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Der Verkauf.

Gustel war in Holkwitz zu Hause, als habe sie sich ihr Lebtag in einer Landwirtschaft getummelt. Sie verschlief das Morgenmelken nie wieder, sie erntete im Garten ein, was es nur irgend zu ernten gab, sie las Fallobst auf und trieb sich in der Küche umher, sie briet »Eebern« Erdbirne – Kartoffel. draußen in der Asche der ersten Kartoffelfeuer, sie busselte um Mutter Krafft herum, als sei sie das Haustöchterchen, und beim Kuchenbacken entwickelte sie eine geradezu leidenschaftliche Tätigkeit.

Als Schönchen – merkwürdig schnell – ankam, fand sie eine völlig eingewöhnte Gustel und ein Willkommen, dessen Freundlichkeit sie eben dieser Gustel zur Hälfte zu danken hatte, denn der Bauer blieb bei guter Laune und bei dem Ausdruck »Quirlequitsch«.

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Gustel busselte herum, als sei sie das Haustöchterchen.

Diesmal hatte Michel ohne besonderes Betreiben sich selbst und die Pferde festlich gestriegelt, und das Zeigen und Beschreiben ging diesmal auf der Fahrt vom Bahnhof und nachher am ersten Tage in Holkwitz noch viel flotter von statten als bei Gustels Ankunft, denn Lydia hatte jetzt erst gelernt, wie viele alltägliche Sachen den »Stadtpüppchen« wichtig und funkelnagelneu schienen.

Uebrigens ging Lydia mit einem geheimnisvollen Gesicht umher, und auch Vater Krafft blinkte die Augen schalkhaft zusammen, wenn die Waldweibchen in seiner Nähe vom Erntefest schwatzten.

»Was wird's en nu gabe?«

»Erntefest,« antwortete Gustel flott.

»Ja, ja – Kuchenasser!« dazu lachte er allemal vergnügt und Lydia erging sich in einer Zeichensprache, die man sich etwa in: nichts sagen, ja nichts sagen! umdeuten und übersetzen konnte.

Am Montag war Schönchen angekommen, am Sonntag darauf sollte das Erntefest sein; jeder Tag bis dahin war bis in jede Viertelstunde hinein besetzt, und die drei Mädchen wirtschafteten im Hof und Garten umher, als habe Holkwitz ohne sie überhaupt noch niemals ein Erntefest zu stande gebracht.

Schönchen war sofort mit Feuer dabei gewesen.

»Du siehst nur ein ganz klein bißchen spitz aus,« sagte Gustel befriedigt, »acht Tage in Holkwitz, dann bist du runder als jemals.«

Das Aussuchen des Obstes, das zu den Kuchen gebraucht wurde, war so schön, daß Lydia dreimal sagen mußte: »Nun müssen wir Wanda zum Paten Amtmann führen.« Nachher, als sie drüben im Schloß in der Dienstwohnung dieser besten Freunde der Familie Krafft saßen, wollten sie freilich nicht gern wieder fort – die blauen Augen des weißhaarigen Herrn Paten taten es auch Wanda an, und bei der Frau Amtmännin, die, wenn sie still saß, so behaglich war, und wenn sie umherhantierte, so flink – immer gerade so, wie es just nötig war – vergaß man erst recht Zeit und Weile.

Bei ihrer späten Heimkehr sahen sie den Briefträger aus der Mühle kommen und liefen nun um die Wette, nachzusehen, ob er ihnen etwas gebracht habe.

Nein; nur zwei Stück für den Müller – beide lagen sie in der Bohnenlaube zwischen dem Elternpaar; den einen steckte Vater Krafft ein, als die Mädchen ins Tor traten, den andern ließ er vor seiner Frau liegen, stand auf, schüttelte den Kopf und ging an den Mädchen vorbei, als sähe er sie nicht.

