Paul Grabein
Die Moosschwaige
Paul Grabein

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13.

Claire Hagenow ging noch einmal aus, obschon die Sonne bereits hinabsank. Sie hatte der Mutter erklärt, sie habe Kopfschmerzen, sie müsse noch ein bißchen allein hinaus ins Freie. Die Mama hatte nichts dagegen; nur bestand sie darauf, daß die Tochter »Lord«, ihren Collie, als Begleiter mitnehme. Claire war es recht, und so schlenderte sie denn nun durch den Ort, in die Gegend des Bahnhofs hin.

Es war nach Feierabend. Hier und da standen in Gruppen die jungen Leute zusammen, plumpe Burschen in hohen Lederstiefeln, die Mädchen in bloßen Köpfen, meist die Zigarette im Mund. Die Nähe Münchens und der Einfluß der Malerkolonie zeigten sich. Kichernd und lachend standen die Pärchen beieinander; ab und zu fiel ein derbes Witzwort, dann juchzten die Dirnen auf.

Claire Hagenow schürzte im Vorübergehen hochmütig die schmalen Lippen. Wie pöbelhaft dieses Volk auch in seinen Liebesäußerungen war – ekelhaft!

Und doch, sie könnte die Leute da insgeheim beneiden. Die hatten sich keinen Zwang aufzuerlegen und gaben sich, wie es ihnen ums Herz war. Da brauchte es keiner langen, umständlichen Annäherungen; man liebte sich auf den ersten Blick. Kein gesellschaftlicher Zwang schränkte Herz und Sinne ein; das Natürliche war sittlich. Keine Ächtung traf die, die der Stimme der Natur gehorcht hatte, das war ja so Brauch seit alters. Waren sie nicht wirklich zu beneiden, diese Bauerndirnen?

Was wußten sie von all dem Ballast, den so ein Gesellschaftsmensch mit sich herumschleppt? Schranken, Schranken, nichts als verhaßte Schranken, wohin man blickt!

Ah – wie sie ihrer müde war und sie verabscheute. Claire Hagenow tat einen ungeduldigen Atemzug, der ihre junge, schwellende Brust zu sprengen drohte. Nur einmal sie niederbrechen und darüber hinwegstürmen! Was für eine Wonne müßte das sein – Erlösung!

Da stand nun drüben sein Haus. Es war die Bahnhofswirtschaft, wo Rennert wohnte. Warum konnte sie da nicht hinein zu ihm – ihm sagen, allein, unter vier Augen: Du quälst mich, rasend, unerträglich, mit deiner empörenden Kälte, deinem ewigen ironischen Lächeln, nachdem du doch neulich Interesse für mich verraten! Nun zeig' mir dein wahres Gesicht! Bist du wirklich so kalt, so herzlos, ist das immer dein Wesen so, oder tust du all das nur mit der Absicht, mich noch mehr aufzustacheln, bis ich ganz toll und besinnungslos bin, um dann – –. Ja, was dann?

Ach, sie war ja wirklich toll! Und Claire Hagenow warf sich mit einem Ruck auf dem Absatz herum. Mit Gewalt zwang sie sich zur Vernunft und begann nun einen Seitenweg einzuschlagen.

Es war ein Feldweg längs eines Bachs, der durch Wiesen hinunter zu dem Kulturholz, dem täglichen Standquartier der Rennert-Schule, führte und sich dann weiter hinaus zur Moosschwaige schlängelte.

Mechanisch wandelte Claire Hagenow diesen Weg entlang, das Auge am Boden, der Umgebung nicht achtend. Nur den Bachlauf strich ihr Blick verloren hinaus. Wie das dunkle, in hundert kleinen Wirbeln von Grund her frisch aufquellende Wasser dahintrieb durch sein schmales Bett, so voll, daß es hoch bis an den Uferrand stand, und dessen Grashalme im Vorbeihasten spielend zu sich niederriß. Welche Lebensfülle, welch Überfluß an Kraft! Wie sich auch hier in der Natur alles ausleben durfte, ohne Schranken, ohne Zwang!

