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Zweiter Abschnitt.
Die Kirchenreformation in ihren Kämpfen.

I. Ketzer und Reformatoren vor Luther.

 

1. Arnold von Brescia.

Nach den Zeiten der Kreuzzüge waren die Begriffe heller, war das Nachdenken lebendiger geworden. Von nun an erhob sich der Geist des Zweifelns, Prüfens und Forschens, der erst gegen das Aeußere der Kirche, gegen die Herrschaft der Geistlichen und den Ceremoniendienst, dann aber auch gegen das Innere oder die herrschende Lehre gerichtet war. Hatte man vorher nichts von Religionssekten in den Abendländern gehört, so traten nun seit dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert nicht blos einzelne Denker, sondern ganze Parteien (Sekten) hervor, welche der Macht des Papstes widerstrebten und, um diese siegreich zu bekämpfen, aus die ursprünglichen Lehren des Christenthums zurückgingen, wie solche in der Bibel verzeichnet sind.

Einer der Ersten, welche das Papstthum mit dem Feuereifer glühender Liebe für Recht und Wahrheit angriffen, war Arnold, gebürtig aus Brescia ( Brixia) in der Lombardei, geboren zu Anfang des zwölften Jahrhunderts. Als Jüngling, voll Kraft und Feuer für alles Große, hatte er den tiefsinnigen Abälard in Paris zum Lehrer gehabt und war durch ihn zu hohen Ideen angeregt worden. Um so widerlicher war ihm die Entartung der Kirche und ihrer Lehrer und um so stürmischer kämpfte er dagegen an, doch ohne der langsam und sicher wirkenden Kraft der Wahrheit Raum zu gestatten.

Arnold behauptete, den Geistlichen gebühre weder Macht, noch Reichthum, Beides gehöre den weltlichen Fürsten, und nur dann werde es mit der Kirche besser werden, wenn sie alle weltlichen Güter dem Staate zurückgebe und die Geistlichen allein mit der Sorge für das Seelenheil sich befaßten und mit freiwilligen Gaben oder Zehnten, als ihrem Einkommen, sich begnügten. Seine feurigen Reden machten ihn zu einem Manne des Volks, aber regten auch den Haß der Geistlichkeit gegen ihn auf. Diese erklärte seine Lehren für Ketzerei, der Bischof von Brescia verklagte ihn bei dem Papste in Rom und Innocenz II. verwies ihn aus Italien (1139).

Er begab sich nach Frankreich, aber konnte auch hier nicht lange bleiben. Denn da er seinen ehemaligen Lehrer Abälard gegen dessen Feinde lebhaft vertheidigte, wendete sich der Haß derselben gegen ihn, und als auch Bernhard, Abt des Klosters Clairvaux, ihn verklagte, befahl der Papst, daß er in ein Kloster als Gefangener eingeschlossen werden solle. Er entging diesem Befehle durch eilige Flucht und fand in Zürich eine Freistätte. Der Bischof von Kostnitz, zu dessen Diöcese Zürich gehörte, duldete ihn, und selbst der päpstliche Legat, der ein Freund Abälards war, bezeigte ihm seine Achtung. Arnold fuhr nun in Zürich fort, wie damals in Brescia, über die Ausartung der Geistlichen zu predigen, und über die Mittel, deren Abstellung zu bewirken.

Bald darauf hatten die Römer sich gegen das päpstliche Regiment empört und die uralte Verfassung ihrer Stadt wieder herzustellen versucht. Sie hatten das Kapitol eingenommen, einen Senat gewählt und einen Patricius an die Spitze gestellt. Arnold eilte nach Rom und eiferte hier laut gegen die Herrschaft des Papstes, ja er bewog die Römer, den deutschen König Konrad III. zu bitten, den Sitz des Kaiserthums nach Rom zu verlegen. Zwar achtete Konrad nicht auf diese Bitten, aber die drei folgenden Päpste vermochten nicht die Ruhe wieder herzustellen und den Arnold zu vertreiben; dieser blieb in Rom, geschützt von den Großen und geliebt von dem Volke. Erst dem Papst Hadrian IV. gelang es, diesen Feind des Papstthums zu unterdrücken und das geistliche Regiment in Rom wieder zu befestigen. Als einer der Kardinäle von einem Anhänger Arnold's auf öffentlicher Straße angefallen und tödtlich verwundet wurde: verbot Hadrian allen Gottesdienst in Rom; keine Glocke wurde mehr geläutet, keine Messe gelesen, keine Beichte angenommen. Das Volk war hierüber sehr bekümmert, – denn noch nie war Rom mit dem Interdikte belegt worden, – und nöthigte die Senatoren, sich mit dem Papste auszusöhnen. Da mußte Arnold aus Rom weichen. Als er auf der Flucht war, gelang es einem päpstlichen Legaten, ihn zu ergreifen; aber ein Graf von Kampanien befreite ihn und führte ihn auf eines seiner Schlösser. Doch bald darauf kam Kaiser Friedrich I. nach Italien. Dieser zwang den Grafen von Kampanien, den Arnold auszuliefern und dem Papste zu übergeben; denn Friedrich hatte dem Papst gelobet, die römische Kirche zu schützen und die Römer ihm zu unterwerfen.

