Paul Grabein
Die Moosschwaige
Paul Grabein

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15.

Mama!«

Claire rüttelte ungeduldig an der verschlossenen Tür zur Stube der Mutter.

»So mach' doch auf!«

»Gott, was ist denn nur?« klang von drinnen etwas ungehalten die Stimme der Mutter. »Ich bin ja noch beim Anziehen.«

Aber schon schob sich der Riegel zurück.

»Eine Neuigkeit, die dich auch interessieren wird!«

Halblaut nur, aber aufgeregt rief es Claire der Mutter zu, während sie sich eilends durch den Türspalt drängte und hinter sich gleich wieder abschloß.

»Ja, was denn nur?« fragte, von Neugier angesteckt, Frau Hagenow; sie fuhr dabei immer noch an der in aller Eile übergeworfenen Bluse herum.

»Also es ist wirklich wahr: Sie ist Modell gewesen!«

»Was – die Mertens?«

Claire nickte.

»Eben war Melitta von Bergen bei mir und las mir den Brief ihres Vetters vor. Sie ist das Modell eines Bildhauers gewesen, mit dem sie noch heute in Beziehungen stehen soll.«

»Also doch!«

Frau Hagenow ließ sich auf einen Stuhl fallen. Sie mußte sich erst fassen. Aber die Tochter fuhr fort, in einer Erregung, in der der ganze verborgene Haß gegen Rennert aufloderte:

»Ist es nicht eine Schande, ein Skandal sondergleichen? Mit so einem Frauenzimmer hat man wochenlang Seite an Seite gearbeitet!«

»Ja, ein Skandal ersten Ranges!« bestätigte nun endlich die Mutter, zu Atem gekommen. »Und daß Rennert davon keine blasse Ahnung gehabt hat!«

»Glaubst du das wirklich?«

Höhnisch kam es von Claires Lippen.

Verdutzt sah Frau Hagenow sie an.

»Wie – du meinst?«

»Doch ganz selbstverständlich!« Mit haßfunkelnden Augen blitzte die Tochter sie an. »Ich erzählte dir doch, daß ich neulich abend ihn zufällig traf und ein Stückchen mit ihm ging, und daß uns dabei der Maler Börner und die Mertens begegneten. Da hättest du nur sehen sollen, wie Rennert und die Person zusammenfuhren, wie er ihr nachstarrte. Die beiden stecken ganz gewiß unter einer Decke. Darauf schwöre ich!«

»Wahrhaftig?« Frau Hagenow sah mit erwachendem Glauben an das eben Gehörte die Tochter an. »Aber, da müßte man ja –«

»Unbedingt muß man!« brach Claire leidenschaftlich aus. »Und auf der Stelle! Gleich mußt du zu ihm gehen und ihm sagen, daß wir wissen, wie schamlos er sich benommen hat, daß wir keine Minute länger mit der Person zusammen sein wollen, daß er sie mit Schimpf und Schande davonzujagen hat, oder – das ganze Atelier bricht mit dem heutigen Tage den Unterricht ab!«

»Wahrhaftig, das muß man ihm sagen!« redete sich nun auch Frau Hagenow in steigende Entrüstung hinein, und mit erregt zitternden Fingern nestelte sie an ihrer Bluse herum, den Anzug schnell zu beenden. »Komm, mach' mir doch die Haken zu. Ich kann vor Aufregung gar nicht. Nein, weißt du, ich bin ja starr, einfach starr! So ein Skandal. Wenn das Papa wüßte! Er wollte sowieso schon nichts von der ganzen Malerei wissen.«

Claire zuckte die Achseln, während sie der Mutter die gewünschte Hilfe leistete. Aber plötzlich kam Frau Hagenow ein Bedenken.

»Du – aber, wenn man mit Rennert nun in diesem Tone redet, schließlich –«

Sie sah die Tochter bedeutsam an.

Claire verstand, und hochmütig zog sie die Lippen:

»Er ist mir doch ganz gleichgültig, absolut gleichgültig – und jetzt erst recht!«

Die Mutter sah sie etwas ungläubig an.

»Aber du zeigtest doch bisher so viel Interesse für ihn, und schließlich, Kind, so sind die Männer nun einmal. Darüber ließe sich ja am Ende hinwegkommen, wenn sonst –«

Aber Claires Augen funkelten von neuem auf.

