Paul Grabein
Die Moosschwaige
Paul Grabein

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8.

So, meine gnädige Frau – hier haben Sie unsere Malgründe!«

Rennert ging um den Kugelfang der Schießstätte herum und wies dabei auf die kleine Waldwiese, die sich mitten in der Kultur erhob, jener Anpflanzung von Birken und Föhren, die er neulich auf seinem ersten Spaziergang mit Hanna Mertens kennen gelernt hatte. Er hatte gerade diesen Ort sich zum Standplatz für seine Malschule ausgewählt, weil namentlich die vereinzelt auf der Lichtung stehenden Baumgruppen zeichnerisch wertvolle Motive für seine Schüler und Schülerinnen boten. Nun führte er die Mutter einer seiner jungen Damen, Frau Bankdirektor Hagenow, die auf einige Zeit zum Besuch der Tochter hergekommen war, seiner Malklasse entgegen.

Seine Schüler – es waren zum größten Teil die jungen Damen aus Berlin, aber auch ein paar Herren hatten sich noch dazugefunden – standen rings auf der Wiese verteilt. Die nur Landschafter waren, hatten sich nach freier Wahl ein sie interessierendes Motiv ausgesucht, irgend eine Baumgruppe oder eine Partie des Waldrandes. Dagegen hatte sich ein anderer Teil im weiten Halbkreis um ein weibliches Modell aufgestellt, das den Mittelpunkt ihrer Arbeit bildete. Die Landschaft gab ihnen nur den Hintergrund dazu ab. Es war eine alte Bäuerin, die in der steifen Dachauer Tracht unter einer jungen Birke stand. Durch das durchlässige Blätterdach des Baumes brachen helle Sonnenstrahlen, die auf dem schwerseidenen Brusttuch der Alten wie auf ihrem lilafarbenen, faltigen Pollenrock in reizvollen Kontrasten schillerten.

»Unsere ›sonnige Alte‹,« stellte Rennert lächelnd seiner Begleiterin das Modell vor, indem er an den Kreis herantrat. »Bisweilen ist sie freilich auch die ›trübe Alte‹.«

»Wieso?«

Etwas verwundert lorgnettierte Frau Hagenow zu der Bäuerin hinüber. Sie verstand den Scherz nicht.

»Das ist so unser Atelierjargon,« erklärte Rennert, »je nachdem das Modell bei Sonnenlicht oder trübem Himmel steht. Es gibt natürlich jedesmal ein anderes Bild, so daß immer zwei Skizzen zugleich in Arbeit genommen werden müssen. Unsere jungen Damen schauen daher immer jeden Morgen sorgenvoll nach dem Wetter aus, ob es heute die »trübe« oder die »sonnige« Alte mitzunehmen gibt.«

»Ach so,« lachte Frau Hagenow amüsiert auf. »Nun vers–teh' ich erst. Wo s–teht denn übrigens meine Claire? Die jungen Mädchen sehen in ihren Malschürzen sich alle so ähnlich.«

»Ihr Fräulein Tochter? – Da drüben ganz am linken Flügel, mit Fräulein von Bergen zusammen.«

Sie gingen hinüber. Rennert trat mit kurzem Gruß an die Staffelei Claire Hagenows, während deren Mutter diese und ihre Kameradin mit breitem Redestrom begrüßte, der durch die geziert klingende Aussprache der gesprächigen Dame aus Hannover noch unerträglicher wurde. Nicht nur das immer sehr zurückhaltende Fräulein von Bergen, sondern der ganze übrige Kreis der Malschülerinnen blickte daher mit leichtem Spott in den Mienen und einem verkniffenen Lächeln auf den überflüssigen Besuch, und Claire Hagenow, der der ganze Aufenthalt der Mutter in Dachau nur als eine höchst lästige Kontrolle erschien, bemerkte das wohl und war noch schnippischer gegen ihre Mama, als es sonst in ihrer Art lag.

»Nun zeig' doch mal, wie wird's denn?«

Neugierig trat Frau Hagenow an die Staffelei.

Ein ironischer Seitenblick des Fräulein von Bergen, deren Freundschaft Claire stark suchte, entging dieser nicht.

»Gott, Mama, es ist ja wirklich Unsinn – jetzt ist doch noch gar nichts zu sehen.«

Aber die Frau Bankdirektor wollte doch einmal die Meinung des Lehrers über ihre Tochter hören, auf deren Talent sie sehr stolz war.

