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XI. Der deutsche Witz

Der Deutsche hat mitunter zu viel Gemüt, aber nicht zu viel Witz, was übrigens zu den guten Symptomen gehört.

So oft uns die Gemütlichkeit eines Menschen angepriesen wird, so können wir sicher sein, daß er wenig Verstand und Witz besitzt, und ebenso mögen wir uns überzeugt halten, daß die allezeit witzigen Leute nicht nur wenig Gemüt, sondern daß sie noch weniger soliden, auf reelle Kenntnisse gegründeten Verstand besitzen. Wer mit solider Münze, mit echter Dialektik und Sachkenntnis zahlen kann, wer auf die Sachen, auf reelle Wahrheiten und Kenntnisse ausgeht, wer die Genugtuungen des Lebens in sich verspürt, wer gegenüber der Gesellschaft und der Geschichte ein gutes Gewissen und wahren Stolz besitzt; wer frei von Eitelkeiten ist, wer auf Augenblickserfolge und Menschengunst verzichtet, der kann nicht auf Witz eingerichtet, der kann nicht routiniert in Witzreden, witzigen Wendungen, Kombinationen und solchen Nutzanwendungen sein.

Wer aber mit Gott, mit der Menschheit, mit sich selbst, mit Wissenschaften und Künsten zerfallen ist, weil er nirgend etwas Solides leistete; wer sich geringgeschätzt weiß, wer den Leuten nicht trauen darf, wem sein eignes Gewissen den Lump und Dilettanten auf den Kopf zusagt, der ist witzig, und je öfter er mit Witz zahlen muß, wo er die Valuta schuldig bleibt, desto witziger wird er.

Daß es einen geerbten oder angewöhnten, durch Verhältnisse hervorgerufenen Witzkitzel gibt, und daß sich derselbe nicht nur mit tiefem Gefühl vertragen, sondern auch die Reaktion, die Maske zarter und tiefer Empfindungen wie Gewissensmysterien sein kann, haben wir bei der Verständigung über den Humor gesehen. Leute aber, welche bei allen Gelegenheiten einen herzlosen Witz ausspielen, sind erfahrungsmäßig ohne Würde und flachen Gemüts.

Originalcharaktere, die ein bestimmtes und erfahrungsmäßiges Bewußtsein von den Differenzen haben, in welchen sich ihre Persönlichkeit und Lebensart mit den modernen Formen und dem beliebten Genre befinden, pflegen dieses kitzliche Bewußtsein von vornherein mit einer Witzironie und Selbstpersiflage zu parieren, um so das Recht wie die Einleitung für die Kritik ihrer Umgebungen zu gewinnen. Man kann sehr mokant, sehr witzig und bissig und gleichwohl ein tiefer Menschenfreund und sogar ein zärtlicher Charakter sein. Im allgemeinen aber ist und bleibt der Witz ein Symptom, daß »etwas faul ist im Königreiche Dänemark« oder in Deutschland oder an der eigenen Person.

Der geniale Witz besteht nicht nur darin, daß der Verstand eine Reihe von Vermittlungen überspringt; daß er eine förmliche Prozedur auf den kürzesten Ausdruck reduziert; daß er blitzschnell effektuiert und alles aus der Mitte herausgreift; daß er von der Peripherie in das Zentrum springt und dieses zum Weltkreise zu dehnen versteht; sondern daß er den Schein in Rücksicht nimmt; daß er mit dem Nichts das Dasein zu mehren, von der Null zu borgen (Papiergeld in Kurs zu bringen), den Kredit und die Illusionen auszubeuten, die Ideen zu realisieren, daß er Sein und Nichtsein ineinszubilden und zu polarisieren, daß er, Gott ähnlich, aus dem Nichts zu schaffen, daß er die Lebensunmittelbarkeit zu fixieren, daß er die flüchtigsten wie die bleibenden Geistesprozesse, daß er die Harmonieen wie die Dissonanzen der Seele in eine gemeinverständliche Form abzufangen, daß er aus der Inspiration und Pathologie des Herzens eine Musik zu machen, daß er die leisesten Lebensregungen Rede zu stellen versteht.

Dieser schöpferische und poetische Witz ist das Kriterion des Genies; die angeschaute Genesis desselben ist die Schönheit und die Kunst. In diesem sublimsten Sinn hat der Deutsche den meisten und besten Witz.

