Paul Grabein
Die Moosschwaige
Paul Grabein

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7.

Sehen Sie – das ist unser berühmter Heiliger Hain!«

Hanna Mertens wies auf das Gehölz hin, dem sie sich jetzt auf ihrem Spaziergang näherten. Nachdem Rennert gestern den Nachmittag und heute fast den ganzen Tag mit Börners Hilfe dazu verwandt hatte, alles für die Unterkunft seiner Schülerinnen zu regeln, wollte sie ihm jetzt auf einem Wege in den Abendstunden einmal richtig das Moos zeigen – die eigentlichen »Malgefilde« der Dachauer.

Rennert blickte interessiert auf das Gehölz vor sich. Der Heilige Hain war ihm aus so manchem Bilde Hölzels und Dills wohlbekannt, und nun erkannte er ihn auch wirklich wieder. Gewaltige Graupappeln mit weitausladenden Formen wölbten sich zu einem weiten, hohen Dom, in den sie nun schweigend eintraten. Beide gaben sich der weihevollen Stimmung in diesem grünen Gedämmer hin, durch das in langen, schrägen Streifen die brennenden Lichter der Spätnachmittagsonne fielen wie durch die schmalen Hochfenster eines gotischen Münsters. Unwillkürlich kam Rennert der Gedanke, dem er nun auch Ausdruck verlieh:

»Drängt sich Ihnen nicht auch hier das Empfinden auf, Fräulein Hanna, daß der Mensch sich auch seine Architekturformen aus der Natur holt? Sehen Sie doch nur die absolut stilreine Struktur dieser Baumkronen hier – doch ein vollendetes Spitzbogengewölbe! Wahrhaftig, für mich ist es kein Zufall, daß der romanische Rundbogen auf italischer Erde, die schlank aufstrebende Gotik auf deutschem Boden erwachsen ist, wie der sich flach wölbende Pinienhain dort, der ragende Tannen- oder Eichenwald hier. Echte Heimatkunst beides, in vollstem Sinne des Wortes!«

Hanna Mertens sah von der Wandwölbung über sich auf Rennert hin.

»Wie Sie das alles zu sagen wissen! Ich habe auch Ähnliches empfunden, aber ganz unbewußt. Nun wird mir aber erst klar, warum mir das so schön erschien.«

Und im Weiterschreiten fuhr sie nach einer Weile fort:

»Ich habe viel über eine Unterhaltung nachdenken müssen, die wir neulich einmal oben beim Hörhammer am Künstlerstammtisch hatten. Herr Börner hatte mich auch einmal mit hinaufgenommen. Da behauptete einer der Herren, der denkende Künstler allein könne das Höchste erreichen. Die anderen aber widersprachen fast alle und meinten, die Kunst sei reine Gefühlssache, der wahre Künstler treffe mit angeborenem Instinkt das Rechte. Daß Wissen und Bildung ganz Nebensache seien, beweise doch die Tatsache, daß viele unserer berühmtesten Maler in ihrer Jugend dumme Dorfjungen waren, die hinter den Gänsen herliefen. – Ich kann da nun zu keinem rechten Entscheid kommen. Bald scheint mir dies, bald das das Richtige. Wie denken Sie darüber?«

Rennert sann einen Augenblick nach. Dann sagte er überzeugt:

»Ich glaube doch, jener eine hatte recht. Daß berühmte Maler in ihrer Jugend unwissende Menschen gewesen sind, beweist doch schließlich nichts; denn meistens haben sie das Fehlende mit eiserner Energie und heißem Bildungsdrang nachgeholt, und vor allem kann doch der Mensch auch ohne Schulbildung ein scharfer und tiefer Denker sein. Nicht wahr? Nach meiner Überzeugung liegt die Sache so: Die selbstverständliche Voraussetzung für den Künstler ist natürlich die angeborene Veranlagung, der Künstlerinstinkt; aber die höchste Entwicklung und Verfeinerung dieser Veranlagung ist Verstandessache. Und das beweisen auch Beispiele. Gerade viele unserer genialsten Künstler sind auch geistig hochbedeutende Menschen gewesen; denken Sie an einen Michelangelo, Albrecht Dürer, Rembrandt und andere. Und darum glaube ich, man kann wohl auch einmal unbewußt, wie eine blinde Henne das Korn findet, einen glücklichen Wurf tun; aber im allgemeinen wird doch der denkende Künstler, der sich über das Wie und Warum bei der Wahl seiner Mittel klar ist, den Vorsprung vor den anderen haben und öfter ins Ziel treffen.«

Das Mädchen sah mit still bewundernden Blicken auf ihren Begleiter.

»Schade, daß Sie neulich nicht dabei waren. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie das da oben alles so gesagt hätten.«

»Und warum?« fragte Rennert, indem er lächelnd zu ihr hinsah.

