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III. Jürgen Wullenweber, der letzte Hanseat.

 

1.

In Lübeck, dem reichen Vororte der wendischen Städte – Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald waren die vornehmsten – hatten Adel und Geistlichkeit die Kirchenverbesserung am längsten zurückgehalten; sie waren hier allein das Werk des unermüdeten Eifers der niederen Zünfte. Früh schon erwachte unter der Menge das fromme Verlangen nach dem »reineren Worte«; einzelne Prediger hatten Zugang gewonnen, aber noch im Jahr 1523 durfte der Rath die Apostel Luther's vertreiben, dessen Werke auf offenem Markte durch die Hand des Büttels verbrennen und die Sänger deutscher Psalmen einsperren lassen. Die Zünfte baten und murrten, aber das Domkapitel und die Junker, in Verbindung mit dem Rathe, wollten nichts von der kirchlichen Neuerung wissen. Da geschah es, daß der Rath neue Steuern ausschreiben mußte, denn die vielen Kriege, welche die Stadt Lübeck geführt, hatten die Staatskasse gänzlich erschöpft. Die Bürgerschaft hatte 36 Männer aus ihrer Mitte erwählt, um den Staatshaushalt zu ordnen; als binnen Jahresfrist das Geschäft noch nicht erledigt war, berief die Gemeinde (1529) neue Achtundvierziger, ertheilte ihnen aber insgeheim die Weisung, sich auf keine Geldbewilligung einzulassen, bevor nicht der Rath die Einführung der evangelischen Lehre zugestehe. Der Rath erschrak, eiferte heftig gegen so ketzerische, unerhörte Forderungen, war aber schon so weit aus seiner Stellung gewichen, daß dem Ausschusse die Schuldregister überliefert wurden. Immer noch in dem Wahne, die Junker und Kaufleute seien das Volk von Lübeck, hielt er unter mancherlei Bedenken die ungeduldige Menge hin, welche bereits den katholischen Gottesdienst zu stören begann. Als aber beharrlich jede neue Abgabe verweigert wurde, aufgeregte Volkshaufen die Kirche, den Markt, die Säle des Rathhauses füllten, gaben die eingeschüchterten Herren dem Ausschüsse nach, der von 48 auf 56 vermehrt wurde, gestatteten auch die Zurückberufung zweier vertriebener Prediger. Vergeblich drohete Heinrich der Jüngere von Braunschweig, der berüchtigte Gegner der neuen Lehre, er werde sich des von seinen Vorfahren beschenkten Hochstiftes annehmen; die geduldete Kirchenpartei war schon eine unduldsame geworden, sie drang ungestüm auf die Abschaffung der katholischen Predigt und am zweiten Ostertage ward das heilige Abendmahl unter beiderlei Gestalt genommen. Die Sechsundfunfzig wurden noch auf Vierundsechszig vermehrt, unter den Handwerkern standen tüchtige Redner auf und am 30. Juni 1530 mußte der Rath die Abschaffung des gesammten katholischen Kultus, die Domkirche ausgenommen, befehlen. Alsbald, da auch die furchtsamen Kanonici (Domherren) die Messe einstellten, ließ der Rath alles Kirchensilber und die Altarkleinodien in die Tresekammer (Schatzkammer) der Stadt bringen. Einer der kühnsten Sprecher des Volkes war Jürgen Wullenweber gewesen.

 

2.

Wullenweber hatte sich aus niederem Stande zum Bürgermeister von Lübeck emporgeschwungen und einen Freund gefunden, der gleiches Streben nach Volksherrschaft mit ihm theilte und gleichen Aufschwung des Geistes besaß. Dies war Marx Meier, aus Hamburg gebürtig, früher ein Grobschmied, aber durch seine schöne Gestalt, seine kriegerische Tapferkeit und Gewandtheit bald so ausgezeichnet, daß er nun zum Oberanführer zur See von der Stadt Lübeck erwählt wurde. Beide Männer faßten den kühnen Plan, die Niederländer, deren Handelsthätigkeit die Hansa immer mehr verdunkelte, aus den Gewässern der Nord- und Ostsee zu vertreiben, das durch Streitigkeiten zerrüttete Dänemark zu erobern und Lübeck zur Hauptstadt des neuen nordischen Handelsreiches zu machen.

