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II. Ludwig XVI. Napoleon Bonaparte. Nach Th. Welter.

 

Ludwig XVI.

 

1.

Ludwig XIV. hinterließ bei seinem Tode (1715) eine drückende Schuldenlast von 900 Millionen Thalern und die Staatseinkünfte der nächsten Jahre waren schon zum Voraus verzehrt. Sein Nachfolger, Ludwig XV., der zum Unglück des Reiches fast sechzig Jahre (von 1715 bis 1774) König hieß, verstand weder zu regieren noch zu sparen. Was die Kriege nicht aufzehrten, das verschwendeten und stahlen Minister und Mätressen. Eine dieser Damen, welche sich die Liebe des Königs vorzüglich zu erwerben gewußt hatte, kostete dem Schatze in fünf Jahren vierzig Millionen Thaler. Man wußte am Ende nicht mehr, wo man Geld herbeischaffen sollte. Da fing der König auf den Rath seiner unwürdigen Minister ein entehrendes, aber einträgliches Gewerbe an. Er ließ Papiere stempeln und befahl, diese wie baares Geld anzunehmen. Er kaufte alles Korn, das unentbehrlichste Bedürfniß jedes Tagelöhners, auf und setzte nun die Kornpreise so hoch, daß er bedeutend dabei gewann, das Land aber schwer gedrückt wurde. Aller Fleiß der Landleute und der Handwerker rang vergebens gegen die Noth, unter der Alles seufzte. Der Adel hatte die einträglichsten Stellen, die Geistlichkeit reiche Pfründen, beide Stände genossen viele Vorrechte (Privilegien), während der dritte Stand, der Bürger, für nichts geachtet wurde. So entspann sich bei den niedern Volksklassen allmählich Haß und Erbitterung gegen die Höheren und gegen das Königthum selber. Der Freiheitskampf der Nordamerikaner, an welchem auch viele Franzosen Theil genommen hatten, lebte noch in Aller Herzen und entzündete das Verlangen nach Freiheit. Geistreiche Schriftsteller, wie Rousseau und Voltaire, hatten mit beißendem Witz die Privilegien des Adels und der Geistlichkeit angegriffen und die natürlichen Rechte, die jeder Mensch hat, weil er Mensch ist, verkündet. So waren die Gemüther gespannt und mit Sehnsucht schauete das französische Volk auf den jungen König Ludwig XVI., dessen Thronbesteigung ein Freudenfest war.

Ludwig meinte es gut, er fing seine Regierung mit dem ernsten Willen an, dem Landeselend zu steuern. Aber er war zu schwach, um dem drohenden Uebel, das schon zu tief Wurzel gefaßt, Einhalt thun zu können. Die Schuldenlast wurde durch seine Gemahlin, Maria Antoinette, Tochter der Kaiserin Maria Theresia, und durch die verschiedenen Prinzen seines Hauses mit jedem Jahre größer; der Kredit sank mehr und mehr. Vergebens führte der gutmüthige König das einfachste Leben, um seinen hartbedrängten Unterthanen die Abgaben zu verringern; die höchst ärgerlichen Verschwendungen seines Hofes blieben nach wie vor. So sah er sich endlich genöthigt, dem Rathe seines Finanzministers Necker aus Genf zu folgen und die Reichsstände, die seit 1614 nicht versammelt gewesen waren, zu berufen. Necker, der die Absicht hatte, das Defizit der Finanzen durch den Adel und die Geistlichkeit zu decken und dem dritten Stande das Uebergewicht zu verschaffen, hatte 600 Deputirte vom dritten Stande ( tiers état), 300 vom Adel und eben so viel von der Geistlichkeit versammelt und der Reichstag wurde in der königlichen Residenzstadt Versailles am 5. Mai 1789 feierlich eröffnet. Es mochte wohl dem Könige nicht ahnen, daß er damit eine Pulvermine angelegt hatte, die ganz Frankreich, ja ganz Europa erschüttern, ihn selber aber vernichten sollte.

 

2.

Der Adel und die Geistlichkeit waren sehr unzufrieden, den dritten Stand an ihrer Seite zu haben, und hatten auch wenig Lust, große Opfer für das Land zu bringen. Der dritte Stand dagegen verlangte, daß nach Köpfen abgestimmt werden sollte und nicht nach Ständen, denn sonst wären zwei gegen eins gewesen. Darüber kam es zum erbitterten Streit und Ludwig XVI. löste die ganze Versammlung auf. Doch der dritte Stand blieb auf den Rath des staatsklugen Abbé Sieyes und erklärte sich selber zur Nationalversammlung. Diese kühne Beharrlichkeit begeisterte plötzlich das ganze Volk und sogar von Adel und Geistlichkeit traten mehrere Abgeordnete zum dritten Stande über, um nun über die Veränderungen zu berathen, die in der bisherigen Verfassung vorgenommen werden sollten.

Der König, höchlich über solchen Gewaltschritt erschrocken, begab sich nun selbst in die Versammlung, drückte sein Mißfallen über die Zwistigkeit der einzelnen Stände aus und befahl zugleich, sie möchte auseinandergehen, um am folgenden Tage nach den drei Ständen abgesondert ihre Berathungen neu zu beginnen. Die Geistlichkeit und der Adel gehorchten dem königlichen Befehle, die Abgeordneten des dritten Standes aber setzten ihre Berathung fort. Da erschien ein königlicher Gesandter, der Großzeremonienmeister, mit dem gemessenen Befehl, man solle auf der Stelle auseinandergehen. Doch auch hieran kehrte sich die Versammlung nicht. Graf Mirabeau, ein Mann von seltenem Talent, aber auch seltener Verworfenheit, erhob sich mit kühnem Trotze und sagte dem Diener des Königs: »Geh und sage Denen, die dich schicken, daß wir hier auf den Willen des Volkes versammelt sind und daß wir nur der Gewalt der Bajonette weichen werden.« Der gutmüthige König scheuete sich aber, die Bajonette zu brauchen, und vermeinte, es ließ sich Alles in Frieden abthun. Darum rieth er auch dem Adel und der Geistlichkeit, gütlich mit dem dritten Stande zu verfahren. Aber gerade diese Schwäche brachte die Revolution zum Ausbruch.

Die Bürger hatten Muth bekommen, der Pariser Pöbel stürmte zusammen, die Nationalversammlung gegen jeden ferneren Angriff zu schützen. Böse Menschen vom Adel selber suchten heimlich das Volk immer mehr aufzureizen, daß es Ausschweifungen begehen möchte, die man mit Härte strafen könnte. Man gewann die Polizei, Unordnungen des Volks nicht zu hindern, und machte dem Könige eine so schreckliche Vorstellung von der Wildheit der Bürger, daß der König ein Heer von 50,000 Mann um Paris zusammenziehen ließ. Jetzt glaubte die Hofpartei gesiegt zu haben, allein gerade, was sie zu ihrem Schutz gewählt hatte, ward ihr Verderben. Die französischen Soldaten wollten auf die Bürger nicht schießen, eine angebotene Vermehrung des Soldes schlugen alle einmüthig ab; die allgemeine Liebe des Volkes belohnte sie. Wo sie öffentlich erschienen, ward ihnen Beifall geklatscht und gerufen; man umarmte und küßte sie öffentlich, die vornehmsten Bürger gingen mit ihnen Hand in Hand.

Da ließ der König deutsche Truppen in Paris einrücken und durch die Straßen vertheilen. Dies vermehrte die Erbitterung und reizte, Gewalt mit Gewalt abzuwehren. Als seinen Liebling ehrte das Volk den Minister Necker. Das machte ihn der Hofpartei verhaßt und diese in Verbindung mit der Königin beredeten den König, den Befehl zu ertheilen, daß Necker in der Nacht des 11. Juli 1789 Paris verlassen sollte. Die Nachricht von dieser Ausweisung entflammte das Volk von Paris zu wilder Wuth, Alles lief zu den Waffen und schrie durch die Straßen: »Freiheit oder Tod!« Die Zeughäuser wurden mit Gewalt erbrochen und bewaffnet zog das Volk vor die Bastille, das ihm längst verhaßte Staatsgefängniß. Diese ward erstürmt und dem Erdboden gleichgemacht, die Besatzung niedergehauen und der Kopf des Kommandanten auf einer langen Stange unter dem Jubel des Volks durch die Stadt getragen. Von dieser That an datirt man die französische Staatsumwälzung (14. Juli 1789).

 

3.

Der eingeschüchterte König war schwach genug, den Minister Necker sogleich wieder zurückzurufen, sowie alles Militär aus der Umgegend von Paris zu entfernen. Nun meinte das Volk, ihm Alles abtrotzen zu können, aus allen Provinzen strömten die unruhigen und neuerungssüchtigen, auch die verworfensten und schlechtesten Menschen in die Hauptstadt, um hier im Trüben zu fischen.

Die Nationalversammlung, deren Seele der dritte Stand war, begann nun rasch, gewaltig und durchgreifend zu wirken. Ohne sich mit der Geldfrage zu befassen, erklärte sie vor Allem die Menschenrechte und die Souveränität oder unbeschränkte Gewalt des Volkes, dessen oberster Beamter der König sei. Alle Leibeigenschaft, alle Lehen- und Zinsrechte, welche die großen Grundbesitzungen voraus hatten, alle Privilegien Einzelner und ganzer Genossenschaften, alle Vorzüge des Adels und der Geistlichkeit, mit einem Worte: alle mittelalterlichen Feudalrechte wurden aufgehoben und abgeschafft. Dies geschah in der denkwürdigen Nacht vom 3ten zum 4ten August.

Aus Liebe zur Ordnung und Ruhe genehmigte der König alle Beschlüsse, welche die Versammlung in jener Nacht gefaßt hatte; das Volk aber durchbrach im wilden Taumel der neuen Freiheit jede Schranke der Ordnung und des Gesetzes. Viele ihm verhaßte Männer wurden auf öffentlicher Straße niedergemacht. »An die Laterne!« war das gewöhnliche Mordgeschrei, unter welchem die Unglücklichen fortgeschleppt und an einem Laternenpfahl aufgehängt wurden. Und was die Hauptstadt that, das ahmten die Provinzen nach. Freiheit und Gleichheit! war die allgemeine Losung. Wie in Paris, so wurden in allen Städten die Obrigkeiten durch neue, volksthümlichere ersetzt und eine besondere Bürgerwehr unter dem Namen der Nationalgarde errichtet. Sie trug als Abzeichen der Revolution dreifarbige Kokarden: roth und blau, die Farben der Stadt Paris, und weiß, die Farbe des Reichs. Bewaffnete Banden zogen durch das Land und mit dem Triumphgeheul: »Krieg den Palästen, Friede den Hütten!« plünderten sie die Schlösser der Edelleute und die Häuser der Geistlichen. Der Herzog von Orleans, des Königs eigener Vetter, der aber die königliche Familie grimmig haßte, wiegelte unaufhörlich das Volk zum Aufruhr auf. Dieser elende, boshafte und verdorbene Mensch gedachte nach dem Umsturz alles Bestehenden sich selber auf den Thron zu schwingen; er verschenkte jetzt sein Geld haufenweise an den Pöbel, um diesen für seine Absichten zu gewinnen. Bei der immer mehr wachsenden Gefahr verließen Viele vom Hofe das Land, unter Andern der Graf von Artois und der Prinz Condé; viele Edelleute und Geistliche folgten dem Beispiel und wandten sich meist nach Koblenz. Der unglückliche König blieb allein, schutz- und rathlos, in dem brausenden Sturm zurück, der Wuth des empörten Volkes preisgegeben. Selbst die Nationalversammlung, obgleich die Mehrzahl der Abgeordneten von dem aufrichtigsten Wunsche beseelt war, eine das Volk beglückende Verfassung zu entwerfen, vermochte nicht, die Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Sie wurde bald durch den Strom des Pöbels ebenso in Bewegung gesetzt, wie das Rad einer Mühle durch die fallenden Gewässer.

 

4.

Um den König ganz in ihre Gewalt zu bekommen, hatten die Freiheitsmänner von Paris den Plan entworfen, ihn für immer nach Paris zu bringen. Orleans und seine Helfershelfer schlossen sich dieser Partei an und erregten durch künstliche Mittel eine Brodtheuerung, indem sie die Kornwagen unterwegs auffingen. Nun wurde ausgesprengt, der König und die Aristokraten (so nannte man die Hofpartei) wollten Paris aushungern. Am 5. Oktober sammelte sich vor dem Rathhause eine Menge Weiber, mit Aexten, Spießen und Säbeln bewaffnet; die Fischweiber, »die Damen der Halle« genannt, spielten die Hauptrolle, aber auch Männer in Weiberkleidern sah man unter ihnen. Orleans hatte sie mit Geld und Branntwein beschenkt, das Rathhaus wurde erstürmt, die Waffen von den Weibern in Beschlag genommen. Nachdem sie getobt und gelärmt hatten, hieß es: »Nach Versailles! nach Versailles!« Ein Lumpenkerl, mit Namen Maillard, stellte sich an ihre Spitze und so brachen sie nach Versailles auf. Lafayette, der aus dem nordamerikanischen Freiheitskriege wohlbekannte Held, bot die Nationalgarde auf, um dem Pöbel Einhalt zu thun; aber die Nationalgardisten zwangen ihn selber, sie nach Versailles zu führen. »Wir kämpfen nicht gegen verhungerte Weiber!« riefen sie drohend. Schon war der Abend eingebrochen und der Regen goß in Strömen herab; aber das hinderte den Haufen nicht, mit 20 Kanonen abzuziehen.

Die Weiber waren schon um Mittag in Versailles und mit Gesang und Trommelschlag zogen sie in die Nationalversammlung. Maillard, den bloßen Säbel schwingend, mit einem Weibe neben sich, welches an einer langen Stange eine Trommel trug, hielt im Namen des Volkes eine Rede. »Wir haben kein Brod,« rief er, »wir wissen, der König und seine Minister sind Verräther; aber der Arm des Volkes ist erhoben, sie zu zerschmettern!« Die Worte wurden von seinen Begleitern mit den heftigsten Drohungen gegen den König und die Königin begleitet. Darauf drang die ganze Rotte der Weiber tobend und lärmend in den Saal und mischte sich unter die Abgeordneten. Ein Weib bemächtigte sich sogar des Präsidentenstuhles und ahmte mit der Glocke in der Hand die Verrichtungen des Präsidenten nach. Dann holten sie Lebensmittel und Wein herbei, tranken und sangen, fluchten und schimpften wild durch einander und erstickten fast mit ihren Liebkosungen mehrere der Abgeordneten. Die Versammlung suchte sie zu beruhigen und der Präsident selbst führte einige in's Schloß zum Könige. Dieser gab ihnen die gütigsten Versprechungen, ja umarmte sogar eines dieser Weiber, weil sie ihm nur unter dieser Bedingung glauben wollten. Dann lagerten sie sich wie Soldaten auf dem großen Paradeplatze, zündeten Feuer an, tranken und sangen um die Wette.

Gegen Mitternacht traf auch die Pariser Nationalgarde ein. Der edle Lafayette, welcher sowohl ein Freund der Freiheit, als voll Rechtlichkeit und Ehrliebe war, hatte Alles aufgeboten, um fernere Ausbrüche der rohen Leidenschaften zurückzuhalten. Er hatte zuvor den Haufen schwören lassen, dem Könige treu zu bleiben und vor seiner Wohnung Achtung zu haben. Er selbst ging dann auf's Schloß zur königlichen Familie und verbürgte sich für die Aufrechthaltung der Ordnung.

Kaum grauete der Morgen des 6. Oktober, als eine Bande der Aufrührer Mittel gefunden hatte, in das Innere des Schlosses zu dringen. Sie mordeten die königlichen Garden, die vor dem Zimmer der Königin Wache hielten, und über die blutenden Leichen stürzten sie in das Schlafgemach der Königin. Allein ihr Opfer, zu größeren Leiden ausersehen, war halb angekleidet durch einen geheimen Gang nach dem Zimmer des Königs entflohen und die wüthend hereinbrechenden Mörder durchstachen das verlassene Bett mit Piken und Schwertern. Die ganze Leibwache hatte sich jetzt versammelt und trieb die Mörder aus dem Schlosse. Aber nun wandte sich die ganze Wuth des Volkshaufens gegen die Garde, die unmöglich den Kampf gegen die Menge bestehen konnte. Alle erwarteten den Tod. Da erschien der König auf dem Balkon und rief mit ausgebreiteten Armen: »Gnade für meine Garde!« – »Hoch lebe der König!« war die Antwort der hierdurch begeisterten Menge und augenblicklich ließ sie vom Morden ab, ja sie holte sogar einige gefangene Gardisten herbei und umarmte sie vor den Augen des Königs. »Die Königin, die Königin!« schrie dann die Menge. Mit sichtbarer Angst trat dann die unglückliche Fürstin aus den Balkon, an jeder Hand führte sie eins ihrer Kinder. »Fort mit den Kindern!« schrie man ihr von unten zu. Sie führte diese zurück und nun stand die erhabene Frau allein auf dem Balkon, mit bethränten Augen und gefalteten Händen, während dort unten die aufrührerische Menge wogte und brüllte und Piken und Gewehre in wildester Wuth schwenkte. Ein Kerl schlug sein Gewehr auf sie an, doch einer der Umstehenden riß es nieder. Die stille Majestät der ruhig dastehenden wehrlosen Frau gab der Leidenschaft des Volkes eine plötzliche Wendung. Begeistert rief der ganze Haufen: »Hoch lebe die Königin!« Der König wurde noch einmal verlangt. Er erschien und ihm entgegen hallte das tausendstimmige Gebrüll »Nach Paris, nach Paris!« »Ja, meine Kinder,« erwiederte der König sichtbar bewegt, »ich will nach Paris gehen, aber nicht anders, als in Begleitung meiner Frau und meiner Kinder.« – »Hoch lebe der König!« schrie nun wieder der Pöbel. Die Königin trat auch wieder auf den Balkon und versuchte zu sprechen, aber ihre Stimme konnte vor dem Getöse nicht gehört werden. Da küßte ihr Lafayette die Hand und sprach zu dem erstaunten Volke: »Die Königin ist sehr erstaunt über das, was sie sieht. Sie ist hintergangen worden; sie verspricht, sich nicht mehr hintergehen zu lassen und das Volk zu lieben!« Zum Beweise der Zustimmung hob die Königin zweimal ihre Arme gen Himmel und Thränen rollten ihr von den Wangen herab.

