Paul Grabein
Die Moosschwaige
Paul Grabein

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1.

Hallo! Knut Rennert – Mann, bist du's wirklich?« Eine kräftige Hand fuhr plötzlich mit derbem Schlag auf die Schulter des schlank gewachsenen Mannes nieder, der mit gesenktem Haupte, ganz in sich versunken, den Promenadenweg längs des Landwehrkanals im Berliner Westviertel dahingewandelt war. Nun zuckte er nervös zusammen, und ein fast feindseliger Blick schoß zu dem Störenfried, der ihn da so unsanft aus seinen Gedanken aufschreckte. Dann nahm der Blick etwas Ungewisses, Fragendes an. Dies lachende blonde Gesicht von einer fast ärgerlichen Gesundheit und Ruhe im Ausdruck, er kannte es, natürlich. Aber wer – wo? Rückwärts schoß das Erinnern, in alte Zeiten. Halt! Damals in München – und plötzlich entfuhr ihm der Name:

»Börner?«

»Zu dienen, ja!« nickte vergnügt der Blonde. »Immer noch Rudi Börner.« Er griff nach der Hand des anderen, die er nun mit einem festpackenden Griff schüttelte, daß es jenem Unbehagen bereitete. »Von innen und außen immer noch der alte, wie du siehst. Aber du, mein Junge!« – und er sah dem wiedergefundenen alten Kameraden mit einem offenen Verwundern ins Gesicht – »Daß ich dich wiedererkannt hab'! Mit dem Spitzbart und –«

Er brach plötzlich ab. Er hatte auch die sonstigen Veränderungen im Antlitz des alten Bekannten vermerken wollen, den scharfen Zug um die Nasenflügel und die Fältchen um die Augenwinkel, die dem Gesicht etwas Müdes und Verbittertes gaben. Aber Rennert hatte den prüfenden Blick aufgefangen.

»Bitte, genier' dich gar nicht.« Ein sarkastisches Lächeln erschien um seine Lippen. »Du findest, daß ich alt geworden bin, mein Lieber. Nur heraus damit!«

»Na, jünger sind wir ja alle beide inzwischen nicht geworden,« lenkte Börner ein und schritt mit dem anderen langsam weiter. »Sind ja an die neun – nein, zehn Jahre, daß wir uns nicht mehr gesehen haben. Na, dafür haben wir zugenommen an Weisheit und Ansehen vor den Menschen.«

Rennert erwiderte nichts; doch ein schneller, mißtrauischer Blick schoß zu dem einstigen Kameraden herüber. Aber dieser fuhr unbeirrt mit harmlosen Mienen fort:

»Das letztere du ja ganz besonders. Donnerwetter, Kerl, man sieht ja hier in Berlin keine Kunsthandlung, keinen Photographenladen, wo nicht Reproduktionen deiner Bilder –«

»Genug des Hohns!« Leidenschaftlich blitzte es in Rennerts Augen auf, und er blieb drohend vor dem anderen stehen. »Hast du mich bloß deshalb angesprochen?«

Betroffen sah der Blonde ihn an.

»Ich versteh' dich nicht. Schämst du dich denn etwa deiner Popularität?«

In dem feinen Gesicht Rennerts mit der leidenschaftlichen Äderung an den Schläfen wetterleuchtete es noch immer. Aber er bezwang sich.

»Verzeih',« bat er, und streckte nun seinerseits dem Jugendfreunde die Hand hin. »Ich bin stark nervös. Das Leben verbraucht einen hier furchtbar. Aber nun vor allen Dingen: Wie kommst du nach Berlin? Du sitzt doch noch immer in München, denk' ich?«

»Wenigstens dicht dabei, in Dachau.«

»Du auch? Das ist mir ja ganz neu!« Interessiert sah ihn Rennert an. »Aber es war doch neulich nichts von dir dabei, als hier die Dachauer ihre Kollektivausstellung bei Keller und Reiner hatten.«

Börner lachte in seiner gewohnten Art stillvergnügt vor sich hin.

»Da hab' ich auch nichts zu suchen. Ich gehöre ja nicht zu der Schule, die jetzt Mode geworden ist. Bin ein ganz obskurer Außenseiter, der seinen Stiefel nach seiner Fasson malt.«

Rennert schwieg einige Augenblicke. Er beneidete den alten Kameraden um die frohe Gelassenheit und Selbstsicherheit, die aus seinen Worten klang. Dann fragte er:

»Und was führt dich jetzt nach Berlin?«

»Ein kleiner Auftrag. Ich soll für Thieme und Sohn« – er meinte den bekannten Berliner Verlag – »ein Jugendbuch illustrieren. Ich bin kein Freund von langen Schreibereien. Da zog ich das mündliche Verfahren vor und bin zu näherer Vereinbarung 'rübergerutscht.«

»Du willst gerade zu den Leuten?«

»Nein, komme schon von dort. Eben wollte ich zu Huber – unserem alten, ehrlichen Veno. Sie haben ihn ja wohl jetzt auch zum Königlich Preußischen Professor gemacht, seitdem er den Tiergarten mit seiner Jagdgruppe hat verschönern helfen?«

»Allerdings,« spöttelte Rennert. »Aber da wundert's mich nur, daß du den so zwiefach Gebrandmarkten noch aufsuchen willst. Für euch Münchner ist doch schon eins von beiden mehr als hinreichend, um einen Menschen aus der Liste der anständigen Leute zu streichen.«

Börner lachte.

»Na, unserem alten Vinzenz darf man das schon nicht so hart ankreiden. Es kann ja auch mal ein ehrlicher Kerl ein Malheur haben. Ich habe doch übrigens wohl recht gehört? Er soll in der Dörnbergstraße wohnen, Nummer dreiundsechzig. Die ist ja wohl hier in der Gegend?«

»Ja, gleich die nächste Querstraße links. Aber, ob Huber da wohnt, kann ich dir nicht sagen.«

»Was?« fragte Börner, erstaunt stehen bleibend, »kommt ihr denn nicht mehr zusammen?«

Rennert schüttelte den Kopf und ging langsam weiter, so auch den anderen zum Mitgehen nötigend.