Und wieder war sie bei den alten quälenden Gedanken.

Ein kurzes, überraschtes Knurren Lords ließ sie plötzlich auffahren. Dicht am Bache war eine kleine Gruppe von Erlen, und zwischen ihren Stämmen hindurch sah sie jetzt die Gestalt eines Mannes, der, ihr abgewandt, dort unbeweglich stand. Erst wollte sie den Hund zurückrufen und umkehren; die Situation kam ihr ängstlich vor. Was mochte der Mensch in seinem Versteck im Schilde führen? Da wandte der Mann, durch den Hund aufgestört, den Kopf zu ihr hin.

Rennert!

Claire erschrak – nun erst recht! Laut fühlte sie ihr Herz pochen. Ihr war's, als ob ihr eine innere Stimme zuriefe, umzukehren, als ginge sie einem dunklen Verhängnis entgegen in dieser schwülen Stunde. Aber während sie noch, wie festgewurzelt, am Flecke stand, hatte Rennert sie schon erkannt. Nun war es zu spät. Sie konnte doch nicht einfach vor ihm davonlaufen. So schritt sie denn ihres Weges weiter auf ihn zu, äußerlich sich ganz zur Ruhe zwingend; aber das Herz schlug ihr bis in den Hals hinauf.

Jetzt war sie bei den Bäumen angelangt, und Rennert trat grüßend auf sie zu:

»Guten Abend, Fräulein Hagenow. Noch auf dem Spaziergang? Sie haben übrigens einen guten Wächter da.«

Er deutete auf den Hund, der immer noch mißtrauisch mit gestreckter Rute dastand und ihn scharf beobachtete.

»Er scheint mir nicht viel Gutes zuzutrauen.«

Ein leises Lächeln spielte um seine Lippen, während er sie jetzt ansah.

Claire schlug einen Scherzton an, aber er klang gezwungen.

»Wie soll er wohl auch – wenn Sie hier plötzlich auftauchen wie Zieten aus dem Busch!«

Sein Blick ruhte noch immer auf ihr. Die nur schlecht verhehlte Unruhe ihres Wesens malte sich unwillkürlich in wechselnden Farben auf ihren Wangen, und in ihren Augen flackerte es unstet. Er ahnte, daß sich in ihr geheime Vorgänge abspielten, die sie ihm gern verbergen wollte.

»Habe ich Sie erschreckt? Das müßte ich sehr bedauern.«

Sie fühlte ihr Herz zittern. Sein halblauter Ton, wie jetzt eben, hatte etwas an sich, dem sie nicht widerstehen konnte, und dazu sein Blick, so tief eindringend in ihre Seele. Unwillkürlich schritt sie vorwärts; er aber trat, wie selbstverständlich, an ihre Seite. Glück und bange Angst überfielen sie da. Doch sie mußte ihm ja auf seine Frage antworten.

»Erschreckt? Nun ja, allerdings – im ersten Moment, bevor ich Sie erkannte,« log sie, während ihr doch noch immer das Herz vor Aufregung schlug. »Sie standen ja in Ihrem Versteck gerade wie auf der Lauer. Was machten Sie denn nur da?«

Rennert zögerte einen Moment mit der Antwort. Er konnte ihr doch nicht sagen, daß er dort am Bachufer gestanden, weil man von der Stelle einen Ausblick auf die Moosschwaige hinten hatte – ihr Schilfdach ragte dort aus dem Grün hervor – und weil ihn sein Herz in der stillen Stunde eben getrieben hatte, doch wenigstens die Heimstätte der Geliebten mit traurig-sehnenden Blicken zu suchen, da er sie selbst nicht sehen konnte. Noch fühlte er sich nicht stark genug, ihr nur als wunschloser Freund gegenüberzutreten, und anders durfte er doch nicht. So sagte er denn zu seiner Begleiterin in leichtem Gesprächston:

»Ich studierte ein Motiv am Wasser, das ich malen will.«

»Ach so.«

Claire sagte es, merklich enttäuscht. Ihre überhitzte Phantasie hatte ihr eben etwas vorgegaukelt, was sich ihr Herz so glühend gewünscht: daß auch er sein seelisches Gleichgewicht verloren hätte, um ihretwillen, daß all seine kalte Ruhe nur eine mühsam vorgetäuschte Maske wäre, daß er in heißem Kampfe zwischen geheimstem Sehnen und herrischem Stolze einsam gerungen hätte. Aber nichts davon! Nur ein Motiv hatte er studiert.