Sobald Hadrian den verhaßten Ketzer in seiner Gewalt hatte, ließ er ihn (im Jahre 1155) aufhängen, seinen Leichnam verbrennen und die Asche in den Tiber werfen.

 

2. Petrus Waldus und die Waldenser. Von der Stadt »Albi« im südlichen Frankreich auch »Albigenser« genannt.

Die Sage leitet die Waldenser von ihrem Stifter Petrus Waldus ab. Zu Lyon – so erzählt man – lebte im zwölften Jahrhundert ein Kaufmann, Namens Waldus, der sich einige biblische Bücher und namentlich die Evangelien in's Französische übersetzen ließ. Das Lesen dieser Schriften führte ihn zu der Ueberzeugung, daß in der römischen Kirche nicht Alles so sei, wie es sein sollte, und diese Ueberzeugung brachte ihn zu dem Entschlüsse, gleich den Aposteln zu leben und zu lehren. Er verkaufte daher alle seine Habe, vertheilte das dafür gewonnene Geld unter die Armen und lehrte öffentlich, was er von den Lehren Jesu und der Apostel wußte. Viele Männer und Weiber, besonders aus den niedern Ständen, versammelten sich um ihn; diese schickte er aus, das Evangelium weiter zu verbreiten und das Volk zu reineren Sitten zu ermahnen. Der Erzbischof von Lyon verbot ihm, als einem Laien, das Predigen und Erklären der heiligen Schrift; er aber war des Glaubens, daß nach den Worten der Bibel jeder Bruder den andern ermahnen, warnen und trösten solle und widersetzte sich dem Verbot mit den Worten, man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen.

Sehr schnell verbreitete sich die neue Lehre im südlichen Frankreich und von dort aus über die Alpen auch nach Italien, sowie andererseits über die Pyrenäen nach Spanien. Die Waldenser ließen es nicht an Lehreifer fehlen und während die Anmaßungen und Ausschweifungen der römischen Geistlichkeit sehr anstößig geworden waren, empfahlen sie sich durch ein unbescholtenes Betragen, durch Mäßigung und Demuth. Aber je mehr sie sich ausbreiteten, desto mehr wurden sie von der herrschenden Kirche verfolgt. Im Jahre 1184 belegte sie der Papst Lucius III. mit dem Bann; im Jahre 1199 befahl Innocenz III. dem Bischof von Metz, die französische Uebersetzung biblischer Bücher, welche die Waldenser verbreitet hatten, zu unterdrücken. Als aber alle Strafen und Verdammungen nichts fruchten wollten, ordnete Innocenz einen Kreuzzug gegen die Ketzer an. Der Krieg war sehr blutig, da zwei mächtige Grafen, von Toulouse und Faix, auf Seiten der Waldenser standen. Im Jahr 1209 erstürmte das Kreuzheer die Stadt Beziers, verbrannte 4000 Menschen in einer Kirche und schlug 20,000 todt. Beim allgemeinen Gemetzel fiel Ketzer und Gläubiger. »Schlagt nur todt!« rief ein Abt, »der Herr wird die Seinigen schon herausfinden!« Carcassonne ging durch Vertrag über, aber dennoch mußten die Einwohner barfuß und im bloßen Hemde mit Zurücklassung aller Habe auswandern. Einige der Waldenser sollen sogar nach Böhmen und Mähren gekommen sein.

 

3. Johann Huß und Hieronymus von Prag.

 

1.

Johann Huß, geboren 1373 in dem Flecken Hussinez im südlichen Böhmen, war auf der Universität zu Prag gebildet. Eben daselbst wurde er Magister der freien Künste, dann öffentlicher Lehrer und seit 1402 Prediger an der Kirche Bethlehem und Beichtvater der Königin Sophie, der Gemahlin Wenzels. Sein Freund war Hieronymus Faulfisch, gewöhnlich Hieronymus von Prag genannt, ein böhmischer Edelmann. Dieser hatte aus Liebe zu den Wissenschaften mehrere Universitäten besucht, war auch in Oxford gewesen, wo er die Lehren Wiklef's kennen gelernt hatte, die auch gegen die Herrschaft des Papstes gerichtet waren. Nach seiner Rückkehr ward er ebenfalls als Lehrer an der Universität Prag angestellt. Auf dieser Hochschule studirten viele Ausländer, besonders Deutsche, und weil diese die Mehrheit ausmachten, hatten sie das Uebergewicht über die Böhmen oder Czechen, deren Haupt Huß und Hieronymus waren. Beide Männer erwirkten einen königlichen Befehl, daß fortan die Böhmen drei Stimmen, die Deutschen aber nur eine behalten sollten. Hierüber erbittert, wandelten an 5000 Ausländer, Studenten und Professoren, aus und stifteten die Universität Leipzig (1409).

