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Vorbei, vorbei die schöne Zeit.

Das Allerschönste nimmt ein Ende; und diese Waldläuferei nahm ein schnelleres als alle gedacht hatten. Tante Rickwitz »wollte nun einmal ihren Willen haben«.

»Diese letzten Tage gehören mir; ich kann nicht über Stock und Stein rennen wie ein Fohlen; morgen nehme ich zwei tüchtige Wagen, einen Landauer für die Alten und einen Jagdwagen fürs junge Volk, und wir fahren alle zusammen nach Gotha – die Frauenzimmergesellschaft schachtle ich in meinem Hause ein, die drei Männer – Paul, benimm dich danach! – dürfen in den nächsten Gasthof – und dann soll es auch dort ganz hübsch werden.«

Man tat ihr den Willen, und, obgleich der Abstecher nach Ilmenau und Kickelhahn aufgegeben werden mußte, mit freundlichen Gesichtern. Am nächsten Tag fuhren sie davon: voran die Backfische mit Ida und Frida, Paul und dem Papa; hinterdrein die drei Damen und Professor Schering – fuhren durch »Wald und Wonne«, sangen viel und dichteten viel und fuhren abends in Gotha ein. Nun mußten sie diese Tantenstadt bewundern; kletterten auf den Seeberg und guckten nach den drei Gleichen hinüber, von denen Hauff das Märchen vom Hirschgulden zu erzählen weiß; fuhren nach Siebleben und bekamen Gustav Freytag, dem man nach Pauls Behauptung das ganze »Soll und Haben« noch auf viel weiter angesehen hätte, von fern gezeigt.

Und Tante Rickwitz war gut! – gerade als wolle sie all das Liebe, was sie den Elwerskindern in sechzehn Jahren hätte antun können, nun in drei Tagen nachholen.

Als sie endlich doch abschiednehmend am Bahnhof standen, da hatte jedes ein Andenken in der Tasche und eins im Herzen, und es war des Liebhabens und des Auf-Wiedersehen-sagens kein Ende.

Der Abschied aber, der zwei Tage später zu nehmen war, wurde Gustel doch noch schwerer. Nun reisten sie nach Hause, die Herzallerliebsten, und die Fische, Göttinnen und Parzen traten wieder in ihr Recht. Gustel mußte sich früh, mittags und abends vorsagen: Auguste Dorothee Charlotte Elwers, sei tapfer, blamiere dich nicht!

Als aber Fräulein Charlotte das erste Mal wieder hinauskam nach der Villa Schering, da fiel sie ihr um den Hals und mußte ein bißchen weinen, es ging nicht anders.

Gustel war mit ihren Gedanken an diesem Nachmittag so fest bei allem, was sie Charlotte hatte erzählen müssen, daß sie gar nicht merkte, was sich unter den Mitfischen ereignete. Nur da sie zu Bett ging, fiel ihr auf, daß Lydia nicht gute Nacht sagte, und da sie selbst ihr den Gruß zum zweitenmal bot, erklang plötzlich des Zwillings Stimme in heftigem Groll: »Du hättest auch bei mir weinen können!«

Mit einem Ruck saß Gustel aufrecht im Bett.

»Was?«

»Jawohl! Wo ich dir so sehr gut bin und begreife, daß du ganz auseinander sein mußt vor Sehnsucht.«

»Nein, so was,« rief Gustel, sprang auf, umarmte Lydia und fing nun richtig, wie die es verlangte, in ihren Armen zu weinen an, immer dazwischen ein bißchen lachend. »Bist du wunderlich! Ich bin dir doch auch gut! Aber du warst jetzt manchmal wieder so seltsam und gingst mir ein bißchen aus dem Wege, da dachte ich, ich sei dir unbequem und weil ihr mich doch den zudringlichen Fratz genannt hattet, da wollte ich's nun gar nicht mehr sein.«

»Behüte,« flüsterte Lydia, »keins darf dich mehr so nennen, keins; du bist unser Spatz, denn dein Papa hat recht, gerade so bist du wie der Spatz im Schwalbenkränzchen, nur noch viel lieber – ich aber – ich bin nur gegangen, weil – weil ich eifersüchtig war – weil ich dir deine Eltern nicht gönne – ach – ich bin ein ganz schlechtes Mädchen.«

»Dumm bist du,« flüsterte Gustel, halb ärgerlich, halb gerührt, »und jetzt darfst du nie mehr so sein. Du weißt nun, daß ich dich gern habe und übers Jahr besuchst du uns, natürlich, dann darfst du Mama wieder anhimmeln – Mama hat dich auch gern – sie sagt, du seist ein nettes Mädchen und Paul sagte bei der Abreise auch: du seist famos, du ziertest dich gar nicht mehr.«

» Dear me, you must sleep now, who is that chatterbox?« rief Miß Harriet in den Saal hinein.

»Hu – die Parze! Gute Nacht, gute Nacht!«

Alle Herzensangelegenheiten schienen sich in diesen Ferien verschoben zu haben. Friederike Schauroth war viel milder geworden, die Aussicht, Michaelis endlich in das heiß ersehnte Seminar eintreten zu dürfen, machte sie menschenfreundlicher, sie meinte auch, die drei Ferienfische seien rücksichtsvoll gegen ihre Arbeit gewesen und fand Erna laut und nervenangreifend. Wanda hatte sich als Waldweibchen eng an Gustel angeschlossen und fand sich nicht wieder weg, mochten Erna und Fanny auch locken.