Immer wilder wurde das Begehren in ihr, ihn aus seiner verhaßten Ruhe aufzustören, auch ihn einmal in Erregung, in Leidenschaft zu sehen. Sie wollte, sie mußte ihn so sehen, und wenn sie es erzwingen sollte – gleichviel wie!

Plötzlich schoß ihr ein Gedanke durch den Kopf. Ein Motiv suchte er für sein neues Bild. Sie sah in demselben Moment alle seine ihr bekannten Werke vor sich, lauter Landschaften, aber nur als Hintergrund für eine seiner berühmten, entzückenden Frauengestalten. Sie hatte auch davon gehört, daß seine Frau ihm bisher stets das Modell geliefert hatte. Das war nun vorbei. Wenn er jetzt also ein neues Bild plante, so mußte er auch nach einem neuen Modell für sich suchen. Die Färber-Burgei konnte aber für ihn nicht in Frage kommen. Das war nicht sein Genre; er liebte den verfeinerten, vornehmen, eleganten Frauentyp – und da durchzuckte sie es eben: Du! Wenn er dich nähme!

Der Triumph vor der Welt! Aber, was ihr jetzt, in ihrer erregten Stimmung, noch schwerer wog: Das mußte sie ja auch innerlich nahe bringen, wenn sie so stundenlang allein waren, er ganz vertieft in das Studium ihrer Erscheinung. O, und sie wußte, sie würde ihn reizen können, ihn fesseln! Schmücken wollte sie sich für ihn mit all dem raffinierten und doch diskreten Geschmack, den sie hatte. Sie wollte ihm ein Modell sein, mit dem er Ehre einlegen konnte; aber sie wollte ihm mehr sein – und sie würde es! Es kam plötzlich wie ein Rausch über sie, eine aufziehende Siegesgewißheit, und in einer nur schwach gedämpften fiebrigen Erregung begann sie zu sprechen:

»Sie planen also ein neues Bild, Herr Rennert?«

Er nickte nur.

»O, das interessiert mich sehr. Darf ich wohl Näheres darüber erfahren?«

Leise schmeichelnd bat sie es.

Er achtete nicht auf sie, sah gar nicht ihre in heimlichem Glühen aufleuchtenden Blicke, die an ihm hingen; gesenkten Hauptes ging er neben ihr her, ganz anderen Gedanken nachhängend.

Ja, er plante wirklich ein Bild. Seit Wochen schon, seit damals, seit dem ersten Gang mit Hanna Mertens ins Moos, beschäftigten sich seine Gedanken damit. Aber seine Seele war nach dem Abend in Schliersee zu unstet, um das Bild großer, monumentaler Ruhe in sich zu fassen, das ihm vorschwebte.

Jetzt fragte hier die kleine Schwätzerin an seiner Seite nach dem Werke, das seine künstlerische Wiedergeburt bedeuten sollte, mit dem er in schwerem Ringen sich trug. Sollte er mit ihr darüber sprechen? Nein, das wäre Entweihung! So antwortete er denn leichthin:

»O, nichts Besonderes. Eben ein Motiv hier aus der Landschaft – mal ein bißchen was anderes.«

Die gleichgültig hingeworfenen Worte ließen Claire unendlich aufjubeln. Also die Landschaft war ihm nur Nebensache, die Frauenfigur war ihm das Wesentliche! Und nur zu gut verstand sie nun sein verlorenes Sinnen vorhin da am Bach, sein Grübeln jetzt neben ihr: Er war auf der Suche nach einem Modell dafür. Wo aber es hier finden? Das war seine Sorge.