»Ich hab' ihn schon seit Jahren nicht mehr gesehen.«

»Nicht möglich! Und ihr wart doch mal so intim!«

Er sah plötzlich forschend auf den alten Kameraden. Mit einem Male kam ihm dessen Äußeres erst voll zum Bewußtsein: Der elegante Gehpelz, Zylinder, Lackstiefel – da erinnerte ja nichts mehr an einen Künstler, ganz Mann der großen Welt! Offenbar war Rennert in seinen Lebensgewohnheiten sehr vornehm geworden und hielt sich daher von Leuten so schlichter, derber Art, wie der Huber war, ganz fern. Und Börner dachte an seinen eigenen groben Lodenhavelock und das grün verwitterte Jägerhütchen, das er hier sorglos neben dem Mann im Zylinder und Pelz spazieren führte.

»Du,« er richtete einen fragenden Blick auf den Begleiter, »ich genier' dich doch hoffentlich nicht?«

Eine Röte schoß in Rennerts Antlitz.

»Für wen hältst du mich eigentlich?«

»Nun, ich dachte nur –«

»Weil ich mit Huber nicht mehr verkehre?«

Börner nickte.

»Das hat andere Gründe.« Über Rennerts Züge flog plötzlich ein Schatten. »Ich verkehre überhaupt mit niemand mehr, seit ich verheiratet bin.«

»Ah so!« Ein verständnisvolles Pfeifen kam von Börners Lippen.

Rennert runzelte die Stirn.

»Meine Frau brachte einen sehr großen Verkehrskreis mit sich, der uns schon mehr als genug in Anspruch nahm.«

»Kann ich mir denken,« warf Börner leicht hin. »Da hattest du dann keine Zeit mehr für deine Junggesellenbekanntschaften.«

Rennert schwieg, in geheimem Ärger. Er fühlte aus diesen Worten nur zu deutlich den Vorwurf heraus. Aber was sollte er erwidern? Im Grunde genommen hatte der andere ja nur zu recht. Er hatte in der Tat die Freunde der Frau geopfert. Freilich, es war noch etwas anderes hinzugekommen; aber darüber konnte er erst recht nicht reden.

So schritten sie beide, in ihren Gedanken verloren, schweigend nebeneinander her, bis sie in die Dörnbergstraße eingebogen waren.

»So – Nummer dreiundsechzig. Wenn Huber hier wirklich wohnt, bist du da.«

Börner blickte einen Augenblick zaudernd auf den einstigen Kameraden. Es schwebte ihm die Frage auf der Zunge, ob er denn nicht mit ihm kommen und einmal wieder nach dem alten Freunde sehen wollte. Aber nach der Erklärung von vorhin mochte er Rennert nicht dazu auffordern; so streckte er ihm denn die Hand zum Abschied hin.

Da aber trat der andere, der in Börners Mienen gelesen hatte, unerwartet einen Schritt vor und zog schnell am Klingelzuge der Portierloge.

»Ich komme mit,« erklärte er.

»Das ist recht!«

In ehrlicher Freude schlug Börner dem Begleiter auf die Schulter. Er war also doch noch nicht ganz der Abtrünnige, für den er ihn schon gehalten hatte.

Sie schritten durch einen wohlgepflegten Hofgarten, der im Sommergrün sehr freundlich anmuten mochte und der sich tief nach hinten erstreckte, zu dem Portal des langen Seitenflügels hin, der in drei Etagen nur Ateliers enthielt. Gleich links vom Flur aus zur ebenen Erde, an dem ersten der Bildhauerquartiere, fanden sie das Namensschild: Vinzenz Huber.

»Hat sich also der Professor doch wenigstens nicht gleich an die Tür nageln lassen!« bemerkte Börner erfreut. Dann zog er energisch die Glocke.

Nach kurzer Zeit wurde geöffnet, und eine alte Frau im Arbeitskittel erschien.

»Der Herr Professor ist noch nicht auf,« lautete ihre nicht gerade zuvorkommende Auskunft.

»Kein Wunder!«

Börner zog lachend die Uhr. Es war ja erst mittags halb eins, und er kannte den Grundsatz seines alten Freundes, möglichst lange im Bett zu leben. »Das erhält jung!« pflegte er ja immer zu sagen.

Auch Rennert fiel das jetzt wieder ein, und ein heiteres Leuchten flog verjüngend über sein Gesicht. Wie das mit einem Schlag die alten, fröhlichen Zeiten wachrief, in denen sie in lustiger, freier Künstlerkumpanei so treu zusammengehalten hatten, damals in dem lieben München.

Verständnisvoll lachten er und Börner einander an. Dann aber drängte sich dieser gemütlich an der erstaunten Frau vorüber. Sie hatte die fremden Gesichter doch hier noch nie gesehen, und die Herren taten so gutbekannt. Aber der Blonde ließ ihr keine Zeit, erst ihre Bedenken zu erheben.

»Lassen Sie nur, liebe Frau! Der Veno« – er nannte die vertraute Abkürzung von Vinzenz Hubers Rufnamen – »wird schon nicht bös' sein, wenn wir ihn im Bett überfallen. Da haben wir ihn schon mehr als einmal gesehen. – Wo geht's denn zu ihm?«

Und ohne eine Antwort abzuwarten, war er schon mit Rennert durch die halb offene Tür vor ihnen in den großen, hellen Raum getreten, der sich dort öffnete, das Atelier.

»Schau – der Faulpelz hat ja mal die ganze Bude voll. Tut wirklich, als ob er arbeitet.« Er deutete auf mehrere große Gipsabgüsse und Tonmodelle vor ihnen. Aber plötzlich zog er schnell den vorgestreckten Arm zurück.

»Ah, Pardon,« entschuldigte er sich.

Jetzt erst sah er, daß jemand in dem Atelier war. Am Fenster rechts, halb hinter einer großen Diana verborgen, stand ein Mädchen vor einer Staffelei und malte. Ein leises Lächeln spielte über ihre Züge, wie sie – ungewollt Zeugin geworden – zu dem Urheber der vertraulichen Scherzworte aufsah.