Lydia und Wanda liefen ins Haus, denn die Sonne brannte ihnen ins Gesicht. Gustel sah dem Müller erstaunt nach – was war denn da geschehen? Sonst hatte er doch jederzeit ein Scherzwort für sie? Drauf sah sie in die Laube; da saß die Frau und hatte zwei große Tränen in den Augen.

Ohne viel Besinnen eilte Gustel zu ihr. Drinnen hinter den Bohnenblüten verließ sie der Mut – zudringlicher Fratz – klang ihr Ernas Stimme in den Ohren. Also stotterte sie verlegen etwas davon, was für liebe Menschen das seien, drüben im Schloß.

Da wurden die beiden Tränen schwer, rollten der Frau übers Gesicht herab, und andre folgten ihnen. »Ja, ja – liebe Menschen – und die nu nich mehr haben; nich mehr bei e jeder Sorge den guten Freund glei bei der Hand, fort von hier un alles da lassen, was einem Gutes un Schlimmes begegnet ist – es geht nich – akkerat, als wär' mer festegewachsen is es, akkerat e so.«

»Liebe Frau Krafft,« sagte Gustel erschrocken, »müssen Sie denn fort?«

»Da is der Brief, heute nachmittag kommt euer Berliner Herre vun wegen dem Kauf. Der Müller is auch ganz ausenanner, wenn er auch wenig sagt.«

»Aber dann verkaufen Sie nicht!«

»Ist's heute nich, ist's morgen, was soll die Lydia mit der Mühle? Für'n Müller ist sie zu fein – ach Gott – sie hätte nich in die Stadt gesollt.«

Herr Kalkoff kam; diesmal hatte sich Michel nicht in Staat geworfen und die Braunen fuhren Grummet ein; der Fremde mochte sehen, wie er sich nach Holkwitz fand.

So fuhr er um Zwei mit der Lohnkutsche vor. Daß ihn keiner abholte, daß man keine Sache mit ihm machte, leuchtete ihm ein. »Das ist ein Schlauer! Will gern verkaufen und tut nicht desgleichen!«

Natürlich wollte Herr Kalkoff nun ebenso klug sein. Er tadelte, was sich irgend tadeln ließ. »Ganz gut und schön – aber! – Recht fruchtbar – indes! Leidliches Wasser – jedoch!« – Soviel stand fest, wie es da war, war nichts zu gebrauchen, bauen mußte man vor allen Dingen und verbessern – und die Mühle würde überhaupt fallen. Zu Fabrikzwecken ließe sich die Wasserkraft besser ausnützen.

Des Müllers Gesicht wurde finsterer und finsterer, dies letzte schlug dem Faß den Boden aus. Die Mühle fort? Die Krafftsche Mühle? Zweihundert Jahre alt und einfach weg, wie der Wind welke Blätter abbläst? Eine Fabrik nach Holkwitz setzen mit allem neumodischen Elend? Dunnerlitzchen! Dazu war das alte Mühlgut denn doch zu schade.

Bankier Kalkoff mußte ohne Aussicht auf Holkwitz wieder abreisen.

Als er fort war, huschte Gustel zur Frau in den Hühnerstall. »Sie sind nun froh?«

»Ach, es hilft zu nichts, verkauft wird es doch!«

»Jawohl,« sagte der Müller durch die niedere Tür kriechend und sich drinnen im Stall stark aufrichtend. »Es wird verkauft, und ball wird verkauft, dadermit die Nörgelei und Quängelei ämol ufhiert, fort mit der ganzen Boworedschge, mag die Lydia schmecken, wie's in der Stadt is, wo einer den annern die Ellbogen in die Seite stößt, – adder e ehrlicher Müller muß sein – nich e su e naumodscher Schornsteiner.«

»Wenn nur bald einer käme, sonst is das geradeso, als wenn einer dem Hunde den Schwanz stückweise abschneidet.«

Eine Stunde später saß Gustel hinter verschlossenen Türen im Gastzimmer und schrieb einen langen Brief an Tante Rickwitz.

Erst eine ausführliche Schilderung der Holkwitzer Herrlichkeiten, mit dem Bemühen, sehr nüchtern und sachlich zu sein »wie ein Geschäftsmann«; dann aber kam »der Punkt«.