 

5.

Schon um 1 Uhr nach Mittag setzte sich der Zug in Bewegung. Aber welch' ein Zug! Voran wurden die blutigen Köpfe der niedergemetzelten Leibgarden getragen, als Siegestrophäen auf hohe Stangen gesteckt; die noch übrig gebliebenen Garden schleppte der Pöbel als Gefangene in seiner Mitte fort. Dann folgte der Wagen, in welchem der König und die Königin, ihre beiden Kinder und die Prinzessin Elisabeth, des Königs Schwester, saßen. Zu beiden Seiten wogte eine ungeheure lärmende Volksmenge. Einige grinsten nach dem Wagen hin und stießen Verwünschungen und Drohungen gegen die königliche Familie aus, Andere hielten Triumphgesänge, noch Andere schrieen: »Da bringen wir euch den Bäckermeister nebst Frau und Lehrjungen!« – als ob die Rückkehr der unglücklichen, aller Macht beraubten Familie die Theuerung in Paris heben würde! Hinter dem Wagen wurden mehrere Kanonen geführt, Weiber saßen auf den Lafetten und trugen Brod und Fleisch auf den Bajonetten. Berauschte Männer und Weiber ritten durch einander, der ganze Weg war von den Einwohnern der benachbarten Dörfer besetzt und so voll Menschen, daß die königlichen Wagen oft still halten mußten. Erst nach sechs Stunden der Angst und Schmach langte der arme Ludwig vor dem Schlagbaume (Barrière) von Paris an, wo ihn der Bürgermeister (Maire) empfing, den schönen Tag preisend, welcher den König von Frankreich der Hauptstadt wiedergebe. Der König erwiderte: er sei mit Vergnügen gekommen, und die Königin, sie trete mit Vertrauen in die gute Stadt. Nach diesen gegenseitigen Förmlichkeiten wurde dem gedemüthigten Fürsten erlaubt, sich nach dem Palaste der Tuilerien zu begeben, in welchem gar keine Anstalten zum Empfang der königlichen Familie getroffen war, so daß man die Betten borgen mußte.

Von nun an hatte der König keinen Willen mehr und war als Gefangener der Pariser Volksführer zu betrachten. Nicht besser war es mit der Nationalversammlung; über dreihundert Deputirte verließen dieselbe, weil sie mit den Mördern des 6. Oktober keine Gemeinschaft haben wollten. Die übrigen Deputirten gingen nach Paris und hoben, durch den Schutz des Pöbels kühn gemacht, eine Einrichtung nach der andern aus, ohne zu bedenken, daß es leichter ist, einzureißen als wieder aufzubauen. Die Sitzungen wurden in einer Reitbahn gehalten, die im Garten der Tuilerien lag und die in der Geschwindigkeit mit Bänken, wie ein Amphitheater hergerichtet war. In der Mitte hatte der Präsident seinen Sitz, zur Rechten saßen die Gemäßigten, zur Linken aber, besonders auf den höchsten Bänken ( dem Berge) die heftigsten Revolutionsmänner. In Paris entstanden Klubbs oder Vereine gleichgesinnter Deputirten, die vorher das besprachen, was sie in der Nationalversammlung durchsetzen wollten. In einem Jakobinerkloster versammelte sich der sogenannte Jakobiner-Klubb, der aus den gefährlichsten Wühlern bestand. Als äußeres Abzeichen trugen die Jakobiner eine rothe, lang herabhangende Mütze. Bald wimmelte ganz Frankreich von Klubbs, welche dann ihren gemeinsamen Mittelpunkt in Paris fanden. Die Zuschauer auf der Galerie, größtentheils Anhänger der Jakobiner, bezeichneten durch Zujauchzen und Händeklatschen den ungestümsten Rednern ihrer Partei lärmenden Beifall; dagegen zischten sie die gemäßigten Redner aus, als ob die ganze Versammlung, die über das Wohl und Wehe des Volkes zu berathen hatte, eine Komödie wäre. Die Zerstörungslust kannte keine Grenzen mehr. Die Güter der Geistlichkeit wurden eingezogen, die Klöster aufgehoben, und um den Verkauf zu erleichtern, führte man Papiergeld ein, das man »Assignation« nannte, weil es auf die eingezogenen Güter assignirt oder angewiesen war. Da mußten sich schon manche Käufer der Assignation wegen an die Revolution anschließen, um ihr neues Besitzthum zu sichern. Weil aber in der Folge immer mehr und mehr Assignaten fabrizirt wurden (man brauchte ja blos Papier dazu), so sank ihr Werth dermaßen, daß z. B. ein Paar Stiefeln gegen 20,000 Franken zu stehen kam. Die alte Eintheilung des Landes in Provinzen hörte auf und man setzte an ihre Stelle eine neue in 83 Departements, in der Regel nach Bergen und Flüssen entworfen. Den König setzte man auf einen Jahrgehalt, der gesammte Erbadel wurde abgeschafft und mit ihm Alles, was an Auszeichnung oder Knechtschaft erinnern konnte. Selbst der unbedeutende Titel Monsieur (mein Herr) ward verpönt; man mußte fortan zu Jedem citoyen (Bürger) sagen.

 

6.

Unter solchen Umwälzungen war der 14. Juli 1790, der Jahrestag der Zerstörung der Bastille, erschienen. Das Andenken an diese erfolgreiche That gab Veranlassung zu einem großen Bundesfeste, welches auf dem Marsfelde, einer geräumigen Ebene am westlichen Ende von Paris, feierlich begangen wurde. Schon in der Nacht zuvor hatte sich die Ebene mit Menschen angefüllt. Die Nationalgarde war aufgezogen, und beim ersten Strahl der Morgensonne verkündete der Donner der Kanonen und das Geläute der Glocken den festlichen Tag. Des Morgens 10 Uhr erschienen in der Mitte von Hunderttausenden von Zuschauern die Mitglieder der Nationalversammlung, die Abgeordneten des Departements, später auch der König und seine Familie. Durch einen sehr geschmückten Triumphbogen ging der feierliche Zug auf das Marsfeld. In der Mitte derselben stand ein hoher Altar, »der Altar des Vaterlandes« genannt, diesem gegenüber eine Galerie, auf welcher die Nationalversammlung und der König ihren Sitz hatten. Talleyrand, der Bischof von Autün, hielt das Hochamt und segnete die Fahnen des Departements ein. Unter Freudenschüssen und Festgeläute schwuren im Angesicht des Himmels die Bürgersoldaten, die Nationalversammlung, der König und die Abgeordneten der ganzen Nation Gehorsam den Gesetzen, und Alle umarmten sich in trunkener Freude als Brüder. Es war ein großer, herzerhebender Augenblick; ein Band allgemeiner Verbrüderung schien König und Volk wie eine einzige große Familie zu umschlingen und dem gebeugten Lande eine schönere Zukunft zu versprechen.

Allein bald zeigte sich's, wie locker ein Band ist, das nur die plötzliche Rührung knüpft. Die Jakobiner gingen in ihren Gewaltstreichen immer weiter und erlaubten sich sogar grobe Schmähungen gegen den König und seine Familie. Am 18. April 1791 wollte dieser mit seiner Familie nach dem nahe gelegenen Schlosse St. Cloud fahren, um dort, wie gewöhnlich, das Osterfest zu feiern. Schon hatte er den Wagen bestiegen, als der Pöbel mit lautem Geschrei, welches von der wachthabenden Nationalgarde wiederholt wurde, herbeistürzte und forderte, der König sollte die Tuilerien nicht verlassen. Lafayette erschien und befahl der Nationalgarde, den Pöbel auseinander zu treiben und dem königlichen Wagen Platz zu machen. Vergebens! Der Maire eilte herbei und ermahnte zur Ruhe; der König ermahnte und bat, die Königin weinte. Alles vergebens! Nachdem der Lärm länger als eine Stunde gedauert hatte, stiegen die königlichen Personen wieder aus und kehrten beschimpft in ihr Schloß zurück, das nun ihr Gefängniß war. Lafayette war über den Ungehorsam der Nationalgarde so aufgebracht, daß er seine Stelle als Kommandant niederlegte.

Nun faßte der König den verzweifelten Entschluß, sich mit seiner Familie durch die Flucht aus der traurigen Gefangenschaft zu retten. Die Nacht vom 20. zum 21. Juni wurde dazu bestimmt. Anfangs schien das Unternehmen zu gelingen. Abends langte man in St. Menehould (Menu) an. Der dortige Postmeister Drouet, ein wilder Revolutionär, stutzte, als er die Königin sah, die er schon früher einmal gesehen hatte, und bald hatte er auch den König erkannt. Schon waren die Pferde gewechselt und die Reisewagen abgefahren, da faßte der Mann einen kühnen Entschluß. Er setzte sich zu Pferde, jagte auf Umwegen den Reisenden vor und traf vor ihnen in Varennes ein. Sogleich wurde die Sturmglocke gezogen, das Volk trat unter Waffen und besetzte alle Auswege, und als die königlichen Wagen ankamen, wurden sie sogleich angehalten und die Personen zum Aussteigen genöthigt. Anfangs leugnete Ludwig, daß er der König sei; als er sich aber immer mehr erkannt sah, ries er wehmüthig aus: »Ja, ich bin euer König! In der Hauptstadt von Dolchen und Bajonetten umgeben, will ich in der Provinz mitten unter meinen treuen Unterthanen, die Freiheit suchen, deren ihr Alle genießt; ich kann nicht länger in Paris bleiben, ohne mit meiner Familie umzukommen.« Seine Worte fanden kein Erbarmen. Er ward als Kriegsgefangener nach Paris zurückgebracht, umgeben von zürnenden Pöbelhaufen und Nationalgarde, und es fehlte wenig, daß ihn der Pariser Pöbel beim Aussteigen gemißhandelt hätte.

Dieser mißlungene Versuch verschlimmerte noch die Lage der unglücklichen königlichen Familie. Es wurden noch strengere Maßregeln zu ihrer Bewachung getroffen; die Königin durfte nicht einmal die Thür ihres Schlafzimmers schließen, und als der König selbst sie einst schloß, öffnete der wachthabende Offizier sie sogleich wieder und sagte dabei kalt: »Sie machen sich nur unnütze Mühe, wenn Sie die Thür schließen.«

 

7.

Im September 1791 war die neue Verfassung oder Konstitution vollendet. Der König, welcher voraussah, daß jeder Widerspruch vergeblich sein würde, nahm sie in der ihm übergebenen Form an und beschwor sie. Sie enthielt viel Gutes, aber die königlichen Rechte waren über alles Maaß beschnitten. Als die Versammlung (die man die konstituirende nannte) auseinander gegangen war, trat bald eine neue an ihre Stelle, die nun auch das Recht des Königs, die Gesetze des Landes zu bestimmen, für sich in Anspruch nahm und sich die gesetzgebende nannte. Die Mitglieder derselben waren größtentheils junge talentvolle Männer, aber ohne Welterfahrung, nur vom revolutionären Schwindelgeiste ergriffen. Unter ihnen zeichneten sich die Abgeordneten des Departements der Gironde, die sogenannten Girondisten, aus, deren Absicht war, den Königsthron allmälig zu stürzen und auf dessen Trümmern eine Republik zu gründen. In dieser Versammlung saßen aber auch die wildesten Jakobiner, deren boshaftes Trachten dahin ging, den Königsthron nicht allmählich, sondern rasch, durch gewaltsame Mittel zu stürzen. So groß auch die Feindschaft unter den einzelnen Parteien war, in dem Hasse gegen die königliche Familie kamen sie alle überein. Fast alle Aemter, selbst die Ministerstellen wurden mit Jakobinern besetzt und die gemäßigteren Männer zogen sich allmälig von dem Tummelplätze der wildesten Leidenschaften zurück. Schreckensmänner, wie Robespierre, Marat, Danton, Manuel, Pethion, deren Namen in der Geschichte Frankreichs ewig gebrandmarkt bleiben werden, verübten in dieser vielfach bewegten Zeit Greuel, vor denen das menschliche Gefühl zurückschaudert. Diese Bösewichter verbanden sich mit dem leicht verführten Pöbelhaufen zu Schutz und Trutz, suchten durch dessen Gunst alle bestehende Ordnung zu stürzen, um selber zu Macht und Reichthum zu gelangen. Bei solcher Pöbelherrschaft galt Rohheit für Patriotismus, Mäßigung für Schlechtigkeit; wie zur Zeit einer ansteckenden Seuche fürchtete Einer den Andern. Jeder bedeckte sich mit den ärmlichsten Kleidern, um sich vor der Wuth des Pöbels zu schützen. Man brauchte nur recht zerlumpt einherzugehen, um für einen echten Sohn der Freiheit zu gelten. Der Name »Ohnehosen« (Sanscülotten) galt für einen Ehrentitel.

Die gesetzgebende Versammlung faßte den Beschluß, es sollten alle Ausgewanderte, die nicht binnen einer bestimmten Frist zurückkehrten, des Todes schuldig und ihrer Güter verlustig sein; desgleichen sollten alle Geistliche, welche die neue Verfassung nicht beschwören würden, als Empörer und Verräther der Nation gerichtet werden. Als der König sich weigerte, so harten Beschlüssen, nach welchen er seine eigenen Brüder hätte ächten müssen, seine Zustimmung zu geben, beschlossen die Jakobiner, dieselbe durch einen Volksaufstand zu erzwingen. Zu diesem Zwecke theilten sie unter den Pöbel der berüchtigtsten Vorstädte Piken aus und am 20. Juni 1792 drang ein Haufen von 40,000 Menschen, unter Anführung des Bierbrauers Santerre, mit tobendem Geschrei auf die Tuilerien los und stürzte die Treppen hinauf, gerade nach des Königs Zimmer. Die Thür ward eingestoßen und der Pöbel drang ein. Unerschüttert trat der König, der nur eine Wache von sechs Grenadieren um sich hatte, den Bösewichtern entgegen, die von der Majestät seiner Würde wie betroffen unentschlossen stehen blieben. Aber andere Hausen drangen nach, überhäuften den König und die Königin mit den heftigsten Schmähungen und verlangten sofort die Bestätigung der Beschlüsse der Nationalversammlung. Allein der König blieb in dieser schweren Prüfungsstunde unerschüttert und nahm ruhig ihre Schmähungen hin. Ein Kerl warf ihm seine rothe Jakobinermütze zu; der König nahm sie gelassen hin und setzte sie sich auf. Ein Anderer reichte ihm seine Flasche und gebot ihm, auf das Wohl der Nation zu trinken; auch das that der König, und weil kein Glas zur Hand war, trank er aus der Flasche selbst.

Mit innerer Erbitterung sahen die Grenadiere solche Entwürdigung der Majestät des Königs und waren entschlossen, ihn mit ihrem Blute zu vertheidigen. »Fürchten Sie nichts, Sire!« rief ihm einer von diesen zu. Der König faßte ruhig dessen Hand, legte sie auf seine Brust und erwiederte: »Urtheile, ob dieses Herz von Furcht bewegt wird.«

Endlich entschloß sich die Nationalversammlung, eine Gesandtschaft von 25 Mitgliedern nach dem Palaste zu schicken. Ihre Ankunft machte dem Tumulte ein Ende. »Das arme und tugendhafte Volk«, wie Robespierre es mit Heuchlermiene nannte, zog sich für dieses Mal ohne blutbefleckte Piken zurück, nicht wenig erstaunt, daß es zu weiter nichts sollte berufen gewesen sein. Der Maire Pethion lobte es noch besonders wegen der Weisheit und Würde, mit welcher es dem Könige seine Wünsche überbracht habe.

 

8.

Dieser mißlungene Versuch steigerte noch die Wuth der Jakobiner und vermochte sie zu dem Entschlusse, durch einen neuen Aufstand entweder den König zu ermorden oder mindestens abzusetzen. Zu dem Ende hatten sie noch einen Haufen nichtswürdigen Gesindels aus Marseille und der Umgegend verschrieben, die unter dem Namen der Föderirten und Verbündeten ihren Einzug (am 30. Juli 1792) in Paris hielten. Der 10. August war zur Ausführung des Planes bestimmt. Am Morgen dieses verhängnißvollen Tages wurde die Sturmglocke geläutet und auf dieses Zeichen wälzte sich das Gesindel der Vorstädte mit den Föderirten tobend und lärmend nach den Tuilerien. Sogleich traten die Schweizer und die übrigen treu gebliebenen Garden in's Gewehr, besetzten alle Posten in und vor dem Palaste und waren entschlossen, das Aeußerste für den König zu wagen; dieser untersagte ihnen aber aus übertriebener Gutmüthigkeit alles Schießen. Bei dem Andrange so ungeheurer Gefahr eilte schnell Röderer, einer aus dem Magistrate, nach dem Schlosse und rieth dem Könige, er möchte doch eiligst mit seiner Familie in die Nationalversammlung fliehen; denn das Ungewitter, welches gegen ihn im Anzuge sei, übersteige alle Vorstellung. Die Königin fühlte die Schande, welche darin lag, Menschen um Schutz anzuflehen, die keinen Schatten von Teilnahme für die königliche Familie gezeigt hatten, und sie wies Röderer's Rath mit Heftigkeit zurück. Da wandte sich dieser an sie mit den ergreifenden Worten: »Madame, die Augenblicke sind kostbar; noch eine Minute, noch eine Sekunde und ich stehe nicht mehr für Ihr Leben!« Die Königin entfärbte sich und sprach tiefbewegt: »Nun es sei; auch dieses letzte Opfer wollen wir bringen!« Unter den heftigsten Verwünschungen und Drohungen des Pöbels, der wiederholt schrie: »Nieder mit dem Tyrannen! Nieder mit dem Vielfraße, der jährlich 25 Millionen verschlingt!« langten die erlauchten Flüchtlinge bleich und entstellt in der Nationalversammlung an. Beim Eintritt sagte der König mit Würde: »Ich bin hierher gekommen, um Frankreich ein großes Verbrechen zu ersparen, und ich denke nirgends sicherer zu sein, als in Ihrer Mitte, meine Herren!« Man empfing ihn kalt und wies ihn mit seiner Familie nach oben in die Loge des Zeitungsschreibers. Dort mußte er hören, wie die Versammelten über seine Absetzung rathschlagten.