Mit ruhigem Kopfnicken erwiderte sie die Verbeugungen der beiden Herren und wollte sich dann wieder ihrer Arbeit zuwenden. Doch da trat Börner auf sie zu.

»Börner,« stellte er sich lachend vor. »Ein Freund Venos! Sonst hätte ich mir natürlich die Bemerkung eben verkniffen.«

»Ah – Herr Börner? Aus München?«

Die Malerin hielt mit der Arbeit inne und sah auf den Sprecher wie einen, den sie dem Namen nach längst kannte.

»Herr Professor hat mir so oft von Ihnen erzählt,« sagte sie, ihren Blick erklärend.

»Freut mich – freut mich! Und mit wem hab' ich die Ehre?«

Zutraulich trat der Blonde zu dem jungen Mädchen und bot ihm die Hand.

»Hanna Mertens.«

Die kurze Antwort gab freilich keine nähere Auskunft über ihre Beziehungen zu dem Bildhauer.

Auch Rennert hatte sich jetzt vorgestellt. Mit einem leisen Verwundern streifte ein schneller Blick die Gestalt der Malerin. Sie war von schlanker, großer Figur, nicht mehr in der ersten Jugend, auch nicht eigentlich hübsch; aber es war doch etwas in ihrem Wesen, was auf den ersten Blick anzog, etwas Offenes, Frohes und Gutes, namentlich in den klaren Augen, mit denen sie jetzt einen Augenblick lang Rennerts elegante Erscheinung musterte, wie ihm schien, mit einem leisen, belustigten Aufglänzen im Blick. Sie hielt ihn gewiß für irgendeinen faden Modenarren. Wer mochte sie sein? Wenn der Huber Maler gewesen wäre, hätte er sich natürlich gesagt eine Schülerin – aber so?

»Der Veno ist noch nicht auf, wie wir schon hörten,« fuhr inzwischen Börner in seiner Unterhaltung fort.

»Allerdings.« Wieder huschte das stille Lächeln über das Gesicht des Mädchens, das ihren Zügen einen anmutigen Reiz gab. »Herr Professor pflegt vor eins ja nie herunterzukommen.«

»So werden wir ihn also aus den Federn holen müssen. – Wo?« Er sah sich fragend um.

»Da oben.« Sie nickte nach der Tür an der Rückwand hin, zu der wenige Stufen hinaufführten. Dort ging es zu den Wohnräumen Huberts hinein.

»Also auf nachher!« Mit diesen Worten empfahl sich Börner und verließ mit seinem Begleiter das Atelier.

Sie kamen zunächst in ein Wohnzimmer, das einem Museum glich; so vollgepfropft war es von altertümlichem Mobiliar und Kuriositäten aller Art. Dunkelgebräunte, eichengeschnitzte gotische Chorstühle aus irgendeinem Tiroler Kloster umstanden den Rundtisch mit prachtvollen Intarsien, ein kostbares Barockstück, auf dem es von japanischen und indischen Bronzen wimmelte, die jetzt sämtlich als Rauchrequisiten dienen mußten. An den Wänden herum standen orientalische Diwane und altdeutsche Sitztruhen, dazwischen ein kleiner Altar mit bunt bemalten Heiligenstatuen. Darüber hingen dichtgedrängt an den Wandflächen, die mit graugrünen Rupfen bespannt waren, Waffen aller Völker und Zeiten neben Gitarren, Mandolinen, Jagdtrophäen und zahlreichen verschlissenen Lodenhüten, die offenbar der besondere Stolz ihres Besitzers waren.

Nach links stand eine Tür offen zur Küche hin, wo man die Alte hantieren sah. Doch mit mürrischem Gesicht kam diese nun und schloß sie zu. Der Eingang zur Rechten war durch eine dichte Portiere verhängt.

»Doch noch ganz die alte, gemütliche Rumpelkammer wie in München,« wandte sich Börner an den Jugendfreund.

Seine laute Stimme mußte durch den Vorhang in den Nebenraum gedrungen sein, denn plötzlich drang es von dort im tiefsten Baß, in dem unverkennbaren Tonklang der oberbayrischen Mundart:

»Was für ein Frechdachs krabbelt denn da drin rum? Glei gehst her, Malefizbua elendiger!«

Die beiden da drinnen lachten einander herzhaft an. Das war der echte Vinzenz Huber! Gott sei Dank, er war noch der alte – trotz des Professors.

Aber sie gaben keine Antwort; dagegen ließ Börner einen Jodler hören, einen kunstvollen Doppelschlag mit einem anschließenden Glucksen und Schnalzen wie ein verliebter Auerhahn – ein Kunststück, dessentwegen er bei der Münchner Kameradschaft in hohem Rufe stand.

»Himmel sackra – dös wann net der Börner is, lass' i mi aufhang'n! Gehst endlich eini, Rudi, oder i kimm und trit' dir die Hax'n ab!«

»Na – dös scho liaber net,« rief Börner lachend und sprang durch den Vorhang. »Grüß di Gott, mein guater, alter Bua!« Und er umschloß den mit ausgebreiteten Armen im Bett aufrecht Sitzenden zu herzhafter Begrüßung.

In der Freude des Wiedersehens hatte Huber gar nicht darauf geachtet, daß hinter dem Eintretenden sich die Portiere noch einmal geteilt hatte. Nun erst, nach langer Umarmung, während derer er mit seinen Riesenhänden den Rücken Börners gerührt immerfort beklopft hatte, gewahrte er, als er jetzt den Freund wieder freigab, dessen Begleiter.

Befremdet blickte er zunächst auf den Herrn im eleganten Pelz in seinem Schlafzimmer, aber plötzlich erkannte er ihn.

»Teixel – der Rennert! Ja, schau, wie kommst du daher? Das ist ja ein seltner Besuch!«

Ganz verlegen hatte sich Rennert dem Bett genähert. An die sechs Jahre wohl schon hatte er Huber nicht mehr gesehen; sein plötzliches Auftauchen mußte dem andern ja wirklich sehr merkwürdig vorkommen. Zögernd streckte er daher seine Rechte hin.