»Und diese Mühle, liebe Tante, soll verkauft werden, aber nur an einen Müller und womöglich an einen netten, und wenn Herr Mehlmann noch nichts gefunden hätte, das würde ihm gefallen, dann soll er sich's ansehen, aber schnell, damit dem Hunde der Schwanz mit einemmal abgeschnitten wird.«

Was sonst noch in dem Briefe stand, waren nur angenehme Nebendinge, die der Tante die Geschäftssache etwas freundlicher machen sollten.

Als dieser Brief im blauen Kasten am Pfarrgarten steckte, bekam Gustel Herzklopfen. Aber warum denn? Wer weiß, ob Tante überhaupt an Mehlmanns schreibt? Wer weiß, ob der nicht schon seine Mühle gefunden hat? Wer weiß – – Ach, es gab so viele Fragezeichen, daß Gustel schon am nächsten Morgen meinte, nichts weiter getan zu haben, als in den Wald hinausgejodelt; das brauchte doch wirklich keiner zu beachten. – Aepfel vierteln, Zwetschen halbieren, Rosinen waschen, Mandeln schnippen, Milch abmessen, Eier quirlen, Blumen pflücken, Guirlanden binden, auf dem letzten bekränzten, schwankenden Grummetwagen jauchzend und angstquiekend durchs Hoftor fahren, das waren die Geschäfte der Waldweibchen in den letzten Tagen vorm Erntefest.

Der Sonnabend fand die drei Mädchen eifrig beim Kircheschmücken. Aehren von allerlei Halmfrucht wurden zu Festgarben gebunden. Kränze und Guirlanden umwanden, was irgend sich umwinden ließ. Kleine Fruchtberge von Kürbissen, Gurken, Wein, Tomaten und allerlei Obst häuften sich im Altarraum. Eben liefen die Mädchen wieder einmal nach dem Gemüsegarten, um nach einem sehr schönen Kürbis zu suchen, da kam Michel aus der Stadt. Heute hatte er den Kälberwagen hervorgeholt, von wegen der vielen Besorgungen, die es zu erledigen gegeben: »warmen Kuchen« hineinbringen zur Freundschaft und »Dutzendzeug« herausschaffen vom Krämer.

Die Mädchen waren so sehr bei der Kürbissuche, daß sie weder auf Michel, noch auf den jungen Mann achteten, der neben Michel in der Schoßkelle saß.

Fünf Minuten später aber rief auf einmal eine lustige Stimme in den Garten hinein: »Waldweibchen! ho ho!« und mit dem Aufschrei: »Paulemann!« stürzte Gustel sich in des Bruders Arme.

»Na?« fragte der Müller über den Zaun. »Hab' ich das schlau gemacht? Muß doch 'm Quirlequitsch sein Bruder oo uf'n Zahn fühle? Na, nu macht euern Deebs mitenanner.«

Das taten sie redlich. Es war ja zu fein, den Paul hier zu haben, und für den Paul war's extra fein, solche Michaelisferien vom Himmel fallen zu sehen. »Nahrhaft und belehrend.«

»Alle Achtung, Gustel Wildfang, du hast wieder mal einen großartigen Eroberungszug angetreten. Vater Kraffts Einladungsbrief warf durch sein Gustellob alle heimischen Bedenken über den Haufen, Fräulein Circe.«

»Jetzt ärgere mich nicht zum Dank,« sagte Gustel und machte das Verteidigungsnäschen.

Er dachte gar nicht daran, sie zu ärgern, sondern war höchst vergnügt, ließ sich alles zeigen und trieb sich so lange draußen herum, daß der Erntefestmorgen vier junge Langschläfer wecken mußte.

Als dann die Müllersleute mit ihren drei großstädtischen Gästen, alle zusammen in der vordersten Kirchenbank saßen, und Gustel die Augen einmal links hinüber nach dem Stuhl der Schloßleute schweifen ließ, fuhr ihr ein heftiger Schreck in die Glieder.