»Damit sie alle merkten, was in Ihnen drinsteckt!«

In warmem Eifer entfuhr es ihr; aber nun, wo sie erst seinen verwunderten Blick, dann aber die alte, finstere Falte zwischen den Brauen sah, reute sie das unbedachte Wort.

»Man hat also da oben von mir gesprochen?«

Vor seinem scharf forschenden Blick konnte sie nicht leugnen.

»Allerdings« – gestand sie.

»Nun, da kann ich mir ja freilich schon denken, wie!« kam es bitter von seinen Lippen.

Doch da griff sie besorgt nach seiner Rechten, und er fühlte einen warmen Druck.

»Aber es waren auch einige darunter, die Ihre große Begabung anerkannten, nur –«

»Lassen Sie nur!« wehrte er fast rauh ab. Doch sie sprach nur noch eifriger auf ihn ein.

»Und der Rudi Börner hat Sie so warm in Schutz genommen und gesagt: ›Paßt nur auf, der Rennert zeigt euch noch, was er kann. Dafür bürg' ich.‹ – Und ich – ich natürlich auch, soweit ich als Frau und Anfängerin zwischen den fertigen Leuten da mitreden konnte. Wahrhaftig!«

Da sah er sie plötzlich an.

»Das taten Sie wirklich, Fräulein Hanna?«

Tief drang ihr sein Auge in die Seele, aber sie wich ihm nicht aus.

»Ja – doch nur selbstverständlich.«

Da brach ein strahlender, siegesbewußter Glanz aus seinen Blicken.

»Ich danke Ihnen. Und Sie sollen sich nicht umsonst für mich verbürgt haben. Ich zeig's ihnen wirklich, daß noch was dran ist an mir. Verlassen Sie sich drauf. – Hier, ich fühl's, hier wachsen mir wieder die Schwingen!«

Seine Brust weitete sich in gewaltigem Atemzuge, und sein Auge trank die Schönheit ringsherum gierig ein.

Dann schritten sie weiter und wanderten lange durch eine dichtgewachsene Kultur von Kiefern und Birken.

Nun waren sie aus dem Wald heraus, und vor ihnen breitete sich das Moos, weithin – unermeßlich.

Die heiße Juli- und Augustsonne, die bei monatelanger Dürre unablässig auf das Land herniedergebrannt, hatte diesem noch vor der Zeit einen herbstfarbenen Anstrich gegeben. So war es denn ein einziger flimmernder Goldbronze- und Silberton, wohin hier das Auge irrte – das sonnenversengte Sumpfgras, der feingefiederte Wasserhanf mit seinen elfenduftigen, weißen Köpfchen, die spärlichen silberschillernden Weidenbüsche hier und da. Ruhepunkte in diesem unendlichen Meer metallisch flimmernder Lichter bildeten nur die düsteren, den Horizont überschneidenden Torfhütten und der schnurgerade Wassergraben vor ihnen mit seinem tiefgesunkenen, schwarz gleißenden Spiegel zwischen den dunkelbraunen Moorwänden, an denen dann und wann Stellen verwesten Torfs in hellen Ockertönen aufglänzten. Darüber spannte sich endlos weit ein weißgrauer Himmel von jener blendenden Leuchtkraft, die das Auge beim Hineinschauen fast schmerzt.

Lange standen die beiden und schauten über das einzige Bild voll einer großen, stillen Ruhe, die aus der Landschaft nun auch in ihre Seelen hineinzog. Sie sprachen kein Wort; doch sie empfanden jenes tiefste, schweigende Sichverstehen und Miteinandergenießen.

Rennert aber durchdrang und zergliederte zugleich mit dem Auge des Künstlers dies Bild. Woher seine wunderbare, unendliche Ruhe, seine erhabene Vornehmheit? Nicht allein aus der ausschließlichen Flächenwirkung, den wenigen parallel gehenden Linien – nein – vor allem aus dem Zusammenstimmen der Töne, weniger einander nahestehender, gedämpfter Farbklänge und zugleich Töne edelster Art: Gold und Silber, wie im Menschenleben, so auch in der Kunst und Natur höchste Werte.

»Das – ja das.«

Mit einer leisen Frage blickte Hanna auf Rennert, der, mit glühenden Wangen und glänzenden, großen Augen in die Weite schauend, unwillkürlich die halblauten Worte hervorgestoßen hatte.

Da ahnte sie: Ein Plan reifte da eben in seiner Seele, der Plan zu einem Bilde, einem großen, gewaltigen Werke, das sein neues künstlerisches Glaubensbekenntnis darstellen sollte.

Und plötzlich streckte er ihr seine vor innerster Erregung fiebernden Hände hin, wie in einem Gelöbnis:

»Sie sollen sehen – Sie sollen sehen!«

Sie erwiderte nur stumm Händedruck und Blick. Aber in ihr ward es in dieser Minute feiertäglich. Sie hatte in diesem Augenblick das Allerheiligste seiner Seele sich auftun sehen, einen Blick scheuer Ehrfurcht hatte sie hineinwerfen dürfen, und nun erfüllte sie ein weihevoller Stolz, daß er ihr das vergönnt hatte. Und von jetzt ab hätte sie auf ihn geschworen, einer ganzen Welt von Feinden und Zweiflern gegenüber: In ihm ist der Genius, und er wird ihn euch offenbaren – über ein kleines.

