Paul Grabein
Die Moosschwaige
Paul Grabein

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18.

Hanna saß auf dem Stuhl am Fenster, wo sie fast die ganze Nacht hindurch gesessen hatte, wenn sie nicht ruhelos im Zimmer auf und ab geschritten war. Kein Schlaf war in ihre Augen gekommen. Nun hatte sie sich das Gesicht gewaschen, die brennenden Augen und pulsenden Schläfe, und harrte am offenen Fenster dem kommenden Tag entgegen.

Was würde er ihr bringen?

Ach, sie hatte ja nichts von ihm zu erhoffen. Frei war sie, nun, wo Huber ihr das Wort zurückgegeben hatte; aber es war die Freiheit des armen, herrenlosen Hundes, der nicht weiß, wohin er gehört, und was aus ihm werden soll. Sie hatte ja Huber gestern nicht sagen können, nicht wollen, daß der, den sie liebte, ihr inzwischen verloren gegangen war durch ihre Rückweisung, daß er sich einer anderen in die Arme geworfen hatte, um Vergessenheit zu finden. Wie hätte sie das Huber sagen können! Hätte es nicht ausgesehen, als wollte sie nun, daß er sie wenigstens aus Mitleid noch bei sich behielte, sie, die trotz allem das Bild jenes anderen in ihrem Herzen trug?

Was sollte nun aus ihr werden? Sie wußte es nicht. Aber das hatte jetzt auch gar keinen Raum in ihrer Seele. Was lag an ihr? Ihre Gedanken irrten verzweifelt hin und her zwischen den beiden Männern, die ihrem Herzen so nahe standen, voll verzehrenden Mitleids mit dem einen, voll nagender Angst um den anderen: Wie würde sich nun ihr Leben gestalten? Das hatte sie ruhelos die ganze Nacht umhergetrieben, das hielt sie auch jetzt noch aufrecht, in übernatürlicher Anspannung ihrer Nerven.

Draußen im Gehölz regte sich das erwachende Leben des jungen Tages. Vogelstimmen zwitscherten hell, und es flatterte von Ast zu Ast. Der frische, kühle Morgenhauch wehte ihr um die Schläfe. Draußen im Moos – sie konnte es durch eine Lichtung sehen – jagte er die Nebelfetzen davon, die letzten versprengten Nachzügler des gewaltigen Nebelheers, das des Nachts dort in dichten Massen gelagert hatte. Nun zitterte es rosig erglühend weit hinten am Horizont auf, über das Moos kam der frohe Schein gelaufen, zwängte sich zwischen Geäst und Blättergewirr hindurch und spielte auch um ihr Antlitz. War es nicht wie ein linder Trost? Warte nur, gedulde dich fein – über ein kleines ist auch dein Kämmerlein wieder voll Sonne!

In tiefem Seufzer hob sich ihre junge Brust, und die müden Augen suchten in flehender Sehnsucht die verheißungsvoll aufleuchtende Ferne. Würde ihr wirklich noch einmal die Sonne strahlen?

Wie eine Antwort auf ihre Frage brach da plötzlich das erste goldige Morgenlicht durch das Gehölz. Wie das wohltat nach der endlosen, qualvollen Nacht! Weit vorgebeugt, schlürfte Hanna in durstigen Atemzügen die belebende, goldig flutende Luft ein.

»Guten Morgen, Fräulein Hanna! Schon auf?«

Sie schrak erst zusammen, aber dann zeigte sie ein mattes Lächeln auf dem blassen, übernächtigen Gesicht.

»Guten Morgen, Herr Börner!«

Es war ihr Hausgenosse, ein gewohnheitsmäßiger Frühaufsteher. Er kam sogar schon, wie seine vom Tau ganz nassen Stiefel bewiesen, von einem Morgenspaziergang zurück.

»Ich war schon weit im Moos draußen. Ein Sonnenaufgang heute – wunderbar! Und hier, für Sie, Fräulein Hanna – ein Morgengruß.«

Er reichte ihr den kleinen Strauß von Wiesenblumen hin, den er hinten am Waldrand für sie gepflückt hatte.