Gustav Wasa von Schweden hatte auf seiner Flucht vor dem grausamen Christian II. von Dänemark in Lübeck Unterstützung gefunden und war dieser Stadt zu Dank verpflichtet; Friedrich, der König von Dänemark, der Oheim jenes Christian, war mit Hülfe der Hansa zum Throne gelangt und durch eine lübeckische Flotte vor neuen Gefahren geschützt worden. So hatte er sich zu einem Vergleiche mit Lübeck verstanden, demzufolge den Niederländern der Sund versperrt werden sollte. Sobald aber Wullenweber mit den übrigen Abgeordneten den König verlassen hatte, gereuete diesen die Zusage, denn er wollte sich wo möglich der Abhängigkeit von den Hansestädten entziehen. Die Holländer kamen nach wie vor in die Ostsee und die Dänen leisteten ihnen Vorschub. Da beschloß Wullenweber kräftige Maßregeln. Er berief die Gemeinde auf's Rathhaus und schilderte ihr mit beredten Worten, wie der Handel der Hansa untergehen müßte, wenn man die Niederländer nicht unterdrückte. Da wurden ihm neue Kriegsschiffe bewilligt, das aus den katholischen Kirchen genommene Silber wurde zu Geld ausgeprägt und selbst der große Kronleuchter zu St. Martin nicht verschont. Bald waren zwei Kriegsschiffe erbaut, die machten sich auf, die holländischen Handelsschiffe zu verfolgen. Doch diese hatten Wind bekommen und retteten sich.

 

3.

Inzwischen war in dem dänischen Reiche eine Veränderung eingetreten, welche auf einmal Alles in Gährung brachte. König Friedrich I. starb 1533 zu Gottorp und hinterließ vier Söhne. Der älteste, lutherisch gesinnt und voll männlicher Kraft, war der katholischen Partei verhaßt. Sie wollte von dem dritten Christian nichts wissen, der schon von Anbeginn der neuen Lehre zugethan gewesen war. Man erzählt sich von ihm, daß er bereits auf dem Reichstage in Worms neckende Feindschaft gegen Mönche und Pfaffen zu erkennen gegeben, indem er in Gegenwart des Kaisers und der Fürsten unter der Predigt den Strick des Kapuziners, welcher durch ein Astloch der Kanzel blickte, festknötete, den heftigen Eiferer am Aufstehen hinderte und dem erzürnten Kaiser sich offen zum Schelmstück bekannte. Sein jüngerer Bruder, Herzog Johann, war erst zwölf Jahre alt und diesen unterstützte der Adel wie die Geistlichkeit. Da man sich nicht vereinigen konnte, ward eine Regentschaft der Vornehmsten des Landes eingesetzt, denen es ganz lieb war, gar keinen König zu haben. Die Regentschaft war den Lübeckern nicht freundlich gesinnt, eben so wenig Gustav Wasa von Schweden, welcher den Lübecker Gesandten geradezu erklärte, es wäre nicht der Vortheil seines Reichs, die Holländer zu vertreiben. Er nahm sogar den Lübeckern ihre Handelsrechte, die sie bisher in Schweden besessen hatten, und legte auf alle Hansaschiffe Beschlag.

Wullenweber, noch in Kopenhagen von diesen Vorfällen unterrichtet, verzagte nicht, auch mit zweien Königreichen den Kampf zu beginnen. Er wußte, daß die Bürger in Dänemark sich vor den Aristokraten und vor den katholischen Geistlichen fürchteten und nach einem volksthümlichen Könige sich sehnten. Demnach schloß er in aller Stille ein Bündniß mit dem Bürgermeister von Kopenhagen, einem geborenen Deutschen Namens Ambrosius Bockbinder, und mit dem Bürgermeister von Malmöe, Jürgen Kock, aus Westphalen gebürtig. Diese drei Bürgermeister wollten Alles aufbieten, um die Freiheit der Lehre und des Bürgerstandes zu retten und den Herzog Christian auf den Thron zu heben. Sollte dieser aber die Krone aus der Hand des Bürgerthums verschmähen, so versprach Wullenweber jede Hülfe seiner Republik, Unterwerfung des Adels, Aufnahme in den Hansabund und den Sieg des Lutherthums. Eine Welt von Plänen in seinem Kopfe, kehrte Wullenweber in die Heimath zurück. Gewiß stammt aus dieser Zeit ein Denkvers, den man zu Kopenhagen angeschrieben fand:

Lübeck, klein und rein, verzage nicht,
Ist Holland groß, die Buben sind blos, sie thun dir's nicht.
Wenn zwei Könige du gemacht und den dritten aus dem Lande getrieben,
Seid ihr noch gewaltige Herren zu Lübeck geblieben.