War das wirklich Herr Mehlmann, der dort drüben neben der behaglichen Frau Amtmännin saß? Behüte, wie sollte der ins Holkwitzer Amthaus kommen! – Wäre er wirklich da, dann müßte er doch die Schritte nach der Mühle gelenkt haben. Aber es ließ Gustel keine Ruhe, die Aehnlichkeit war zu groß, immer wieder guckte sie verstohlen nach dem Fremden im Schloßstuhl hinüber; sie hörte gar nicht ganz genau, wie warm der alte Herr oben auf seiner Kanzel vom Gottessegen sprach und von der Ernte draußen im Feld, drinnen im Menschenherzen und dermaleinst am Ende der Welt.

Als sie dann draußen vor der bekränzten Kirchentür standen und Amtmanns mit ihrem Gast aus dem Seitentürchen herauskamen, da endlich erkannte sie ihn ganz genau. Gang und Gebärden machen einen sicherer als ein Gesicht im bunten Lichte der Kirchenfenster. Und blitzschnell, ohne zu überlegen, nahm sie Lydias Arm und flüsterte: »Guck, Lyddi, der dort, das ist der Müller Mehlmann, von dem ich dir erzählt habe.«

Lydia erschrak, sie hatte den Fremden natürlich auch schon gesehen und ein Dutzend verschiedenerlei Gedanken schossen ihr kreuzweis durch den Sinn.

»Gustel, das ist er? Sag mir! du hast ihn gern! sag mir's ganz ehrlich, ja?«

Starr sah Gustel sie an – »nein, so ein Einfall!«

»Weil du ihn so lobtest und immer für Mühlen schwärmtest,« erklärte Lydia kleinlaut.

Jetzt wurde Gustel böse: »Wenn ich niemand mehr loben darf, und keinen Beruf mehr nett finden, ohne daß du solchen Unsinn denkst, dann hört alles auf!«

Aber Lydia war nicht empfindlich, sie schmiegte sich dicht an Gustel an und hielt sie den ganzen Heimweg über fest, Wanda mußte sich mit dem Primaner begnügen.

Karl Mehlmann aber kam gleich nach der Kirche mit Lydias Paten zum Vater Krafft und fiel kurzweg mit der Tür ins Haus: er habe gehört, hier sei die Mühle zu kaufen, er sei Müller und suche sich eine. Ins Schloß aber war er auf die einfachste Weise gekommen. Tante Rickwitz hatte Gustels Brief schlankweg in einen andern Umschlag getan und mit zwei Begleitworten an den jungen Mann geschickt; der gab nicht allzu viel auf »Backfischbeschreibungen«, und da er des Amtmanns Sohn kannte, fragte er erst im Schlosse nach, ob wirklich die Mühle feil sei und wie alles stünde.

Der Müller Mehlmann war dem alten Krafft ein gut Teil lieber als ein Bankier mit Industrieabsichten. Etwas knurrig machte ihn aber jeder Käufer, er kaute also zunächst mal an seiner Pfeife, und als er sich da den ersten Aerger verbissen hatte, meinte er: »Sie müssen sich den Kram ordentlich ansehen – 's kauft keiner de Katze im Sack, un ich will mir meinen Käufer auch ordentlich ansehen – bleim Se so e Tagener viere da, Sie können mit dem Bücherwurm aus Berlin in der Mühlstube schlafen.«

Karl Mehlmann nahm an; für heute schien er nichts weiter zu sein, als ein vergnügter Erntefestgast, obwohl er die Augen überall hatte. Sogar Mutter Krafft vergaß, daß er ein Käufer war, und lachte so vergnügt über die Späße des jungen Volks, als drohe keine Stadtwohnung im Hintergrund der Zeiten.

Gustel hielt sich sehr fern von Herrn Mehlmann; sie tanzte mit Michel und mit dem ersten Knappen um die Linde, Herrn Mehlmann wußte sie auszuweichen.

