Paul Grabein
Die Moosschwaige
Paul Grabein

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12.

So, meine Damen! Hier sind wir am Ort. Nun suchen Sie sich, bitte, Ihre Plätze. Das Modell wird da rechts von der Erle stehen, direkt unten am Wasser. – Also bitte, Fräulein Burgei.«

Rennert nickte der Färber-Burgei zu, zum Zeichen, daß sie sich entkleiden möchte, während die drei Damen sich vorbereiteten. Schweigend, aber mit großem Eifer machten sich diese ans Werk, Fräulein von Bergen, Claire Hagenow und Fräulein Bistram, die einzige von Rennerts Schülerinnen, die wirklich Talent hatte und auch beabsichtigte, es ernsthaft auszubilden. Ihretwegen allein hatte er dies Aktmalen in der Natur arrangiert. Die beiden anderen waren bloß Mitläuferinnen, die die Sache als etwas Neues und Originelles mitmachen wollten, um so mehr, als sie sich damit vor den übrigen ein gewisses Air geben konnten. Denn diese Sonderveranstaltung wurde sehr geheimnisvoll betrieben. Da es sich um einen Ganzakt handelte, sollten unberufene Zuschauer fern gehalten werden, die die Damen hätten genieren können. Rennert hatte diese daher in ihrem eigensten Interesse gebeten, möglichst ganz über die Sache zu schweigen, zum mindesten aber niemand den Ort zu verraten, wo sie vor sich ging.

Das gab der Veranstaltung, namentlich in den Augen Claires, einen starken, pikanten Reiz. Wie zu einem Duell waren sie heute morgen von Haus fortgegangen, unauffällig, jede für sich. Erst bei der Amperbrücke draußen am Etzenhauser Forsthaus hatten sie sich getroffen, hier auch Rennert mit dem Modell.

Neugierig hatte Claire Hagenow die Fremde betrachtet: sie hatte noch nie ein Modell gesehen. Die Färber-Burgei war die Tochter eines Dachauer Kleinbürgers; sie betrieb das Modellstehen schon seit ein paar Jahren. Es war eine hübsche, gut gewachsene Blondine mit einem frischen, immer lächelnden Gesicht. Sie war ganz städtisch gekleidet, aber mit bloßem Kopf, der eine ganz moderne Pariser Frisur trug. Obgleich sie in dieser Erscheinung einen etwas kecken Eindruck machte, benahm sie sich doch sehr nett und war bescheiden und artig gegen Rennert wie gegen die drei Damen. So war man gemeinschaftlich in das verschwiegene Würmmühlenholz gewandert.

Nun entledigte sich Burgei mit schnellen, geübten Griffen in größter Unbefangenheit ihrer Kleider. In wenigen Minuten stand sie in voller Nacktheit da und ging an den ihr bezeichnten Baum. Rennert trat zu ihr, um die Stellung auszuprobieren.

Es war ein kleiner Waldweiher, an dem sie sich befanden, von Rennert gestern auf einem Rekognoszierungsweg entdeckt. Ein entlegenes Versteck, mitten im dichtesten Grün, wie sie es für ihren Zweck gar nicht schöner hätten finden können. Wie jetzt Burgei dastand, die Füße im Binsengras, mit lässig erhobenem Arm an den Erlenstamm gelehnt, und gesenkten Hauptes träumend hinabschaute zu dem dunklen Wasserspiegel zu ihren Füßen, da sah sie wirklich aus wie eine eben dem Weiher entstiegene Nixe. Reizvoll hob sich von dem grünen Waldgedämmer des Hintergrundes der schön geformte Leib des Mädchens ab mit seinem warmen rosigen Fleischton, dem einige durch das Blätterdach brechende Sonnenstrahlen hier und da blendend helle Lichter aufsetzten.

Mit echter Künstlerfreude genoß Rennert das reizvolle Bild, während er mit dem Modell noch einige kleine Änderungen an der Beinstellung probierte, um weichere Linien in der Kontur herauszubekommen.

»So ist's gut, Fräulein Burgei – so bleiben! Nun, meine Damen, wie gefällt Ihnen das?«

Rennert drehte sich zu den Schülerinnen herum, die nun schon in Malschürzen vor ihren Staffeleien standen und ihm bei seinen Bemühungen mit dem Modell zugeschaut hatten, Fräulein Bistram mit ernstem, künstlerischem Interesse, Fräulein von Bergen mit gut beherrschter Neugier, Claire Hagenow aber mit deutlich sichtbarem Amüsement an der eigenartigen Situation. Gerade als Rennert sich unvermutet umwandte, fing er, ohne es zu wollen, einen Blick Claires zu der Freundin und ein eigenartiges Lächeln auf, das offenbar seiner ungenierten Beschäftigung mit dem nackten Mädchen galt. Im nächsten Moment nahm aber auch Claire eine sehr ernste Miene an.