»Erst muß er gedemütigt werden! Ah, ich will es ihm zeigen – ich noch ganz besonders!«

Und sie ballte bebend die Fäuste.

Ja, erst ihre Rache für die eigene Demütigung neulich! Wenn er dann gestraft war, wenn er gehorsam ihre Bedingungen erfüllt und jene Person von sich gestoßen hatte, wenn er dann zur Besinnung kam und sah, was er sich an ihr verscherzt hatte – dann ließe sich vielleicht an Verzeihung denken, eher aber nicht!

»Gut, gut, Kind!« beschwichtigte die Mama. »Du hast ja ganz recht. Wenn er wirklich mit vollem Wissen euch den Schimpf angetan hat, dann muß er natürlich seine Strafe haben. Also, ich werde mit ihm reden – abgemacht! Aber ich kann doch nicht zu ihm! Ich werde also gleich ein paar Zeilen an ihn schicken, ich ließe ihn in einer äußerst dringlichen, sehr ernsten Angelegenheit sofort um seinen Besuch bitten. Die kann das Mädchen gleich zu ihm tragen. Sie trifft ihn ja jetzt wohl noch zu Hause an.«

So geschah es denn auch, und eine halbe Stunde später kam die Botin bereits mit dem Bescheid wieder: Eine Empfehlung von Herrn Rennert an die gnädige Frau, und er werde gegen zehn Uhr vorsprechen.

In höchster Eile wurde der gemeinschaftliche Salon der Damen Hagenow, den sie in der Pension mitgemietet hatten, zum Empfang des Besuches hergerichtet; dann harrte man, in gespanntester Erwartung, dem Erscheinen Rennerts entgegen.

Endlich, kurz nach zehn, ging die Hausglocke.

»Er ist's!«

Vom Erkerfenster her, wo Claire hinter der Gardine den Hauseingang beobachten konnte, signalisierte sie ihn; sie hatte ihren Weg zur Malschule heute aufgegeben, um Zeuge der Szene hier sein zu können. Nun lief sie in ihr Zimmer nebenan, um dort hinter der nur angelegten Tür zu lauschen.

Zwei Minuten später hörte sie Rennert bei der Mutter eintreten und ihn mit gesellschaftlicher Höflichkeit, doch einer leisen Verwunderung im Ton über die Herberufung sagen:

»Guten Tag, meine gnädige Frau. Sie wünschten mich zu sprechen. Ich habe mich beeilt, Ihrer Einladung Folge zu leisten.«

»Ich danke Ihnen vielmals dafür, Herr Rennert,« erwiderte darauf die Mutter. »Aber bitte – wollen Sie nicht Platz nehmen?«

Eine Pause – offenbar war die Mama etwas in Verlegenheit, wie sie mit der Sache herauskommen sollte. In Claire glomm es heiß auf. Ah, wäre sie nur an ihrer Stelle dort – sie wollte schon den rechten Ton finden, so kalt-hochmütig und niederschmetternd, daß ihm das Blut in die Wangen schießen sollte!

»Nun, meine gnädige Frau? Womit kann ich also dienen?«

Sie hörte deutlich die leise Ironie aus seinen Worten heraus und sah im Geiste seinen überlegenen lächelnden Blick zur Mutter hinüberschweifen. Wenn sie doch endlich reden wollte. Claire zitterte vor Ungeduld.

Da fand Frau Hagenow schließlich Worte. Aber, mein Gott, wie zahm, wie matt kam das alles heraus, förmlich verlegen! Es war ja, als ob sie Angst vor ihm hätte.

»Herr Rennert, es ist eine recht peinliche Sache, derentwegen ich Sie herbitten ließ, und es ist für mich als Dame doppelt peinlich, mit Ihnen darüber zu reden – aber es ist leider nötig, im Interesse meiner Tochter wie all der jungen Mädchen, die Ihrer Obhut anvertraut sind.«

»Da bin ich wirklich neugierig, gnädige Frau.«

Der Komödiant! Wie dreist er den Unbefangenen, ja, den höchlichst Erstaunten markierte.