Aus dreierlei Gründen. Einmal mußte sie immer wieder, wenn sie seine freundlichen Augen sah, an das Unrecht denken, was sie seiner Mutter zugefügt hatte, zweitens bedrückte sie der Brief, der ihn hergelockt hatte, und zum dritten trieb Lydias Verdacht sie so weit als möglich von ihm fort.

Zu ärgerlich war ihr das. Aber Herr Mehlmann suchte sie auch nicht; irgend ein Zufall, der schließlich gar nicht mehr wie ein Zufall aussah, brachte ihn immer wieder mit dem Haustöchterchen zusammen; merkwürdig, wie gut ihm das Mädchen gefiel, und Lydia bewunderte den städtisch erzogenen Müller außerordentlich, schien ihr doch, als vereinige er alle Vorzüge des Vaters mit denen des Doktor Elwers. Und das war das Höchste, was es geben konnte.

Die beiden nächsten Tage galten dem Herumführen, und je länger das währte, desto behaglicher wurde Vater Kraffts Gesicht und Stimmung. Dieser Käufer lobte, was ihm gefiel, und wo er etwas für verbesserungsfähig erklärte, hörte der Alte ruhig zu, denn es hatte Hand und Fuß, und daß es mancherlei Veraltetes in seinem Mühlenbetriebe gab, wußte er ganz gut; er hatte nur nicht gern von der Väter Weise abgehen wollen – wozu auch bessern, da der Erbe fehlte.

Je besser aber dem Müller der Käufer gefiel und diesem die Mühle, desto nachdenklicher wurde Herr Mehlmann; denn er sah ein: dies Anwesen war zu groß für ihn, er war kein gelernter Landwirt, und so mit einemmal eine Mühle in neumodischen Gang bringen und außerdem ein großes Bauerngut bestellen – da hätte er sich schön verwirtschaften können.

Schließlich sagte er das dem alten Krafft. »Wenn ich die Mühle allein haben könnte mit dem Nötigsten drum und dran – ich griffe mit beiden Händen zu.«

»No – un das andre –? Wenn sich Enk da e rechter Hutch und Dutch auf die Hacken setzt, He?«

»Das andre behalten Sie selber, Herr Krafft, wir wollen schon gute Nachbarschaft halten.«

Lydia fuhr bei diesen Worten eine Feuerfahne übers Gesicht, die Mutter hatte sich hinter den Vater geschlichen und zupfte ihn nun am Aermel, was ganz deutlich hieß: So mach's doch! so tu's doch! Sag ja! – Aber der Bauer sagte nicht »ja« zu Mehlmanns Vorschlägen und sagte nicht »nein« – er schob die Hand unters Kinn und sah umschichtig der Frau, der Tochter und dem jungen Müller in die Augen; als dabei in Herrn Mehlmanns Gesicht ein schwacher Abglanz von Lydias Glut aufstieg, knurrte er: »Ueberlegen!« ging hinaus und kam nicht zu Tisch. Er habe auf dem Vorwerk zu tun, ließ er der Frau sagen.

»Mutter,« fragte Lydia ängstlich, »was hat Vater?«

Die Mutter strich Lydia freundlich über die heißen Backen. »Ei, Bubbchen, er überlegt; weißt's doch, wenn ihm was schwer in Gliedern liegt, muß er alleine fertig wern.«

Am unbehaglichsten war Herrn Mehlmann zu Mute, als der Bauer nicht zu Tisch kam; er ging gleich nach dem Essen aufs Feld und schließlich nach allerlei Sinnen und Ueberlegen ins Amthaus.