»Ich traf Börner eben zufällig unterwegs, wie er zu dir wollte, und da –«

»Himmelherrgott!« Mächtig drückte ihn die gefürchtete Riesenhand des Bildhauers. »Brauchst dich doch nicht zu entschuldigen, daß d' da bist. Freu'n tut's mi – freu'n! Wärst nur schon eher amal kommen! – Aber dös is g'scheid, Rudi,« wandte er sich dann dem anderen wieder zu, »daß dich a mal nach Berlin g'macht hast. Jiatzt woll'n mir aber a an Betrieb aufmachen, der wo sich seh'n lass'n kann. – Laßt mi nur erst auf sein.«

Er machte Miene, aus dem Bett zu fahren. Aber Börner wehrte lachend ab und Huber erhob sich nun von seinem Lager.

»Dös eilt ja net so. Laß dir nur Zeit zu der Toilett'n. Wir warten derweil da nebenan.«

»Schön! In fünf Minuten bin i ferti.«

Und kaum waren die beiden wieder hinter der Portiere, da hörten sie ein gewaltiges Krachen – der Veno war seinem Pfühl entschlüpft – und nun ein grimmiges Prusten und Gurgeln: Herr Professor Vinzenz Huber war schon am morgendlichen Verschönerungswerk.

Drei Minuten später war dieses bereits so weit vorgeschritten, daß Veno die Portieren zurückschieben und durch den Spalt mit seinen Gästen Konversation pflegen konnte.

»Du, Veno – vor allem sag' a mal, wer is denn das Frauenzimmer da draußen?« fragte Börner.

»Meine Aufwartefrau natürlich – die alte Hippeln.«

»Die net – das Malweib mein' ich, drüben im Atelier.«

»Ach so! Das ist die Hanna Mertens. Die malt bei mir.«

»Das konnt' ich ungefähr schon sehen, du Schlauberger! Bin doch nicht blind. Aber wie kommt sie dazu?«

»Wie sie dazu kommt?« Veno Huber bemühte sich gerade, mit einem wahren Pferdestriegel von Bürste sein struppig in die Stirn fallendes Haupthaar zu bändigen; nun fuhr er sich mit dem Instrument auch durch den langen Schwarzbart, der ihm bis auf die Brust hing. »Weil ich ihr's erlaubt hab'. Sie hat kein eigenes Atelier.«

Rennert hatte schweigend zugehört. Beobachtend blickte er nun durch den Türspalt auf Huber; aber dessen Gesicht blieb völlig gleichmütig. Er konnte es sich auch wirklich kaum denken, daß zwischen diesem schwerfälligen Kraftmenschen, dem die Weiber ja immer »Hekuba« gewesen waren, und dem Mädchen da draußen etwa tiefere Beziehungen bestanden. Aber immerhin, es blieb doch sonderbar. Einer ihm wildfremden Person würde er doch sein Atelier nicht in dieser Weise zur Verfügung gestellt haben. Er hätte gern weiter danach geforscht; aber nachdem er sich dem alten Kameraden so lange entfremdet hatte und da auch Börner taktvoll schwieg, wollte er nicht zudringlich erscheinen, und die Frage unterblieb so.

Huber war nun mit seinem Anzug fertig. In einer grauen Lodenjoppe mit Hirschhornknöpfen und dem unvermeidlichen Jägerhütchen mit dem Gemsbart, das ihm flott auf dem linken Ohre saß, erschien er jetzt. Noch einmal schüttelte er den beiden die Hände.

»So, Herrschaft – nun woll'n wir aber a mal auf das Wiedersehen anstoßen.«

Er ging zur Ateliertür und rief hinein:

»Fräulein Hanna!«

»Ja, Herr Professor,« und man hörte, wie die Malerin draußen die Stufen heraufkam.

»Bitt' schön, Fräulein Hanna, sei'n Sie so gut und machen Sie's uns a bissel nett da drinnen. Die Hippel, den alten Besen, lass' ich mir ja nicht gern an den Tisch kommen.«

»Aber herzlich gern, Herr Professor.«

»Also bitt' schön: Ein paar Flaschen Lorcher Kapellensteg – Sie wissen ja, der grünkapslige draußen aus der Speisekammer – und ein kleines Zubrot. Gelt, Fräulein Hanna?«

Und er klopfte ihr, die bereits an ihm vorüber zur Küche hinwollte, die Rechte zwischen seinen mächtigen Händen.

Sie nickte nur dienstfertig und eilte dann, seinen Auftrag auszuführen.

Huber aber rief die Freunde zu sich.

»Kommt derweil ein bissel herunter, bis droben alles in Ordnung ist. Aber ihr habt ja noch nicht mal abgelegt – so,« und er nahm ihnen Mantel und Hut ab.

Börner sah sich bereits im Atelier um. Schnell ging er an einigen Denkmalsentwürfen vorüber. Aber nun blieb er vor der Diana stehen; die Arme verschränkt, betrachtete er lange das Bildwerk, einen überlebensgroßen Gipsabguß.

Auch Huber trat jetzt mit Rennert hinzu; er stopfte sich die gewohnte kurze Pfeife.

»Na?« fragte er endlich, das Feuer anziehend.

»Hm,« war alles, was Börner antwortete. Erst nach längerem Schweigen wandte er sich langsam zu Huber.

»Du – das alles da ist nichts!«

Er machte eine abwehrende Handbewegung über all die Denkmalsentwürfe da drüben hin.

»Danke dir.« Huber zog aus der Pfeife mächtige Rauchwolken.

»Aber hier – das da« – Börner klopfte der Diana auf das fein geformte Knie, das unter dem bewegten Jagdgewand hervorlugte, und warf einen leuchtenden Blick auf die Statue. »Donnerwetter, Mann, das ist eine Leistung!«

»Hm.« Huber versank nun seinerseits in Schweigen und betrachtete gedankenverloren sein Werk, es langsam auf der Drehscheibe herumkreisen lassend, so daß alle die edlen Linien des schlanken, jungfräulichen Körpers, die unter der leichten Gewandung in keuschem Reiz hervortraten, in ihrer flüchtigen Bewegung sichtbar wurden.