 

4.

Herzog Christian weigerte sich, die Krone von einer revolutionären Partei anzunehmen; Schweden und Dänemark rüsteten. Unterdessen war aber Marx Meier in London glücklich gewesen und hatte ein Bündniß mit König Heinrich VII., der eben mit dem Papste zerfallen war, zu Stande gebracht. Sobald der kühne Abenteurer nach Lübeck zurückgekehrt war, hielt er mit seinem Freunde Wullenweber Rath, und beide Männer beschlossen, den gefangenen Christian II., der noch immer in seinem Thurme saß, wieder vorzuschieben, da er nicht blos der lutherischen Lehre zugethan, sondern auch ein Feind des Adels war. Der kriegslustige Graf Christoph von Oldenburg, der sich im Bauernkriege bereits durch Tapferkeit ausgezeichnet hatte, wurde zum Feldherrn ernannt und mit Geld zur Werbung eines Heeres versehen, ohne daß die Lübecker Bürgerschaft darum wußte. Sobald Christoph in Niedersachsen die Trommel rühren ließ, hatte er schnell 4000 Landsknechte und Reiter unter seinem Fähnlein versammelt. Am 14. Mai 1531 erschien das Kriegsvolk vor Lübeck. Nun berief Wullenweber den Rath, die Stadtverordneten und die ganze Gemeinde, schilderte die Undankbarkeit und den Haß der Königreiche gegen Lübeck und forderte das Volk zur Rache auf. Das Volk jubelte Beifall und beschloß, die Kriegsmannschaft nach Seeland überzusetzen. Auf 21 mit Geschütz und Lebensmitteln wohl versehenen Schiffen ging die Mannschaft unter Segel, auch Wullenweber und Marx Meier gingen mit, und man steuerte gerade auf Seeland zu. Hier hatten bereits die beiden Bürgermeister Bockbinder und Kock (gewöhnlich Mynter genannt, weil er das Münzmeisteramt in Malmöe bekleidete) tüchtig vorgearbeitet, und in Kurzem war die ganze Insel erobert, Kopenhagen ergab sich und Graf Christoph schaltete wie ein König.

Doch Herzog Christian hatte einen tüchtigen Freund in dem wackern Johann von Ranzau, der drang über das abgebrannte Travemünde auf Lübeck ein und belagerte es. Die ganze Umgegend ward verwüstet, mehrere Schiffe wurden weggenommen, und das Volk begann zu murren wider die, welche zum Kriege gerathen hatten. Zugleich erkannte nun der Adel in Dänemark, daß es Zeit sei, einen König zu wählen, und da Christian, als Herzog von Holstein, so gut den Lübeckern zu Lande beikommen konnte, rief man nun diesen zum Könige aus. Da hob sich in Lübeck die aristokratische Partei und Wullenweber entschloß sich zu schneller Rückkehr, damit er nicht sein ganzes Ansehen verlöre. Es wurde Frieden mit Holstein geschlossen, und um die Feinde zu verringern, hatten die Lübecker auch den Holländern auf vier Jahre freie Schifffahrt auf der Ostsee zugestanden.

 

5.