Nun, ihm sollte geholfen werden, schneller, als er ahnte. Mit heftigem Herzklopfen, aber fest entschlossen, ging sie jetzt auf ihr Ziel los.

»Ich glaube, ich verstehe Sie, Herr Rennert. Es ist nicht leicht für Sie, zu finden, was Ihnen noch fehlt.«

Erstaunt sah er auf.

»Wie meinen Sie das?«

Da raffte sie all ihren Mut zusammen und sah ihm in die Augen:

»Ich meine, das nötige Modell.«

Er schüttelte den Kopf.

»Ich versteh' Sie wirklich nicht, Fräulein Hagenow. Modell?«

»Nun ja!« Sie wurde in ihrer innersten Erregung ganz ungeduldig. »Sie brauchen doch zu der Figur des Bildes ein Modell!«

»Ah so!«

Nun begriff er erst: Sie dachte an die Bilder seiner altgewohnten Art. Ein ironisches Lächeln flog über seine Züge. Aber natürlich, woher sollte sie denn auch eine Ahnung haben von dem, was seither mit ihm vorgegangen war. Sich leicht über sie belustigend, erwiderte er daher:

»Ja, ja – da haben Sie recht, das Modell! Das ist freilich eine große Schwierigkeit.«

Da blieb sie unwillkürlich stehen. Jetzt war der große Moment gekommen. »Darf ich Ihnen einmal etwas sagen – aber Sie dürfen mich um Gottes willen nicht falsch verstehen, Herr Rennert!«

Überrascht sah er auf sie nieder. Sie war vor Aufregung ganz blaß geworden, und ihre Brust flog auf und nieder. Was hatte sie denn?

»Aber bitte, sprechen Sie doch nur, Fräulein Hagenow.«

»Ich kann es Ihnen so nachfühlen, wie unangenehm diese Schwierigkeit für Sie ist – gerade hier, wo Ihnen beinahe jede Möglichkeit fehlt, die geeignete Persönlichkeit zu finden. Und da – weil ich Ihnen wirklich gern helfen möchte – da – aber Sie müssen mich ganz gewiß auch nicht mißverstehen, Herr Rennert – wahrhaftig nicht!«

Ihre Augen flehten ihn aus dem blassen, hübschen Gesicht ganz bang an. Nun verließ sie im letzten Augenblick doch noch der Mut. Da beruhigte er sie:

»Seien Sie ohne Sorge, Fräulein Hagenow, ich verstehe Sie ganz gewiß nicht falsch.«

»Nun gut! Also, ich dachte, wenn Sie sonst wirklich niemand hier wüßten – dann – und wenn Sie mich verwenden könnten, natürlich – dann wollte ich selbst –«

So, da war es heraus.

Aber nun stand sie auch da, die Augen am Boden, und sie fühlte, wie eine Feuerglut sie überrieselte. Es war ihr, als habe sie sich da eben angeboten – mit allem, was sie hatte.

Er war ordentlich zusammengefahren bei diesem unerwarteten Vorschlage.

Nun sah er sie an, schweigend, wie sie zitternd, schamglühend vor ihm stand. Sie bot sich ihm an als Modell! Was sollte er davon denken?

Forschend suchten seine Blicke die herabgesenkten, feinen Lider zu durchdringen. Wie die Sache ja offenbar in ihren Augen lag, war er in größter Not wegen des Modells, und da überwand sie, aus Verehrung für ihn, den angeschwärmten Lehrer – er wußte ja doch, wie man ihn gerade in diesen Kreisen auszeichnete – ihre mädchenhafte Zurückhaltung, um ihm einen Dienst zu erweisen. Wie schwer ihr dieses Opfer fiel, bewies ihm ja der Anblick. Aber da, wie er gerade das Wort an sie richten wollte, rief sie ihm plötzlich zu, in Ergänzung dessen, was sie ihm eben gesagt hatte:

»Ich setze natürlich dabei voraus, daß Sie mich malen würden wie bisher ihre Frauengestalten alle – in voller Toilette!«

Sein Schweigen hatte den quälenden Gedanken in ihr wachgerufen, daß er anderes von ihr denken könnte. Mit hastigem Lideraufschlag blickten ihn ihre Augen ängstlich, unsicher an.