Rennert folgte seinen Blicken. Auch auf ihn machte das Kunstwerk einen vortrefflichen Eindruck. War doch gerade die Darstellung des zart Mädchenhaften, wenn auch mit den Mitteln des Malers, auch sein besonderes Gebiet. Freilich bevorzugte er mehr das Liebliche, Süßsehnende, während hier aus Haltung und Gesichtsausdruck der Diana etwas Herbes, Abwehrendes sprach, der überlieferten Vorstellung von der Göttin entsprechend.

Wie Rennert so in das Antlitz der Statue blickte, fiel ihm plötzlich eine Linie auf, eine charakteristische feine Linie in der Haltung des Nackens. Die hatte er doch schon mal im Leben gesehen? Er hatte einen scharfen Blick und ein vorzügliches Gedächtnis für solche Details. Und ganz kürzlich erst gesehen! – Da fiel es ihm plötzlich ein: vorhin, als er beim Eintritt in das Atelier die Malerin in ruhiger Haltung, den Kopf ein wenig in den Nacken geworfen, vor ihrer Staffelei stehen sah.

Ah! Ein Gedanke durchfuhr ihn. Und er begann unwillkürlich das Gesicht der Diana in allen seinen Zügen mit dem Gesicht Hanna Mertens' zu vergleichen, wie er es im Geiste vor sich sah.

Die Stirn, die Nase, der Mund? Nein, das war alles hier ganz anders, edler in der Form. Aber das Auge, das Kinn und diese feine Linie des Halses – das konnte sein! Wenn also seine Kombination zutraf, wenn sie wirklich Huber zu dieser Diana gestanden hatte, so hatte er ihr Porträt offenbar stark idealisiert, nur Teile davon getreu nachgebildet.

Und wie mochte es mit der Figur sein? War Hanna nur sein Kopfmodell gewesen, hatte sie als Halbakt gestanden, oder –?

Rennert warf einen raschen Blick zu Huber, der in größter Ruhe auf die Gestalt vor sich hinblickte. In des Freundes Mienen verriet sich nichts; kein Hauch eines geheimnisvollen, überlegenen Lächelns, wie es sich in dieser Situation doch so leicht dem Künstler aufgedrängt hätte.

»Hast du die Arbeit schon ausgeführt?« fragte Börner.

»Ja, in Marmor. Sie war im Sommer auf der Ausstellung.«

»Und keine Auszeichnung?« fragte Börner staunend.

Huber zuckte die Achseln.

»Sie stand schlecht – keinen Hintergrund – zwischen hundert anderen Puppen. Außerdem –« und er zuckte vielsagend die Achseln.

»Ein Skandal!« rief Börner entrüstet. »Na« – und er schüttelte dem Freunde die Hand – »wirst ja deine Freud' auch so dran gehabt haben. Es ist sicherlich das Beste, was ich von dir gesehen habe. Hast übrigens auch offenbar ein Heidenglück mit dem Modell gehabt. Dieser Wuchs und dabei die Keuschheit!«

Rennerts scharfem Blick war eine leise Bewegung in Huberts Gesicht nicht entgangen. Also doch recht geahnt?

»Allerdings. Ich hatte Glück,« bestätigte der Bildhauer kurz und trat dann zu einem Tonmodell nebenan, den Lappen davon lüftend und die Masse mit einer Spritze neu anfeuchtend.

Eine Pause entstand in der Unterhaltung. In diese Stille hinein klang plötzlich droben von der Treppe Hanna Mertens' Stimme.

»Wenn ich bitten darf, Herr Professor?«

Huber sah auf und legte die Spritze weg.

»Schön, Fräulein Hanna! – Kommt's Leut – einen Schluck zum Willkommen!«

Er nahm die Freunde unterm Arm und schob sie, wieder in seiner froh-derben Art, vor sich her.

»Haben ja lange nicht mehr zusammengesessen. Könnt ihr denn überhaupt noch anständig eins bügeln? Du, Rudi« – und er schlug dem Blonden krachend auf die Schulter – »siehst ja allerdings noch so aus! Aber du!« Er gab dem schlanken Rennert mit der Rechten einen Puff, daß dieser zur Seite getaumelt wäre, wenn ihn nicht im gleichen Augenblick dieselbe Hand wieder am Arm gepackt hätte.

Rennert lachte auf, aber etwas nervös.

»Ich mache keinen recht vertrauenerweckenden Eindruck mehr, was?«

Der schwarzbärtige Kraftmensch maß seine Gestalt im eleganten Cutaway.

»Schaust mir so aus, als ob du nur noch vom Schampus was hältst, so'n Nippen zwischen aufgeputzten Weibsleuten. Aber ein ehrliches Bechern unter Männern, scharf und ernsthaft, wie sich's gehört – ich glaub', da bist du kein Freund mehr von!«

»So, meinst du?«

Scherzhaft klang Rennerts Antwort, doch etwas unsicher. Huberts Worte trafen ihn, und in demselben Augenblick fing er auch den prüfenden Blick auf, den Hanna Mertens, die an der Verbindungstür stehen geblieben war, von der Treppe her auf ihn warf. Es sprach aus diesem stillen Forschen der klaren Augen etwas, das ihn im Moment verdroß und doch anzog. Das Mädchen da war offenbar gewohnt, den Dingen und den Menschen auf den Grund zu sehen.

Nun waren die drei an der Tür angelangt, und Hanna Mertens machte eine Bewegung, um an ihnen vorbei wieder ins Atelier hinunterzugehen. Aber da löste Huber seine Arme aus denen der Freunde, die er rasch mit einem kräftigen Schubs ins Wohnzimmer dirigierte, und vertrat dem Mädchen den Weg. »Sie werden doch nicht ausreißen, Fräulein Hanna? I wo, das gibt's nicht. Ein paar gute Freunde aus der schönen Münchner Zeit, da gehören Sie auch dazu. Also, bitte gehorsamst!« Mit einer grotesken tiefen Verbeugung reichte er ihr den Arm, den sie nun ohne Ziererei nahm.