Wer das erste Wort, die erste Formel, die erste Redensart erfand, hatte wahrhaftig unendlich mehr Witz, als heute ein Stilist besitzt, der die Worte zu sparen und mit ihnen eine korrekte und klassische Ökonomie zu treiben versteht, die wieder nur der Witz und Esprit zu begreifen vermag.

Der Witz, d. h. der könnende, schöpferische, kombinatorische und anschauende Verstand, kleidet sich in mancherlei Gestalt. Der Franzose versteht sich auf den negierenden Witz, auf das bon mot, auf das Demaskieren der Lächerlichkeit, namentlich derjenigen, die in der Disharmonie und in dem Mißverständnis von konventionellen Formen besteht. Gleichwohl gibt es keinen Sterblichen, der sich in der Fremde so naiv, so impotent, so unfähig erweist, mit gegebenen Formen und Verhältnissen in Wechselwirkung zu treten. Eben der Franzose ist es, der beim besten Willen nicht aus der Haut zu fahren oder eine originelle Persönlichkeit und Situation augenblicklich zu erraten vermag; und doch möchte in dieser Selbstverleugnung und freiwilligen Metamorphose, in dem Durchschauen einer zweiten Seele und in dem Verwandeln der eignen der Triumph des poetischen, des deutschen Witzes bestehen. Der Franzose kann sehr leicht höflicher, besser gelaunt und liebenswürdiger als der Deutsche sein, weil er flacher, leichtfertiger und naiver ist; weil er nicht Verstand genug besitzt, die Kluft zu ermessen, die zwischen seiner eignen Persönlichkeit und einer zweiten, zwischen seinem Idealismus und der gegebenen Wirklichkeit oder der Situation aufgähnt. Der Deutsche aber vermag diese Kluft mit einen: Humor, d. h. mit einem Gemütswitz zu überbrücken, welchen der Franzose weder zu produzieren noch zu begreifen vermag. Verglichen mit dem deutschen Witz, der in Goldkörnern aus Gemütstiefen und in soliden Wechseln zu zahlen vermag, die in der ganzen Welt diskontiert werden, ist der Franzosenwitz nur Flitter, Goldschaum, Geistesmousseux, Esprit. Es kommt hier wie überall auf Liebhaberei und Nachfrage an.

Wer den deutschen Sprichwörtern und Redensarten nicht das Wesen des Witzes, d. h. den konzentriertesten und launigsten Lebensverstand abmerkt, der hat sicherlich keinen Mutterwitz geerbt. Albert Höfer teilt aus Hagens Der Germanist Friedrich Heinrich von der Hagen (1780 – 1856) redigierte seit 1835 das »Jahrbuch für deutsche Sprache und Altertumskunde«. Die Zeitschrift »Germania« aber ist von dem Germanisten Franz Pfeiffer (1815 – 68), der zuletzt Professor in Wien war, begründet und redigiert worden. – Im VI. Bands der »Germania« finden sich übrigens die angeführten Proben nicht: es liegt wieder einer jener nicht seltenen Fälle vor, wo Goltz unrichtig zitiert. »Germania« VI, 95 ff. einige Proben mit, die durch ihre epigrammatische Kürze zu kleinsten Gedichten werden, in welchen der egoistische Menschenwitz vom Poetenwitz persifliert und eine Sphäre des Menschendichtens und -treibens wie mit einem Blitz grotesk beleuchtet wird. Die menschliche Narrheit ist der unerschöpflichste und liebste Stoff für allen Witz, und in der Selbstverspottung ist der Deutsche ein Virtuos.

»Was die Gewohnheit nicht tut, sagt der Schneider und stiehlt Tuch von seinen eignen Hosen.«

»Alles mit Maß, sagt der Schneider und schlägt sein Weib mit der Elle tot.«

»Viel Geschrei und wenig Wolle, sagt der Teufel und schert die Sau.«

»All' Betken (All Bißchen) helpt, säd de Mügg' un piß' in de See.«

»Nix umsönst, secht de Han und sat up de Hen.«

»Er ist so eigen wie Hans Funk, der nicht am Pranger stehen wollte.«

»Dat is ken Spaß, säd de Nachtwächter, wenn man int Horn schit.«


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