Weiter wanderten die zwei, wenig sprechend, aber immer dichter umsponnen vom Zauber des Mooses, über das sich jetzt, aus weißgrauem Wolkenwall brechend, eine zitternde Flutwelle glutgoldenen Lichts ergoß, der Glanz der zur Rüste gehenden Sonne. Wie das rundherum gliß. Wie das meilenweit Goldhauch wob um die Millionen flimmernder Halme, wie schwerflüssiges Gold auf dem schwarzen Wasserspiegel schwamm. Welch grandiose Verschwendung der Natur – genug ist nicht genug!

Und weiter wandelten sie, immer tiefer in das Moos hinein.

Eine Baumgruppe tauchte jetzt am Horizont auf. Schwer schob sich ihre massige Silhouette über den Goldton des Abendhimmels hin, darunter duckte sich die dunkle Masse eines Mooshofs, wie sie hier in der Einsamkeit verstreut liegen, uralte Heimstätten eines seßhaften Geschlechts.

Beim Näherkommen scholl lärmender Gesang aus rauhen Kehlen ans Ohr der Wanderer. Vor dem Hause saß auf der Bank ein halbes Dutzend wilder, sonnverbrannter Gesellen, schon halb trunken; aber der Moosbauer trug ihnen mit listig schmunzelnder Miene willig neue Flaschen Bier und Schnaps zu. Torfgräber waren es, armseliges, heimatloses Volk, das zur Hopfen- und Torfernte unstet bald hierhin, bald dahin zieht, seine Dienste anzubieten. Darunter manch einer, dem der Boden in der Heimat heiß geworden, und der hier in der Einöde sicher ist vor dem spähenden Auge des Gendarmen. Schätze trägt keiner davon aus der schweren Kampagne im Moos; denn was sie mit harter Tagesarbeit erlösen, das lockt ihnen der schlaue Moosbauer nach Feierabend wieder ab. Zum Wirtshaus ist es zu weit; so müssen sie halt bei ihm den Lohn vertrinken, den sie oft erst gar nicht zu sehen bekommen.

Rennert wollte mit Rücksicht auf seine Begleiterin lieber in einem Bogen um das Gehöft herumgehen; aber da zeigte Hanna plötzlich auf eine dichte Rauchwolke drüben am Horizont.

»Es brennt! Gewiß ein Mooshof weiter draußen.«

Sie blickten gespannt hin. Wirklich, jetzt schlug die rote Lohe aus dem Qualm.

»Um Gottes willen! Und die Leute da sind vielleicht ohne alle Hilfe.«

Und schon eilte das Mädchen, von ihrem Mitgefühl getrieben, auf das Haus vor ihnen zu.

»Es brennt – da drüben! Zu Hilfe, Leute, zu Hilfe!«

Sie hatte erwartet, ihr Angstruf würde wie ein Alarm in den Haufen fahren; aber die Kerle blieben, wo sie waren. Kaum, daß sie die gläsernen, stieren Augen in die Gegend richteten, wohin das so plötzlich vor ihnen aufgetauchte Mädchen erregt deutete.

Der Bauer kam gerade dazu. Die Hand über den Augen, blickte er hinüber.

»'s is beim Voiterer-Sepp«, meinte er gleichmütig. »Dem arma Teifi is schon z'gönnen, daß er abbrennt. Dem sei Häusl is scho eh nix wert. So kann er a z'wen'gst a nei's aufbau'n. Was soll'n ma eam die Freid' stör'n?«

Grinsend nickten die Torfleute dem Bauern zu.

Sprachlos sah Hanna Mertens den Mann an. Aber Rennert begriff: Der Voiterer hatte natürlich – das sollte ja hierzulande nichts Seltenes sein – sein Anwesen selbst angesteckt, um die Versicherungssumme herauszuschlagen. Offenbar das beste Geschäft, das er mit seiner halbverfallenen Kabache machen konnte. Und er belastete nach seiner Moral sein Gewissen wohl auch nicht zu sehr, wenn er den reichen Stadtfräcken, die dem armen Bauern sonst genugsam das Fell über die Ohren zogen, auch mal einen Schabernack spielte und sich von ihnen ein rundes Sümmchen für ein neues Häusl auszahlen ließ.

»Lassen Sie nur, Fräulein Hanna, da ist doch nichts zu machen,« meinte Rennert, zu dem Mädchen gewandt, um sie zum Weitergehen zu bewegen. Denn er sah, wie die Kerle bereits grinsend nach der feinen Stadtdame hier mitten im Moos blickten, und nun hörte er auch, wie einer von ihnen mit der Zunge schnalzte und einen frech herausfordernden Blick zu ihr hinwarf. Zum Glück hatte sie es wohl überhört.