»Wenn ich nicht störe, gern.«

So führte er sie an den Tisch.

»Freund Rudi Börner, Herr –«

»Die Herren waren schon so freundlich, sich mir vorzustellen.« Mit diesen Worten ersparte ihm das Mädchen die weitere Zeremonie.

»Um so besser!« atmete Huber auf, griff nach der Weinflasche und füllte die Römer. »Na« – er hob das Glas mit dem goldfunkelnden, blumigen Wein gegen seine Gäste hin – »und nun: Zur Gesundheit allerseits! Prosit!«

Sie stießen an und tranken; Veno Huber mit dem breiten Behagen des Kenners, langsam den Wein hinabschlürfend und dann noch den feinen Nachgeschmack mit leisem Schnalzlaut von den Lippen saugend.

»So, und nun, Leutchen, erzählt mal, wie's euch geht, was ihr treibt.« Er bot Zigarren herum und zündete sich dann selbst seine Pfeife von neuem an.

»Vielen Dank.« Damit lehnte Rennert die ihm von Börner weitergereichte Zigarre ab. »Aber« – er neigte sich zu Huber hin und griff nach seinem silbernen Zigarettenetui in der Brusttasche – »wenn du erlaubst, bleibe ich bei meiner Gewohnheit.«

Paffend blickte Huber durch den dicken Rauch auf das zierliche Etui in Rennerts Hand, und verächtlich kam es über seine Lippen:

»So'n Zeug findest du allerdings bei mir nicht. Ich halte mir nur soliden Tabak im Haus, nicht so'n Mischmasch von Opium und Patschuli. Du wirst dir auch bloß deine Nerven damit ruinieren.«

»Ob ein bißchen mehr oder weniger, was tut's!« scherzte Rennert und sog den stark duftenden Rauch der ägyptischen Zigarette mit dem Wohlgefallen des Gewohnheitsrauchers ein, den schon ein heimliches Verlangen nach dem unentbehrlichen Reizmittel gequält hat. Auch die wohlgepflegten schmalen Fingernägel zeigten jenen charakteristischen gelblichen Anhauch des Nikotins, der den passionierten Zigarettenraucher verrät.

Hanna Mertens machte, in ihrer Weise still beobachtend, diese Bemerkung und richtete, ihren Gedanken weiter nachgehend, ihre Blicke von den Händen Rennerts auf sein Gesicht mit den fesselnden Zügen, dessen matter Teint zu dem dunklen modischen Spitzbart und den fast schwarzen Augen vorzüglich stand. Ein auffallend feines, interessantes Gesicht – schade nur das nervöse Zucken darin! Hanna hatte das Empfinden, als ob es mit diesem Manne überhaupt etwas Besonderes sein müsse, als ob sich hinter der glänzenden Außenseite seines Wesens tiefe Schatten bärgen. Seine ganze Art, die sie ja nur aus flüchtigem Aufblitzen kannte, hatte so etwas Flackerndes, Unstetes.

Inzwischen erzählte Börner in Kürze von sich, wie er seit ein paar Jahren in Dachau sitze und nur noch selten nach München zu dem einstigen Freundeskreise komme. Die meisten seien ja überhaupt fort, in alle Winde zerstreut. Na, es lasse sich ja aber auch so in Dachau leben. Säßen da ganz nette, umgängliche Kerle, und vor allem, das Arbeiten da sei doch ein ander Ding als in München, wo man vor ewiger Kaffeehaussitzerei nicht zu was Rechtem gekommen sei. Er arbeite jetzt stramm – ja wohl, sehr stramm! – namentlich auch als Zeichner; man sei ja, Gott sei Dank, endlich dahinter gekommen, daß man auch beim Buchschmuck wahre Kunst zeigen könne. Und die Dachauer Landschaftsmotive wären ja jetzt seit Dill und Hölzel stark begehrt. Kurz, er fühle sich äußerst wohl in seiner Haut.

»Na, in diesem Sinne prost, mein Lieber!«

Huber stieß mit ihm an und leerte sein Glas. Dann klopfte er Rennert scherzend aufs Knie.

»Na, und du? Was macht's Handwerk bei dir?«

Rennert zuckte bei diesen Worten zusammen, und seine Stirn faltete sich. Doch da begegnete er dem verwunderten Blick Hannas, die an seiner anderen Seite saß, und er zwang sich zu einem Lächeln.

»Wie soll's gehen?« Er zuckte die Achseln. »Der Laden ist halt immer voll, und die Ware geht ab wie warme Semmeln. Was kann man mehr wollen?«

In anscheinend übermütigem, leichtfertigem Ton brachte es Rennert hervor.

Huber sah ihn einen Augenblick schweigend an. Es war, als ob ihm eine stark mißbilligende Antwort auf der Zunge schwebte. Dann aber hob er gleichmütig sein Glas.

»Na ja, wenn man nicht mehr will – in Gottes Namen! Prost!« Er trank, aber er stieß mit Rennert nicht an. Dann setzte er energisch sein Glas nieder. »Man kann ja auch auf die Fasson glücklich werden.«

»Vollkommen!«

In geheimem Trotz stieß es Rennert hervor; in seinen Augen wetterleuchtete es, und die Hand, die sein Glas zum Munde führte, zitterte leicht. Hanna Mertens bemerkte es nur zu wohl.

Ein Schweigen trat ein, währenddessen die drei Männer um so lebhafter rauchten. Hanna Mertens fühlte das Bedrückende der Situation; zugleich empfand sie ein geheimes Mitleid mit Rennert. Sie spürte mit ihrer verfeinerten Psyche nur zu deutlich heraus, was diese gröber geschnitzten Männer neben ihr nicht merkten: daß das ja gar nicht Rennerts wahre Meinung gewesen war, was er ihnen so trotzig hingeworfen hatte. Im Gegenteil, er empfand nur zu wohl, wie recht sie hatten; er litt offenbar schwer unter dieser Erkenntnis. Aber sein Mannesstolz, seine Mannesscham verboten ihm, seine Seele in ihrem Leiden zu zeigen. Da drängte sie es unwiderstehlich, ihm zu Hilfe zu kommen.