Unterdessen verkündete das Knallen der Gewehre und das Donnern der Kanonen, daß die Entfernung des Königs das Blutvergießen, welches dieser Monarch so sehr fürchtete, keineswegs abgewendet hatte. Die Schweizergarde war nach der heldenmüthigen Gegenwehr größtentheils niedergemacht, das Schloß erstürmt worden. Hierauf begaben sich ganze Haufen des Pöbels, das Gesicht mit Pulverdampf geschwärzt und die Hände mit Blut besudelt, in die Nationalversammlung und forderten die Absetzung des Königs. Nun faßten die Abgeordneten den Beschluß, es solle durch das Volk ein Nationalkonvent gewählt werden, denn das Königthum tauge nicht für Frankreich. Der König wurde vorläufig seiner Würde für verlustig erklärt und wie ein Missethäter mit seiner Familie in den Tempel, einen alten Gefängnißthurm, gebracht. Am 21. September 1792 wurde der Nationalkonvent aus den wüthendsten Jakobinern errichtet. Sofort wurde die erste Konstitution und die Königswürde aufgehoben, Frankreich, die älteste christliche Monarchie, in eine Republik verwandelt und mit dieser eine neue Zeitrechnung in Verbindung gebracht. Man zählte nun nach Jahren der Republik und fing das erste Jahr vom 21. September 1791 an. Auch die Namen der Monate wurden verändert und statt der Woche »Dekaden« eingeführt, wovon jede 10 Tage enthielt. Sechsunddreißig heidnische Festtage traten an die Stelle von 52 christlichen Sonntagen. Mit der Abschaffung des Königthums wurden alle Wappen und Bildsäulen der Könige zertrümmert; der Konvent selbst richtete die Banden dazu ab. Ja sogar die königlichen Gräber zu St. Denys, unweit der Hauptstadt, wurden wieder aufgewühlt, die Leichname aus den Särgen gerissen, ihre Gebeine zerstreuet. Nichts sollte an die Zeit des Königthums erinnern.

 

9.

Die Lage des unglücklichen Königs erregte die Theilnahme und Besorgnis aller übrigen Monarchen, besonders des Kaisers Leopold II., der durch so enge Familienbande mit ihm verknüpft war. Der Eifer für die Sache des Königs wurde noch mehr angefeuert durch die Bitten und Vorstellungen der ausgewanderten französischen Prinzen, die zu Koblenz ihr Hoflager hatten und dort die Ausgewanderten unter ihre Fahnen vereinigten. Statt durch weise Mäßigung dem Kriege vorzubeugen, that die Nationalversammlung gerade Alles, um ihn herbeizuführen. Sie zog alle Besitzungen ein, welche deutsche Fürsten in Elsaß und Lothringen hatten, und sprach der ganzen Welt Hohn. Je mehr man sich rüstete, um den unglücklichen König mit Gewalt aus den Händen der Bösewichter zu befreien, um so frecher ward dessen Mißhandlung. Die Jakobiner zwangen ihn sogar, seinem Schwager Leopold II., der sich für ihn rüstete, den Krieg zu erklären. Als diese Kriegserklärung, welche unter dem 20. April 1791 Massen wurde, nach Wien kam, war der Kaiser eben gestorben. Ihm folgte sein Sohn Franz II., welcher, in Verbindung mit dem Könige Friedrich Wilhelm II. von Preußen, den Krieg gegen Frankreich eröffnete. Beide ahnten wohl damals nicht, daß dieser Krieg, den sie für einen raschen Triumphzug hielten, mit geringer Unterbrechung bis 1816 dauern und das Glück zahlloser Familien untergraben würde.

Unter Anführung des als Feldherrn hochberühmten Herzogs Ferdinand von Braunschweig rückte ein preußisches Heer, dem der König und seine zwei ältesten Söhne persönlich folgten, nebst 20,000 Ausgewanderten und 6000 Hessen durch das Erzstift Trier in Lothringen ein, nachdem schon vorher an den Grenzen der österreichischen Niederlande die Feindseligkeiten zwischen Franzosen und Oesterreichern begonnen hatten. Die Verbündeten eroberten die Festungen Longwy und Verdün und drangen siegend in die Champagne ein. Ganz Paris war in Bewegung und mehrere Tage lang der Schauplatz gräßlicher Mordszenen. Am 25. Juli hatte bereits der Herzog von Braunschweig ein Manifest an die französische Nation erlassen – ein unseliges Machwerk des Uebermuthes und der Verblendung; »Alle Franzosen, welche die geheiligten Rechte ihres Königs nicht sogleich anerkennen würden, besonders aber Paris, sollten die schwersten Strafen leiden. Es sollte dieser Stadt der Empörung ergehen, wie einst Jerusalem, kein Stein solle auf dem andern bleiben, die Stolze vom Erdboden vertilgt werden!« Einer solchen Sprache bedurfte es nur, um alle Franzosen, selbst die königlich gesinnten, auf das Aeußerste zu erbittern; Jünglinge und Greise strömten zu den Fahnen des beleidigten Vaterlandes. Bei St. Menehould hemmte Dümouriez die siegreichen Fortschritte der Preußen und nöthigte sie zu einem höchst unglücklichen Rückzuge. Mangel, Seuchen und üble Witterung (denn die unaufhörlichen Regengüsse hatten die Straßen fast unwegsam gemacht) entmuthigten die Kriegsschaaren der Deutschen, alles gewonnene Land sammt den Festungen wurde von ihnen geräumt. Schon am 23. Oktober verkündigte der Kanonendonner längs der ganzen Grenze, »daß das Land der Freiheit (so lautet der französische Bericht) von den Despotenknechten geräumt sei.« Der französische General Cüstine drang nun gegen den Mittelrhein vor, eilte über Speier und Worms nach Mainz und bekam diese wichtige deutsche Feste, die Beherrscherin zweier Ströme, durch bloße Drohungen in seine Gewalt. Dann wandte er sich nach dem reichen Frankfurt, trieb große Brandschatzungen ein, wurde aber hier von den Preußen und Hessen überfallen und über den Rhein zurückgeworfen. Am 6. November besiegte Dümouriez die Oesterreicher in einer Hauptschlacht bei Jemappes, unweit Mons, und die österreichischen Niederlande, die ohnedies schon dem Kaiser Joseph II. den Gehorsam aufgesagt hatten, nahmen nun mit Freuden die Franzosen auf. Ein anderes französisches Heer nahm dem Könige von Sardinien Savoyen und Nizza weg, weil er sich den Verbündeten angeschlossen hatte.

Man hatte gemeint, die französischen Soldaten, meist junge Bursche ohne alle Waffenübung und Kriegskenntniß, würden gegen die geübteren österreichischen und preußischen Soldaten nicht Stand halten; nun sah man, voll Erstaunen, wie diese Leute überall siegten. Singend gingen sie in den fürchterlichsten Kugelregen, mit der kältesten Todesverachtung griffen sie die Stellungen ihrer Feinde an, welche diese für unüberwindlich gehalten hatten, und war ein Regiment dieser jungen Freiheitsschwärmer aufgerieben, so stand gleich wieder ein neues da; denn Alles drängte sich herzu, um die »Freiheit gegen die Tyrannen zu vertheidigen.«

 

10.

Durch diese Siege noch tollkühner gemacht und gleichsam jenem drohenden Manifeste zum Trotz beschloß der Nationalkonvent, der aus den wildesten Jakobinern bestand, Ludwig's Tod. Der nach dem Blute seines Königs lechzende Robespierre schrie, schon die einzige Thatsache, daß Ludwig König gewesen, sei Verbrechen genug, das den Tod verdiene. Dagegen setzten sich aber die gemäßigteren Girondisten, welche zwar eine republikanische Verfassung, nicht aber die Hinrichtung des Königs gewünscht hatten, und bestanden darauf, daß Ludwig zuvor zu gerichtlicher Untersuchung gezogen würde. Blos zum Schein gab die andere Partei nach und der Maire von Paris ward am 11. Dezember nach dem Gefängnisse geschickt, um den König abzuholen. Als er ihm den Beschluß des Nationalkonvents vorlas: »Ludwig Kapet wird um 5 Uhr vor die Schranken des Konvents geführt!« erwiederte der König: »Kapet? – das ist nicht mein Name, wohl aber der Name eines meiner Vorgänger. Doch diese Benennung steht wohl in Verbindung mit der Behandlung, die ich hier seit mehreren Monaten erdulde.« Er stieg mit dein Maire in den Wagen und fuhr unter den Drohungen und Verwünschungen des Pöbels nach den Tuilerien, wohin der Konvent seine Sitzungen verlegt hatte. Bei seinem Eintritte in den Saal entstand eine tiefe Stille; aller Augen waren auf ihn gerichtet. Ruhig und ergeben, mit dem vollen Bewußtsein seiner Unschuld, trat der König vor die Schranken. »Ludwig« – so redete ihn der Präsident Barrère an– »die französische Nation beschuldigt Sie; der Konvent will, daß Sie durch ihn gerichtet werden; man wird Ihnen das Verzeichniß Ihrer Verbrechen vorlesen. Sie können sich nun setzen!« Der König setzte sich, hörte ohne sichtbare Bewegung eine lange Anklage, in welcher er des heimlichen Einverständnisses mit Frankreichs Feinden beschuldigt ward, auch alle durch die Revolution herbeigeführten Unglücksfälle ihm zur Last gelegt wurden. Die Ruhe und Klarheit, womit der König jeden Punkt der Anklage beantwortete, setzte selbst seine Feinde in Erstaunen. Hierauf wurde er unter den Drohungen und Beleidigungen desselben Gesindels, durch dessen Reihen er schon einmal gekommen war, in's Gefängniß zurückgebracht und nunmehr von seinen theuren Unglücksgenossen, von seiner Gemahlin, Schwester und seinem Sohne, völlig getrennt.

Nach des Königs Entfernung brach ein großer Lärm im Konvent aus. Die Jakobiner verlangten, man solle augenblicklich das Todesurtheil über den Tyrannen aussprechen und dasselbe noch in dieser Nacht an ihm vollziehen; allein die Girondisten setzten es durch, daß wenigstens die bei jedem Verbrecher üblichen Formen beobachtet würden. So wurde denn dem Könige erlaubt, sich einen Rath zu seiner Vertheidigung zu wählen. Ludwig's Wahl fiel auf den berühmten Rechtsgelehrten Tronchet, der keinen Augenblick mit der Annahme dieses gefährlichen Prozesses zögerte. Ein durch Talent und Rechtschaffenheit gleich ausgezeichneter Greis, Malesherbes, ein königlicher Minister, bot dem Könige freiwillig seine Dienste an, und diese beiden Sachwalter wählten den jungen talentvollen Deseze zu ihrem Gehülfen. Jedoch gewann der König durch diese Vergünstigung nichts, als den Trost, noch mit einigen edlen Männern zu verkehren in einem Augenblicke, wo keiner seiner Freunde, außer seinem treuen Kammerdiener Clery, sich ihm nahen durfte.

Am 26. Dezember wurde der König nebst seinen Sachwaltern vorgeladen. Ehe sie in dem Sitzungssaal erscheinen konnten, mußten sie eine Zeit lang im Vorzimmer warten, sie gingen in demselben auf und ab. Ein Deputirter, der vorüber ging, hörte gerade, daß Malesherbes in der Unterredung mit seinem Schützling sich der Worte: »Sire, Ew. Majestät!« bediente und fragte finster: »Was macht Sie so verwegen, hier Worte auszusprechen, die der Konvent geächtet hat?« – »Verachtung des Lebens!« antwortete der ehrwürdige Greis. – Endlich wurden sie in den Saal gelassen. Malesherbes konnte vor Rührung nicht sprechen, da trat der feurige Deseze auf und vertheidigte seinen König mit so bewundernswerther Kraft und Gewandtheit, daß Ludwig gerettet worden wäre, hätten die wilden Jakobiner nicht längst seinen Tod beschlossen gehabt.

Ludwig wurde wieder abgeführt und das Mordgeschrei der Jakobiner hallte im Saale wieder, an allen Thüren, an allen Fenstern, von der Galerie herab wurde geschrieen: »Tod! Tod!« Ein Jakobiner, ein ehemaliger Fleischer, verlangte sogar, den König in Stücke zu hauen und in jedes Departement ein Stück zu versenden. Der Kampf der Parteien über die Art und Weise der Verurtheilung währte mehrere Tage und Nächte hindurch. Das bestehende Gesetz, nach welchem ein Angeklagter nur durch zwei Drittel der Stimmen zum Tode verurtheilt werden konnte, wurde aufgehoben und bloße Stimmenmehrheit festgesetzt. Endlich am 17. Januar 1793 wurde der König durch eine Mehrzahl von 5 Stimmen (von 366 gegen 361) zum Tode verurtheilt. Malesherbes war der Erste, welcher dem Könige die Trauerbotschaft brachte, indem er sich ihm unter einem Strome von Thränen zu Füßen warf. Ludwig aber blieb gefaßt und antwortete ruhig: »Nun gut, so bin ich doch nicht länger mehr in Ungewißheit!« Nach kurzer Pause setzte er hinzu: »Seit länger als zwei Stunden denke ich darüber nach, ob ich mir etwas gegen meine Unterthanen vorzuwerfen habe. Ich schwöre Ihnen aber mit dem Gefühl eines Mannes, der im Begriff ist, vor Gott zu treten, daß ich nur das Beste meines Volkes gewollt habe.«

Nur noch die Vergünstigung wurde dem unglücklichen Fürsten gewährt, sich einen Priester zu wählen, der ihm Trost und Stärkung auf dem letzten Gange des Lebens bringe, und auch die, von seiner Familie Abschied zu nehmen. Es war ein rührender Anblick, als der König nach langer, schrecklicher Trennung die lieben Seinigen wiedersah, um sie nie wiederzusehen. Lange hingen sie aneinander in stummer Umarmung, bis endlich ein Strom von Thränen dem bedrängten Herzen Luft machte. Nun ward das Schluchzen und Wimmern des hoffnungslosen Schmerzes so laut, daß man es außerhalb des Thurmes hören konnte. Endlich als die Thränen versiegt waren, trat eine ruhige Unterredung ein, die fast eine Stunde währte. Dann entriß sich der König, fast mit Gewalt, den Armen der Seinigen.

 

11.

Kaum dämmerte der Tag – es war der 21. Januar 1793 –, als Ludwig von seinem Lager aufstand und seinen Beichtvater Edgeworth zu sich rief. Er hörte mit inbrünstiger Andacht die Messe und empfing aus der Hand des Priesters das heilige Abendmahl. Unterdessen wurde es in den Straßen von Paris lebhafter. Der Generalmarsch wurde geschlagen, man fuhr die Kanonen auf; das Getöse von Menschen und Pferden drang schon bis zu dem Thurme. Der König horchte und sprach gelassen: »Es scheint, sie nähern sich!« Jetzt wollte er von den Seinigen noch einmal Abschied nehmen, allein der Geistliche ließ es nicht zu, um dem Könige den Schmerz zu ersparen. Um neun Uhr ging die Gefängnißthüre auf und Santerre, welcher an diesem Tage die Reiterei befehligte, trat mit der Wache ein, ihn abzuholen. »Einen Augenblick!« sagte der König und trat zurück, sank betend in die Kniee und empfing von seinem Beichtvater den Segen. Dann erhob er sich und reichte einem in seiner Nähe stehenden Munizipalbeamten sein Testament; dieser aber wies es trotzig zurück mit den harten Worten: »Ich bin hier, nicht um Ihr Testament zu empfangen, sondern Sie zum Schaffote zu führen!« Ein anderer nahm es endlich schweigend hin. »Nun laßt uns gehen!« sagte Ludwig, und der ganze Haufe setzte sich in Bewegung. Mit seinem Beichtvater und zwei Gensd'armen stieg er in den bereit stehenden Wagen. Vier- bis fünfhundert wohldenkende Königsfreunde hatten sich verbunden, den König mit Gewalt zu befreien; aber die Jakobiner hatten ihre Maßregeln so gut genommen, daß an keine Rettung zu denken war. Bei Todesstrafe war verboten, auf dem ganzen Wege eine Hausthür oder ein Fenster zu öffnen; alle Straßen, durch welche der Zug ging, waren mit einer doppelten Reihe von Bürgerwachen besetzt, an allen Ecken hatte man die Kanonen aufgefahren. Den Wagen umgab eine starke Reiterschaar, geführt von dem grausamen Santerre.

Nach einer Stunde, um 10 Uhr, langte der Wagen auf dem Platze Ludwig's XV. an, in dessen Mitte das Blutgerüst stand. Man hatte diesen Platz ausdrücklich gewählt, weil an ihn der Tuileriengarten stößt und der König über diesen hinweg das Tuilerienschloß sehen konnte. Der ganze Platz war mit Menschen bedeckt, selbst die Dächer waren dicht besetzt. Rings um das Schaffot bildeten 15,000 Soldaten einen großen Kreis, einen engeren die Reiterei unter Santerre. Sobald der König, welcher still für sich gebetet hatte, merkte, daß der Wagen still hielt, sagte er leise zu Edgeworth: »Jetzt sind wir da, wenn ich nicht irre.« Sogleich öffnete einer der Henker den Schlag; der König stieg aus und betrat mit festem Schritt das Blutgerüst, auf welchem das Fallbeil, Guillotine genannt, aufgestellt war. Die Henker umringten ihn und wollten ihn entkleiden; er aber wies sie mit Hoheit zurück, legte selbst das Kleid ab und entblößte seinen Hals. Jetzt umringten sie ihn auf's Neue, ihm die Hände zu binden. »Was maßt ihr euch an?« rief er unwillig. »Sie binden!« antwortete einer. »Mich binden?« erwiederte Ludwig, »das werde ich nie zugeben!« Doch nun trat der Geistliche herzu, erinnerte den König an das Beispiel Jesu, und Ludwig sprach: »Da will ich denn den Kelch bis auf die Neige trinken!« Dann trat er auf den Rand des Gerüstes, winkte den Trommelschlägern und diese schwiegen. Mit vernehmlicher Stimme sprach er nun also: »Franzosen, ich sterbe unschuldig an allen Verbrechen, deren man mich anklagt! Ich verzeihe den Urhebern meines Todes und bitte Gott, daß das Blut, das ihr vergießet, nicht einst über Frankreich komme! Und du unglückliches Volk« ... Aber Santerre stürzte mit dem Degen in der Faust auf die Trommler zu und die Trommeln verschlangen mit ihrem Lärm die übrigen Worte des Königs. Die Henker ergriffen ihr Opfer und führten es unter das Fallbeil. Der Beichtvater kniete neben ihm und rief ihm die Worte zu: »Sohn des heiligen Ludwig, steige hinauf zum Himmel!« Da fiel das Beil und das Haupt des unschuldigen Königs rollte über das Blutgerüst. Einer der Henkersknechte hob es triumphirend empor und zeigte es dem Volke, während von allen Seiten das Geschrei: »Es lebe die Nation! Es lebe die Freiheit!« ertönte. Hüte und Mützen flogen in die Höhe und singend tanzte der Pöbel um das Blutgerüst. Der besser gesinnte Franzose aber verbarg, aus Angst vor jener Rotte, seinen tiefen Schmerz in stiller Brust.