Seltsam! Wie er ihr jetzt in diesem Moment durch die flimmernden Pupillen tief in die Augen schaute, da durchfuhr ihn die Erinnerung an den Blick neulich beim Aktmalen, jenen wissend-lächelnden Blick. Und ein Zweifel stieg in ihm auf: War es wirklich nur mädchenhafte Scham, die diese Glut auf ihren Wangen und in ihren Augen entzündet hatte? War es nicht vielleicht etwas ganz anderes, ein heimliches Feuer in der tiefsten Tiefe ihrer Natur?

»Ihr Anerbieten überrascht mich, Fräulein Hagenow – überrascht mich ganz außerordentlich! Haben Sie denn auch bedacht, was das heißt? Das Gerede der Welt –«

»Danach frag' ich nicht, wenn ich Ihnen damit einen Dienst erweisen kann!«

Und was die Worte nur halb andeuteten, das gestanden ihm die in diesem Moment jeder Selbstbeherrschung entrissenen Augen.

So stand es also um sie! Er sah sie schweigend an mit einem durchdringenden, sehr ernsten Blick. Ahnte sie denn wirklich, was sie in dieser Stunde tat? Daß sie drauf und dran war, sich ihm aus Gnade und Ungnade auszuliefern?

Aber während er es noch dachte, tönten dicht hinter ihnen auf dem Wege Schritte, deren Annäherung sie, so ganz miteinander beschäftigt, überhört hatten. Nun traten plötzlich um das Buschwerk an der Wegbiegung Personen, ein Herr mit einer Dame, noch ehe die beiden voneinander hätten zurücktreten können.

Jetzt sah Rennert, leicht zusammenschreckend, auf die Ankommenden. Aber in demselben Augenblick wich er unwillkürlich von Claire Hagenow zurück, und in seinem Antlitz zuckte es auf. Hanna war es mit Börner. Offenbar auf dem Heimwege nach der Moosschwaige draußen.

Auch sie hatte ihn zu gleicher Zeit erkannt, mit einem Blick die Situation überflogen, und Totenblässe erschien auf ihren Wangen. Nur ein stummes Grüßen beiderseits, ein etwas verwundert fragender Blick Börners, dann waren die zwei wieder vorbei und verschwanden bald im Dunkel des hier beginnenden Kulturholzes. Wie von einer zwingenden Macht getrieben, hatte sich Rennert langsam umgedreht und starrte regungslos den Davongehenden nach.

Claire Hagenow war sein jähes Erschrecken und Hannas Verfärben nicht entgangen, und nun jetzt dieses Nachstarren! Ein schreckliches Ahnen kam über sie. Angstvoll blickte sie zu dem ihr Abgewandten, der ganz vergessen hatte, daß sie noch hier stand.

»Herr Rennert!« Gequält rief sie ihn endlich leise an.

Da kam er wieder zur Besinnung.

»Verzeihung.« Mit einer langsamen Bewegung wandte er sich wieder ihr zu, die vor ihm stand in zitternder Erwartung der Entscheidung, vor der sie nun eine entsetzliche, schüttelnde Furcht packte.

»Ja, wir sind da eben vom Thema abgekommen.« Er suchte nach einem ganz gesellschaftlichen leichten Ton, während er nun mit ihr zurückzugehen begann. »Es war sehr liebenswürdig, ganz außerordentlich liebenswürdig, mir so Ihre freundliche Unterstützung anzubieten. Aber es war nur ein Scherz, als ich vorhin auf Ihren Gedanken mit dem Modell einging. Ich bedarf eines solchen in Wahrheit nicht. Ihre freundliche Sorge um mich ist also wirklich ganz gegenstandslos. Ich komme auch ohne Ihre Hilfe mit dem Bilde zustande.«

Aus dem leichten Ton klang unverkennbar doch die Ironie. Es sollte die verdiente Zurechtweisung für sie sein und eine Warnung.