»Ich kann es Ihnen nachempfinden, daß Sie sich selbst darüber belustigen, wie das Publikum nach dem Konventionellen greift,« wandte sie sich unvermutet an Rennert. Mit großen Augen sah dieser sie an, noch erstaunter aber Huber. »Es muß in der Tat für einen echten Künstler höchst schmerzlich sein, aus irgendeinem Grunde dem Zeitgeschmack Konzessionen zu machen.«

Ein warmer Strahl brach aus Rennerts Augen, aber im gleichen Augenblick dröhnte Huberts Faust auf dem Tisch. Nun war's ihm zuviel.

»Unsinn! Es gibt keinen Grund, der solche Konzessionen entschuldigt!«

In Rennerts Antlitz schoß eine helle Röte.

Aber ehe er noch erwidern konnte, warf Hanna Mertens, furchtlos in Hubers grollendes Gesicht blickend, schnell ein:

»Das soll man doch nie so schroff hinstellen, Herr Professor. Ich könnte mir zum Beispiel sehr gut vorstellen, daß sich jemand durch seine Privatverhältnisse gezwungen sieht –«

»Ach was! Ein echter Künstler darf eben keine Privatverhältnisse haben!« entschied Huber mit seiner schallenden Baßstimme, die seine Worte schärfer klingen ließ, als sie gemeint waren. »Und wenn er schon wirklich das Pech hat, so muß er stärker sein als seine Privatverhältnisse. Kann er das nicht, dann soll er zum Teufel fahren!« Abermals krachte seine Hand auf den Tisch. »Ehe er seine Kunst verrät, wäre ihm besser, die nächste beste Elektrische überfährt ihn!«

Hanna Mertens fuhr erschrocken zusammen; ihr Blick flog zu Rennert hin. Der war blaß geworden, aber seine dunklen Augen glühten um so düsterer.

Langsam stand er auf.

»Ich danke dir für den freundlichen Wunsch.« Die Stimme zitterte ihm trotz aller erzwungenen Ruhe, und unwillkürlich griffen seine Finger nach der Stuhllehne. »Gestatte mir nur eine Frage: Wie erlaubten dir diese katonischen Grundsätze, einen Auftrag für den Hof auszuführen?«

Nun fuhr auch Huber drohend in die Höhe; sein wunder Punkt war getroffen worden.

»Auftrag?« dröhnte seine Stimme feindselig den anderen an. »Wer sagt dir das?«

»Nun, deine Jagdgruppe für den Tiergarten!«

»Ist als fertige Arbeit vom Hof angekauft worden, mein Lieber! Bitte, das freundlichst zu beachten. Und im übrigen – Himmelherrgott! – warum sollt' ich selbst auch einen Auftrag für den Hof nicht ausführen? Das ist doch keine Schand! Jeden Tag tät ich's. Nur mit Konzessionen dürfen mir die Perücken nicht kommen! Dann schicke ich sie heim, daß ihnen das Wiederkommen vergehen sollte! Schau, mein Lieber, das ist der kleine Unterschied zwischen uns zwei'n.«

Rennert knöpfte sich mit zitternden Fingern seinen Cutaway zu.

»Ich danke dir, daß du mich daran erinnerst. Nun, ich will dir die reine Atmosphäre deiner Grundsätze auch nicht weiter verderben. Adieu!«

Und ehe ihn noch jemand zurückhalten konnte, war er schon zur Tür hinaus. Erst als er drunten im Atelier bereits im Pelz und Hut stand, kam Börner ihm nachgeeilt.

»Mach' doch keine Geschichten, Rennert!«

Und der Blonde suchte ihm den Pelz wieder abzunehmen. »Du kennst ja doch Veno. Er meint das doch nicht so! Hast dir ja früher ganz andere Sachen von ihm an'n Kopf werfen lassen.«

»Bin dazu aber jetzt nicht mehr in der Lage!« schnitt Rennert kalt ab und wehrte den gutmeinenden Freund von sich.

Da stand auch Hanna Mertens neben ihm.

»Es tut ihm ja jetzt sicherlich schon leid, was er Ihnen gesagt hat,« versicherte sie, und in ihren Augen lag ein weiches Bitten. »Kommen Sie doch wieder hinein.«

Er reichte ihr die Hand, mit herzlichem Druck, ein stummer Dank für vorhin da drinnen; aber fest erklärte er:

»Tut mir leid, Fräulein Mertens. Nicht eher, als bis er sich entschuldigt hat. Ich bedauere nur, daß ich Ihnen allen hier die Gemütlichkeit gestört habe – freilich ohne meine Schuld.«

Und mit schnellem Abschied entzog er sich allem weiteren Bitten.

»Na, da ist halt nix zu machen! Sind eben Starrköpfe, alle beide,« erklärte Börner achselzuckend und kehrte mit Hanna Mertens zu Huber zurück.

Sie fanden diesen unverändert auf seinem Platz sitzen, in steifer Haltung, aus seiner Pfeife dichte Rauchwolken vor sich hinblasend – ein Zeichen, daß er zornig war, auf Rennert, auf sich selbst.

»Er war natürlich nicht zu halten,« berichtete Börner, sich wieder setzend. »Du bist aber wirklich etwas massiv gegen ihn gewesen.«

Statt jeder Antwort paffte Huber nur um so grimmiger darauf los.

Eine Stille trat ein, während der jeder seinen Gedanken nachhing. Dann begann Börner wieder:

»Was ist's eigentlich mit dem Rennert? So viel ist mir ja eben klar geworden, er fühlt sich kreuzunglücklich in seiner Haut – er verhöhnt sich selbst mit seiner Kunst; nur von einem anderen will er's nicht wahr haben. Aber, wenn ihm seine eigene Arbeit nicht gefällt, zum Teufel, warum schafft er denn nichts anderes? Er hat doch das Zeug dazu, wie keiner! Himmelherrgott, was hat der Kerl nicht früher für feine Sachen gemacht! Dagegen ist ja natürlich all der Kram, den er jetzt in die Welt setzt, der reine Kitsch! Aber wie ist er überhaupt dazu gekommen, so a Zeug zu malen?«

»Weil's Geld bringt – schwer Geld!«

Endlich ließ sich Huber wieder hören, aber immer noch grollend wie ein abziehender Donner.