So ward von Frankreich, wie 144 Jahre früher von England, das entsetzliche Verbrechen eines durch Richterspruch verhängten Königsmordes vollführt, ein Verbrechen, von dem wir in der ganzen alten Geschichte kein zuverlässiges Beispiel finden. Die blutgierigen Franzosen blieben aber hierbei nicht stehen. Am 16. Oktober 1793 mußte auch Maria Antoinette, die Tochter Maria Theresia's, die einst allgebietende Königin von Frankreich, unter dem Fallbeile bluten, im folgenden Jahre kam Ludwig's fromme, tugendhafte Schwester Elisabeth an die Reihe, bis das Würgen und Morden so groß ward, daß man die Schlachtopfer nicht mehr zählen konnte. Den schändlichsten Mord beging man aber am kleinen Dauphin, dem Kronprinzen. Dieser wurde einem Schuster, Namens Simon, übergeben, einem Bösewicht der verworfensten Art, welcher ihn so lange mit Prügeln, Hunger, Frost und Schlaflosigkeit marterte, bis der arme Knabe (am 10. Juli 1795) seinen Geist aufgab.

 

12.

Die Nachricht von der Hinrichtung des unschuldigen Königs erfüllte ganz Europa mit Entsetzen und Abscheu, aber die Revolutionsmänner boten nun auch ganz Europa Trotz und überwanden glücklich den Aufstand in dem Innern des Landes selber. In der Vendée, jenem Landstriche zwischen Garonne und Loire, längs dem atlantischen Meere, erhob sich das ganze Volk, um den schmachvollen Tod seines geliebten Königs zu rächen; auch die meisten Städte im südlichen Frankreich, als Bordeaux, Toulon, Marseille und Lyon, traten gegen die Königsmörder unter die Waffen. Aber der Konvent bewaffnete die ganze Nation, und während drei Kriegsheere an die Grenze eilten, wurden die Aufstände im Innern blutig unterdrückt. Doch die Gewalthaber in Paris waren auch mit sich selber in Streit, im Konvente erhob sich der Berg, an dessen Spitze Robespierre, Danton und Marat standen, gegen das Thal, von den Girondisten gebildet, die auf den untern Bänken saßen. Mit Hülfe des Pöbels siegte die Bergpartei, und wer von den Girondisten sich nicht durch die Flucht rettete, ward auf das Blutgerüst geschleppt. Doch auch der nichtswürdige Herzog von Orleans, der, um den Jakobinern zu schmeicheln, sich blos citoyen Egalité (Bürger Gleichheit) genannt hatte, fiel unter dem Beil, weil ihn sein Anhang zum König machen wollte. Marat verlangte für die Guillotine 60,000 Köpfe, um die Republik sicher zu stellen. Da kam ein Mädchen aus der Normandie, Charlotte Corday, deren Freund, einen jungen Offizier, Marat hatte hinrichten lassen, nach Paris, bat um eine Unterredung mit dem Wütherich und erdolchte ihn, als er eben im Bade saß. Nun wüthete Robespierre mit unumschränkter Macht, denn auch der furchtbare Danton, von dem verschmitzten Robespierre überlistet, wurde auf die Guillotine geschleppt. Es war die Regierung des Schreckens (des Terrorismus), die jetzt Frankreich im Zaume hielt; täglich wurden Hunderte, ohne nur verhört zu werden, auf das Blutgerüst geschleppt. Niemand wagte mehr sein Haus zu verlassen und Jeder, der sich öffentlich zeigte, ging als Sanskülotte in einer Leinwand-Blouse und eine rothe Jakobinermütze auf dem Kopf. Keine Kutschen fuhren mehr, auch keine Wagen; Handel und Wandel hörte auf. Am 7. Nov. 1793 wurde auch die christliche Religion abgeschafft, die Kirchen wurden geplündert, die Kruzifixe und Heiligenbilder zerschlagen, die geweihten Gefäße eingeschmolzen, aus den Glocken Kanonen gegossen. Von nun an sollte blos die Vernunft verehrt werden und als Göttin der Vernunft ward eine Operntänzerin auf einem Triumphwagen durch die Straßen geführt. Endlich, als Robespierre seine Hand an mehrere Glieder des Konvents legen wollte, kamen diese ihm zuvor, ein Volksaufstand unterstützte sie und der blutdürstige Tiger ward gefangen genommen. Als man ihn zum Tode führte, trat ein alter Mann zu ihm und sprach: »Es giebt doch einen Gott!«

Nun erlangten die gemäßigteren Glieder des Konvents das Uebergewicht, die übervollen Gefängnisse wurden geöffnet, die Jakobinerklubbs geschlossen. Im Jahre 1795 entwarf der Nationalkonvent eine neue Verfassung mit gemäßigter Volksherrschaft, in welcher zwei Volksversammlungen waren, nämlich ein Rath der Fünfhundert, der Gesetze vorschlagen und abfassen, und ein Rath der Alten (aus 250 Mitgliedern bestehend), der die Gesetze bestätigen sollte. Die vollziehende Gewalt erhielten fünf Direktoren. Nachdem ein Aufstand der Pariser durch den kühnen General Bonaparte unterdrückt war, löste sich der Konvent völlig auf.

 

Napoleon Bonaparte.

 

1.

Napoleon Bonaparte wurde zu Ajaccio auf der italienischen, jedoch um dieselbe Zeit an Frankreich gekommenen Insel Korsika am 15. August 1769 geboren. Sein Vater war Advokat, wenig bemittelt, aber von Adel; die Mutter erzog ihre acht Kinder (fünf Söhne und drei Töchter) mit aller Sorgfalt. Der Statthalter von Korsika verschaffte dem jungen Bonaparte eine königliche Freistelle in der Militärschule zu Brienne, wo er sich zum Offizier bildete. Noch nicht 14 Jahre alt, war er doch schon ungewöhnlich ernst, verachtete die Spiele seiner Gefährten und suchte die Einsamkeit. Im Kriege geboren, warf er sich mit entschiedener Neigung auf die Kriegswissenschaft. Die tiefsinnigsten Lehren der Mathematik wurden seine Lust, weil er sie alle auf die Kriegskunst bezog. Und gerade die Kriegswissenschaft mußte auf seinen Charakter am mächtigsten einwirken, indem ihm hier die Menschen als Maschinen oder Feinde sich darstellten, die man überlistete oder nach den Regeln der Klugheit vernichtete und schlug. Denn Siegen und Herrschen war schon früh seine Leidenschaft, und nur darum trat er seinen Mitschülern etwas näher, um den Krieg im Kleinen zu führen, den er schon im Großen sich dachte. Man weiß, wie er seine Gefährten gegen einander aufgereizt, Meuterei gegen die Lehrer angestiftet und sich ein Ansehen unter den Knaben erworben hat. Bemerkenswerth ist auch, daß er sich endlich zwei von jenen, und gerade sehr beschränkte Köpfe, zu täglichen Gefährten wählte und diese so an sich zu fesseln wußte, daß sie, in demüthiger Bewunderung seiner Ueberlegenheit, sich zu Werkzeugen seiner Absichten gebrauchen ließen.

Neben seinen mathematischen Studien beschäftigte ihn besonders die Geschichte des Alterthums. In allen kühnen Unternehmungen der Vorzeit erkannte er das eigene Kraftgefühl und jedes gelungene Emporstreben, jeder Sieg gewann ihm das einzige Entzücken ab, dessen er fähig war. Daher gefielen ihm besonders die Helden Plutarch's; Tacitus dagegen, den er einen Verleumder des Nero nannte, war ihm verhaßt. In späteren Jahren zog ihn auch das düstere Gemälde des Nordens in Ossian's Schlachtgesängen an. Die Spartaner wurden ihm Vorbilder der Selbstabhärtung, der Kampflust und jener Wortkargheit, die über den Sinn der Rede in Zweifel läßt. Sie ahmte er in seinen Worten und Mittheilungen nach und gewann die große Fertigkeit, mit Wenigem viel und immer noch mehr zu sagen, als die Hörer erkennen sollten. Schon in seinem 14ten Jahre war das festabgegrenzte, eckige ( être carré, wie er selber sagte), verschlossene und kräftige Wesen in ihm ausgeprägt. Einer seiner Lehrer bemerkte über ihn: Ein Korse von Geburt und Charakter, er wird es weit bringen, wenn die Umstände ihn begünstigen.

Darum konnte er schon früher als Andere aus der Militärschule von Brienne entlassen werden und wurde nach Paris geschickt, um dort seine Bildung zu vollenden. Schon nach acht Monaten erhielt er eine Anstellung als Artillerie-Offizier in der königlichen Armee und zeichnete sich durch Pünktlichkeit und Eifer im Dienste aus. Bei dem Ausbruch der Revolution erklärte er sich für die Volkspartei und wurde das erste Mal öffentlich ausgezeichnet im Jahre 1793 wegen der Einsicht, mit welcher er vor Toulon, welches die Engländer besetzt hatten, das Belagerungsgeschütz leitete. 1794 wurde er General, doch bald darauf bei dem Sturze des grausamen Robespierre verhaftet, da man ihn mit Recht beschuldigte, ein Anhänger seiner Grundsätze gewesen zu sein. Er ward wieder frei, blieb indessen ohne Anstellung, bis er im Jahre 1795 den ihm gewordenen Auftrag, die gegen den damaligen Konvent aufgestandenen Bürger zur Ruhe zu bringen, dadurch vollzog, daß er mit Kartätschen unter die Pariser schießen ließ. Diese That zeigte, was man von dem jungen General zu hoffen und zu fürchten hatte, denn schon damals erkannten die ihm Nahestehenden eine Furchtbarkeit in ihm, die für kriegerische Zwecke brauchbar sei, die man aber außerdem soweit als möglich von sich entfernt halten müßte. Doch nur die Nahestehenden kannten ihn so.

Die an's Ruder der Regierung gelangten Direktoren hatten den furchtbaren Plan entworfen, ihren mächtigsten Feind auf dem Festlande, Oesterreich, niederzuschmettern. Nach diesem Plane sollte der General Jourdan durch Franken, Moreau durch Schwaben, der junge Bonaparte von Italien aus in das Herz von Oesterreich dringen und dem Kaiser die Friedensbedingungen unter den Mauern seiner Hauptstadt vorschreiben. Bonaparte ward zum General der italienischen Armee ernannt.

 

2.

Der Befehlshaber der italienischen Armee hatte mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen, denn das Heer befand sich im allerkläglichsten Zustande – ohne Geld, ohne Kleidung, ohne Zucht und Ordnung, ein wahres Lumpengesindel. Doch sobald der junge Held erschien, änderte sich die Sache; sein Geist erfaßte die Gemüther der Soldaten mit unwiderstehlicher Gewalt, bald kam Ordnung und Begeisterung in das zerrüttete Heer und es folgte mit neuem Muth seinem kundigen Führer. Der österreichische General Beaulieu, der unter Waffen grau geworden war, wurde geschlagen; erschrocken trennte sich zuerst der König von Sardinien von dem österreichischen Bunde und bat um Waffenstillstand. Er erhielt ihn nur gegen schwere Opfer. Unaufhaltsam rückte Bonaparte vor. Bei Lodi hatten die Oesterreicher die über den Fluß Adda führende Brücke besetzt und am Eingange derselben eine Menge Kanonen aufgepflanzt, um augenblicklich Alle zu zerschmettern, die es wagen würden, sie zu betreten. Dennoch beschloß Bonaparte den Sturm. Auf seinen Befehl: »Vorwärts!« stürzten 3000 Grenadiere mit gefälltem Bajonnet, unter dem Rufe: »Es lebe die Republik!« auf die Brücke; aber ein mörderisches Kartätschenfeuer streckte die Anstürmenden reihenweise zu Boden. Schon wichen die Grenadiere bestürzt zurück; da stellten sich Berthier, Massena und Lannes, die Unterbefehlshaber, selbst an ihre Spitze, führten sie im Sturmschritt über die Brücke, eroberten das Geschütz und schlugen das österreichische Heer völlig in die Flucht. Dieser Sieg, den Napoleon Bonaparte im Jahre 1796 (10. Mai) erfocht, erfüllte ganz Italien mit Schrecken und Bewunderung. Vor allen eilten die Herzöge von Parma und Modena, den jungen Helden um Frieden zu bitten. Sie erhielten ihn gegen Erlegung großer Kriegssteuern und gegen Auslieferung kostbarer Gemälde und anderer Kunstschätze, die er nach Paris schickte, um durch solche Siegeszeichen die eitlen und schaulustigen Bürger der Hauptstadt für sich zu gewinnen. Auch der Papst und der König von Neapel baten um Waffenstillstand und bezahlten dieses Geschenk ebenfalls mit großen Summen. Der Kaiser Franz, erschreckt durch die Fortschritte der französischen Waffen in Italien, schickte eiligst aus Deutschland seinen General Wurmser mit einem neuen Heere dahin; allein trotz der heldenmüthigsten Tapferkeit gelang es nicht, den Siegeslauf des jungen republikanischen Feldherrn und seiner begeisterten Truppen zu hemmen. In mehreren Treffen geschlagen, mußte sich Wurmser mit dem Reste seines Heeres in die Festung Mantua werfen. Hier vertheidigte er sich mit dem Muthe eines Löwen und blieb unverzagt, ungeachtet des drückenden Mangels an Lebensmitteln. Um den Hartbedrängten zu entsetzen, schickte der Kaiser ein neues Heer unter dem General Alvinzi nach Italien. Nach mehreren kleineren Gefechten kam es am 18. November 1796 bei dem Dorfe Arkole zu einer Hauptschlacht.

Dieses Dorf liegt an einem kleinen Flusse, Alpon, welcher durch eine von Sümpfen durchschnittene Ebene in die Etsch fließt. Die über den Alpon führende Brücke war durch die am jenseitigen Ufer aufgestellte österreichische Artillerie gedeckt. Um den Besitz der Brücke und des Dorfes ward drei Tage lang hinter einander fast mit übermenschlicher Anstrengung gekämpft. Ganze Kolonnen der anstürmenden Republikaner wurden von dem mörderischen Feuer der Oesterreicher niedergeschmettert. Die Generale stellten sich selbst an die Spitze und führten ihre Reihen im Sturmschritt auf die Brücke, aber sie wurden blutig zurückgeworfen. Da ergriff Bonaparte selbst die Fahne, und mit dem Rufe: »Mir nach!« stürzte er mitten im Kugelregen vorwärts auf die Brücke. Schon hatte er die Mitte erreicht, schon hatte er die Fahne als Siegeszeichen aufgepflanzt, da plötzlich erschien eine neue österreichische Truppenabtheilung und richtete sogleich das Geschütz auf den anstürmenden Feind. Es entstand ein furchtbares Getümmel auf der Brücke. Die Vordersten wichen bestürzt zurück und rissen bei so großer Gefahr ihren kühnen General, der nicht weichen wollte, mitten durch Todte und Sterbende mit Gewalt fort. Aber im Gedränge stürzte er von der Brücke in den Sumpf, bis zur Mitte des Körpers. Schon ist er vom Feinde umgeben, als die Grenadiere die Gefahr bemerken. Da erschallt der allgemeine Ruf: »Soldaten, vorwärts, den General zu retten!« Sie kehren wüthend zurück, stürzen auf den Feind, drängen ihn über die Brücke zurück und Bonaparte ist gerettet. Zu gleicher Zeit erscheint eine französische Kolonne im Rücken des österreichischen Heeres und dieses tritt voll Bestürzung seinen Rückzug an.

Diese dreitägige Mordschlacht entschied auch über Mantua's Schicksal. Nachdem Wurmser alle Hülfsmittel des Muthes und eiserner Beharrlichkeit erschöpft hatte, mußte er sich aus Mangel an Lebensmitteln (1797) mit der ganzen Besatzung von 20,000 Mann kriegsgefangen ergeben. So ward Oesterreich zum Frieden (Kampo Formio) gezwungen, mußte Belgien und die Länder, die es in Italien besessen, abtreten und erhielt dagegen den größten Theil des Gebietes der tausendjährigen Republik Venedig, das der französische General früher verschenkte, als er es hatte; d. h. er versprach es an Oesterreich und eroberte es sodann. Dagegen bildete er aus den österreichischen Besitzungen in Italien eine neue zisalpinische Republik mit der Hauptstadt Mailand; auf dem Gebiet von Genua ward die ligurische Republik gebildet.

 

3.

So verließ Bonaparte ruhmgekrönt den ersten Schauplatz seiner glänzenden Siege, und da der französischen Republik damals nur noch ein Feind unbesiegbar war, das seemächtige England, so wurden alle Anstrengungen gegen dieses gerichtet und Bonaparte schon den 28. Oktober 1797 zum Oberbefehlshaber der Armee gegen England ernannt. In allen französischen Häfen an der Nordküste begannen furchtbare Rüstungen; eine große Truppenzahl sammelte sich am Kanal und alle französischen Zeitungen verkündigten Landung aus England, so daß man in London nicht wenig besorgt ward und drohende Gegenanstalten traf. In der nämlichen Zeit aber, da man diese Rüstungen am Kanal mit großem Geräusch betrieb, wurden auch zu Toulon und an der italienischen Küste Schiffe und Truppen versammelt und seit dem April 1798 sagte man hier und da laut, diese Unternehmung sei gegen Aegypten bestimmt, um von da mit einer Armee nach Ostindien zu gehen und der britischen Herrschaft in Asien ein Ende zu machen.