Der alte Herr Braun saß in seiner Pfeifenkrautlaube und las die Zeitung. »Ei sieh doch, willkommen! Sie stören nicht, Gott bewahre! Nur herein – die hohe Politik wartet. Nun, wie steht's mit dem Kauf?«

Mehlmann erzählte etwas langsam, als rufe er sich dabei alles Geschehene recht gewissenhaft ins Gedächtnis zurück. Dann aber wurde er eifrig: »Und nun komm' ich zu Ihnen, verehrter Herr Braun, um Rat und Hilfe. Sie kennen mich und meine Verhältnisse – reden Sie Herrn Krafft zu, daß er mir die Mühle gibt und mein Nachbar bleibt. Ich – ich leugne nicht, daß ich auf diese Nachbarschaft auch aus andern Gründen sehr viel Wert lege, nur daß ich das jetzt Herrn Krafft noch nicht zu sagen wage, ich meine vielmehr, er müßte mich erst näher kennen lernen. Ich hätte auch Ihnen noch nichts gesagt, aber vorhin, als der Bauer nicht zurückkam, kam mir die Sorge, er könne mich vielleicht mißverstehen – Sie haben mich doch verstanden?«

Pate Braun lächelte und sah den jungen Mann wohlgefällig an. »Ich denke wohl! und mich freut's, zumal da Sie ein Müller sind – eine rechte Fügung Gottes scheint mir's zu sein.«

»Also Sie würden zu meinen Gunsten reden?« rief Mehlmann erfreut.

»Sowie die Gelegenheit kommt.«

Diese Gelegenheit kam am andern Morgen beizeiten. Nach kurzem Klopfen trat der Müller in des Amtmanns Schreibstube, in der die behaglichen Tabakwolken gegen die Decke stiegen und wo der Pfeifengeruch so unvertilgbar herrschte, daß Lydia als kleines Busselchen bei jeder Pfeife sagte, »jetzt riecht's wie bei Patens«.

Der Müller warf seinen Hut auf den Stuhl, setzte sich schwerfällig hin, schlug mit den Händen auf die Kniee und sagte: »Du, Amtmann, da sitz' ich schön in der Bredouille. Der Käufer ist da, und der Käufer gefällt mir; nu aber will er die Mühle allein, und ich soll daneben sitzen bleiben. Das gibt je nu nichts annersch als e Getechtelmechtel 'rüber un 'nüber, das kommt mer aber schlecht zu passe, ne halbschierge Sache kann ich nich leide. Und gar is es! Lydia wird rot un er bleibt nich blaß, un mei Mädel is wie vertauscht, singt Müllerlieder wie 'ne Heidelerche. Na, mir kann's ju racht sei, un meine Alte, die zupft mich schon alleweng; aber 'raus mit der Katz' aus em Sack: will er die Mühle und 's Gut – racht – ich hab's gesagt, 'em ordentlichen Müller verkauf ich's – will er die Mühle und 's Mädchen – er soll sie haben; dann scharwerk' ich mit meiner Alten noch auf'm Gut, bis die Knochen aufs Altenteil wollen, un bis dahin werden die jungen Hühner ju was gelernt habm. Adder die Mühle alleine – nee! ich bin nich von Dummsen.«

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Der Müller setzte sich schwerfällig hin und sagte: »Du, Amtmann, der Käufer ist da.«

Da saß denn der Amtmann nun mit seinen schönen Neuigkeiten, und nachdem er erst noch mit schalkhaftem Zwinkern einen tiefen Zug aus seiner Pfeife getan hatte, berichtete er vom gestrigen Tag und was er sonst Gutes von der Familie Mehlmann wußte.

»Da brauchten wir also nur noch die Lydia zu fragen, wie's der zu Mute ist.«

»Den kleinen Grasaff fragen, der niemals einsah, was ihm der liebe Gott für 'ne Pracht in die Wiege beschert hatte, der niemals ordentlich weiß, was er will? Mal is sie vergnügt und lustig, mal hängt sie de Ohren, mal heult sie, daß die städtische Freundschaft uns, die Bauern, zu sehen kriegen könnte; dann wieder kann sie nich genug von den Stadtpflanzen hier 'rauskriegen. Ich sag' nichts degegen, dem Quirlequitsch bin ich gut. Aber die Weibsleute um etwas fragen, das hat nie nich viel Zweck. Gut is sie ihm, das sah ich ihr an beiden Guckaugen an. Sag du dem Mehlmann, es wäre mir recht – adder glei hü oder hott – Fisimatentchen soll er nich mache.«

Der Amtmann holte sich seinen Hut und kam mit hinüber. Die junge Gesellschaft war von der Mutter in den Grasgarten geschickt worden.