»Aber er war doch früher nicht so! Was fragte Knut Rennert nach Geld? Darauf pfeifen tat er!«

»Das ändert sich eben bisweilen, mein Lieber. Namentlich, wenn das Pfeifen ein anderer besorgt und man nur noch zu tanzen hat.«

Börner sah überrascht auf.

»Wie meinst du das?«

»Er hat a Frau, die hat ihn auf dem Gewissen!« Grimmig klopfte Huber die leergebrannte Pfeife über der Aschenschale aus. »Eine schöne Larve, aber ein Satan von inwendig, nichts als Putz und Glanz und Eitelkeit in ihrem Spatzenhirn. Die hat ihn ganz in ihre Mache bekommen. Als verliebter junger Ehemann hat er sie mal in einer unseligen Stunde gemalt – der Teufel hat's ihm eingebrockt! – als »Blütentraum unter der Rosenhecke«. Natürlich fand sich alsbald auch ein alter Schürzenjäger, irgend so ein feister Kommerzienrat, der sich den süßen Schmachtlappen für eine Stange Gold zulegte – da fand Madame Geschmack an der Sache. Auf allen Ausstellungen bewundert werden und dann noch schönes Geld dazu schlucken, gab's ein besseres Geschäft? Und er ließ sich nur zu leicht ins Schlepptau nehmen. Erst in seiner Verliebtheit – er berauschte sich ja immer von neuem selbst wieder an ihrer vermaledeiten Schönheit – dann aus Gewohnheit, und weil es ums liebe Geld ging. Seine Gnädige mußte ja in Samt und Seide rauschen. So, da hast du des Rätsels Lösung!«

»Hm, das hab' ich allerdings nicht gewußt,« bemerkte Börner gedankenvoll.

Hanna Mertens hatte bisher schweigend aber mit lebhaftem Interesse zugehört, nun aber entfuhr es ihr:

»Da kann einem aber doch eigentlich Herr Rennert ehrlich leid tun.«

Es war wie eine leise Anklage gegen Huberts unbarmherzige Verurteilung von vorhin.

Dieser fühlte es wohl heraus und polterte grob gegen die Sprecherin los:

»Ach was, leid tun! Er ist doch ein Mann! Was läßt er sich so von dem Frauenzimmer einspannen!«

Aber Hanna Mertens sah ihm fest in die Augen.

»Wer weiß, ob er nicht gegen ihren verhängnisvollen Einfluß angekämpft hat, als er ihn erkannte? Aber der Kampf hat ihn vielleicht aufgerieben, hat ihm die Kraft benommen, sich zurückzufinden.«

Sie mußte an den müden, bitteren Zug in seinem Antlitz denken.

Aber Huber gestand nichts zu.

»Wenn er die Kraft nicht hat, sie zu kirren, so soll er sie zum Teufel jagen!«

Huber hatte einen ehrlichen Zorn auf Rennert, daß er sich so von dem Weibsbild unterkriegen ließ, gerade, weil er ihm im Grunde leid tat, weil er ihn früher gern mochte und aufrichtig von den Banden frei gewünscht hätte, die ihn allmählich unfehlbar zugrunde richten würden. Aber es lag in seiner rauhen Art, dies weichere Empfinden hinter einem grollenden Poltern zu verstecken.

Doch Hanna Mertens kannte ihn zu gut, um sich dadurch irreführen zu lassen. So fuhr sie denn jetzt auch ruhig fort, mit einem ernsten, mahnenden Blick auf Huber:

»Das ist leichter gesagt als getan, Herr Professor. So schnell jagt sich doch eine Frau nicht davon, wenn nichts anderes vorliegt. Aber wäre es denn nicht möglich, Ihrem Freunde durch eine offene Aussprache, vielleicht eine persönliche Einwirkung bei der Frau selbst, zu Hilfe zu kommen?«

»Wenn Sie sich die Hände dabei verbrennen wollen – in Gottes Namen. Ich habe von einem Male genug.«

»Du hast es also mal versucht?« warf Börner dazwischen.

»Selbstverständlich! Hielt es doch für meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, einem alten Kameraden offen zu sagen: Mann, paß auf, du gerätst auf einen Holzweg! – Es war damals gleich im Anfang, als die Fabrikation seiner Schmachtlappen anhub. Und was war der Dank? Ein hochmütiges Gesicht. Ich möchte mich nicht um Sachen scheren, die mich nichts angingen! Na, da hab' ich ihn dann in Frieden gelassen.«

»So – dann freilich,« antwortete Börner mit einem Achselzucken.

Aber Hanna Mertens gab den so Verurteilten doch nicht auf.

»Das war gewiß nicht schön, Herr Professor. Aber damals stand er sicherlich unter dem Einfluß seiner Frau. Sie sagten es vorhin ja selbst. Heute jedoch, wo er aus dem Bann ihrer Persönlichkeit heraus –«

Sie blickte ihn bittend an, doch Huber verlor jetzt die Geduld.

»Werd' mich hüten! Zweimal lass' ich mich nicht rauswerfen. Doch nun genug! Zum Donnerwetter, was geht uns denn Rennert an? Er zerbricht sich ja auch seinen Kopf nicht um uns. Über all dem Quark kommt die Freude an unserm Wiedersehen ja ganz ins Hintertreffen. Aber das soll sie nicht! Prost, mein Lieber« – er stieß den Römer kräftig gegen Börners Glas – »dein Wohl! Du bist wenigstens der alte geblieben, Gott sei Dank, und sollst's bleiben. Darauf!«

Sie sahen sich in die Augen und leerten ihre Gläser.

Hanna Mertens aber saß in sich gekehrt bei den Männern, die nun froh von alten Zeiten plauderten. Ihre Gedanken weilten bei dem Abwesenden.

 


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