»Was halten Sie von dem Bilde, Herr Rennert?« Sie sah mit zusammengekniffenen Augen durch die Schildpattlorgnette auf die Skizze. »Verrät es Talent?«

Ein leises Aufkichern klang aus irgendeinem Mädchenmunde. Claire Hagenow schämte sich und wütete über ihre Mutter. Sie wurde ganz bleich, ihre feinen Nasenflügel bebten, und sie biß sich auf die rosige Unterlippe, so daß ein kleiner Blutstropfen darauf erschien.

Mit einem flüchtigen Blick streifte Rennert das hübsche, aber sehr blasierte Gesicht des Mädchens, das mit gesenkten Augen fast finster auf ihr Bild schaute, auf dem sie nervös herumzufahren begann, und ritterlich kam er der Bedrängten zu Hilfe, allerdings nicht, ohne daß ein belustigendes Lächeln sich leis um seine Mundwinkel legte. Die kleine Szene amüsierte ihn.

»Ihr Fräulein Tochter hat ganz recht. Es ist jetzt wirklich noch nichts zu sehen, meine gnädigste Frau; es kann aber nach der Anlage ganz hübsch werden. – Aber kommen Sie, gnädige Frau, wir wollen jetzt nicht stören, ich korrigiere heute nicht.«

Ein Dankesblick blitzte ihn aus Claire Hagenows Augen an, als er mit der Mutter weiterging. Nach ein paar Schritten blieb aber Rennert wieder stehen, bei der »Neuen«, einem schon älteren, ernsten Mädchen. Martens oder Märtens oder so ähnlich hatte er sie vorgestellt, als er sie vor ein paar Tagen seiner Klasse zuführte.

Es war Hanna Mertens. Sie hatte bisher wenig Gelegenheit gehabt, nach dem lebenden Modell zu arbeiten, und da sie sich gerade im Figürlichen auch noch vervollkommnen wollte, hatte Rennert sie gebeten, sich doch seiner Schule dann und wann anzuschließen. So konnte er ihr die Kosten für ein eigenes Modell ersparen. Sie hatte gern angenommen, blieb aber still für sich. Nur mit ihrem Nachbarn zur Rechten, dem alten Oberstleutnant Frentzius, der sich in seiner wohlverdienten Muße nun eifrig auf die Malkunst, eine alte Jugendliebe, gestürzt hatte, wechselte sie dann und wann ein freundliches Wort. Sie fühlte sich fremd in diesem Kreise von meistens ganz jungen Mädchen, die ihr überdies alle eine kühle Zurückhaltung zeigten und offenbar sämtlich aus Kreisen stammten, in denen sie sich nie bewegt hatte.

»Nun, Fräulein Hanna, wie macht sich Mutter Barbara denn als Modell?«

Das Mädchen sah auf, gleichzeitig aber auch alles sonst ringsumher. »Fräulein Hanna!« Diese vertrauliche Anrede ihres Lehrers an die »Neue«! Was war denn das? Die beiden kannten sich also schon von früher, und offenbar sehr gut sogar!

Hanna Mertens fühlte all die erstaunten Blicke auf sich ruhen und empfand plötzlich ihre freundschaftliche Vertrautheit mit Rennert fast als etwas Unrechtes, sie Kompromittierendes. Aber nur einen Augenblick, dann schüttelte sie das feige, häßliche Gefühl ab. Mochten doch diese jungen Dinger von ihr denken, was sie wollten! Und hell blickten ihre Augen zu ihm hinüber, während sie sich lächelnd mit den Worten zu ihm wandte:

»O, Mutter Barbara steht famos, wie ein Berufsmodell. Es war ein glücklicher Griff von Ihnen.«

»Sehen Sie! Ja, mein Feldherrnblick!« antwortete Rennert mit einem heiteren Lachen. Auch er war in der kurzen Zeit in Dachau schon ganz anders geworden, so frisch und heiter. Er sah ja nun sein Ziel klar vor Augen.

Er nickte Hanna Mertens noch einmal vertraut zu und ging dann mit Frau Hagenow weiter, die das Mädchen erst erstaunt, dann aber sehr interessiert durch die Lorgnette betrachtet hatte. Sie traten dann auf die Alte zu, die unter der Birke stand. Diese stützte sich, den rechten Arm etwas erhoben, gegen den Stamm und blickte, wie wenn sie jemand erwartete, ins Weite.