»Es handelt sich um Fräulein Mertens!«

Claire hörte die Mutter tief Atem holen.

»Ah!« Leise kam es von Rennerts Lippen.

»Es sind mir da eben, aus einer absolut zuverlässigen Quelle, Mitteilungen über das Fräulein gemacht worden, die mich aufs höchste befremdet, ja, ich darf wohl sagen, geradezu empört haben!«

Na endlich! Frau Hagenow hatte sich allmählich in den rechten Ton hineingesteigert. Claire brannte vor Erwartung. Ah, was gäbe sie darum, wenn sie jetzt sein Gesicht hätte sehen können! Aber auch der Ton seiner Stimme, aus der ein leises Beben der Erregung klang, verriet ihr ja, wie ihn das eben getroffen hatte.

»Meine gnädigste Frau, Sie sehen mich meinerseits aufs höchste überrascht und befremdet. Ich muß da aus Ihrem Munde Worte hören über eine Dame, von der ich nur die allerbeste Meinung haben kann.«

»Es ist ja wohl möglich – ich habe mir das ja auch eigentlich von Ihnen nicht anders denken können, Herr Rennert – daß Sie eben nicht genügend unterrichtet sind über die Persönlichkeit und die Vergangenheit dieses Fräuleins. Aber – ich bitte mir das nicht übelzunehmen – ist es nicht doch eine Unvorsichtigkeit gewesen, diese Dame Ihrem Atelier zuzuführen, über die Sie so wenig unterrichtet waren?«

»Gnädige Frau« – seine Stimme nahm plötzlich einen sehr ernsten, energischen Ton an – »Sie gestatten sich da jetzt auch eine Kritik an mir selbst, daß ich Sie nun, ehe ich darauf antworte, sehr bestimmt bitten muß, mir jetzt unumwunden zu erklären, was Sie an Fräulein Mertens auszusetzen haben.«

Unverschämtheit! Claire zuckte es in allen Gliedern, aus ihrem Versteck hervorzubrechen. Wie er es noch wagte, mit ihrer Mutter umzuspringen!

»Nun gut, Herr Rennert, da Sie es wirklich nicht zu wissen scheinen, so will ich es Ihnen denn sagen: Sie haben Ihren Schülerinnen eine ganz unqualifizierbare Gesellschaft zugemutet: Fräulein Mertens ist keine Dame – sie ist das Modell, das Verhältnis eines Bildhauers in Berlin!«

»Gnädige Frau!«

Zugleich ein heftiges Geräusch des Stuhles – Rennert mußte aufgesprungen sein.

»Wie kommen Sie dazu, diese schimpfliche Beleidigung gegen Fräulein Mertens auszustoßen?«

Auch die Mutter schien sich zu erheben.

»Beleidigung? Nein – Tatsachen, Herr Rennert, die ein Berliner Künstler hierher mitgeteilt hat!«

»So erkläre ich diesen Herrn, sei er, wer er sei, für einen ganz gemeinen Lügner und Verleumder. Sie aber, gnädige Frau, und jeden sonst hier warne ich dringlichst, diese Verleumdung weiterzutragen. Ich werde die Ehre dieser Dame schützen wie meine eigene!«

Drohend klang seine scharfe Stimme bis hinein zu Claire. Bei Gott, er herrschte ja die Mutter an wie eine Dienstmagd, alles um jener Person willen! Claire zitterte vor nicht mehr zu zügelnder Empörung, vor glühendem Haß am ganzen Leibe. Im nächsten Augenblick hatte ihre Hand schon die Türklinke aufgedrückt – mit absichtlichem Geräusch, als wäre sie geschlossen gewesen. Trotz ihrer leidenschaftlichen Erregung beobachtete sie doch noch diese Vorsicht. Nun trat sie zu den beiden ins Zimmer.

»Ah – Verzeihung! Ich störe wohl?« spielte sie die Überraschte, wie unwahrscheinlich es auch war, daß sie nichts von seiner Anwesenheit bei der Mutter gemerkt haben sollte.