Allein der Gedanke schien so abenteuerlich, daß man fast nirgends daran glaubte, wie sehr es auch voller Ernst damit war. Die Direktoren unterstützten gern den kühnen Plan, schon aus dem Grunde, um den furchtbaren Italiener mit seiner tapfern Armee aus ihrer Nähe zu entfernen. Am 19. Mai 1798 segelte er mit 40,000 Mann Landtruppen auf einer Flotte von mehr als 400 Segeln von Toulon ab. Es war ein herrlicher Anblick! Günstige Winde trieben die schwimmende Stadt schnell auf der großen Wasserfläche dahin. Alle Soldaten waren voll Muth und froher Zuversicht. Berühmte Feldherren, wie Desaix, Kleber, Mürat, wären an Bord; auch Künstler und Gelehrte hatten sich eingeschifft, in der Hoffnung, auf dem alten berühmten Boden des Wunderlandes Aegypten schätzbare Entdeckungen zu machen.

Am 10. Juni erschien die Flotte vor Malta. Die fast unüberwindliche Felsenfestung ward durch Verrath der französischen Ritter daselbst ohne Schwertstreich übergeben. Nachdem Bonaparte eine Besatzung von 4000 Mann auf Malta zurückgelassen, segelte er weiter. Unterdessen kreuzte der englische Admiral Nelson mit einer großen Flotte auf dem Mittelländischen Meere hin und her, um die Franzosen aufzusuchen, und es war für diese eine außerordentliche Gunst des Zufalls, daß sie ungesehen nahe bei der englischen Flotte vorübersegelten. Am 1. Juli landeten sie bei Alexandria in Aegypten. In dem Augenblicke, als sie an das Land fuhren, ward in der Ferne ein Schiff sichtbar, welches man für ein feindliches hielt. »O Glück!« rief Bonaparte, »willst du mich verlassen? Nur noch fünf Tage und es ist Alles gerettet!« Das Glück blieb ihm treu. Das Schiff, welches man bemerkt hatte, war eine französische Fregatte. Ungehindert schiffte Bonaparte seine Truppen aus, nahm gleich darauf Alexandrien mit Sturm und rückte dann rasch gegen Kairo, die Hauptstadt von Aegypten. Um das Volk zu beruhigen, machte er bekannt, er sei als Freund des Sultans gekommen und sein Angriff sei nur gegen dessen Feinde, die Mamelucken, gerichtet; von diesen wolle er das Land befreien. Allein die Pforte ließ sich durch solche Vorspiegelungen nicht täuschen und erklärte ihm den Krieg. In diesem fremden Erdtheile hatten die Franzosen mit außerordentlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Weg nach Kairo führte durch eine große Sandwüste, in welcher sie unablässig von den mameluckischen Reitern angefallen wurden. Verloren war Jeder, der sich nur auf einige Schritte vom großen Haufen trennte. Auf ihren raschen Pferden kamen die Feinde eben so schnell herangeflogen, als sie wieder verschwanden. Doch blieben die Franzosen trotz aller Mühseligkeiten stets heiteren Muthes, ja trieben wohl noch Scherz und Kurzweil. Auf ihrem Zuge ergötzten sie sich damit, die Esel, welche das Gepäck der Gelehrten trugen, ihre Halbgelehrten zu nennen. Sobald die Generale beim Heransprengen der Mamelucken kommandirten: »Das Viereck gebildet, die Esel und Gelehrten in die Mitte!« lief jedesmal ein schallendes Gelächter durch die Reihen.

Am 21. Juli 1798 langten die Franzosen im Angesicht der Pyramiden an, als eben die Sonne aufging. Auf einmal machte das erstaunte Heer aus freien Stücken Halt, um diese Riesendenkmäler zu begrüßen, die aus einem so hohen Alterthume auf uns gekommen sind. Als dies Bonaparte sah, rief er voll Begeisterung aus: »Franzosen! Heute werdet Ihr den Beherrschern Aegyptens eine Schlacht liefern; vergesset nicht, daß von den Höhen dieser Denkmäler vier Jahrtausende auf Euch herabschauen!« Und mit nie gesehenem Muthe griffen die Franzosen, im Angesicht der ehrwürdigen Steinkolosse, die bei denselben aufgestellten Heeresmassen der Mamelucken an und erfochten den glänzendsten Sieg. Seit dieser Schlacht bei den Pyramiden ward Bonaparte von den Aegyptern nicht anders als Sultan Kabir, d. i. »Vater des Feuers«, genannt. Wenige Tage darauf öffnete ihm auch Kairo die Thore.

 

4.

Aber während Napoleon von der Hauptstadt Aegyptens Besitz nahm, erreichte endlich Nelson die französische Flotte im Hafen von Abukir den 1. August und sogleich begann die furchtbarste Seeschlacht. Achtzehn Stunden lang wurde gekämpft, endlich fing das französische Admiralschiff Feuer und flog mit 120 Kanonen in die Luft. Das Meer zischte und brauste in der entsetzlichsten Gluth; die französische Flotte ward völlig vernichtet. Die Engländer herrschten auf dem Mittelmeere von Gibraltar bis Alexandria; Bonaparte war abgeschnitten und Türken und Engländer rüsteten sich, ihn von der Landenge von Suez her anzugreifen. Aber er kam ihnen zuvor, drang über Suez in Syrien und Palästina ein bis nach der Festung Akre; doch hier wurde das erste Mal seine Hartnäckigkeit gebrochen. Ueber zwei Monate lag er vor der Festung; drei Tage hinter einander hatte er vergeblich Sturm laufen lassen und als er nun zurück mußte, war er gezwungen, alle seine Verwundeten und Kranken den erbitterten Feinden preiszugeben. In Aegypten – das erkannte er wohl – hatte er seine Rolle ausgespielt. Dagegen eröffnete sich ihm nach den Briefen, die er aus Europa erhielt, hier ein günstiger Schauplatz, und glücklich, wie er nach Aegypten gekommen war, kam er wieder nach Frankreich zurück (Oktober 1799). Ohne das strenge Quarantainegesetz zu beobachten, reiste er sofort von der Küste nach Paris. Ganz Frankreich, im unglücklichen Kriege mit Oesterreich und Rußland, hoffte von ihm Sieg und Rettung; die Regierung der fünf Direktoren, die zu der großen Aufgabe zu schwach war, sollte einem Stärkeren weichen. Schnell brachte Bonaparte mehrere der einflußreichsten Männer, besonders den schlauen Sieyes, auf seine Seite, dann bewog er die erschrockenen Direktoren zur Abdankung und ließ sich vom Senat (dem Rath der Alten) zum obersten Befehlshaber der ganzen bewaffneten Macht ernennen. Nun mochten aber Viele schon ahnen, wohin eine solche Militärdiktatur führe, und als sich der Senat wie der Rath der 500 in St. Cloud versammelten, erhoben in letzterem die Republikaner ihre Stimme: »Außer dem Gesetz! Nieder mit dem Diktator!« Da trat Bonaparte mit mehreren Grenadieren in den Saal. Ein lautes Geschrei bestürmte ihn; man faßte ihn beim Kragen, Einige sollen mit Dolchen auf ihn losgerannt sein. Nur mit Hülfe seiner Grenadiere ward er der Wuth seiner Feinde entrissen. Draußen aber versammelte Bonaparte seine treuen Soldaten um sich und sprach: »Ich habe Feinde, kann ich auf Euch zählen?« Hoch lebe Bonaparte! war die Antwort. Und sogleich befahl er dem General Mürat, mit geschlossener Kolonne in den Saal zu rücken und die Versammlung auseinander zu treiben. Der Sturmmarsch wurde geschlagen, die Saalthüren aufgerissen und auf das Kommando »Vorwärts!« rückten die Grenadiere mit gefälltem Bajonnet in der ganzen Weite des Saales vor. Und augenblicklich stoben alle Mitglieder der Versammlung aus Thüren und Fenstern.

Am 15. Dezember 1799 wurde eine neue Verfassung eingeführt – die vierte seit zehn Jahren. Es wurden auf zehn Jahre drei Konsuln ernannt, von denen aber Bonaparte der erste und eigentliche Regent war. Er ernannte zu allen Stellen des Krieges und des Friedens; er allein befehligte das Heer. Aber es war auch Zeit, daß eine festere Ordnung wiederkehrte, und diese Ordnung konnte nur mit eiserner Faust aufrecht erhalten werden.

Nun gewann Frankreich sogleich ein neues Leben und der Kriegsschauplatz wurde mit Siegen eröffnet. Moreau ging über den Rhein, Bonaparte selbst über den großen St. Bernhard, gleich Hannibal, nach Italien, wo er am 5. Mai 1800 die große Schlacht bei Marengo den Oesterreichern abgewann. Die Eroberung von Oberitalien war die Folge des Sieges und als Moreau in Deutschland einen glänzenden Sieg bei Hohenlinden (3. Dezember) gewonnen hatte und bis Linz vorgedrungen war, kam es im Jahre 1801 zum Frieden von Lüneville (in Lothringen), den Kaiser Franz, von einem zehnjährigen Kampfe erschöpft, eingehen mußte, während Paul, Kaiser von Rußland, dessen Truppen in der Schweiz und Italien mitgefochten hatten, vom Kriegsschauplatze abtrat. In diesem Frieden verlor Deutschland das ganze linke Rheinufer; alle deutschen Fürsten wurden durch die eingezogenen (säkularisirten) geistlichen Güter entschädigt dafür, daß sie dem Kaiser im letzten Kriege nicht beigestanden hatten.

 

5.

Während der Ruhe arbeitete Bonaparte unablässig an der inneren Wohlfahrt des Landes und suchte die durch die Revolution geschlagenen Wunden möglichst zu heilen. In Gemeinschaft mit dem Papste Pius VII. ordnete er die kirchlichen Angelegenheiten und führte die Feier des öffentlichen Gottesdienstes wieder ein; Schulen wurden hergestellt, um die Jugend zu entwildern; zur Beförderung des Handels wurden Kunststraßen angelegt und in die ganze Verwaltung mehr Ordnung gebracht. Es schien, als wolle er sich den Ruhm eines eben so großen Staatsmannes als Feldherrn erwerben. Darum sagten auch seine Lobredner von ihm, er verbinde mit Alexander's Größe Solon's Weisheit! Für die vielen Verdienste um das Vaterland ernannte ihn der Senat am 3. August 1802 zum Konsul auf Lebenszeit. Auch wurde der Orden der Ehrenlegion gegründet, um alle Diejenigen zu belohnen, welche sich auf irgend eine Weise um das Vaterland verdient machten. Dem ruhmsüchtigen Manne war es nun ein Leichtes, den letzten Schritt zur Alleinherrschaft zu thun. Eine angebliche Verschwörung gegen das Leben des Konsuls, deren Theilnehmer Pichegrü, der Eroberer Hollands, Georges, Moreau und Enghien, ein Enkel des Prinzen Condé, sein sollten, leistete ihm hierzu noch größeren Vorschub. Pichegrü ward in's Gefängniß geworfen, in welchem er wahrscheinlich durch Meuchelmord umkam; Georges wurde guillotinirt, Moreau verbannt und der Herzog von Enghien von den Franzosen aus Deutschland geschleppt und zu Vincennes (bei Paris) in der Nacht des 20. März 1804 erschossen. Der arme Unschuldige wurde in den trockenen Schloßgraben geführt, vor ein offenes Grab gestellt, und dann befestigte man eine Laterne an seine Brust, damit die Kugeln der Soldaten ihr Ziel nicht verfehlten.

Die Freunde des Mächtigen machten dem Volke leicht begreiflich, daß keine Ruhe sein werde, wenn Bonaparte nicht zum Monarchen erklärt würde. Weil der Königstitel verhaßt war, sollte er Kaiser heißen und als solcher das große fränkische Reich Karl's des Großen wieder herstellen. Solches schmeichelte der Eitelkeit der Franzosen und der gehorsame Senat übernahm es, dem Konsul die Kaiserkrone anzubieten. Als ihm der Senatsbeschluß überbracht wurde, sagte er mit scheinbarer Gleichgültigkeit: »Ich nehme den Titel an, den der Senat für den Ruhm der Nation zuträglich hält, und hoffe, daß Frankreich die Ehre, mit welcher es meine Familie umgiebt, nie bereuen werde.« Am 2. Dezember 1804 wurde er als Napoleon I. vom Papste Pius VII. mit ausgezeichneter Pracht feierlich zu Paris in der Kirche von Notredame gekrönt.

So war der Kreislauf der Revolution von der Monarchie zur Monarchie fast wie im alten Rom vollbracht. Feste aller Art, mit orientalischem Gepränge, riefen das Volk zur Freude auf über das Ende des Freiheitstraumes. Aber selbst die Kaiserkrone genügte nicht dem Ehrgeize des Glücklichen; er wußte es dahin zu bringen, daß die italienische Republik ihn auch zum erblichen Könige von Italien ernannte. Am 26. Mai 1805 setzte er die eiserne Krone der Lombarden auf sein Haupt mit den Worten: »Gott gab sie mir, wehe dem, der sie berührt!«

 

6.

Die grausame Hinrichtung des Herzogs von Enghien, die Willkür, mit der Napoleon Fürsten und Völker behandelte, rief bald wieder seine alten Feinde gegen ihn in die Waffen. Die Seele des Bundes war der unermüdliche englische Minister Pitt; diesmal trat auch Alexander I., seit Paul's Ermordung (1801) russischer Kaiser, der Koalition bei; dagegen vereinigten sich Deutsche – Baiern, Baden und Württemberg – mit den Franzosen. Mit unerwarteter Schnelligkeit ging Napoleon über den Rhein, schloß den umgangenen österreichischen Feldherrn Mack in Ulm ein und zwang ihn, sich mit 24,000 Mann zu ergeben (1805). Rasch ging der Zug vorwärts; ohne einen Schwertstreich rückte Napoleon in Wien ein und wandte sich dann nach Mähren, wo das russische und österreichische Heer sich vereinigt hatten. Die beiden Kaiser, Franz und Alexander, waren selbst bei ihren Truppen, um sie durch ihre Gegenwart anzufeuern. Am 2. Dezember 1805 kam es bei Austerlitz (unweit Brünn) zu einer großen entscheidenden Schlacht, in welcher die Verbündeten völlig geschlagen wurden. Der linke russische Flügel wollte sich über einen gefrorenen See retten, aber Napoleon ließ das Eis durch Kanonenkugeln zerschmettern und mehrere Tausende der Soldaten versanken rettungslos. Bekümmert und niedergeschlagen mußte Kaiser Franz den Preßburger Frieden schließen, worin Oesterreich Venedig, ganz Tyrol und seine Besitzungen in Schwaben verlor, mit welchen Napoleon seine Bundesgenossen Baden, Baiern und Württemberg beschenkte. So unglückliche Folgen für das elende deutsche Kaiserreich hatte die » Dreikaiserschlacht,« wie sie Napoleon in seinem Siegesberichte pomphaft nannte, gehabt. Der Kurfürst von Baiern (mit Tyrol beschenkt) und der Kurfürst von Württemberg nannten sich nun »Könige« und erklärten nun ihre Unabhängigkeit von Kaiser und Reich. Um aber die Schmach unseres so tief gebeugten Vaterlandes zu vollenden, stiftete Napoleon den Rheinbund, durch welchen vorerst sechzehn deutsche Fürsten von Kaiser und Reich sich lossagten und Napoleon als ihren Protektor (Beschützer) anerkannten. Für diesen Schutz versprachen sie, ihm mit 63,000 Mann in allen seinen Kriegen beizustehen. Da legte Franz den Titel eines deutschen Kaisers, der nun keinen Sinn mehr hatte, ab und nannte sich (seit dem 6. August 1866) Franz I. Kaiser von Oesterreich. So endete das tausendjährige deutsche Reich.

Von nun an kannte Napoleon's Uebermuth keine Grenzen mehr, er verschenkte Länder und Kronen wie feile Waaren an seine Verwandten und Generale. Ferdinand, der König von Neapel, hatte englische und russische Truppen in seinem Königreiche landen lassen. Sogleich erklärte Napoleon mit lakonischer Kürze: »Ferdinand hat aufgehört zu regieren,« und ein großes Heer, geführt von Massena, dem »Sohne des Siegs« und von Napoleon's Bruder, Joseph Bonaparte, eilte den Machtspruch zu vollziehen. Ferdinand floh über's Meer nach Palermo und Napoleon ernannte am 30. März 1806 seinen Bruder Joseph zum König von Neapel. Um seinen Bruder Ludwig zu versorgen, wußte der Schlaue es dahin zu bringen, daß die batavische Republik (die Niederlande) sich diesen zum Könige ausbat, und so wurde Ludwig im Juni 1806 König von Holland. Mürat, früher Koch, dann des Kaisers Schwager, wurde Großherzog von Berg und Kleve; der Marschall Berthier Herzog von Neufchatel.

 

7.

Napoleon benahm sich nun in Deutschland als unumschränkter Herr über Fürsten und Volk. Sein Wille galt als höchstes Gesetz, und wer eine andere Meinung zu haben wagte, wurde von der napoleonischen Inquisition belangt und als Hochverräter bestraft. Ein Nürnberger Buchhändler, Palm, hatte eine Flugschrift »über Deutschlands Erniedrigung« – nicht selber geschrieben, sondern nur als Geschäftsmann versandt. Dafür wurde er plötzlich von französischen Gensd'armen ergriffen, nach Braunau geschleppt, dort vor ein französisches Kriegsgericht gestellt und auf Befehl Napoleon's erschossen.