»O, wie schön, herzlichen Dank!« Und sie barg die Blüten gleich in einer kleinen Vase, während er, aufs Fensterbrett gelehnt, zu ihr hinein in die Stube schaute.

»Und einen schönen Gruß hab' ich auch noch mal an Sie zu bestellen, vom Veno. Einen recht, recht guten Morgen läßt er Ihnen wünschen – und Sie möchten sich nur all die dummen Gedanken aus dem Kopf schlagen. Auf ein frohes Wiedersehen – mal in Berlin! Das waren seine letzten Worte, dann pfiff der Zug ab.«

Hannas Hände an der Vase zitterten; sie beugte sich über die Blumen, um ihr Antlitz zu verbergen. Diese unendliche Güte! Wie er ihr noch zärtlich besorgt seinen letzten Trost sandte, daß sie denken möchte, er habe wirklich alles überwunden und gehe aufrecht der Zukunft entgegen.

»Also haben Sie ihn noch an die Bahn gebracht?«

Sie mußte doch etwas sagen.

»Ja, Rennert war auch mit.« Die Vase klirrte plötzlich in Hannas Hand. »Wir sind dann noch eine Weile zusammen gewesen und haben viel gesprochen vom Veno. Rennert war merkwürdig weich gestern. Es sah ein paarmal aus, als ob ihm die Augen feucht schimmerten, wenn er vom Veno sprach. Ich habe nie gewußt, daß er so an ihm hängt.«

Hanna fuhr zu dem Sprecher herum. Mein Gott, was war das? Aber Börner erzählte weiter:

»Nachher kamen wir auch noch auf andere Sachen. Und ich muß sagen: Ich habe Rennert gestern stillschweigend manches abgebeten. Ich habe vorher allerdings ja auch nie so recht einen Einblick in ihn bekommen.«

»So war Herr Rennert gestern wohl sehr mitteilsam?«

»Das nicht eigentlich – ich mußte vielmehr erst alles aus ihm herausholen. Aber so seine ganze Art und die Gesinnung, die überall durchschimmerte. Und namentlich der Spektakel jetzt im Atelier, Himmelsakra, das fand ich einfach famos von dem Kerl.«

Hanna erschrak von neuem.

»Spektakel im Atelier? Aber so erzählen Sie doch!«

Sie kam unwillkürlich näher ans Fenster.

Börners ehrliches Gesicht zeigte einige Verlegenheit. Dann schlug er sich lachend vor die Stirn:

»Alter Schafskopf ich! Da hab' ich mich natürlich glücklich verschnappt. Sie sollten selbstverständlich erst gar nichts erfahren von der ganzen Geschichte.«

»Aber nun müssen Sie mir alles sagen,« bat Hanna angstvoll. »Was war denn nur?«

»Ja, wenn Sie mich so bitten, Fräulein Hanna – aber es ist mir recht peinlich! Es sollte Ihnen ja jeder Ärger, jede Aufregung fern gehalten werden.«

Zweifelnd sah er sie noch immer an. Aber ihr flehender Blick bezwang ihn. Da erzählte er, was er von Rennert über den Konflikt mit den Damen Hagenow gehört hatte.

Hanna war heftig zusammengefahren und dann in eine immer steigende Erregung geraten. Nun, als Börner geendet hatte, rief sie:

»Aber, mein Gott, das bedeutet ja doch den Verlust der Existenz für ihn! Er lebt ja doch von seiner Malschule!«

Börner zuckte die Achseln.

»Ja, wenn er sonst keine Privateinkünfte hat.«

Da kehrte sich Hanna vom Fenster ab, in festem Entschlusse.

»Nein, das darf nicht sein!«

Und sie griff nach dem Lodenhütchen, das auf der Kommode neben dem Fenster lag.

»Was wollen Sie tun, Fräulein Hanna?« forschte Börner besorgt.

»Zu ihm will ich – zu Herrn Rennert. Er darf sich meinetwegen nicht brotlos machen.«

Börner schwieg ratlos. Sie hatte ja nicht unrecht.

Hanna aber machte sich mit fliegenden Händen zum Ausgehen fertig und eilte aus dem Haus davon. Sie mußte ihn ja noch antreffen, ehe er zur Schule ging und dort vielleicht durch eine geharnischte Erklärung alles verdarb.

 


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