In Rennert quoll ein Gefühl halb des Ärgers, halb einer gewissen Befangenheit auf. Was ihm, ganz in künstlerisches Schauen vertieft, als selbstverständlich vorgekommen war, das gewann jetzt plötzlich unter dem wissend lächelnden Blick des Mädchens das Ansehen des Unschicklichen. Am liebsten hätte er Claire Hagenow mit einem ernsten Wort zurechtgewiesen; aber er sagte sich doch gleich wieder, daß das die Situation auch für die anderen Damen sehr peinlich gemacht hätte. So streifte denn Claire nur einen Moment ein ernster Blick, dann wandte er sich an Fräulein Bistram.

»Nicht wahr, ein Idyll dieser Waldwinkel hier? Und die Burgei steht famos darin!«

»Ausgezeichnet, Herr Rennert!« Das Mädchen nickte und begann bereits mit eifrigen Kohlestrichen die Zeichnung auf die Leinwand zu werfen.

Ein paar Minuten blieb Rennert noch da. Er gab den Schülerinnen noch einige Anweisungen über Anlage und Auffassung des Bildes, dann verabschiedete er sich mit den Worten:

»Ich muß nun zu den anderen hinüber. Gegen Mittag komm' ich aber noch mal mit dem Rade her zu Ihnen.«

Darauf trat er noch einmal zu dem Modell hin und legte ihm mehrere Zigaretten in die Astgabelung des Baumes.

»Hier, Fräulein Burgei – wenn's die Mücken Ihnen zu toll treiben.« Er jagte mit seinem Spazierstock einige der zudringlichen Insekten fort, die, von dem entblößten Leib angelockt, um das Modell herumschwärmten. »So, da haben Sie auch Streichhölzer.«

»I dank schön, Herr Professor!« Lachend blickte ihn das Mädchen an, die gesunden Zähne und Grübchen in den frischen Wangen zeigend.

Dann zog Rennert, der hier draußen stets seinen Radfahreranzug, eine leichte Joppe und Ledergamaschen, trug, die Mütze und verneigte sich leicht vor den Damen: »Also auf nachher!«

»Adieu, Herr Rennert!«

Er bemerkte, wie bei dem Gegengruß der beiden anderen Damen Claire schwieg; aber ihre Augen suchten ihn mit einem schmollenden Ausdruck und zugleich leise lockend. Doch er wandte sich ab.

Die anderen arbeiteten weiter, aber Claire sah mit zusammengezogenen Brauen dem Davongehenden nach.

Wie empörend kalt und hochmütig er sein konnte. Ah – es kochte heimlich in ihr. Und doch, er gefiel ihr so – gerade so!

Dann streifte ihr Blick wieder zu dem Modell hinüber. Ob er wirklich vorhin so völlig gleichgültig war? Es war doch eigentlich ein ganz hübsches Mädel – sie musterte prüfend Burgeis weiße, schön geformte Glieder. Sollte ein Mann hierbei tatsächlich so kalt und unberührt bleiben können?

Sie versank in ein Grübeln. Wenn sie doch ihm einmal einen Blick ins Innerste werfen könnte! Wie es wohl in so einer Mannesseele ausschauen mochte?

Und plötzlich schoß es ihr durch den Kopf: Ob er wohl auch so eiseskühl bliebe, wenn er dich –?

Ihre Brust hob sich in schwerem Atemzuge, und ihre spitzen, weißen Zähne gruben sich ihr in die Unterlippe. Sie fühlte, wie sie der Gedanke in Aufruhr versetzte.

Dann aber raffte sie sich zusammen und warf einen heimlichen Blick zu den beiden anderen, als ob die ihr an den Augen hätten ablesen können, was in ihr vorging. Doch sie waren ganz in ihre Arbeit vertieft. Gott sei Dank!

Da griff auch Claire Hagenow wieder nach der Kohle und begann zu zeichnen. Aber es wurde nichts. Immer sah sie neben Burgeis nacktem Leibe Rennert stehen, und immer wieder kamen die tollen, heißen Gedanken.

Es quälte sie. Sie ward schließlich zornig auf sich selbst und kam doch nicht los davon.

 


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