»Eh' dahin die Feuerwehr aus Dachau kommt, ist der ganze Plunder ja längst niedergebrannt.« Und er berührte Hanna Mertens, die immer noch unschlüssig stand, leicht drängend am Arm.

»Aber wenn da drüben Menschen in Gefahr sind – vielleicht hilflose Kinder!« Das Wort entfuhr ihr unwillkürlich lauter, so daß es bis zu den Leuten drang.

»Kinder?« echote der wüste Geselle nebenan mit lallender, rauher Säuferstimme. »Was woaß die Jungfer da von Kinder! He, Madl – hast a scho a Kind?« Ein rohes Gelächter belohnte den »Witz«.

Rennert stockte vor Empörung das Herz; er sah, wie sich das Mädchen neben ihm plötzlich blutübergossen abwandte. In demselben Augenblick erhob sich der Kerl drüben von der Hausbank und kam herangeschwankt. Der Beifall der Genossen machte ihn noch zu weiteren Späßen aufgelegt.

»Bist a saubers Deandl.« Lüstern glotzte er aus dem rot aufgedunsenen Trinkergesicht die schlanke Erscheinung an, in der weißen Hemdbluse mit dem fußfreien Rock und dem kleidsamen, grünen Lodenhütchen im Haar. »Geh, gib mi a Busserl.«

Und er wollte an Rennert vorbei auf das Mädchen zutreten, die mit einem leisen Aufschrei entsetzt beiseite fuhr. Aber schon taumelte er zurück, von Rennerts Faust vor die Brust getroffen.

Einen Moment schwankte der Trunkene, dann hatte er wieder Posto gefaßt. Nun begann sein alkoholumnebeltes Gehirn erst den Zusammenhang zu erfassen. In den geröteten Augen entzündete sich ein bestialisch wildes Glühen; er war anzusehen wie ein wütender Stier, der sich zum Angriff anschickt. Seine Rechte fuhr fahrig tastend nach der Hosentasche hinten.

Da stieg in Hanna plötzlich eine Todesangst auf. Das Messer! Er wollte sich auf Rennert stürzen! Im nächsten Augenblick zerrte sie diesen am Arm, indem sie ihm verzweifelt zuflüsterte:

»Schnell hinweg! Um Himmels willen! Lassen Sie uns laufen!«

Doch Rennert stand wie angewurzelt; ganz bleich, aber die feinen, blauen Adern an seinen Schläfen quollen dick hervor, und aus den fast schwarz gewordenen Augen sprühte es zum Gegner hinüber. Hanna fühlte, wie sich die Muskeln seines Armes eisern strafften, wie die Faust den Stock krampfhaft umklammerte.

»Lassen Sie mich!« Mit einem Ruck machte er sich zum Kampfe frei. Und wenn er der Bestie da den Schädel zertrümmern sollte.

Der Kerl hatte jetzt wirklich das Messer herausbekommen – die Situation war kritisch.

Da kam plötzlich der Bauer dazu, ein vierschrötiger Mensch. Gemütlich faßte er den Angreifer um die Hüften und packte mit festem Griff dessen rechten Arm.

»Geh, Hiasl, sei stad! Wirst di doch net an so nem Stadtfrack vergreif'n.« Er blinzelte dabei verständnisvoll Rennert zu. »Mit dem tätst koa Ehr net einleg'n. Gel – trink ma liaba no oan's. Laß eam lauf'n, den Tropf!«

»Recht hat er, der Bauer! Laß eam lauf'n, den Tropf, den damischen!« riet lachend nun auch die Trinkergesellschaft vorm Haus. »Geh her! Trink'n ma no oans. An Prossit – an Prossit – der Ge–müat–lich–keit!«

Gröhlend brüllten sie den allbekannten Zecherkanon, und der Hymnus auf die Gemütlichkeit stimmte plötzlich den Wilden um. Mit verächtlicher Miene steckte er den Genickfänger wieder in die Hose, und mit einem widerlich rohen Schimpfwort trat er von dem Gegner zurück.

Einen Augenblick blieb Rennert noch stehen. Aber dann kam ihm der Gedanke an Hanna. Um ihretwillen mußte er hier weichen.

»Kommen Sie!«

Seine Stimme klang ganz rauh; die Kehle war ihm trocken vor Erregung. So schritten sie schnell davon. Aber lange klang noch das Gröhlen der Trunkenen hinter ihnen her.

Endlich, als sie längst außer Hörweite waren, brach Hanna Mertens das Schweigen, indem sie plötzlich stehen blieb und sich mit der Hand zum Herzen fuhr, das in der Erinnerung an das eben Erlebte noch einmal wild aufhämmerte. Sie war noch immer in heftiger Erregung, und zitternd kam es über ihre Lippen:

»Mein Gott, habe ich mich geängstigt! Wenn Sie der Mensch nun wirklich angefallen hätte?«

Rennert zuckte die Achseln, und in seinen Mienen zeigte sich noch immer finstere Entschlossenheit.