Liese Böning flog den drei Weibchen jubelnd in die Arme; da sich dabei natürlich ihr Zopf löste, griffen sechs Hände zu, sie schön zu machen, und unter lachenden Tränen rief sie aus: »Nun, wenn mir drei helfen, muß ich's doch endlich zu Ordnung und Anmut bringen!« – Das war denn sehr behaglich. Sie kochten, wirtschafteten, gärtnerten und trieben Wissenschaft mit Feuereifer in lustigem Wettstreit – das Vierteljahr verflog – ehe sie's recht glauben mochten, war der Herbst da, und Gustel hatte die Hälfte der Trennungszeit überwunden. –

 

»Geliebter Bruder, Primaner und Paulemann!

Das war ein erfolgreiches Vierteljahr! Ja, lache nur, es ist doch so, wie's da steht – ich bin noch ganz verdutzt; so etwa wie Heinrich der Finkler, als die Mannen am Vogelherd erschienen, um ihm zu verkünden, daß er deutscher Kaiser geworden sei.

Gestern ist Friederike Schauroth nach dem Seminar übergesiedelt, und heute bin ich zum einstimmigen Obmann erwählt worden. Ich war ganz erschossen, denn ich bin die Jüngste, weißt Du, und dachte immer, sie könnten mich nicht leiden, weil ich ein bißchen flink mit dem Munde bin. Ich schlug Liese Böning vor, weil sie schon siebzehn ist und ich sie sehr mag. Liese lachte und sprach: so wähle mich doch, soll mir eine Ehre sein! – Ich wählte sie auch, auf einem ganz kleinen niedlichen Zettel, der in Professor Scherings Cylinderhut zu den fünf andern Zetteln flog. Auf diesen fünfen aber stand jedesmal: Auguste Elwers. Ueber Fanny und Erna wunderte ich mich am meisten – Erna mußte natürlich ein Krällchen herausstrecken. Sie sagte: »Verdienen tust du's natürlich nicht, da ich euch aber zu klug bin, so ist es jetzt doch wenigstens auch eine Berlinerin und die Kaiserstadt hat die Ehre.« – Solcher Unsinn! Fanny aber sagte: sie möge mich leiden; und die andern tanzten einen Königstanz um mich herum; so nannten sie ihre Sprünge. – So, das war der Erfolg. Außerdem nahmen wir Abschied von allen drei Göttinnen und über acht Tage kommen zwei neue – zwei Fragezeichen sage ich, denn keine weiß, wie sie sind, und ich kann mir jetzt ganz genau vorstellen, wie es der ganzen Villa Schering zu Mute war, als Lydia und ich einrückten. Hu!

Das Allerschönste, mein alter Paulemann, war aber Fräulein Lisbeths Hochzeit. Vorgestern waren wir alle mit zur Trauung in der Kirche und dann sind sie gleich abgereist, aber am Abend vorher gab's ausführlichen Polterabend mit viel Versen, an denen wir alle mitgedichtet hatten.

Wanda, Lydia und ich kamen als Waldweibchen – Du hättest nur sehen sollen, wie sie guckten, als ich von dem Borkenhäuschen anfing, das hatten sie doch keinem Menschen erzählt und an den Waldgeist als Verräter wollten sie nicht glauben. Ich habe nachher Fräulein Lisbeth ganz heimlich anvertraut, woher ich es wußte, und einen Kuß dafür bekommen, daß ich keinem einzigen Menschen etwas davon verraten hatte, nicht einmal Fräulein Charlotte, und das ist mir sehr schwer geworden.

Nun will ich Dir aber noch ein bißchen von Deinem Brief beantworten. Ueber Dein neues Ideal muß ich mich doch sehr wundern. Du schreibst, sie habe sich gar nicht über den Gruß ihrer Schwester gefreut – solch einer reizenden Schwester, für die ich unbedingt schwärmen würde, wenn ich nur nicht schon so viel Schwärme hätte – jetzt wieder Fräulein Klementine, weil sie doch nun bald fortgeht, nach Irland, denk mal! so weit weg! und sie kommt gewiß erst wieder, wenn ich schon lange, lange in Berlin bin. Ja, und Deine Hermione gefällt mir nicht, und wer ein hochmütiges Gesicht macht, wenn von seinen Geschwistern die Rede ist, den nenne ich ein Greuel, und Du kannst zehnmal sagen: da steht ein tragisches Schicksal im Hintergrund, ich sage: wenn man sich lieb hat, geht alles – man muß nur ein bißchen zusammenkommen – wie war's denn mit Tante Rickwitz? Rate doch dieser Hermione, sie solle Weihnachtsurlaub nehmen und mal ein bißchen nach Hause reisen, dann kommt sie gewiß ganz vergnügt wieder.

Und nun lebe wohl und lerne nicht etwa Geschwisterverachtung von Deinem Ideal, das würde sehr ungehörig finden

Deine Gustel.«

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