Inzwischen hatte Huß die Schriften von Wiklef gelesen und war von ihrem Inhalte so ergriffen, daß er sie nicht nur in Vorlesungen empfahl und durch Uebersetzungen verbreitete, sondern daß er nun auch selbst gegen die Ausartungen und Mißbräuche der Kirche predigte. Er lehrte wie Arnold von Brescia, daß es heilsam sei, wenn man die überflüssigen Einkünfte der Geistlichen beschränkte, und wie Wiklef, daß alle Bischöfe und Priester ebensowohl Nachfolger der Apostel wären, als der Papst und die Kardinäle; daß nicht der Papst, sondern Christus das Haupt der Kirche sei und daß man den Christenglauben aus der Bibel schöpfen müsse.

Wegen dieser und ähnlicher Lehren zog sich Huß mancherlei Anfeindungen zu. Auf Anstiften des Erzbischofs von Prag wurden nicht nur Wiklef's Schriften öffentlich verbrannt, sondern auch Hussen das Predigen verboten. Da er aber dennoch fortfuhr zu predigen, so wurde er von dem Papste nach Rom beschicken. Zwar nahmen sich König Wenzel, dessen Gemahlin und viele böhmische Große seiner an und verhinderten sein persönliches Erscheinen in Rom. Doch als Huß gegen den Ablaß eiferte, welchen der Papst allen Denen versprach, die ihm in seinem Kriege gegen den König von Neapel beistehen würden, wurde Huß mit dem Banne und die Stadt Prag mit dem Interdikt belegt auf so lange, als Huß daselbst bleiben würde. Da mußte er die Stadt verlassen und floh nach seinem Geburtsorte Hussinez. Dort fuhr er fort, gegen das Papstthum zu predigen und zu schreiben und appellirte von dem Urtheile des Papstes an Christum, als den wahren Oberherrn der Kirche. Auch kam seine Partei in Prag bald wieder empor, so daß er schon im August des Jahres 1414 nach der Universität zurückkehren konnte.

 

2.

Unterdessen war das Konzilium zu Kostnitz (Konstanz am Bodensee) zusammenberufen worden und Kaiser Sigismund verlangte, daß auch Huß daselbst erscheinen und sich wegen seiner Lehren verantworten sollte. Die Kirchenversammlung war zusammenberufen worden, um eine Reformation oder Verbesserung der Kirche »an Haupt und Gliedern« vorzunehmen, und Huß war sich bewußt, daß er nur gegen die Mißbräuche der Kirche, nicht aber gegen den christlichen Glauben gestritten habe. In Böhmen waren jetzt alle Klagen gegen ihn zum Schweigen gebracht; selbst der neue Erzbischof von Prag, ja sogar der Ketzerrichter Nicklas von Nazareth, bezeugten ihm schriftlich, keine Irrlehren an ihm wahrgenommen zu haben. So entschloß er sich zur Reise, zumal da ihm Sigismund die Versicherung seines kaiserlichen Schutzes gab. Gleichwohl mochten doch bange Ahnungen in seiner Seele aufsteigen. Denn in seinem Schreiben, das er bei seinem Abschiede an die Böhmen erließ, gedenkt er der vielen und mächtigen Feinde, die er in Kostnitz finden würde, und er fordert seine Freunde aus, Gott zu bitten, daß er ohne Verletzung seines Gewissens nach Böhmen zurückkehren oder standhaft nach dem Beispiele des Erlösers den Tod erleiden möchte.

Am 11. Oktober trat er seine Reise an mit drei der angesehensten Edelleute, die ihm König Wenzel zu Begleitern mitgegeben hatte. Zu Nürnberg empfing er den kaiserlichen Schutzbrief und am 3. November gelangte er nach Konstanz. Hier versprach ihm auch Papst Johann XXIII. Schutz und Sicherheit und hob sogar den Bann auf, in welchem er noch war. Doch ließ sich Huß dadurch nicht zur Aenderung seiner Ueberzeugung bewegen, er predigte selbst in Konstanz seine Lehre. Da nahm man ihn gefangen und obwohl sich der Kaiser darüber beschwerte, bedeuteten ihn doch die versammelten Väter, einem Ketzer brauche man nicht Wort zu halten.