»Ich hätte mich meiner Haut schon gewehrt.«

»Aber der Mensch war ja wie ein wildes Tier! Was hätten Sie gegen ihn ausrichten können?« Sie blickte auf seinen nur mäßig starken Spazierstock. »Er hätte Sie ja unfehlbar mit dem Messer – mein Gott, es ist ja gar nicht auszudenken!«

Mit innerem Entsetzen hatte sie diese Worte hervorgestoßen. Und sie dachte dabei: Um meinetwillen! Weil er mich geschützt hatte!

Rennert zuckte schweigend die Achseln. Aber da stieß sie plötzlich hervor, halb wie zu sich selbst, als Antwort auf diesen quälenden Gedanken:

»Nein, dazu wäre es nicht gekommen! Lieber –«

»Was, lieber?«

Überrascht sah er auf sie. Doch sie überhörte seine Frage.

»Ich habe Ihnen sehr zu danken,« sagte sie nur, und ihre Augen strahlten ihn aus tiefstem Herzen an. »Aber nun wollen wir die abscheuliche Geschichte vergessen.« Und sie wandten sich wieder zum Gehen.

»Sie haben recht,« stimmte Rennert zu, und so gingen sie weiter, schnelleren Schrittes, denn die Abenddämmerung begann bereits weich über das Moos zu streichen. Beide verfielen wieder in Schweigen, indem jedes seinen Gedanken nachhing. Was mochte sie eben gemeint haben mit dem »Lieber«? Immerfort mußte Rennert daran denken. Und ihr stand beständig sein Bild vor der Seele, wie er ohne Besinnen ihren Beleidiger beiseite geschleudert und furchtlos, herrlich anzuschauen in seinem entfesselten Zorn, sich vor sie gestellt hatte, um sie zu schützen.

Sie mußten dann einen Wasserlauf überschreiten, der sich wenige Schritte davon zu einem mit Weidengebüsch und spärlichen Birken umstandenen kleinen Teich erweiterte. Unwillkürlich hemmten sie nun doch den Schritt und genossen den Anblick.

Es war ein Bild wie eine jener bekannten Landschaften Enrique Serras aus den Pontinischen Sümpfen: Unheimlich tiefschwarz zeigte sich der regungslose Spiegel des versumpften Gewässers, darauf lagen breite, ölig-schwerflüssige Reflexe. Gespenstisch ragten die dunkeln Silhouetten der phantastisch geformten Birken in die Abendluft. Eine schwere, schwüle Luft wie Fieberbrodem brütete dunstig über die weite Ebene, alle Konturen zur Ferne weich auflösend. Darüber brannte in flammendem Orange der Abendhimmel: der Sonnenball war schon in der Dunstschicht am Horizont versunken. Lautlos, wie ausgestorben, breitete sich diese schwermütige Natur aus – kein Atemzug eines lebenden Wesens war ringsum zu verspüren.

Unwillkürlich beschleunigten die einsamen Wanderer im Weitergehen ihre Schritte, Hanna Mertens zugleich von einer gewissen Unruhe getrieben. Bei dem hastigen Davoneilen vorhin hatten sie nicht auf den Weg geachtet. Nun wußten sie nicht recht, ob sie richtig gingen.

Da erhob sich vor ihnen am Weg ein niederes Dach über dem Erdboden. Sie hätten es für eine Torfscheuer gehalten, wenn nicht aufsteigender Rauch eine menschliche Wohnstätte angekündigt hätte. So konnten sie doch nach dem Wege fragen.

Sie näherten sich der Hütte, einer armseligen Baracke. Es war mehr eine Erdhöhle als ein Haus. Die Holzwand mit einem winzigen Fensterladen ragte kaum drei Fuß hoch über den Boden; man hätte bequem auf das mit Rasen gedeckte Dach hinaussteigen können. Offenbar diente die Hütte Torfarbeitern während der Erntezeit als Schlafstätte. Mit einem geheimen Bangen, in Erinnerung an die Szene von vorhin, ging Hanna mit ihrem Begleiter der Baracke zu.

Die herannahenden Schritte mußten drinnen gehört worden sein; denn aus der niederen Tür, zu der eine Art Kellerschacht hinabführte, trat jetzt eine Frauensperson hervor und schaute nach den Ankömmlingen aus. Offenbar erwartete sie die Männer, die da drüben beim Moosbauer in Arbeit waren. Aber ein Ausdruck finsterer Enttäuschung flog über das bleiche, starkknochige Gesicht des Weibes, als es Hannas und Rennerts ansichtig wurde. Ein fast feindseliger Blick streifte die zwei, und die Frau wollte wieder in die Hütte zurücktreten. Aber da tönte ihr schnell Hannas Frage entgegen:

»Entschuldigen Sie – geht der Weg hier nach Dachau hinüber?«

Die Frau blickte mit ihren schwarzen, glühenden Augen einen Moment das Mädchen an; dann hob sie die Hand:

»Gradzu bis zum Steg – dann links.«

»Vielen Dank.«

Schnell ging Hanna weiter, wie von einer geheimen Furcht getrieben. Rennert schwebte eine Frage auf den Lippen, aber auch er schwieg; denn er hatte das Gefühl, daß die Frau mit den unheimlichen dunkeln Augen ihnen nachschaute.