»Macht enk nützlich, lest Fallobst auf!« Gustel war leidenschaftlich bei der Sache, sie hatte feierliche Erlaubnis, einfach hineinzubeißen, wo die Lust sie ankam; das war ein noch nie dagewesenes Vergnügen.

»Der reine Paradiesgarten.«

Schönchen und der Primaner hielten sich an die Pflaumen, er schüttelte, sie erklärte eifrig und strafenden Tons, das sei künstliches Fallobst, er behauptete: »Fall sei Fall!« Sie neckten sich, schnabulierten und leisteten zu zweit nicht halb so viel wie Gustel, obwohl sie ja der Spatz war, dem das Unfugtreiben im Obstgarten doch in allen Naturgeschichtsbüchern nachgesagt wird.

Dort, wo eine dichte Hecke den Obstgarten vom Gemüsegarten trennte, stand eine Korneliuskirschenlaube. Im Halbkreis waren die Büsche gepflanzt, sie hatten sich nach und nach zu undurchdringlichem Flechtwerk verwachsen und die Bank, die sich innen um die Rundung zog, war der schattigste Platz weit und breit; selbst jetzt dachte noch keines der kleinen Blättchen ans Fallen und die länglichrunden dunkelroten Früchte, die Lydia abnahm, schimmerten wie Korallen aus dem dichten Laub.

Neben ihr stand Herr Mehlmann und half. Sie pflückten in denselben Korb und sprachen miteinander, und gerade, als Pate Braun an die Hecke trat und guten Abend sagen wollte, ließ Lydia auf einmal den Korb fallen und alle Korneliuskirschen rollten ins Gras.

Zwei Minuten später stand Herr Mehlmann drüben beim Paten, der ihm winkte, und Lydia lag in Gustels Arm, während Wanda und Paul lachend und scheltend die verunglückten Kirschen zusammenlasen.

»Aber Lyddi! was ist denn? Gleich wirfst du mir auch noch meinen Aepfelkorb um. Du zitterst ja!«

»Nein, nein; nur sagen muß ich dir etwas; ich habe solches Herzklopfen; daß nur die andern nicht kommen – ach – ich glaube, Herr Mehlmann hat mich lieb – und will wissen, ob ich ihm wieder gut bin – aber als er's gesagt hatte, erschrak er; wir müßten ihn erst noch kennen lernen.«

Gustel umarmte Lydia aufjubelnd. »Wir kennen ihn ja! Ist dir's denn recht, wenn du einen Müller kriegst, du Böse!«

»O Gustel – er sagte so etwas Gutes und Liebes, ich hab's gar nicht ordentlich gehört, der Korb fiel ins Gras und der Pate rief nach Herrn Mehlmann.«

Plötzlich fragte Gustel, ernst wie ein Strafrichter: »Hast du ihn gern?«

»Ja – sehr – aber – ich bin so ein böses Mädchen – ich habe die Müllerei verachtet und – beinah meine Eltern – und jetzt fällt mir immer Hermine ein – wenn er es einmal erführe und davonginge, wie der Maler auf Nimmerwiederkehr –«

»Sag's ihm – dann ist er gewiß nicht böse.«

»Und noch etwas – ich – o Gustel – ich habe einmal betrogen – richtig, so wie die Leute es tun, die vors Gericht kommen – ich habe damals bei der Näscherei in der Villa Schering das Ausgabebuch gefälscht –«

»Lyddi!«

»Ja, Gustel, es ist schrecklich – obwohl ich im Geiste meiner Mutter Augen ganz traurig auf mich gerichtet sah, ließ ich's doch zu, ich fürchtete mich zu sehr vor Erna und Fanny.«