»Grüß' Gott, Mutter Barbara,« begrüßte Rennert die Alte und stellte sie dann scherzend seiner Begleiterin vor. »Die schönste Dachauerin, die wir haben auftreiben können!«

Er wies lustig auf ihren unschönen, plumpen Faltenrock und die bunten Zwickelstrümpfe an den dicken Beinen, eine Tracht, auf die sie offenbar sehr stolz war. Dann wandte er sich wieder an die Alte, um nun auch ihr begreiflich zu machen, wer Frau Hagenow war und was sie hier wollte.

»Diese Dame,« sagte Rennert, zu Mutter Barbara gewandt, »ist von weither zugereist, nur um Euch mal in Eurem Sonntagsstaat zu bewundern!«

Heiteres Lachen scholl halblaut aus dem Schülerkreise. Frau Hagenow aber ging in einer Anwandlung von leutseliger Herablassung auf Rennerts Scherzton ein.

»Gewiß, liebe Frau,« sagte sie lächelnd, »der S–täät s–teht Ihnen ja aber auch wundervoll.«

Die Alte sah verwundert auf die Fremde. Was sprach denn die für ein Kauderwelsch? So etwas hatte sie ja in ihrem Leben noch nicht gehört.

»Ach, sieh dä – Fräulein Lindner!«

Frau Hagenow bemerkte plötzlich eine Berliner Bekannte ihrer Tochter und ging mit lebhaften Schritten hinüber, sie zu begrüßen.

Diesen Moment benutzte die Alte, um Rennert mit schlauem Augenblinzeln zuzuflüstern:

»Dös hätten S' ma go net erst sag'n brauch'n, daß die Dame weither is.«

»Wieso denn, Mutter Barbara?« fragte Rennert erstaunt.

»Dös hab i ma fei glei denkt, weil sie so a schlecht' Deitsch ko.«

Ein schallendes Gelächter brach plötzlich los. Die halblauten Worte der Alten waren von den zunächst Stehenden doch gehört worden. Das war ja ein kostbarer Witz – die Hannoveranerin mit ihrem weltberühmten »reinsten« Deutsch, hier so klassifiziert, von der auf ihren Dialekt nicht wenig stolzen Dachauerin – zum Wälzen!

Frau Hagenow fuhr verwundert herum. Was hatte es denn da plötzlich gegeben?

Ihre Tochter Claire äugte vom anderen Flügel mißtrauisch herüber. Sie hatte zwar nichts verstehen können; aber sie ahnte doch, daß sich ihre Mutter wieder mal blamiert hatte. Und sie warf der Mama einen bitterbösen Blick zu. Wenn sie sich doch bloß endlich wieder von Dachau fortmachen wollte.

Da war Rennert wieder ihr Helfer in der Not. Sie hatte den schönen Mann, den berühmten Künstler schon immer »riesig interessant« gefunden, namentlich, seitdem man jetzt von seiner Scheidung munkelte. Aber jetzt zeigte er sich ihr gegenüber auch von so feinem Takt. Wie schnell er die Mama unter irgendeinem Vorwand wegbugsierte, gewiß, um sie weiter durch die Kultur zu führen – Gott sei Dank, daß die Mutter endlich wieder verschwunden war!

Claire Hagenow atmete erleichtert auf. Das Malen nahm nach der kleinen Unterbrechung eifrig seinen Fortgang. Es war fast ganz still in dem Halbkreis der Staffeleien; nur selten durchbrach ein Wort das Schweigen. Das wurde aber dann unwillkürlich von allen gehört.

Einmal entfiel Fräulein von Bergen der Pinsel. Dienstbeflissen sprang ihr Nachbar zur Rechten, ein junger Student der Jurisprudenz, herzu, um ihn aufzuheben und der Verliererin mit einem höflichen »Bitte sehr, mein gnädiges Fräulein« zu überreichen. Aber der Dank für diese Aufmerksamkeit fiel sehr merkwürdig aus. Bei den jungen Damen ringsum sah man ein ironisches Lächeln, und ein nur nachlässig unterdrückter leiser Ausruf des Tadels ertönte, so ähnlich wie »Süseln!« Fräulein von Bergen dankte infolgedessen sehr steif und fügte gleich hinzu:

»Bitte, Herr Platen, lassen Sie doch hier den Gesellschaftsfirlefanz – einfach Fräulein Bergen.« Das sollte eine Zurechtweisung des im Atelierton noch unerfahrenen Neulings sein, der nicht ahnte, daß jede Galanterie gegen weibliche Kollegen streng verpönt war. Der Student bekam einen ganz roten Kopf. Aber er faßte sich doch und antwortete mit einer kurzen Verneigung:

»Wie Sie befehlen, mein gnä–«

Die gute Erziehung steckte ihm eben zu tief in den Knochen. Wütend über sich selbst, trat er wieder vor seine Staffelet, wütend aber auch über das Frauenzimmervolk. Die reinen Mannweiber! Wie in einem Frauenklub! Da bemerkte er, wie ihn ein stiller, bedauernder Blick der »Neuen« streifte. Das besänftigte ihn wieder. Doch wenigstens ein sympathisches weibliches Wesen! Und er begann während der Arbeit öfter zu Hanna hinzublicken, die nicht weit von ihm stand.

Kurz darauf belehrte den Novizen ein neuer kleiner Zwischenfall, wie man sich hier als Mann geben mußte, wenn man geschätzt sein wollte.

Eine der Damen, eine etwas in die Breite gegangene, massive Figur, wurde durch die Sonne belästigt und rückte ihre Staffelei an einen andern Platz. Dadurch fühlte sich ihr Nachbar, ein Kunstschüler aus München, ein echter Bierbayer, belästigt und rief in seiner urwüchsigen derben Art laut:

»An Sauerei!«

Alles sah auf. Wütend riß der Münchener jetzt auch seine Staffelei herum, so daß er den Blick auf das Modell wieder frei bekam.

»Ach, entschuldigen Sie, Herr Loisacher. Ich stehe Ihnen wohl im Wege?« wandte sich die Dame bereits etwas zaghaft an den Grimmigen, indem sie über die Schulter zurückblickte.

»Na, moanen S' vielleicht, Sie san von Glas, daß i durch Sie durchschau'n kann? Bei der Dick'n obendrein?«

Schallende Heiterkeit brach bei den Damen los. Sie nahmen diese Grobheit durchaus nicht übel. Im Gegenteil! Dieser derbe Ton galt ihnen als ein Zeichen genialer, echter Künstlerschaft. Es wäre ja geschmacklos, altjüngferlich-zimperlich gewesen, hätte man einen solchen Scherz nicht verstehen wollen.

»Famoser Kerl!« flüsterte eine von ihnen, und das Fräulein tat das Klügste, was es konnte: es lachte kräftig mit und rückte die Staffelei dem Herrn Loisacher wieder aus dem Weg.

Die Sonne, die plötzlich wieder hinter einer Wolkenwand hervorbrach, richtete überhaupt einiges Unheil an. Auch an einer anderen Stelle war sie schuld, daß Staffeleien und Malschirme umgesetzt wurden, und damit auch an einem sehr energischen Wortwechsel zwischen zweien der Damen, der sich daran anschloß.

Hanna Mertens war höchst überrascht über die mehr als grobe Art, in der diese jungen Mädchen, die doch aus den besten Kreisen sein wollten, sich plötzlich gegenseitig traktierten. Es schien wirklich, als ob sie einen Verkehrston im Stil Loisachers als das erstrebenswerte Ideal eines Kunstmenschen ansahen. Die Zankerei wurde schließlich so ungemütlich, daß sich der dritte Herr im Kreise, eben der pensionierte Oberstleutnant, aufs Vermitteln legte und, wie schon so manchmal, in seiner feinen, liebenswürdig-humorvollen Weise den Frieden zwischen den hitzköpfigen Dämchen herbeizuführen suchte. Das gelang ihm auch endlich; aber um so überraschter war Hanna Mertens, als sie hörte, wie die ihr zunächst stehende Dame der Nachbarin ziemlich ungeniert spöttelnd zurief:

»Kremser Weiß hat die Kontraste mal wieder glücklich ausgeglichen.«

Sie merkte also, daß man in diesem Kreise den alten Herrn, der sich überall gütlich hineinpaßte und zu vermitteln wußte, mit jener charakterlosen Farbe verglich, und ein ehrlicher Zorn auf diese boshaft-spitzzüngige Gesellschaft wallte in ihr auf.