Während so Deutschland tief darniederlag, bestand England allein den schweren Kampf mit Glück und in der Seeschlacht am spanischen Vorgebirge Trafalgar hatte der britische Seeheld Nelson die französische Flotte abermals besiegt und vernichtet. Zum Glück für Napoleon starb der große Pitt, sein unversöhnlicher Gegner, und dessen Nachfolger ließ einen vortheilhaften Frieden erwarten. Um diesen zu erhängen und sich den Engländern gefällig zu erweisen, mußte Preußen fallen, welches bis jetzt ruhig zugesehen hatte, wie das deutsche Reich zerstückelt und aufgelöst, wie Oesterreich gedemüthigt wurde. Der edle König Friedrich Wilhelm III. hatte unablässig dahin gestrebt, seinem Volke den Frieden zu erhalten; darum war er auf den Vorschlag Napoleon's eingegangen, Hannover an der Stelle des abgetretenen Ansbach, Kleve und Berg anzunehmen. Nun bot der französische Kaiser eben dieses Hannover wieder den Engländern an: da blieb dem schwer gekränkten Könige von Preußen nichts übrig, als an Frankreich den Krieg zu erklären. Aber Preußen stand nun ganz allein gegen den übermächtigen Eroberer, und obwohl der Kurfürst von Sachsen ein Hülfsheer von 22,000 Mann schickte, so blieb doch der Kampf sehr ungleich, denn die preußischen Heerführer waren größtentheils schon hoch bejahrt und in der neuen Kriegsweise wenig geübt; die jungen Offiziere ohne Erfahrung, aber voll Uebermuth. So traf das Unglück ein, das man schon im Voraus befürchtet hatte. Schon am 10. Oktober 1806 ward die Vorhut der preußischen Armee bei Saalfeld von einer überlegenen Feindeszahl zersprengt und der Prinz Ludwig Ferdinand von Preußen, die Zierde der Ritterschaft und des Hofes, verlor im Reitergefechte sein Leben. Rasch und mit Eilmärschen rückte die große Armee Napoleon's in Thüringen ein. Die Preußen standen in zwei Abtheilungen bei Auerstedt und Jena, die eine unter dem alten Herzog Ferdinand von Braunschweig, die andere unter dem Fürsten von Hohenlohe. Ehe sie es sich versahen, hatten sie den Feind im Rücken, so daß sie sich wenden mußten, um zu schlagen. Da geschah am 14. Oktober die Doppelschlacht von Jena und Auerstedt, in welcher gleich zu Anfange des Treffens der Herzog von Braunschweig, von einer feindlichen Kugel über den Augen gestreift, besinnungslos niederstürzte. Vergebens theilte der König und sogar die Königin die Gefahren der Schlacht; vergebens wiederholte Prinz Wilhelm, des Königs Bruder, die Reiterangriffe – die Preußen mußten weichen. Ueber 50,000 Mann verlor der König an diesem Unglückstage. Beispiellos war die Verwirrung und Auflösung. Der Prinz von Hohenlohe wurde auf der Flucht eingeholt, umzingelt und mit 17,000 Mann gefangen. Mit schändlicher Feigheit übergaben die Festungskommandanten Erfurt, Magdeburg, Spandau, Stettin und Küstrin den Franzosen; nur der wackere Courbiere in Graudenz bewies sich standhaft. Als ihn die Feinde mit höhnenden Worten zur Uebergabe aufforderten mit der Schmähung: »es gebe keinen König von Preußen mehr!« erwiederte er: »Nun wohlan, so bin ich König von Graudenz und werde mich zu vertheidigen wissen!«

Schon am dritten Tage nach der Schlacht trennte sich der Kurfürst von Sachsen von seinem Unglücksgefährten; er trat zum Rheinbunde über und ward zum Lohne dafür von Napoleon mit der Königswürde beschenkt. Traurig aber war das Schicksal des Herzogs von Braunschweig, des Anführers bei Auerstedt. Schwer verwundet floh er nach seiner Residenz und sandte von hier eine Botschaft an Napoleon, um sich der Gnade desselben zu empfehlen. Doch zornig antwortete der Kaiser: »Ich kenne keinen Herzog von Braunschweig, nur einen preußischen General dieses Namens.« Krank und des Augenlichtes beraubt ließ sich der verfolgte Greis weiter nach Altona bringen und starb in trostloser Verbannung zu Ottensen.

 

8.

Die Trümmer des preußischen Heeres vereinigten sich hinter der Oder mit einem unterdeß angekommenen russischen Hilfsheere und zwei Tage hintereinander, am 7. und 8. Februar 1807, wurde die mörderische Schlacht bei Eylau geschlagen, in welcher die Preußen ihren alten Waffenruhm wieder bewährten. Beide Theile rühmten sich des Siegs und beide Theile zogen sich zurück. Napoleon hatte bereits einen Aufruf an die Polen erlassen, sich gegen ihre alten Unterdrücker zu erheben und ihnen versprochen, das Königreich Polen wieder herzustellen. Freudig erhob sich das Volk auf seinen Ruf. Am 14. Juni 1807, am Jahrestage der Schlacht bei Marengo, ward bei Friedland noch einmal blutig gestritten, aber ein vollkommener Sieg über das verbündete Heer der Russen und Preußen von Napoleon errungen. Erschüttert bat der Kaiser Alexander, als er den Furchtbaren den Grenzen seines eigenen Reichs schon so nahe sah, um Waffenstillstand und Frieden. Napoleon bewilligte Beides und kam mit ihm und dem gebeugten Könige von Preußen auf dem Flusse Niemen zusammen, um das Nähere persönlich zu besprechen. Zu Tilsit wurden dann die Unterhandlungen gepflogen. Hier erschien auch die Königin Louise von Preußen, ein Bild der Hoheit und Anmuth. Sie war entschlossen, den gewaltigen Sieger selbst durch Bitten zu einem ehrenvollen Frieden und zur Schonung des Landes und Volkes zu bewegen. In ihrer reinen, hochherzigen Liebe für das Volk und seinen Fürsten scheuete sie diese Erniedrigung nicht. Aber Napoleon's Herz blieb ungerührt, finster und stolz fragte er die Königin: »Wie konnten Sie auch nur einen Krieg mit mir anfangen?« Da erwiederte ihm Louise mit edler Würde: »Es war Preußen erlaubt, ja es war uns erlaubt, uns durch den Ruhm Friedrich's über die Mittel unserer Macht zu täuschen – wenn wir uns überhaupt getäuscht haben!« Und die wahrhaft deutsche Frau hatte sich nicht getäuscht, daß sie auf den Geist des Volkes bauete. Nur darin hatte sie sich getäuscht, daß sie von Napoleon's Edelmuth etwas hoffte. Preußen verlor alle Länder zwischen der Elbe und dem Rhein, außerdem die polnischen Länder mit der Stadt Danzig, welche für eine freie Stadt erklärt wurde; das polnische Land wurde zu einem Großherzogthum Warschau erhoben, und kam zum größten Theil an den König August von Sachsen; einen Theil von preußisch Polen erhielt Rußland. Aus den Ländern zwischen dem Rhein und der Elbe, aus Hannover, Braunschweig, Hessen-Kassel, schuf Napoleon das Königreich Westphalen für seinen jüngsten Bruder Hieronymus. So stand jetzt ein kleines Frankreich im Herzen von Deutschland und fremde Tyrannen geboten in dem Lande Hermann's und dem Ursitze der Sachsen!

So an Ländern zusammengeschmolzen und eingeschlossen zwischen Staaten, die den Franzosen anhingen, sollte Preußen völlig erdrückt werden. Aber die Gewalt, so viel sie auch auf Erden vermag, sie vermag doch nicht den Geist und die sittliche Kraft des Volkes zu zertrümmern. König Friedrich Wilhelm III., der Gerechte und Standhafte, bauete auf seines Volkes Treue, und von biederen Vaterlandsfreunden unterstützt, unternahm er eine durchgreifende Verbesserung des Staats- und Heerwesens. Er berief am 5. Oktober 1807 den Freiherrn vom Stein, adelig von Geburt und Gesinnung, einen echten Mann des Volks, zum Minister, und dieser unterwarf das Alte einer Umbildung zum Neueren und Besseren. Das bisher bestandene Vorrecht des Adels, ausschließlich Rittergüter zu besitzen, wurde aufgehoben, auch Bürger und Bauern durften fortan solche Güter erwerben. Der Dienstzwang hörte auf. Der Bauernstand wurde frei, der Bürgerstand erhielt seine alten sogenannten »Munizipalrechte,« wodurch er früher groß und stark geworden war, eine vortreffliche Städteordnung wieder, jede Bürgergemeinde bekam das Recht, ihre Vertreter sich selber zu wählen. In ähnlichem Geiste bestellte Friedrich Wilhelm III. auch das Heerwesen neu, wobei ihm der treffliche General Scharnhorst mit Rath und That beistand. Der Bürgerstand wurde nun auch als fähig zu allen Offiziersstellen erklärt; nur das persönliche Verdienst sollte den Mann adeln. Die alte unzweckmäßige Tracht der Soldaten wurde abgeschafft, ebenso die entehrende Bestrafung durch Stockprügel. Durch die Wiederbelebung des Ehrgefühls wurde aber auch das Nationalgefühl wieder belebt; der Soldat fühlte sich nicht mehr als bloßer Knecht, sondern als Staatsbürger, und kämpfte nun mit Lust und Liebe, wo er früher blos aus Zwang gestritten hatte. Das Volk begriff bald, wo es fehlte. Zu Königsberg in Preußen stifteten treffliche Männer einen Verein zur Kräftigung der Vaterlandsliebe, welcher unter dem Namen des »Tugendbundes« sich bald durch das ganze Land verbreitete. Der edle Minister von Stein war die Seele aller dieser Anstrengungen, aber sobald Napoleon davon Kunde erhielt, mußte er nicht blos seine Entlassung nehmen, sondern auch aus Deutschland fliehen, denn er wurde vom Kaiser als »Volksverführer« geächtet.

An Stein's Stelle in Preußen trat 1810 der Minister von Hardenberg, ein ebenso eifriger Freund des Vaterlandes und Feind der Fremdherrschaft, nur darin glücklicher als sein Vorgänger, daß er den Argwohn der Franzosen täuschte und so ungestört seine segensreichen Verbesserungen durchsetzen konnte. Immer mächtiger durchdrang die geistige und sittliche Ausbildung alle Stände des Volks, während einzelne Ehrenmänner, wie Ernst Moritz Arndt und Ludwig Jahn, voll glühender Vaterlandsliebe das heranwachsende Geschlecht bildeten. Da wurden Turnanstalten errichtet, auf denen die Jugend sich fleißig tummelte, zugleich die edelsten Lehren von Freiheit und Sittlichkeit einsog und hohen Muth und Kampflust gewann.

Und wie in Preußen erwachte auch in vielen andern deutschen Landen gerade unter der tiefsten Erniedrigung das Nationalgefühl und bäumte sich gegen die fremde Gewalt.

 

9.

Inzwischen hatte Napoleon 1808 in Spanien die königliche Familie aus bourbonischem Stamme durch List und Gewalt vom Throne gestürzt und seinen Bruder Joseph zum König von Spanien gemacht. Da aber erhob sich das spanische Volk gegen die fremden Heere zum Vertilgungskampf und Napoleon lernte zum ersten Male nach so vielen glänzenden Siegen die Volkskraft kennen; er zog selbst nach Spanien, um den Dingen eine bessere Wendung zu geben. Während dieser Zeit hatte Kaiser Franz von Oesterreich gegen ihn gerüstet, denn er hatte wohl gemerkt, daß der Eroberer mit dem Gedanken umging, die ganze österreichische Monarchie zu vernichten. Erst Preußen, nun auch Oesterreich, – die Rheinbundsfürsten ohnehin Napoleon's Vasallen und so schien Deutschlands Loos entschieden! Oesterreich aber beschloß, den Plänen Napoleon's zuvorzukommen, und das war auch das Ehrenvollste. Ermuntert durch das Beispiel Spaniens, wo alle Kriegskunst Napoleon's am Felsen der Volkstreue zerschellte, rief nun Kaiser Franz das Volk zum Kampfe auf. Und bald (es war im Jahre 1809) standen 400,000 Mann unter den Waffen. Der Erzherzog Karl erließ einen Ausruf an die ganze deutsche Nation; darin sagte er: »Wir kämpfen, um Deutschlands Unabhängigkeit und Nationalehre wieder zu erringen. Unsere Sache ist die Sache Deutschlands. Nur der Deutsche, der sich selbst vergißt, ist unser Feind!« Auch viele andere Aufrufe erschollen wie Donner zu den deutschen Volksstämmen: »Erwacht aus dem Todesschlafe der Schande, ihr Deutschen! Soll euer Name der Spottruf von Jahrhunderten werden?« Aber Napoleon gebot den Fürsten des Rheinbundes, ihre Heere gegen Oesterreich zu führen; Preußen war noch von der Uebermacht gefesselt, und so gelang es dem schnell aus Spanien zurückeilenden Kaiser abermals, die österreichischen Heere zurückzuschlagen; im Triumph zog er am 10. Mai (1809) in Wien ein und bezog die Residenz von Schönbrunn.

Erzherzog Karl aber rückte mit 76,000 Mann aus Böhmen an die Donau, um Wien zu entsetzen. Napoleon zog ihm entgegen. Am Pfingstsonntag kam es aus dem Marchfeld bei den Dörfern Aspern und Eßlingen zwischen den feindlichen Heeren zur Schlacht, die zwei Tage währte. Mit ungeheurer Erbitterung wurde von beiden Seiten gekämpft; jeder gemeine Mann war ein Held und die Feldherren wetteiferten mit den Soldaten an persönlicher Tapferkeit. Da klang mancher Ruf wie ein Nachhall aus dem klassischen Alterthum; da antworteten die Krieger der österreichischen Infanterie, mauerfest zusammengeschaart, der Aufforderung der heransprengenden gewaltigen Reitermassen Napoleon's: »Streckt die Waffen!« mit hohem Stolz und Muth: »Holt sie euch!« Der Zauber von Napoleons Unüberwindlichkeit war gelöst; Erzherzog Karl führte, als der Sieg auf die Seite der Franzosen sich lenkte, selbst ein Bataillon herbei, um eine gefährliche Lücke auszufüllen, und ergriff dann selbst die Fahne des Regiments Zach, führte die begeisterten Soldaten an und flog hierhin und dorthin, wo die Gefahr am größten war. Napoleon erlitt zum ersten Male eine blutige Niederlage; mit Mühe rettete er sich auf die Donauinsel Lobau. Der tapfere Marschall Lannes war geblieben; die Marschälle Massena und Bessières nebst einer großen Menge von Generalen verwundet. Schrecken durchfuhr das ganze Heer und es wäre verloren gewesen, wenn die vom Erzherzog Karl erwartete Verstärkung eingetroffen wäre. Aber diese blieb aus, Napoleon gewann Zeit sich zu sammeln, und schlug die Oesterreicher bei Wagram zurück. Im Frieden zu Schönbrunn verlor Oesterreich abermals 2058 Geviertmeilen Landes und drei und eine halbe Million Seelen.

Mit neuen Lorbeeren geschmückt kehrte Napoleon nach Paris zurück. Bald nach seiner Rückkehr ließ er sich von seiner liebenswürdigen Gemahlin Josephine scheiden, weil sie ihm keinen Thronerben geboren hatte, und warb um die Hand der Erzherzogin Maria Louise, der Tochter desjenigen Kaisers, dem er die Hälfte seines Reiches entrissen hatte. Der gebeugte Kaiser Franz brachte in der Hoffnung des Friedens mit schwerem Herzen das Opfer und am 2. April 1810 fand in Paris mit ungewöhnlichem Gepränge die Vermählung Statt.

 

10.

Tyrol war an Baiern gekommen und sollte fortan Süd-Baiern genannt werden; auch die alte Landesverfassung wurde geändert. Aber mit treuer Liebe hing das biedere Bergvolk am alten angestammten Fürstenhause Oesterreich; noch vor den Schlachten von Aspern und Wagram hatte es sich erhoben, um das Joch der bairisch-französischen Fremdherrschaft abzuschütteln. Die Häupter des Volksaufstandes waren der Sandwirth Andreas Hofer von Passeyer, ein schlichter, frommer Mann aus dem Volk, kräftig von Gliedern und stattlich von Ansehen mit seinem langen schwarzen Bart; im untern Innthal Joseph Speckbacher, der beste Schütze weit und breit, verwegen zu jeder großen That und meisterlich klug; im obern Innthal der Krämer Martin Teimer. Aber Napoleon schickte den Marschall Lefèbre mit vielem Kriegsvolk ins Tyroler Land; da begann am Berge Isel ein langer, furchtbarer Kampf gegen die Eindringlinge. Der Speckbacher verlegte ihnen den Weg bei Hall. Er hatte einen jungen Sohn Andreas, »der Anderl« genannt; der Knabe folgte ihm muthig ins Gefecht und da er nicht selber mitfechten durfte, so grub er keck die feindlichen Kugeln aus der Erde heraus, wo sie eingeschlagen, sammelte sie in seinem Hütlein und brachte sie dem Vater. Die Feinde erlitten ungeheuren Verlust, während die Tyroler frisch und lustig auf ihren heimathlichen Bergen standen und unverdrossen mit ihren nie fehlenden »Stutzen« ins Thal schossen. Doch half Alles nicht, der Kaiser Franz mußte im Frieden zu Schönbrunn sein treues Tyrol den Baiern lassen und seine Tyroler selber auffordern, sich den Siegern zu ergeben.

Da schrieb der brave Hofer seinem Freunde Speckbacher: »Es ist Alles aus, Oesterreich hat uns vergessen!« Doch es sollte noch ärger kommen. Ein gewisser Kolb, ein Adeliger von Geburt und ein Schurke von Gesinnung, täuschte den gläubigen Hofer durch allerlei erlogene Nachrichten von den Siegen der Oesterreicher; dieser Kolb und der Kapuziner Haspinger gewannen Hofer's ganzes Vertrauen und verleiteten ihn, daß er das Volk auf's Neue unter die Waffen rief. Das war den Franzosen gar lieb, denn sie nahmen das zum Vorwand, den Hofer für vogelfrei zu erklären. Er war nun in seiner Heimath nirgends mehr vor Aufpassern und Schergen sicher, hätte aber leicht entfliehen und sein Leben retten können. Das mochte er nicht aus Anhänglichkeit an sein liebes Land Tyrol und er barg sich lieber in einer einsamen Alpenhütte am Passeyer unter Schnee und Eis zwei Monate lang vor seinen Verfolgern. Endlich verrieth ihn Joseph Raffl, ein Vagabund, und führte die Häscher am 30. Jan. 1810, mitten in der Nacht, zu Hofer's einsamer Hütte auf der Alp. Drei Mal pochen die Häscher; da tritt der Hofer heraus und sagt ihnen frei und stolz: »Ja, ich bin's, den ihr suchet, schonet nur mein Weib und meine Kinder!« – Sie ergreifen ihn, nehmen ihn gefangen und bringen ihn, mit Ketten gefesselt, nach Mantua. Dort wird er vor ein französisches Kriegsgericht gestellt und zum Tode verurtheilt. Als er auf dem Richtplatze niederknieen soll, spricht er: »Ich stehe vor dem, der mich erschaffen hat, und stehend will ich meinen Geist aufgeben.« Dann drückt er das Kreuz des Heilandes an seine Lippen und ruft selber: »Gebt Feuer!« – So starb ein Freund des Vaterlandes.

 

11.