Ein Scherz! Wie ein Peitschenhieb traf sie das Wort. Gespielt hatte er also nur mit ihr! Natürlich, sein Herz gehörte ja einer anderen, jener, die eben ihren Weg gekreuzt hatte – gerade in dem Moment der Entscheidung! Ah, wie sie diese Person haßte! Aber auch ihn, vor dem sie sich entblößt, dem sie sich angetragen hatte – umsonst!

Ein Schluchzen würgte ihr in der Kehle, aber sie beherrschte sich meisterlich.

»Das freut mich ja sehr,« ging sie auf seine Schlußworte ein, mit dem gleichen, fast kühlen Ton. »Nun, ich wünsche Ihnen ein gutes Gelingen zu der Arbeit. Hoffentlich bekommt man sie doch bald einmal auch zu sehen?«

»Gewiß – sobald sie so weit ist.«

So schritten sie, ihr wahres Empfinden hinter hohlem Gerede versteckend, nach Dachau zurück. Aber in Claire Hagenow lohte immer verzehrender eine geheime, unbezähmbare Glut auf, diesmal aber anderer Art: Rache wollte sie nehmen, an ihm und ihr! Wie? Das wußte sie noch nicht in ihrem trotz aller äußeren Ruhe fieberhaft erregten Hirn. Aber geschehen würde es! Das gelobte sie sich mit heiligem Schwur.

Am Eingang des Ortes trennten sie sich.

»Vielen Dank für Ihre Begleitung, Herr Rennert, aber ich finde mich nun allein heim.«

Mit kaum merklicher Kopfneigung verabschiedete sich Claire und ging schnell davon, den Hund an ihrer Seite.

Einen Moment blickte ihr Rennert nach. Es mochte ihr hart angekommen sein, aber es war eine heilsame Lehre für sie, in Zukunft ihr Temperament zu zügeln. Dann bog er ab, nach seiner Wohnung zu. Da ging auf dem dunklen Wege eine andere stille Gestalt neben ihm.

»Hanna!« Leise flüsterten seine Lippen den geliebten Namen. Und wieder sah er ihr liebes, blasses Gesicht vor sich, im Erschrecken über die unvermutete Begegnung.

Was sie wohl bei dem Zusammentreffen gedacht haben mochte! Ob sie wähnen könnte, er möchte sich in diese kleine Zigeunerin da vergafft haben, sich an sie verlieren?

Nein, nein! Sie würde mehr Vertrauen zu ihm haben. Er hatte es sich ja doch gelobt, fortan nur noch seiner Kunst zu leben. Und nun wollte er es zur Tat machen.

Eiliger schritt er dem Hause zu. Es war, als ob in der Szene von vorhin allerlei hemmende Kräfte von ihm gewichen seien, daß nun in innerer Befreiung seine Seele wieder die Kraft zu stiller Sammlung hatte. Und nun wollte er nicht säumen, ans Werk zu gehen.

Wenige Minuten später ward es droben hell in Rennerts Zimmer. Er saß vor dem Karton, den Kopf in die Hand gestützt, während die Rechte mit der Kohle wie traumverloren über die weiße Fläche glitt. Jener Gang mit Hanna im Moos stand wieder vor seiner Seele, all die großen, packenden Landschaftsbilder, all die tief nachklingenden Stimmungen, die sie in ihm ausgelöst hatten.

Und plötzlich beugte er sich mit einem Ruck über das Papier. Er hatte in Formen und Linien festgebannt, was ihm die Seele bewegte, und mit sicheren Strichen zeichnete sie nun die Rechte hin, den ersten Entwurf zu dem großen Bilde, das der Welt den neuen Rennert zeigen sollte.

 


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