Eine kleine Weile schwieg Gustel ganz still, sie mußte das erst verwinden, endlich aber sagte sie leise: »Ich glaube, du mußt ihm das auch sagen.«

Lydia nickte. »Und dann wird er mich nicht mehr gern haben.«

»Behüte,« tröstete Gustel, gerührt von Lydias traurigem Gesichte, »ich habe Tante Rickwitz auch einmal eine Schandtat zu bekennen gehabt, und seit dem Bekenntnis sind wir uns erst so furchtbar gut. Nur tapfer, Lydia – dann hast du ein federleichtes Herz – paß mal auf!«

»Sie haben wohl immer ein federleichtes Herz?« fragte da Brauns freundliche Stimme. Er war mit Mehlmann nahe herangekommen, ohne daß die Mädchen etwas von den Schritten gehört hatten, nahm Gustels Arm und wanderte mit ihr, behaglich plaudernd, zu den fleißigen Leuten, die sich noch immer mit den Korneliuskirschen plagten, aber nicht wie Aschenbrödels Tauben, sondern anders, nämlich die guten ins Kröpfchen, die schlechten ins Töpfchen.

Karl Mehlmann aber sagte zu Lydia: »Ich habe vorhin keine Antwort von Ihnen bekommen und inzwischen hat sich viel ereignet. Denken Sie, Ihre Eltern haben alles gemerkt und sie glauben mir, auch ohne mich länger zu prüfen, daß ich Ihnen von Herzen gut bin. Nun kommt es auf Sie an. Ihren Eltern ist's recht – sie bleiben gerne allein auf dem Hof – wollen wir zusammen in der Mühle wirtschaften?«

Lydias Herz klopfte bis an die Kehle hinauf: Jetzt mußte sie ihre Untaten gestehen.

»Ich muß Ihnen erst etwas sagen,« begann sie sehr leise. »Ich habe die Müllerei verachtet und das Landleben nicht gemocht, Gustel sagte immer, es sei töricht, aber ich dachte, sie rede nur so, um mich zu trösten –«

Sie hielt inne und holte tief Atem – es war zu schwer.

»Denken Sie denn auch heute noch so?«

»Behüte – nie mehr – gar nicht.«

»Aber dann ist's ja gut – sehr gut! Wer denkt denn nicht mal im Leben etwas Verkehrtes.«

Lydia sah strahlend zu Karl Mehlmann auf: »Wirklich?« – Ach, da fiel ihr das andre ein – das Schlimmere, und leise stockend erzählte sie auch diese häßlichste Geschichte ihres Lebens, langsam und ausführlich, die Augen auf die Grashälmchen gesenkt, zwischen denen ein rosig betupftes Gänseblümchen blühte.

Als sie zu Ende war, ergriff er ihre Hand und fragte: »Hat Fräulein Gustel Ihnen den Rat gegeben, mir das zu sagen?«

»Ja, weil ich mir schwere Gedanken darum machte; sie meinte, nachher würde mir leicht ums Herz sein.«

»Und ist dir jetzt leicht?«

Sie sah schnell auf, und da sein Gesicht ebenso freundlich war wie vorher, rief sie: »Ja!« und setzte gleich hinzu: »Wollen wir zur Mutter gehen? Ich glaube, die ist sehr froh.«

Das war sie auch. Auf dem Hofe bleiben, das Kind in der Mühle festsitzen haben, nicht mehr die Angst vor der unbestimmten Zukunft vor Augen, nicht mehr die bange Frage: »wo wirst du einmal sterben?« im Herzen.

Als im Laufe des Abends beim Schmausen, Plaudern und Trinken zu Tage kam, daß Gustels Brief an die Tante Karl Mehlmann, den herrlichsten aller Müller, herbeigeholt hatte, nahm Mutter Krafft den Spatz beim Kopf und sagte, sie streichelnd: »Was ist das doch für ein liebes Heizchendeizchen.«

Da hatte Gustel ihren zweiten Holkwitzer Namen.

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