Mit Hülfe des Johann von Ranzau und der Adelspartei faßte Christian III. immer mehr und festeren Fuß auf den dänischen Inseln, und Christoph, der Lübecker Feldhauptmann, ward in Kopenhagen eingeschlossen. Gustav Wasa hatte Kaperschiffe ausgerüstet, welche den Lübecker Handelsschiffen nachstellten, und als die meisten dieser Kaper den Danzigern in die Hände geriethen, stellten die Schweden elf große Orlogschiffe, welche die Lübecker hart bedrängten. Nun trat Hamburg auf, um den Frieden zu vermitteln, und berief die Abgeordneten der Hansestädte nach Lüneburg (1536). Noch unter dem Einflusse Wullenweber's beschickten die Lübecker jene Versammlung, luden aber die Herren auch zu sich ein; dem Folge leistend, versammelten sich im Hauptorte Lübeck die Abgeordneten von Köln, Bremen, Hamburg, Danzig, Riga, Osnabrück, Kempten, Deventer, Zwoll, Soëst, Göttingen, Braunschweig, Hannover und Hildesheim. Aber leider sahen die Städte nicht ein, daß die ganze Hansa bedroht sei, wenn in gegenwärtigem Kampfe Lübeck unterläge. Wullenweber sprach mit glühender Beredtsamkeit für die Fortsetzung des Krieges, der zur Rettung des Bundes nothwendig sei. Man schwankte aber hin und her; da erschien plötzlich auf Betrieb der durch Wullenweber und die Volkspartei vertriebenen aristokratischen Rathsherren ein Strafmandat des Reichskammergerichts in Speier, das den Lübeckern mit der Reichsacht drohete, wenn sie die alte Ordnung der Dinge nicht wieder herstellen und die vertriebenen Bürgermeister wieder zu Ehren bringen würden. Zugleich arbeitete die Geistlichkeit, um das Volk von dem aufrührerischen Wullenweber abtrünnig zu machen, und da zu eben dieser Zeit der Krieg mit den Wiedertäufern geführt ward, brachte man boshafter Weise den Bürgermeister in Verdacht, daß er mit dieser Sekte in Verbindung stehe. Allerdings wollte er ein freies Bauernthum, wie er ein freies Bürgerthum den Fürsten gegenüberstellte, aber an den Ausschweifungen der Wiedertäufer hatte er gar keinen Antheil. So ward Wullenweber seines Amtes entsetzt und der vertriebene Bürgermeister, Nikolaus von Brömsen, zog feierlichst in Lübeck ein.

Wullenweber aber verzagte immer noch nicht; er hatte den Herzog Albrecht von Mecklenburg zum Kampfe um die dänische Königskrone angefeuert und wollte diesem nun mit Kriegsvolk zu Hülfe kommen. Er überreichte dem alten Rathe ein Schreiben, worin er berichtete, wie im Lande Hadeln ein Haufen von 6000 dienstbaren Knechten zusammengelaufen sei, und erbot sich, mit den Hauptleuten zu unterhandeln und dies Kriegsvolk selbst nach Dänemark zu führen. Seine Feinde ließen ihn in die Falle gehen und bewilligten sein Begehren; alle Freunde aber warnten den allzu kühnen Mann, denn er lief Gefahr, vom Bremer Erzbischof, durch dessen Gebiet er mußte, gefangen zu werden. Bischof Christoph von Bremen war nämlich ein Freund des Dänenkönigs Christian III.; zu ihm sendeten die Feinde Wullenweber's sogleich Eilboten, und wirklich, sobald der Mann das Gebiet des Erzbischofs berührte, wurde er von einem Trupp Bewaffneter ergriffen und gefangen fortgeführt. Da nun die Lübecker Truppen in Kopenhagen keine Verstärkung erhielten, mußten sie den Feinden unterliegen. Der gefangene Wullenweber aber wurde der Botmäßigkeit des Dänenkönigs übergeben, welcher seinem Feinde, auf Betrieb der Aristokraten in Lübeck, den Prozeß machte. Die ungerechten Richter erkannten die Todesstrafe – für einen Mann, der seiner Vaterstadt gedient, um sie groß und mächtig zu machen. Alle Kraft und aller Stolz kamen in die Seele des Unglücklichen, als er die Todesnachricht vernahm; der stummen Kerkerwand vertraute er das Zeugniß seiner Unschuld; dort las man die Worte eingegraben:

Kein Dieb, kein Verräther, kein Wiedertäufer auf Erden
Bin ich niemals gewest, will's auch nimmer befunden werden!
O Herr Jesu Christ, der du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben,
Ich bitte dich durch deine Barmherzigkeit, du wollest Zeugniß von meiner Unschuld geben.

Im Jahre 1537, nachdem der Lübecker Rath dem peinlichen Gericht seine Zustimmung ertheilt hatte, wurde Jürgen Wullenweber von Henkers Hand mit dem Schwerte hingerichtet und sein Körper darauf geviertheilt.


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