Endlich aber waren sie weit genug. Er sah sich im Gehen um, die Frau war nicht mehr zu sehen:

»Ein wüstes Frauenzimmer!« wandte er sich zu Hanna. »Ordentlich zum Fürchten,« fügte er lächelnd hinzu, aber es war ihm doch vorhin unter dem stechenden, brennenden Blick selbst nicht angenehm zumute gewesen.

»Nicht wahr?« erwiderte Hanna, die ersichtlich zusammenschauerte, und indem sie näher zu ihm hintrat, flüsterte sie ihm unwillkürlich zu: »Wissen Sie auch, wer das war?«

»Nun?«

»Dem Scharrn-Müller seine Tochter! Ich habe sie wiedererkannt – bestimmt! Börner hat sie mir mal im Ort drinnen gezeigt.«

»Der Scharrn-Müller? Wer ist das?«

»Ach so – den Namen kennen Sie natürlich nicht. Aber dem Harstl seine Schwester, nun werden Sie wissen! Vom Harstl haben Sie doch gewiß auch in Berlin gehört. Er hat ja Jahr und Tag alle Zeitungen gefüllt mit seinen Schreckenstaten.«

»Was? Dessen Schwester?« Rennert blieb einen Augenblick betroffen stehen. Die Schwester des berüchtigten Raub- und Mordgesellen! Aber richtig, nun besann er sich. Der Schauplatz aller dieser Schauergeschichten war ja das Dachauer Moos gewesen. Wahrhaftig, das war eine interessante Begegnung eben.

»Mit dem Harstl ist das eigentlich eine richtige Schicksalstragödie,« sagte Hanna im Weitergehen. »Ich habe hier erst den ganzen Zusammenhang richtig erfahren: wie sich Schuld aus Schuld entwickelt und schließlich eine ganze Familie, drei Generationen ins Verderben reißt. Eine Geschichte, die grelle Schlaglichter auf das Volk hier wirft in diesem entlegenen Winkel, in seiner ungezähmten, wilden Art. Man könnte oft meinen, hier noch im tiefsten Mittelalter zu stecken oder in der Renaissancezeit. Es liegt manchmal ein so großer Zug in der leidenschaftlichen, mit eigenem und fremdem Leben spielenden Auffassung dieser Menschen.«

»Erzählen Sie doch,« bat Rennert.

»Also Harstls Vater oder der Scharrn-Müller, wie sie ihn nannten, war ein ganz gut situierter Mann. Seine Mühle soll da drüben hinter jenem bewaldeten Höhenzug gelegen haben. Nur eine böse Leidenschaft hatte er, die in seiner Familie von alters her vererbt war – das Wildern. Übrigens eine Passion, die ja mehr oder minder jedem hier im Blute steckt. Wildern aber taten sie alle, die Harstls – sonst ganz brave und allgemein geachtete Leute – der Scharrn-Müller, sein Sohn und selbst der alte Großvater noch, der auf dem Altenteil in der Mühle lebte.

Da will es das Unglück, daß ein neuer Förster ins Revier kommt, ein Scharfer, der den Wilderern aufs Handwerk paßt, und eines Tags hat er das Malheur, den alten Harstl, den Großvater, zu erwischen. Der setzt sich natürlich zur Wehr, es geht Leben um Leben, und der Förster schießt in der Notwehr den Alten nieder.

Nun natürlich Aufruhr in der Scharrn-Mühle! Rache ist heilige Pflicht! Und so findet man denn nicht lange darauf den Förster erschossen im Walde. Kein Mensch zweifelt, wer der Täter ist; und tags darauf erscheint auch schon der Gendarm vor der Scharrn-Mühle. Aber der Müller läßt sich nicht sprechen, verbarrikadiert sich und schwört, jeden niederzuschießen, der es wagt, sich der Mühle zu nähern.