Allgewaltig stand Napoleon in seiner riesenhaften Größe, drohte mit der einen Hand seinen entkräfteten Feinden und riß mit der andern Provinzen und Königreiche an sich. Zuerst jagte er seinen redlich gesinnten Bruder Ludwig vom Throne Hollands, weil derselbe sich sträubte, zu den Bedrückungen des Volkes die Hand zu bieten; Holland wurde mit Frankreich vereinigt. Dann nahm er Besitz von dem ganzen nordwestlichen Deutschland an dem Ausflusse der Weser, Ems, Elbe, mit den alten Hansestädten Bremen, Lübeck, Hamburg, wodurch die unglücklichen Deutschen ihre großen Ströme, ihre Küsten und ihren Seehandel verloren. Hierauf ließ er den Papst von Rom wegschleppen und vereinigte auch das römische Gebiet mit dem übermächtigen Frankreich und zwar mit der Bestimmung, daß sein erstgeborener Sohn König von Rom sein sollte. Was stand dem Mächtigen noch im Wege? Der Kaiser von Rußland war sein Bundesgenosse, Preußen und Oesterreich waren entkräftet, England vermochte nichts gegen ihn zu Lande.

Zur See aber waren ihm die Engländer furchtbare Feinde. Sie hatten seine ganze Marine und seinen ganzen Seehandel vernichtet. Sobald ein neues Schiff aus einem Hafen auslief, kamen sie und nahmen es weg. Die Briten und die Spanier, die noch immer herzhaft ihre Freiheit vertheidigten, schienen die einzigen Störer seines Glücks. Darum ließ Napoleon kein Mittel unversucht, England von seiner Höhe herabzuziehen. Dieses Land war mächtig und reich durch seinen Handel, darum wollte er denselben zerstören und verschloß den englischen Schiffen alle Seehäfen von Europa. Wollten Schleichhändler englische Waaren einschwärzen, so nöthigte er die Fürsten, das englische Gut aufzusuchen und verbrennen zu lassen. Diesem »Kontinentalsystem« beizutreten, hatte sich auch Rußland überreden lassen und Schweden war mit Waffengewalt dazu gezwungen worden. Bald aber lernte der russische Kaiser Alexander einsehen, welchen unermeßlichen Schaden er durch die Handelssperre gegen England seinen Unterthanen zufügte, er ließ daher Milderung eintreten. Das verdroß Napoleon; er hatte überdies die Lande des Herzogs von Oldenburg, eines Verwandten des russischen Kaisers, an sich gerissen und so den Fehdehandschuh dem großen Rußland ins Gesicht geworfen; auch dieses Land sollte nun an die Reihe kommen, vor seinem Willen sich zu demüthigen.

Alle Kräfte seiner Staaten bot Napoleon zu dem Riesenkampfe auf. Polen wählte er mm Sammelplatz seiner Völker. Zu 480,000 Franzosen und Italienern ließ er auch 100,000 Mann deutsche Bundestruppen stoßen; und Preußen und Oesterreich, jedes mit 30,000 Mann, mußten es sich gefallen lassen, seine Flanken zu decken. So ging er am 24. und 25. Juni 1812 mit mehr als einer halben Million Menschen und mit 1200 Kanonen über den Grenzfluß Niemen und theilte nun seine große Armee in zwei Heere; das eine schickte er unter den Generalen Macdonald und Oudinot gegen Petersburg, das andere führte er selbst mit General Ney gegen Moskau.

Die zwei Hauptstädte Rußlands wurden also zugleich von ihm bedroht und beide hatten Ursache zu zittern, denn vergeblich bemühten sich die russischen Heere, die Feinde abzuhalten. Bei Smolensk und am Flusse Moskwa wurde blutig gestritten, aber Napoleon siegte und warf die Russen zurück. Unaufhaltsam drang er nach Moskau vor und am 14. September 1812 zog er in die große prächtige Czarenstadt ein. Von den Mauern geschah kein Schuß auf seine Soldaten, nirgends lauschte ein Feind; aber zu seinem nicht geringen Befremden drängte sich auch nicht, wie in andern eroberten Hauptstädten, die neugierige Menge heran, ihn zu sehen und anzustaunen. Dumpfe Stille herrschte in allen Straßen, wie auf einem Todtenacker unter Gräbern. Fast alle Einwohner waren mit ihrer besten Habe entflohen und die noch übrigen hielten sich in dem Innern ihrer Häuser verborgen. Diese gänzliche Verödung der ganzen Stadt wollte den Franzosen gar nicht gefallen, denn sie merkten wohl, daß ihnen an der Bequemlichkeit Manches abgehen und namentlich die Küche schlecht bestellt sein würde. Der Kaiser bezog den Kreml, das alte Czarenschloß, aber es sollte ihm nicht wohl darin werden. Plötzlich schlagen an allen Ecken und Enden der Stadt die Flammen empor und der Sturm, der sich zugleich erhebt, facht das Feuer an; bald ist ganz Moskau ein Feuermeer. Mit Grausen sieht Napoleon von einer Terrasse des Kreml das majestätisch-furchtbare Schauspiel. Vergeblich ist jeder Versuch, den Brand zu löschen; hochauflodernd verkündigt dieser der Welt: »Das Gericht wird beginnen über den stolzen gewaltigen Despoten!« Das Heer mußte vor der Stadt ein Lager beziehen, aber die Soldaten stürzten sich schaarenweise auf die brennenden und rauchenden Trümmer, um nach Beute zu wühlen. Bald sollte ihnen aber ein Stück Brod mehr werth sein, als ein Klumpen Gold.

Durch die Einäscherung Moskau's war Napoleon's ganzer Plan verrückt worden. Von Feinden umgeben, ohne Lebensmittel, ohne Kleidung und Obdach für sein Heer, konnte er hier nicht überwintern. Sobald er seine Leute auf das Fouragiren ausschickte, fielen die Kosaken über sie her. Noch furchtbarer, als die Feinde, nahete sich die schlimme Jahreszeit. Schon war die Hälfte des Oktobermonates verstrichen und Napoleon saß noch immer in seinem Kreml, unschlüssig, was er beginnen sollte. Er bot Frieden an, aber man antwortete zögernd und unbestimmt, um ihn hinzuhalten. Endlich erkannte Napoleon, daß es die höchste Zeit sei, den Rückzug anzutreten.

Aber welch' ein Rückzug! Der Himmel selbst schien mit den Russen in einen Bund getreten zu sein; denn ein ungewöhnlich früher und strenger Winter trat ein und überraschte die Feinde auf ihrer Flucht. Menschen und Pferde sanken von Hunger und Kälte erschöpft nieder und wie mit einem Leichentuche bedeckte der Schnee die gefallenen Opfer. Der Weg durch die wüsten Ebenen war bald mit todten Menschen und Pferden, mit Trümmern von Geschütz und Gepäck übersäet. Viele erfroren an dem Feuer, das sie sich angezündet hatten, Viele wurden von den Kosaken niedergemacht, ehe die erstarrten Hände sich regen konnten. In Smolensk gedachte Napoleon sich auszuruhen, aber der russische General Tschitschakoff, mit Wittgenstein vereinigt, drohte den Franzosen zuvorzukommen und ihnen den Uebergang über die Beresina abzuschneiden. So durfte Napoleon nicht rasten und am 27. November erreichte er den Beresinafluß, über den schnell zwei Brücken geschlagen wurden. Aber nun entstand ein fürchterliches Gedränge, denn der Feind war in der Nähe und feuerte Schuß auf Schuß mit Kartätschen unter die dichten Haufen. Jeder wollte der Erste sein, der sich rettete, so lange Rettung noch möglich war. Um schneller über die Brücke zu kommen, stieß Einer den Andern in's Wasser; Viele stürzten nieder und wurden von den Rädern der Wagen und Kanonen zermalmt, Andere suchten auf treibenden Eisschollen das jenseitige Ufer zu erreichen und fanden ihren Tod in den Fluthen. Zugleich brach die Brücke ein und Alle, welche noch am anderen Ufer waren, wurden abgeschnitten und gefangen. Ueber 30,000 Mann verloren die Franzosen bei diesem Uebergange.

Am 5. Dezember verließ Napoleon das Heer. Wie Xerxes einst, der Führer von Millionen, aus Griechenland auf einem kleinen Kahne floh, so durchjagte Napoleon in einem elenden Schlitten, den Trümmern seines Heeres voraus, die öden Schnee- und Eisgefilde Rußlands, um nach Frankreich zu eilen und schnell ein neues Heer zu bilden. Den Oberbefehl über die zurückgebliebenen Heerestrümmer überließ er dem König von Neapel. Seitdem wich alle Zucht und Ordnung; Soldaten, Offiziere, Generale liefen wild durcheinander und jeder dachte nur an seine Rettung. Die wenigsten Reiter hatten noch Pferde; über die gefallenen Thiere stürzten die Hungrigen her und verzehrten sie mit Gier. Fiel ein Soldat, so stürzten seine Kameraden auf ihn, um mit seinen Kleidern Hände und Füße zu umwickeln. Hatten die Erstarrten sich ein Feuer angemacht, so ertönte der Schreckensruf: »die Kosaken!« und die Ohnmächtigen strengten ihre letzten Kräfte an zur Flucht. Ueber 300,000 Menschen und 150,000 Pferde waren geblieben; zerlumpt und elend kam der armselige Rest der großen Armee in Deutschland an. So endete der stolz begonnene Zug des Eroberers!

 

12.

Als der General Yorck, welcher mit der preußischen Hilfsarmee an der Ostsee stand, Napoleon's Rückzug erfuhr, schloß er am 30. Dezember mit den Russen einen Vertrag ab, kraft dessen die unter seinem Befehl stehenden Truppen für parteilos (neutral) erklärt wurden und sich zwischen Memel und Tilsit aufstellten. Fürst Schwarzenberg that mit dem österreichischen Hilfsheere ein Gleiches. Diese beiden Maßregeln trugen viel zu einer völligen Wendung des Schicksals in Deutschland bei. König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, von Napoleon finster beobachtet und bedroht, durchdrungen vom Geiste des ganzen deutschen Volks, gab plötzlich den Ausschlag. Im Januar 1813 begab er sich von seiner Hauptstadt Berlin nach Breslau, schloß dort einen Bund mit Kaiser Alexander von Rußland und erließ jenen denkwürdigen »Aufruf an mein Volk«, der allen Preußen und allen Deutschen tief zu Herzen ging. Mit diesen Worten schloß der Ausruf: » Gott und ein fester Wille werden unserer gerechten Sache den Sieg verleihen und mit ihm die Wiederkehr einer glücklicheren Zeit.« Und begeistert erhob sich das Volk in Preußen, Eines Herzens und Eines Sinnes mit dem König. Schon hatte es im Stillen die alten Waffen hervorgesucht und sich fleißig geübt, sie seiner Zeit zu gebrauchen. Aus freiem Antriebe eilten Jünglinge und Männer zu den Reihen des Heeres, entschlossen, für die höchsten Güter, für Freiheit und Ehre, für König und Vaterland zu kämpfen. Es war nicht nöthig, auch nur einen Mann zu den Waffen zu zwingen; Männer aus jedem Staude, Prediger, Schullehrer, Studenten, Adelige und Bürgerliche und Landleute stellten sich freudig unter die Fahnen, um das schmachvolle Joch der Franzosen abzuschütteln. Die Bürger und Bauern bildeten die Landwehr und der König stellte ihre Führer denen des stehenden Heeres an Ehre und Rang gleich. Wenn die Landwehr auszog, da erklangen die Glocken von allen Thürmen, und manches lange, aber doch hoffnungsreiche Lebewohl von den Lippen der Mütter und Hausfrauen, der Schwestern und Bräute scholl den Wehrmännern nach. Weil die Kräfte der Regierung tief erschöpft waren, brachte das Volk freiwillige Beisteuern; auch der Aermste legte freudig seinen Sparpfennig auf den Altar des Vaterlandes nieder. Die Frauen und Jungfrauen verkauften ihre Geschmeide, ja manches deutsche Mädchen schnitt sich das Haar vom Scheitel und brachte den Erlös dem Vaterlande dar.

Preußen hatte kühn den ersten Schritt in der gemeinsamen Sache des ganzen deutschen Vaterlandes gethan; Oesterreich hielt sich noch neutral, der ganze Rheinbund, besonders Sachsen, dessen König durch Bande der Dankbarkeit an Napoleon gebunden zu sein glaubte, stand noch für die Fremdherrschaft. Napoleon hatte unterdeß mit ungeheurer Kraftanstrengung ein neues Heer geschaffen, schnell in den Waffen geübt und in's Feld geführt. Er vertrauete auf seine Kriegskunst und den Zauber seines Namens. Bei Lützen und Großgörschen geschah (am 2. Mai 1813) die erste große Schlacht. Napoleon siegte zwar, aber er hatte den Muth der jungen preußischen Krieger kennen gelernt. Die Verbündeten flohen nicht, sondern zogen sich, trefflich geordnet und dem Feinde Trotz bietend, über die Elbe zurück. Bei Bautzen (vom 19. Bis 21. Mai) geschah eine zweite Schlacht und auch da siegte Napoleon, aber auch da behaupteten die Preußen und Russen den Rückzug in geschlossenen Reihen, so daß die Feinde es nicht wagten, sie zu verfolgen. An der Spitze der Preußen stand der alte Blücher, ein Jüngling trotz des Silberhaares, ein erbitterter Feind der Franzosen, des deutschen Volkes Liebling, des Heeres Abgott. Er rückte nach Schlesien, Napoleon ihm nach, aber ohne anzugreifen, denn hinter dem alten Blücher stand der russische General Tettenborn, die Truppen der Hansestädte und eine todeskühne Freischaar aus den edelsten deutschen Jünglingen, unter dem Major Lützow. Das war » Lützow's wilde verwegene Jagd!« – so hat sie Einer von ihnen getauft, der Dichter glühender Freiheits- und Kriegslieder, Theodor Körner, dem das Vaterland lieber war als seine Braut und aller Dichterruhm.

Napoleon schloß einen Waffenstillstand, der vom 4. Juni bis 17. August dauerte; beide Theile rüsteten und stärkten sich zu neuem Kampfe. Da legte sich Napoleon's Schwiegervater, Kaiser Franz, in's Mittel und veranstaltete einen Kongreß zu Prag. Aber vergebens, Napoleon wollte nicht ein Haar breit nachgeben und zeigte, daß er den Frieden nicht wollte. Nun aber erklärte ihm auch der österreichische Kaiser den Krieg und 300,000 seiner Krieger stießen zu dem Heere der Verbündeten. Zwar mißlang ein Hauptangriff auf Napoleon bei Dresden, aber desto herrlicher waren die Siege der Verbündeten bei Kulm, an der Katzbach, bei Großbeeren und bei Dennewitz. Als der kühne Held Blücher am 26. August die Franzosen unter Macdonald an der Katzbach traf, rief er seinen Kriegern zu: »Nun hab' ich genug Franzosen herüber! Jetzt, Kinder, vorwärts!« Dies »Vorwärts« dringt Allen in's tiefste Herz. »Hurrah!« jauchzen sie und stürzen auf den Feind. Der Regen schießt in Strömen herab, an ein Feuern ist nicht zu denken, aber mit gefälltem Bajonnet dringt das Fußvolk, mit geschwungenem Säbel die Reiterei in die französischen Heerhaufen ein, der alte Blücher, das Schwert in der Faust, Allen voran. Mann an Mann, Herz an Herz wird gefochten mit Muth und Wuth, bis die Feinde wanken und fliehen. Zürnend rauschten die wilden geschwollenen Wasser der Katzbach und rissen die Flüchtigen hinab; 18,000 Feinde wurden gefangen, die ganze Armee Macdonald's war aufgelöst.

Aber bald sollte an Napoleon selber die Reihe kommen. Die verbündeten Heere hatten sich immer enger zusammengezogen und suchten Napoleon in den Rücken zu kommen. Das merkte er und zog sich nach Leipzig zurück. Die Verbündeten folgten ihm. Am 16. Oktober begann der Riesenkampf. Mehr als 300,000 Mann Verbündete (Oesterreicher, Preußen, Russen, Schweden) standen gegen 200,000 Mann Franzosen und seit acht Uhr des Morgens donnerten über 1000 Kanonen gegeneinander, so daß die Erde erbebte und viele Fenster in Leipzig zersprangen. Der Kampf schwankte unentschieden, Dörfer wurden genommen und verloren. Am blutigsten war der Kampf bei Wachau, wo Napoleon selbst hielt, und bei den vorliegenden Dörfern Güldengossa und Auenhain. Alle Anstrengungen der Verbündeten scheiterten hier an dem Ungestüm der Franzosen und Polen, Napoleon selbst sprengte wiederholt mitten im Feuer aufmunternd an die einzelnen Generale heran und den neuen Marschall, Fürsten Poniatowski, welchen er mit seinen Polen im heftigsten Gedränge fand, spornte er mit dem Zuruf: »Vorwärts, König von Polen!« an. Um drei Uhr Nachmittags hatten die Franzosen solche Fortschritte gemacht, daß Napoleon schon Boten mit der Siegesnachricht nach Leipzig sandte und alle Glocken läuten ließ. Wie ein Grabgeläute ertönten sie in den Herzen der bekümmerten Einwohner. Jedoch nahmen die Oesterreicher und Russen bald ihre alte Stellung wieder ein, während Blücher, der Marschall »Vorwärts«, unaufhaltsam die Franzosen warf und sie bis Leipzig zurückdrängte. Der folgende 17. Oktober war ein Sonntag und man hielt Waffenruhe. Napoleon ließ den Verbündeten Waffenstillstand anbieten, aber diese mochten nichts mehr von seinen Anerbietungen hören. Am 18. Oktober früh erneuerte sich der schreckliche Kampf und nun traf auch der längst erwartete Kronprinz von Schweden mit der Nordarmee ein. Während der Schlacht gingen die Sachsen zu ihren deutschen Brüdern über. Napoleon bot vergebens alle Kunst und Kühnheit auf, er unterlag, sein Heer zog sich nach Leipzig zurück.