Rennert, ihr Lauschen ahnend, würdigte sie daher keines Blickes. Claire aber wandte sich unbeirrt an die Mutter:

»Du sprichst wohl mit Herrn Rennert wegen des Fräuleins Mertens?«

»Ja, allerdings!« Frau Hagenow war noch ganz blaß und atemlos vor Erregung über Rennerts Drohung. »Aber Herr Rennert nimmt sich ja dieser Dame in einer Weise an, daß ich wirklich nicht mehr imstande bin –«

Ein Blick der Empörung flog zu ihm hinüber, der regungslos dastand, aber ganz bleich und mit heftig angelaufenen Stirnadern.

Claire machte eine energische Handbewegung zur Mutter hin, als ob sie sagen wollte: Laß nur – jetzt komme ich an die Reihe! Und nun wandte sie sich Rennert zu. Ihre Lippen zitterten vor Erregung, vor brennender Begier, nun Rache an ihm zu nehmen.

»Also Sie bezweifeln die Richtigkeit dessen, was meine Mutter Ihnen über Fräulein Mertens gesagt hat, Herr Rennert?«

»Ich habe eben Ihrer Frau Mutter alles Nötige erklärt und habe keine Veranlassung, noch etwas hinzuzufügen.«

Ein hochmütig-geringschätziger Blick traf sie von obenher, und er machte Miene, sich zum Gehen zu wenden.

Da trat ihm Claire entgegen. Ihre Augen sprühten ihn in alles vergessender Herausforderung an.

»Und sie ist Modell gewesen! Ich sage es Ihnen – ich!«

Als eine offene Herausforderung auf seine Warnung schleuderte sie ihm diese Worte ins Gesicht.

Da leuchtete es gewitterschwül in seinen ganz dunkel gewordenen Augen auf. Es flammte sie daraus an: Du wagst es, dich mit ihr zu messen? Sieh zu, daß ich dich nicht mit einem Schlage zerschmettere! Und mit kaltem Hohn, jedes Wort schwer fallen lassend, sagte er ihr:

»Und selbst wenn sie Modell gewesen wäre – gäbe Ihnen das ein Recht, auf Fräulein Mertens mit Verachtung herabzusehen? Sollten Sie sich nicht Fälle denken können, Fräulein Hagenow, wo ein Mädchen – sagen wir, aus reiner Begeisterung für die Kunst – sich dazu entschließen könnte, einem von ihm hochgeschätzten Künstler, zu dessen Ehrenhaftigkeit sie vollstes Vertrauen hat, das Modell abzugeben, das er vergeblich sucht und sonst nicht finden kann? Sollten Sie sich das wirklich nicht vorstellen können, mein gnädiges Fräulein? – Bitte, denken Sie einmal darüber nach. Und dann werfen Sie den Stein auf Fräulein Mertens, wenn Sie es noch können.«

Claire war vor seinem kalt-spöttischen, aber doch zugleich furchtbar ernsten Blick jäh erblaßt, indem sie sich jener unbedachten Stunde von neulich erinnerte. Aber dann schlug die Lohe des Hasses nur noch lodernder in ihr auf. Er hatte die Brutalität, sie noch an jene Demütigung zu erinnern! Ah, wie sie ihn haßte! Morden hätte sie ihn können in dieser Stunde. Und ihrer nicht mehr mächtig, stieß sie hervor:

»Ganz gleich – mir genügt die Tatsache. Ich werde jedenfalls mit dieser Person nicht eine Sekunde länger mehr dieselbe Luft atmen, ebenso Fräulein von Bergen – das weiß ich. Und die übrigen Damen werden es nicht anders tun – dafür bürg' ich!«

»Halten Sie das, wie es Ihnen beliebt!«

Mit eisiger Ruhe erwiderte es Rennert und ging der Tür zu. Da machte Frau Hagenow einen Schritt ihm nach.

»Herr Rennert, das heißt also –

»Fräulein Mertens wird nach wie vor an dem Schulmalen teilnehmen, und wehe dem, der es wagt, ihr im geringsten zu nahe zu treten!«

»Aber – mein Gott! Damit stoßen Sie ja doch geradezu all Ihre Schülerinnen vor den Kopf und machen es ihnen einfach unmöglich, weiter zu Ihnen zu kommen.«

»So mögen sie fern bleiben, in Gottes Namen!« Er griff zur Klinke. »Ich empfehle mich Ihnen, meine gnädigste Frau.«

 


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