Bald sollte sie Gelegenheit haben, ihrem berechtigten Unmut über den Ton, der hier herrschte, Ausdruck zu verleihen. Es war wieder geraume Zeit weitergemalt worden, als Hanna bemerkte, wie Mutter Barbara ersichtlich ermüdet war. Der rechte Arm, den die Alte an den Baum gelehnt hatte, zitterte ihr vor Anstrengung. Die Frau tat Hanna leid. Sie sah sich im Kreise um, und da von den anderen niemand es zu bemerken schien, richtete sie plötzlich mit lauter Stimme die Bemerkung an die Allgemeinheit:

»Bitte, einen Augenblick! Unser Modell ist ermattet. Wollen wir ihm nicht wieder eine Pause gewähren?«

Alles blickte überrascht auf die Sprecherin. Es war das erstemal, daß Hanna sprach. Unschlüssig sah man erst auf die Alte und dann sich gegenseitig an.

Aber da ergriff Fräulein von Bergen das Wort. Sie hatte sich in Rennerts Abwesenheit allmählich zu einer Art Stellvertreterin von ihm und Wortführerin der anderen aufgeschwungen. Sie fand es »reichlich dreist«, daß die »Neue« sich hier erlauben wollte, ihr in die Zügel zu fahren. Gelassen zog sie darum die Uhr aus dem Gürtel und antwortete:

»In einer Viertelstunde hören wir so wie so auf. Es liegt also gar keine Veranlassung zu einer Pause vor.«

Ohne Hanna Mertens anzusehen, gab sie in kalt-hochmütigem Befehlston diesen Bescheid. Er rief allenthalben heimliche Genugtuung hervor. Man wußte selbst nicht recht, warum. Vielleicht, weil Rennert vorhin die »Neue« so vertraulich-freundschaftlich ausgezeichnet hatte. Jedenfalls freute man sich im stillen schadenfroh der Abfuhr, die sie jetzt eingesteckt hatte.

In Hanna Mertens' Gesicht begann eine leise Röte aufzusteigen. Zugleich sah sie, wie die Alte, die schon in der Hoffnung auf eine Pause den Arm hatte sinken lassen, nun wieder sich quälte, ihn hoch zu halten, aber nur mit größter Anstrengung. Da sagte sie entschlossen, sich unwillkürlich zu dem Oberstleutnant, als dem Alterspräsidenten ihres Kreises, hinüberwendend:

»Ich bin doch unbedingt für eine Pause. Die Frau ist direkt erschöpft. Wer das nicht kennt, stellt sich vielleicht die Sache nicht so schlimm vor. Aber ich weiß, daß Modellstehen, namentlich für den Nichtgeübten, eine schwere Anstrengung ist.«

Der alte Herr nickte ihr freundlich zustimmend zu. Da rief Hanna Mertens entschlossen zu der Alten hinüber:

»Machen Sie Pause, Mutter Barbara – auf meine Verantwortung!«

Mit dankbarer Miene ließ die alte Frau alsbald den Arm fallen und setzte sich auf einen Baumstumpf neben der Birke.

Sprachloses Staunen aber herrschte im Kreise der Damen. Alle sahen gespannt auf ihre Wortführerin, Fräulein von Bergen.

Diese zischte: »Einfach unverschämt!« und begann sofort ihr Malzeug einzupacken.

»Ich höre auf! Ich lass' mir doch von der keine Vorschriften machen!« rief sie zugleich so laut, daß Hanna es hören mußte, Claire Hagenow zu, die alsbald dem Beispiel der Freundin folgte.

Auch noch einige andere schienen dazu bereit; aber da erklärte unvermutet Herr Loisacher:

»Is schon recht, daß die Alte sich verschnauf'n tut. Sie is doch a ka Viech net!«

Da entschieden sich die übrigen denn doch fürs Bleiben. Fräulein von Bergen und Claire Hagenow aber gingen stolz erhobenen Hauptes davon.

»Macht nix,« rief ihnen der Münchener trocken nach, »ob mir a paar Malweiber wen'ger ham; derer wegen geht's doch. Ham a so noch mehr als g'nua!«

Nun schlug die lastend drückende Stimmung in laute Heiterkeit um.

Herr Platen aber benutzte die Pause und trat mit höflicher Verneigung zu Hanna Mertens hin.

»Gnädiges Fräulein, gestatten,« brachte er in biederem Eifer hervor, »daß ich mich ganz Ihrer Meinung anschließe. Es war sehr richtig so, mein gnädiges Fräulein!«

Neue Heiterkeit im Kreise. Er war eben unverbesserlich – keine Spur Künstlerblut!

Der Student vergaß aber die ironische Heiterkeit der anderen über Hanna Mertens' freundlich dankendem Blick.

 


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