Bald darauf wurde Huß aus seinem Gewahrsam vor die Versammlung geführt. Die Väter erklärten seine Lehren für ketzerisch und forderten ihn wiederholt zum Widerruf auf. Allein Huß weigerte sich standhaft und erklärte, nur dann widerrufen zu können, wenn man ihn mit Gründen aus der heiligen Schrift seiner Irrthümer überführte. Da ward er in einer feierlichen Versammlung, an welcher auch Kaiser Sigismund Theil nahm, als Ketzer zum Feuertode verurtheilt. Vor dem Stadtthore wurde ein großer Scheiterhaufen errichtet und der Verurtheilte dahin abgeführt. Ruhig und standhaft unter einem großen Zulauf der Menge näherte er sich betend dem Richtplatze. Die Zeichen der priesterlichen Würde waren ihm abgenommen; man hatte ihm eine papierne, mit drei Teufeln bemalte Mütze aufgesetzt. Er gedachte dabei des Heilandes, dem der Hohn seiner Feinde eine Dornenkrone aufgesetzt hatte. Die Bischöfe sprachen die Worte: »Wir übergeben deine Seele dem Teufel!« Aber Huß setzte, wie der Märtyrer Stephanus, dazu: »Ich befehle sie meinem Herrn Jesu Christo!« und als er einen Landmann sah, der in geschäftiger Eile eine Tracht Holz heranschleppte, um sie auf den Scheiterhaufen zu werfen, aus dem der gottlose Ketzer verbrennen sollte, da lächelte er sanft und sprach: »O heilige Einfalt!« Betend stieg er auf den Holzstoß, bis die Flammen seine Stimme erstickten. Seine Asche wurde in den Rhein geworfen.

 

3.

Ein Jahr nach seinem Tode wurde auch sein treuer Freund Hieronymus von Prag mit gleicher Marter hingerichtet. Ungerufen und ohne freies Geleit, blos um seinen Freund zu unterstützen, war er auf die Nachricht von Hussens Gefangennehmung nach Konstanz geeilt. Vergebens suchte er dort Schutz bei dem Concil, er wurde als Ketzer betrachtet und mußte fliehen; aber als er bereits auf dem Rückweg in Böhmen war, ergriff man ihn und brachte ihn in Ketten nach Konstanz zurück. So lange Huß noch lebte, wurde nichts über ihn entschieden. Als aber die Böhmen auf die Nachricht von Hussens Tode in Aufstand geriethen, dem Concilium die bittersten Vorwürfe machten und die Freigebung des Hieronymus forderten, da wurde die Sache desselben auf's Neue vorgenommen. Man glaubte die Böhmen zum Schweigen zu bringen, wenn Hussens Lehre durch den Freund des Hingerichteten selber verdammt würde. Da suchte man mit allen Mitteln den Hieronymus zum Widerruf zu bewegen. Anfangs erlag derselbe den Einschüchterungen und Versprechungen des Conciliums. Am 11. September 1415 verdammte er öffentlich die von dem Concil verdammten Lehrsätze Hussens und Wiklef's und am 23. September bestimmte er seinen Widerruf noch näher, indem er hinzusetzte, daß er dies freiwillig und ungezwungen thue. Aber wenn er durch solche Verleugnung seiner Ueberzeugung Freiheit und Leben zu erhalten hoffte, so hatte er sich geirrt. Er blieb in dem Gefängniß; seine Feinde fürchteten ihn und drangen auf seinen Tod. Da erwachte in ihm die Liebe zur Wahrheit auf's Neue und besiegte die Schrecken des Todes. Als er am 26. Mai abermals vor seinen Richtern erscheinen mußte und die Abschwörung der Meinungen Hussens wiederholen sollte, erhob sich in ihm die Kraft seines bessern Selbst. In einer feurigen Rede bekannte er, daß nur die Furcht vor den Flammen ihm den Widerruf entlockt habe, daß er sich aber jetzt seiner Sünde schäme und daß er die Lehren Wiklef's und seines Freundes Huß als heilig und wahr erkenne. Auf solches Bekenntniß säumten die versammelten Väter nicht länger, das Todesurtheil über ihn, als einen rückfälligen Ketzer, auszusprechen. Am 30. Mai 1416 erlitt er den Tod auf dem Scheiterhaufen, mit einer Standhaftigkeit, die selbst seine Feinde bewundern mußten. Er verlangte ausdrücklich, daß der Scheiterhaufen nicht hinter, sondern vor ihm angezündet würde, »Denn«, sprach er, »wenn ich diesen Anblick gefürchtet hätte, würde ich nicht hier sein.«


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