Es kommt also zu einer regelrechten Belagerung. Ein ganzes Gendarmeriekommando wird aufgeboten, täglich werden Schüsse gewechselt, aus der Mühle knallen drei Feuerrohre – Vater, Sohn und Tochter – aber die Sache kommt nicht vom Fleck. Die Gendarmen wollen ihre Haut nicht gern zu Markte tragen. Kurz, die Geschichte wird bald komisch. Da kommt telegraphisch der Befehl von der Regierung: »Mühle stürmen! Koste es, was es wolle!«

Und es wird gestürmt! Freilich, mit blutigen Opfern. Ein Gendarm bleibt auf dem Platze tot, ein paar andere werden schwer verwundet, darunter einer, den die Tochter des Müllers zum Krüppel geschossen hatte. Man dringt in die Mühle ein. Sohn und Tochter werden überwältigt. Doch wo ist der Scharrn-Müller? Nirgend zu sehen! Seine Kinder schweigen verstockt. Aber er kann doch nicht zum Schornstein hinausgeflogen sein! Man durchstöbert also von neuem jeden Winkel, und endlich entdeckt der Ortsgendarm den Müller versteckt – tief drunten in seinem Mühlrad, in halsbrecherischem Schlupfwinkel.

Man zerrt den schwerverwundeten Mann hinauf ans Tageslicht, und nun bricht angesichts seiner blutenden Opfer die Raserei in der angesammelten Volksmenge aus. Eine grauenhafte Szene entwickelt sich: Alles stürzt sich auf den wehrlosen, wunden Menschen – wie es heißt, ging auch der Gendarm, statt abzuwehren, mit dem Gewehrkolben mit auf ihn los – kurzum, der so entsetzlich Mißhandelte gibt noch auf dem Transport zum Gefängnis den Geist auf. Das alles spielt sich vor den Augen seiner gefesselt mitgeführten Kinder ab!

Die Folgen sind unausbleiblich. Der junge Harstl, in dem jede Menschlichkeit in jener Greuelstunde ertötet worden, schwört und droht ganz öffentlich: »Sobald ich aus dem Gefängnis heraus bin, muß der Gendarm hin sein!«

Und es dauert gar nicht lange. Ein paar Wochen später durchläuft es wie ein Lauffeuer das Land: »Der Harstl ist ausgebrochen!« Jeder weiß, was nun kommen wird. Der Gendarm wird gewarnt, aber er ist zu stolz, sich versetzen zu lassen, und richtig – eines Tags wird er am hellen lichten Tage, mitten im Ort, vom Harstl erschossen.

Und nun das Charakteristische: Diese Tat der Kindesliebe, der Blutrache versteht das Volk. Nach seiner unausrottbaren Geheimmoral ist sie nur ein Akt der Wiedervergeltung. Niemand gibt sich daher die Mühe, den »Harstl-Buam« zu fangen, keiner verrät ihn. Im Gegenteil, mancher Moosbauer draußen auf einsamem Hofe gibt dem verdächtigen Menschen, der zur Nachtzeit bei ihm anklopft, Unterschlupf. Er fragt nicht, wer er ist. Aber er weiß es wohl.

So vermag der Harstl, Jahr und Tag sein Leben in Freiheit zu fristen. Freilich nur wie ein gehetztes Wild. Und sein Schuldkonto wächst furchtbar an. Drei, vier seiner Verfolger hat er schon niedergeknallt. Aber er tut sonst keinem was zuleide, schröpft wohl mal einen reichen Geizhals, hilft jedoch dafür manchem armen Teufel. So findet er denn immer wieder geheime Helfer, die ihn entwischen lassen, ehe die Gendarmen da sind.

Aber endlich ereilt ihn doch sein Schicksal. Er wird bei einem Bauern gestellt, noch ein letzter Kampf! Wieder gibt es angeschossene Gendarmen; dann fällt der gefürchtete, im Volksmund zu einem Brigantenheros gewordene Harstl wirklich in die Hände seiner Häscher, aber, wie sein Vater, nur als wunder, kampfunfähiger Mann. Die gegen ihn selbst gekehrte Büchse hat ihm den letzten Dienst nur halb erwiesen. Man heilt ihn mit grausamer Sorgfalt im Gefängnis aus, und dann wird ihm der Prozeß gemacht – sein Haupt fällt durch das Beil des Henkers.

Als die Schwester nach Jahr und Tag, nachdem sie ihre Strafe verbüßt hat, in die Heimat kommt, findet sie das Vaterhaus niedergerissen; der Pflug ist über die Höhle der Verbrecherbrut gegangen – all die Ihren dem Bluttod verfallen, sie allein übrig, eine Gebrandmarkte. Und das Ende?« Hanna Mertens wandte das Antlitz zurück zu der elenden Hütte dahinten. »Eine Landfahrende – die Gefährtin verkommener, bestialischer Männer – heimatlos, ausgestoßen von der menschlichen Gesellschaft.«

Das Mädchen verstummte, und schweigend ging Rennert neben ihr her. Er war kein Freund von Verbrecherromantik; aber es war an der Geschichte, die er eben gehört hatte, doch etwas dran, das einem ans Herz griff. Schicksalstragödie! Dieses Wort, das sie vorhin gebraucht hatte, war nur zu treffend gewesen. Und das Schicksal erwuchs diesen Menschen aus ihren altererbten Neigungen und Fehlern, aus dem Land und Leben hier seit grauen Zeiten. Sein Auge strich über das dämmernde Moos in seiner einsamen Wildheit. Ja, das gehörte mit dazu! Ein Keim zu solchem Schicksal mochte in einem jeden schlummern von denen, die hier schon viele Geschlechter hindurch hausten.