Am 19. früh kam es zum Sturme auf Leipzig von drei Seiten. Alles lag hier schon seit Tagen voll von Verwundeten und Todten; man hatte Schleusen öffnen müssen, um das Blut ablaufen zu lassen. Macdonald und Poniatowski sollten die Stadt bis auf den letzten Augenblick vertheidigen und dann den Rückzug decken. Nach zehn Uhr verließ Napoleon selbst, nachdem er vom König von Sachsen Abschied genommen, die Stadt und bald nachher flog die unterminirte und mit Pulver gefüllte steinerne Brücke über die Elster in die Luft. Da erneuerte sich der Tag von der Beresina; es war kein Ausweg mehr. Viele ertranken beim Durchsetzen durch die Elster, unter ihnen der edle Fürst Poniatowski, fast alle Uebrigen wurden abgeschnitten und gefangen. An 70,000 Mann (15,000 Todte und ebensoviel Verwundete, 15,000 Mann wurden gefangen und 23,000 Mann mußten in den Lazarethen zurückbleiben) hatten die Franzosen in dieser dreitägigen Völkerschlacht verloren, über 50,000 Mann die Verbündeten eingebüßt. Mit den Trümmern seines Heeres floh Napoleon dem Rheine zu; seine Kraft war gebrochen.

Als die Nacht das blutige Schlachtfeld mit ihrem Schleier verhüllte, ließen russische Heerhaufen unwillkürlich ein Lob- und Danklied erschallen und Tausende von Kriegern stimmten voll Andacht mit ein. Es ging Ein Gedanke und Ein Gefühl durch Aller Herzen, daß der Allmächtige die Schicksale der Völker und ihrer Fürsten lenkt, die Machthaber, welche nur das Ihre suchen, stürzt und die Niedergebeugten wieder aufrichtet, wenn sie voll muthigen Glaubens und Gottvertrauens für ihre Freiheit kämpfen und ringen.

 

Die Schlacht bei Waterloo (Belle-Alliance).

 

Napoleon's Ende.

Der Ruhm des glorreichen Jahres 1813 war noch dadurch erhöht worden, daß die Verbündeten den Usurpator in seinem eigenen Lande aufsuchten und endlich einmal wieder es den Franzosen fühlbar machten, was es heißt, den Krieg im eigenen Lande zu haben. Im Januar und Februar des folgenden Jahres erlitt Napoleon auf eigenem Boden bedeutende Niederlagen (Treffen von Brienne am 29. Januar 1814, Schlacht bei La Rothière am 1. Februar), welche die Besetzung von Troyes, der Hauptstadt der Champagne, durch die Verbündeten zur Folge hatten. Zwar sollte ihm noch einmal das Kriegsglück lächeln, indem er die ungeregelt vordringenden Heerhaufen seiner Gegner in einzelnen Gefechten und Treffen wieder zurückschlug. Doch gerade dieses Glück gereichte ihm zum Verderben, denn er verwarf die im Februar zu Chatillon auf einem Friedenskongresse ihm angebotenen sehr annehmbaren Bedingungen – die Verbündeten wollten ihm seinen Kaiserthron lassen und Frankreich in den Grenzen von 1792 – und wollte durchaus nicht ablassen von seiner Forderung der Alpen- und Rheingrenze mit Belgien, sowie des Königreichs Italien für Eugen. Die Verhandlungen wurden abgebrochen und die Tage bei Laon (9. u. 10. März), bei Soissons (13. März) und Arcis (20.-22. März) stellten das Kriegsglück der Verbündeten, welche sich durch Napoleons Operationen in ihrem Rücken nicht abhalten ließen, geradezu auf Paris vorwärts zu dringen, so vollständig wieder her, daß sie schon am 30. März die Höhen des Montmartre vor Paris erstürmen und Tages darauf in die französische Hauptstadt selber einziehen konnten. Am 2. April sprach der französische Senat Napoleon's Absetzung aus, und dieser, da alle ferneren Machinationen scheiterten, unterzeichnete am 11. April seine Abdankung, wogegen er den unumschränkten Besitz der Insel Elba und gewisse Summen für sich und seine Familie erhielt. Am 28. April schiffte er sich nach Elba ein. Im ersten Frieden von Paris, geschlossen am 31. Mai, wurde Frankreich auf seine Grenzen, die es im Anfang des Jahres 1792 hatte, zurückgeführt und Ludwig XVIII., der Bruder des letzten Königs, als König von Frankreich anerkannt.

Deutschlands innere Angelegenheiten und die politischen Verhältnisse Europa's sollten in Wien geordnet werden, allwo mit seltener Pracht (im Oktober 1814) ein Kongreß zusammentrat, an welchem persönlich die Kaiser von Oesterreich und Rußland, der König von Preußen, die Könige von Dänemark, von Baiern und Würtemberg (der durch die Schlacht von Leipzig in Gefangenschaft gerathene, nun aber in Freiheit gesetzte König von Sachsen hielt sich in der Nähe auf) nebst einer großen Zahl von deutschen Fürsten, sowie die Gesandten aller deutschen und europäischen Staaten (mit alleiniger Ausnahme der Pforte) Theil nahmen. Die Aufgabe, Aller Ansprüche zu befriedigen, war eine sehr schwierige; indessen ließ sich's der Kongreß wohl sein, ein Fest und eine Lustbarkeit drängte die andere, obschon die Einigkeit immer mehr schwand und die Frage über Sachsens und Polens Schicksal die Mächte in solche Spannung brachte, daß mit dem Beginn des Jahres 1815 ein Krieg wahrscheinlicher schien als eine Verständigung.

Dieser Zustand der Dinge war dem großen Verbannten, der auf Elba scheinbar in völliger Unthätigkeit lebte, kein Geheimniß geblieben; er hatte überdies Nachrichten aus Frankreich erhalten, die ihm die Anhänglichkeit des Volkes, besonders der Soldaten und Bauern und Käufer von Nationalgütern, kund gaben. So verließ er, im Vertrauen auf sein Glück und sein Genie, und in der Hoffnung, sein altes Spiel, die Gegner zu theilen und einzeln zu überwältigen, abermals beginnen zu können, am 21. Februar 1815 mit 1100 Mann seiner alten Garde die Insel Elba, landete ohne Hinderniß am 1. März bei Cannes und zog, überall mit offenen Armen empfangen, geradezu auf Paris. Die Bourbonen hatten so wenig Halt im französischen Volke, daß Ludwig XVIII. sich plötzlich vom Volke wie vom Heere verlassen sah und die Flucht ergreifen mußte; Napoleon zog ohne Schwertstreich am 20. März in Paris ein.

Dieses Ereigniß brachte den Wiener Kongreß schnell wieder zur Einigkeit; am 13. März erließen die Mächte eine Achtserklärung gegen Bonaparte, als den Störer des europäischen Friedens, und in dem Allianztraktat vom 25. März verpflichteten sich Oesterreich, Preußen, England und Rußland, jederzeit 150,000 Mann »Wider den Feind Europa's« in's Feld zu stellen.

Sofort begannen die Rüstungen und die Truppen der Verbündeten drangen wieder nach der französischen Grenze vor. Die österreichische Armee unter Schwarzenberg ging am Oberrhein, die preußische unter Blücher am Niederrhein vorwärts; daß englische Heer, durch die 7000 Mann starke deutsche Legion, ferner durch 20,000 neu geworbene Hannoveraner, 10,000 Braunschweiger und ebensoviel Holländer und Belgier verstärkt, operirte in Belgien. Napoleon war schnell mit 170,000 Mann und 400 Kanonen gegen Brüssel vorgedrungen; ihm kam Alles darauf an, die Heere Blücher's und Wellingtons an der Vereinigung zu hindern und die gesprengten Gegner wo möglich einzeln zu vernichten. Mit ausgezeichneter Gewandtheit und Schnelligkeit warf er die Preußen unter Ziethen bis Fleurus zurück und schlug Blüchern am 16. Juni, trotz des tapfersten Widerstandes, bei Ligny; der greise Held war unter sein verwundetes und gestürztes Pferd zu liegen gekommen, Freunde und Feinde setzten über ihn weg, er aber ward wie durch ein Wunder gerettet. An demselben Tage war auch der tapfere Herzog von Braunschweig bei Quatre-Bras von Ney angegriffen worden und auf dem Schlachtfelde geblieben. Kämpfend zogen sich die Preußen vor der Uebermacht zurück. Auch Wellington war bis an den Wald von Soigne bei Waterloo zurückgegangen und hatte auf der Höhe von Mont St. Jean Stellung genommen, von Blücher aber das Versprechen erhalten, er solle durch einen preußischen Heerhaufen unterstützt werden, falls er von Napoleon angegriffen würde. Noch einmal am Vormittag des 18. Juni hatte Blücher einen Brief an Müffling geschrieben, worin es hieß: »Ich ersuche Sie, dem Herzog von Wellington zu sagen, daß, so krank ich auch bin, ich mich dennoch an die Spitze meiner Truppen stellen werde, um den rechten Flügel des Feindes sogleich anzugreifen, wenn Napoleon etwas gegen den Herzog unternimmt; sollte der heutige Tag aber ohne einen feindlichen Angriff hingehen, so ist es meine Meinung, daß wir morgen vereint die französische Armee angreifen.« Ehre solch' einem Heldenentschluß und solchen Truppen, die seit dem 15. Juni durch stete Gefechte, eine blutige Schlacht und einen Nachtmarsch bei dem schlimmsten Wetter und auf grundlosen Wegen schrecklich ermüdet, doch durch das Mißgeschick ihren Muth sich nicht hatten brechen lassen!

Am 18. Juni 12 Uhr Mittags begann der Angriff von Seiten Napoleon's, der eine Kolonne auf den Pachthof Hougomont losstürmen ließ. Das Wäldchen ward von den französischen Tirailleurs genommen, das Vorwerk hingegen von der englischen Garde und den Nassauern behauptet. Gegen 2 Uhr rückten wieder verschiedene Armeekorps, geführt von Ney, einem der besten Generale Napoleon's, gegen das brittische Centrum vor. Von der Reiterei unterstützt, durchbrachen sie das erste englische Treffen; die brittische Kavallerie warf jedoch die französische, und das gut gezielte Feuer des ersten englischen Treffens trieb auch die französische Infanterie zurück. Darauf machte die ganze englische Reiterei einen kräftigen Angriff, ward jedoch zurückgetrieben und Marschall Ney rückte mit neuen Infanterie-Massen auf der Straße von Brüssel gegen das brittische Centrum vor. Napoleon setzte Alles daran, dieses zu durchbrechen. Schon hatte die französische Garde mehrere englische Kanonen genommen, als eine herbeieilende Batterie kongrév'scher Raketen Tod und Verderben unter den überraschten Feinden verbreitete. Sie flohen und mit einem Kartätschenhagel rächte die englische Artillerie den augenblicklichen Verlust ihres Geschützes. Aufgebracht über den geringen Erfolg seiner Anstrengungen warf Napoleon seine Kürassiere aus die englische Linie zwischen den beiden Chausseen; sie sprengten zwischen den Quarre's durch, wurden aber von der englisch-niederländischen Reiterei wieder zurückgeworfen. Während dieses Reitergefechtes hatte Napoleon seine zahlreichen Feuerschlünde ganz nahe vor die englische Front auffahren lassen und diese richteten erschreckliche Verwüstungen an Vergl. meine Biographischen Miniaturbilder, II S. 296.

Wellington, mit unerschütterlicher Kaltblütigkeit und festem, sicherem Blick, griff überall ein, wo Gefahr drohete, aber seine Linie war schon bedeutend geschwächt und der Sieg schien sich auf Seite der Franzosen zu neigen; er seufzte nach der Ankunft Blücher's. Und die Preußen kamen. Napoleon, der den Marschall Grouchy mit einem Korps von 30,000 Mann zur Verfolgung Blücher's ausgesandt hatte, ließ sich von der plötzlichen Schwenkung Blücher's nichts träumen. Früh am 18. Juni hatte sich der unermüdliche Greis wieder in den Sattel geschwungen, obwohl ihn in Folge seines Sturzes vom Pferde noch jede Bewegung schmerzte. Als er den nassen Boden und regenschweren Himmel sah, rief er ganz heiter: »Das sind unsere Alliirten von der Katzbach; da sparen wir dem König wieder viel Pulver!« Nachdem er die Bewegungen der anderen Korps geordnet, begab er sich an die Spitze des Heeres zu Bülow, dessen Korps als das frischeste den Vortritt haben sollte. Aber nur mit größter Mühe kam man in dem durchweichten, überall mit Regenlachen bedeckten Boden vorwärts; die hochangeschwollenen Gräben und Bäche, die engen Wald- und Hohlwege nöthigten die Truppenmassen, sich in lange dünne Linien auszudehnen. Die Räder der Geschütze versanken bis an die Achsen und jeden Augenblick gerieth der Zug in's Stocken. Der Feldmarschall aber ward nur von dem Einen Gedanken gepeinigt, nicht zur rechten Zeit auf dem Schlachtfelde zu erscheinen. Mit der Beweglichkeit und dem Feuer eines Jünglings eilte der Heldengreis überall hin, wo Noth oder Verwirrung war, ermahnte und ermunterte, schalt und bat, und wenn ein Ruf: »Es geht nicht, es ist unmöglich!« in seiner Nähe laut wurde, so hob er wieder den sinkenden Muth und die nachlassende Kraft mit seiner aus ungebrochenem Herzen kommenden Stimme: »Kinder, es muß gehen! Ich habe es meinem Bruder Wellington versprochen. Hört Ihr's! Ich hab' es versprochen, und Ihr wollt doch nicht, daß ich wortbrüchig werden soll!« Und sein Wort erfüllte die Ermatteten wieder mit neuer Kraft, Wellington sandte einen Boten nach dem anderen, denn seine Noth wuchs mit jeder Stunde. Von der nahen Schlachtlinie tönte ohne Unterlaß der Kanonendonner herüber.

Um halb fünf Uhr fuhren die ersten preußischen Geschütze auf den Höhen von Frichemont auf und eröffneten sogleich ihr Feuer, während zwei Reiterregimenter vordrangen. Bald war Bülow mit dem französischen Marschall Lobau in hitzigem Kampfe, der letztere mußte das Schloß Frichemont räumen, und trotzdem, daß ihm Napoleon acht Bataillone von der Garde und 24 Geschütze zu Hülfe sandte, um Planchenoit zu halten, mußten die Franzosen Abends acht Uhr auch aus diesem Dorfe weichen und damit war ihr Schicksal entschieden. Alle Vortheile, welche der rechte französische Flügel über den linken englischen, der am schwächsten war, bereits errungen hatte, waren nun vernichtet, das sechste französische Korps wurde vom übrigen Heere getrennt, während die im Rücken des Feindes aufgefahrenen 24 preußischen Geschütze so gut wirkten, daß Alles floh – die Flucht dieser Truppen traf gerade bei Belle-Alliance mit dem von der englischen Reiterei bei la Haye geworfenen Fußvolke zusammen, so daß die Unordnung unter den französischen Reihen immer allgemeiner ward. Vergebens stellte sich Napoleon selber an die Spitze seiner Garde, man hörte von allen Seiten den Ruf: »Rette sich, wer kann!« Infanterie und Kavallerie, Generale und Trainknechte stürzten sich in chaotischem Gemisch auf die Rückzugslinie, Geschütz und Gepäck verlassend. Mit Gewalt mußte man Napoleon vom Schlachtfelde wegreißen, kaum entging er der Gefangennahme. Denn Fürst Blücher war sogleich bereit, alle seine verwendbaren Truppen unter Gneisenau's Leitung zur Verfolgung aufzubieten. Und diese Verfolgung setzte dem glorreichen Siege die Krone auf. Nirgends konnte der fliehende Feind sich festsetzen, rastlos saßen ihm die Preußen auf dem Nacken. In Genappe fiel der Reisewagen Napoleon's mit seinen Edelsteinen, seinem Silberzeug und anderen Kostbarkeiten, sowie die Kriegskasse und das noch übrige Gepäck der Franzosen nebst 50 Kanonen den Siegern in die Hände. Im Ganzen waren 200 Kanonen, 2 Adler und über 6000 Gefangene die Trophäen eines Sieges, den die heldenmüthige Ausdauer des Einen Heeres, welches den Stoß aushielt und parirte, und der ebenso heldenmüthige Eifer des anderen Heeres, das im entscheidenden Augenblick die Kraft des Gegners zersplitterte, errungen hatte. Bei Belle-Alliance hatten sich die beiden Feldherren die Hand gereicht, und von dieser »schönen Eintracht« wollte Blücher die Schlacht genannt wissen, während Wellington auf dem Namen Waterloo bestand, weil bei diesem (am Walde Soigne gelegenen) Dorfe die Hauptmasse seines Heeres ihren Standpunkt genommen hatte Die Franzosen benannten die Schlacht nach dem Weiler Mont St. Jean..

Napoleon brachte am 20. Juni selber die erste Kunde seiner Niederlage nach Paris und daß Blücher und Wellington im Anzuge seien. Nous sommes ecrasés (wir sind vernichtet)! mußten die Freunde Napoleon's selber bekennen. Der Stern des gewaltigen Kriegsfürsten war untergegangen. Um der Entsetzung durch die französischen Kammern zuvorzukommen, bot er, aber vergebens – die Abdankung an zu Gunsten seines Sohnes, des »Königs von Rom«. – Die Verbündeten zogen heran und er wollte sich nun zu Rochefort nach Amerika einschiffen. Da er nicht darauf rechnen konnte, der Wachsamkeit der englischen Schiffe zu entgehen, begab er sich freiwillig an Bord des englischen Kriegsschiffes Bellerophon, um sich von diesem nach Amerika überführen zu lassen. Dies geschah aber nicht, vielmehr ward er, als gemeinschaftlicher Gefangener der Verbündeten, an den Bord des Northumberland gebracht und von den Engländern nach der unwirtlichen Felseninsel St. Helena geführt, wo er unter Aufsicht des Gouverneurs Hudson Lowe als Staatsgefangener bewacht wurde. Ein Feuergeist, wie der seinige, mußte, zur Unthätigkeit verdammt, sich selber verzehren; Schmerz über sein Schicksal, Verdruß und Langeweile untergruben seine Körper- und Seelenkraft; er starb schon am 5. Mai 1821 am Magenkrebs, und seine Leiche wurde in einem Thal, welches oft das Ziel seiner Spaziergänge gewesen war, in einer schlichten Gruft beigesetzt. Am 18. Oktober 1840 aber wurde seine Asche, in Folge eines Beschlusses der französischen Deputirtenkammer unter dem Ministerium Thiers, durch eine französische Fregatte, welche vom Prinzen Joinville (dem Sohne Louis Philipp's) kommandirt wurde, in Empfang genommen und – mit Bewilligung des englischen Ministeriums – nach Paris gebracht, um im Dom der Invaliden feierlichst bestattet zu werden.


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