenden und Rasenden, daß sich dieser zwar mit schaumbedecktem Munde fest und aufrecht erhielt, aber auch bewegungslos verharren mußte, nur noch machtlos seinen Bändiger anstarrend. Bruder Hubertus war es, der weiland selbst ein Jäger gewesen und den entweder das Gebell der Hunde, das Knattern der Flinten oder Terschka's Anwesenheit angezogen hatte – im Kloster hatte er sich vor wenig Stunden 20 demselben zu nähern gesucht, war jedoch kalt von ihm abgewiesen worden.

Die Gesellschaft, außer sich über den Vorfall, umringte die Gruppe und rief dem Mönch, der wie der bändigende Tod dastand: Bewachen Sie ihn! Führen Sie ihn fort! . . . Ich will Ihnen Leute zurücklassen, rief Graf Münnich.

Der Mönch schüttelte den Kopf, sich verbürgend, er würde allein schon den Unglücklichen in Sicherheit bringen. Inzwischen bliesen auf ein gegebenes Zeichen die Hörner. Schon zog sich die ganze Gesellschaft in den dichtern Wald; Armgart geführt von Thiebold – Im Augenblick, da Hubertus erschien, war Terschka verschwunden.

Still und stiller wurde es ringsum. Die Signale nur hörte man noch, die den Treibern die Veränderung der Stellung ankündigten und die von diesen fernher wieder beantwortet wurden. Es war ein einziger schreckenvoller Augenblick. Jedermann eilte nun, ihm zu entfliehen.


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