Was mochte dieses schwarze, schweigende Moor, die tückische Tiefe, die hier nur einen Schritt vom Wege sich lauernd unter dünner Grasdecke barg, im Laufe der Jahrhunderte nicht alles gesehen haben! Wie viele finstere Taten, die nie ans Tageslicht gekommen sind! Wie manches Opfer mochte es bergen, das hier spurlos verschwunden ist! An den Mann mußte er plötzlich denken, den sie im Museum zu Kiel zeigen – einen alten Heidenmann, der an die tausend Jahre in seinem braunen Friesmantel im Holsteinschen Moor gelegen hat, noch jetzt die klaffende Hiebwunde im Schädel – und das Gedicht vom Heideknaben schoß ihm dann wieder durch den Sinn.

Ja, ja viele Opfer barg das Moos hier sicherlich – ein Massengrab war es sogar! Geschichtliche Erinnerungen tauchten in ihm auf an die Hunnen-, Awaren- und Türkenschlachten in diesen Mooren, wo Tausende in der schwarzen Erde ihre letzte Lagerstätte gefunden haben mochten.

Und plötzlich fuhr es ihm durch den Sinn: Das alles müßte mitschwingen als ein dumpfer, geheimnisvoller Unterton, wenn man einmal das Moos malerisch darstellen, seinen Charakter voll ausschöpfen wollte.

Da schaute Rennert wieder mit den Augen des Künstlers in die tiefe Dämmerung ringsum hinein. Wie da beim langen Hinblicken allerlei märchenhafte Farbtöne auftauchten aus dem einförmigen Dunkel! Der schwarze Wasserspiegel neben ihm im Torfgraben erschien plötzlich tiefstahlblau, und die weißgraue Grabenwand von verwestem Torf darüber nahm ein zartes Rosa an.

Plötzlich fuhr das Mädchen neben ihm zusammen. Ein meckernder Schrei gellte durch die schweigende Dämmerung, aber hoch über ihnen aus der Luft her – schreckhaft, gespenstisch. »Was war das?«

Auch Rennert lauschte einen Augenblick, aber dann zeigte er auf einen mit schwerem Flügelschlag ins Wasser einfallenden großen Vogel. »Die Himmelsziege!« lächelte er. »Die Moosschnepfe.«

»Ich hab' mich so erschrocken!« kam es von Hannas Lippen.

Unwillkürlich drängte sie sich zu ihm, und er nahm ihren Arm in den seinen. »Kommen Sie!«

Sie ließ es wie selbstverständlich geschehen, und so schritten sie, eng aneinandergeschmiegt, eiligen Fußes durch die Dunkelheit.

Endlich tauchten in schattenhaften Umrissen die ersten Häuser von Dachau vor ihnen auf. Sie hatten sich dort oben beim Ziegler in der Brauerei mit Börner verabredet.

Voll geheimer Freude sah Hanna die Lichter des Ortes traulich aufblinken. Gott sei Dank, daß sie wieder unter Menschen waren, im sicheren Schutz der bürgerlichen Ordnung! Und sie machte eine Bewegung, um nun wieder ihren Arm aus dem ihres Begleiters zu lösen. Aber da fühlte sie sich leise festgehalten, und plötzlich klang ihr Rennerts Frage ins Ohr:

»Sagen Sie, Fräulein Hanna – es geht mir nicht mehr aus dem Kopf – was war das vorhin, bei dem Renkontre mit dem Kerl da? Was hätten Sie lieber getan, ehe er mich mit dem Messer –« Da fühlte er, wie sie zusammenzuckte.

»Ich – es ist ja Unsinn – nur so ein Gedanke!«

Und sie strebte fast mit Gewalt, von ihm frei zu kommen.

»Aber, wenn ich Sie nun bitte, Fräulein Hanna!« Seine Stimme klang merkwürdig weich.

Da fühlte er, wie ihr Arm leis erzitterte.

»Nun gut! – Ich mußte in jenem entsetzlichen Augenblick denken, was in Ihnen an großen Hoffnungen und Taten, die gerade keimen, durch einen brutalen Zufall hätte vernichtet werden können – meinetwillen. Und da – dazwischen hätt' ich mich geworfen! Lieber ich als Sie! An mir wäre der Welt ja nichts verloren gegangen. Das dachte ich in jenem Augenblick. – Aber nun kommen Sie, und bitte – aber wirklich – kein Wort mehr davon!«

Mit einer hastigen Bewegung hatte sie ihren Arm aus dem seinen gelöst, und schnell schritt sie voran, in die Straßen hinein.

Er war gleich wieder an ihrer Seite, doch auch er sprach nichts. Aber sein Auge suchte im ungewissen Halbdunkel immerfort ihr Antlitz. Das hatte sie für ihn tun wollen!

 


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